SehnSucht | Erotischer Roman - Alexa McNight - E-Book

SehnSucht | Erotischer Roman E-Book

Alexa McNight

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 256 Taschenbuchseiten ... SehnSucht | Erotischer RomanIn The City Über den Tod ihres Mannes tröstet sich Muriel mit SexAbenteuern. Mal allein, oft zu zweit, aber auch zu dritt. Eine neue Beziehung lehnt sie kategorisch ab. Sie will nur noch Lust, nie wieder Liebe. Bei einem ihrer OneNightStands »stolpert« sie jedoch über einen Mann, der ihr nicht mehr aus dem Sinn geht … Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

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Impressum:

SehnSucht | Erotischer Roman

von Alexa McNight

 

Alexa McNight ist das Pseudonym der Autorin Juliane Käppler, die in unterschiedlichen Genres für verschiedene Verlage schreibt. Weitere erotische Romane veröffentlicht sie unter dem Pseudonym Jules Saint-Cruz.Mit ihren erotischen Romanen stellt sich Alexa McNight der Herausforderung, mehr zu Papier zu bringen als Worte, die eine körperliche Reaktion auslösen. Sie glaubt, dass Sex erst dann wirklich gut ist, wenn er eine Basis hat. Auf dieser Basis will sie ein Kopfkino erzeugen, das die Fantasie des Lesers aufblühen lässt – all dies begleitet von der leisen Botschaft, dass Euphorie und Erfüllung in den seltensten Fällen dort zu finden sind, wo man sie sucht.

 

Lektorat: Nicola Heubach

 

 

Originalausgabe

© 2012 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: © Julia Savchenko @ istock.com

Umschlaggestaltung: Matthias Heubach

 

ISBN 9783862770687

www.blue-panther-books.de

Prolog

Der Film hielt in keiner Weise, was der Trailer versprochen hatte. Die Handlung war flach und wollte auch nach einer Stunde nicht an Tiefe gewinnen. Sämtliche Dialoge dröppelten öde vor sich hin. Und es gab eine Menge dieser Dialoge – vermeintlich komische Ausschweifungen in die Gedankenwelt völlig verschrobener Gestalten. Wie auch immer das Machwerk enden würde, es blieb zu hoffen, dass es das bald tat. Dank der Topbesetzung war die Spätvorstellung fast ausverkauft, und aus dem bisweilen zu hörenden Gelächter war zu schließen, dass sich ein Teil der Besucher amüsierte.

Sie hätte das Kino längst verlassen, wäre er nicht gewesen. Er sah sich den Film mit zwei Freunden an und saß auf dem Platz links von ihr. Vielleicht war es der Duft, der von ihm ausging – eine Mischung aus After Shave und dem Leder seiner Jacke. Vielleicht waren es die Signale, die er aussandte. Mehr als einmal hatte sein Ellenbogen vermeintlich versehentlich ihren berührt, und mehr als einmal war sein Knie gegen ihres gestoßen. Mit einem Flüstern hatte er sich, wann immer es passiert war, entschuldigt und es doch nie als Entschuldigung gemeint. Eine Provokation war es vielmehr, dieses Flüstern, dessen Worte den falschen Inhalt wiedergaben. Hingegen transportierte der Blick, den sie daraufhin stets austauschten, nichts als die Wahrheit. Dunkelbraun waren seine Augen und von so dichten Wimpern gerahmt, dass er einen Engel hätte abgeben können, wären da nicht der rowdyhafte Drei-Tage-Bart und die auf wenige Millimeter gestutzten Haare gewesen. Seine Lippen waren voll und der Entschuldigung zum Trotz zu einem herausfordernden Lächeln verzogen.

Mehr und mehr rückte der Film in den Hintergrund. Was wirklich interessant war, spielte sich in ihrem Augenwinkel ab. Das Gesicht der Leinwand zugewandt, das Kinn in die linke Hand gestützt, gab er vor, sich auf die Handlung zu konzentrieren. Sein rechter Arm war zwar locker abgelegt, doch klopften seine Finger zu einem imaginären Takt auf seiner Jeans und verrieten, dass sein Interesse am Film nicht einmal halb so groß war, wie das an ihrer Person.

Irgendwann lehnte er sich zu seinen Freunden hinüber und ließ sie wissen, dass er zur Toilette gehen würde. Er hätte es leiser sagen können, doch er wählte seine Lautstärke gerade so, dass sie es hören würde. Dann stand er auf und schob sich an ihr und den anderen in der Reihe Sitzenden vorbei.

Fünf Minuten später nahm sie ihre Jacke und verließ den Kinosaal ebenfalls.

Die Bar im Foyer war leer, die beiden Barkeeper polierten Gläser und unterhielten sich. Sie durchquerte die Halle und bog an den bereits geschlossenen Ticketverkaufstresen zu den Toiletten ab.

Mit vor der Brust verschränkten Armen und überkreuzten Beinen lehnte er an den Waschbecken. Sie schloss und verriegelte die Tür, warf ihre Jacke zwischen zwei Becken und trat zu ihm.

Wie er sich aufrichtete und dicht vor ihr stand, war er einen ganzen Kopf größer als sie. Er legte die Hand in ihren Nacken und brachte seinen Mund nahe vor ihren, doch rückte er, als sie ihm entgegenkommen wollte, wiederum wenige Millimeter von ihr ab. Sein Grinsen verlor an Spott, als sie seine Bewegung imitierte, sobald er sich ihr abermals näherte. Statt ihren Mund küsste er ihren Hals und säte mal federleichte, mal fordernde Küsse darauf aus, die ihren Atem antrieben.

»Das war einer der besten Filme überhaupt«, murmelte er und ließ seine Hände ihren Rücken hinabwandern. Fest legten sie sich auf ihren Po.

»Bis eben war ich davon überzeugt, dass wir im gleichen Kinosaal gesessen haben«, entgegnete sie, doch war zu erregt, um wirklich überrascht zu sein.

