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Bezirksinspektor Thomas J. Kratochwil und seine Kollegin Barbara Gugawitsch erwartet ein ganz besonderer Auftrag. Ein Mann fällt in Wien vom Himmel - ohne Erinnerungen, ohne Identität. Schnell ist klar, dass sie sich in diesem Fall mit ganz anderen Kalibern anlegen. Während der Mann ohne Gedächtnis behauptet, von Außerirdischen entführt worden zu sein, geraten die beiden Bezirksinspektoren zwischen die Fronten internationaler Geheimdienste. Um das Geheimnis hinter dem mysteriösen Mann aus dem Himmel zu klären, muss Thomas Kratochwil zusammen mit seinen Kollegen und Freunden zu Mitteln greifen, die sein Leben völlig verändern werden...
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Seitenzahl: 289
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Alle Handlungen und Personen (mit zwei Ausnahmen) sind frei erfunden, die Schauplätze existieren in der Realität. Sowohl die Kanalisation von Wien wie auch die im Buch erwähnten Untergrundtouren sind tatsächlich möglich. Weitere Informationen zur Kanaltour findet man unter: www.drittemanntour.at
Für mehr Information zum Wiener Untergrund und dem Pärchen Jeremy und Nadine kann ich seine Instagram-Seite unter dem Namen „jerryously“ wärmstens empfehlen.
Ein Quantum Trost
Vor 12 Jahren
Casino Royal
12 Jahre später
Skyfall
17. September
Man lebt nur zweimal
18. September
11:00
11:30
12 Uhr
18. September
19. September
10 Uhr
13:30 Uhr
16 Uhr
18:30
Im Angesicht des Todes
20 Uhr
21:30 Uhr
20. September
16 Uhr
18 Uhr
22 Uhr
Golden Eye
21. September
9 Uhr
11 Uhr
13 Uhr
Moonraker
21. September
Liebesgrüße aus Bratislava
Der Hauch des Todes
22. September
Im Geheimdienst Ihrer Majestät
Leben und Sterben lassen
Zwei Wochen später
Ein kleines Wörterbuch fürs Wienerische
Das abendliche Sommerfest der Parteifreunde rund um Landesgeschäftsführer Michael Steinberger war in vollem Gange. Bei angenehmen Temperaturen verteilten sich mehr als hundert geladene Gäste über den Garten und die Gesellschaftsräume der Villa des schwedischen Botschafters.
In kleinen Gruppen wurde über Politik, Geschäftliches aber auch Privates gesprochen. Kellner gingen umher und sorgten mit Getränken und kleinen Snacks für das leibliche Wohl der Anwesenden.
Michael Steinberger stand bei der Delegation einer schwedischen Investmentfirma und besprach die Pläne, innerhalb der nächsten Jahre lukrative Geschäfte für Wien und seine Partei zu organisieren.
»Selbstverständlich können auf diesem Weg Ihre Mitarbeiter in ganz Österreich arbeiten, ohne, dass Fragen gestellt werden«, versicherte er.
»Das betrifft auch Personen, die eventuell einen anderen beruflichen Hintergrund haben?«
Steinberger lächelte den schwedischen Minister wissend an.
»Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen. Ich werde veranlassen, dass die Aufenthaltsgenehmigungen nicht genauer überprüft werden. Auch der schwedische Nachrichtendienst möchte in Wien vertreten sein und mit Hilfe unserer Partei wird dies unkompliziert und vor allem diskret ablaufen.«
»Es ist schön, solche Freunde zu haben«, meinte der Minister, »Dann hoffen wir, dass Ihre Partei noch lange in der Regierung verbleibt.«
»Dafür werden wir Sorge tragen«, versicherte Steinberger.
Abseits der Gespräche betrat ein Mann im dunklen Anzug das Haus über eine offene Terrassentür. Mit einem vollen Sektglas in der Hand ging er durch den nobel eingerichteten Raum und sah sich die unterschiedlichen Gemälde an der Wand an. Landschaftsmalereien aus Schweden wechselten sich mit Porträts von ehemaligen Monarchen ab.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand auf ihn achtete, verließ er den Raum und ging ein Zimmer weiter.
Dieses diente erkennbar als Bibliothek. Sechs massive Bücherregale aus dunklem Holz beherbergten Bücher in Schwedisch, Deutsch und Englisch. Er warf nur einen kurzen Blick über die Reihen, sein Interesse galt dem Schreibtisch, der vor einem Panoramafenster stand.
Nachdem er auf dem Tisch nur Zeitungen und Werbebroschüren fand, öffnete er die Schubladen.
Das Geräusch einer schweren Tür, die aufgeschoben wurde, ließ ihn aufschrecken. Schnell schloss er die Lade wieder und entfernte sich vom Tisch. Als er nachsah, woher das Geräusch kam, fand er eine junge Frau in der Eingangshalle.
Sie kam aus einer Tür neben dem Treppenaufgang, in ihrer Hand eine geschlossene Weinflasche.
»Hallo. Die Feier findet draußen statt«, sagte sie.
»Für eine Feier ist es zu steif und konservativ«, entgegnete er und musterte die Frau. Sie war nicht viel älter als zwanzig, hatte lange blonde, gewellte Haare und ein auffallend hübsches Gesicht mit leuchtend rot geschminkten Lippen.
Ihre braunen Augen faszinierten ihn, so wie ihr schlanker Körper. Dieser steckte in einem dunkelroten, eng geschnittenen Kleid, welches bis zu ihren Knöcheln reichte.
Es war ärmellos und gewährte einen tiefen Einblick auf ihr üppiges Dekolleté.
Mit einem Schmunzeln im Gesicht nahm die Frau seine Blicke auf ihren Körper wahr.
»Da hast du vollkommen Recht«, stimmte sie ihm zu, »Mein Vorteil ist, dass ich nur als Begleitung hier bin und mich mit meinem neuen Freund hier«, sie hob die Flasche hoch, »trösten und jederzeit abhauen kann.«
Sie kamen sich näher und reichten sich die Hand.
