Schweigen ist tödlich - Angelika Friedemann - E-Book

Schweigen ist tödlich E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Volker Larsen, ein junger Maler, wird wegen Rauschgiftbesitzes und Mordes an seiner grossen Liebe, Mia Gallert, festgenommen. Alle Indizien deuten auf ihn, da man sein Messer, seine Fingerabdrücke in der Wohnung des Opfers findet. Volker, entsetzt über deren Tod, bestreitet es vehement, gleichermassen wie den Besitz der Drogen, obwohl man die in seinem Atelier gefunden hatte. Hauptkommissar Daniel Briester glaubt dem Tatverdächtigen, seine Intuition sagt ihm, dass man den Mann hereinlegen will. Trotzdem ergeht Haftbefehl. Er kommt in U-Haft. Sandra Larsen, Volkers wesentlich ältere Schwester, macht dem Hauptkommissar gleich bei der ersten Begegnung klar, dass sie die Sache in die Hand nimmt. Gerade deswegen schafft es Sandra, ihn am Anfang zu überrollen.

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Angelika Friedemann

Schweigen ist tödlich

Impressum

Copyright: © 2021 Alle Rechte am Werk liegen beim Autor: Angelika Friedemann, Herrengasse 20, Meinisberg/ch.

[email protected]

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

Bildnachweis: Quelle: piqs.de: Bildtitel: Speicherstadt, Fotograf: Dani 30

ISBN: 9783754338773

*

Noch verschlafen tastete sie nach dem Telefon, damit das schrille, laute Lärmen endlich aufhörte.

„Ich bin nicht da“, blaffte sie in den Hörer, drückte weg, drehte sich um und wollte weiterschlafen. Gleich lärmte es von Neuem, durchdringend und dröhnend. Jetzt fast wach, zornig, griff sie abermals zu. „Verflixt, es ist mitten in der Nacht und ich will noch … Volker? Was ist passiert?“

Sie setzte sich auf, stöhnte leise, hörte zu, schwang die Beine aus dem Bett und suchte etwas zum Anziehen.

„Wo bist du?“ Sie lauschte der Stimme, während sie einen Schuh, der im Weg lag, unter das Bett kickte. Verstreut lagen Kleidungsstücke herum, über die sie hinweg tapste. Die Augen hielt sie halb geschlossen, da sie das helle Licht schmerzte.

„Ich rufe einen Anwalt an und komme hin. Halt die Ohren steif und sage nichts, wirklich nichts, bis ich da bin. Nicht, dass du denen etwas Falsches erzählst. Ach, am besten hältst du nur den Mund“, maßregelte sie ihn nun grob. „Kapiert?“

Sie suchte die Telefonnummer von dem Rechtsanwalt, mit dem sie beruflich bereits zusammengearbeitet hatte, schilderte, was sie von ihrem Bruder gehört hatte. Hastig schlüpfte sie in ihre Kleidung, stöhnte dabei. In der Küche schluckte sie zwei Kopfschmerztabletten. Auf dem Weg ins Bad schloss sie die Jeans, zupfte den Pulli herunter. Im Bad ergriff sie das Make-up und lächelte vor sich hin, streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Oberflächlich schminkte sie sich.

Sie trank einen Schluck Kaffee, griff zum Telefon und zufrieden legte sie wenig später auf. Zurück im Bad grübelte sie über Volker und diese Geschichte nach, während sie die Lippenkonturen nachzog, um Lippenstift aufzupinseln. Mehrmals drehte sie sich vor dem Spiegel, bevor sie zum Auto eilte. Wie meistens raste sie viel zu schnell zum Präsidium. Kam sie nicht schnell genug voran, hupte sie. Während der fast halbstündigen Fahrt durch die Hansestadt, überlegte sie, wie sie sich verhalten musste, murmelte dabei ständig vor sich hin. Schiet. Was war das für eine Geschichte? In was hatte sich der dusselige Kerl da hineinmanövriert? Wenn man nicht ständig auf ihn aufpasste … In der Rothenbaum Chaussee war noch Stau, der sie nur noch wütender werden ließ. Schien ein mieser Tag zu werden.

Angekommen fragte sie sich durch, hastete nach oben, bis sie vor ihrem Bruder stand. Volker sah blass aus, lächelte jedoch.

„Darf ich fragen, was das zu bedeuten hat?“ Sie wandte sich an einen Mann, der sie musterte. „Sind Sie seine Anwältin?“

Irgendwo sagte ein Mann leise: „Ein Engel schwebt herein.“

„Frank, wow, was für ein Glanz in unserer Hütte“, ein anderer.

„Nein, die Schwester, Sandra Larsen. Der Anwalt wird in wenigen Minuten erscheinen.“

„Warten Sie bitte draußen, Frau Larsen.“ Er taxierte sie von oben bis unten, wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen ab. Was für eine Erscheinung.

„Das tue ich nicht. Was werfen Sie ihm vor?“ Herausfordernd beäugte sie den Mann in Sekundenschnelle.

„Sie behaupten, sie hätten bei mir im Atelier Heroin gefunden“, warf Volker dazwischen, dem der Auftritt seiner Schwester peinlich war. Ich hätte sie nicht anrufen sollen, schwirrte es ihm durch den Kopf, ärgerlich über sich selbst.

„Bei dir? Das ist albern und dusselig. Hatten sie überhaupt einen Durchsuchungsbefehl?“

„Frau Larsen, Sie warten bitte draußen, haben wir uns verstanden?“

Der Mann blickte zornig, seine grauen Augen kalt, erinnerten sie an Stahl. Dusseliger Kerl, probte den Aufstand, dachte Sandra. Wenn bloß mein Kopf nicht so dröhnen würde.

„Ich bleibe, bis sein Anwalt kommt.“

Kriminaloberkommissar Bernd Schmid fixierte sie. In seiner Dienstzeit hatte er Frauen aller Art getroffen. Er wusste, wie man hysterische Weiber, wie er sie im Stillen titulierte, zum Schweigen brachte. Dazu gehörte diese Person, da ihm gerade in dem Moment einfiel, wer sie war: das Gespräch in allen Abteilungen. Ja, sie glich vom Äußeren einem Engel, wie er sie einmal bezeichnet hatte. Diese Frau hatte eine Figur, von der jeder Mann träumte, des Weiteren die langen blonden, leicht gelockten Haare, die meerblauen Augen. Sie sah einfach umwerfend aus. Jedes Modell konnte sich davon eine Scheibe abschneiden. Er schüttelte den Kopf. So was Besonderes war sie nun auch nicht. Er musste eine anzügliche Bemerkung unterdrücken, lächelte nur, wollte sie am Arm anfassen, da funkelte sie ihn zornig an. „Wagen Sie nicht, mich anzupacken, sonst bekommen Sie mehr Ärger, als Ihnen lieb sein kann.“

Volker lachte kopfschüttelnd, auch von Weitem erklang Gelächter.

„Es reicht! Raus hier, sonst bekommen Sie den Ärger.“ Er grinste dabei, Temperament hat sie, aber das wusste er und gleich war da die Scham, der Zorn. Rasch verdrängte er das Erlebnis.

„Ich bleibe bei meinem Bruder, damit ich sehe und höre, was Sie mit ihm anstellen. Man hört ja so allerlei. Wer weiß, wie das Heroin dahin gekommen ist.“ Provokativ schaute sie den Mann an. Der wandte sich ab, griff zum Telefonhörer.

„Sie können noch freiwillig den Raum verlassen.“ Seine Stimme drohend, dabei allerdings leise, dass die noch mehr Wirkung zeigte, irgendwie gefährlich klang. „Oder ich lasse Sie von zwei Polizisten abführen.“

Er betrachtete sie voller Verachtung, etwas, das sie einen Augenblick verunsicherte. Warum war dieser Kerl so ablehnend? Sie hatte bisher jeden Mann dahin bekommen, wo sie ihn hatte haben wollen. Alle gaben nach, waren lieb und nett zu ihr. Ihrem Charme, ihrem Aussehen konnte sich keiner entziehen, obwohl sie gerade Letzteres hasste. Sie sah diesem Mann an, dass der so handeln würde, wie er es androhte, und so nickte sie. „Ich gehe und warte, nur nicht lange. Volker, sag diesen Typen nichts, bis der Anwalt erscheint. Diese Kerle verdrehen jeden Satz“, musste sie noch das letzte Wort haben, bevor sie laut die Tür hinter sich zuknallte.

Im Korridor lief sie auf und ab, leise schimpfend, fluchend, versuchte, ihren Zorn zu bekämpfen. Diese dusseligen Tabletten wirkten nicht mehr, da sie immer noch das Hämmern in ihrem Kopf spürte. Sie stand nie so früh auf, was sie noch übellauniger machte. Irgendwie schien es mitten in der Nacht zu sein, obwohl es bereits nach zehn Uhr war. Sie setzte sich, erhob sich nach wenigen Minuten, riss eines der Fenster auf und sog die frische Luft ein. Ihr Kopf erschien ihr wie ein Ballon.

„Verflixt“, murmelte sie leise. „Ich muss mich besser unter Kontrolle haben. So erreiche ich bei den Bullen nichts. Schuld waren diese höllischen Kopfschmerzen.“

Nach einer Ewigkeit, wie es ihr vorkam, sah sie den Anwalt kommen. „Guten Morgen, Doktor Rebbin. Sie behaupten, Volker …“, stürzte sie auf ihn zu.

