Secret of Time - Joachim Koller - E-Book

Secret of Time E-Book

Joachim Koller

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Beschreibung

Es soll ein ganz gemütlicher Urlaub in Barcelona werden, bei dem Leon auch etwas über ein seltsames Erbstück von seinem Vater erfahren möchte. Als er dabei neue Freunde trifft, lernt er die spanische Stadt besser kennen und bekommt auch noch die Möglichkeit mehr über seine Vorfahren zu erfahren. Hinter dem Erbstück steckt eine mysteriöse Geschichte rund um die berühmten Architekten der Stadt, Antoni Gaudi und Enric Sagnier. Doch von der dazugehörigen Legende über Zeitreisen hält Leon nicht viel. Aber dann bricht die Katastrophe aus. Die Stadt wird das Ziel eines Terroranschlags, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat. Barcelona versinkt im Chaos und plötzlich muss Leon darauf hoffen, dass die Legende wahr ist. Er setzt alles daran um seine Frau, seine neuen Freunde und nebenbei noch die Welt zu retten. Auch als Taschenbuch erhältlich!

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Seitenzahl: 338

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Joachim Koller

Secret of Time

Ausnahmezustand in Barcelona

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil 1 - Familiengeschichte

Barcelona, 1926

90 Jahre später

Teil 2 - Sightseeing

Fünf Monate später

Sonntag

Teil 3 - Erste Erkenntnisse

Montag

Dienstag

Mittwoch

Teil 4 - Ausnahmezustand

Mittwoch, 21:30

Donnerstag

Teil 5 - Die Spur des Quadrats

Donnerstag 12:00

Teil 6 - Wiedergutmachung

Mittwoch

Donnerstag

Teil 7 - Die Hüter

Zwei Wochen später

Weitere Veröffentlichungen des Autors

Impressum neobooks

Teil 1 - Familiengeschichte

Barcelona, 1926

Niemand beachtete die zwei Männer, die sich mitten in der Nacht im Park der Universität von Barcelona trafen. Sie standen vor der Baustelle einer alten Bibliothek, deren Stockwerke tief in den Erdboden reichten. Die wenigen Personen, die auf der Straße unterwegs waren, erkannten nicht, welche bekannten Persönlichkeiten einander hier gegenüberstanden.„Ob unser Geheimnis dort unten wirklich sicher ist, Antoni?“Der angesprochene Mann drehte sich um und sah seinem Gegenüber in die Augen.„Enric, mein Freund. Nur mit der Hilfe unserer Kleinodien kann man den Weg finden und öffnen. Selbst wenn diese entwendet werden, müssten sie vorher wissen, dass sie hier suchen müssen.“Er holte eine quadratische, dünne Metallplatte hervor und legte sie Enric in die Hand. Sie war aus Bronze, hatte verschiedene Zahlen eingraviert und war ungefähr so groß wie seine Hand. Enric nahm das Quadrat und steckte es schnell in seine Jackentasche, ohne es sich genauer anzusehen.Antoni legte seinen Arm um Enrics Schulter.„Ja, sie sind uns dicht auf den Fersen, aber sie werden niemals dahinter kommen, welche göttliche Segnung uns zuteilwurde.“Mit etwas Furcht in den Augen sah ihn Enric an.„Ich hoffe, es ist ein Geschenk von Gott und nicht von der ... anderen Seite.“„Wir haben es nur dazu genutzt um die Sühnekirche in einer Größe zu planen, wie es sich Gott verdient, oder Enric?“

Bei dem Ausgang der Universität umarmten sie sich freundschaftlich.„Pass gut auf Dich auf, Antoni. Ich möchte noch viele Abende mit Dir bei gutem Wein verbringen, wenn wir unsere Pläne für ein schöneres Barcelona planen und verwirklichen können“, sagte Enric.„Mach Dir nicht so viele Gedanken, Enric. Wir haben noch einiges vor uns.“Sie verabschiedeten sich und gingen getrennte Wege. Keiner der beiden bemerkte die drei Männer, die sie aus einiger Entfernung beobachteten und dann schnell im Schatten der Stadt untertauchten.

Es war die Nacht auf den 10. Juni 1926, den Tag an dem Antoni Gaudí starb.

90 Jahre später

Wien

Freitag, 19 Uhr

Kaum hatte Leon die Wohnungstür hinter sich geschlossen, schlüpfte er aus den Schuhen und warf seine dunkelbraune Cordjacke auf den Haken. Ein kurzer Blick in den Spiegel genügte ihm, um zu sehen, wie ihn der anstrengende Tag im Reisebüro gezeichnet hatte. Seine kurzen Haare waren zerzaust, sein Blick müde. Er fühlte sich nicht wie achtunddreißig, eher zehn Jahre älter.Rasieren sollte ich mich auch wieder einmal, dachte er und strich über seine schwarzen Bartstoppeln. Er wollte sich schon seiner Stoffhose entledigen, als er im Wohnzimmer nicht nur seine Frau Julia sitzen sah, sondern auch zwei groß gewachsene Männer, die mit ihr am Tisch saßen.„Hallo, mein Schatz. Setz Dich bitte, wir haben Besuch.“

Er bemerkte an ihrem Tonfall, dass es keine guten Neuigkeiten waren. Die beiden Männer nickten ihm nur zu.„Okay. Worum geht es, meine Herren?“Leon setzte sich auf den freien Stuhl gegenüber seiner Frau und musterte die Männer neugierig. Beide waren in teuren schwarzen Anzügen gekleidet, blickten ihn mit versteinerter Miene an und machten auf Leon keinen besonders freundlichen Eindruck. Sie wirkten im Gegensatz zu dem hageren Leon wie überproportionierte Muskelprotze.

„Herr Hochberger, geboren Sagnier, wir kommen aus Barcelona. Mein Kollege, Mister Castello spricht kaum Deutsch und hat mich deshalb als Dolmetscher mitgebracht“, begann der dunkelhaarige Mann zu sprechen.

Auf dem Tisch vor ihm lagen ein verschlossenes Kuvert und ein knapp dreißig Zentimeter langes Paket, beides ungeöffnet.

„Wirklich? Interessant, und was führt sie den weiten Weg von Spanien zu uns?“

„Der Tod ihres Vaters, Herr Hochberger.“

Leon blieb für einen Moment stumm. Er hatte mit seinem Vater schon über zehn Jahre keinen Kontakt mehr, seit seiner Hochzeit mit Julia.

