Schwarzes Geld für schwarze Schafe - Christopher Stahl - E-Book

Schwarzes Geld für schwarze Schafe E-Book

Christopher Stahl

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  • Herausgeber: NWB Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Zum Buch: „Kennen Sie eigentlich Ihren Kollegen Peter Simonis aus Alzey?“ Es ist eine scheinbar ganz harmlose Frage, die Hauptkommissar Koman dem Steuerberater Darius Schäfer da stellt, die aber eine wahre Lawine auslöst. Natürlich kennt Schäfer ihn, schließlich sind es Menschen wie Simonis, die einen ganzen Berufszweig in Misskredit bringen können: Unseriöses Geschäftsgebaren, dubiose Geschäfte, ein Hang zum Luxus und Affären lassen die Gerüchte um ihn nicht verstummen. Je mehr Schäfer sich umhört, umso weniger wundert es ihn, dass sein Kollege Morddrohungen erhält. Als Peter Simonis dann tatsächlich ermordet wird, tut Darius, was er schon einmal getan hat: Er ermittelt auf eigene Faust. Denn ausgerechnet mit Schäfers Herzensdame wurde der unbeliebte Steuerberater zuletzt lebend gesehen. Sind es persönliche Motive, die zu dem Mord geführt haben? Oder war eines seiner letzten „Geschäfte“ für Simonis eine Nummer zu groß? Seine lebensgefährliche Suche nach Antworten führt Darius Schäfer auch in die Niederlande, wo er einen alten Bekannten wiedertrifft. Zum Autor: Christopher Stahl (Pseudonym) lebt mit seiner Familie in Rheinhessen. Er ist ein renommierter Autor von Praktiker-Literatur für Steuerberater. Nach dem erfolgreichen Roman-Debüt „Tödliche Veranlagung“ ist „Schwarzes Geld für schwarze Schafe“ sein zweiter Steuerberater-Krimi. Anne Ueberfeldt, Geschäftsführerin der Steuerberaterkammer Rheinland-Pfalz, schrieb in Consultant zum Krimi „Tödliche Veranlagung“: „Humor, Wortwitz – und für einen Krimi unverzichtbar: Spannung. Diese Zutaten machen das Buch zu einem ausgesprochenen Leseerlebnis ... empfehlenswert – für Steuerberater, die entspannen, aber in ihrem Metier bleiben wollen, für Rheinhessen, die ihre beschauliche Region gern im Zentrum kriminellen Geschehens sehen würden, und für alle, die sich gern unterhalten.“

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Seitenzahl: 369

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NWB Verlag GmbH & Co. KG, Herne

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Dieses Buch und alle in ihm enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahmen der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages unzulässig.

Zum Buch:
„Kennen Sie eigentlich Ihren Kollegen Peter Simonis aus Alzey?” Es ist eine scheinbar ganz harmlose Frage, die Hauptkommissar Koman dem Steuerberater Darius Schäfer da stellt, die aber eine wahre Lawine auslöst. Natürlich kennt Schäfer ihn, schließlich sind es Menschen wie Simonis, die einen ganzen Berufszweig in Misskredit bringen können: Unseriöses Geschäftsgebaren, dubiose Geschäfte, ein Hang zum Luxus und Affären lassen die Gerüchte um ihn nicht verstummen. Je mehr Schäfer sich umhört und erfährt, umso weniger wundert es ihn, dass sein Kollege Morddrohungen erhält.
Als Peter Simonis dann tatsächlich ermordet wird, tut Darius, was er schon einmal getan hat: Er ermittelt auf eigene Faust, denn ausgerechnet mit Schäfers Herzensdame wurde der unbeliebte Steuerberater zuletzt lebend gesehen. Sind es persönliche Motive, die zu dem Mord geführt haben? Oder war eines seiner letzten „Geschäfte” für Simonis eine Nummer zu groß?
Die Suche nach Antworten führt Darius Schäfer auch in die Niederlande, wo er einen alten Bekannten wieder trifft …
Zum Autor:
Christopher Stahl (Pseudonym) ist ein renommierter Autor von Praktiker-Literatur. Er lebt mit seiner Familie in Rheinhessen. Dort lässt er auch den sympathischen Steuerberater Darius Schäfer – nun schon zum zweiten Mal – in Schwarzes Geld für schwarze Schafe ermitteln.
Außerdem im Verlag NWB erschienen ist sein erster Roman Tödliche Veranlagung.
Der Schauplatz:
Die Rheinhessische Schweiz
Das Gebiet zwischen Bingen, Mainz, Worms und Alzey wurde 1816 der Provinz Hessen zugeschlagen, später gehörte es zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Seinen heutigen Namen Rheinhessen erhielt es 1819. Im Rahmen der Länderneuregelung wurde es nach dem 2. Weltkrieg Rheinland-Pfalz angegliedert.
Skizze
Es ist das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet Deutschlands, dessen vielfältigen Produkte (Müller-Thurgau, Kerner, Scheurebe, Faber, Bacchus, Huxelrebe, Silvaner, Riesling, Morio Muskat, Weißburgunder, Grauburgunder Pinot Grigio, Portugieser, Dornfelder, Blauer Spätburgunder), in der ganzen Welt getrunken und geschätzt werden.
Dem Teil Rheinhessens, der nördlich an das Pfälzische Bergland anschließt, hat man wegen seiner hügeligen Landschaft den bezeichnenden Namen Rheinhessische Schweiz gegeben.
Skizze
Und hier, in Alzey, dem Dörfchen Bernheim und der näheren Umgebung, spielen sich die wesentlichen Ereignisse unserer Geschichte ab. Die Handlung ist fiktiv. Das Dörfchen Bernheim und die handelnden Personen gibt es nicht. Sie und ihre Geschichte sind in der hier beschriebenen Prägung Produkte der Fantasie und demzufolge auch irgendwie doch irgendwie existent. Lediglich dem Winzerehepaar Heike und Wilfried Espenschied kann man auch in der Realität begegnen.
Die wesentlichen Personen in der Reihenfolge ihrer Mitwirkung in unserer Geschichte:
Was uns als Größenwahn erscheint, ist nicht immer eine Geisteskrankheit; – oft genug ist es nur die bequeme Maske eines Menschen, der an sich verzweifelt.
(Arthur Schnitzler)

Erstes Kapitel Sonntag, 11. Mai 2003 (Muttertag)

„Arm oder reich, der Tod macht alle gleich.” Spielte mir mein Unterbewusstsein einen üblen Streich oder versuchte es, mich vor einem Nervenzusammenbruch zu bewahren? Da kam mir beim Anblick der Leiche meines Berufskollegen Simonis als Erstes nichts Besseres in den Sinn, als dieses Sprichwort aus Kindheitstagen? Meine streitbare Patentante hatte es stets parat gehabt, wenn sie wieder einmal feststellen musste, dass mehr Geld haben, allzu oft – wie sie hervorhob – eine unselige Symbiose einging mit mehr Recht bekommen. Für jemanden, der Peter Simonis kannte, eine durchaus begreifliche Assoziation, jedoch äußerst unpassend, pietätlos. Auch wenn er noch so viel Schuld auf sich geladen haben mochte, sein qualvoller Anblick war nun wirklich nicht dazu angetan, in dieser abscheulichen Tat eine Art ausgleichender Gerechtigkeit zu sehen.