„Guten Tag, Frau Larsen. Bleiben Sie bitte ruhig. Ich spreche mit den Leuten, Ihrem Bruder. Warten Sie bitte hier“, kürzte er ihr Gerede ab.

„Ich möchte dabei sein.“

„Frau Larsen, lassen wir das. Sie wissen, dass das nicht geht, also geben Sie Ruhe, warten, sonst fahre ich in mein Büro zurück“, tadelte er harsch. Lothar Rebbin kannte sie, wusste, wie man mit ihr umgehen musste. Bei ihm hatte sie es mit Spielchen auf vielerlei Art probiert, um ihr Ziel zu erreichen, aber er war gegen sie immun. Insgeheim bewunderte er, wie sie sich oftmals lautstark für die Kinder einsetzte, die man ihr vom Jugendamt zur Behandlung übertrug. Auf der anderen Seite erschwerte sie damit partiell seine Arbeit, weil ihr manchmal alles zu langwierig erschien, sie nicht schnell eine Änderung der Lebensumstände bei den Lütten erreichte. Sie war da rigoros, kompromisslos. Sie sagte den Eltern, meistens waren es nur Mütter, unmissverständlich, was sie von ihnen hielt. Eins musste er ihr zugestehen, sie hatte Erfolg damit, hatte mit dieser Art einige Kinder vor Schlimmeren bewahrt.

Sandra funkelte ihn wütend an, fügte sich jedoch, lief auf und ab, setzte sich, stand erneut auf. Sie hasste es, zu warten, nicht zu wissen, was dort drinnen passierte. Schließlich hatte sie ein Recht darauf, alles zu erfahren. Wieso - verflixt -, dauert das so lange? Weshalb durfte sie nicht dabei sein? Blöde Frage sagte sie sich. Du kennst den Polizeiapparat. Beginne nüchtern und sachlich zu überlegen und beruhige dich, ermahnte sie sich. Nochmals trat sie an das Fenster, sog die Luft tief ein. Volker, was hatte er da wieder angestellt? Sie schaute aus dem Fenster, sah auf einen tristen grauen Hinterhof, während sie grübelte. Wie kam ihr Bruder an Rauschgift und wieso hatten die Bullen eine Hausdurchsuchung ausgeführt? Nein, da stimmte etwas nicht. Volker würde niemals etwas mit Drogen anfangen oder gar dealen. Das musste ihm jemand untergeschoben haben. Nur wer, oder was, noch wichtiger war, warum? Aus welchem Grund wollte man gerade Volker aus dem Verkehr ziehen? Er musste sich mit irgendjemandem angelegt haben, obwohl auch das nicht zu ihm passte. Erst der Ärger mit diesem grauen Mäuschen, jetzt das. Na, der würde nachher etwas erleben. Sie steigerte sich immer mehr in ihre Wut hinein.

Abermals setzte sie sich, da öffnete sich die Tür. Volker und der Beamte, gefolgt von dem Rechtsanwalt, traten heraus.

„Können wir gehen?“ Die aggressiv gestellte Frage brachte den Mann zum Lächeln. „Sie ja, Frau Larsen und hoffentlich schnell. Ihr Bruder wird bei uns bleiben.“

„Waaass?“

„Frau Larsen, bitte. Kommen Sie. Wir reden draußen.“

„Volker? Ich muss …“

„Mach dir keinen Kopf, Sandra. Ich überlebe es.“

„Das ist ja lächerlich. Volker hat nichts damit zu tun“, blaffte sie den Kommissar an. „Sie können ihn nicht so ohne Weiteres festhalten.“

„SIE wissen das? Eine ganz Schlaue. Nur SIE haben hier nichts zu melden, haben wir uns verstanden?“ Alles Freundliche war aus seinem Gesicht verschwunden. Er sah sie voller Ablehnung an. Weiber. Sie war ein besonderes Exemplar. Sie war nicht nur völlig bescheuert, nein, dazu ordinär, laut.

„Sandra, lass es bitte“, versuchte Volker einzulenken, dem das unangenehm war. Erneut verfluchte er seine eigene Torheit. Ich hätte sie nicht anrufen dürfen. Einen Rechtsanwalt hätte ich im Telefonbuch gefunden.

Doktor Rebbin fasste sie grob am Arm, zog sie den Korridor hinunter. „Gehen wir. Frau Larsen, wir müssen reden.“

„Ich muss …“

„Sie müssen den Mund halten. Sind Sie ruhig. Machen Sie es nicht noch schlimmer“, knurrte der Anwalt genervt.

Sandra folgte ihm, blieb nach wenigen Schritten stehen, guckte sich um, der Flur war leer.

„Was ist mit Volker?“

„Er wird erkennungsdienstlich behandelt. Das Übliche eben. Eine ziemlich ernste Sache. Man hat in seiner Wohnung Heroin gefunden. Ziemlich guter Stoff. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Unter Strafe gestellt ist, wer Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft, einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet. Zu den im Gesetz aufgeführten Betäubungsmitteln zählt eben Heroin. Für besonders schwere Verstöße, was bei der Menge gegeben zutrifft. Da kann es bedeuten, dass man von einer Gewerbsmäßigkeit ausgeht. Was bedeutet, es werden sehr hohe Strafen verhängt.“

„Langweilen Sie mich nicht mit Gesetzen. Das weiß ich alles. Man hat ihm das untergeschoben. So etwas macht mein Bruder nicht.“

In Gedanken überlegte sie, wie viel das Zeug wohl wert war. Derjenige hatte also einen großen finanziellen Verlust in Kauf genommen, nur um Volker etwas anzuhängen? Da musste es aber um etwas Gewaltiges gegangen sein oder gehen.

„Was zu beweisen wäre“, antwortete er lakonisch. „Er hat bei den Beamten zugegeben, Hasch geraucht zu haben.“

„Mann, wer hat das nicht? Es ist albern. Das passt nicht zu ihm, seiner Einstellung. Holen Sie ihn da bitte heraus, egal wie, was es kostet, und zwar sofort“, zischte sie.

„Nicht in diesem Ton, sonst fahre ich nämlich und Sie suchen einen anderen Anwalt, der sich das gefallen lässt. Kommen wir zu Punkt zwei. Man hat zweitausend Mark gefunden. Woher hat er das Geld?“

„Entschuldigung, Doktor Rebbin. Er hat in letzter Zeit zwei Bilder zu sehr guten Preisen verkauft. Eins für zweitausendfünfhundert, das andere für zweitausend. Mein Bruder hat außerdem generell Geld. Er hat einen Teil von meinem Vater geerbt. Wieso hatte er nur noch zweitausend?“

„Das hat er ebenfalls so behauptet. Ehrlich Frau Larsen, kommen Ihnen die Preise nicht sehr hoch vor?“

„Die Bilder sind gut. Ich habe selber zwei.“

„Mag ja sein, …“

„Volker lügt nie. Er hat Bilder verkauft.“

„Sicher, aber für die Summen? Wer waren die Käufer?“

Sandra sah ihn an, überlegte, was sie sagen sollte, entschied sich für einen Teil der Wahrheit. Er war schließlich ihr Anwalt.

„Lassen Sie uns einen Kaffee trinken gehen. Man hat mich aus dem Bett geholt. Es ist nämlich eine merkwürdige Geschichte.“

„Hier um die Ecke ist ein kleines Café. Gehen wir dorthin.“

Sie liefen schweigend, und erst, nachdem sie bestellt hatten, berichtete Sandra, was geschehen war.

„Vor ungefähr zwei Wochen hat mir Volker von dem Mann erzählt, der zwei seiner Bilder gekauft hatte. Beim ersten Mal hat er ihm freiwillig zweitausend für ein Bild geboten. Volker, nicht dumm, hat den Preis noch um fünfhundert hochgetrieben und der zahlte, bar. Natürlich war mein Bruder völlig aus dem Häuschen, hat mich sofort angerufen und mir die Story mitgeteilt. Abends haben wir den Erfolg gefeiert.“

Sie sah den Abend vor sich und ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, da sie an die neuste Errungenschaft ihres Bruders dachte, verdrängte das rasch. Das war im Augenblick zweitrangig. Überdies war das Thema sowieso in wenigen Tagen erledigt.

„Damals dachte ich mir nichts dabei, habe mich für ihn gefreut. Volker und ich waren der Meinung, ein Typ, der zu viel Geld hat, dem das Bild gefällt. Gestern war der Mann wiederum bei ihm im Atelier, wollte noch ein Bild, diesmal zahlte er zweitausend. Volker war irgendwie alarmiert, hat den Mann ein bisschen versucht auszufragen, nach Namen, was er beruflich macht, wie oder wo er überhaupt von ihm gehört habe.“

Sandra unterbrach sich, da die Bedienung den Kaffee servierte. Sie schüttete Zucker hinein, rührte um, trank in kleinen Schlucken, dann lehnte sie sich an, schilderte weiter.

„Also hat ihn ausgefragt. Der Mann antwortete nur ausweichend. Später gab mir Volker den Namen des Mannes, damit ich das überprüfen lasse. Habe ich gemacht, allerdings gibt …“

„Wer hat das für Sie überprüft?“

„Ein Bekannter bei der Polizei, keine Namen“, schmunzelte sie.

