Seelenchaos - Lilly Fröhlich - E-Book

Seelenchaos E-Book

Lilly Fröhlich

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Beschreibung

Transgender? Transidentität? Transsexualität? Das sind Begriffe, mit denen sich Mia Maibaum und ihre Freunde nie auseinander setzen mussten. Als Christina in Mias Klasse kommt, sorgt sie für Wirbel, denn Christina möchte 'Chris' genannt werden und sagt, sie sei ein Junge - ein "Trans*Junge". Davon wollen Chris' Eltern jedoch nichts hören, denn nach drei Söhnen war Chris das lang ersehnte Mädchen. Mias Klassenlehrer, Herr Knabe, holt Fachleute an die Schule, um sich und die Schüler der Klasse 8b über Transidentität aufzuklären. Auch Chris' Freundin René hat ein Problem: Sie hat herausgefunden, dass sie als Baby adoptiert wurde und ist deswegen von zuhause weggelaufen. Warum haben ihre Adoptiveltern das verschwiegen? Und wer sind ihre leiblichen Eltern? Warum gibt es Eltern, die ihre Kinder zur Adoption freigeben? Mia und Emma wollen helfen. Aber reicht das, um Chris Anerkennung als Jungen zu verschaffen und René wieder mit ihren Adoptiveltern zusammenzuführen? Dies ist die überarbeitete, neue Auflage 2020 des siebten Bandes der beliebten Mia-Buchreihe - Aufklärung mit Herz! "Schwere Themen leicht gemacht. Lilly Fröhlich scheut sich nicht davor, in ihren Mia-Büchern vermeintliche Tabu-Themen anzusprechen." (Morgenpost)

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Seitenzahl: 191

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Die Neue

Keine Sorge

Er, sie, es

Zwitter - und kein Regenwurm!

Als ›Normalo‹ bist du ein ›Cis‹

Sportunterricht

Wer braucht schon Schule!

Mit Sicherheit verliebt

Two Spirit - Zweigeist

Das Gespräch

Der Kuss

Marterpfahl

Wo ist Herr Knabe?

Regeln gelten für alle

Du bist doch kein Freak!

Steckbrief:

Name:

Mia Maibaum

Alter:

141/2 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Thomas, Pinguine, Malen

Was ich nicht mag:

Streit, Mobbing

Was ich werden will:

Tierärztin

Steckbrief:

Name:

Thomas Wietmüller

Alter:

14 1/2 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Mia, Fußball

Was ich nicht mag:

Streit, Konkurrenz

Was ich werden will:

Anwalt

Steckbrief:

Name:

Emma Rosenstein

Alter:

14 1/2 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Pippi Langstrumpf

Was ich nicht mag:

Fleisch

Was ich werden will:

Chefin

Steckbrief:

Name:

Chris Ebenholz

Alter:

15 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Mia, Schokolade

Was ich nicht mag:

Mobbing

Was ich werden will:

ein Mann

Steckbrief:

Name:

Linda Hansen

Alter:

40 Jahre

Adresse:

Südafrika

Was ich mag:

Mia, Freiheit

Was ich nicht mag:

Intoleranz

Was ich werden will:

Sozialarbeiterin

Steckbrief:

Name:

Dr. Mike Hansen

Alter:

42 Jahre

Adresse:

Südafrika

Was ich mag:

Familie, Gesundheit

Was ich nicht mag:

Intoleranz

Was ich werden will:

Chirurg

Die Neue

»Mia, du räumst bitte noch den Geschirrspüler aus«, sagt Tom Maibaum zu seiner Tochter.

Mia verdreht die Augen. »Papa, ich habe Ferien und es sind dreißig Grad. Ich schwitze. Mir ist warm. Muss ich das machen?«

Mias Papa bleibt entrüstet stehen. »Glaubst du, ich lebe in einer Kühlblase und halte mich in einer kälteren Atmosphäre auf als du? Ich muss jeden Tag arbeiten. Ich habe keine Ferien. Du kannst ruhig auch mal was im Haushalt machen.«

Mia stöhnt. »Dann mache ich das heute Abend. Jetzt ist es mir zu warm.«

»Heute Abend bist du doch bestimmt wieder mit Thomas verabredet. Dann hast du auch keine Zeit. Außerdem stört mich das dreckige Geschirr in der Küche«, entgegnet Mias Papa genervt. »Mach es bitte jetzt!«

»Ich bin noch ein Kind«, versucht sich Mia weiter herauszureden.