An einer der mit leeren Weinflaschen bestückten Gitterboxen, die im hintersten Winkel der Lagerhalle des Weingutes Espenhof gestapelt waren, saß Simonis, lediglich mit einer Schlafanzughose bekleidet, auf dem von ihm durchnässten und verschmutzten Betonboden. Neben ihm lag eine nachlässig zusammengeknüllte Wolldecke. Seine ausgestreckten Arme waren wie bei einem Gekreuzigten mit aneinander gedrehten Agraffen an einem der Gitter festgebunden. Die Drahtschlinge, mit der er offensichtlich erdrosselt worden war, hatte sich tief in seinen Hals geschnitten und ragte mit den verdrillten Enden waagrecht nach vorn. Seinen Kopf hatte man mit dem hinteren Teil der todbringenden Schlinge ebenfalls an der Gitterbox fixiert. Aus seinem rechten, blutunterlaufenen Auge starrte er uns unverwandt an, das linke war mit Klebeband verschlossen. Der angst- und schmerzverzerrte Ausdruck auf seinem bläulich angelaufenen Gesicht zeugte von der barbarischen Art, auf die man Simonis vom Leben zum Tod befördert hatte.
Ein weiteres Stück Klebeband, das an seinem Mundwinkel baumelte, verlieh der Szenerie einen Anflug von Skurrilität. Mehrere blutige Striemen liefen schräg über seine unbehaarte Brust auf der rechten Körperseite zusammen. Das wohl Makaberste waren zwei kleine Gewichte in der Form von Erdbeeren, wie man sie ansonsten zum Fixieren einer Tischdecke benutzt, die man an seinem entblößten Hodensack befestigt hatte. Irgendwie passte das grausige Bild, das sich uns hier bot, eher in die Zeiten mittelalterlicher Gerichtsbarkeit als in das Jahr 2003 und ich hatte das untrügliche Gefühl, dass ihm ein Plan, eine Absicht zugrunde lag.
Es war Muttertag, kurz nach 8.00 Uhr morgens. Neben mir stand Wilfried Espenschied, der mit Heike, seiner Frau, das Weingut und das dazugehörige Hotel in Flonheim-Uffhofen, etwa 35 Kilometer südlich von Mainz, betrieb. Vor einer halben Stunde hatte er mich angerufen: „Ganz gleich, was du gerade tust, komm sofort zu mir … ins Flaschenlager, es ist etwas … etwas passiert … du musst kommen!”, hatte er gestammelt und schon wieder aufgelegt, bevor ich noch etwas hätte sagen können.
Wilfried, ansonsten ein Typ, den kaum etwas aus der Ruhe bringen konnte und der immer zu einem Scherz aufgelegt war, versuchte, seinen Schock in den Griff zu bekommen. „Das gibt es doch nicht, das träum ich doch bloß”, wiederholte er immer wieder, wobei er auf Simonis Leiche zeigte.
„Wenn ich nicht durch Zufall … weil ich hier hinten eine Birne auswechseln wollte … weil sie flackerte … und Heike hat mich schon seit Tagen darum gebeten … und heute ist doch Muttertag, da wollte ich das endlich machen und …”, brabbelte er völlig unsortiert, bis ich ihn unterbrach.
„Jetzt mal ganz sachte, Wilfried”, dabei legte ich freundschaftlich meinen Arm um seine Schultern, um ihn zu beruhigen, „es ist doch völlig egal, weshalb du heute Morgen hier heruntergekommen bist.”
„Das sagst du. Es war ein blöder Zufall, dass Heike den falschen Lichtschalter angemacht hat und dadurch die defekte Lampe im hinteren Teil des Lagers gesehen hat. Hier kommt sonst vor Herbst, bis wir die Flaschen brauchen, keiner hin. Das hätte Monate dauern können, bis wir den entdeckt hätten.”
„Wohl kaum. Wenn ihn innerhalb der nächsten Tage niemand gefunden hätte, dann hätte er sich durch den Geruch bemerkbar gemacht. So kalt ist es hier ja schließlich nicht.”
„Wie kannst du da nur so ruhig bleiben?”, fragte mich Wilfried fassungslos.
Ich wunderte mich selbst über meine scheinbare Gefühlskälte und konnte ihm seine Frage nicht beantworten. Stattdessen zuckte ich kurz mit den Schultern. „Kennst du ihn?”
„Klar, wer kennt den nicht? Du doch auch – oder?”
„Ja, nur zu gut!” Mehr wollte ich im Moment nicht preisgeben. Daher fragte ich sofort weiter: „Kannst du dir erklären, wie er hierher kommt?”
„Simonis war gestern Abend in Begleitung zum Essen bei uns im Restaurant, aber nicht mit seiner Frau. Er hatte vorher schon ein Doppelzimmer für eine Nacht reserviert. Und die beiden sind dann so gegen halb neun nach oben gegangen. Mehr weiß ich nicht”, erzählte er, kurzfristig gefasster, um dann – sofort wieder ganz aufgelöst – fortzufahren:. „Mensch, wie soll ich das der Heike beibringen?! Sie wartet mit den Kindern und dem Frühstück in der Küche, während der hier so rumliegt.” Inzwischen schwang so etwas wie Zorn auf Simonis in seiner Stimme mit. „Lass uns jetzt erst einmal … ich muss jetzt hier raus”, entschied er und sprach mir damit aus der Seele.
Draußen empfing uns die trügerische Stimmung eines jungen, friedlichen Sonntags. Wilfried atmete tief durch, schüttelte mehrmals den Kopf und strich sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Was mache ich denn jetzt?”, fragte er mit kraftloser Stimme.
„Ich spreche mit Heike, ohne die Kinder, und du informierst jetzt die Polizei. Musst denen ja nicht auf die Nase binden, dass du zuerst mich angerufen hast! Und jetzt beruhig dich erst mal Wilfried, du kannst dem armen Schwein nicht mehr helfen. – Weshalb”, fiel mir endlich ein zu fragen, „hast du eigentlich nicht gleich bei der Polizei angerufen, sondern zuerst bei mir? Was habe ich denn mit dieser Sache zu tun?”
„Wenn ich dir das sage, wirst du gleich gute Ratschläge für dein seelisches Gleichgewicht brauchen. Ich habe dich nicht wegen mir gerufen, es geht um dich!”
„Davon kannst du doch gar nichts wissen. Woher hast du …” Von wem oder was wusste er überhaupt von meinen Recherchen über Simonis, in die außer Koman niemand eingeweiht war? Aber wir redeten aneinander vorbei.
„Die Frau, mit der Simonis heute Nacht hier war, die könnte doch mit dem Mord etwas zu tun haben.”
„Klar! Ist sie denn noch da?”, wollte ich wissen – ohne jegliche Vorahnung, welcher Schock mir bevorstand.
„Nein, ich war heute früh schon oben. Die Zimmertür stand offen, niemand drin. Ich habe mir allerdings nichts dabei gedacht”, antwortete Wilfried mit hörbarer Ungeduld. „Jetzt noch einmal: Da ist doch etwas dran, an dem Verdacht – oder?”
Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, natürlich, aber überlasse das doch der Kripo!”
„Merkst du denn gar nicht, worauf ich hinaus will?”
„Nein, aber du wirst es mir doch hoffentlich sagen?”
„Wer, meinst du wohl, hat von gestern auf heute hier bei uns die Nacht mit Simonis verbracht?”, fragte er eine Spur schriller.
„Ist das erst die 100.000- oder schon die 250.000-Euro-Frage, Herr Jauch?”, grinste ich noch immer ahnungslos, bevor mir seine Antwort einen Schlag versetzte, der mich, wäre er physischer Natur gewesen, zu Boden geschickt hätte.
„Sie? … Das glaube ich nicht … bist du dir da absolut sicher?”, entgegnete ich mit brüchiger Stimme, während ich versuchte, eine plötzliche Kraftlosigkeit niederzuringen.