„Das ist tragisch, aber es trifft mich nicht wirklich. Sie müssen wissen …“

„Ihre Frau hat uns schon darüber informiert, dass ihr Verhältnis nicht besonders gut war“, fuhr der Dolmetscher fort.

Leon zog eine Grimasse und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

„Nicht besonders gut? Das Letzte, was ich von meinem Vater gehört habe, war, dass ich nicht würdig bin, den Namen Sagnier zu tragen. Deshalb habe ich ihm bei unserem letzten Telefonat erklärt, dass ich mit der Hochzeit den Namen meiner Frau annehmen werde. Seit diesem Tag habe ich nie wieder von ihm gehört. Ich weiß, dass er nach dem Tod meiner Mutter nach Barcelona gezogen ist, aber in den fünfzehn Jahren seit ihrem Tod, war ich nicht einmal in dieser Stadt. Es ist traurig, dass er verstorben ist, aber ich habe schon vor langer Zeit meinen Vater verloren.“

Der Dolmetscher übersetzte Mister Castello, was Leon gesagt hatte. Dieser nickte nur und meinte auf Spanisch: „Ich verstehe nicht, warum Joseph dann unbedingt wollte, dass wir ihm das Paket bringen.“

Leon überlegte kurz, ließ sich aber nicht anmerken, dass er ihn verstand.

„Nichtsdestotrotz hat ihr Vater uns beauftragt, im Falle seines Ablebens, ihnen diese Gegenstände zukommen zu lassen“, fuhr der Dolmetscher fort. Er deutete auf das Paket und das Kuvert.

„Darf ich fragen, wer Sie eigentlich sind?“

„Wir arbeiten in Barcelona für eine Anwaltskanzlei und wurden vor einiger Zeit von Herrn Sagnier beauftragt, sein Testament und seinen Nachlass zu verwalten. Ihr Vater war schwer krank und wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.“

„Bitte halten sie mich nicht für gefühlskalt, aber wie gesagt, für mich ist mein Vater schon lange aus meinem Leben verschwunden.“

„Ich verstehe. Unsere Aufgabe ist nur, Ihnen dieses Paket und den dazugehörigen Brief persönlich auszuhändigen. Wir machen nur unseren Job.“

Er holte eine dünne Mappe aus seinem Aktenkoffer, zog ein Blatt Papier daraus hervor und händigte es Leon aus.

„Ich würde ihre Unterschrift und eine Bestätigung ihrer Identität benötigen, dann sind wir wieder weg.“

„Wenn das wirklich alles ist, kein Problem.“

Leon las sich den Text kurz durch. Es war nicht mehr als eine Übernahmebestätigung für die Dinge, die sein Vater für ihn vorgesehen hatte. Während der Dolmetscher den Zettel wieder einsteckte, stand Mister Castello wortlos auf und nahm sein Jackett.„Das war es dann auch schon. Ich danke Ihnen und wünsche noch einen schönen Abend. Frau Hochberger, Herr Hochberger, wir verabschieden uns.“

Er schüttelte beiden die Hand und ging ins Vorzimmer. Mister Castello schüttelte zunächst Julia die Hand. Als er Leons Hand ergriff, sah er ihm kurz intensiv in die Augen und flüsterte dann, dieses Mal aber in gebrochenen Deutsch: „Ihre Familie hat ein hohes Ansehen in Barcelona genossen. Schade, dass sie den Namen nicht mehr weitergeben.“

Leon reagierte nicht darauf und begleitete die beiden seltsamen Gestalten zur Tür. Als er die Tür hinter ihnen schloss, blickte er verwirrt zu seiner Frau.

„Was waren denn das für Leute?“, fragte sie ihn, ebenfalls verdutzt.

„Keine Ahnung. Aber bei meinem Vater wundert mich nicht wirklich etwas. Außer, dass er mir etwas zukommen lässt. Und das, obwohl ich seiner Meinung nach, nicht würdig bin, weil ich keinen Beruf in der Kunst oder Architektur gewählt habe.“

Leon zog seine Frau zu sich und küsste sie.

„Wo ist denn Dein Spitz?“, fragte er.

Seit er sie kannte, trug Julia unter der Unterlippe ein Piercing, ein kleiner blausilberner Metallspitz.

„Als unser seltsamer Besuch kam, war ich gerade dabei, unter die Dusche zu verschwinden. Aber das kann warten, wir können ja dann gemeinsam gehen.“

Sie band sich ihre dichten, dunkelbraunen Haare, die über die Schultern hingen, zusammen und schenkte Leon ein verführerisches Lächeln. Ihr bezauberndes Gesicht und ihre stets fröhliche Art waren nur zwei Gründe, warum er seine Frau über alles liebte. Er war ihrem hübschen Gesicht mit Sommersprossen und ihrem sportlichem Körper verfallen, noch genauso, wie zu Beginn ihrer Beziehung.

Julia richtete für sie beide Kaffee am Tisch an und sah gespannt zu wie Leon das Kuvert öffnete und den Brief von seinem Vater vorlas.

„Mein Sohn,

egal was zwischen uns war, Du musst unser Familiengeheimnis an Dich nehmen und weiterhin bewahren. Besuche Pater Adrián in der Kirche unseres Vorfahren. Er wird Dir das Bild zeigen, mit dem Du alles verstehst. Verliere das Quadrat niemals, ich vertraue auf Dich.

Dein Vater“

Leon hob seine dichten Augenbrauen und las den kurzen Text erneut. Er schüttelte den Kopf.

„Wirklich?“, brachte er nur erstaunt und leicht verärgert hervor.

„Welches Familiengeheimnis, mein Schatz?“, fragte Julia nach, die hinter ihm stand und ihn umarmte.

„Ich habe keine Ahnung.“

„Und welche Kirche Deiner Vorfahren?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Und welches Quadrat?“

„Ich habe keine Ahnung“, wiederholte sich Leon.

Er legte den Brief zurück auf den Tisch und nahm sich das Paket vor. Es war von einem Notar abgestempelt worden, händisch war auf dem Packpapier vermerkt, dass es seit der Empfangnahme nicht geöffnet wurde. Leon löste die dünne Schnur, die um das Paket gewickelt war, und hielt wenige Sekunden später eine dunkle Holzschachtel in der Hand.

„Bevor Du mich fragst, ich habe keine Ahnung, was das sein soll“, kam er ihrer Frage zuvor. Auf dem Deckel der Schachtel glänzte ein, in das Holz eingelassenes, goldenes Emblem.