Sophie Maibaum, Mias Stiefmutter, betritt die Küche und lacht leise los. »Ach! Auf einmal bist du mit vierzehn Jahren ein Kind? Na, dann kannst du dich natürlich abends auch nicht mehr bis 21 Uhr verabreden.«

Tom Maibaum zeigt auf seine Frau. »Touché! Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen?« Er wendet sich an Mia. »Bleib ruhig auf dem Sofa liegen und zocke weiter auf deinem Smartphone herum! Du kannst dann heute um halb acht mit Stella ins Bett gehen und wir haben unsere Ruhe.«

»Ich wollte aber ›Supergirl‹ mit angucken«, protestiert Mia.

Tom Maibaum lächelt hinterhältig. »Sorry, Kleines! Aber du kannst nicht auf der einen Seite zu jung sein, um im Haushalt mitzuhelfen und auf der anderen Seite die Vorzüge einer Jugendlichen genießen. DC Comic-Verfilmungen sind nichts für kleine Kinder.«

Mia rollt mit den Augen und erhebt sich schwerfällig vom Sofa. Sie wirft ihr Smartphone in die Kissen und stapft wütend in die Küche. Auf dem Weg dorthin blickt sie sehnsüchtig in den Garten, wo ihre Pinguine mit ihrem Uhu Fritz beim Eulenhaus etwas Schatten suchen. Leise vor sich hinschimpfend räumt sie den Geschirrspüler aus, als plötzlich das Telefon klingelt.

»Ich gehe schon«, ruft Mias Papa. »Linda?«

Mia hält inne und spitzt die Ohren.

Ihre Mutter ruft selten an, wobei sie sich seit ihrem kurzzeitigen Aufenthalt in Bärenklau im letzten Schuljahr schon gebessert hat. Früher, als Mias Eltern sich getrennt hatten und ihre Mutter nach Südafrika abgehauen war, hatte sie sich - abgesehen von zwei Postkarten in sechs Jahren - nicht ein einziges Mal gemeldet.

Mias Papa legt den Telefonhörer auf und fängt an zu schimpfen.

Neugierig geht Mia ins Wohnzimmer.

Dort springt ihr Vater herum wie Rumpelstilzchen.

»Papa! Was ist passiert?«, fragt Mia verwundert.

»Tom! Was ist los?«, will auch Sophie wissen.

»Aaaaaaaaah!«, schreit Tom Maibaum und springt weiter auf und nieder. Schließlich hält er inne. »Ich gehe joggen.«

Mia und Sophie verdrehen die Augen.

Mias Papa geht immer Joggen, wenn es Probleme gibt.

Sophie hält ihren Mann am Arm fest. »Nun erzähl doch bitte erst einmal, was Linda wollte! Danach kannst du immer noch loslaufen.«

Tom Maibaum knurrt wie ein wütender Wolf. »Habe ich erwähnt, dass ich sie hasse?« Er reißt sich von Sophie los und rennt aus dem Wohnzimmer. »Gebt mir eine halbe Stunde. Ich laufe nur eben durch den Wald und komme dann wieder. Dann teile ich euch mit, was Mias Mutter für Hiobsbotschaften übermittelt hat. Unfassbar!«

Mia zuckt mit den Schultern und geht zurück in die Küche, um ihren Küchendienst zu beenden.

Nach einer halben Stunde kommt ihr Vater abgekämpft vom Joggen zurück.

»So«, sagt Sophie mit strenger Miene, »die Dusche muss warten. Du hast uns lange genug auf die Folter gespannt.