»Hurt, James Hurt. Mitglied der britischen Delegation«, stellte sich der Mann vor.
»Barbara Gugawitsch«, sagte die Frau.
»Gugawitsch, ein interessanter Name. Dein Kleid macht deutlich, dass du nicht zum Personal gehörst.«
»Gut erkannt. Ich bin die Nichte von Michael Steinberger«, erklärte Barbara ihm.
»Michael Steinbergers Nichte? Hat er gar nicht seine Frau mitgebracht?«
»Sie liegt krank daheim. Außerdem möchte mein Onkel wohl, dass ich diese Kreise rund um ihn kennenlerne und mich endlich für die Partei interessiere.«
»Du bist noch so jung und hast viel Zeit, um in einer Partei Karriere zu machen«, meinte James Hurt, während sein Blick von ihrem Gesicht zum Ausschnitt des Abendkleides wanderte und hängen blieb.
»Danke für das Kompliment«, antwortete Barbara, »Aber ich bin schon fünfundzwanzig und lieber im Polizeidienst tätig.«
»Oh, eine Polizistin. Eine Frau mit deinem Aussehen und sicherlich klugem Kopf, die kann in jedem Beruf viel erreichen, auch ganz ohne Onkel.«
James Hurt, der zehn Jahre älter war, deutete auf die Flasche.
»Wolltest du die alleine trinken?«
»Eigentlich war das mein Plan. Ich habe auch allen Grund dazu«, sagte Barbara, während sie den Mann genauer begutachtete. Er war durchtrainiert, jedoch nicht übertrieben muskulös. Sein marineblauer Anzug war maßgeschneidert, seine schwarzen Haare trug er mit einem perfekten Mittelscheitel. Er war glatt rasiert, sein Lächeln gefiel ihr auf Anhieb.
»Das klingt nicht gut«, meinte er, »Etwas Ernsthaftes, dass du hinunterspülen musst?«
»Nur die letzten zehn Monate mit einem Dreckskerl, der sich mein Freund nannte und mich nach Strich und Faden betrogen und belogen hat.«
James Hurt holte ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, öffnete den Korkenzieher und nahm ihr die Flasche ab.
»Das muss ein großer Idiot sein, wenn er so eine außergewöhnliche Frau wie dich betrügt«, meinte James Hurt und zog den Korken aus der Flasche, »Wenn du einen Ort im Haus kennst, wo man ungestört ist, können wir uns diese Flasche teilen. Du kannst gerne über deinen Ex-Freund schimpfen, oder wir finden andere Themen, um dich aufzumuntern.«
Barbara, die bereits eine Flasche geleert hatte und dementsprechend locker war, grinste ihn an.
»Mir würde da etwas einfallen.«
Sie ging vor und über die breite Stiege beim Haupteingang in den ersten Stock. James Hurt sah sich um, vergewisserte sich, dass niemand Notiz von ihnen nahm, und folgte ihr. Im oberen Stock steuerte die junge Frau zielsicher eine der hinteren Türen an.
Als sie diese öffnete und James Hurt hineinblickte, meinte er leicht verwundert: »Das sieht sehr nach einem Gästeschlafzimmer aus.«
»Gut erkannt«, meinte Barbara und zog ihn ins Zimmer, »Hier können wir in aller Ruhe den Wein genießen. Vielleicht fällt mir auch etwas ein, was mich noch besser tröstet.«
Ihr Blick verriet dabei sehr deutlich, wonach ihr der Sinn stand.
»Du bist ziemlich direkt«, stellte James Hurt fest.
»Tja, ich brauche heute Trost, nicht nur mit einer Flasche«, meinte sie keck und schloss die Tür hinter ihm.
James Hurt sah sich im Zimmer um. Das Fenster ging hinaus in den ruhigen Teil des Gartens, das Bett zu seiner Rechten war frisch bezogen und groß genug für etwa vier Personen.
Die Wände waren mit edlem Samt bezogen, hier hingen Gemälde von verschneiten, hügeligen Winterlandschaften.
Als er sich zu Barbara umdrehte, hatte sie bereits ihr Abendkleid ausgezogen und stand mit nichts außer einem kaum erkennbaren String vor ihm.
»Vergiss den Wein, ich weiß, wie du mich trösten kannst.«
13. September
Im schwarzen Smoking, strahlend weißem Hemd und schwarzer Fliege betrat Thomas Kratochwil mit seiner Kollegin Barbara Gugawitsch an der Hand das Casino im niederösterreichischen Baden. Bei der Kassa angekommen hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange.
»Ich gehe davon aus, du zahlst für uns, Honey«, säuselte sie und sah ihn mit großen Augen an.
Thomas strich ihr über die Haare. Bis zu ihren Schultern waren sie tiefschwarz, danach fielen sie in einem dunklen Blau über ihren freien Rücken.
»Natürlich. Du wirst dich später dafür erkenntlich zeigen«, antwortete er, wobei seine Hand zu ihrem Po wanderte und zupackte. Sie schmiegte sich an ihn.
»Das Paar beim Eingang mustert uns«, flüsterte sie ihm dabei zu.
»Das ist nur die Vorhut, drinnen werden noch mehr seiner Leute sein, die jeden unserer Schritte beobachten«, antwortete er leise.
Er bezahlte ihren Eintritt und ging mit Barbara, die ihn nicht losließ und immer wieder verliebt ansah hinein.
»Der Anzug steht dir echt gut«, sagte Barbara.
»Danke«, meinte er, wobei er wenig begeistert klang. Er fühlte sich nicht besonders wohl in der viel zu noblen Aufmachung. Den Anzug hatte er vor wenigen Tagen mit seiner Freundin Elisabeth gekauft. Ihm war das Teil viel zu teuer gewesen, doch seine Freundin hatte darauf bestanden, den Anzug samt Fliege, Hemd und passenden Schuhen zu besorgen. Barbara hatte es bei ihrer Kleidungswahl leichter, das elegante, schwarze Kleid besaß sie schon länger.