»Diesen Film meine ich nicht.« Er zog die Bluse aus dem Bund ihrer Hose, um ihre Haut zu berühren und sie durch die Intensität seiner Berührungen wissen zu lassen, wie genau es um seine Lust auf sie bestellt war. »Sondern den in meinem Kopf. Genauer gesagt, war es eine Aneinanderreihung vieler Episoden.« Mit einem Finger strich er über ihren Bauch. »Bei jeder ach so zufälligen Berührung hatte ich eine neue Episode vor Augen.«

Sie schob das Rervers seiner Jacke auseinander und öffnete sein Hemd, Knopf für Knopf.

»Erzähl mir von ...«, hob sie an, doch brachte die Aufforderung nicht zu Ende, weil er eine Hand zwischen ihre Beine schob. Der Druck, den er dort ausübte, sandte elektrisierende Schübe durch ihren Körper und so brachte sie außer einem gurrenden Ton nichts weiter zustande.

»Ich hab dich gefickt«, fuhr er fort und platzierte seinen Mund an ihrem Ohr. »In einer Pfütze auf kaltem Asphalt, auf einer Bank in einem nächtlich leeren Park, auf einer Yacht weit draußen auf dem See ... Wo auch immer du dir vorstellen kannst.«

Seine Worte brachten ihr Inneres zum Toben. Zusammen mit der Jacke schob sie das endlich offene Hemd halb über seine Schultern. »Außergewöhnliche Orte sind das alles. Kaum zu vergleichen mit einer Kinotoilette.«

»Nein, das war auch nur ...« Er hielt inne, als sie Kreise um seine Brustwarzen malte. »Eine Art Notlösung, weil es schnell gehen musste.«

Sie beobachtete, wie seine Nippel dank ihrer Spielerei hart wurden, leckte sie schließlich abwechselnd und pustete darüber. Er nahm ihr Kinn in die Hand, zwang sie, ihn anzuschauen und drehte sie um, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand. Die gegenüberliegende Wand war mit einem Spiegel verkleidet, der die gesamte Fläche einnahm. Während er ihre Brüste durch den Stoff ihrer Bluse massierte, fixierte er ihren Blick in seinem.

»Stell dir vor, wir hätten es einfach im Saal direkt vor der Leinwand geschehen lassen.« Seine rechte Hand fuhr tiefer und pausierte abermals in ihrem Schritt. Der diesmal ausgeübte Druck diente offenbar fast ausschließlich dazu, sie näher an sein Becken zu ziehen, damit sie seine Erektion zu spüren bekam.

»Stell dir vor, ich hätte deine Bluse aufgeknöpft.« Wie um ihrer Fantasie auf die Sprünge zu helfen, tat er, was er sagte. »Die Träger deines BHs von deinen Schultern gestreift und meine Hände auf deine Brüste gelegt.«

Sie spürte, wie sich ihre Nippel unter seinen Händen aufrichteten. Er zwirbelte sie zwischen den Fingern und sah sie dabei weiter im Spiegel an. Sie wich seinem Blick aus, legte den Kopf auf seine Schulter und neigte ihn zur Seite, sodass sie seinen Duft einatmen konnte. Ihre Hände wanderten nach hinten, über die Delle unter seiner Jeans. Erneut gab es einige Knöpfe zu öffnen. Diesmal war sie schneller und streichelte sein angeschwollenes Glied durch den dünnen Stoff seiner Shorts. Ein einziges leises Keuchen ließ er hören, doch das genügte, um sie die Hand unter den Bund schieben zu lassen. Ihr fester Griff um seinen Schaft multiplizierte seine erregten Laute, die sie wiederum veranlassten, in den Spiegel zu schauen und zu beobachten, wie er sich mehr und mehr verlor.

Er ließ von ihren Brüsten ab, um sich am Verschluss ihrer Hose zu schaffen zu machen und sie über ihre Hüften zu schieben. Sie zog ihre Hände aus seinen Shorts, um die Hose ganz abzustreifen, doch er kam ihr zuvor, ging hinter ihr in die Hocke und schälte das Kleidungsstück Zentimeter für Zentimeter von ihr, wobei er sie auf jedem bloßgelegten Stück nackter Haut küsste, seine Zunge und Zähne zum Einsatz brachte.

Eine Gänsehaut lief wie eine Welle über sie hinweg, rollte von ihrem Nacken bis zu den Fersen, und beinahe bedauerte sie es ein wenig, dass er sich so schnell aufrichtete, als die Hose ausgezogen war. Nur kurz massierte er sie durch das verbliebene schwarze Höschen, schob es dann beiseite und legte seine Finger auf ihren empfindlichen Punkt, begann ihn zu reiben. Mal umkreiste er ihn sanft, mal fuhr er weniger behutsam darüber. Mal ließ er es seine Zeige- und Mittelfinger tun, mal delegierte er die Aufgabe an seinen Daumen, um zugleich mit zwei Fingern in sie einzudringen.

Sie explodierte beinahe unter den Streicheleinheiten, begann zu zittern und wand sich. Dass er sie umrundete, wurde ihr erst bewusst, als sie nicht mehr ihr Spiegelbild, sondern ihn vor Augen hatte – seine Augen, dunkel vor Begierde. Noch immer in ihrer Spalte spielend, drängte er sie gegen die Marmorplatte, welche die Waschbecken einfasste, und ließ dann doch von ihr ab, um sie hochzuheben und auf den kühlen Stein zu setzen. Von ihrer Taille wanderten seine Hände über ihre Oberschenkel, bis zu ihren Knien. Er drückte sie auseinander und schob sich dazwischen.

»Stell dir vor, jeder von denen könnte das jetzt sehen ... statt des langweiligen Films«, murmelte er.