„Es könnte wichtig sein. Ich vermute, illegal.“

„Na und? Warten wir ab. Weiter. Den Namen und den Mann gibt es in Deutschland nicht. Ein Mann mit dem Namen ist seit Jahren tot. Der Unbekannte hat sich als Unternehmer ausgegeben, Wohnort Hamburg und angeblich hat er von einem Bekannten von den unglaublichen Bildern gehört, so hat er sich wohl ausgedrückt.“

„Das kann pure Erfindung Ihres Bruders sein, um das viele Geld zu begründen?“

„Ist es nicht, weil er mich nie anlügen würde. Mich nie. Das würde er nicht wagen, weil … egal.“

„Nehmen wir das so an, was nicht unbedingt entlastend ist, da es ein Interessent oder sogar der Lieferant sein könnte, oder jemand, der ein Bild gekauft hat, nur für weniger Geld. Die Beamten werden sagen, dass Ihr Bruder das nur für Sie so inszeniert habe.“

„Quatsch, so etwas würde Volker nie fertigbringen. Ich kenne meinen Bruder in- und auswendig. Er würde nie dealen, niemals. Er erzählt mir alles. Es gibt keine Geheimnisse und er würde sich nie trauen, mich zu belügen, sich gegen mich zu stellen. Er ist mein kleiner Bruder, der mir bedingungslos vertraut, dem ich kontinuierlich helfe.“

„Das sagen Sie. Die Ermittler sind da anderer Meinung und die Beweislage ist auf deren Seite.“

„Ist mir einerlei. Sagen Sie mir bitte, wie ich ihn da herausholen kann? Der Rest wird sich ergeben.“

„Schwierig. Sie generell nicht. Wer hatte Zugang zum Atelier? Mit wem traf sich Ihr Bruder? Wer war der Käufer der Bilder und, und, und. Ich werde zunächst versuchen, dass er aus dem Gefängnis kommt, folgend müssen wir bis zur Anklageerhebung alle Punkte widerlegen können.“

„Gut. Sagen Sie mir bitte, was Sie benötigen. Ich kümmere mich darum, egal was es ist. Volker ist unschuldig, ich weiß es. Wer hat der Polizei gesteckt, dass bei ihm so ein Zeug ist?“

„Sie haben einen Tipp bekommen, ohne Namen. Wussten Sie nicht, dass man vor Tagen bereits eine Hausdurchsuchung durchgeführt hat?“

Sandra, total geschockt, konnte nicht gleich antworten. Für Sekunden war sie sprachlos, blickte ihn nur mit weit aufgerissenen Augen an.

„Alles wissen Sie nicht, Frau Larsen. Gut, dass das nicht einer der Beamten gefragt hat. Ihr Blick wäre Antwort genug gewesen.“

„Aber … wieso? Ich verstehe nicht?“

Sie war völlig überrascht von dieser Mitteilung. Mist, weswegen wusste sie nichts davon? Wieso hatte man ihr das vorhin nicht gesagt? Rasch versuchte sie zu kombinieren. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste mit seiner Freundin, dieser Mia, sprechen, vielleicht wusste die ja etwas oder Mike, sein Freund, und später mit Volker. Na, der konnte sich auf etwas gefasst machen. Was erlaubte sich dieser Kerl, ihr nichts davon zu erzählen? Warum hatte ihr … Zorn kroch in ihr empor.

„Frau Larsen bleiben Sie ruhig und regen sich nicht wieder auf. Ersparen Sie uns den nächsten peinlichen Auftritt. Lassen Sie den Kopf nicht hängen. Eins nach dem anderen. Zunächst hole ich ihn aus dem Gefängnis, dann werden wir Punkt für Punkt die Anklage durcharbeiten und Entlastungsmaterial sammeln. Die Polizei muss ebenfalls einiges auswerten, das wird Tage dauern. Warten wir ab, was sich daraus noch ergibt. War Ihr Bruder in letzter Zeit im Ausland?“

„Nein. Denken Sie, dass er da den Stoff gekauft hat?“

„Ich denke nichts, ich frage. Es zählen Fakten. Unter Umständen werden Sie vonseiten der Beamten genauer befragt. Ich rechne sogar damit.“

„Ich muss ja nichts sagen, werde die Aussage verweigern. Von mir bekommen die Beamten gewiss nichts heraus.“ Nein, sie würde denen bestimmt nichts sagen. Nun musste sie die Geschehnisse neu überdenken.

„Frage ist, ob das sinnvoll ist. Warten wir ab, wie es weitergeht, was sie an Beweismaterial auf den Tisch legen.“

Sandra saß grübelnd im Wohnzimmer, überlegte, welche Schritte sie unternehmen musste und konnte, schließlich rief sie Tim Garnerd an.

„Du musst mir bitte einen Gefallen tun. Sie haben diese Nacht Volker eingesperrt, angeblich wegen Drogenbesitzes und Verkaufs. Die spinnen total.“

„Keine Ahnung, anonym, denke ich.“

„Ja, ich weiß, dass das albern ist. Schau nach, ob du etwas über seine Freundin erfährst. Mia Gallert, geboren in Hannover, zweiundzwanzig, studiert Geschichte und Germanistik, behauptet sie zumindest.“ Ihre Stimme klang gelangweilt dabei.

„Seit ungefähr vier, fünf Wochen.“

„Ich habe ein Bild von dem Typ, den es nicht gibt. Das hat mir Volker gestern gegeben.“

„Ja, bring ich dir nachher vorbei und danke.“

Sie legte auf, duschte ausgiebig. Im Schlafzimmer erblickte sie das Chaos und fluchte. Sie benötigte unbedingt eine Putzfrau. Sie sammelte einige Stücke auf, warf diese achtlos auf den Sessel, der bereits gehäuft mit weiteren Kleidungsstücken war, suchte etwas zum Anziehen aus dem Schrank. Diese Unordnung nervte, weil sie nie etwas fand. Schiet! Sie musste endlich die Kurve kriegen. Das alles war auch keine Lösung und das zog sie nur schneller in den Tod. Nicht jetzt.

Sie setzte sich mit einem Glas Kirschsaft an den Esstisch und schrieb auf, was sie wusste, griff zum Telefon.

„Claus, man hat Volker wegen Drogenbesitzes festgenommen. Hol ihn da sofort heraus, eh … bitte.“ „Du musst es bewerkstelligen, egal wie.“ Sie hörte zu, lief dabei auf und ab, lächelte vor sich hin. „Verflixt, mach es. Es ist mir egal, wie. Ich will Volker wiederhaben. Verstanden? Außerdem musst …“ Ihr Gegenüber hatte aufgelegt.

„Dusseliger Kerl.“

Nochmals telefonierte sie. „Sandra. Mein Schatz, sorge bitte dafür, dass Volker aus dem Gefängnis kommt. Dieser Kommissar vom Drogendezernat will ihn behalten, obwohl er unschuldig ist. Gerade Volker würde niemals dealen. Sie suchen nur einen Doofen, dem sie das anhängen wollen“, säuselte sie. „Mach´s bitte irgendwie. Du schaffst alles. Du bekommst eine schöne Belohnung, mein Schatz.“

Sie warf das Telefon auf die Couch, wütend, rannte hin und her, setzte sich, blickte auf den Zettel. Es musste mit dem Bilderverkauf in Zusammenhang stehen, falls da nicht noch andere Dinge waren, von denen sie nichts wusste. Erneut keimte Empörung in ihr auf. Weswegen erzählte ihr Volker nicht alles? Sie hatte schließlich ein Recht darauf, alles zu wissen. Vermutlich steckte diese Kuh Mia dahinter. Mit der musste sie sich ernsthaft befassen. Weshalb hatte dieser Kerl noch nichts gegen diese Person unternommen? Ihr Geld nehmen und abhauen. Sie ließ sich auf die Couch fallen, schloss die Lider, während sie über all das nachdachte. Was, wenn Volker den Stoff von neulich verkauft hatte, bevor die Bullen die Bude auf den Kopf gestellt hatten? Nein, das war Blödsinn, nur irgendwer musste das Zeug logischerweise dort abgeholt haben. Nur wer?

Sie holte den Ersatzschlüssel zum Atelier und fuhr hin. Das reinste Chaos erwartete sie. Die hatten nicht die kleinste Ecke ausgelassen, so schien es ihr. Sie schaute sich um, fragte sich, was suche ich hier? Etwas finden, was andere übersehen hatten, bestimmt nicht, dafür hatten die Bullen zu gründlich gearbeitet. Fast automatisch begann sie aufzuräumen, stellte seine Bilder hin, sortierte Farben ein und ließ sich eine Stunde später erschöpft auf die Couch fallen. Das brachte sie nicht weiter. Der Trottel konnte seinen Mist später allein wegräumen. Ob sein kleines Mäuschen dahintersteckte? Mike? Ja, Mike.

Sie erhob sich, betrat sein Schlafzimmer und blieb abrupt stehen, als sie das Foto erblickte. Eine junge, hübsche Frau lächelte ihr entgegen. Sie eilte hin, warf es voller Zorn an die Wand. Glas splitterte auf das Bett. Sie zog mit spitzen Fingern das Bild heraus, zerfetzte es in tausend kleine Schnipsel. Aufgebracht durchwühlte sie die Schubladen, fand stapelweise Fotos. Anscheinend waren sie im Zoo herumgelatscht, daneben Aufnahmen von einer Hafenrundfahrt, und waren irgendwo in einem Park gewesen. Ständig die lachende Frau, die ihr Gesicht verzog, sich in Positur stellte. Sollte wohl gut aussehen. Sie warf die Bilder beiseite und fand einige Kleidungsstücke der Frau. Billige Klamotten stellte sie fest. Erst als sie alles durchstöbert hatte, gab sie sich zufrieden. Diese dumme Kuh kaufe ich mir, die denkt wohl, sie könnte mir Volker nehmen.