Ihr erster Weg führte an die Bar, Thomas bestellte zwei Gläser Sekt, und sie stellten sich abseits, damit niemand ihnen zuhören konnte.
»Auf Staatskosten trinken und spielen, wir haben schon einen tollen Job«, meinte sie und stieß mit Thomas an.
»Sogar diese Einserpanier wird bezahlt«, meinte Thomas und richtete seinen Smoking, »Elisabeth hat es sich nicht nehmen lassen, mich in so ein sauteures Teil zu stecken. Die Rechnung habe ich trotzdem bei uns eingereicht. Wir dürfen jetzt nur nicht übertreiben. Das Geld muss reichen, bis Stanislav mit seinen Männern auftaucht. Unser Treffen sollte in einer Stunde stattfinden.«
»Nicht übertreiben? Wir spielen jetzt seit fast zwei Monaten dieses Spiel des großkotzigen Managers und seiner dummen Geliebten. Heute muss es klappen.«
»Es wird heute zu Ende sein, versprochen«, flüsterte er, kostete den Sekt und verzog im nächsten Moment die Miene.
»Bier wäre mir lieber.«
Barbara, die in ihrer Rolle als seine Freundin Thomas nicht von der Seite wich und ständig Körperkontakt suchte, umarmte ihn und blickte dabei über den Raum.
»Bier ist nicht elegant genug«, meinte sie, trank ihr Glas leer und zog Thomas mit sich.
»Stürzen wir uns auf die Roulette-Tische. Es gibt einige Anwesende, die ganz neugierig auf uns sind«
Wie erwartet, waren schon einige Männer von Stanislav anwesend und ließen sie nicht aus den Augen. Thomas galt bei ihnen als reicher Geschäftsmann, namens Jaroslav, der Stanislav und seinem Drogenkartell neues Kundenklientel anbieten konnte. Er hatte Barbara als seine Freundin vorgestellt. Auch wenn sie nicht begeistert von ihrer Rolle als Dummerchen war, spielte sie diese brav und überzeugend.
Eine halbe Stunde lang versuchte Thomas am Roulette-Tisch sein Glück, mit Einsätzen, nicht unter 100 Euro. Zu seiner eigenen Überraschung gewann er öfter, als er verlor, und erhöhte ihr Spielgeld kontinuierlich. Barbara durfte nur zusehen und sich bei jedem Gewinn übertrieben freuen, während sie die Hände nicht von ihm ließ.
Thomas verteilte erneut seine Jetons über den Tisch, als sich der Spieler neben ihm vorbeugte.
»Nach der Runde sollten Sie auf der Terrasse eine rauchen gehen«, wurde ihm zugeflüstert, dann verschwand der Mann.
Thomas verlor und nahm Barbara an der Hand.
»Komm, ich brauche frische Luft.«
»Natürlich Honey, wie du möchtest«, meinte sie ergeben.
In Wien liegen die Kollegen vor Lachen am Boden, dachte Thomas und blickte auf seine Manschettenknöpfe, die als Mikrofone dienten und alles zu einem Einsatzteam vor dem Casinogebäude, sowie nach Wien übertrugen.
Auf der Terrasse wartete bereits Stanislav. Der Rumäne mit Vollbart und hellem Anzug galt als Kopf eines europaweit agierenden Drogenrings. Im Gegensatz zum Klischee des Drogenbosses war der Mann völlig unauffällig. Kein übertriebener Goldschmuck, keine böse, verschlagene Visage. Selbst sein Tross an Bodyguards blieb unbemerkt im Hintergrund.
Thomas holte zwei Gläser Sekt und stellte sich neben den Mann an die Brüstung.
»Guten Abend Jaroslav«, grüßte ihn der Mann, »Was hast du für mich?«
»Die Zusicherung von mindestens zweihundert Abnehmern, die wiederum auch weiterverkaufen würden.«
»Klingt nicht schlecht.«
»Nicht schlecht?«, Thomas spielte den Beleidigten, »Das kann zu einem Pyramidenspiel werden, ohne absehbares Ende. Da steckt so viel Kohle drinnen, dass wir uns das Casino hier kaufen können.«
Barbara lehnte sich an Thomas.
»Was du für Ideen hast, Honey. Dafür liebe ich diesen Kerl, er denkt immer im großen Stil«, schwärmte sie.
»Du bist jetzt mal ruhig«, befahl Thomas schroff.
Stanislav wartete, bis sich Thomas wieder ihm zuwandte.
»Du hast gesagt, es gibt noch eine Kleinigkeit, die dir Sorgen bereitet«, meinte er.
»Ja. Ich muss wissen, was mit Karl Lichtenfeld passiert ist«, fragte Thomas direkt. Er wusste, dass in Wien gerade alle durchdrehten, weil diese Information als geheim eingestuft war. Aber ihm ging es nicht um die Drogen.
Stanislav zeigte sich unbeeindruckt.
»Sollte mir der Name etwas sagen?«
»Ich habe einen Spitzel bei der Polizei. Lichtenfeld war in meiner Firma tätig und hat von den Geschäften Wind bekommen. Ich weiß, dass er kurz davor war, auszupacken.
Dann ist er von einem Tag auf den anderen verschwunden.«
»Es wird keine Probleme geben.« Stanislav blieb vollkommen ruhig, klang teilnahmslos.
»Es gibt keine Probleme. Ich möchte nur wissen, was mit ihm geschehen ist. Wir sollten kein Risiko eingehen, dann steht unserer goldenen Zukunft nichts im Wege.«
Stanislav sah sich um, niemand war in ihrer Nähe. Nur zwei Pärchen standen auf der Terrasse, die jedoch zu seinen Leuten gehörten.
