Seemannsgarn - Blomberg Hendrik - E-Book

Seemannsgarn E-Book

Blomberg Hendrik

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Beschreibung

Verrückte Seglergeschichten, ersonnen in dunklen Nächten auf hoher See. Wahr oder doch nur Seemannsgarn? Ungewöhnliche und spannende Geschichten über ... die wundersame Rettung durch die verführerische Unbekannte in der Ägäis, ... die Sammlung außergewöhnlicher Leuchttürme der Leuchtturmwärterin, ... den letzten Coup eines Tresorknackers, ... und eine Geschichte über die Süße der Rache

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Hendrik Blomberg

Seemannsgarn

R. I. P.

Einige Menschen glauben, ich sei wahnsinnig, aber noch ist die Frage nicht gelöst, ob Wahnsinn nicht der höchste Grad von Intelligenz ist, und ob so manche außergewöhnliche Tat nicht einer Art Sprunghaftigkeit des menschlichem Denkvermögens entspringt, das plötzlich aufflammen und auf Kosten des Verstandes gehen kann. Einer solch erschütternden und zugleich erhabenen Tat habe ich mich hingegeben.

Unser Schiff war eine schöne, dunkelblau lackierte Segelyacht, eine Ketsch von 20 Metern, mit über 180 qm in der Sonne glänzender Segelfläche und mit einem Deck aus malerischem Teakholz. Es hatte mich gereizt, einen Mitsegeltörn auf einer klassischen Yacht aus den 50er Jahren zu buchen.

Bei schwachem Wind liefen wir von Athen aus in See und segelten ein paar Tage unter blauem Himmel und mit schwachem Nordwind die kykladischen Inseln entlang hinunter nach Milos, und der einzige Zwischenfall auf unserer eintönigen Fahrt war das gelegentliche Zusammentreffen mit Delphinen, die uns längsseits begleiteten.

Es gibt Menschen, von denen ich gern ausführlich erzähle. Unser Skipper – lasst mich ihn nur bei diesem Namen nennen, ihn, der von allen immer nur als Skipper angeredet wurde – er ist für mich ein solcher Mensch. Sein sonnenverbranntes Gesicht war mehr als zur Hälfte von einem mächtigen Schnurr- und Backenbart verdeckt. Ein großer, starker, muskulös aussehender Mann, etwa an die 60 Jahre, mit einem Ausdruck herausfordernder Tollkühnheit in seinen Zügen, obgleich es Augenblicke gab, in denen seine Gestalt bemitleidenswert wurde und meine Feststellung Lügen strafte. Die durchtrainierte Ebenmäßigkeit seines Körpers deutete mehr auf schnell bereites Handeln und Reagieren hin, als auf seine schier übermenschliche Kraft, von der man sich an Bord erzählte, dass er sie bei gefährlicheren Gelegenheiten gezeigt hatte. Er hatte einen Mund mit schmalen Lippen und sehr seltsam feurige, feuchte Augen – Dennoch gehörte sein Gesicht zu jenen, das man kaum einmal im Leben gesehen hat, und das man nie mehr wiederfindet.

Es waren seine Augen. Stier-Augen, Glubsch-Augen, die schrecklich weit auseinander stehend sein Gesicht in eine angsteinflössende Hexenmaske der alemannischen Fastnacht verzerrten. Zu Beginn, als ich ihn sah, war ich erschrocken; dann eine Zeitlang auf seltsame Weise fasziniert - aber schließlich empfand ich seine Augen mehr und mehr abstoßend, was auch damit zu tun hatte, dass er sich in den ersten Tagen von Stunde zu Stunde durch Äußerungen und Kommandos als ein unsympathischer und persönlich rücksichtsloser Mensch entpuppte.

Sein Wesen war abwechselnd lebhaft und mürrisch. Seine Stimme flammte plötzlich bei Segelmanövern auf zu heftiger Entschiedenheit – wurde schroff und nachdrücklich – dann, bei Zurechtweisungen und auch Beleidigungen, dumpf, bleiern einfältig – wurde zu sonderbar modulierten Kehllauten der ungeheuren Aufregung eines sinnlos Betrunkenen oder eines apathischen Drogenabhängigen.

Nervös, schrecklich nervös wurde ich, wenn er mich ansah und bin ich noch; Ja, seine Augen müssen es gewesen sein! Sie glichen denen eines Geiers - wenn sein Blick auf mich fiel, war es mir stets, als gerinne das Blut in meinen Adern.