Abermals griff sie nach dem Bund seiner Shorts, diesmal jedoch, um sie über seine Hüfte zu schieben. Sie wollte sehen, ob dieser Schwanz so gut aussah, wie er sich anfühlte. Und das tat er. Insbesondere, als er unter ihren Berührungen zu zucken begann. Als er ihr bedeutete, nicht zu zaghaft zu sein, schloss sie ihre Hand fester darum, doch ließ ihre Bewegungen wieder langsamer werden, als ein Tropfen aus der Eichel trat.

»Ich stell mir vor, dass du mich gegen die Leinwand drückst, dass ich meine Hände auf deinen Hintern lege und ich meine Beine fest um dich schlinge«, sagte sie und tat eben das. »Und dass das Publikum die Luft anhält, weil sich ein Schrei aus meiner Kehle löst, als du in mich stößt.«

Mit einer einzigen Bewegung war er in ihr. Sie lehnte sich zurück, bog den Rücken durch und stützte sich auf ihren Händen ab, um ihm entgegenzukommen, ihn tiefer eindringen zu lassen. Wie aus weiter Ferne nahm sie ihr eigenes Keuchen war, hörte, wie es sich mit seinem vermischte. Wie durch einen Schleier sah sie ihn vor sich, den entrückten Ausdruck seiner Miene, der besagte, dass sein Orgasmus nicht mehr fern war.

Seine Bewegungen, die langsam und genussvoll begonnen hatten, wurden unkontrolliert. In immer kürzer aufeinanderfolgenden Stößen, die stets ein wenig tiefer zu gehen schienen, stieß er in sie, und bald hallten ihre Stimmen und ihr Stöhnen durch den Raum, dessen Helligkeit und Spiegel ihrem Spiel einen zusätzlichen Reiz verliehen.

Leichtigkeit durchflutete sie, als sie kam. Sie ließ sich auf der ersten Woge davontragen, wurde von einer zweiten noch ein Stück weiter hinausgespült und von den folgenden, kleineren nach und nach zurückgebracht. Von ihren Kontraktionen angespornt, folgte er ihr und bescherte ihr ein kleines Nachbeben.

Am Rande ihres Bewusstseins nahmen sie wahr, dass jemand versuchte, in den Raum zu kommen. Es wurde an der Klinke gerüttelt und angeklopft. Darüber belustigt, tauschten sie ein Lächeln und blickten dann an sich hinab zu der Stelle, an der sie miteinander verbunden waren.

Beinahe war sie versucht, es auf eine zweite Runde ankommen zu lassen, doch sobald sich der Nebel in ihrem Kopf gelichtet hatte und ihr Verstand wieder ganz bei ihr war, löste sie sich von ihm. Sie zog die Bluse über die Schultern, knöpfte die Hose zu und musterte ihn hin und wieder kurz. Er betrachtete sein Spiegelbild, rückte seine Jacke zurecht und zog einen Autoschlüssel hervor.

»Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«, erkundigte er sich und wandte sich ihr zu.

»Das ist nett gemeint, aber nicht nötig«, entgegnete sie und schlüpfte in ihre Jacke. Daraufhin warf sie ihm eine Kusshand zu und verließ den Raum noch vor ihm.

Eins

Rush Hour in Chicago.

Der Wetterbericht im Radio versprach einen der wärmsten Tage des Monats August und ein gebührendes Ende des Sommers. So sonnte sich der Lake Shore Drive schon zur frühen Stunde in flirrendem Licht.

Als sich die Straße gabelte, wechselte Muriel vom am Lake Michigan entlangführenden Highway auf die von Wolkenkratzern gesäumte Michigan Avenue.

Hinter den historischen Gebäuden des Wrigley Buildings und des Tribune Towers galt es nur noch, den Fluss zu überqueren. Der Loop, das Geschäftszentrum der Stadt mit all seinen schillernden Bürokomplexen, war ein längst vertrauter Anblick, der an das Gefühl positiver Gewohnheit anknüpfte. Nach zwei Jahren in Chicago war Muriel nicht mehr oder weniger als die meisten anderen: eine Fremde in der Stadt. Kaum einer ihrer Bekannten oder Freunde war hier geboren.

Fünfzehn Minuten vor neun fuhr sie in die Tiefgarage. Sie parkte den Wagen auf einer der reservierten Stellflächen im zweiten Untergrund, schnappte sich ihre Tasche, stieg aus und ging zu den Fahrstühlen. Aufgrund der hohen Frequentierung wartete sie, wie jeden Morgen, eine schier endlose Weile, doch auch diese Verzögerung war eingeplant. Muriel würde pünktlich sein, selbst nach einem Abstecher in die Küche, wo sie sich den obligatorischen Becher Kaffee holen würde. Sie war so pünktlich wie jeder ihrer Kollegen. Niemand bei KINGz kam jemals zu spät.

Endlich öffneten sich die Stahltüren. Muriel trat ein und betätigte den Knopf, hinter dem der silberne Schriftzug mit der schiefen Krone lag.

KINGz – das verband Mann mit Reportagen über Adventuretrips durch Neuseeland und Peru, mit Testfahrten in Erlkönigen auf Sardiniens Landstraßen, mit Extremsport- und Fitnesstrends, mit Fashion-Do’s und -Don’ts. Von Manierenguides über Ausflüge in die Welt der Technik bis hin zu Einblicken in die Psyche und den Sex der Frau – was auch immer den Mann betraf, was ihn interessierte und sein Herz höher schlagen ließ, las er in diesem He-Magazin.