Was wollte Linda von dir?«

Mias Papa wischt sich den Schweiß mit einem Handtuch ab. Dann lässt er sich auf einen Stuhl fallen. »Sie hat geheiratet.«

Mia rümpft die Nase. »Und das regt dich so auf, dass du joggen gehen musst? Liebst du sie etwa noch?«

Sophie zieht die Augenbrauen hoch. »Das interessiert mich jetzt aber auch.«

Mias Papa seufzt kopfschüttelnd. »Nein. Ich liebe sie schon lange nicht mehr. Ein Teil von mir vielleicht noch, aber auch nur, weil sie mir so eine großartige Tochter geschenkt hat…«

Mia lächelt.

»Was ist es dann?«, hakt Sophie ungeduldig nach.

»Ihr neuer Mann ist zeugungsunfähig und er möchte, dass Linda Mia nach Südafrika holt. Sie wollen auf heile Familie machen. Darum hat dieser Mike«, Mias Papa spuckt den Namen förmlich aus, »über einen Anwalt das Sorgerecht für Mia eingefordert. Er will sie ›adoptieren‹.«

Es ist mucksmäuschenstill im Wohnzimmer.

Lediglich das Ticken der Wanduhr unterbricht die Stille.

In Mias Kopf wirbeln eine Million Gedanken herum und nicht alle sind gut. »Was? Spinnt der?«

Tom Maibaum schneidet eine Grimasse und hebt die Hände. »Jetzt wisst ihr, warum ich joggen war.«

»Das hättest du uns lieber vorher sagen sollen, dann wären wir mitgelaufen«, schimpft Mia.

»So etwas kommt überhaupt nicht infrage«, schimpft Sophie los. »Was soll Mia in Afrika?«

»Hallo! Fragt mich auch mal jemand?«, platzt Mia heraus.

Ihre Eltern blicken sie fragend an.

»Sag was!«, fordert Mias Papa seine Tochter auf.

»Schnell!«

Mia räuspert sich. »Es ist mir total egal, ob meine Mutter noch einmal geheiratet hat. Und dieser Mike kann mich mal! Nur weil er eine Familie will, werde ich ganz bestimmt nicht nach Südafrika ziehen. Und adoptieren wird er mich schon gar nicht. Niemals! Daraus wird nichts.«

»Das sehe ich genauso«, sagt Mias Papa mit einer schiefen Grimasse. »Höchstens für einen Urlaub.«

Mia wirft ihm einen finsteren Blick zu. »Ich gehe nicht nach Südafrika!« Sie macht auf dem Absatz kehrt und stürmt aus dem Haus.

Sie weiß zwar, dass ihr Freund Thomas heute gar keine Zeit hat, aber sie muss trotzdem kurz mit ihm reden.

***

»Mia! Was machst du denn hier?«, ruft Hans Wietmüller, Thomas’ Vater, erstaunt. »Ist was passiert? Du siehst aus, als wenn dir ein Gespenst begegnet ist.«

»Hallo Hans, ja, mir ist der Geist der Adoption begegnet. Ist Thomas da?«, fragt Mia schüchtern.

Thomas’ Vater zeigt auf eine Tür. »Thomas sortiert gerade für mich ein paar Akten ein. Dann habe ich endlich wieder Ordnung in meinem Archiv.«

Mia zögert. »Darf ich ihn trotzdem kurz sprechen?«

»Geh ruhig hinein! Er wird sich über die kurze Ablenkung freuen«, sagt Thomas’ Vater freundlich. »Und wenn du einen Rat brauchst, sprich mich an! Wozu hat man einen Anwalt in der Familie!«

Mia dankt ihm und betritt das Archiv der Anwaltskanzlei.

»Hi!«, ruft Thomas überrascht, als er seine Freundin sieht. Mia lächelt gequält, dann fliegt sie ihm in die Arme und bricht in Tränen aus.

Bestürzt streichelt Thomas über ihren Rücken. »Du meine Güte, was ist passiert? Bist du etwa schwanger?«

Nach wenigen Minuten hat sich Mia beruhigt. Schniefend löst sie sich aus der Umarmung. »Nein. Ich bin nicht schwanger. Es ist viel schlimmer.«

»Oh Gott, schlimmer? Bist du krank?« Thomas wird leichenblass.