Ich war schon immer ein rational denkender Mensch, der sich ausschließlich durch Fakten und nachvollziehbare Erkenntnisse leiten ließ. Wie könnte ich also wahnsinnig sein? Lesen Sie nur, wie vernünftig und ruhig ich ihnen die ganze Geschichte erzählen werde. Ich kann nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, wie mir zuerst der Gedanke kam, mich zu rächen - doch als er einmal gekommen, beschäftigte er mich ununterbrochen. Mich trieb kein Hass, ich hatte den alten Skipper auch nicht lieb. Aber er hatte mir etwas Übles getan - er hatte mein Inneres beleidigt und seine Augen bekräftigten dies bei jedem Blick. Entweder war ich ihm zu langsam in meinen Reaktionen oder zu schnell. Vom ersten Tage an in Athen blökte er mich immer und immer wieder an. Schlang ich den Webleinsteg linksherum, kam er und herrschte mich an, der müsse rechtsherum geknotet werde. Knotete ich das Leinenende beim Palsteg rechts herum, dann musste es bei ihm linksherum sein und er verspottete mich vor den anderen Crewmitgliedern in nicht zu beschreibender Weise.Ständig fühlte ich mich von seinen allzeit wachsamen stierenden Augen beobachtet und überwacht. Selbst als ich das Abtrockenhandtuch in der Pantry nach dem Abwasch nicht entsprechend seiner Meinung nach richtig gefaltet hatte, polterte er laut und missfällig über mich und meine Unfähigkeit, riss das Handtuch von der Trockenstange, faltete es neu und stieß dabei übelste Beschimpfungen aus.

Dies war der Morgen mit dem wunderschönen Sonnenaufgang über einer tiefblauen Ägäis, an dem ich nach dem Frühstück den endgültigen Entschluss fasste ihn zu töten.

Sehr oft hat man mir ein allzu nüchternes Denken vorgeworfen und meinen Mangel an Phantasie; ja, ich war berüchtigt wegen meiner Skepsis. Und wirklich, meine Vorliebe für die reine klare Naturwissenschaft ließ auch meinen Geist nicht in ein Falschdenken unserer modernistische Zeit verfallen – ich meine: in die Gewohnheit, alle Dinge, die geschehen, mit den wenig hilfreichen Ergründungen in Esoterik und Glaube zu erklären.

Aber selbst, wenn ich es könnte, würde ich es doch vermeiden, von einer unmenschlichen und unverzeihlichen Verdorbenheit meiner Tat hier zu reden, die mich so in die Tiefen des Bösen hineintreiben ließ. Von mir aber fiel alle Moral in einem Augenblicke ab, gleich einem Bleigewicht an Fußketten. Aus verhältnismäßig geringer Bösartigkeit wuchs ich mit Riesenkraft innerhalb weniger Stunden zu den Ungeheuerlichkeiten eines Monsters auf. Diese meine Tat, die ich mitnichten bereue und der Zufall des Zustandekommens, dies will ich wenigstens hier zu Papier bringen - wenn auch ohne Signatur.

Alle die tausend kränkenden Bemerkungen des Skippers ertrug ich so gut ich konnte und zeigte ihm keinerlei Reaktion von mir. Wer aber Beleidigungen, Beschimpfungen und gar Erniedrigung wagt, dem gebührt Rache. Einmal würde ich gerächt sein! Dies war nun mein steter Gedanke und die Bestimmtheit, mit der ich meinen Entschluss fasste, verbot mir alles, was mein Vorhaben gefährden konnte. Er gehörte bestraft und ich würde mich dafür, was er mir angetan hatte, rächen. Ich war der Rächer und war mir mehr als bewusst, dass meine Rache sehr konsequent und durchdacht sein musste. Denn, wenn mir als Rächer wiederum Vergeltung trifft für meine Rachetat, dann ist es keine befriedigende Rache; auch ist derjenige nicht bestraft, wenn es mir nicht gelingt, mich als solcher meinem Opfer zu zeigen. Diesen Gedanken musste ich reifen lassen; ich wollte eine befriedigende Rache und - ich wollte sie ihm zeigen.