»Wenn ich dir sage, dass es kein Problem mit dieser Person gibt, reicht dir das?«, sagte Stanislav und machte eine Handbewegung, woraufhin eines der Pärchen verschwand, das andere kam näher.
Thomas seufzte.
»Ich vertraue dir. Ich möchte nur vollkommen sicher sein ...«
»Ich weiß von Lichtenfeld und ich habe mich darum gekümmert. Diese Angelegenheit betrifft nur noch uns beide ... und sie«, sagte Stanislav und deutete auf Barbara.
»Ich habe keine Ahnung von Geschäften«, meinte sie.
»Sie ist hübsch zum Ansehen und gut fürs Bett. Und sie weiß, was sie an mir hat«, sagte Thomas und gab Barbara einen festen Klaps auf ihren Hintern. Sie quittierte es mit einem leisen, lustvollen Aufstöhnen. Niemand bemerkte, wie sie bei dieser Aktion von ihrem Kollegen eine Waffe zugesteckt bekam.
Thomas war in seiner Rolle, dennoch fiel es ihm schwer, ein Grinsen zu unterdrücken.
»Okay, wenn du Bescheid weißt und sicherstellen kannst, dass Karl uns nicht in die Quere kommt ...«, fuhr Thomas fort.
Stanislav beugte sich zu Thomas und lächelte ihn an.
»Glaub mir, das habe ich sichergestellt. Persönlich sogar.«
Barbara gab Thomas einen leichten Stoß.
»Honey, glaub ihm doch. Du hast selbst gesagt, mit Stanislavs Hilfe werden wir ein neues Leben beginnen können.«
»Bleibst du still?!«, fuhr Thomas sie an.
»Aber es stimmt doch. Wenn er sagt, er hat sich persönlich darum gekümmert, dann heißt das doch ...«
»Still!«, befahl Thomas böse.
»Sie ist nicht dumm«, mischte sich Stanislav ein, »Sie hat Recht. Ich habe das Problem persönlich entsorgt. Hast du schon einmal einen Menschen getötet, Jaroslav?«
Thomas schüttelte den Kopf, Barbara zuckte zusammen.
»Ich schon«, sprach Stanislav ruhig weiter, »Das erste Mal ist eine Überwindung, doch mit der Zeit geht es ganz leicht von der Hand. Bei Lichtenfeld war es nicht mehr als eine Fingerübung.«
Thomas spürte, dass Barbaras Hand zu zittern begann.
»Okay, das reicht mir«, sagte er, »Wenn du sagst, du hast ihn selbst erledigt, dann können wir sicher sein, dass uns niemand im Weg steht.«
»Genau, deshalb habe ich ihn selbst erledigt.«
»Ich verstehe«, Thomas wandte sich Barbara zu, »Dann möchte ich dir zum hoffentlich baldigen Beginn unserer Geschäftsbeziehung ein Geschenk machen.«
Er schob Barbara vor und platzierte sie neben Stanislav, der ihn mit großen Augen ansah.
»Als Zeichen meines Vertrauens und zum Dank«, meinte Thomas und machte einen Schritt zurück, »Wie gesagt, du wirst deinen Spaß mit ihr haben.«
»Honey, das meinst du doch nicht ernst?«, empörte sich Barbara, immer noch naiv klingend.
»Bleibt mir nur noch eins zu sagen«, Thomas griff in seine Jackentasche, »Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.«
Stanislav sah ihn immer noch verwundert an, auch als er plötzlich den Lauf einer Waffe neben seinem Ohr spürte.
»Game Over«, meinte Barbara mit eiskalter Stimme.
Aus dem Inneren des Casinos waren Schreie zu hören, als ein Tumult ausbrach. Das Pärchen in ihrer Nähe drehte sich um und wurde im nächsten Moment von drei Personen mit Pistolen in Schach gehalten. Ein Dutzend Cobra-Beamte stiegen über die Brüstung der Terrasse und umkreisten Barbara, Thomas und Stanislav.
»Was ist hier los, Jaroslav?«, fragte Stanislav überrascht.
»Du nennst mich immer Jaroslav. Das solltest du nicht«, sagte Thomas kühl, machte einen Schritt zur Seite und ließ einem Beamten Platz, der dem Mann umgehend Handschellen anlegte.
Barbara überreichte die Waffe einem Kollegen der Spezialeinheit, ihr Beitrag zur Ergreifung des selbsternannten Drogenkönigs war beendet. Sie traten zur Seite und sahen zu, wie Stanislav und seine Männer aus dem Casino gebracht wurden.
Thomas kehrte ins Innere zurück und ließ seine Jetons an der Kassa wechseln. Die eingeschüchterte Dame hinter der Glaswand beruhigte er mit seinem Dienstausweis. Die aufgebrachten Gäste wurden unterdessen zur Beruhigung vom Personal mit Getränken versorgt.
Barbara und Thomas verließen das Casino und setzten sich im angrenzenden Park auf eine Holzbank. Die unauffälligen Kastenwagen der Einsatzkräfte standen vor dem Park aufgereiht, die Männer und Frauen hatten ihre Schutzhelme abgenommen und gratulierten sich zu dem schnellen und reibungslosen Einsatz.
»Alles okay?«, fragte Thomas.
»Alles bestens, Einsatz perfekt erledigt«, antwortete sie. Ihr Grinsen war aufgesetzt und unecht.
»Das meine ich nicht.«
Nach einer kurzen Pause sprach Barbara weiter.
»Die Erwähnung vom ersten Mord ... Da sind Erinnerungen hochgekommen.«
»Wann hast du wieder Therapie?« Thomas wusste, dass seine Kollegin seit ihrem letzten Fall, bei dem sie einen Mann erschoss, mit Problemen zu kämpfen hatte. Bei einem gemeinsamen Abend und nach viel Alkohol hatte sie Thomas gestanden, dass sie ernsthafte Gefühle für ihren damaligen Freund hatte, bis er sich zusammen mit seinem Bruder als Serienmörder herausgestellt hatte.