Nicht zuletzt assoziierte der Leser KINGz mit Muriel Jones und ihren Ungeschminkt-Kolumnen, die sich mit den brisanten Punkten der Mann-Frau-Verwirrung auseinandersetzten und mit Irrtümern aufräumten. Muriel war dafür bekannt, Fakten auszupacken – Wort für Wort und nur die Wahrheit. Ob diese nun angenehm oder das ganze Gegenteil war, spielte für sie keine Rolle. Ihre Kolumnen behandelten Themen wie Flirtkiller oder One-Night-Stands, Beziehungskrisen oder verschmähte Liebe. Mal ging es um Geheimnisse, die eigentlich keine waren, mal um Dinge, über die kaum jemand nachdachte oder um Simplizitäten, wie die Kunst, einer Frau zum Orgasmus zu verhelfen. Alle männlichen Wünsche und Vorlieben ließ Muriel bei ihren Betrachtungen so gut wie außer Acht und konzentrierte sich auf das, was Frauen wollten. Schließlich war dies die Basis ihrer Texte und oftmals der Ursprung allen Übels. So viele Männer hatten keinen Schimmer, wie Frauen tickten, was sie glücklich machte und befriedigte, womit der Grundstein für ihre eigene Frustration und noch mehr Missverständnisse gelegt war. Es war die berühmte Katze, die sich in den Schwanz biss, und Muriel hatte es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Zyklus zu unterbrechen, um so am Ende auch die Leserschaft von KINGz zu beglücken.

Das gelang nicht immer. In ihrem Posteingang, dessen Adresse für ihre zweite Rubrik: Frag doch, wenn du dich traust! publik war, landeten neben der Fanpost nicht selten E-Mails, die Beschimpfungen und Vorwürfe enthielten. Die meisten dieser Schreiben las Muriel relaxt und wählte einige davon sogar für eine Veröffentlichung aus – natürlich nicht, ohne eine entsprechende Erwiderung zu verfassen.

In der siebzehnten Etage verkündete der leise Gong das Erreichen des Ziels. Die Stahltüren entließen Muriel in einen langen Korridor, der mit gerahmten und aufs Vielfache vergrößerten Coverbildern vergangener Ausgaben dekoriert war. Am Empfang hielt sie Small Talk, der nicht einmal zehn Sekunden dauerte, da die Headphones der beiden Frauen neue Gespräche anmeldeten. Dahinter lagen zwei Konferenzräume sowie die Zimmer des Marketings, der Grafiker, des Layouts, der EDV, der Buchhaltung und schließlich die Online-Abteilung, welche für die Bereitstellung aller Artikel auf der Webseite zuständig war.

In der Küche nahm Muriel ihren Becher aus dem Schrank, schenkte sich Kaffee ein und trank den ersten Schluck, damit beim Transport nichts überschwappte. Einen Kaffeefleck auf dem dunkelblauen Velours, der in der Passage des Großraumbüros ausgelegt war, wussten alle ebenso gut zu vermeiden wie ein Zuspätkommen.

Es war zehn Minuten vor neun, und im Großraumbüro der Redaktion ging es noch entspannt zu. Gelassen oder gedankenverloren drehten sich Muriels Kollegen in ihren Stühlen oder hockten, in ein Gespräch vertieft, bei anderen Redakteuren.

Zuerst passierte sie die Abteilung für Technik. Die drei Männer waren Spezialisten, ging es um Computer und Internet.

»Miss Cool trudelt ein«, witzelte einer und schickte einen Guten-Morgen-Gruß hinterher.

Gleich gegenüber saß das Bleifuß-Team, amüsanterweise Zwillinge. Während er sich mit den neuesten Modellen auf dem Markt befasste, nahm sie die Sportwagen, Oldtimer und Kuriositäten unter die Lupe.

Es ging weiter vorbei am Adventure-Department, das zurzeit mit nur einem Kollegen besetzt war, da sich der andere in Alaska auf einer Tour mit Schlittenhunden befand.

Muriel folgte dem blauen Velours und ging vorbei an den drei Frauen der People-Rubrik, welche Interviews mit Leuten aus Film, Musik und Fashion führten.

Gleich nebenan arbeiteten die Stylisten.

In zweiter Reihe befand sich die kulinarische Abteilung, in der sich eine einzelne Person durchschlug: Emma. Sie war nicht nur Fachfrau für gesunde Ernährung, Kennerin der Sterneköche und Kolumnistin des Männerkochbuchs, sondern auch Muriels beste Freundin. Nach ihrem Umzug vor zwei Jahren und dem Antritt der neuen Stelle hatte Emma sie unter ihre Fittiche genommen und mit Chicago bekannt gemacht.

Muriel winkte Kathy, der am Ende des Veloursteppichs sitzenden Assistentin des Herausgebers, zu und bog zu ihrem eigenen Departement ab, wo Paula schon auf ihre Tastatur einhämmerte und Muriels Gruß mit einem Knurren quittierte, ohne vom Bildschirm aufzuschauen. Muriel war diese Kurzangebundenheit gewohnt. Sie stellte den Kaffee ab, plumpste in ihren Stuhl und streifte einen Schuh ab, um den Startknopf des Rechners mit dem großen Zeh zu betätigen.

»Eines Morgens ist er vor dir hier«, brummte Paula.

Muriel wusste, dass Paula sie nicht mochte. Möglicherweise weil sie in ihrer gemeinsamen Rubrik Lifestyle die vermeintlich langweiligeren Berichte verfasste: Knigge-Regeln für den Alltag und das Berufsleben, für die E-Mailkorrespondenz, Restaurantbesuche und Disconächte. Zudem befasste sie sich mit Dingen wie Small Talk- und Kleidungsrichtlinien. Was auch immer Paula schmollen ließ, Muriel zerbrach sich nicht den Kopf darüber. Ohnehin war sie der Überzeugung, dass aus jedem scheinbar tristen Thema etwas Spannendes zu machen war, wenn man es denn mit echter Begeisterung fürs Schreiben anging.

Auf Paulas Kommentar reagierte Muriel mit einem lautlosen Seufzen. »Es ist fünf vor neun. So lange ich hier arbeite, ist er immer, wirklich immer, eine Minute vor neun erschienen. Nicht eher und nicht später.«

»Ich frag mich, wie er das macht«, kam es von Paula und klang so gedankenlos, dass Muriel sich eine Reaktion ersparte.