Das goldene Herz war mit kleinen, türkisfarbenen Mosaiken ausgefüllt. Langsam strich Leon über das Symbol, das ihm nicht im Geringsten bekannt vorkam. Das filigrane Herz war fein und glatt verarbeitet. Er öffnete die Schatulle und fand im Inneren ein goldglänzendes Quadrat liegen. Es lag eingebettet in einer roten, weichen Auskleidung, die Leon zugewandte Seite war glatt poliert.

Julia kam näher und betrachtete den Inhalt der Schatulle.

„Ist das echtes Gold?“, fragte sie staunend.

„Ich habe keine …“

„Ich weiß, mein Schatz“, unterbrach sie ihn und nahm das Quadrat in die Hand. Leon schätzte die Länge auf fünfzehn Zentimeter, alle Kanten waren sorgfältig geglättet worden. Julia drehte das Quadrat um und zeigte es ihrem Mann.

„Da ist etwas eingeprägt, es sind Buchstaben.“

Leon sah es sich näher an und erkannte, dass seine Frau recht hatte.

„Aber spiegelverkehrt, als wäre dieses Ding ein Teil eines Stempels.“

Während er noch überlegte, was das alles zu bedeuten hatte, war Julia in ihr Zimmer verschwunden und kam mit einem färbigen Schwamm zurück.

„Nur gut, dass wenigstens ich mich etwas künstlerisch betätige, oder?“

Sie tupfte die beschriebene Seite mit dem bläulichen Schwamm ab und drückte das Goldquadrat danach auf ein leeres Blatt Papier.

Ratlos standen sie vor dem Blatt und betrachteten die Wörter vor ihnen.

„Sieht lateinisch aus“, meinte Julia.

„Sorry, das ist keine Sprache, die ich beherrsche.“

„Und nun?“

„Ich frage mich gerade, warum wir uns damit beschäftigen. Mein Vater wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Jetzt vermacht er mir ein Familiengeheimnis, welches sich als eine kleine Goldplatte herausstellt, auf der einige Wörter stehen.“

Doch Leon war selbst etwas neugierig geworden. Er nahm sein Tablet und schaltete es ein.

„Was hast Du vor?“

„Wir können nicht Latein, aber es gibt eine Suchmaschine, die auch übersetzen kann“, meinte er grinsend und tippte die Wörter der Reihe nach ein. Aber als er das Ergebnis sah, konnte er nur die Augenbrauen hochziehen und erneut den Kopf schütteln.

„So ein Schwachsinn, sieh her.“

Repertori - Entdecker

Inperfecto familia – Unvollendete Familie

Oculi obviam in – Treffen sie die Augen

Duobus rectis – Zwei rechts

Aperit quadratum in – Öffnet auf dem Quadrat

Ad Descensum – Der Abstieg

ultra tempus – Jahreszeit

„Das ergibt keinen Sinn“, meinte Julia.

„Ganz genau. Was auch immer mein Vater damit vorhatte oder sich dabei gedacht hat, ich erkenne keine Logik und keinen Sinn dahinter.“

Er nahm das Metallquadrat, wischte es ab und warf es in die Holzschachtel hinein. Dabei fiel ihm auf der Innenseite des Deckels eine eingestanzte Zeile auf.

Picture ostendit viam - Duo ex me - Aurea quadratum Antoni

„Nicht noch so ein …“, stöhnte Leon auf und ließ auch diesen Satz übersetzen.

„Das Bild zeigt den Weg. Zwei von mir, das goldene Quadrat von Antoni. Was soll ich damit nun anfangen?“

Er schloss die Schatulle und blickte zu Julia.

„Vielleicht ist er auf seine alten Tage hin etwas verrückt geworden“, überlegte er laut.

„Leon, es war Dein Vater, da kannst Du nicht so reden.“

„Du weißt schon noch, dass es mein Vater war, der Dir erklärt hat, Du bist nicht gut für mich, weil Du unbedingt Karriere machen willst. Mein Vater war derjenige, der mir erklärt hat, ich soll meinen Job hinschmeißen und Architektur studieren, damit die Tradition der Familie Sagnier weiter bestehen bleibt. Der Mann, der, anstatt sich auf die Hochzeit seines einzigen Sohns zu freuen, anruft und mir empfiehlt so eine unwürdige Frau mit neumodischen Ansichten nicht zu heiraten.“

Leon wurde etwas lauter, er verspürte keine Trauer, sondern nur dieselbe Wut, wie damals nach seinem letzten Telefonat mit seinem Vater. Julia schwieg und legte einen Arm um ihn.

„Ist schon okay. Wir werden diese Schatulle irgendwo hinstellen und damit ist die Sache erledigt. Einverstanden?“

Leon nickte, drehte sich dann zu seiner Frau und küsste sie.

Die Schatulle wurde verstaut und schon nach einigen Tagen war sie vergessen. Leon lebte sein Leben weiter, glücklich verheiratet mit Julia und verschwendete keine Gedanken mehr an seinen Vater oder das ominöse Geheimnis der seltsamen Worte.

Teil 2 - Sightseeing

Fünf Monate später

Samstag, 9 Uhr

Ruhig, fast wie auf Schienen, flog das Flugzeug im langsamen Sinkflug über die spanische Küste. Leon lehnte mit dem Kopf an der Kabinenwand und wurde durch die Ansage der Stewardess munter. Von seinem Fensterplatz sah er die Großstadt Barcelona vorbeiziehen. Deutlich war der Hafen zu erkennen, unweit davon ein Grünstreifen, der sich durch das dicht besiedelte Stadtgebiet zog. Ein Stadtteil mit quadratischen Häuserblocks stach ebenfalls deutlich hervor. Aus diesem ragte eine gewaltige Kirche heraus. Die Sagrada Familia, die unvollendete Kirche, wie er aus seinem Reiseführer wusste. Für Leon war es der erste Besuch in Barcelona, der Urlaub war sehr kurzfristig zustande gekommen.