Mia schüttelt den Kopf. »Meine Mutter hat geheiratet.«

»Okay! Und das ist ein Problem? Dein Vater hat doch auch Sophie geheiratet«, sagt Thomas verwirrt.

Mia nickt. »Mike, so heißt ihr neuer Mann, will eine Familie haben. Weil er aber selbst keine Kinder zeugen kann, hat er einen Anwalt beauftragt, das Sorgerecht für mich zu bekommen. Er will mich adoptieren!«

Thomas runzelt die Stirn. Dann zieht er Mia wieder in seine Arme. »Ich lasse es nicht zu, dass du nach Afrika gehst. Niemals!«

Mia lacht leise. »Das habe ich auch schon gesagt.«

Thomas drückt Mia fest an sich. »Ich will nicht, dass du so weit weg gehst. Es würde mir das Herz brechen.«

Mia wischt sich die Tränen ab. »Mir auch. Ich liebe dich bis zum Mond und wieder zurück.«

»Und ich liebe dich bis zum Planeten Daxam und wieder zurück«, feixt Thomas, den Mia mit ihrer Vorliebe für die Actionserie ›Supergirl‹ angesteckt hat.

»Wir werden dafür kämpfen, dass du hier bei mir in Bärenklau bleiben kannst. Das verspreche ich dir hoch und heilig«, sagt Thomas entschlossen.

Mia drückt ihren Freund noch ein letztes Mal, dann verabschiedet sie sich.

***

»Niemals«, ruft Emma Rosenstein einmal durch das ganze Gewächshaus. Sie wirft ihre rotbraunen Pippi-Langstrumpf-Zöpfe über die Schulter und springt aus einem ihrer vier Hängesessel, die sie in ihrer eigenen kleinen Oase in der Baumschule ihres Vaters aufgestellt hat. Voller Empörung stapft sie zur Saftbar und mixt schnell zwei Fruchtcocktails für sich und ihre beste Freundin und Klassenkameradin Mia.

»Was bildet sich der Typ eigentlich ein? Und warum macht deine Mutter das mit?«

Mia zuckt mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Ich kenne ihn ja nicht einmal.«

»Und er dich auch nicht. Ich meine, er beantragt einfach mal eben so das Sorgerecht, ohne zu wissen, wer du eigentlich bist.« Emma schüttelt den Kopf. »Tss! Und dann will er dich auch noch adoptieren! Unfassbar!«

»Ich rieche Probleme«, sagt Oma Kassy. Sie steckt ihren grauhaarigen Kopf durch die Tür der Oase und schnüffelt.

Emma grinst. »Komm rein, Oma! Deine Nase ist einfach die Beste!«

Oma Kassy schiebt ihre Brille zurück auf die Nase und wirft ihre grauen Pippi-Langstrumpf-Zöpfe demonstrativ auf den Rücken. »Na, dann schießt mal los! Was erhitzt eure Gemüter?«

Emma zeigt auf Mia. »Mia soll nach Südafrika auswandern.«

Entsetzt blickt Oma Kassy zur Freundin ihrer einzigen Enkeltochter. »Was? Warum das denn? Das kommt überhaupt nicht infrage! Wir brauchen dich hier!« Sie schwingt sich in einen Hängesessel und rubbelt sich über die Stirn. »Will dein Vater nun etwa auch nach Afrika auswandern?«

Mia schüttelt den Kopf. »Der doch nicht! Der hasst den Kontinent, seitdem Mama dorthin abgehauen ist.«

Oma Kassy rümpft die Nase. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Du bist vierzehn. Das ist kein Alter, um alleine den Kontinent zu wechseln.«

Mia lacht leise. »Das würde ich auch niemals tun. Ich will hier gar nicht weg. Aber meine Mutter hat neu geheiratet und ihr Mann Mike«, Mia legt so viel Antipathie in das Wort wie möglich, »hat über einen Anwalt das Sorgerecht für mich beantragt.«

»Der Typ geht sogar noch einen Schritt weiter, Oma! Er will Mia adoptieren!«, wirft Emma erbost ein.