Als der Rechner nach ihrem Passwort fragte, rollte sie im Stuhl an den Schreibtisch und gab die Kombination aus Buchstaben und Zahlen ein. Sie lud ihren Posteingang auf den Bildschirm und schmunzelte in Anbetracht des Betreffs der ersten E-Mail. Offenbar war sie wieder einmal jemandem auf den Schlips getreten.

Als das Fahlstuhlsignal ertönte, verstummten die Gespräche und jeder, der noch anderswo verweilte, beeilte sich, an seinen Platz zu kommen. Telefonhörer wurden abgenommen, Finger flitzten über Tastaturen, Stifte kritzelten auf Notizblöcken. Schritte näherten sich und wurden lautlos, als sie den Velours betraten. Muriel spürte, wie sich ihre Nackenhärchen aufstellten, so wie es sicher jedem ging, der mit dem Rücken zum Eingang saß.

Auf jedem Meter wurde ein Gruß gemurmelt und erwidert. Dann flatterte eine lose Blattsammlung auf Muriels Schreibtisch. Statt eines Grußes hörte sie: »In mein Büro, sobald es passt, aber noch vor der Redaktionssitzung« und sah, wie Paula sich ein Grinsen verkniff.

Im nächsten Moment war Leander schon vorbei. Er stimmte sich mit Kathy ab und verschwand in seinem Büro, den alle Redakteure als Glaskasten bezeichneten. Dort setzte er sich hinter seinen ebenfalls gläsernen Schreibtisch und nahm das erste Telefonat entgegen.

Auf ein Geräusch hin, wandte Muriel den Kopf und grinste über Emma, die sich hinter ihre Trennwand duckte und eine Grimmasse zog. Muriel zuckte die Schultern und begann, die auf ihrem Tisch verstreuten Papiere zu sortieren. Die Blattsammlung war nichts anderes als ihr aktueller Artikel. Offenbar waren die Tipps zu Seitensprung für Anfänger auf Unmut gestoßen. Das Thema selbst kannte Leander seit der Redaktionssitzung, in der sie vorgeschlagen hatte, darüber zu schreiben. Folglich konnte er kaum Anstoß am Grundsatz genommen haben, sondern eher an einem der Absätze. Da er keine Anmerkungen gemacht hatte, überflog Muriel ihren Text in der Hoffnung auf einen Anhaltspunkt. Doch den gab es nicht.

Muriels Blick schweifte zurück zu Leander. Er war ein Ungeheuer, stellte sie nicht zum ersten Mal fest, und fragte sich ebenfalls nicht zum ersten Mal, was sie bei seinem Magazin hielt. Immerhin kannte man ihren Namen inzwischen, und sie hatte zahlreiche Optionen, sei es das Schreiben für eine andere Zeitschrift oder eine Tätigkeit als freie Journalistin.

Ohne sagen zu können, warum sie blieb, beobachtete sie, wie Leander den Telefonhörer zurück in die Station stellte. Alles in ihr verwehrte sich gegen den Gedanken, jetzt zu ihm zu gehen. Sie wollte nicht angekrochen kommen, schon gar nicht, wenn er schlechter Stimmung war. Hätte sein Kommentar dies nicht verraten, dann spätestens die Art, wie er gerade die Brauen zusammenzog und seine Miene weiter verschloss. In seinem Stuhl drehte er sich um neunzig Grad und stützte das Kinn in die Handfläche, um durch die Fensterfront seines Büros über den Fluss und einen Teil der Skyline Chicagos zu schauen.

Ohne Zweifel war Leander attraktiv. Nicht über die Maßen gutaussehend und ganz gewiss nicht aalglatt, aber durchaus ansehnlich. Muriel rief sich den Ausdruck seiner Augen in Erinnerung, als er ihr die Blätter auf den Schreibtisch geworfen hatte. In ihrem Grau hatte eine Kälte gelegen, die ihr einen weiteren Schauder über den Rücken gejagt hatte. Im Gegensatz dazu konnte sie sich nicht entsinnen, Leander jemals lächeln gesehen zu haben. Nicht live zumindest, sondern lediglich auf Fotografien, die ihr noch unheimlicher waren, denn sie empfand sie als irgendwie falsch.

Für gewöhnlich war sein Mund zu einer schmalen Linie gepresst, was die ohnehin harten Konturen betonte. Diese Miene war so kontinuierlich wie der Rest seines Äußeren: Hugo Boss von Kopf bis Fuß, egal ob Anzug, Jeans, Jackett, Hemd oder T-Shirt. Wahrscheinlich verabscheute er Shopping und kaufte all seine Kleidung online bei ein und demselben Label, weil er einmal herausgefunden hatte, dass es gut passte. Sein heutiger Aufzug bestand aus einem grauen Anzug und einem etwas dunkleren Shirt, kombiniert mit schwarzen Schuhen und einem Schal. Schals trug Leander so gut wie immer, Krawatten nicht einmal bei öffentlichen Auftritten. Schals besaß er in jeder Farbe und Ausführung. Es war eine, wahrscheinlich die einzige, Gemeinsamkeit, die er und Muriel hatten. Sie mochte den Typen nicht, aber sie liebte sein Faible für Schals. Und die Schals selbst natürlich.

Was sie an Leander abschreckte, war nicht unbedingt die Härte, die er ausstrahlte, sondern vielmehr seine undurchdringliche Fassade. Keiner ihrer Kollegen wusste irgendetwas über ihn, egal wie lange sie schon für KINGz schrieben. Niemand hatte eine Ahnung, wo und wie er lebte, womit er seine Freizeit verbrachte, ob er eine Freundin oder Frau hatte, ob er hetero oder schwul war, ob er italienischem Essen den Vorzug vor französischer Cuisine gab. Sicher hatte Leander Gründe, warum er sich verschloss – und Muriel mochte eigentlich keine Sekunde an die Überlegung, welche das waren, verschwenden.