»Oberst Frimmel hat versprochen, dass er dich noch schonen wird. Es sind erst fünf Monate vergangen. Diese Undercover-Aktion haben wir nur übernommen, weil uns der Mord an Karl Lichtenfeld zugeteilt wurde.«
Aus einer Gruppe von Einsatzkräften kam der Leiter der Spezialeinheit auf sie zugestürmt.
»Was war das, Kratochwil?«, fauchte der Mann Thomas an, »Wir haben gesagt, er muss von sich aus den Namen erwähnen! Wenn dieser Stanislav einen guten Anwalt hat, dreht er uns ...«
»Hören Sie sich den Mitschnitt an, er hat gestanden, oder?«, unterbrach Thomas ihn.
»Das war ein Glücksfall. Es gab eine Einsatzbesprechung, und wie Sie sich erinnern können, habe ich eindeutige Anweisungen gegeben ...«
Thomas sprang auf und baute sich vor dem Mann auf.
»Pudel di net auf, Eierbär, sondern sag lieber Danke!«, schnauzte er ihn an.
»Was?«
»Das heißt, wie bitte! Wir haben unseren Job erledigt, ihr habt euren Drogenkönig. Ich habe von Anfang an gesagt, mir geht es um ein Mordgeständnis und das haben wir bekommen.«
»Sie glauben wohl, ein kleiner Bezirksinspektor wie Sie kann hier groß aufspielen und sich wichtigmachen?!«
Barbara stand auf und stellte sich neben Thomas.
»Darf ich?«, fragte sie ihren Kollegen mit einem verschwörerischen Grinsen.
Thomas machte einen Schritt zur Seite und grinste.
»Bitte, er gehört dir.«
Barbara drehte sich zum Einsatzleiter und blickte ihn mit ernster Miene an.
»So, und jetzt hörst du mir genau zu ...«, sie blickte auf sein Namensschild, »... Buchwald. Wir haben diese Operation übernommen, auf direkten Befehl des Innenministers.
Dieser Innenminister ist rein zufällig mein Onkel.«
Inzwischen liebe ich es, wenn sie damit kommt, dachte Thomas hämisch. Seit Barbara seine Kollegin war, musste er seine allgemeine Abneigung gegenüber Politikern schon öfter überdenken.
»Wenn du deinen Frust loswerden willst, dann sicher nicht bei uns. Ansonsten kann ich jetzt sofort den Innenminister anrufen und dafür sorgen, dass aus dem Einsatzleiter Buchwald ab morgen ein Streifenpolizist in Hintertupfing wird. Haben wir uns verstanden?«
Anscheinend dauerte es einige Sekunden, bis Barbaras Ansprache vollständig bei dem Einsatzleiter angekommen war. Dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und stampfte ins Casino zurück.
»Manchmal bin ich echt stolz auf dich«, kommentierte Thomas ihr Auftreten.
»Nur manchmal?«
»Können wir jetzt fahren? Ich will raus aus diesem Nobelanzug«, meinte Thomas, während er die Fliege von seinem Hals löste.
»Ach ja, ich hoffe, meiner Tante haust nicht so fest auf den Hintern«, fiel Barbara ein.
»Ihr muss ich dabei auch keine Waffe zustecken. Komm jetzt, für heute habe ich genug vom James Bond spielen.«
Pünktlich zu Dienstbeginn um 9 Uhr fanden sich Barbara und Thomas auf ihrer Dienststelle im ersten Wiener Gemeindebezirk ein. Nach dem gemeinsamen Einsatz im Casino, dem zwei Monate Undercover-Arbeit als reicher Geschäftsmann und Betthäschen vorangegangen waren, hatten sie das Wochenende genutzt, um wieder ihrem normalen Leben nachzugehen. Während Barbara einen spontanen Trip nach Salzburg unternommen hatte, über den Thomas nichts Genaueres erfuhr, verbrachte er das Wochenende mit seiner Lebensgefährtin Elisabeth, die gleichzeitig Barbaras Tante war. Neben der Zeit zu zweit wurden Vorbereitungen getroffen, denn der Umzug in ein gemeinsames Haus außerhalb von Wien stand demnächst bevor.
»Kratochwil! Kommen Sie in mein Büro und nehmen Sie Gugawitsch gleich mit«, rief ihnen ihr Vorgesetzter Oberst Frimmel aus seinem Büro zu.
»Und schon ist es vorbei mit der Ruhe«, sagte Thomas und stand auf. Er leerte den Rest seines Kaffees in einem Zug hinunter und marschierte mit seiner Kollegin in das Büro des Vorgesetzten.
Kaum hatte Barbara die Tür geschlossen, warf der Oberst ihnen einen Autoschlüssel zu.
»Ihr beide liebt ja besondere Fälle«, meinte er spöttisch.
»Was kommt denn jetzt?«, fragte Thomas wenig begeistert, »Ein toter Politiker, gibt´s einen neuen Serienmörder, oder womit dürfen wir uns dieses Mal rumschlagen?«
»Aber, aber. Mehr Begeisterung für Ihre Arbeit, Herr Bezirksinspektor. Ich habe da etwas ganz Nettes, nicht einmal ein Toter.«
Skeptisch blickten sich Barbara und Thomas an.
»Sie fahren ins AKH. Im Allgemeinen Krankenhaus liegt eine männliche Person, Identität unbekannt. Bei seiner Einlieferung hat er nur wenig verraten und ich habe soeben erfahren, dass er bei Bewusstsein ist. Nehmen Sie die Aussage auf und kümmern Sie sich darum.«
»Wo ist der Haken?«, wollte Barbara wissen.
Der Oberst grinste sie an.