„Doch, Darius! Es tut mir so Leid, aber es stimmt”, hörte ich Wilfried noch leise sagen, während ich schon zu meinem Auto stürzte und wie in Trance, ohne auf den Verkehr zu achten, aus dem Hof des Weingutes fuhr.
„Warum in aller Welt tut sie das?”, fragte ich mich immer wieder. Andererseits konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass und wie sie Simonis umgebracht, in die Lagerhalle befördert und seine Leiche dann auch noch auf diese bizarre Art und Weise „arrangiert” haben sollte. So etwas schafft man doch auch nicht ohne weitere Hilfe! Obwohl Simonis’ Gewicht von etwa 60 Kilogramm bei ihrer körperlichen Konstitution für sie keine Herausforderung, die sie nicht meistern könnte, darstellen dürfte.
Und dann fuhr mir durch den Sinn, dass ich Beatrice heute Vormittag eigentlich anrufen wollte. Auch wenn wir schon seit sechs Jahren geschieden waren, hatte ich es bisher noch nie versäumt, den Muttertag zum Anlass zu nehmen, ihr zu unseren beiden großartigen Jungs zu gratulieren. Ob ich das heute auch könnte? Mit ihrer mir unheimlichen und manchmal geradezu fiesen Sensibilität würde sie mir garantiert anhören, dass irgendetwas nicht stimmte – und anlügen wollte und konnte ich sie noch nie. Das war allerdings ein marginales und leicht zu lösendes Problem.
Zu Hause angekommen rief ich Wilfried an und bat ihn noch einmal, der Kripo möglichst nicht zu erzählen, dass ich bereits wusste, was passiert war. Vergeblich zermarterte ich mir danach das Hirn, wie es nun weitergehen sollte. Ich konnte sie ja noch nicht einmal darauf ansprechen. So war ich zur quälenden Untätigkeit verdammt und konnte nichts anderes tun, als abzuwarten, wie sich alles im Rahmen der kriminalpolizeilichen Untersuchungen entwickeln würde
Aber vielleicht sollte ich die ganze Geschichte der Reihe nach erzählen – also von Anfang an.

Zweites Kapitel Freitag, 4. April 2003

Im Grunde genommen begann alles ganz harmlos – mit einem Anruf von Heribert Koman, seines Zeichens Kriminalhauptkommissar bei der Polizeiinspektion Alzey.
„Hallo, Herr Schäfer, Koman hier!” Das Muntere in seiner Stimme hatte für mich durchaus auch etwas Bedrohliches. „Sie entsinnen sich?”
Wie sollte ich mich seiner nicht entsinnen? Mit Koman war das bisher entsetzlichste Ereignis meines Lebens verbunden: der Mord an meinem besten Freund Horst im Juli des letzten Jahres. Meine eigenmächtige Suche nach seinem Mörder hatte mir zwar meine physischen und psychischen Grenzen mehr als deutlich gemacht, mich aber letztlich auch auf den Weg in ein neues, wertvolleres Leben geführt.
„Aber natürlich erinnere ich mich”, antwortete ich daher. „Ich starre schließlich seit einem halben Jahr auf mein Telefon in Erwartung Ihrer avisierten Einladung zu einem Gespräch.”
„Ich weiß, ich weiß. Ich wollte mich ja auch schon im September mit Ihnen treffen. Ich sagte Ihnen ja, dass da so eine merkwürdige Sache mit einem Ihrer Kollegen auf meinem Tisch gelandet ist, bei der ich objektive Hintergrundinformationen brauche; sozusagen in einem inoffiziellen Gedankenaustausch. Übrigens störe ich Sie gerade?”
„Stören ist relativ. Es kommt darauf an, was Sie von mir wollen. Momentan unterbrechen Sie mich natürlich mitten bei der Arbeit.”
„Es geht um diese bewusste Angelegenheit. Ich schiebe sie seit Monaten vor mir her, aber inzwischen macht mir mein Chef die Hölle heiß. Gestern kam wieder so ein anonymer Wisch. Jetzt hat sich jedoch noch etwas anderes Gravierendes ergeben, weshalb ich die Sache endlich angehen muss.”
„Also, um wen oder was geht es denn?”, wollte ich nun doch wissen.
„Da läuft so ein Ding mit einem Alzeyer Kollegen von Ihnen. Da kann ich mir einfach keinen Reim darauf machen. Kennen Sie eigentlich einen Peter Simonis?”
Ich ging auf seine Frage nicht ein. „Und da wollen Sie, dass ich bei Ihnen vorbeikomme?” „Ja.”
Ich schwieg, sodass er geradezu genötigt war, ein „bitte!” nachzuschieben.
„Na also, geht doch”, murmelte ich.
„Wie bitte?”
„Kurzes, kreatives Selbstgespräch.” Nicht übertreiben, dachte ich, bevor ich fortfuhr. „Dann gehe ich wohl auch recht in der Annahme, dass es Ihnen keineswegs unangenehm wäre, wenn ich noch heute zu Ihnen käme?”
„Schön, dass Sie immer noch der Alte sind – ja, bitte! Wenn Sie es auch noch kurzfristig arrangieren könnten, wäre das Maß der Güte überreichlich gefüllt!”
Auch er konnte die Sticheleien, die wir seit dem ersten Moment unserer Bekanntschaft auszutauschen pflegten, nicht lassen. Wobei der Begriff pflegen den Spaß, den wir an unserem Umgangston hatten, trefflich beschreibt.
„So, so, das Maß meiner Güte”, wiederholte ich geziert. „Mit Güte lockt fast überall die Frau ihr Schweinchen in den Stall – Wilhelm Busch. Aber mal im Ernst: Wie wäre es in einer Stunde, so gegen 11 Uhr 30?”
„Gerne”, lachte er „Sie kennen ja den Weg.”
Ich gab Irene Dengler Bescheid, dass ich für den Rest des Vormittags außer Haus und nicht vor 15.00 Uhr wieder zu erreichen sei. Sie arbeitete seit vier Jahren als Sekretärin in der Kanzlei und ist inzwischen auch die Lebensgefährtin meines Partners Carlo. Bevor wir unsere Zusammenarbeit begründeten, war er Betriebsprüfer beim Finanzamt Alzey gewesen.
Beim Verlassen des alten Gehöftes, in dem ich nicht nur wohne, sondern auch unsere Kanzlei untergebracht ist, streichelte ich einem altvertrauten Ritual folgend meinen beiden Bernersennhündinnen Hanna und Kira, die mich erwartungsvoll bis zum Tor begleiteten, flüchtig über den Kopf und stieg in mein Auto.
Alzey liegt etwa eine viertel Stunde von Bernheim, meinem Heimatort, entfernt. Die kurvenreiche, schmale Kreisstraße dorthin verlangt zwar selbst dem ortskundigen Fahrer die volle Aufmerksamkeit ab, aber sie führt auch durch einen der schönsten Teile Rheinhessens, die so genannte rheinhessische Schweiz.
Ich weiß noch, dass ich das Autoradio anhatte. Die Nachrichten auf SWR1 wurden einmal mehr in diesen Tagen dominiert vom Irak-Krieg und den fragwürdigen Erfolgsmeldungen der so genannten Allianz der Willigen. Ich mochte von diesem ganzen Wahnsinn nichts mehr hören und schaltete mutlos ab.
Ich erinnere mich auch, dass die Fahrt durch diese inspirierende Landschaft meine Gedanken wie so oft auf eine Reise schickte durch alle Gefilde meines Gemütes.