Julia hatte vor zwei Monaten ihren Job gekündigt und zu einer großen Hotelkette gewechselt. Gleich nach einigen Wochen hatte man ihr einen Auftrag in Berlin zugeschanzt. Deshalb war sie noch zwei Wochen in Deutschland. Bislang waren sie nie länger als ein paar Tage voneinander getrennt gewesen, nun aber waren es schon drei Wochen, die seine Frau in Berlin verbrachte. Eine Stadt, die Leon schon öfters besucht hatte, was ihn zuerst überlegen ließ, sie zu besuchen. Da sie aber meistens bis abends im Hotel zu tun hatte und von einer Sitzung zur nächsten dirigiert wurde, entschied er sich dagegen. Um dennoch nicht nur daheimzusitzen und auch wieder einmal alleine etwas zu unternehmen, suchte er nach einem billigen Städtetrip für mehrere Tage. Das günstigste Angebot, das ihm unterkam, war ein Aufenthalt in Barcelona für eine Woche. Zuerst sträubte er sich noch, aber als ein Kunde bei ihm seinen Barcelona-Trip, samt Besuch eines Fußballmatches des FC Barcelona im Champions League - Spiel gegen Bayern München, stornierte, nutzte er die Gunst der Stunde. Als großer Fußballfan wollte sich Leon nicht die Chance entgehen lassen, dieses hochklassige Aufeinandertreffen live mitzuerleben. Außerdem war er der Meinung, dass er lange genug, nur wegen seines Vaters, die Stadt gemieden hatte, von der er schon viel gelesen hatte und die für ihn immer interessanter geworden war. Und da war noch diese Holzschatulle, die er vererbt bekommen hatte. Er hatte sie, seit sie in seinem Besitz kam, nicht mehr beachtet, bis sie ihm, einen Tag vor seinem Abflug, wieder einfiel. Vielleicht würde er in der Stadt jemanden finden, der mit diesem Quadrat aus Gold etwas anfangen konnte, zum Beispiel diesen Pater Adrián.

Die Erde kam immer näher, inzwischen flog das Flugzeug nicht mehr über dem Meer. Er sah unter sich einen dunkelgrünen Fluss und war sehr glücklich darüber, dass sie in wenigen Minuten aufsetzen würden. Somit löste sich auch Leons Anspannung, die er auf jedem Flug spürte. Er bekam leicht Platzangst, weshalb er die Enge eines Flugzeuges als ziemlich anstrengend empfand. Mit einem kräftigen Rumpeln kam die Maschine auf der Landebahn auf. Im nächsten Moment war die Kraft der Bremsen zu spüren, die ihn gegen den Sicherheitsgurt drückten.

Nur noch ein paar Minuten, dann komme ich aus dieser Konservendose heraus, dachte er erleichtert und holte seinen Reiseführer aus der Ablage.

Leon war bei Nieselregen und kühlen Temperaturen abgeflogen, hier empfing ihn strahlender Sonnenschein. Keine Wolke war am Himmel zu sehen, und für Ende Oktober war es selbst für Barcelona sehr warm. Auf dem Weg zum Bus, der ihn mitten ins Stadtzentrum bringen sollte, streifte Leon seine Cordjacke ab und rollte die Ärmel seines Hemdes hoch.

Die halbstündige Fahrt durch den morgendlichen Stau nutzte Leon, um seine Reiseunterlagen zu sortieren und sich darüber Gedanken zu machen, womit er seinen Aufenthalt beginnen sollte.

Neben einem günstigen Flug hatte Leon auch eine sehr preisgünstige Unterkunft bekommen. Ein Hostel, keine fünf Gehminuten von der Sagrada Familia entfernt, einfach aber es genügte ihm. Von seinem Chef hatte er zusätzlich noch den Auftrag bekommen, sich ein, demnächst ins Programm aufgenommenes, Hotel genauer anzusehen. Das Luxushotel am Hafen von Barcelona sollte bei einer der nächsten Gruppenreisen als Unterkunft dienen und Leons Aufgabe lautete, sich zu versichern, dass die hohen Zimmerpreise dem Hotel gerecht wurden.

Zuerst aber wollte er sich die Stadt näher ansehen, die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten kennenlernen und alle Punkte seine „To-See“-Liste abhaken.

Inzwischen hatte er schon viel über Barcelona gelesen, unter anderem auch, dass das U-Bahn-System sehr zuverlässig war und nahezu überall hinführte. Einer der Knotenpunkte war der Plaça Catalunya, die Endstation des Flughafenbuses. Mit seinem Koffer im Schlepptau und einem kleinen Rucksack auf dem Rücken ging er los, ohne sich großartig umzusehen. Leon wollte zunächst sein Gepäck loswerden, bevor er durch die Straßen ziehen würde. Weder das große achtstöckige Einkaufszentrum „El Corte Inglés“, das direkt vor ihm am Plaza Catalunya stand, fand Beachtung, noch hatte er einen Blick für die Ramblas, die hier ihren Anfang nahmen. Nur ein rotes Schild mit einem großen, weißen „M“ interessierte ihn, es markierte den Abgang zur Metro. Die notwenige Wochenkarte hatte er sich schon in Wien besorgt. Selbst ohne die Erfahrung von unzähligen Städteurlauben war es einfach, sich in Barcelona zu orientieren. Das dichte U-Bahnnetz machte eine Sightseeingtour quer durch die Stadt zu einem Kinderspiel.

Wenige Minuten später fand sich Leon in einem nahezu menschenleeren Waggon wieder. Es war inzwischen 10 Uhr und die meisten Personen schon an ihren Arbeitsplätzen. Was ihm auffiel, war die Präsenz von vielen Polizisten. Am Eingang zur U-Bahn Station und im Waggon befanden sich Beamte, teils mit unterschiedlicher Aufmachung und Namen. Er las „Policia Nacional“, „Guardia Civil“ und „Mossos d’Esquadra“ auf den Uniformen.

Nach einem Umstieg und fünfzehn Minuten Fahrtzeit war er am Ziel, die Station „Sagrada Familia“. Auf der Rolltreppe in Richtung Straße stehend, spürte Leon seine Aufregung. Er war ein weltoffener Mensch, der es genoss, immer wieder neue Länder, Städte und Landschaften zu erkunden. Das war auch der Grund, warum ihm sein Beruf im Reisebüro so gut gefiel. Dort konnte er einerseits seine Eindrücke weitergeben und selbst auch, so oft es ihm möglich war, verreisen.