Als sie aufstand, um zu ihm zu gehen, schwang er im Stuhl herum und nahm den Hörer abermals zur Hand. Da sie sich nicht wieder setzen mochte, verließ sie das Büro, ging an der Küche und dem Empfang vorbei zu den Toiletten. Dort angelangt, lehnte sie sich gegen die Tür und wischte alle unerwünschten Gedanken aus ihrem Kopf. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild, reflektiert vom Wandspiegel hinter den Waschbecken.

Muriel war niemand, der an sich herumnörgelte oder ein spezielles Körperteil als unakzeptabel erachtete. Sie war wie sie war und gab keinen Deut darauf, ob sie anderen gefiel. Mit einer Größe von einen Meter neunundsechzig war sie nicht sonderlich groß geraten. Die Kurven ihrer Brust und des Hinterns waren mäßig, ihre Taille sicher weiblich, dennoch kaum die einer Wespe. Was okay war, denn Muriel mochte sowieso keine feminine Kleidung. Heute trug sie ihr geliebtes Lederjackett, darunter eine schmal geschnittene schwarze Hose und eine olivfarbene Tunika. Ein paar eckige Pumps, große schwarze Ohrstecker und eine passende Kette akzentuierten das Outfit.

Zwei Dinge mochte Muriel an sich wirklich gern. Zum einen waren das ihre Haare – dunkel und ein bisschen wellig. Zum anderen mochte sie ihre Augen, die grün waren. Nicht das übliche verwaschene Moosgrün, sondern ein leuchtender klarer Farbton, der an das Meer vor einer Karibikinsel erinnerte. Wenngleich Muriel eher blass war, trug sie kaum Make-up, lediglich Wimperntusche und hellen Lippenstift, der ihren vollen Mund zur Geltung brachte.

Muriel trat näher an den Spiegel heran, zog eine der Brauen mit dem Finger nach und tupfte sich eine Wimper von der Wange, um sie mit einem Wunsch fortzupusten. Frieden wünschte sie sich. Inneren Frieden.

Auf dem Weg zurück sah Muriel, dass Leander weder telefonierte noch anderweitig beschäftigt schien. Wieder einmal starrte er aus dem Fenster. Da es bereits neun Uhr dreißig war und somit nur eine halbe Stunde bis zur Redaktionssitzung, die jeden Donnerstag stattfand, klaubte sie im Vorbeilaufen ihren Artikel vom Schreibtisch und ging zum Glaskasten.

Auf ihr Klopfen hin schwang Leander im Stuhl herum.

»Punkt sieben und zehn solltest du überdenken«, sagte er, sobald sie ihm gegenüber Platz genommen hatte.

Zwar wusste Muriel, von welchen Punkten er sprach, allerdings verstand sie nicht, was ihm gerade bei diesen Absätzen missfiel.

»In welcher Hinsicht?«, forschte sie also nach.

»Punkt sieben: der unerwünschte Besuch.« Leander hielt inne, als sammele er seine Gedanken. »Du führst den Kater an, der das schlechte Gewissen im Schlepptau hat, doch du vergisst seinen noch fieseren Vetter, der das ganze Leben in Frage stellt.« Abermals pausierte er und betrachtete sie aus diesen kalten Augen. »Wenn du den nicht erwähnst, kauft dir niemand deine Sachkenntnis zum Thema Seitensprung ab.«

Muriel konnte und wollte ihm nicht widersprechen. »Punkt zehn?«, fragte sie und bemühte sich, nicht so forsch zu klingen, wie es ihr ein Impuls befahl.

»Punkt zehn: das Herz da lassen, wo es hingehört.« Muriel glaubte nicht recht zu sehen, als sich so etwas wie ein Schmunzeln um Leanders Mund andeutete. »Schluss machen, wenn es am schönsten ist«, sagte er mehr zu sich selbst und lehnte sich tiefer in den Stuhl. »Das ist eine Formulierung, die mir irgendwie zu breit getreten ist. Und abgesehen davon ... Woher weißt du, wann es am schönsten war? Nachher brichst du es ab und wirst den schönsten Moment nie erleben.«

»Es war dann am schönsten, wenn das nächste Mal nicht mehr so schön ist«, warf Muriel zerknirscht ein.

Leander schüttelte den Kopf. »Das kommt so nicht rüber. Und ist es dann auch nicht bereits zu spät? Zudem ist dies etwas, was ich dort nicht lesen möchte. Die Passage an sich gefällt mir. Sie ist gut und mit den richtigen Worten formuliert. Bloß diese Phrase stört mich.« Er hob die Hand an die Stirn, massierte die Schläfen mit Daumen und Mittelfinger. Als er wieder aufblickte, sah er müde aus. »Schmeiß die paar Zeilen raus und lass dir was Besseres einfallen«, beschloss er, stand auf und ging zur Tür, um sie für Muriel aufzuhalten. »Wir sehen uns gleich zu neuen Themen.«

***

Statt sich in der Redaktionssitzung zu neuen Themen zu äußern, hätte Muriel sich viel lieber ihrem aktuellen Artikel gewidmet. Eine Abwesenheit von den wöchentlich am Donnerstag stattfindenden Zusammenkünften war jedoch undenkbar. Zumeist wurden aktuelle Projekte besprochen, Feedback eingeholt und Gedanken ausgetauscht oder Reaktionen der Leser und Verkaufszahlen ausgewertet.

KINGz erschien am Ende eines jeden Monats, und die Deadline für die Abgabe der druckfertigen Artikel war auf fünf Tage vor dem Erscheinungsdatum gesetzt. Leander überprüfte die Texte dann stets ein letztes Mal und gab sie für die Layouter frei. Da die Frist für die Augustartikel am nächsten Abend endete, stand Muriel unter Strom und saß, von Unruhe geplagt, im Kreis ihrer Kollegen, ohne sich an der Diskussion zu beteiligen. Überhaupt hörte sie nur mit halbem Ohr zu.