»Welcher Haken? Sie sollen nur seine Angaben überprüfen, die er dem zuständigen Arzt erzählt hat.«
Es war zu offensichtlich, dass Oberst Frimmel ihnen etwas vorenthielt.
»Das wird sicherlich ein interessanter Fall für Sie«, fuhr der Oberst fort, »Immerhin fällt nicht jeden Tag jemand vom Himmel, der nicht einmal mehr seinen Namen weiß und behauptet, von Außerirdischen entführt worden zu sein.«
»Wie bitte?«, entkam es Barbara und Thomas gleichzeitig.
Thomas übernahm das Steuer, während Barbara auf ihrem Handy die Nachrichtenseiten durchforstete.
»Da ist es. Vor zwei Tagen gab es die Meldung, dass ein Fallschirmspringer verunglückt sei. Er ist auf der Donauinsel aufgekommen und umgehend ins Krankenhaus gebracht worden. Mehr gibt es dazu aber nicht, die Sache wurde von keinem Reporter weiterverfolgt.«
»Irgendein Verein von Fallschirmspringern wird den doch vermissen«, gab Thomas zu bedenken.
»Auf diese Einvernahme bin ich gespannt, vor allem die Sache mit den Außerirdischen.«
»Geh bitte, so ein Schas. Der wird zu heftig auf den Kopf gefallen sein«, brummte Thomas.
Er blickte zu seiner Kollegin und stellte zum wiederholten Male fest, wie sehr sie sich in den letzten Monaten verändert hatte. Ihre ehemals blonden Haare waren nun schwarz mit dunkelblauen Strähnen. Sowohl in ihrem rechten Nasenflügel als auch links über ihrer Lippe trug sie seit kurzem einen Piercingstecker. Er hatte von ihr gelernt, dass ›das Ding über dem Mund‹ neumodisch als ›Monroe labret Piercing‹ bekannt war. Außerdem wusste er von zwei Tätowierungen.
»Du hast mir nicht verraten, wann deine nächste Therapie ...?«, wechselte Thomas das Thema.
»Gestern«, antwortete Barbara, »Mach dir keine Sorgen, Thomas. Ich komme damit zurecht.«
Er blickte sie herausfordernd an.
»Ja, ich weiß, was du sagen willst«, sagte sie kapitulierend, »Beruflich bin ich völlig rehabilitiert, das habe ich schriftlich.«
»Und privat?«
»Du kannst mir jetzt einen Vortrag halten, dass meine äußerlichen Veränderungen ein Zeichen meines inneren Kampfes mit mir selbst darstellt und ich mein altes Ich verabscheue, bla, bla, bla. Das habe ich alles schon in der Therapie gehört. Ja, ich bin im Moment sicherlich nicht beziehungsfähig, aber damit kann ich leben. Meinen Spaß hole ich mir trotzdem. Als Kollegin kannst du mir vertrauen, als Freundin stehe ich dir jederzeit zur Seite, okay?«
Thomas setzte ein Grinsen auf.
»Ist schon gut, Mädel. Ich mache nur meine Pflicht, beauftragt von deiner Tante.«
Das Wiener Allgemeine Krankenhaus, von den Wienern nur AKH genannt, war schon von weitem zu erkennen. Die beiden grünen Quader der Bettenhäuser überragten alle Gebäude in der Umgebung und waren seit Jahrzehnten ein unübersehbarer Fixpunkt des Bezirks. Auf dem Areal befanden sich neben mehreren medizinischen Abteilungen auch viele Forschungseinrichtungen und Lehrgebäude.
Nachdem sie den Wagen direkt beim Haupteingang abgestellt hatten, begaben sich die beiden Bezirksinspektoren zum Portier. Erst nach längerem Suchen konnte ihnen die genaue Station mitgeteilt werden, da Patienten normalerweise mit ihrem Namen im System gespeichert waren. Dafür wusste man im achten Stock des Bettenhauses sofort, wen Barbara und Thomas besuchen wollten.
»Er ist seit gestern Abend wach, kann aber weder Angaben zu seiner Person machen, noch etwas über den Unfallhergang sagen. Jedenfalls nichts, was wir ernst nehmen können«, erklärte ihnen die Stationsschwester.
»Bleibt er bei seiner Erzählung, von Außerirdischen entführt worden zu sein?«, fragte Barbara nach und erntete ein Nicken.
»Er behauptet, man habe an ihm Experimente durchgeführt, was zu seiner Amnesie führte. Aber hören Sie sich das am besten von ihm selber an.«
Neben der Tür zum Krankenzimmer stand nur ›Mr.
NoName‹ auf dem Schild.
»Lassen wir uns überraschen«, meinte Thomas und öffnete die Tür.
Der unbekannte Mann hatte das Zimmer für sich alleine und lag mit einer Tageszeitung in der Hand in seinem Bett. Die hellgelben Wände und das schöne Wetter sorgten für ein angenehmes, helles Ambiente im Zimmer, vom Fenster aus konnte der Patient bis zum Kahlenberg und über die Donau blicken.
Der Mann legte die Zeitung beiseite und richtete sich im Bett auf.
»So früher Besuch? Ich nehme an, Sie sind von der Polizei«, sagte er. Aus seiner Stimme war herauszuhören, dass Deutsch nicht seine Muttersprache war. Der fremdländische Einschlag klang nach osteuropäischer Herkunft. Sein Alter war schwer zu schätzen. Thomas glaubte, einen ungefähr fünfzig Jahre alten Mann vor sich zu haben, der sich sehr gut gehalten hatte. Sein Gesicht zeigte so gut wie keine Falten, seine blonden Haare waren dicht und beinahe schulterlang.
Obwohl er sich die letzten Tage nicht rasiert hatte, war zu erkennen, dass er normalerweise einen Schnauz- und Kinnbart trug. Die grünblauen Augen zeigten keine Müdigkeit, vielmehr sah er sie durchdringend und interessiert an.