Rebenbewachsene Hügel, schattige Wälder, Blumenwiesen mit sprudelnden, klaren Bächen, Äcker, je nach Jahreszeit bewachsen mit Raps, Sonnenblumen, Braugerste und Zuckerrüben, aber auch Heide-, Gewürz- und Heilkräuterbewuchs und das milde, sonnige Klima prägen den Charakter dieser Landschaft, die nicht zu Unrecht oft mit der Toskana verglichen wird.
Romantische Ortschaften, mit liebevoll renovierten Winzerhöfen, urigen Straußwirtschaften und Gutsausschänken, kleine Schlösser, Burgruinen und idyllische Kirchen fügen sich anheimelnd in das Bild ein. Und natürlich spielen der exzellente Wein in seiner Artenvielfalt sowie die bodenständige Küche eine nicht unerhebliche Rolle bei der Prägung dieses Ambientes.
Den entscheidenden Ausschlag gibt für mich aber der besondere Menschenschlag in meiner Wahlheimat. Ein Menschenschlag, der sich über Jahrhunderte immer wieder mit neuen Situationen, vor allem aber den unterschiedlichsten Kulturen und Glaubensrichtungen arrangieren und sie adaptieren musste. „Meine geliebten” Rheinhessen! Ihre eigene Mundart mit einer Fülle sprachlicher Feinheiten und Absonderlichkeiten, jedoch ohne Einheitsklang, ist Ausdruck ihrer Identität und ihres südländisch anmutenden Lebensgefühls. Man muss sie einfach mögen. Aber wie könnte man sie einem Fremden beschreiben?
Carl Zuckmayer, ging es mir durch den Kopf. Der rheinhessische Literat hatte seine Landsleute nur zu gut gekannt und in seinen Romanen und Schauspielen stets treffend beschrieben. Am trefflichsten in einem engagierten Monolog des Harras in „Des Teufels General”. … Mein Gott, wie lange war das her? 40 Jahre? Länger? Bei einer Aufführung der Schauspielgruppe im Gymnasium hatte man mir die Rolle des General Harras gegeben. Natürlich konnte ich mich nicht annähernd mit Curd Jürgens messen, der eine Paraderolle daraus gemacht hatte, aber ich bekam Szenenapplaus, daran konnte ich mich noch erinnern … und ich bekam sogar den Monolog noch zusammen. Ohne zu Stocken und fehlerfrei deklamierte ich ihn laut auf der Fahrt zu Koman, wohl zur Verwunderung der Dame, die ihren Wagen vor mir steuerte und im Rückspiegel meine dramaturgischen Eskapaden mit einem Kopfschütteln quittierte.
„Schrecklich. Diese alten verpanschten rheinischen Familien! Stell’n Se sich doch bloß mal ihre womögliche Ahnenreihe vor: da war ein römischer Feldherr, schwarzer Kerl, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Dann kam ’n jüdischer Gewürzhändler in die Familie. Das war ’n ernster Mensch. Der ’s schon vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Dann kam ’n griechischer Arzt dazu, ’n keltischer Legionär, ’n Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter … und ein französischer Schauspieler. Ein … böhmischer Musikant. Und das alles hat am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen, gesungen und … Kinder jezeugt. Hm? Und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven, und der Gutenberg, und der … Matthias Grünewald. Und so weiter und so weiter. … Das war’n die besten, mein Lieber. Vom Rhein sein, das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das is Rasse. Sei’n Sie stolz drauf, Leutnant Hartmann, und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter auf den Abtritt!”
Apropos Curd Jürgens, spielte der nicht auch den Bösewicht Schinderhannes? Und trieb der Schinderhannes, alias Johannes Bückler, nicht auch in Rheinhessen sein Unwesen? Und „Bösewicht” Simonis, war der nicht auch Rheinhesse? So wurden meine Gedanken wie von selbst wieder auf den Mann gelenkt, der der Grund für diese Fahrt war und dessen Schicksal mich während der nächsten Monate mehr beschäftigen sollte, als es mir lieb war: Kollege Peter Simonis!
Natürlich kannte ich ihn, obwohl ich sehr gut auf seine Bekanntschaft hätte verzichten können. Es fiel mir schwer, aus meiner Missbilligung für seine Lebens- und Verhaltensweise keinen Hehl zu machen. Es war ihm aber auch trefflich gelungen, die Grenzen meiner Toleranz gnadenlos aufzudecken.
Wann hatte ich eigentlich das erste und auch letzte Mal mit ihm persönlich zu tun? Ich glaube, es war nicht lange nach dem Umzug meiner Steuerberatungskanzlei von Wiesbaden nach Bernheim im Jahr 1989. An den genauen Zeitpunkt konnte ich mich zwar nicht mehr erinnern, aber es musste an einem besonders heißen Sommertag gewesen sein. Und ich erinnerte mich natürlich vor allen Dingen daran, dass es ihm alsbald mühelos gelang, dem Ruf, der ihm dank des Kollegentratsches vorauseilte, gerecht zu werden: ein unkollegiales, hinterhältiges und arrogantes Arschloch zu sein. Dass, neben anderen absonderlichen Spezialitäten, grobe Verstöße gegen das Kollegialitätsprinzip unseres Berufsstandes zu seinen Steckenpferden gehörten, wurde mir so ziemlich als erstes von den Kollegen beim Steuerberaterstammtisch in Alzey erzählt.
Simonis war natürlich nicht dabei. Er schien überhaupt jedem direkten Kontakt mit seinen Berufskollegen auszuweichen. Keiner, so hieß es, hatte ihn jemals bei einer Verbands- oder Kammertagung gesehen und Fortbildungsveranstaltungen besuchte er zumindest nicht im Raum Alzey, Mainz, Bingen. Dafür galt seine ganze Zuwendung der regionalen High Society aus Politik und Wirtschaft. Unbeleckt von der offenen und liebenswerten Mentalität des typischen rheinhessischen Alzeyers hatte sich – auch darüber wurde ich alsbald informiert – unter seiner Leitung eine Subkultur Gleichgesinnter entwickelt. Zwar kleinbürgerlich müffelnd, aber auch hier herrschte ein exorbitantes Standesdenken und man bezog seinen nicht unerheblichen Einfluss aus dem Auf- und Ausbau sorgsam gepflegter und geschützter Netzwerke. Die weiblichen und männlichen Kumpanen dieser Bussi-Bussi-Gesellschaft, die sich bei Winzer-, Sänger- und Straßenfesten und bei den Prunksitzungen des Alzeyer Karneval-Vereins überschwänglich begrüßten und abschleckten – was, so wurde gemunkelt, oft hinter verschlossenen Türen als „Bäumchen-wechsel-dich-Spiele” seine feizügige Fortsetzung fand – brauchten in ihrem Dünkel und ihrer Dekadenz einen Vergleich mit großstädtischen Vorbildern nicht zu scheuen. Sie hatten ihre eigene Ethik und Moral, getreu der Philosophie: Recht und rechtens ist, was uns gefällt und nützt. Der Klebstoff, der diese Mischpoche zusammenhielt, waren die Leichen, die sie gemeinsam in diversen Kellern versteckt hielten.
Und mit dieser Clique machte Peter Simonis seine Geschäfte und Geschäftchen. Dabei wurde geklüngelt und zugeschustert, was das Zeug hielt, und vor allem konnte er sich wiederum die Kontakte seiner Kamarilla, die sich nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf das benachbarte Ausland erstreckten, zu Nutze machen.