Die Rolltreppe führte zu einer Straße, die zu beiden Seiten mit noch immer grünen Bäumen bepflanzt war. Leon dachte noch, dass so eine große Kirche wie die Sagrada Familia wohl auffälliger sein müsste. Als er sich umdrehte, revidierte er seinen Gedanken und hob erstaunt seine Augenbrauen. Direkt vor ihm ragte die berühmte Kirche in den Himmel. Vier reichlich verzierte Türme, die scheinbar aus der Fassade herauswuchsen. Unzählige sakrale Motive, die überall an der Fassade und den Wänden zu sehen waren, der Anblick ließ ihn mit offenem Mund erstaunen. Wie er aus seinem Reiseführer wusste, sah er vor sich die Geburtsfassade, einen Teil, der schon zu Zeiten des ursprünglichen Architekten Antoni Gaudí vollendet wurde. Massen von Touristen befanden sich vor den Steinskulpturen, fotografierten und staunten wie Leon. Höher als die Türme waren nur die Baukräne, die große Betonblöcke über der Kirche schwenkten. Nachdem er sich von dem überwältigenden Anblick losreißen konnte, spazierte er an der Seite der noch unvollendeten Kirche entlang und suchte seine Straße. Vorbei an kleinen Lokalen, deren Gäste auf den Stühlen am Gehsteig saßen, und aneinandergereihten Souvenirläden zog Leon seinen Koffer in Richtung der Carrer de Sardenya, wo sich sein Hostel befand.

Die Hausnummer war schnell gefunden, doch es gab keine Werbetafel oder sonstige Informationen, dass es sich bei dem Haus vor ihm um ein Hostel handeln sollte. Erst als er die Gegensprechanlage genauer inspizierte, wurde er fündig. „Hostel Olé Barcelona - Rezeption“ stand neben einem der Knöpfe. Kaum gedrückt ertönt ein Summerton und die Eingangstür ließ sich öffnen.

Das Stiegenhaus wirkte nicht sehr einladend, alt, verschmutzte Wände und ein muffiger Geruch begrüßten ihn.

Vielleicht habe ich dieses Mal doch zu billig gebucht, dachte Leon skeptisch. Im ersten Stock fand er eine offene Tür. Eine junge Dame an der Rezeption erwartete ihn und hatte sein Einzelzimmer schon hergerichtet. Im Gegensatz zum Stiegenhaus war hier alles hell, sauber und einladend eingerichtet. Sie begleitete ihn ein Stockwerk höher, wo in einer weiteren Wohnung mehrere Zimmer zur Verfügung standen. Es handelte sich um zwei Einzel- und zwei Doppelzimmer, die sich zusammen ein Badezimmer teilten. Leons Zimmer war ein kleiner Raum, mit einem Fenster in den Innenhof, einem Metallbett und einem Stuhl. Mehr nicht.

Okay, das ist nun wirklich das kleinste Zimmer, in dem ich bisher übernachtet habe, stellte Leon fest. Aber er merkte auch, dass es sehr rein und nicht abgenutzt war, was für ihn das Wichtigste war. Es war ihm klar gewesen, dass bei einem Preis von fünfzehn Euro pro Nacht, nicht mehr verlangt werden durfte. Viel zu oft war Leon in übergroßen, luxuriösen Zimmern untergebracht, in denen er sich nicht besonders wohl fühlte. Hier hatte er einen sauberen Raum, der nur zum Schlafen gedacht war und mehr wünschte er sich nicht.

„Wir haben im ersten Stock einen Gemeinschaftsraum mit Fernseher, eine Küche, und falls Du etwas benötigst, die Rezeption ist rund um die Uhr besetzt. Wenn Du Frage hast oder etwas brauchst, komm einfach vorbei“, informierte ihn die junge Dame und verschwand wieder.

Leon benötigte nur sein Tablet, mit dem er sich sogleich daran machte, Julia eine Nachricht zu schreiben.

„Hallo, mein Schatz. Bin gut gelandet und schon im Hostel. Sehr klein, gemütlich und sauber. Jetzt werde ich einmal die ersten Sehenswürdigkeiten der Stadt besuchen. Viel Spaß weiterhin und arbeite nicht zu viel. Ich liebe Dich, Kuss.“

Im Koffer hatte er auch die Holzschatulle mit dem goldenen Quadrat. Leon überlegte, ob er sie schon mitnehmen sollte, entschied dann aber dagegen. Für einen Besuch bei Pater Adrián musste er erst herausfinden, wo sich die Kirche seiner Vorfahren befand.

Damit beschäftige ich mich nicht gleich am ersten Tag, ich habe noch Zeit, dachte er.

Am Weg an der Sagrada Familia vorbei war Leon aufgefallen, wie viele Personen bei den Kassen angestellt waren. Die Schlange reichte um den halben Häuserblock. Deshalb versuchte er sein Glück im Internet und tatsächlich war es ein Kinderspiel zu einer Eintrittskarte zu kommen. Er hatte Glück, das nächste Zeitfenster für eine Karte begann in fünfzehn Minuten. Sofort buchte er das Ticket und konnte sich somit das lange Anstellen ersparen. Ausgerüstet mit Kamera, leerem Rucksack, seinem Reiseführer und dem Ticket am Handy ging er bestens gelaunt zurück zur Sagrada Familia.

Die Menschenschlange stand inzwischen drei Straßenseiten der Kirche entlang. Beim Durchgang neben den überfüllten Kassen, der für vorreservierte Eintrittskarten bestimmt war, waren hingegen nur wenige Leute angestellt. Anstatt sich wahrscheinlich für ein bis zwei Stunden anzustellen, hatte Leon drei Personen vor sich und war binnen einer Minute am fast überfüllten Vorplatz der Kirche.

Laut seines Wissens stand er nun vor der Passionsfassade, die erst nach Gaudís Ableben vollendet wurde. Trotz der Motive rund um den Tod Jesus wirkte sie durch den hellgrauen Stein freundlicher. Die Statuen waren kantig, wenig detailliert und moderner als er es gedacht hatte.

Die hohe, massive Metalltür war mit unzähligen Worten übersät. Leon las über die Wörter, seine Vermutung war, dass es sich um einen lateinischen Text handelte. Neben den Worten waren auch einige Symbole in die Tür eingelassen. Besonders auffallend waren aber an der ansonsten schwarzen Tür zwei goldene Elemente. Zum einen der Name Jesus und ein kleines Quadrat, das gut erkennbar in der Mitte der Tür platziert war.

Die vier mal vier Zahlen darauf weckten Leons Neugier, doch sein Reiseführer verriet ihm nichts über die Bedeutung des Quadrats und der Zahlen. Die Zahlen selbst waren abgenutzt, aber noch lesbar.

An der Außenfassade fand er erneut das Quadrat. Größer und aus Stein, war es neben einem steinernen Paar positioniert, das Leon an eine Bibelstelle erinnerte.

Gab es da nicht etwas mit Jesus und Judas? Die Schlange zu deren Füßen würde auch gut dazu passen, überlegte Leon und fotografierte die Fassade aus mehreren Blickwinkeln.