Mit der Zeichnung in der Hand läutete sie bei den Nachbarn. Nach zahlreichen Klingeln hatte sie Erfolg. Eine Frau erkannte den Mann.

„Der war neulich hier, hat mich fast mit seinem Bild unten umgerannt.“

„Haben Sie sein Auto gesehen?“

„Ein großer, blauer Wagen, welches Modell oder so, da kenne ich mich nicht mit aus. Fragen Sie Frau Lehmann aus dem dritten Stock, sie kam gerade.“

„Danke. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“

„Ja, dass dauernd bei dem jungen Mann die Polizei ist. Freilich, sogenannten Künstler … Wir waren bisher ein anständiges Haus.“

„Danke.“ Schnell drehte sie sich weg, bevor sie aggressiv wurde. Sie stieg die Treppe hoch, schellte bei der anderen Frau.

Vorsichtig öffnete sich die Tür einen schmalen Spalt. „Ach, Sie sind es. Man muss ja vorsichtig sein.“ Erst als sie Sandra erkannte, entfernte sie die Kette, öffnete die Tür vollständig.

„Guten Tag, Frau Lehmann. Ich habe eine Frage, kennen Sie diesen Mann?“ Wiederkehrend zeigte sie das Porträt, das die ältere Dame länger ansah.

„Ja, der war einige Male bei Ihrem Bruder. So ungefähr sah der aus. Ein ungehobelter Mensch, so was von unhöflich. Wissen Sie, ich komme mit Taschen und er hält mir nicht einmal die Tür auf.“

„Ja, das ist mehr als unhöflich. Haben Sie sein Auto gesehen?“

„So ein blauer Mercedes. Mein Sohn hat so einen, der ist rot. Wissen Sie, da haben Fremde einfach den Stern vorne abgebrochen. Hat der sich geärgert. Ach, er regt sich gleich immer so auf.“

„Das tut mir leid.“

„Ich finde das egal, Hauptsache das Auto fährt, ab. Er hegt und pflegt den, als wenn er ein kleines Kind wäre. Was hat der Mann denn gemacht?“

„Nichts weiter. Ich wollte es nur wissen. Haben Sie möglicherweise zufällig die Autonummer gesehen?“

„Hamburg hatte er, das HH, aber mehr weiß ich nicht. Wissen Sie, der Mann war schnell weg. Hatte es wohl sehr eilig. Ach ja, keiner hat mehr Zeit heute. Meinem Sohn ergeht es ständig so, da er viele Termine hat. Immer nur in Eile …“

„Danke, Frau Lehmann. Noch einen schönen Tag“, unterbrach sie Sandra. Bevor die Frau weiter reden konnte, bedankte sie sich, lief die Treppe hinunter und fuhr nach Hause, wo sie mehrmals telefonierte.

Nachmittags beschloss sie, zum Präsidium zu fahren. Eventuell erfuhr sie dort etwas Neues. Sie erblickte den Mann vom Morgen und steuerte direkt auf ihn zu.

„Kann ich Sie bitte sprechen?“, erkundigte sie sich mit einer Herzlichkeit, die ihre innere Einstellung ihm gegenüber Lügen strafte. Sie wollte Volker mit nach Hause nehmen. Bei dem musste sie einiges klarstellen. Der würde ihr nie wieder etwas verheimlichen, dieser Dussel.

„Frau Larsen, kommen Sie mit, da ich sowieso mit Ihnen reden wollte.“

Er trat in einen kleineren Raum, deutete auf einen Stuhl, setzte sich selbst rittlings auf einen, betrachtete sie, während seine linke Hand leise eine Schublade öffnete und er die Taste des Aufnahmegerätes drückte, sobald sie loslegte.

„Ich wollte Sie fragen, ob man meinen Bruder nicht aus der Haft entlassen kann. Er verschwindet nicht. Ich bürge für ihn.“

„So einfach geht das nicht, wie Sie wissen. Etwas anderes. Ist Ihnen in letzter Zeit eine Veränderung an ihm aufgefallen?“

Sandra überlegte. „Nein, eigentlich nicht. Er war glücklich, dass er Bilder verkauft hatte. Sehr mit sich zufrieden.“

„Wovon lebte er?“

„Von seinen Bildern und von mir“

Er zog die Augenbrauen hoch, die Stirn kraus.

„Von Ihnen? Wie das? Sie sind hoch verschuldet, können seit Monaten die Raten bei der Bank nicht begleichen. Die Kreditkarte wurde bereits vor Wochen eingezogen, Ihr Konto ist gesperrt, da ein dicker Minusbetrag darauf ist.“

Entsetzt schaute sie den Mann an. Ihre Gesichtsfarbe nahm die einer Tomate an, bevor sie käseweiß wurde. In ihr begann es - zu brodeln. Woher wusste das der Bulle? Wieso war der so ekelhaft, nur weil sie einige unwesentliche Verbindlichkeiten hatte? Sie schlucke mehrmals.

„Volker hat Geld geerbt und ich habe eine sehr gut gehende Praxis.“

„Da werden sich die Gläubiger freuen und man muss die Wohnung nicht versteigern. Die Lebensversicherung des Vaters?“

Du dusseliger Kerl fluchte sie innerlich, dafür wirst du bezahlen. Was dachte dieser arrogante Affe, wen er vor sich hatte?

„Ja, unter anderem.“

„War er oft im Ausland?“

„Nein, eher selten. Wir waren dieses Jahr in Madrid und Paris. Immer übers Wochenende und ich hatte ihn eingeladen.“

„Warum? Von was haben Sie das bezahlt? Sonst waren sie nirgends?“

„Warum? Weil ich Lust dazu hatte. Wir sind tagelang in Museen herumgelaufen. Und nein, sonst war er nicht im Ausland.“ Diese Spitze überhörte sie, obwohl es ihr nur noch schwerfiel, ihren aufkeimenden Zorn zu zügeln. Dieser hinterhältige Zacharias hatte alldieweil seine Lügen überall verbreitet. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Was wenn die …

„Bezahlt hat es Ihr Bruder, wie wir an den Bankauszügen sahen, genauso wie Ihren Lebensunterhalt. Ergo hat er Sie eingeladen. Hat er eine Freundin?“

„Das ist ja wohl eine Frechheit.“ Sie bemühte sich, ihre Fassung nicht zu verlieren.

„Nur die Wahrheit, Frau Larsen. Hat er eine Freundin?“

„Ja, seit einigen Wochen, so ein kleines Mäuschen, so eine, die er …“ Sie verzog angewidert das Gesicht. Er registrierte das sofort. Schien ihr nicht zu gefallen, dachte er. Sie springt durch alle Betten, er indessen darf nicht. Sehr aufschlussreich.

„Ich benötige Namen und Adresse.“

„Hat die Frage mein Bruder nicht beantwortet?“

„Ich stelle die Fragen. Nein, hat er nicht.“

„Gut, dann verweigere ich die Antwort.“

Er sah sie einige Zeit stumm an, grinste dann. „Damit helfen Sie ihm nicht unbedingt. Wir bekommen es heraus, nur dauert das länger.“

„Ich werde darüber nachdenken.“

„Freunde?“

„Ich verweigere die Aussage, wenn er es so gemacht hat.“

Er erhob sich, lief hin und her.

„Frau Larsen, Sie kennen den Polizeiapparat, wissen, wie es in etwa im Groben abläuft. Ich tue meine Arbeit nicht deswegen, weil ich mich sonst langweilen würde, sondern ich will die Kerle, die Schulkindern den Dreck verkaufen. Ich will nicht, dass ein Unschuldiger dafür ins Gefängnis wandert, sondern die wirklichen Täter. Im Augenblick spricht eine Menge gegen Ihren Bruder, dessen ungeachtet lasse ich mich gern von seiner Unschuld überzeugen. Je eher, desto besser, weil ich logischerweise nämlich nach dem wahren Täter suchen kann.“

Er blieb stehen, legte die Hände auf den Tisch, beugte sie zu ihr hinüber.

„Wenn Sie ihm helfen wollen, der Meinung sind, er wäre unschuldig, dann helfen Sie uns und sagen Sie uns alles, was Sie wissen.“

Er stellte sich gerade hin, ließ sie dabei nicht aus den Augen und wieder fiel ihr der kalte Blick auf.

„Ich muss erst von Volker wissen, weswegen er das nicht sagt. Ich möchte ihm nicht in den Rücken fallen.“

„Loyalität kann mitunter falsch sein. Sie können gehen, Ihr Bruder bleibt bei uns“, brachte er barsch hervor. „Übrigens, Herr Keitler holt ihn da nicht heraus, nicht bei mir. Nur das Sie es wissen. Wir lassen da nicht mit uns spaßen, kehren nichts unter den Teppich. Die anderen Kollegen, mit denen Sie Ihre sexuellen Aktivitäten hatten, haben in meiner Abteilung nichts zu sagen oder gar zu fordern. Geht das in Ihr kleines Köpfchen? Sehr gut, das erspart uns Zeit und Ärger.“

Sandra bemerkte seinen fast boshaften Blick. So etwas hatte sie noch nie in den Augen eines Mannes gesehen und sie grübelte, weshalb der Kerl sie so ablehnte. Sie taxierte ihn. Wenig aufregend. Kaum größer als sie selbst, leichter Bauchansatz. Jeans aus dem Warenhaus, Shirt ebenfalls billig, vermutete sie. Kein Ehering, billige Uhr. Was bildete der sich ein? Sie war nicht irgendwer, sondern eine intelligente Frau, dazu noch eine Schönheit und alle Männer mochten sie, sehr sogar. Vermutlich sollte ich ihm mehr entgegenkommen. Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf, legte die Beine gekonnt übereinander.