»Spinnt der? Der soll gefälligst selbst Kinder machen!

Faules Stück!«, entrüstet sich Oma Kassy.

Mia und Emma kichern leise.

Dann wird Mia wieder ernst. »Meine Mutter hat meinem Vater am Telefon erzählt, dass ihr neuer Mann keine Kinder zeugen kann. Und weil er eine Familie will, hat er beschlossen, mich zu sich nach Südafrika zu holen.«

Oma Kassy hustet. »Boah, das ist ja ein starkes Stück!

Das solltest du dir aber nicht gefallen lassen!«

»Was kann sie denn dagegen tun, Oma?«, fragt Emma verzweifelt. Normalerweise hat sie immer eine Lösung, aber heute fällt ihr nichts ein.

Grübelnd rutscht Oma Kassy tiefer in den Hängesessel. Schließlich erhellt sich ihr faltiges Gesicht. »Kinder, ich hab’s! Das ist die Idee!«

Emma und Mia sind gespannt wie die Flitzebögen.

»Nun sag schon, Oma! Raus mit der Sprache!«, drängt Emma nervös. Sie hat bereits den ersten Fingernagel abgekaut. Sie kann es auf gar keinen Fall zulassen, dass ihre beste Freundin wegzieht.

»Sophie ist doch die Ehefrau von deinem Papa…«, beginnt Oma Kassy.

Mia nickt. »Ja. Und?«

»Sie könnte dich doch adoptieren. Dann kann der Mann deiner Mutter auf und niederspringen so viel er will, er wird das Sorgerecht nicht mehr bekommen können.«

Mia lächelt über das ganze Gesicht. »Super Idee! Das werde ich meinen Eltern gleich heute noch vorschlagen.«

***

»Guten Morgen, liebe Schülerinnen und Schüler«, begrüßt Herr Knabe seine Klasse schwungvoll. Er wirft seine alte Ledertasche auf das Pult und springt hinterher. »Alle frisch und munter aus den Ferien zurückgekehrt?« Er blickt sich um. »Oder fehlt jemand?«

»Nein. Alle sind da, Herr Knabe«, sagt Nils Sanders.

Seine Zwillingsschwester Amelie nickt bestätigend. »Alle gesund und munter.«

»Prima! Wir kriegen nämlich gleich noch eine neue Schülerin. Frau Hafer wird sie jeden Augenblick vorbeibringen.« Kaum hat er die Schülerin angekündigt, als es an der Klassenzimmertür klopft.

»Herein!«, ruft Herr Knabe fröhlich.

»Warum ist er so gut gelaunt?«, wispert Boris Brotmayer seinem Tischnachbarn, Lennard Bayer, zu.

Lennard zuckt mit den Schultern.

»Das habe ich gehört, Jungs!«, sagt Herr Knabe leise lachend. »Und ich werde euch mein Geheimnis gleich anvertrauen.«

»Jetzt!«, fordert Linda Kamm neugierig ein.

Herr Knabe hebt eine Hand, legt sich einen Finger an die Lippen und geht zur Tür. »Hereinspaziert, junge Dame!«

Mia sitzt so, dass sie einen hervorragenden Blick auf den Neuzugang hat. Sie sieht, wie das Mädchen kaum merklich zusammenzuckt, als Herr Knabe sie begrüßt.

»Das soll ein Mädchen sein? Sie sieht eher aus wie ein Junge«, bemerkt Emma leise.

Mia nickt.

Das ist ihr auch gleich aufgefallen.

Erleichtert atmet sie auf. Sie hätte auch keine Lust auf Konkurrenz gehabt. Es ist zwar nicht so, dass sie Angst um ihren Freund hat, aber sie ist ganz froh, dass sie nun schon seit einem Jahr mit ihm zusammen ist. Und sie ist absolut glücklich verliebt. Da braucht sie überhaupt kein hübsches Mädchen, welches ihr die Show stiehlt.