Das alles wusste ich wohlbemerkt nicht aus eigener Erfahrung, sondern war mir von verschiedenen Seiten zugetragen worden. Ich konnte mich anfänglich des Eindrucks nicht erwehren, Peter Simonis werde zu einem höchst willkommenen Feindbild stilisiert. Man brauchte ihn, um sich selbst wiederum pharisäerhaft im Kreise gleich gesinnter „Freunde” des eigenen Wertes und der eigenen Integrität bewusst zu sein. Er wurde zu einem Objekt negativer Identifikation. Eine besonders raffinierte Form paradoxer Psychologie: Ist schließlich nicht der ein Freund, der die gleichen Feinde hat, wie man selbst?
Andererseits, so warnte man mich, könne Simonis, wann immer es ihm diene, einen kumpelhaften Charme entwickeln, der selbst auf hartgesottene Gemüter eine frappante Wirkung ausübe und sie augenblicklich so einnehme, dass sich das distanzierende und schützende „Sie” nur allzu bald zum verbrüdernden, jegliche Schufterei verzeihenden „Du” verselbständige. Wenn er einem auch noch auf die Schulter klopfe, dürfe das allerdings niemals als Ausdruck von Vertraulichkeit interpretiert werden. Er teste, so charakterisierte man ihn mir, sinnbildlich dabei nur die Härte des Rückgrates und suche die Stelle der Verwundbarkeit – wie es dereinst Hagen bei Siegfried tat. Habe er einem dann unvermittelt und überraschend das Messer in den Rücken gestoßen, so geschehe auch das mit einem Ausdruck kindlicher Unschuld und gipfelte in dem Ausruf: „Haltet den Dieb, der hat mein Messer im Rücken”. Das Verblüffende dabei sei, dass diese miese Masche in der Regel funktioniere.
Nun bin ich wahrhaftig nicht der Typ, der sich ohne weiteres von den Urteilen anderer beeinflussen lässt. Andererseits weiß ich natürlich auch, dass derartige psychologisch-rhetorische Tricks selten ihre Wirkung verfehlen. Wer es heutzutage in der Politik zu etwas bringen will, weiß, dass diese Techniken so notwendig sind, wie das tägliche Brot. Man denke da nur an die Unschuldsmiene und den unschuldigen Tonfall unseres ehemaligen Arbeitsministers Norbert Blüm, wenn er in seinem südhessischem Idiom behauptete: „Die Rende is sischer!” Vier Wörter – ein Programm für 16 Jahre!
Nein, so blauäugig bin ich nicht, aber was ging mich der Kollege Simonis an? Er hatte mir bisher nichts getan, es hatte bislang auch noch keine Berührungspunkte gegeben, und so deutete ich die Bemerkungen über ihn zunächst als neidgeborenen Klatsch. Und der war für mich höchstens zur Perfektionierung meiner Menschenkenntnis über die Urheber des Tratsches von Interesse und nicht, um undifferenziert danach zu urteilen.
… Bis zu dem Tag, an dem zwei Dinge zusammenkamen, die ein persönliches Gespräch mit Peter Simonis unumgänglich machten:
Es muss so Mitte August 1989 gewesen sein. Ich hatte nämlich gerade eines dieser typisch langen und „honorarlosen” Telefonate mit einem Mandanten beendet, indem wir etwa eine halbe Stunde über die deutsch-deutsche Entwicklung und die sich anbahnende Aussicht einer Wiedervereinigung mit friedlichen Mitteln spekuliert hatten. (Anlass waren die Montagsdemonstrationen in der DDR und der bemerkenswerte Anstieg der Zahlen von Flüchtlingen, die unbehelligt über die grüne Grenze zwischen Ungarn und Österreich nach Westdeutschland ausreisten.) Jedenfalls, kurz nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte und mich endlich wieder meiner Arbeit zuwenden wollte, bei der ich unterbrochen worden war, stand schon die nächste Störung in Person einer Mitarbeiterin an meinem Schreibtisch. Sie betreute einen Mandanten, der kurz zuvor von Simonis – ohne mein Dazutun, aus freien Stücken, wie ich ausdrücklich betonen möchte – zu mir gewechselt war, und informierte mich darüber, dass ein der Sparkasse zugesagter Termin für den Jahresabschluss dieses Mandanten gefährdet sei, da sich die Unterlagen zur Ermittlung des Bestandes an Halbfertigarbeiten nicht bei den von Simonis übergebenen Akten befänden. Sie hatte deswegen schon mehrmals in seiner Kanzlei angerufen. war dort aber jedes Mal erneut vertröstet worden, und wusste sich nun nicht mehr zu helfen.
Ich versprach ihr, mich noch heute darum zu kümmern und bei Simonis persönlich anzurufen. Ich dachte damals noch, dass er bestimmt nichts von dieser Schlamperei wusste und sogar froh darüber sein würde, durch mich über einen Mangel aufgeklärt zu werden, bevor er sich für ihn schädlich auswirken konnte. Schließlich gibt es in unserem Berufsstand gewisse Regeln und Normen, die wir alleine schon im Interesse der uns anvertrauten Mandate einhalten sollten.
Ich wollte gerade den Hörer in die Hand nehmen, als Frau Gerbes, ebenfalls eine Mitarbeiterin, in mein Büro kam. Sie druckste herum, dass „die Petra” doch gerade wegen Steuerberater Simonis bei mir gewesen sei und sie da ein persönliches Problem habe und ob ich ihr auch nicht böse sei, weil es sich um einen Kollegen handle, und sie wisse auch gar nicht, ob sie darüber mit mir reden solle und …
In einem Anflug chauvinistischer Gehässigkeit wartete ich nur noch darauf, dass sie mit der bei Frauen so beliebten Killerphrase „und überhaupt” käme. Das wollte ich ihr und vor allem mir nicht antun. Deshalb unterbrach ich sie, wobei ich mich bemühte, meine Ungeduld zu zügeln: „Frau Gerbes, bitte, Sie können und sollen über alles mit mir reden. Was macht Sie denn so befangen?”
„Na ja, Sie sind immer so souverän und machen nie was falsch!”
Ich musste schmunzeln.
„Verwechseln Sie da nicht Souveränität mit der Gelassenheit des Alters?”
Verdammt, da kokettierte ich doch tatsächlich schon mit meinem Alter. Eigentlich sollte ich mir mit diesen spätpubertären Signalen noch etwas Zeit lassen. Ich sah Beatrice, mit der ich damals noch in ungetrübter Eintracht verheiratet war, vor mir, wie sie mit kraus gezogener Stirn und vorwurfsvoll geschürzten Lippen den Kopf schüttelte. Schnell das Thema wechseln!
„Von wegen, nie etwas falsch machen, Frau Gerbes, Unfehlbarkeit mag vielleicht ein Anspruch einer unserer Kirchen sein, aber nicht der meine. Auch ich mache natürlich Fehler. Vielleicht sollte ich sie Ihnen immer mal wieder beichten, um Ihnen Ihre Verzagtheit zu nehmen? Also, raus mit der Sprache! Wo kann ich helfen?”
„Ja also”, sie schluckte und setzte erneut an, „also, das war vor ein paar Wochen. Ich hatte mich mit einer Kollegin, die ich noch von der Berufsschule her kenne, zum Abendessen beim Griechen in der Hospitalstraße getroffen. Und da kam ihr Chef rein – Herr Simonis. Er setzte sich dazu, gab einen Retsina aus und unterhielt sich mit uns. Er machte einen sehr sympathischen Eindruck. Bevor er dann an einen anderen Tisch ging, wo er schon erwartet wurde, drückte er mir seine Karte in die Hand und sagte, dass er für solche Mitarbeiterinnen wie mich immer einen Platz in seiner Kanzlei hätte. Ich habe den Vorfall bald wieder vergessen, bis er gestern Abend bei mir zu Hause anrief.”
Dabei betonte sie das Wort zu Hause, als würde sie es mit einem unsittlichen Antrag verbinden.