„Seien Sie nicht so brummig“, säuselte sie, ließ ihre Zungenspitze langsam über ihre Lippen gleiten. „Wir können uns bestimmt einigen, damit mein Bruder heute herauskommt. Er haut nicht ab, weil er unschuldig ist.“

„Bei mir zieht das nicht, Frau Larsen. Sie können gehen“, knurrte er sie unfreundlich an. Er trat an die Tür, öffnete diese und wartete, bis sie aufstand. Sandra wollte auffahren, als sie jedoch den Ausdruck in seinem Gesicht sah, so voller Abscheu, unterließ sie es, verabschiedete sich kurz, eilte einige Stockwerke nach oben. Sie durchquerte das große Büro, ohne nach rechts oder links zu blicken, direkt auf Tim Garnerd zu, reichte ihm die Zeichnung von dem Mann, welcher die Bilder gekauft hatte.

„Bitte versuch, dass du den Mann findest. Er fährt einen blauen Mercedes mit Hamburger Kennzeichen.“

„Sehr viel. Weißt du, wie viele blaue Mercedes in Hamburg gemeldet sind? Weißt du Typ, ungefähres Baujahr?“

„Nein, aber er hatte noch den Stern darauf“, grinste sie. „Ich weiß, das ist nicht viel, aber mehr habe ich nicht.“

„Wie geht es Volker?“

„Er war noch gut drauf. Ich hatte den Eindruck, er nimmt das ziemlich locker. Der kapiert nicht, in was er da hineingeraten ist. Tim, noch etwas anderes. Dieser Typ, dieser Bernd Schmid, was ist das für einer?“

„Ein sehr guter Oberkommissar“, äußerte er kurz angebunden und leise, spähte dabei zu seinen Kollegen hinüber.

„Besorge mir bitte alle Angaben über ihn. Es eilt.“

„Du spinnst wohl. Dann komm ich ran und ...“

Sie beugte sich zu ihm hinunter. „Bitte, Tim“, säuselte sie. „Es ist nichts weiter dabei. Es dreht sich um meinen Bruder. Bitte, mach´s.“ Sie stellte sich gerade hin, lächelte. „Ich muss wieder. Wir telefonieren. Bis dann. Einen schönen Tag noch“, rief sie laut und verließ hoch erhobenen Hauptes den Raum.

Tim Garnerd war das mehr als peinlich. Wieder einmal verfluchte er sich, dass sie ihn ständig herumbekam. Inzwischen war er zu tief in allem verstrickt.

Sein Chef, Hauptkommissar Rainer Helbich, trat aus seinem Büro und brüllte laut durch den Raum. „Garnerd, keine Suche mehr. Wir haben Wichtigeres zu tun, als dieser Person die Männer zu suchen. Ich habe es verboten. Soll sie sich vorher den Ausweis zeigen lassen. Ansonsten muss sie doch bald Hamburg durchgevögelt haben. Sag ihr, in München gibt es unzählige Männer, sie soll dort weitermachen. Kümmere dich um unsere Arbeit, sonst gibt es Ärger. Haben wir uns verstanden?“

Er betrat sein Büro, knallte die Tür hinter sich zu, übersah dabei nicht das Grinsen seiner Mitarbeiter.

Philip Karllen trat zu Tim, beugte sich vor, raunte, „hör auf, du bekommst mehr Ärger, als dir lieb ist . Wenn du die Daten von Bernd weitergibst, werfen sie dich raus. Das ist diese Person nicht wert. Mensch Tim, bereite dem ein Ende und packe aus. Sollen sie die für eine Weile wegsperren.“

„Es geht um ihren Bruder. Den haben sie wegen Rauschgiftbesitzes hopsgenommen.“

„Habe ich gehört. Selbst Keitler hält bisher die Füße still. Du bist hinterher der Doofe, wie schon einmal. Meinst du, diese Braut tut dann etwas für dich? Mensch Tim, denk an dich und stell dich nicht gegen deine Kollegen. Das geht zu weit.“ Kopfschüttelnd lief er weg, knallte die Tür hinter sich zu. Der würde es nie kapieren, da half Reden nicht.

Auf ihrer großen Dachterrasse stehend, blickte Sandra auf die Dächer der Stadt Hamburg. Alles war mit einem Grau verhangen, da eine dicke Wolkendecke über der Stadt lag. Die Norderelbe war nicht zu sehen, ebenso wenig wie der Altonaer Balkon oder die Bäume des Schleeparks. Das war gerade jetzt, für Anfang September, nichts Ungewöhnliches. Leise seufzte sie, trat hinein, schloss die Tür, drehte Licht an, lief hin und her, versuchte, eine logische Erklärung für den Schlamassel zu finden.

Schiet! Warum hatte er ihr nicht erzählt, dass man bereits vor Tagen sein Atelier durchsucht hatte? Wo war das Heroin? Wer war der Anrufer? Ein Mann, eine Frau? Wer und warum wollte man Volker so aus dem Verkehr ziehen?

Sie griff zum Telefon, aber Mike meldete sich nicht. Wo trieb der sich nur herum? Wenn der Kerl sie betrog, würde sie ihn kastrieren. Wieso hatte Volker nichts gesagt? Er war blöd. Ja, der Denkzettel würde ihm eventuell guttun. Seit Wochen probte er den Aufstand, drohte ihr nicht nur, meckerte herum und beleidigte sie permanent. Er gab ihr kein Geld mehr, er hatte sie sogar von der Polizei aus seiner Wohnung werfen lassen.

Sie rief bei Mia an, aber die war anscheinend nicht zu Hause. Wo trieb sich die bloß herum? Sie hatte nichts als Ärger mit der Kuh. Seit die in das Leben ihres Bruders getreten war, sah sie ihn seltener und nun hatte er ihr sogar noch Dinge verheimlicht, Geld unterschlagen. Eventuell war die an allem schuld, obwohl, dazu war diese Person zu bieder. Nichts außer einer hübschen Larve, guter Figur. Auf so einen Typ flog Volker nun mal. Kleine, ruhige, sanfte, höfliche Gänschen, die fleißig waren, studierten. Aber die würde sie sich vornehmen, danach würde die Volker in Ruhe lassen. Er war ihr Bruder, gehörte zu ihr und nur zu ihr. Vielleicht war der Knast für eine Weile gar nicht so schlecht für ihn. Er würde kapieren, dass er sich nicht gegen sie wehren konnte, und kleinlaut angekrochen kommen. Sie würde ihm folgend einiges dazu sagen. Sie hatte ihn in der Hand, besonders wenn er Liebeskummer hatte, und dass er den bekam, dafür würde sie sorgen. Er würde in seiner Trauer alles unterschreiben, der Dussel. Jedes Mal, wenn eine von den Weibern abgehauen war, hatte er für Tage geschmollt, war down gewesen. Er war auf dem Boot verschwunden oder hatte gemalt. Im Anschluss daran war er angekommen und sie waren zusammen verreist. Bei dem Gänschen würde es für ihn schlimmer sein und sie würde ihn trösten.

Sie ging ins Bad, schluckte einige Tabletten und schaute sich im Spiegel lange an. Da war sie wieder, die unbestimmte Angst. „Sandra, stell dich dem endlich“, sagte sie laut. „Lange wirst du es doch nicht mehr aushalten und bald kannst du nicht einmal mehr richtig sehen“ Sie wandte sich ab, löschte das Licht. Nein, erst musste sie Volker von dem Verdacht reinwaschen und sie musste herausbekommen, wer dahintersteckte. Alles andere war gleichgültig. Er musste wenigstens unbeschwert leben können.

*

Morgens fuhr sie zur Kripo, eilte in das Büro von Bernd Schmid. Tim hatte ihr gestern Abend noch die Personalakte vorgelesen, aber da war nichts dabei gewesen, das sie verwerten konnte, was nun bedeutete, dass sie sich zunächst gut mit ihm stellen musste. Sie durchquerte den großen Raum, musterte den Mann. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Ja, sie hatte den Kerl irgendwo gesehen. Warum war ihr das gestern nicht aufgefallen?

„Guten Morgen, Herr Oberkommissar“, flötete sie mit einem breiten Lächeln. „Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß. In diesem Punkt haben Sie sicher recht und ich kann meinem Bruder damit tatsächlich helfen.“

„Kommen Sie bitte mit, Frau Larsen.“

Sie verließen das Büro, traten abermals in das Kleinere, das, wie sie vermutete, seins war.

Sie setzte sich, zog ihren kurzen Rock ein wenig höher, schlug ihre Beine übereinander. Er stellte ihr einen Becher Kaffee hin.

„Danke. Es ist wahrscheinlich unwichtig, aber ich denke, dass das irgendwie zusammenhängt“, begann sie, warf ihm einen Blick zu, ließ dabei die Wimpern klimpern.

„Jede Kleinigkeit kann wichtig sein“, gab er kühl von sich, ignorierte ihre Flirtversuche. Damals wäre ich überglücklich darüber gewesen, dachte er auch ein wenig bedauernd.