Das Mädchen mit den braunen Struwwelkopf und den blauen Augen betritt schüchtern das Klassenzimmer.

Frau Hafer, die Schulleiterin, winkt kurz in die Klasse und verabschiedet sich dann.

Herr Knabe führt das Mädchen zur Tafel. »Das, liebe Klasse, ist Christina Ebenholz. Sie ist gerade erst aus Berlin hierhergezogen. Christina hat noch drei große Brüder.« Herr Knabe blickt sich suchend im Klassenzimmer um.

Dann winkt er Michael zu. »Michael, bitte setze dich zu Nils! Christina, du setzt dich bitte zu Mia! Das hübsche blonde Mädchen in der ersten Reihe«, fügt Herr Knabe hinzu und zwinkert Mia zu.

»Ohoo! Herr Knabe, sie wollen wohl Ärger mit Thomas riskieren, was?«, ruft Lennard verschmitzt.

»Was? Nee, wieso?«, entgegnet der Lehrer perplex.

»›Das hübsche blonde Mädchen in der ersten Reihe‹«, wiederholt Boris und wackelt mit den Augenbrauen. »Deshalb bekommt Mia wohl immer so gute Noten, was?

Das ist gar kein Fleiß. Das sind reine Sympathiepunkte.«

Herr Knabe stöhnt. »Jungs!« Er hebt entschuldigend die Arme. »Verzeiht! So war das nicht gemeint.« Er dreht sich zur neuen Schülerin um. »Christina, setz dich bitte zu Mia!«

Mia, die den Neuzugang die ganze Zeit über beobachtet hat, legt den Kopf schief. Jedes Mal, wenn Herr Knabe ihren Namen ausgesprochen hat, ist sie zusammengezuckt.

So cool wie möglich schlurft Christina durch das Klassenzimmer. Dabei bewegt sie sich alles andere als damenhaft.

»Christinas Eltern sind Chocolatiers«, schwärmt Herr Knabe. »Und ich darf sagen, sie stehen nicht umsonst auf der Liste der zehn besten Schokoladenhersteller der Welt.«

»Was?«, ruft Emma begeistert. »Die besten der Welt? Da gibt es eine Liste? Gott, die muss ich haben. Herr Knabe, reden Sie bitte nicht weiter von Schokolade! Ich liiiiebe das Zeug!« Sie schleckt sich über den Mund.

Matthew Jones, ihr Freund, mit dem sie nun auch schon fast ein Jahr zusammen ist, zwinkert ihr zu. »Dann habe ich ja gleich schon ein Geschenk für dich.«

Emma wirft ihm einen Luftkuss zu. »Du bist immer mein Held! Ob mit oder ohne Schokolade.«

Nils, der nun schon seit zwei Jahren unglücklich in Emma verliebt ist, schneidet eine Grimasse. »Könnt ihr euer Geplänkel nicht für später aufheben?«

»Was für Schokolade stellen Christinas Eltern denn her?«, fragt Linda neugierig.

Christina verzieht das Gesicht. Zögernd hebt sie einen Arm.

»Ja, Christina? Du willst selbst antworten?«, fragt Herr Knabe gut gelaunt.

Das Mädchen nickt. »Ich antworte gerne. Aber bitte nennen Sie mich nicht ›Christina‹. Ich hasse diesen Namen.

Ich bin Chris.«

Erstaunt hebt Herr Knabe beide Augenbrauen.

Schließlich nickt er. »In Ordnung, Chris. Dann verrate mal, welche Schokolade deine Eltern herstellen.«

Chris räuspert sich, während sie ihre Tasche neben Mia abstellt und Platz nimmt. »Die Firma meiner Eltern heißt ›Chocolat de la Lune‹. Sie hatten ihre Firma in Berlin. Aber da mein Vater eine größere Produktionsstätte brauchte, hat er hier eine alte Industriehalle gekauft. Nächste Woche nimmt er dort seine Arbeit auf. Er ist ein Chocolatier und meine Mutter eine Konfiseur. Sie ist gelernte Konditorin, stellt aber Pralinen her.«

»›Schokolade vom Mond‹«, übersetzt Emma, die Französisch als zweite Fremdsprache hat, den Firmennamen der Schokoladenfabrik. »Das klingt magisch!«, fügt sie hinzu und verdreht schwärmerisch die Augen.