„Ich weiß gar nicht, wo der meine Telefonnummer her hat”, brüskierte sie sich kopfschüttelnd.
„Na, da gibt es zum Beispiel Telefonbücher … oder die Auskunft und auch Ihre Bekannte, die bei ihm arbeitet”, spielte ich ihr des Rätsels Lösung zu.
Entweder war die Ironie dezent genug oder sie hatte meinen sanften Tonfall absichtlich überhört. Sie fuhr jedenfalls unvermittelt fort: „Da fragte der mich doch glatt, ob ich nicht bei ihm arbeiten möchte. Er hätte gerade eine Stelle frei und würde mir sofort 500 Mark mehr bezahlen, als ich bei Ihnen bekäme. Das ist doch eindeutig Abwerbung. Darf der denn das überhaupt?”
„Hat jemand bei Ihnen zu Hause dieses Telefonat mitgehört?”, forschte ich nach, ohne erst einmal auf ihre Frage einzugehen.
„Nein, ich war alleine.”
„Wären Sie bereit, das, was sie mir eben erzählt haben, vor einem Vertreter der Steuerberaterkammer auszusagen?”
„Nun, ich weiß nicht … das ja nicht gerade”, zierte sie sich.
„Sehen Sie” (ich unterstrich meine Antwort mit einem Schulterzucken) „dann darf der das. Sie wissen doch: Wo kein Kläger, da kein Richter. Aber”, lenkte ich mit freundlichem Blick ein, „ich finde es toll, dass Sie mir das gesagt haben. Danke für Ihr Vertrauen. Darf ich wenigstens Herrn Simonis darauf ansprechen?”
„Ja”, kam es zögerlich. Und dann verließ sie doch sichtlich erleichtert mein Büro.
Ich war schon immer für klare Verhältnisse. Also wartete ich nicht lange ab, sondern packte den Stier bei den Hörnern und wählte Simonis Kanzleinummer. An der ersten Dame kam ich problemlos vorbei. Die Nennung meines Namens mit Titel schien ihren Zweck nicht zu verfehlen – dachte ich. Sie vermittelte mich weiter, allerdings zu einem Herrn Kramer, der sich als Büroleiter vorstellte und mich fragte, worum es denn gehe.
„Eine Angelegenheit zwischen Kollegen”, versuchte ich mein Glück mit der Autorität meines Berufsstandes.
Es half nichts. Er verlangte Genaueres zu erfahren und in mir begann es langsam zu kochen. ’Nun gut’, dachte ich, ’gib dem Affen seinen Zucker.’
„Es gibt da Probleme mit einem Ihrer ehemaligen Mandanten und zudem muss ich mich wegen eines merkwürdigen Telefonats mit ihm unterhalten. Genügt das jetzt!?”
„Einen Moment, bitte.”
Für etwa 10 Sekunden hörte ich gar nichts mehr, bis ich endlich verbunden wurde. Es meldete sich … nein, nicht der „ersehnte” Kollege, sondern eine Frauenstimme, mit diesem sinnlich-dunklen Timbre, das einen halbwegs empfindsamen Mann selbst bei bester Gesundheit in lebensbedrohliche Atemnot stürzen konnte.
„Ulmer, guten Tag, Herr Schäfer, sie wollen Herrn Simonis sprechen? In welcher Angelegenheit denn bitte?”
Jetzt platzte mir doch der Kragen. Daran änderten auch die freundlichen Phrasen und die betörende Klangfarbe dieser Stimme nichts.
„Sind Sie in der Lage, mir ohne Ausflüchte, wahrheitsgemäß und in allgemein verständlichem Deutsch eine Frage zu beantworten?”, blaffte ich.
„Aber natürlich.”
Sie war weiterhin freundlich, was ich diesem Moment als geschmacklos empfand. Wenn ich wütend sein wollte, hatte sie mir nicht mit ihrer penetrant ekelhaften Freundlichkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich kam mir vor wie bei einem Rollenspiel in einem Konfliktbewältigungs-Seminar.
„Als Juristin und Geschäftspartnerin von Herrn Simonis sollte ich dazu durchaus in der Lage sein – fragen Sie!”
Paff! Das hätte eigentlich sitzen sollen. Jedoch, anstatt heilfroh zu sein, ihr in diesem Moment nicht – mit beiden Füßen im Fettnapf – persönlich gegenüberstehen zu müssen, zog ich meine Masche ungerührt durch.
„Ist Herr Simonis im Büro?”
„Ja. War das die ganze Frage?”
„Ist er in einer halben Stunde auch noch da?”
„Wenn nichts dazwischenkommt, ja.”
„Dann werde ich in etwa dreißig Minuten bei Ihnen in der Kanzlei sein und ich will ihn sprechen. Persönlich, ohne Bodyguard. Sagen Sie ihm das.” Ich hängte ohne Gruß auf und … ärgerte mich. Was machte mich so zornig? Ich wusste es nicht – noch nicht.
Simonis wohnte in einem Bungalow unweit der Landesnervenklinik und des Rheinhessen-Einkaufscenters. Er hatte ihn sich vor etwa 20 Jahren in dem damals üblichen Baustil auf dem hinteren Teil eines über 2.000 Quadratmeter großen Grundstückes errichten lassen. Wuchtige Bäume, ein künstlicher Bachlauf und der obligatorische Pool vor der riesigen Terrasse – natürlich mit Hollywoodschaukel – vermittelten einen zwar üppigen, aber auch protzigen Eindruck. Das Areal hatte er, laut Hörensagen, mitsamt ehemaligem Wohngebäude und Kanzlei seinem Vorgänger, dem Steuerbevollmächtigten Albrecht Comenius, für einen Spottpreis abgekauft. Er soll den älteren Kollegen, der zwar bereits 79 Jahre alt, aber geistig und körperlich noch topfit war und der endlich seinen Ruhestand hatte genießen wollen, mit allerhand Versprechungen, die er aber nie eingehalten hatte, ziemlich unverschämt über den Tisch gezogen haben. Simonis soll damals über Comenius’ Tochter, die mit ihrem Mann irgendwo am Niederrhein lebte, Einfluss auf ihn genommen haben – gegen „angemessene Beteiligung” selbstredend. Soweit berichtete es zumindest die Gerüchteküche, und dass Comenius ziemlich plötzlich wenige Monate nach Übergabe gestorben war.
Das ehemalige zweigeschossige Wohnhaus von Simonis’ Vorgänger war bedarfsgemäß umgebaut worden und beherbergte nun die Kanzlei. Davor hatte man einen zweistreifigen Parkplatz angelegt. Links parkten offensichtlich, wie an den Marken und Größen der Wagen zu erkennen war, die Angehörigen der Kanzleileitung, rechts die Mitarbeiter. Ich stellte meinen vom Ackerstaub verschmutzen VW Variant zwischen einem silbergrauen, blitzenden S-Klasse-Mercedes und ein ebenso sauberes schwarzes BMW Cabriolet ab. Zum Glück hatte ich mich noch nie über die Größe meines Autos definiert, sonst hätte mein Selbstbewusstsein jetzt wohl einen Knacks bekommen.
Auf mein Klingeln hin ertönte schnarrend der Türöffner. Ich trat in einen modern eingerichteten, klimatisierten Vorraum ein, der mich in seiner sterilen Nüchternheit woran erinnerte? An eine Arztpraxis, eine Bankschalterhalle? Was es auch gewesen sein mag, es nahm gleichermaßen gefangen, wie es befangen machte. Wie konnte man in einer solchen Atmosphäre nur arbeiten? Keine Bilder an den Wänden, keine Pflanzen. Kaltes Neonlicht wurde von den überdimensionierten, grellweiß glänzenden Fliesen reflektiert, dass es in den Augen schmerzte. Der älteren Dame, die Mühe hatte, ihren Kopf über eine tresenähnliche Balustrade zu heben, verlieh die schonungslose Beleuchtung eine ungesunde Hautfarbe.