„Vor ungefähr zwei Wochen erschien ein Mann in dem Atelier von Volker, kaufte ein Bild für eine große Summe. Mein Bruder war völlig aus dem Häuschen. Als der gleiche Mann vor drei Tagen erneut ein weiteres Bild kaufte, für eine ähnlich hohe Summe, schellten bei ihm die Alarmglocken. Er erzählte mir die Story. Ich habe den Mann überprüfen lassen, aber …“

„Von wem?“, fragte er, obwohl er es wusste. Die Geschichte war also nicht zu Ende. Muss ich Rainer erzählen, der wird schäumen und dieser Volltrottel Garnerd hat das nächste Problem.

„Unwichtig. Den Mann gibt es nicht, weder in Hamburg noch in Deutschland. Es ist der Name eines Verstorbenen. Volker fertigte eine Zeichnung von dem Käufer an. Zwei Frauen im Haus können sich an den Mann erinnern.“

„Geben Sie mir bitte das Bild, den Namen des Mannes, obwohl ich mir das wohl sparen kann“, grinste er, „da Sie den durch unseren Polizeicomputer haben suchen lassen. Paragraf 202a Ausspähen von Daten. Wer unbefugt Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, sich oder einem anderen verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, verliert seinen Job bei der Polizei.“

Sandra war irritiert, grübelte, woher er das wusste. Hatte Tim etwas gesagt? Ob der seinen Job verlor, das interessierte sie nun wirklich nicht. Sie holte den Zettel aus ihrer Tasche, reichte ihn hinüber.

„So sah er aus und er fährt einen dunkelblauen Mercedes mit Hamburger Kennzeichen.“

„Wie viel bringt so ein Bild im Normalfall.“

„Einhundert bis dreihundert.“

„Die anderen?“

„Zweieinhalbtausend, zweitausend. Die Bilder von Volker sind gut, aber für einen völlig unbekannten Maler, ohne eigene Ausstellung und Publicity, sind das Summen, die astronomisch sind. Volker kann im Dezember drei Bilder in einer Galerie ausstellen, das erste Mal übrigens. Nun frage ich mich, wieso zahlt jemand eine dermaßen hohe Summe? Woher hatte der Mann dessen Namen und Adresse?“

Er sah sie nachdenklich an, nickte. „Daran könnte etwas sein. Aber etwas anderes. Wir suchen Mike Hertleg und seine Freundin Mia …“

Die Tür öffnete sich, eine Frau winkte ihn heraus. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment.“

Sie sah sich um. Ein Büro, wie alle anderen. Sie trank ihren Kaffee, erhob sich, erblickte auf dem Schreibtisch Akten. Sie schlug den Deckel auf, schob das obere Papier beiseite und las. Es war der Bericht von der Hausdurchsuchung in Volkers Wohnung.

„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“, donnerte Bernd Schmid los. „Was fällt Ihnen ein? Setzen Sie sich augenblicklich hin. Bei mir haben Sie weder Narrenfreiheit, noch erreichen Sie mit Ihren billigen Spielchen irgendetwas. Ich stehe nicht auf Frauen der billigen Sorte.“

Sandra versuchte zu lächeln, aber als sie seinen Gesichtsausdruck wahrnahm, verschwand das. Sie setzte sich, funkelte ihn aufgebracht an. „Sie müssen nicht beleidigend werden, Herr Oberkommissar.“

„Ich habe Sie nicht beleidigt, sondern die Wahrheit ausgesprochen“, griente er sie unverschämt an und schlug den Aktendeckel zu. „Haben Sie keinerlei Benehmen? Was glauben Sie, wo Sie sind? In einer Spelunke, wo Sie ansonsten verkehren?“

Sandra, mit rotem Kopf, sprang hastig auf, wollte etwas erwidern, aber er kam ihr zuvor. „Sie setzen sich und sind ruhig. Frau Larsen, mit mir nicht, begreifen Sie das? Herr Garnerd wird gerade von einem Kollegen verhört, da er Ihnen gestern meine Daten mitgeteilt hat. Was erlauben Sie sich? Wollten Sie meine Frau ebenfalls mit solchen Lügengeschichten konfrontieren, wie bei Hauptkommissar Zacharias?“

„Wieso? Sie sind nicht ver…“, rasch brach sie ab. Wut loderte in ihr empor, da Tim sie belogen hatte.

„Alles hat er Ihnen nicht gesagt. Scheint noch ein wenig Anstand zu haben. Kommen wir wieder zu Ihrem Bruder. Wir haben an den Beuteln keine Fingerabdrücke gefunden, aber der Stoff ist exzellent. Darüber hinaus wurden jede Menge Fingerabdrücke in der Wohnung sichergestellt, die wir noch nicht zuordnen können. Ich benötige daher Ihre, Frau Larsen, damit wir diese ausschließen können.“

„Kein Problem, und was die Schnepfe … eh Freundin meines Bruders angeht, die suche ich ebenfalls. Wer weiß, wo die sich herumtreibt, in welchem Bett sie gerade ihr Geld verdient.“

„Eine Prostituierte?“

„Sie nennt sich Studentin. Nur, was sie wirklich nebenbei arbeitete, keine Ahnung. Es gibt eben viele Möglichkeiten Geld zu verdienen“, gab sie von sich und ihr Gesicht verzog sich dabei, das Bernd Schmid mit Befremden zur Kenntnis nahm. Also illegale Prostitution schloss er daraus. Demzufolge ist sie ja so wie du. Theoretisch müsstet ihr euch ja gut verstehen, dachte er. War es etwa Konkurrenzneid?

„Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie bitte an. Ich werde nachher noch mit Ihrem Bruder sprechen. Geben Sie bitte noch die Fingerabdrücke ab, Frau Larsen.“

„Ich möchte, dass diese Kerle gefasst werden und dass man Volkers Unschuld beweist. Ich kenne meinen Bruder extrem gut. Er würde weder mit Drogen handeln, noch welche nehmen. Er verabscheut das Zeug und diese … na ja, Frau, macht das nicht offiziell.“

„Also handhabt sie das so wie Sie? Ich werde Ihren Bruder fragen. Sollte das nicht den Tatsachen entsprechen, war das eben üble Nachrede und Beleidigung. Beides Straftatbestände.“ Er grinste, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte seine Arme vor der Brust.

Dieser Kerl genoss die Situation richtig. „Habe ich nicht. Wie kommen Sie darauf?“

„Oh doch. Vergessen, dass ein Band mitläuft und alles aufzeichnet? Ich habe es Ihnen vorhin, bevor wir das Büro betreten haben, gesagt“, klang es süffisant zu ihr herüber und er grinste sie dabei breit an.

„Das haben Sie nicht und ich will die Aufnahme. Das ist verboten.“

„Ich habe dafür zig Zeugen. Soll ich meine Kollegen befragen? Sie haben zugestimmt. Frau Larsen, kommen Sie mir nicht mit solchen einfallslosen Spielchen, nur weil Ihnen etwas nicht gefällt.“

Sie war an der Tür, vor Wut kochend, sich nur noch mühsam beherrschend. Dieser Kerl hatte sie plump hereingelegt. Er legte ihre Worte bewusst falsch aus. Warum?

„Frau Larsen, wussten Sie, dass meine Kollegen vor einigen Tagen das Atelier durchsucht haben?“

Sandra stutzte, zögerte einen Augenblick, wandte sich um. „Ich habe es gestern von dem Anwalt erfahren, von Volker wusste ich es nicht.“

„Danke für Ihre Ehrlichkeit, wenigstens noch etwas Positives in Ihnen. Übrigens sparen Sie sich einen Anruf bei meiner Frau, sonst sitzen Sie länger.“

„Herr Schmid, haben Sie immer noch nicht die unfreiwillige Sektdusche verkraftet? Wollen Sie deswegen meinem Bruder oder mir etwas unterjubeln? Peinlich, wenn man als verheirateter Mann die Tochter des oberen Dienstherrn und deren Freundin anbaggert und angrapscht, nicht wahr? Jetzt haben Sie das ebenfalls auf Band und das wird interessant werden, wie man das bewertet.“

„Frau Larsen, ich …“

Sie schloss die Tür, mutmaßte, dass er sie damit testen wollte. Er wusste bereits, dass sie davon keine Ahnung gehabt hatte. Aber mit dem Typen würde sie sich noch beschäftigen, aber zunächst musste sie Volker da herausholen und ihn befragen. Momentan war sie zu zornig auf diesen Kommissar, so verdrängte sie Volker. Das hatte Zeit.

Abermals versuchte sie, Mike und Mia zu erreichen, aber beide waren nicht da. Sie fuhr nun zu ihrem Büro, da sie arbeiten musste. Leider, aber sie benötigte dringend Geld und im Augenblick konnte sie nichts ändern. Man musste abwarten.

Sie telefonierte mit Lothar Rebbin, erzählte von dem Schmid, der sie hereingelegt hatte und wie der ihr eine nie so getätigte Aussage unterschieben wollte.

Danach rief sie Claus Keitler an, der sie kurz abwimmelte, ihr eine Strafpredigt wegen Tim hielt. Empörung loderte in ihr hoch, sie sah aber ein, dass er da im Augenblick nicht handeln konnte. Dieser Bernd Schmid ließ bestimmt nicht zu, dass Claus ihren Bruder herausholte, nicht bei so einem Vergehen und Tim, war selber Schuld. Warum ließ er sich erwischen? Claudia, ihre Sekretärin, klopfte, steckte den Kopf durch den Türspalt. „Frau Immen und ihre Tochter sind da.“

Sie seufzte. „Schicke die Kleine herein.“

Sie setzte sich, wartete auf das zehnjährige Kind, welches nur langsam, verschüchtert den Raum betrat, sodass die Mutter diese schubste.