»Guten Morgen, Bezirksinspektor Kratochwil«, stellte sich Thomas vor.
»Meine Kollegin, Frau Gugawitsch und ich ...« Thomas verstummte und blickte auf den Mann. Er war mitten in der Bewegung erstarrt, gerade, als er nach einem Becher auf der Ablage neben seinem Bett greifen wollte. Es sah unwirklich aus, als hätte jemand just in diesem Moment die Zeit angehalten. Die Starre dauerte nur einige Sekunden lang.
Thomas wollte gerade etwas sagen, als der Mann seine Bewegung fortsetzte und nach dem Becher griff.
»Alles in Ordnung?«, fragte Barbara verwundert.
»Aber sicher doch, junge Frau«, antwortete der Mann, als wäre nichts gewesen, »Wenn man davon absieht, dass ich nicht einmal meinen Namen kenne und meine einzige Erinnerung aus Dingen besteht, die man mir nicht glauben will.«
»Und woran erinnern Sie sich?«, hakte Thomas nach.
Der Mann setzte sich weiter auf.
»Ich weiß, dass ich auf einem Metalltisch gelegen bin.
Mehrere Lichter sind über mir geschwebt und Wesen mit großen grauen Köpfen haben auf mich herabgesehen. Ich wurde untersucht und mit Nadeln gestochen, die Einstiche sind erwiesenermaßen vorhanden.«
»Wo?«, fragte Barbara.
Der Mann krempelte den linken Ärmel seines Krankenhaushemds hoch. In der Armbeuge war ein blauer Fleck zu sehen. Danach zeigte er ihnen seinen Handrücken, auf dem ein Einstichloch über einer Vene zu erkennen war.
»Die stammen nicht von hier. An meinen Schläfen hatte ich kreisrunde Abdrücke, wie es Saugnäpfe hinterlassen.«
»Und haben Sie dafür eine Erklärung?«, fragte Thomas.
»Nach allem, woran ich mich erinnere, gehe ich davon aus, dass ich von einer außerirdischen Lebensform entführt, untersucht und dann wieder freigelassen wurde.« Der Mann sprach mit einer Überzeugung und Selbstsicherheit, als wäre das, was ihm passiert sein sollte, völlig normal.
»Diese ... Außerirdischen, sahen sie so aus, wie man sie sich gemeinhin vorstellt? Mit kleinem Körper, riesigen schwarzen Augen und großem Hirn?« Barbara bemühte sich, ihre Frage ernsthaft klingen zu lassen.
»Ja, genau so«, bestätigte der Mann ernst.
»Was wissen Sie über Ihren Fallschirmsprung?«, probierte Thomas ein neues Thema.
»Meine einzige Erinnerung ist die kalte Luft, die im Gesicht brannte. Ich kann nicht sagen, ob ich erfahren bin im Umgang mit Fallschirmen.«
Hinter Barbara ging die Tür auf und die Visite kam herein.
Die Bezirksinspektoren erfuhren, dass der Mann noch mindestens zwei Tage zur Kontrolle auf der Station bleiben musste.
Um weiter ermitteln zu können, holten sie sich die Erlaubnis des Mannes, seine persönlichen Gegenstände inklusive des Fallschirms mitzunehmen. Außerdem machte Barbara ein Foto des Mannes, damit sie nach seinem Gesicht in ihren Datenbanken suchen konnte.
»Wenn Sie mir versprechen, meine Entführung ernsthaft zu untersuchen und mich nicht für verrückt halten«, meinte der Mann.
Barbara antwortete, um sicherzugehen, dass Thomas nicht seine ehrliche Meinung kundtat.
»Wir werden uns zuerst mit Ihrem Fallschirmabsturz beschäftigen und in alle Richtungen ermitteln«, sie reichte ihm eine Visitenkarte, »Wenn Ihnen etwas einfällt, melden Sie sich bitte umgehend bei uns.«
Beim Stationsstützpunkt drückte ihnen die Krankenschwester einen weißen Sack mit den Habseligkeiten des Patienten in die Hand und wünschte ihnen viel Glück damit.
»Glauben Sie ihm seine Geschichte?«, fragte sie nach, während sie die Habseligkeiten durchsah. Außer dem Fallschirm hatte der Patient nichts bei sich, seine Taschen waren vollständig leer gewesen.
»Wir müssen zuerst überprüfen, was tatsächlich vorgefallen ist«, meinte Barbara ausweichend.
Direkter wurde Barbara erst, als sie mit Thomas bei ihrem Wagen stand und zusah, wie Thomas rauchte.
»Was von dem allem können wir glauben?«, fragte sie.
»Natürlich alles«, antwortete Thomas voller Sarkasmus, »Wir werden umgehend das FBI anrufen, damit die uns ihre Experten herschicken.«
»Ich nehme an, du meinst Mulder und Scully?«
»Ja, die beiden von Akte X. Der Typ da drinnen hat doch einen Klescher.«
»Aber er ist aus dem Nichts aufgetaucht und im Moment haben wir keinen Anhaltspunkt«, entgegnete Barbara.
»Dann werden wir genau dort ansetzen, beim Fallschirm«, entschied Thomas, »Außer in den nächsten Stunden landet das Raumschiff Enterprise auf dem Stephansplatz.«
Nach einem Telefonat mit seinem Freund Dieter Brehme, der im Bundeskriminalamt in der IT-Abteilung tätig war, beschloss Thomas, ihn zu besuchen, um Hinweise auf die Identität des Mannes zu bekommen und den Fallschirm untersuchen zu lassen.
Sie trafen den jungen Kollegen, der trotz seines Altersunterschiedes von zwanzig Jahren zu Thomas‘ besten Freunden zählte, bei einem Würstelstand, der sich vor dem Gebäude des Bundeskriminalamtes befand.
»Mann eh, was habt ihr angestellt, um so einen Fall zu bekommen? Entführung durch Außerirdische? Sucht ihr jetzt das UFO, aus dem er geworfen wurde?«, scherzte Dieter.