Durch die Tür gelangte Leon ins Innere der Kirche, wo er nach wenigen Schritten stehen blieb und sich ergriffen umsah. Vor ihm waren hellgraue, glatt geschliffene Säulen, die bis zur hohen Kirchendecke reichten. Weit über seinem Kopf verzweigten sich die Enden der Säulen und sorgten dafür, dass er sich in einen modernen Steinwald versetzt fühlte. Im Gegensatz zur verspielten Fassade vor der Tür wirkte hier alles auf den ersten Blick schlichter, dennoch wirkte es monumental.

Der Altar kam ohne Verzierungen aus und war im Verhältnis zum sonstigen Raum sehr klein. Dafür stand dahinter eine gewaltige Orgel. Über dem Altar schwebte, unter einem beleuchteten Schirm, ein einfaches Kreuz mit dem Gekreuzigten aus Holz. Durch die großteils farblich eingekleideten Kirchenfenster strahlte die Sonne auf die bescheidenen Holzbänke und Stühle vor dem Altar. Leon war begeistert, alles wirkte viel imposanter als auf den Bildern, die er gesehen hatte. Vor lauter Staunen vergaß er fast darauf, seine Kamera zur Hand zu nehmen und einige Bilder zu machen.

Minutenlang ging er an den Seiten entlang, blickte immer wieder nach oben und konnte nur ergriffen auf die sternförmigen Säulenenden schauen. Gegenüber der Tür, durch die er eingetreten war, sah Leon eine Menschentraube, die vor dem Aufzug zu einem der Türme wartete. Er hatte weder Lust zu warten und schon gar nicht, in einen engen Aufzug gezwängt zu sein und ging ins Freie.

Nun konnte er die Geburtsfassade genauer betrachten.

Auch wenn er schon viele Bilder der Sagrada Familia gesehen hatte, als er nun direkt davor stand, war er fasziniert. Rund um den Haupteingang und den Seiteneingängen waren verschiedenste Szenen mit detaillierten Figuren in Stein gemeißelt. Eine deutsche Reisegruppe neben ihm bekam gerade eine ausführliche Erklärung, der Leon mit einem Ohr lauschte. So erfuhr er, dass diese Fassade den drei theologischen Tugenden gewidmet war. Die Liebe, der Glaube und die Hoffnung, dargestellt durch Jesus, Maria und Josef. Weiteres wurden die unterschiedlichen Musikengel beschrieben und einige Szenen genauer erklärt. Zum Beispiel die Verkündung der Maria, als der Erzengel Gabriel ihr eröffnet, dass sie die Mutter des Gottessohns sein wird. Manche Szenen konnte selbst er erkennen, unter anderem die Heiligen Drei Könige.

Leon war katholisch erzogen worden, aber mit der Zeit hatte die Religion immer weniger Stellenwert in seinem Leben eingenommen. Erst durch die Hochzeitsvorbereitungen kam er wieder mehr mit der Kirche in Kontakt, aber seitdem waren viele Jahre vergangen.

Leon konnte gar nicht alle Details aufnehmen, schoss unzählige Bilder und war verzückt über die vielen Einzelheiten, die diese Fassade verzierten. Von Säulen, die von einer Schildkröte getragen wurden und deren Enden Palmblätter aus Stein schmückten, bis zu den Inschriften aus Stein. Verglichen mit der Passionsfassade war das Material hier dunkler, was aber wohl daran lag, dass dieser Teil der Kirche um einiges älter war.

Sein nächstes Ziel war das Museum. Gleich beim Eingang zeigten mehrere alte Fotografien, wie der Bau dieser mächtigen Kirche angefangen hatte. Eine sehr detaillierte Zeichnung ließ erahnen, wie die fertiggestellte Kirche in vielen Jahren aussehen sollte. Ein noch weitaus höherer Turm mit einem leuchtenden Kreuz sollte diese Kirche zu einem unverwechselbaren Monument des Glaubens machen.

Im nächsten Raum standen Vitrinen mit Skizzen zur vorher gesehenen Passionsfassade, daneben blickte ein Steinkopf von Antoni Gaudí mit ernstem Ausdruck in den Raum. Leon blickte über die Vitrinen und sah erneut das Quadrat.

Dieses Mal war es aus Bronze mit einer Länge von ungefähr zwanzig Zentimetern. Die Zahlen und Linien waren in Schwarz eingekerbt. Endlich fand er eine Beschreibung, was es genau mit diesem Quadrat und den Zahlen auf sich hatte.

Es handelte sich um ein sogenanntes magisches Quadrat, bei dem die Summe jeder Spalte und auch jeder Zeile sowie die Diagonalen jeweils 33 ergab. Josep Maria Subirachs, der Bildhauer und Architekt der Passionsfassade hatte es sich erdacht. Die Zahl 33 bezog sich auf das Alter von Jesus, als er starb. Neben der Beschreibung hing noch eine Schautafel mit weiteren Kombinationsmöglichkeiten, die das Quadrat bot, um auf die 33 zu kommen.

Leon war gerade fertig geworden, den Text zu lesen, als er unsanft von zwei Männern zur Seite geschubst wurde.

„Hallo? Ich glaube es ist genug Platz für alle hier, oder?“, fauchte er. Die Männer beachteten ihn nicht und standen mit dem Rücken zu ihm. Kopfschüttelnd ging er einen Schritt zurück, als er stutzte. Die beiden Männer, beide von sehr muskulöser Statur, verdeckten die Sicht auf die Vitrine. Trotzdem konnte Leon erkennen, wie sich ein weiterer, junger Mann, sehr auffällig über den Schaukasten beugte. Er zwinkerte, sah noch einmal hin und stellte fest, dass die Hand des jungen Mannes in der Vitrine steckte.

„Wirklich?“, fragte er laut und überrascht. Sofort drehte sich einer der Männer um und blickte ihn mit bösem Blick an.

„Weg mit Dir, oder ich schlitze Dich auf“, keifte er ihn auf Spanisch an. Erst jetzt sah Leon das dünne, lange Messer in der Hand des Mannes. Der leicht dunkelhäutige Mann war einen Kopf größer als Leon, der immerhin ein Meter achtzig maß.

„Das kann jetzt aber nicht wahr sein?“, meinte Leon erstaunt, nun auch auf Spanisch und sah sich um. Außer ihnen waren nur wenige Leute im Raum und diese beachteten ihn nicht.

„Wenn Dir Dein Leben lieb ist ...“ wurde der Mann vor Leon deutlicher und machte einen Schritt auf Leon zu.