„Guten Tag, Sie sind Herr Schäfer?”, stellte sie unsicher fest.
Mein telefonischer Auftritt war also nicht unbeachtet geblieben.
„Korrekt”, versuchte ich freundlich, aber bestimmt meine Position bereits im Vorfeld zu festigen. Nur keine Verbindlichkeit zeigen, auch nicht hier am Empfang.
„Ich sage Herrn Simonis sofort …”, weiter kam sie nicht, denn aus dem hinteren Teil des Flures schallte mir eine freundliche Stimme entgegen:
„Kollege Schäfer, seien Sie herzlich willkommen in meiner bescheidenen Kanzlei.” Das konnte nur Simonis sein, der mit diesen Worten auf mich zukam. Ich musste mich konzentrieren, um sein Äußeres, das, was er sagte, wie er es sagte und was er tatsächlich meinte in einen möglichst von jeder Missinterpretation freien Zusammenhang zu bringen. Ein extrem schwieriges Unterfangen, welches meine Reagibilität auf ein für mich unangenehmes Minimum reduzierte. Mit anderen Worten, ich war total verunsichert, durfte mir aber nichts anmerken lassen.
Da streckte mir ein kleiner, drahtiger Mann – ich schätzte ihn auf Ende vierzig, einen Meter fünfundsechzig groß und circa 60 Kilo schwer –, von dem ich bisher nur Schlechtes gehört hatte, mit einer herzlichen Geste beide Hände mit nach oben geöffneten Handflächen entgegen.
Die Hand, die ich zum Gruß ergriff, war feucht, seine in einem dreckigen Braun nachgefärbten Haare glänzten, wie bei einem Gigolo der dreißiger Jahre. Ob gegelt oder nur ungepflegt fettig, konnte ich nicht beurteilen. Schweiß, der sogar hinter den Gläsern seiner schwarzen Hornbrille perlte, die ihm ein strenges Aussehen verlieh, komplettierte das irritierende Bild. Meine Objektivität wurde bei diesem Wechselbad an ersten Eindrücken auf eine unerwartet harte Probe gestellt.
„Es tut mir Leid”, plapperte er mit augenfälliger Lebhaftigkeit, „dass man Sie am Telefon anscheinend missverstanden hat. Natürlich hätte man Sie sofort zu mir durchstellen sollen. Na ja, Sie wissen ja, wie das heute mit den Mitarbeitern so ist.”
„Eigentlich nicht, meine Mitarbeiter …”, versuchte ich entgegenzuhalten – sinnlos, er schwatzte weiter, als hätte ich bestätigend genickt.
„Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Ich weiß natürlich, dass sich ein neuer Konkurrent in meinen Pfründen eingenistet hat.” Die Ausdrücke „Konkurrent” und „Pfründe” begleitete er mit einem meckernden Gelächter, womit er wohl verdeutlichen wollte, dass es sich um scherzhafte Bemerkungen handelte.
„Aber”, fuhr er unbeirrt fort, „Platz ist in der kleinsten Hütte, sag’ ich immer. Wir haben doch alle genug Arbeit, da braucht der eine dem anderen nichts zu neiden. Und außerdem”, inzwischen hatte er mich zutraulich beim Arm gefasst und zog mich den Gang, aus dem er kurz zuvor aufgetaucht war, „werden wir alle nicht jünger. In unserem Alter muss man anfangen etwas kürzer zu treten. Wenn die Kerzen auf der Geburtstagstorte teurer sind, als die Torte selbst, sag’ ich immer, wird es Zeit, an sich selbst zu denken.” Dabei bekam sein Gesicht kurzfristig einen derart abwesenden und verklärten Ausdruck, dass ich in diesem Moment geneigt war, ihm abzunehmen, dass er glaubte, was er sagte. Doch diese Anwandlung sollte sehr schnell auch wieder verfliegen.
Wir waren in seinem Büro angekommen. Büro? Ein Tanzsaal von mindestens 60 Quadratmetern stellte einen eklatanten Kontrast zu Vorraum und Flur dar. Die Gigantomanie dieser innenarchitektonischen Entgleisung drohte mich zu erschlagen. Riesiger Schreibtisch, riesiger Besprechungstisch mit zehn Stühlen und riesig vergrößerte Aufnahmen an den Wänden. Simonis mit Helmut Kohl, Simonis mit Bernhard Vogel, Simonis mit Hans-Otto Wilhelm. Weitere unzählige, Fotos in Postkartengröße bedeckten die Wände: Simonis auf seiner Segelyacht, vor seinem Haus auf Malta (die Besitzverhältnisse wurden dem Betrachter durch in Bronzeschildchen gepresste Hinweise erklärt). Aber auch Simonis mit Landräten, Präsidenten des Landwirtschafts- und Weinbauverbandes, mit Roberto Blanco, Mary Roos, Mario Adorf, Heinz Schenk, Hans-Dieter Hüsch, mit Franz Beckenbauer beim Golfturnier, mit Margit Sponheimer und Ernst Neger bei einer Fernsehsitzung und so vielen anderen Sternen und Sternchen, dass ein flüchtiger Blick zur Verinnerlichung dieser Galerie nicht genügte. So viel aber sagte dieses Sammelsurium aus: Simonis war nicht gerade zimperlich und anspruchsvoll, wenn es darum ging, sich mit der Reputation anderer zu schmücken, wobei er dem Motto zu folgen schien: Qualität schadet nichts, aber Quantität nützt mehr.
Daneben hingen die Leitlinien des Lions Clubs als hölzerne Intarsienarbeit, die Ehrenurkunde für 25-jährige Mitgliedschaft beim HSV Alzey und andere Auszeichnungen – alles sichtbare Beweise, für die bedeutende Rolle, die Simonis spielen wollte, und seine weit reichenden Verbindungen.
Ich bemühte mich, mir nicht anmerken zu lassen, dass mich diese geballte Ladung Public Relation nicht unberührt ließ. Und er war bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihm meine gespielte Gleichgültigkeit nicht entging.
„Käffchen?”, fragte er, nachdem wir uns auf seine einladende Geste hin am Schreibtisch einander gegenüber platziert hatten. „Cappuccino, Espresso, Latte Macchiato? Alles da.” Er deutete auf einen chromblitzenden, natürlich ebenfalls überdimensionalen Kaffeeautomaten.
„Ach wissen Sie was, wir trinken zur Feier des Tages einen Napoleon – Spitzencognac, garantiert 20 Jahre alt, habe da so meine Quellen. Direktimport, Sie verstehen? Wenn sie mal was brauchen, Peter Simonis hilft gerne aus.”
Dabei drückte er die Taste zu einer archaisch anmutenden Rufanlage und forderte ohne weitere Einleitung: „Bienchen, bringen Sie uns mal zwei Ladungen vom feinen Gebrannten, Sie wissen schon.”
Es gehörte bis dahin zu meinen unumstößlichen Prinzipien, während der Arbeitszeit keinen Alkohol zu trinken. Ja, einmal ein Glas Sekt, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin Geburtstag hatte. Außerdem mochte ich keinen französischen Cognac. Meine Geschmackspapillen schienen selbst beim Genuss der erhabensten Vertreter dieser Weinbrandspezies derart missverständliche Signale an mein Gehirn zu leiten, dass es auf diese offensichtlich mit dem Fehlalarm: „Achtung, Seifenlauge!” reagierte.