»Ja, das hört sich nach verdammt guter Schokolade an«, wirft auch Mia ein.

Emma fällt fast in Ohnmacht. Sie lässt sich gegen Mias Schulter plumpsen und seufzt. »Gott, klingt das lecker! Können wir bitte, bitte eine Führung mit Kostprobe durch die Schokoladenfabrik bekommen?«

Chris lächelt zum ersten Mal. »Das lässt sich bestimmt einrichten.«

»Gut, wenn wir das geklärt haben, können wir uns ja nun unserem Stundenplan widmen. Ihr seid ja schon in der achten Klasse… Mann, Mann, Mann! Wie die Zeit vergeht. Bald seid ihr Abiturienten und ich ein alter Opa«, seufzt Herr Knabe.

»Haben Sie denn noch immer keinen Nachwuchs geplant,

Herr Knabe?«, ruft Boris.

»Es kann ja nicht jeder so früh anfangen wie du«, sagt Linda schnippisch.

Boris zwinkert ihr zu. »Kunststück! Aber meine Tochter ist mit ihren fünf Monaten das süßeste Kind der ganzen Welt.«

Die Schüler kichern leise.

»Nun verraten Sie uns endlich den Grund Ihrer guten Laune«, fordert Amelie den Klassenlehrer auf.

Herr Knabe grinst bis über beide Ohren.

»Es muss wirklich verdammt gut sein«, murmelt Hannes Steinmeier.

»Stimmt! Herr Knabe sieht aus wie ein Honigkuchenpferd«, kichert Linda hinter vorgehaltener Hand.

»Meine Freundin und ich…«

»Sie haben eine Freundin?«, wird der Lehrer von Lennard unterbrochen.

»Das haben Sie aber bisher gut vor uns geheimgehalten«, sagt Amelie vorwurfsvoll.

»Quatsch! Herr Knabe hat sich doch schon auf der Abschlussparty vor den Ferien verraten«, winkt Emma ab.

Herr Knabe lächelt. »Nun ja, damit geht man als Lehrer ja nicht hausieren.« Er schluckt. »Auf jeden Fall bekommen wir ein Baby.«

Es ist mucksmäuschenstill im Klassenzimmer.

Herr Knabe blickt seine Schüler an, als erwartete er einen Riesenapplaus.

Boris pfeift leise durch die Zähne. »Dann waren Sie nach der Abschlussfeier wohl doch noch in Feierlaune, was?«

»Ist das Ihre Überraschung?«, fragt Lennard entgeistert.

»Also, nachdem wir im letzten Schuljahr diese nervigen Baby-Dummys hier hatten, steht mir gar nicht mehr der Sinn nach Babys«, gesteht Linda.

Lennard grinst sie an und hebt den Daumen.

Boris grunzt. »Nun stellt euch mal alle nicht so an, ja!«

»Du, Boris, hast das Geschrei ja jeden Tag zuhause. Wie kannst du Herrn Knabe dann auch noch unterstützen? Babys sind schrecklich. Was ist mit deiner Tochter? Schreit sie immer noch so viel wie am Anfang?«, wirft Hannes ein.

»Nö. Lina ist sooo süß! Und jedes Mal, wenn sie mich ansieht, lächelt sie«, verrät der sonst so vorlaute Boris ganz stolz.

»Ein stolzer Papa? Wie eklig!« Hannes verzieht das Gesicht.

»Hannes, halt die Klappe«, wirft Emma ihm an den Kopf.