Emma plante offenbar einen schrecklich langweilig anmutenden Bericht über die korrekte Lagerung von Lebensmitteln im Kühlschrank. Im Adventure-Bereich wollte man sich mit der Strecke der Rallye Dakar befassen. Darüber hinaus waren ein Interview mit einem aufstrebenden Detroiter Fotografen sowie eine Kurzdoku über die Apnoe-Legende Pipin Ferreras in Vorbereitung.

»Was ist mit Muriel Jones?«, hörte sie Leander fragen und fokussierte den Blick auf ihr gespanntes Umfeld.

»Jupp, was bringt Miss Cool?«, kam es aus dem Style-Department.

Natürlich hatte sie sich Gedanken gemacht, doch keiner ihrer Einfälle stimmte sie zufrieden. Irgendetwas anbringen musste sie jedoch.

»Ich weiß noch nicht so recht«, hob sie mit allzu deutlichem Zögern an. »Ich denke gerade an einen Artikel, der sich mit Varianten befasst, das Sexleben langjähriger Partner aufzufrischen.«

»Nicht dein Ernst«, knurrte Leander, während alle anderen die Münder spitzten oder die Arme vor der Brust verschränkten und schwiegen. »Wo sind wir hier? Bei der Apotheken-Rundschau fürs Siebzig-Plus-Publikum?«

Muriel warf ihm einen Blick zu, der getötet hätte, wenn Blicke töten könnten.

Leander blieb unbeeindruckt. »Lass dir bis Montag was einfallen oder ich gebe dir ein Thema, das du vielleicht hassen wirst.«

Dann mach doch, ich werde mit allem fertig!, forderte Muriel ihn im Stillen auf und biss sich auf die Zunge, um diesen arroganten Kommentar hinunterzuschlucken, bevor er ihr tatsächlich entwischte. Was wusste Leander schon von ihr, um einschätzen zu können, was sie gern schrieb und was nicht?, fragte sie sich noch eine ganze Weile und war zwei Stunden später, als das Meeting endete, die erste, die den Konferenzraum verließ. Sie stürmte aus dem Zimmer als ginge es darum, Sauerstoff in ihre Lungen zu pumpen und endlich wieder Luft holen zu können.

An ihrem Schreibtisch angelangt, lud sie den aktuellen Artikel auf den Bildschirm, bereits wissend, dass ihr an diesem Tag absolut nichts mehr dazu einfallen würde. Ob sie nun Profi war und es liebte zu schreiben oder nicht.

Zwei

Wie aus weiter Ferne vernahm Muriel die Good-bye-Melodie von Emmas Rechner. Es war Freitag, kurz vor acht und Emma die letzte Kollegin, die sich ins Wochenende verabschiedete. Mit Ausnahme von ihr selbst. Ihr eigener Feierabend war noch nicht in Sicht.

Emma schlenderte zu ihr und setzte sich auf Paulas Platz.

»Wie lange willst du noch machen?«, erkundigte sie sich und begann im Stuhl zu schaukeln.

»Bis ich fertig bin natürlich. Heute ist Deadline.«

»Wann, denkst du, bist du fertig?«

Muriels Antwort war ein Schnauben.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«

Muriel schüttelte den Kopf.

»Okay ...« Emma stand auf und hängte sich ihre Tasche um. »Bleibt es bei nachher? Um zehn Uhr bei mir zum warm-up-Martini?«

Im Bemühen, ihren letzten Gedanken zu halten, kniff Muriel die Augen zu und wünschte, Emma würde sie endlich allein lassen. »Möglich, dass ich mich etwas verspäte«, grummelte sie und klimperte einen Satz in das Dokument.

»Also dann, bis irgendwann nachher.«

»Jupp ... «

Als es endlich still war, grübelte Muriel über Leanders Worte nach: Was war so falsch daran, Schluss zu machen, wenn es am schönsten war? Und wie fand man heraus, wann es am schönsten war? Vielleicht war es am schönsten, wenn man sein Herz verlor – was sich mit der Headline des Absatzes stritt. Aber vielleicht war es das wirklich.

Allmählich verabscheute Muriel diese ganze letzte Passage. Zwar war sie Expertin, wenn es darum ging, sich nicht zu verlieben. Nicht aber in Sachen Seitensprünge, denn für sie gab es nun einmal niemanden, den es zu betrügen galt.

Am Ende verstand Muriel, dass es der Titel war, der ihr Denken blockierte und sie änderte ihn ab in Aufhören, wenn es sich am besten anfühlt. Nicht nur trat sie damit keine Phrase mehr breit, sie vermied zudem das heikle Thema Liebe – das grundsätzlich an anderer Stelle und von einer anderen Person diskutiert werden sollte.

Eine Stunde später tippte sie den letzten Satz, speicherte das Dokument und blickte auf. Mit Ausnahme zweier Lichtquellen war das Büro in Dunkelheit getaucht. Neben ihrem Arbeitsplatz war der Glaskasten erleuchtet. Leander saß hinter seinem Schreibtisch und schrieb ebenfalls. Mitunter hielt er inne, dachte nach und klimperte dann weiter auf der Tastatur.

Geistesabwendend, und mit den Gedanken eigentlich noch beim Artikel, musterte Muriel ihn. Heute trug er Jeans und ein schwarzes Hemd. Sein Haar war völlig zerzaust, so oft war er in den vergangenen ... Muriel blickte zur Uhr, es war nach neun ... elf Stunden mit den Händen hindurchgefahren. Wahrscheinlich war ihm nicht bewusst, wie oft er das tat. Es war eine Macke, wie sicher jeder eine hatte – oftmals ohne es zu wissen. Während andere mit den Fingerknöcheln knackten oder Selbstgespräche führten, raufte Leander sich eben die Haare.