„Es heißt, guten Tag, Frau Doktor“, blaffte diese das Mädchen an, dem prompt die Tränen in die Augen schossen.

„Frau Immen, verlassen Sie sofort das Büro und reden Sie nicht in diesem Ton mit Ihrer Tochter. Ich werde das melden. Claudia, verbinde mich bitte mit dem Jugendamt und nimm diese Frau mit hinaus.“

Sandra wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte.

„Komm her, Imken. Du musst keine Angst haben“, sagte sie mit warmer, leise Stimme, lächelte dazu.

Das Mädchen nickte, hielt den Kopf gesenkt. „Ja, Frau Doktor“, flüsterte sie leise.

„Du sagst Sandra. Sieh mal, ich möchte dir helfen und deswegen guckst du mich an, wenn wir beide miteinander reden.“ Aller Ärger des Vormittags war verschwunden. „Wollen wir ein Spiel spielen? Das mit den vielen Karten?“, fragte sie das Mädchen, hatte dabei ein fröhliches Gesicht aufgesetzt.

Das Mädchen schaute sie an und lächelte etwas. „Ja, Sandra.“

„Erst gibt es ein Stück Schokolade und dann beginnen wir. Einverstanden?“

Sie nahm den Riegel. „Danke.“

Sie setzten sich beide auf den Boden und wenig später erzählte ihr Imken nebenbei von der Familie. Sie war völlig von dem Kartenspiel fasziniert, das sie nicht bemerkte, wie sie Sandras Fragen beantwortete.

Eine halbe Stunde später lachte das Mädchen das erste Mal richtig und Sandra war glücklich, freute sich mit der Kleinen. Kinder sollten lachen, Spaß am Spielen, am Leben haben.

Nachmittags fuhr sie zu dem Hausboot ihres Bruders. Sie musste den Stoff finden, falls er den doch noch hatte. Wenn den die Bullen in die Finger bekämen, wäre das katastrophal. Sie durchsuchte den sogenannten Wohnbereich, sah im Kasten der Couch nach, warf Decken und Wäsche hinaus, die wenigen Bücher aus dem Schrank. Kontrollierte selbst in der winzigen Küche jede Nische, aber nichts. Nach einer Stunde Suchen - nichts. Nun begann das Aufräumen, und da sie schon dabei war, das Putzen.

Kurz überlegte sie, ob sie noch das hintere Schlafzimmer durchsuchen sollte, aber sie hatte keine Lust mehr. Für heute hatte sie genug gearbeitet. Vor sich hin fluchend verließ sie das Boot, grübelte, wo er das Zeug versteckt haben könnte. Mike. Na logisch, er hatte das seinem Freund gegeben und bei dem versteckt. Wer war sonst in seiner Wohnung gewesen, der das Zeug entwendet hatte? Mia?

Abends suchte sie Mike Hertleg. Doch weder in seiner Wohnung noch der Stammkneipe traf sie ihn. So fuhr sie zu diesem Gänschen und Mia Gallert war zu Hause.

„Ich muss mit dir reden“, überfiel sie die junge Frau, schubste diese grob mit dem Ellenbogen zur Seite, trat in die kleine Wohnung und knallte die Tür zu. „Wo treibst du dich herum, während mein Bruder im Knast sitzt?“, meckerte sie diese an. „Du bist eine richtige Kriminelle. Die Polizei sucht dich und buchstäblich da werde ich dich hinbringen. Los, du dumme Gans, zieh dich an, aber schnell. Sollen sie dich einbuchten und den Schlüssel wegwerfen. Du wirst denen sagen, dass du ihm die Drogen untergeschoben hast, weil du blöd und geldgierig bist.“

Sandra schmunzelte vor sich hin, da ihr dieser Gedanke gefiel, sie Volker dort heraus bekam und diese Pute aus dem Weg war. Sollte sie im Knast schmoren.

Das Mädchen sah sie eingeschüchtert an, nur mühsam die Tränen unterdrückend. „Ich war bereits dort und habe meine Aussage getätigt“, erwiderte sie leise.

„Was hast du gesagt? Ich will das wissen, und zwar alles, hast du das verstanden? Wer weiß, was du gelogen hast. Du lügst nur. Man hätte dich sonst dabehalten. Du dealst und schiebst es meinem Bruder unter. Bist du so eine Süchtige? Sicher. Eine Heroinabhängige vom Strich.“

Sandra sah sich um, schüttelte den Kopf. „Mann, ist das ein Loch. Kein Wunder, dass du dir meinen Bruder geangelt hast. Hier möchte ich auch nicht wohnen. Nur, das kannst du vergessen, hast du verstanden? Solche Weiber wie dich findet er an jeder Straßenecke. Was hast du also den Bullen erzählt? Welche Lügen hast du denen aufgetischt? Wahrscheinlich steckst du mit deinem Zuhälter dahinter. Ich warte. Los, erzähl. Rede endlich, du blöde Kuh.“

Sie trat ins Wohnzimmer, fegte die wenigen Gläser hinunter, warf Bücher hinterher, sah ein Bild ihres Bruders. „Wo hast du das geklaut? Dich sollte man in den Knast schaffen und dort verrotten lassen!“, kreischte sie.

„Verlassen Sie bitte sofort meine Wohnung.“

Sandra sah die junge Frau wie vom Blitz getroffen an, bevor sie laut keifte. „Was fällt dir eigentlich ein? Das meiste gehört vermutlich meinem Bruder. Sachen, die du gestohlen hast.“

Sie trat näher an die verstörte Frau heran, völlig außer sich, unbeherrscht, holte sie aus, haute ihr ins Gesicht.

„Ich will sofort wissen, was du bei den Bullen für einen Mist erzählt hast. Präzise und vollständig“, zischte sie. „Es reicht mir langsam. Ich habe dir wiederholt gesagt, dass du deine Finger von meinem Bruder lassen sollst, aber du bist zu blöd, es zu verstehen.“

Sie ergriff eine Vase aus dem Regal, schleuderte die gegen die Wand, ein Kerzenständer folgte. Sandra trat einen Schritt auf die zitternde Frau zu, holte abermals aus, schlug zu.

„Erzähl, sonst prügle ich dich grün und blau. Wo ist das Geld von dem Verkauf des Stoffs?“

„Welches Geld?“, erkundigte sich Mia leise, blickte auf den Boden.

„Das weißt du verlogene Diebin. Ich will sofort das Geld. Alles.“

„Ich … ich habe kein Geld.“

Sandra fegte alles aus dem Regal, hörte es klirren, schlenderte zum Schreibtisch und griff nach einem Stapel Papier, warf es hinunter, öffnete die Schubladen, schaute nach.

„Verschwinden Sie“, hörte sie im Rücken die leise Stimme und drehte sich, wie von einer Tarantel gestochen, herum.

„Was hast du gesagt?“

Mia drehte sich wortlos um, wollte die Wohnungstür öffnen, da boxte Sandra sie in den Bauch. Sie konnte nicht glauben, dass die das wagte, und schrie sie voller Wut und Hass an. „Das wirst du noch bereuen! Lass deine Finger von Volker, sonst lernst du mich richtig kennen. Das war erst der Anfang. Sehe ich dich noch einmal bei meinem Bruder, bekommst du noch mehr. Er hatte noch nie Ärger mit der Polizei, geschweige etwas mit Drogen zu tun.“

Sehr mit sich zufrieden öffnete sie die Wohnungstür einen schmalen Spalt, lauschte einen Moment, bevor sie die Wohnung verließ. Diese Gans würde Volker in Zukunft in Ruhe lassen, wenn nicht, würde sie das gewaltsam unterbinden. Bisher hatte sie es jedes Mal geschafft, die Weiber aus seinem Leben zu vergraulen. Das war aber momentan nicht das Problem, sondern wie sie ihn aus der Haft bekam. Sie musste allein mit ihm sprechen, da sie unbedingt wissen wollte, wer in seiner Wohnung gewesen war. Der Kerl mit den Bildern hatte den Stoff deponiert und wer hatte den abgeholt? Wer hatte bei der Polizei angerufen? Man wollte Volker etwas anhängen, aber jemand hatte beim ersten Mal das Zeug entwendet. Wem und warum war das Verschwinden von Volker so viel Geld wert? Daneben hatte der Kerl noch Bilder gekauft und einfach Unsummen dafür gezahlt. Da stimmte doch etwas nicht. Was war, wenn man versuchte, ihr das unterzujubeln, weil sie zu viel von der … Nein, das war zu weit hergeholt.

*

Vormittags erhielt sie einen Anruf, dass man ihn entlassen würde. Sie raste zum Präsidium, fiel ihm wenig später um den Hals.

Volker schob sie weg. „Was willst du hier?“, erkundigte er sich nicht gerade begeistert.

„Aber Brüderchen, …“

Bernd Schmid trat dazu. „Frau Larsen, nehmen Sie ihn zunächst mit, aber er darf nicht abhauen, klar?“

„Weshalb sollte er?“

„Dann ist es gut. Wir bleiben dran, und wenn Ihnen noch etwas einfällt, sagen Sie uns bitte Bescheid.“

„Ja danke.“

Sie hakte sich bei ihrem Bruder unter, worauf der sich hastig befreite.