„Das ist keine gute Idee, wirklich keine gute Idee“, versuchte Leon, ihn zu beschwichtigen. Hinter dem Muskelprotz sah er, wie der junge Mann das bronzene Quadrat herauszog. Dieses Ding zog Leon aus unerfindlichen Gründen in seinen Bann.

„Verschwinde!“, keifte der Mann und fuchtelte mit dem Messer vor Leon.

Das Folgende hatte Leon zigmal geübt und immer wieder mit anderen Personen selbst einstudiert. Zur persönlichen Fitness und um die Motivation unter den Mitarbeitern zu verbessern, ging die Belegschaft von Leons Büro zweimal die Woche nach Dienstschluss in ein nahe gelegenes Fitnessstudio. Neben dem Spaß an den unterschiedlichen Geräten hatte die Büroleitung für sie alle auch einen Selbstverteidigungskurs organisiert. Die Frauen aus dem Büro, welche die Mehrheit ausmachten, waren für den Kurs dankbar. Und Leon in diesem Moment auch.

Das Messer kam ihm bedrohlich nahe. Blitzschnell machte Leon einen Schritt zur Seite. Er packte das Handgelenk des Mannes und riss die Hand zur Seite. Noch bevor sein überraschtes Gegenüber reagierte, schwang Leon sein Bein nach vorne und traf ihn seitlich am Knie. Der Mann knickte zur Seite und wollte mit der freien Hand nach Leon schlagen, doch dieser war eine Spur schneller. Immer noch hielt er die Hand fest, riss sie noch weiter nach hinten und brachte den Mann damit ins Wanken. Nun wurden auch die anderen Touristen im Raum auf sie aufmerksam. Eine Frau sah das Messer und quietschte schrill auf, ein älterer Mann rief auf Französisch nach der Polizei. Der junge Dieb rannte mit dem gestohlenen Quadrat in der Hand los, seine beiden Aufpasser wollten ihm nach. Doch Leon ließ den Mann mit dem Messer nicht los. Als dieser erneut mit der freien Hand ausholte, trat er erneut zu, wieder fest gegen das Knie. Der Tritt war härter, der Mann schrie schmerzvoll auf, als das Bein nachgab und er auf die Knie fiel. Inzwischen war die Aufregung rund um Leon gestiegen. Zwei Touristen eilten Leon zu Hilfe und hielten den knienden Mann am Boden fest. Leon hörte, wie es am Eingang zu einem Tumult kam und hoffte, dass die Diebe wohl nicht weit gekommen waren. Als ein weiterer Mann erschien und dem fluchenden Mann am Boden das Messer aus der Hand riss, stand Leon auf und rannte ebenfalls zum Ausgang. Dort sah er zunächst nur den zweiten breitschultrigen Mann, der von drei Sicherheitsbeamten umringt war. Von dem jungen Dieb war nichts zu sehen. Leon blickte sich um. Immer mehr Sicherheitskräfte und Polizisten kamen zum Museum gerannt. Touristen blickten zu ihm und zu dem festgehaltenen Mann. Als ein Polizist an ihm vorbei wollte, zog Leon ihn an der Schulter zu sich.

„Der Mann am Boden gehört dazu, aber es gibt noch einen, ein junger Bursche, der aus der Vitrine etwas gestohlen hat“, erklärte er dem Polizisten hektisch und sah sich erneut um. Dann plötzlich fand er den jungen Mann, nervös beim Ausgang stehend.

„Dort ist er!“, schrie Leon auf und rannte los. Der verdutzte Polizist winkte einer Kollegin zu, die Leon folgte. Der Dieb blickte Hilfe suchend auf die Straße, als er Leon auf sich zulaufen sah. Er schreckte auf und drängte sich durch eine Gruppe Japaner, die fluchend zur Seite sprangen. Leon sprintete, so schnell er konnte, neben ihm rannte eine Frau in Uniform, deren lange braunen Haare wild herumflogen. Vor ihnen kämpfte sich der Mann am Ausgang durch und stieß dabei ein Pärchen zu Boden.

„Bleib an ihm dran, ich nehme einen anderen Weg“, befahl die Polizistin Leon und bog hinter ihm ab.

Wie bitte? Was habe ich denn damit zu tun? Warum verfolge eigentlich ich diesen Typ?

Leon verstand selbst nicht wieso, aber das Quadrat hatte einen Reiz auf ihn ausgeübt, den er sich nicht erklären konnte. Er wusste nur, dass er nicht zulassen konnte, diesen jungen Kerl mit dem Ding verschwinden zu lassen. Leon umrundete die aufgebrachte Gruppe Japaner und sprang über den Bügel des Drehkreuzes am Ausgang. Die zwei Beamten, die dort standen, waren zu überrascht, um ihn aufzuhalten. Auch der Jugendliche hatte es auf die Straße geschafft und rannte entlang des hohen Zauns der Kirche auf die nächstgelegene Kreuzung zu.

Du bist wirklich ein schneller Hund. Wenn ich nur wüsste, was diese Polizistin gemeint hatte ..., dachte Leon und bekam im nächsten Moment seine Antwort.

Von der Seite, genauer vom Dach eines der kleineren Häuser innerhalb der Umzäunung, kam die Frau auf den Flüchtenden zugeflogen. Sie sprang von mehr als drei Meter Höhe auf ihn herab, erwischte ihn an den Schultern. Die beiden flogen durch die Luft und landeten hart auf dem breiten Gehsteig neben der Kirche. Die junge Polizistin war auf dem Mann gelandet, der unter ihr aufschrie und sich vor Schmerzen wand. Leon erreichte die beiden und reichte der Frau die Hand.

„Was war denn das? Nimmst Du nebenbei Flugstunden oder schaust Du zu viel Wrestling?“, fragte Leon keuchend. Er war zwar halbwegs sportlich, aber der Sprint, zusammen mit der Aufregung der letzten Minuten, kostete ihm viel Energie.

Die Polizistin ließ sich aufhelfen, kurz darauf klickten ihre Handschellen und der Dieb hatte seine Hände hinter dem Rücken gefesselt. Sie zog ihm das Quadrat aus seiner Hosentasche.

„Die ganze Aufregung wegen eines Souvenirs? So wertvoll kann das Teil wohl nicht sein“, stellte sie fest, blickte zu Leon und reichte ihm die Hand.

„Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Hallo, ich bin Ramona Ortuno.“

„Leon Hochberger, hallo. Ich verstehe auch nicht wirklich, was das sollte.“

Sie blickten beide zu dem jungen Mann, der sie nur grimmig ansah und schwer keuchte.