Die überschwängliche Art von Simonis nahm mich jedoch so gefangen, dass ich nicht im Geringsten an Abwehr dachte. Es war nicht so, dass er mich positiv einnahm, eher paralysierte mich seine faszinierende Exzentrik.
„Ich habe ja sonst so gar keinen Kontakt zu den Kollegen hier. Weiß auch nicht, was die gegen mich haben. Ich würde mich freuen, wenn wir vielleicht in Verbindung bleiben würden. Man muss doch ab und zu mal jemanden zum Quatschen haben, der die gleiche Sprache spricht. Ich vermisse das immer mehr. Können Sie das verstehen?”
Und wieder veränderte sich seine Mimik für den Bruchteil einer Sekunde. Die zuvor gezeigte Munterkeit und Souveränität verschwanden auf einen Schlag. Er sah kurz nach unten auf seine Fingernägel, seufzte und richtete dann wieder seinen Blick auf mich.
Während ich noch überlegte, ob er eine Antwort erwartete, und wenn ja, was ich sagen sollte, wurde die Tür ohne vorheriges Anklopfen geöffnet. Ein Tablett mit zwei gefüllten Cognacschwenkern wurde hereingetragen von … Mirielle Mathieu, als sie noch um die 30 war. Die gleiche Körpergröße, auffällig passend zu Simonis, die schwarzen Haare zum charakteristischen Pagenkopf geschnitten, ein schwarz-weißes Kostüm, welches aus der Kollektion einer Mary Quant (oder war es Courege?) hätte stammen können und dessen Rock kurz über den Knien ihrer sportlich gebräunten, wohlgeformten Beine endete.
„Ich möchte, dass sie meine Rechtsanwältin kennen lernen, Sabine Ulmer”, stellte Simonis die Erscheinung aus den Siebzigerjahren vor, und fügte dann völlig unmotiviert hinzu, „einen Luxus, den ich mir leiste. Aber man gönnt sich ja sonst nichts, sag’ ich immer.” Und wieder dieses Meckern, mit dem er das Feudalistische seiner letzten Bemerkung mildern wollte. Dann zeigte er mit einer fast theatralischen Handbewegung auf mich. „Und das ist …”
„Herr Schäfer, ich weiß. Wir hatten bereits das Vergnügen”, unterbrach sie ihn, lächelte mich dabei aber so freundlich an, dass ihrer Erklärung jeder Anflug einer Doppeldeutigkeit genommen war. Am Telefon hatte der Klang ihrer Stimme etwas ausnehmend Erotisches, aber in Verbindung mit ihrer Erscheinung wirkte er geradezu drollig, wenn nicht sogar grotesk. Sie stellte die Gläser vor uns ab, wobei ich ihre prunkvolle Damenrolex bewundern konnte, die sie am linken Handgelenk trug.
„Na, Bienchen, dann wieder ab an die Arbeit”, schäkerte Simonis und unterstrich seine launische Bemerkung mit einem schwungvollen Klaps auf ihr Hinterteil. Ich hatte einen scharfen Protest gegen diese Aufdringlichkeit erwartet, die umso beleidigender war, als sie in meinem Beisein stattfand; aber sie kicherte stattdessen wie ein kleines Mädchen und verschwand durch die Tür, nicht ohne mir noch ein „Tschüs” zuzuwinken.
„Mein Büroleiter hat sie mir empfohlen”, nickte Simonis Bienchen hinterher, „und als ich sie dann sah, konnte ich einfach nicht nein sagen. Außerdem, dachte ich mir, ist ihr juristisches Staatsexamen gut für das Renommee. Macht sich gut im Briefkopf. Aber, wie sagten schon die alten Römer? Honit soit qui mal y pense. Doch nun, Herr Kollege” – endlich kam er zur Sache – „was führt Sie so quasi aus dem Stegreif zu mir?” Dabei hob er den Cognacschwenker, prostete mir zu, kippte den Weinbrand mit einem Schluck hinunter und schmatzte mehrmals genüsslich. Es fehlte nur noch das befreite „Aaahhhhh”, wie man es von durstigen Pilstrinkern in den Vorstadtkneipen kennt.
Ich setzte mein Glas, ohne davon getrunken zu haben, mit einer übertrieben langsamen Bewegung ab, lehnte mich zurück und faltete die Hände vor meinem Bauch. Jetzt war ich dran, das war mein Auftritt.
„Sie wissen, dass wir das Mandat Krüger von Ihnen übernommen haben. Da fehlen noch Unterlagen, die sich in Ihrer Kanzlei befinden müssen. Meine Mitarbeiterin hat mehrmals vergeblich …”
„Larifari!”, unterbrach er mich mit einer unwirschen Handbewegung. Seine Augen begannen auf einmal hin und her zu wandern, so als ob die Kontrolle über sie verloren hätte. Peter Simonis hatte sich seiner höflichen, ja, fast liebenswürdigen Maske von einer auf die nächste Sekunde entledigt. Was dabei heraus kam war die Bestätigung des Bildes, das man mir von ihm schon so oft gezeichnet hatte.
Ich hatte es erwartet, darauf gelauert und wollte doch eigentlich gar nicht, dass es geschah. Oder hatte ich es unbewusst provoziert, um mir meine unterschwellig vorhandene, schlechte Meinung bestätigen zu lassen? Jetzt verstand ich auch auf einmal, weshalb mich bereits am Telefon die ganze Angelegenheit so zornig gemacht hatte: Ich hatte – zu Recht – befürchtet, dass die beharrlichen Einflüsterungen auch bei mir, dem ach so toleranten, objektiven Darius Schäfer, ihre Wirkung nicht verfehlt hatten.
„Was war das andere, was Sie von mir wollten. Sagen Sie schon, ich habe meine Zeit nicht gestohlen, also raus mit der Sprache”, bellte er, wobei er ich besonders betonte und dadurch, so ganz nebenbei, eine Gehässigkeit abfeuerte.
„Sie haben versucht, eine Mitarbeiterin von mir abzuwerben, das kann …” und wieder fiel er mir ins Wort.
„Versucht? Mein lieber Herr Kollege, versucht? Wenn ich wen will, bekomme ich ihn auch. Einem Peter Simonis entzieht man sich nicht! Haben Sie das verstanden? Aber mal der Reihe nach.
Wie Sie es geschafft haben, mir das Mandat Krüger abspenstig zu machen, will ich gar nicht wissen. Ich sage nur eines: Noch einmal machen Sie das nicht! Dann werde ich Ihnen eine Anzeige bei der Kammer hinhängen, die sich gewaschen hat. Ich habe meine Connections”, dabei zeigte er mit einer raumgreifenden Handbewegung auf die Bildergalerie, „und die werde ich erbarmungslos einsetzen. Also, Vorsicht!
Im Übrigen gibt es bei mir keine Unterlagen mehr. Es wurde alles ordnungsgemäß an Sie überstellt. Ich kenne meine Pflichten!” Und wieder die Betonung auf ich. „Wenn tatsächlich etwas fehlt, kann es nur bei Ihnen verschlampt worden sein. Bei mir herrscht Ordnung.”
Einer derartigen Impertinenz war ich einfach nicht gewachsen. Ich sah ihn mit ungläubigen Augen an. Das war doch ein böser Traum, oder? Doch der Albtraum, der keiner war, ging weiter.
„Und nun noch einmal zu der angeblichen Abwerbung. Ich kann mich an nichts Derartiges erinnern. Würde ich ja auch nie tun. Oder haben Sie etwa Beweise?”
Ich zuckte mit den Schultern.