Ihr, die ihr dies hier lest, könnt euch sicherlich denken, dass ich dem Skipper weder mit Wort noch Tat Grund gab, meine gute Gesinnung anzuzweifeln. Ich bemühte mich seine mehr als schlimmen Erniedrigungen auch an diesem Tage zu erdulden. Ich fuhr fort, liebenswürdig zu ihm zu sein, und er gewahrte nicht, dass mein Lächeln jetzt dem Gedanken seiner Vernichtung galt.

Hält man mich für wahnsinnig? Würde ein Wahnsinniger so viel Geduld gehabt haben wie ich? Sie sollten mich beobachtet haben! Sollten gesehen haben, mit welcher Klugheit, mit welcher Überlegung und Vorsicht, mit welcher Verstellung ich zu Werke ging! Ich war niemals liebenswürdiger gegen den Skipper, als während dieses Tages, der der Nacht voranging, in der ich ihn tötete. Hätte jemand gesehen, wie schlau ich das anfing, sicher hätte er gelacht.

Wir verließen die Insel Kythnos an diesem Morgen und steuerten einen Kurs Richtung Kimolos und Milos. Ich schaute stundenlang immer wieder auf die blaue See der Ägäis und in mir waren tausende Gedanken und Planungen der Racheakte, die ich bis ins Detail verfolgte und dann wieder verriss. Nur deshalb war es mir letztendlich möglich, die Tat zu vollbringen, weil ich gedanklich alle Möglichkeiten durchgespielt hatte und nur auf den richtigen Zeitpunkt wartete. Ich will hier von einer detaillierten Erläuterung meiner verschiedenen Planungen absehen, ob der Grausamkeiten der jeweiligen Tatausführung. Nicht der Skipper als Mensch ärgerte mich, sondern nur seine bösen Augen. Denn diese Augen suchten unablässig und einzig und allein nach Fehlern der Mitmenschen. Diese Augen formten und bestimmten seinen Geist - ich vermute gar, dass sein Geist Sklave dieser ruhelosen Augen geworden war. Augen, die sich verselbstständigt hatten und mit einer mitleidslosen Dominanz ihren Machtanspruch einforderten.

Sagen wir also ruhig: Ich bin verrückt.

Ich bin mir bewusst, dass mein Geist gespalten ist. Den einen Teil beherrscht ein absolut klarer und über jeden Zweifel erhabener Verstand, der mit haarscharfer Genauigkeit alle Erlebnisse meines Lebens festhält und analysiert. Der zweite Teil ist von Schatten und Zweifeln umwoben, da er sich permanent mit allen weiterführenden Gedanken und auch Träumen jeder Art beschäftigt - denn wer am Tag träumt, wird sich vieler Dinge bewusst, die dem entgehen, der nur Nachts träumt. Man darf daher alles glauben, was ich erzähle, während es ratsam ist, meinem Bericht nur insofern Glauben zu schenken, als er glaubwürdig erscheint. Am sichersten aber ist es, alles zu bezweifeln.

Am Spätnachmittag, als ich an Steuerbord lehnte, gewahrte ich im Nordwesten eine seltsame einzeln stehende Wolke. Sie fiel mir auf – einmal ihrer Farbe wegen, und dann, weil es die erste Wolke war, die sich seit unserem Auslaufen aus Athen sehen ließ. Ich beobachtete sie aufmerksam, bis sie die Sonne verschlang, als sie sich ganz plötzlich nach Norden und Westen ausbreitete und den Horizont mit einem dunkelgrauen Nebelstreif umgürtete, der aussah wie ein langer flacher Küstenstrich. Bald darauf überraschte mich das sonderbare Aussehen des Meeres, das sich ungemein schnell veränderte; das Wasser schien durchsichtiger als gewöhnlich und spiegelt zum Horizont hin die Wolken. Die Luft in der Dämmerung war jetzt unerträglich heiß und mit Dunstspiralen geladen, wie sie sonst in der prallen Mittagssonne entsteigen. Je näher die Nacht herankam, desto mehr erstarb der schwache Windhauch, der uns vorwärts trieb, und eine Ruhe herrschte, wie sie vollkommener gar nicht beschrieben werden kann.

Ich, der ich zwar nur wenige Vorlesungen in Meteorologie besucht hatte, erkannte aber an der langen Wolkenfront von leichten Cirrus-Cummulus und dahinter überlagerten Cumulusnimbus, dass aus Westen eine gewaltige Kaltfront auf uns zu kommen musste. Und ich erinnerte mich, dass bei einer Kaltfront ganz plötzlich die Wolkendecke niedersinkt und diese eine wutentbrannte Böenfront mit nachfolgenden heftigen Gewitterstürmen vor sich her schiebt.