„Ich glaube, im Moment ist ihm nicht nach Reden zumute. Aber das kommt schon noch. Spätestens, wenn meine Chefin kommt“, meinte Ramona und drehte das Quadrat in ihrer Hand.

Leon musterte die junge Frau vor ihm, die er auf maximal fünfundzwanzig Jahre schätzte. Ihre schulterlangen, braunen Locken waren wild durcheinander, ihr hübsches, etwas längliches Gesicht war rotleuchtend von der Aufregung und dem gewagten Sprung zuvor. Dennoch war ihre Haut sehr blass, vor allem für eine Frau, die in einer Stadt lebte, die sehr von der Sonne verwöhnt wurde. Sie war knapp einen Kopf kleiner als Leon, machte einen sportlichen Eindruck und ihre großen, blaugrünen Augen strahlten in ihrem Gesicht. Neben dem sympathischen Gesicht fiel Leons Blick auch auf ihre üppige Oberweite, was Ramona sofort auffiel.

„Wenn Du Dich sattgesehen hast, können wir ...“, tadelte sie ihn.

„Sorry, ich habe nur Angst, dass Deine Uniformbluse gleich gesprengt wird. Ansonsten tut es mir leid, ich wollte nicht ...“

„Schon okay, solange Du nicht auf die Idee kommst, mich hier anzubaggern. Sonst gibt es Probleme mit mir und meinem Freund.“

Leon lachte kurz auf.

„Erstens hast Du gerade eindrucksvoll bewiesen, dass Du Dich selbst sehr gut zur Wehr setzen kannst. Und zweitens, keine Sorge. Du bist zwar hübsch und scheinst recht sympathisch zu sein, aber ich bin gänzlich uninteressiert, trotz der imposanten Oberweite.“

Ramona sah ihn fragend an und schien falsche Schlüsse zu ziehen.

„Nein, nicht was Du glaubst. Ich bin glücklich verheiratet und für mich gibt es nur meinen Schatz, der leider nicht mit hier sein kann.“

Damit schien Ramona beruhigt zu sein. Sie blickte auf das Quadrat, das größer als ihre Handfläche war, und drehte es mehrmals herum. Als Leon einen kurzen Blick auf die Rückseite erhaschte, riss er die Augenbrauen hoch.

„Warte! Darf ich kurz?“, bat er sie und hielt die Hand auf. Ramona sah ihn skeptisch an, legte ihm dann aber das Quadrat in die Hand. Der Dieb blickte erschrocken auf.

Leon hatte auf der Rückseite eine Gravur erkannt, die er sich genauer ansehen wollte. Seine erste Vermutung war richtig, das eingravierte Symbol war ihm bekannt.

„Dieses Symbol kenne ich. Es ist auf einer Schachtel, die mir mein Vater vererbt hat“, meinte Leon und zeigte ihr die Rückseite des Quadrats. Ramona sah sich das mit Dornen umschlungene Herz genauer an und grübelte nach.

„Mir ist das Zeichen vertraut, aber ich komme nicht darauf, woher.“

„Mir sagt es nichts, aber ich hoffe, hier in Barcelona jemanden zu finden, der sich mit meiner Familiengeschichte etwas auskennt und ...“

„Deine Familiengeschichte?“, fragte Ramona verdutzt nach. Aber noch bevor Leon ihr antworten konnte, kamen einige Polizisten zu ihnen gelaufen. Eine kleine, ältere Frau mit mürrischer Miene und tiefen Falten im Gesicht, stürmte auf sie zu und blieb dicht vor Ramona stehen. Ihre ehemals hellbraunen Haare waren fast vollständig ergraut, aber sie machte alles andere als einen alten Eindruck. Ihre dunklen Augen blickten von Leon zu dem gefesselten Mann und schlussendlich zur annähernd gleich großen Ramona. Sie blickte nochmals zu Leon, musterte ihn genau und schüttelte kurz den Kopf. Dann wandte sie sich an Ramona und schnauzte sie mit energischer Stimme auf Katalanisch an. Leon verstand nur Bruchstücke, da sich die Sprache der Katalanen teilweise gravierend vom Spanischen unterschied.

„Und Sie verstehen mich, stimmt´s? Wie passen Sie in das Bild hier?“, sprach sie ihn plötzlich barsch und in Spanisch an.

„Ich war nur zufällig im selben Raum, als der Bursche das Ding klauen wollte. Mehr ...“

„Reicht schon“, unterbrach sie ihn, „Damit können Sie uns nicht weiterhelfen. Dennoch wird Kollegin Ortuno ihre Daten aufnehmen, falls wir noch Fragen haben.“

Sie wandte sich an Ramona und blickte sie abfällig an.

„Wie oft habe ich Ihnen gesagt, sie sollen ihre wilde Haarpracht zusammenbinden, Frau Ortuno? Wieso sind Sie überhaupt so aufgewühlt, war der kleine Lauf so anstrengend?“, fuhr sie Ramona an und vergaß dabei, in ihre zweite Muttersprache zu wechseln. Ramonas Freundlichkeit war wie weggeblasen, sie war von der Frau vor ihr eingeschüchtert und nickte nur schuldbewusst. Wer auch immer diese Frau war, sie musste eine hohe Position in der Polizeihierarchie haben, war sich Leon sicher.

Die mitgekommenen Polizisten führten den jungen Mann, der immer noch eisern schwieg, ab und auch die strenge Polizistin zog ab und ließ Ramona und Leon alleine stehen.

Ramona wirkte immer noch geknickt, als sie sich zu Leon drehte.

„Du hast Frau Martins gehört, ich benötige noch Deine Personalien.“

„Wer ist diese Frau Martins und warum werden alle in ihre Umgebung ganz klein, wenn sie auftaucht?“, wollte Leon wissen.

„Comissari Jasmina Martins ist eine Art Legende im katalanischen Polizeiwesen. Sie ist eine der besten und härtesten Beamtinnen, einige nennen sie auch den Bluthund der Mossos. Sie gilt als eiskalt und manche ... viele haben Angst vor ihr. Sie hat schon einige Kommissare mit ihren eigenmächtigen Ermittlungen in den Schatten gestellt, aber der Erfolg gibt ihr Recht. Deshalb habe ich mich auch auf ihr Revier versetzen lassen, um von einer der Besten zu lernen. Aber es ist nicht leicht. Noch dazu ist die Stadt zurzeit in einer Art Ausnahmezustand.“