Bald stand er vom Schreibtisch auf, zog eine graue Jacke über und schaltete die Schreibtischlampe aus. Muriel verscheuchte ihre Gedanken und lud endlich das Postfach auf den Bildschirm. Sie schrieb Leander eine Notiz, packte den korrigierten Artikel in den Anhang und freute sich im Stillen über ihr Timing. Schließlich hielt sie die Deadline ein und konnte zugleich sicher sein, dass Leander die Mail erst zu Hause oder am nächsten Morgen lesen würde.

»Wie lange bleibst du noch?«, fragte er, als er an ihrem Schreibtisch vorüberkam.

»Nicht mehr lange. Zehn Minuten oder so.«

Er nickte, murmelte: »Bis Montag!« und verschwand. Muriel lauschte, wie sich seine gedämpften Schritte auf dem Velours entfernten, wie ihr Stakkato beim Empfang lauter wurde und wartete auf den Gong des Fahrstuhls. Als er ertönte, fuhr auch sie den Computer herunter.

Leander verabschiedete sich grundsätzlich bis zum nächsten Tag oder zum Montag. Nie wünschte er einen angenehmen Feierabend oder ein schönes Wochenende. Wahrscheinlich, so vermutete Muriel mit einem abschätzenden Grinsen, weil er nicht wusste, was das war.

***

Das Nightlight war ein Club nördlich des Loops, den Emma und Janis vor einigen Wochen entdeckt hatten. Die zwei waren schon viele Jahre befreundet und hatten die Tradition der nächtlichen Freitagstouren durch die Diskotheken gegründet, bevor Muriel nach Chicago gezogen war.

Beide waren auf sehr individuelle Weise schräg. Emma war die Femme Fatal mit der knallroten Hochsteckfrisur und Kurven, die nicht nur Biker gern einmal abfahren wollten. Janis war die Frau mit dem durchtrainierten Körper, der Sucht nach Tätowierungen und dem Beauty-Face, in das ihre Verehrer nicht selten schockiert starrten, wenn sie erfuhren, dass lediglich Frauen auf ihrer Speisekarte standen. Anne, die Fotografin war, komplettierte das Quartett an den meisten Freitagabenden. Heute fehlte sie, da sie und ihr Lebensgefährte einen Film im Kino ansahen.

Das Nightlight war nicht sehr groß und bislang nur unter Insidern bekannt. Sein Publikum war bunt gemischt, nicht zu jung und nicht überstylt, sondern eher lässig. Auf dem Mainfloor, der von wechselnden LEDs in Szene gesetzt war, wurde gut tanzbare House-Musik gespielt.

Muriel tanzte an diesem Abend nicht, aber sie genoss die Musik. Ab und zu wechselte sie in die Lounge, wo die Partygänger beim Chill-out in fluffigen, dunkelroten Samtsofas relaxten und den Sinn des Lebens mit Fremden diskutierten.

Zurück an der Bar des Mainfloors bestellte Muriel ihren zweiten Mai Tai und beobachtete die Tanzenden. Ihr Blick blieb bei Janis hängen, die sich front-to-back an eine Frau schmiegte. Hinter der anderen tanzend, hielt sie in ihrer rechten Hand den Longdrink, Wodka-Lemon, wie immer. Ihre Linke umschlang die Taille der Frau, eine Blondine, die wunderbar in Janis’ Beuteschema passte.

Ihr Tanz war wie ein Vorspiel – Muriel verbesserte sich im Stillen – es war das Vorspiel. Janis’ Finger fuhren zwischen den Brüsten der Blonden hinauf zu ihrem Hals, zwangen sie dazu, den Kopf zurückzulegen, umfassten ihr Kinn und zeichneten die Linie ihrer Wangen nach. Janis’ Lippen formten sich zu einem Lächeln, als sie der anderen etwas ins Ohr sagte und bei dieser Gelegenheit einen Kuss unterhalb ihres Ohrläppchens platzierte. Die andere reagierte darauf mit einer kleinen Explosion. Ihre Hände schlossen sich um Janis’ Gesicht, während sich ihr Körper dichter an sie presste. Sie und Janis schienen sich allein auf der Tanzfläche zu fühlen, und die Gewissheit, dass sie es nicht waren, störte sie nicht im Mindesten.

Muriel wandte sich ab. Den Zeitpunkt, mit Emma ein Gespräch zu beginnen, hatte sie inzwischen verpasst. Zwar saß die Freundin nur einen Hocker weiter, doch sie war von dem DJ, zu dessen Tracks sie während der letzten Stunde getanzt hatte, auf einen Drink eingeladen worden. Die beiden flirteten und lachten über Dinge, die sie einander erzählten.

Für Flirts und Gespräche hatte Muriel so wenig übrig wie für Emotionen im Allgemeinen. Nicht einmal zum Aufwärmen brauchte sie so etwas. Das war Zeitverschwendung, wenn es allein darum ging, in der Kiste zu landen. Ging es um mehr, schwand Muriels Interesse ohnehin völlig. Sie ließ sich nicht auf jemanden ein, dessen Intention nicht so eindeutig war wie ihre eigene. Sie wollte keine Komplimente, keine Drinks und keine Informationen. Absolut nichts mochte sie von denen wissen, mit denen sie schlief. Nicht, wo sie arbeiteten, nicht, wie sie ihre Freizeit verbrachten, nicht, ob sie verheiratet waren oder sich gerade getrennt hatten. Im Grunde musste sie nicht einmal ihre Namen erfahren. Sie brauchte kein behutsames Annähern oder das Ausloten von gemeinsamen Vorlieben.

Muriel wollte One-Night-Stands. Ausschließlich. Und in der pursten Form überhaupt. Kein Kuscheln vorher, kein Kuscheln danach, kein Wort zu viel, keinen Abschiedskuss und keine Post-its mit Telefonnummern.

Muriel trank von ihrem Cocktail und ließ den Blick über die Tanzfläche schweifen. Die Beats waren inzwischen härter und mehr Männer tanzten, darunter niemand, der für sie von Interesse war.

»Aus welchem Grund bist du hier?«, hörte sie mit einem Mal jemanden neben sich fragen.