„Ich möchte nur nach Hause, mich zwei Stunden duschen, Essen, dann schlafen.“

„Sicher. Geht es sonst gut?“

„Ja, alles heil überstanden. Ich verstehe den Mist trotzdem nicht. Wer versucht, mir da etwas unterzujubeln?“

Sie sah ihm an, dass er das nicht unbeschadet überstanden hatte, selbst wenn er es nicht zugeben wollte. Er war blass, hatte dunkle Augenschatten und sein Lächeln wirkte gezwungen, so wie der burschikose Tonfall. Sie wollte ihn nicht drängen, gleich darüber zu reden. Er sollte zunächst zur Ruhe kommen. Als Nächstes würde sie ihm präzise sagen, wie er sich in Zukunft zu verhalten hatte.

„Das wüsste ich ebenfalls gern. Hast du mit Doktor Rebbin gesprochen?“, wollte sie wie nebenbei wissen.

„Ja, er will, dass ich ihn morgen Vormittag in der Kanzlei aufsuche.“

„Ich gehe natürlich mit“, entschied sie sofort.

„Nein, das werde ich allein auslöffeln.“ Volker Larsen sah seine Schwester an, während er die dunkelblonden Haare nach hinten strich.

„Trotzdem komm ich mit, damit ich weiß, was los ist.“

„Sandra, ich kann und erledige es allein.“ Sein Tonfall klang energischer und verblüfft blickte sie ihn an.

„Quatsch. Besser ist besser. Nicht, dass die Bullen dir da etwas unterjubeln. Du musst mir sowieso noch erzählen, was die Beamten mit dir geredet haben, was du denen erzählt hast. Nicht, dass du Mist gelabert hast. Du kriegst nicht mit, was da abläuft“, rügte sie ihn in einem scharfen Ton.

„Lass mich in Ruhe. Ich bin alt genug, um …“

„Volker, ich will und muss dir schließlich helfen. Wieso hast du mir nichts von der Hausdurchsuchung erzählt?“

„Ich wollte dich nicht beunruhigen, habe gedacht, dass es damit erledigt ist. Es geht dich zudem nichts an. Das ist allein meine Sache, kapiert?“

„Verflixt, das hätte schief gehen können. Ich habe schön blöd dagestanden, als ich es erfuhr.“

„Komm, reg dich ab. Wer konnte wissen, dass das erneut passiert und sie etwas finden?“

„Wie kommt das Zeug dahin?“

„Keinen Schimmer, aber ich werde herausfinden, wer mir da etwas anhängen will. Doktor Rebbin hat da bereits eine Idee.“

„Was?“

„Das geht dich nichts an.“

„Ich kümmere mich darum und du lässt deine Finger davon. Ohne mich machst du nichts. Am besten, du bleibst die nächsten Tage bei mir, damit ich dich im Auge behalten kann und du nicht noch mehr Blödsinn anstellst. Als wenn du etwas herausfinden würdest? Ich beweise deine Unschuld und damit basta. Du kannst kurz hoch…“

Sie waren vor dem Atelier angekommen. Volker beugte sich zu seiner Schwester hinüber, sah sie mit gerunzelter Stirn an.

„Nein. Ich werde bleiben. Schreib du mir nicht vor, wie ich zu leben habe oder was ich unternehme. In einer Woche hat sich das geklärt. Lass dir keine grauen Haare wachsen und danke. Gestalte dir ein schönes Wochenende, geh weg und vergiss den Mist.“

„Sicher. Verlass dich auf mich. Ich regle es und nur ich.“

„Halte dich da raus, Sandra. Verstanden? Nochmals, das ist allein meine Sache und geht dich nichts an.“

Verblüfft über den rüden Tonfall blickte sie ihn an. „Was meinst du? Du weißt, dass nur ich dich …, aber etwas anderes. Wo hast du den ersten Stoff versteckt?“

„Du bist dusselig. Ich verkaufe gewiss keinen Stoff.“

Er wollte aussteigen, da hielt sie ihn am Arm fest. „Volker, begreife endlich, dass man dich gerade hereinlegen will. Ich will dir helfen. Wer gibt so viel Geld aus, nur um dir etwas anzuhängen? Überlege, wer in deiner Wohnung war. Jemand muss den Stoff dort deponiert haben und jemand muss die erste Lieferung dort entwendet haben. Gehen wir von dem Kerl mit den Bildern aus.“

„Ach, das ist doch Schwachsinn. Ich werde mich darum kümmern.“

„Und wie? Sie werden dich einbuchten. Wer hat das Zeug dort mitgehen lassen und besonders warum? Wer will dir etwas unterjubeln und gibt dafür Unsummen aus? Das kann nur jemand mit viel Geld sein. Wem bist du auf die Füße getreten?“

Er starrte sie sekundenlang an. „Ich weiß es nicht.“

„Dann überlege. Jemand hasst dich so sehr, dass man dir da etwas anhängen will. Begriffen? Man will dich für viele Jahre im Knast verschwinden lassen. Begriffen?“

„Halt dich einfach da heraus. Das geht dich nichts an. Du säufst ja neuerdings lieber und hurst herum.“

Der Kerl stellte sich also stur, gut dann eben anders. „Volker, komm, hole ein paar Sachen, wir gehen erst zu mir, fahren später bis Sonntagmittag weg.“

„Nein. Ich will und werde mit Mia ein schönes Wochenende verleben. Such dir einen anderen Doofen, der dir dein Wochenende finanziert. Ich bin es nicht mehr.“

Für einen Moment verzog sich ihr Gesicht, Hass kroch in ihr hoch, schnell fasste sie sich aber. „Wir könnten …“

„Nein. Fahr weg und wenn möglich sehr, sehr weit weg und komm nie mehr zurück. Kerle gibt es überall auf der Welt.“

„Heute schlecht gelaunt? Aber das liegt möglicherweise am Knast. Erhole dich ein bisschen, dann geht es dir besser. Keine weiteren Dummheiten, verstanden“, drohte sie lächelnd. „Vermutlich sollte ich lieber hierbleiben? Wer weiß, was du sonst noch anstellst. Du scheinst verwirrt zu sein.“

„Ich komme gut allein klar. Mia ist da und bescheuert bist bloß du. Damit du an mein Geld kommst, tust du alles, nicht wahr? Die Bullen haben mich reichlich über dich aufgeklärt. Nur zu spät. Das wurde bereits vor langer Zeit geregelt und du gehst leer aus, selbst wenn du versuchst, mich als irre hinzustellen, kommst du damit zu spät. Kapierst du es nicht, du gehst leer aus, egal was du mir noch unterjubelst. Keinen Pfennig.“

„Ich meine ja nur. Wir könnten zu dritt etwas unternehmen, in die Disco gehen?“

„Nein, ich will mit ihr allein sein.“ Seine Stimme klang aggressiv, genervt. „Mensch, suche dir bloß einen Mann, gehe arbeiten, suche dir ein Hobby oder sonst etwas. Du nervst. Ich benötige kein Kindermädchen, sondern möchte mit meiner Freundin allein sein, ohne dich, kapiert? Sandra, tauche nicht in meiner Wohnung auf, sonst schmeiße ich dich hinaus. Ich verlange sowieso meinen Schlüssel zurück, aber das weißt du. Gib her.“ Er streckte die Hand aus, wartend.

Sandra kochte vor Wut, versuchte zu lächeln. „Den habe ich nicht dabei. Ein andermal.“

„Du lügst. Keine Besuche mehr in meiner Wohnung, sonst hetze ich dir Doktor Rebbin und die Polizei auf den Hals. Ich lass dich durch sie hinauswerfen. Begriffen?“

„Du spinnst völlig. Du kriegst ja deinen dämlichen Schlüssel. Ich habe ihn nur nicht dabei. Hat dir das die kleine Ziege eingeredet? Mensch, die will dein Geld. Begriffen?“, äffte sie ihm nach. „Volker, wach auf. Diese Braut taugt nichts. Eine von der Straße, die sich einen Mann angeln will, der sie aushält. Die treibt sich nur herum. Ich bin deine Schwester und will dir helfen, dich vor den Mädels beschützen, die dich nur ausnehmen.“

„Du bist abstoßend. Verschwinde aus meinem Leben. Ich beanspruche und verlange deine Hilfe nicht. Du bist die Einzige, die nach meinem Geld giert, aber du bekommst nichts. Nichts. Deswegen willst du mich in den Bau schicken. Du hast mir das Zeug untergejubelt, nicht wahr? Der Kommissar hat so etwas angedeutet. Bei deinen neuen kriminellen Freunden aus der Gosse, dem Rotlichtmilieu, kommt man da mit Leichtigkeit heran. Hältst du mich für blöd? Auf mein Geld spekulierst du seit Monaten, weil du pleite bist. Jeder Pfennig wird sofort für Klamotten, Suff, Kneipen rausgeschmissen und arbeiten ist für dich ein Fremdwort. Pennst den halben Tag, weil du dich jede Nacht volllaufen lässt und mit jedem Kerl poppst. Lass mich in Ruhe. Du bist widerlich. Eine völlig heruntergekommene, alkoholkranke, kriminelle Prostituierte. Was ist nur aus dir in den letzten Monaten für ein abscheuliches Weib geworden.“ Volker stieg hastig aus, knallte die Autotür zu und verschwand im Haus.