Ich sagte dem Skipper von meinen Befürchtungen; aber er schenkte meinen Worten keine Beachtung und würdigte mich nicht einmal einer Antwort. Er hatte eine Schwäche, dieser Skipper, eine große - obschon er in anderer Hinsicht wahrscheinlich ein geachteter und sogar gefürchteter Mann war. Er brüstete sich damit, dass er der beste Skipper der Welt sei - und so jemand benötigt keine Ratschläge oder Hinweise.

Ein frischer Wind kam von Westen her, und eine Zeitlang hatten wir wieder unter vollen Segeln eilige Fahrt und ließen uns keine Gefahr träumen. Ganz plötzlich aber wurden wir von einer Brise von Kimolos her seitwärts getrieben und unser Schiff legte sich bedenklich auf die Seite. Das war höchst seltsam – etwas, das ich so noch nie erlebt hatte. Ich begann unruhig zu werden, ohne recht zu wissen, weshalb - als ich, rückwärts blickend, den ganzen Horizont von einer einzigen kupferfarbenen Wolkenwand bedeckt sah, die mit unheimlicher Schnelligkeit heraufzog.

Eine ganze Zeitlang vernahm ich daraufhin ein unüberhörbares Rauschen. Das leise Rauschen ging nach und nach in ein Brausen und Tosen über. Gebannt starrte ich nach hinten auf das Meer. Ich bemerkte, dass die See mit ihren Wellen kleine Schaumkämme bildete und sich mit äußerster Schnelligkeit in einen nach Osten treibenden Strom verwandelte. Während ich gebannt zuschaute, wuchs die Strömung der Wellen mit reißender, ungeheurer Schnelligkeit. Mit jedem Augenblick nahm ihr gigantisches Ungestüm zu. In fünfzehn Minuten war die ganze See von Kimolos bis hin zur großen Insel Poliagos zu unbezähmbarer Wut aufgepeitscht.

Backbord voraus im Osten, an der Küste von Poliagos und einer kleinen vorgelagerten Insel, raste der Aufruhr am wildesten und spritzte die Gischt meterhoch die Felswände empor. Hier narbte und zerfurchte sich das ungeheure Wasserbett in tausend gegeneinander wütende Kanäle, brach sich plötzlich mit krampfhaften Zuckungen – toste, brodelte, zischte, wirbelte in riesigen, unzählbaren Strudeln und Wellen schossen mit einer Schnelligkeit unter unser Schiff nach Osten, die man sonst nur bei Wildwasser in den Bergen sieht.

«Agressi sunt mare tenebrarum, quid in eo esset explorat. Das heißt, Sie haben das Meer der Finsternis durchfahren, mit dem Ziel, herauszufinden, was darin enthalten sei.» Dieser Satz eines alten nubischen Gelehrten im antiken Rom kam mir in den Sinn. Er soll schon damals das ‚Mare Tenebrarum‘, die Unterwasser-Hölle, beschrieben haben, der Schrecken der Seeleute.

In kaum zehn Minuten war der Sturm über uns – in kaum zwanzig war der ganze Himmel schwarz, und es wurde so dunkel, dass wir an Deck einander nicht mehr richtig erkennen konnten.

Ganz nach vorne gerückt auf der Bank im Cockpit sitzend sah ich den Skipper, wie er mit dem wild gestikulierenden Rudergänger redete. Da der Wind die wenigen Worte, die ich hörte, zerfetzte, konnte ich aus den Bruchstücken nur deuten, dass der Skipper es aufgeben hatte den Kurs nach Milos zu laufen und er statt dessen in eine sichere Bucht an der vor uns liegenden Insel Poliagos einlaufen und Ankern wollte. Ich rutschte näher zur Steuersäule, um auch einen Blick auf die auf dem Cockpit-Tisch liegende Seekarte zu werfen. Aus den Fingerzeigen des Rudergängers entnahm ich, dass der Skipper außen um eine kleine Vorinsel mit dem Namen Manolonisi herum in eine dahinter liegende Bucht wollte. Allerdings gab es auch eine direkte Verbindung zu dieser Bucht, eine kleine Meerenge zwischen der Hauptinsel und Manolonisi, die aber, wie ich sah, sehr schmal, äußerst schmal und bespickt mit Riffs war.