»Endlich ist Boris zur Vernunft gekommen und akzeptiert seine Vaterrolle. Nun mach ihm das bloß nicht wieder madig!«

»Das finde ich auch. Ich freue mich besonders darüber, dass du dich mit Bella zusammengerauft hast, Boris, und ihr eure Tochter nun gemeinsam großzieht«, sagt Herr Knabe.

»Aber wir sind nicht zusammen«, betont Boris. »Wir leben nur in einem Haus. Bella wird mir zu schnell schwanger. Das will ich kein zweites Mal erleben. Ich bin schließlich erst vierzehneinhalb.«

»Herzlichen Glückwunsch, Herr Knabe«, sagt Mia zu ihrem Klassenlehrer. »Ich freue mich für Sie. Offenbar ist das sehr wichtig für Ihr Seelenheil.«

Herr Knabe nickt seufzend. »Wir haben schon darüber nachgedacht, ein Kind zu adoptieren, weil es einfach nicht klappen wollte. Ich hatte als Kind Mumps und da war die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich zeugungsunfähig bin.«

»Sind Sie sicher, dass das Kind von Ihnen ist?«, platzt Lennard heraus und lacht gehässig.

Herr Knabe schneidet eine Grimasse. »Ja, danke, Lennard. Das bin ich. Ich habe mich testen lassen.« Er holt ein Buch aus seiner Tasche. »So, und nun wollen wir uns eurem Stundenplan widmen. Holt bitte eure Hefte heraus und schreibt mit!«

Die Schüler stöhnen.

»Muss das sein?«

»Kein Bock!«

»Immer das blöde Schreiben!«

»Ihr seid doch schon groß, da könnt ihr auch mal ein bisschen schreiben. Seit froh, wenn ihr nur den Stundenplan abschreiben müsst«, sagt Herr Knabe grinsend und schaltet den Computer an, um den Stundenplan an die computergesteuerte, weiße Tafel zu werfen.

»Ach, und weil Sie schon besonders groß sind, nutzen Sie die Whiteboard statt die Kreidetafel?«, grunzt Lennard.

»Genau«, erwidert Herr Knabe und zwinkert seinem Schüler lässig zu.

Keine Sorge

Zaghaft klopft Mia an die Tür.

»Herein!«

Mia und Emma betreten das Büro.

Es ist das Arbeitszimmer von Lisa Sorgenfrei vom Jugendamt. Die Schränke sind in schlichtem Weiß gehalten, in denen sich jede Menge farbige Aktenordner tummeln. Auf der Fensterbank stehen ein paar Pflanzen. Die junge Mitarbeiterin vom Jugendamt sitzt am Schreibtisch vor ihrem Computer und blickt ihrem Besuch neugierig entgegen.

»Hallo Mädels! Was habt ihr denn auf dem Herzen?« Sie deutet auf die zwei Stühle vor dem Schreibtisch. »Habt ihr Sorgen?«

Mia nickt.

Schüchtern setzt sie sich hin, Emma nimmt neben ihr Platz.

»Wir haben da mal eine Frage…«

»Nur zu!« Aufmunternd lächelt Lisa Sorgenfrei die beiden Mädchen an. »Was immer es ist, ich werde mich bemühen, euch zu helfen.«

Mia atmet einmal tief ein, dann erzählt sie vom Anruf ihrer Mutter. »Als ich in der ersten Klasse war, ist meine Mutter mit einem anderen Mann durchgebrannt. Seitdem habe ich sie nur ein einziges Mal gesehen. Letzten Sommer. Da kam sie mich besuchen. Ansonsten meldet sie sich so gut wie nie. Sie arbeitet in einer Klinik in Südafrika.«

»Und nun möchte sie, dass du zu ihr nach Südafrika ziehst?«, hakt Lisa Sorgenfrei nach.

Mia grunzt. »Ob sie das will, weiß ich gar nicht. Aber ihr neuer Mann Mike«, sie spuckt den Namen verächtlich aus, »hat einen Anwalt beauftragt, das Sorgerecht für mich zu erkämpfen. Er will mich sogar adoptieren.«

Lisa Sorgenfrei runzelt die Stirn. »Und wie lautet nun deine Frage an mich?«