»Der spinnt einfach nur«, war Thomas‘ Meinung.
»Ich kenne einige ernstgemeinte Dokumentationen zu diesem Thema«, entgegnete Dieter, »Wobei eine Frage immer wieder aufgetaucht ist: Wenn uns jemand besucht, ist dessen Technologie unserer weit überlegen. Wozu also uns Menschen studieren?«
»Fängst du jetzt auch mit dem Schas an?«, sagte Thomas verärgert.
»Ich bin schon ruhig. Bratwurst und Kräuterlimo für euch beide?«, fragte Dieter.
»Bei uns heißt die Kräuterlimo Almdudler«, besserte ihn Thomas aus. Obwohl Dieter schon seit mehreren Jahren in Wien lebte, war sein deutscher Akzent deutlich herauszuhören, außerdem hatte er noch lange nicht alle österreichischen Ausdrücke gelernt.
Nachdem sie sich gestärkt hatten, brachte Dieter sie zu einem Kollegen im Haus, der begeisterter Fallschirmspringer war.
»Kommt herein, Dieter hat mich bereits vorgewarnt«, wurden sie begrüßt. Er stellte sich als Robert vor und schon beim ersten Blick in sein Büro wurde deutlich, dass sie an der richtigen Adresse waren. An den Wänden hingen großformatige Fotos von Fallschirmspringern, die in unterschiedlichen Formationen im freien Fall in die Kamera winkten. Daneben hingen Urkunden zum 1000. Sprung und Ehrungen von Sprungwettbewerben. Er nahm den Plastiksack aus dem Krankenhaus entgegen und kramte den zusammengefalteten Fallschirm heraus.
»Ich springe seit über zehn Jahren und es ist immer noch aufs Neue ein unbeschreibliches Gefühl«, schwärmte Robert, »Dieser Kick beim Verlassen des Flugzeugs, der freie Fall und das Schweben über der Erde. Ihr solltet es einfach mal erlebt haben.«
Während Thomas und Dieter gleichzeitig ablehnten, war Barbara hellhörig geworden.
»Kann jemand völlig ohne Vorkenntnis springen?«, wollte sie wissen.
»Naja, theoretisch schon, wenn man von einem Tandemsprung spricht. Die werden für jeden angeboten.
Alleine zu springen verlangt eine Ausbildung sowie Ahnung von der Materie und dem Material.«
Er hob den Rucksack hoch, an dem der geöffnete Fallschirm hing.
»Wer mit sowas springt, hat normalerweise einiges an Erfahrung.«
Da Robert bemerkt hatte, wie interessiert sich Barbara zeigte, wandte er sich ihr zu.
»Wenn du möchtest, nehme ich dich gerne mal mit. Ich habe die Ausbildung und Bescheinigung für Tandemsprünge, für dich mache ich es zu einem Sonderpreis.«
»Das klingt sehr verlockend, ich komme vielleicht darauf zurück«, meinte Barbara.
»Tu das. Der Nervenkitzel dabei ist einfach unbeschreiblich.«
»Aber auch nicht ungefährlich«, meinte Thomas.
Robert lachte auf.
»Statistisch gesehen ist die An- und Abreise zu einem Flugplatz riskanter als ein Sprung aus 4000 Metern Höhe.
Natürlich vorausgesetzt, dass das Material in einwandfreiem Zustand ist. Deshalb kontrolliert jeder selbst seinen Fallschirm und den dazugehörigen Reserveschirm vor dem Sprung. Außerdem gibt es auch noch sogenannte Notfall-Fallschirme, womit wir zu eurem Mitbringsel kommen.«
Robert breitete den Rucksack und den zusammengelegten Fallschirm vor ihnen auf dem Tisch aus.
»Wir haben hier einen Notfallschirm mit Öffnungsautomatik.«
Er hielt eine kleine schwarze Plastikschachtel hoch, an der zwei Kabel befestigt waren. Nachdem er das quaderförmige Plastikteil mehrmals in seiner Hand gedreht und inspiziert hatte, sagte er nickend: »Ich kann euch mit Sicherheit sagen, dieser Schirm hat sich bei zweihundert Metern von selbst geöffnet. Warum, müsst ihr herausfinden. Ich kann nur sagen, der Schirm wurde nicht manuell geöffnet, sondern die Automatik wurde ausgelöst.«
»Ist es vorstellbar, dass unser Mann bewusstlos aus einem Flugzeug geworfen wurde?«, fragte Thomas.
»Oder einem UFO«, fügte Barbara ironisch hinzu.
»In der Theorie, ja. Die Überlebenschance wäre recht hoch, was ja auch der Sinn des Notfallschirms ist.«
Thomas massierte gedankenverloren sein Kinn.
»Stellt sich die Frage, warum sollte ihn jemand aus einem Flugzeug werfen und ihn mit einem solchen Fallschirm eine reelle Chance geben?«
»Er könnte auch im Flug sein Bewusstsein verloren haben«, gab Robert zu bedenken.
»Zu viel Spekulation, wir werden mehr Informationen brauchen«, Thomas drehte sich zu Dieter um, »Hast du Zeit für uns?«
»Für euch doch immer, aber heute Abend treffe ich ...«, er stutzte.
»Was denn, etwa ein romantisches Date?«, fragte Barbara.
»Ja, ob du es glaubst oder nicht. Ich habe ein Date und das will ich nicht absagen müssen«, antwortete Dieter, der aber im nächsten Moment ohne erkennbaren Grund zusammenzuckte.
»Das freut mich für dich«, meinte Barbara ehrlich, »Eine Kollegin, oder woher kennst du sie denn?«
Dieter wurde knallrot, blickte nervös zu Boden.
»Keine Kollegin. Ich habe sie privat kennengelernt, es war ein Zufall ... Also nicht geplant, aber wir wollen es langsam angehen.«