LebensLust - Liebe das Leben ... - Alexa McNight - E-Book

LebensLust - Liebe das Leben ... E-Book

Alexa McNight

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 224 Taschenbuchseiten Die Liebe lässt sich nicht bitten. Sie tut, was sie will, wann sie es will, und mit wem sie es will. Emma hasst Tristan. Tristan hasst Emma. Zusammen arbeiten müssen sie trotzdem. Von ihrer Abneigung angetrieben, lassen sie sich auf eine Wette ein, die ihren Trip zu den heißesten Locations von Chicago zu einer echten Herausforderung macht …

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Seitenzahl: 291

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Impressum:

LebensLust | Erotischer Roman

von Alexa McNight

Originalausgabe

© 2014 by blue panther books, Hamburg

All rights reserved

Cover: © Goran Bogicevic @ shutterstock.com

Umschlaggestaltung: www.heubach-media.de

ISBN 9783862774159

www.blue-panther-books.de

EPILOG

Ob ein Ort schön ist oder hässlich, das hängt nicht von seiner Kulisse ab, nicht vom Kontrast oder der Sättigung seiner Farben, nicht von Kunst oder Natur. Die bunteste Metropole kann in Einsamkeit vor sich hin lärmen, wohingegen der tristeste Hinterhof wie ein blühendes Atrium erscheinen mag. Es sind Stimmungen, Emotionen, Träume und Erinnerungen, die Orten ihre Eigenschaften verleihen. Und es sind Menschen, die Stimmungen beeinflussen.

Ohne Zweifel ist dieser eine Ort idyllisch. Die Terrasse, deren Planken aus so dunklem Holz sind wie die Tische und Klappstühle für die Gäste des kleinen Restaurants. Der Wind spielt mit den hellen Tischdecken und lässt die Windlichter trotz ihres gläsernen Schutzes flackern. Lampions schaukeln über dem Steg, der ein Stückweit in den Fluss ragt. Das Wasser fließt still im Licht des Abends.

Zur selben Minute, am selben Tag, zur selben Jahreszeit, bei gleichem Wetter wäre dieses Bild vielleicht ein ganz anderes. Die Stimmung eine andere. Da wäre nicht das Kribbeln unter der Haut, nicht das Flattern im Bauch, nicht die Hitze ums Herz, nicht die in jeder zehnten Sekunde verrücktspielende Fantasie. Bei den Gedanken, die sie entstehen lässt, mochte man meinen, dass Sex das Thema ist oder dass zumindest entsprechende Intentionen angedeutet werden, dabei könnte das, worüber die beiden sprechen, kaum unerotischer sein.

Ob er an Gott glaubt, hat sie von ihm wissen wollen. Er hat ihr geantwortet, dass er das tut, dass er Gott aber nicht in einer Kirche erwartet und findet. Ob er an Himmel und Hölle glaube, hat sie ihn weiter gefragt, oder an Wiedergeburt. Das mit der Wiedergeburt, stellt er ganz sachlich infrage. Wenn eine Seele einen Körper verlässt und in einen neuen einkehrt, wie erklärt sich dann die ständig zunehmende Weltbevölkerung? Natürlich hat sie eine logische Erklärung dafür, wie für so vieles vermeintlich Kuriose. Die Seele sei Energie, behauptet sie, und Energie kann sich teilen.

»Geteilte Seelen!«, sagt er und zieht eine Braue hoch. Das halbe Lächeln, mit dem er sie bisher angesehen hat, wird nun beinahe ein ganzes.

»Nicht doch, geteilte Seelen«, verteidigt sie sich, aber muss ebenfalls lächeln. »Von Energie rede ich.«

Das mit der Energie ist auch so eine Sache, die ihn amüsiert. Er sieht das Leben lieber realistisch, aber er mag ihre Sicht auf die Dinge, und ihre Gespräche. Überhaupt gibt es ziemlich wenig an ihr, das ihm nicht gefällt. Dass sie manchmal so fern ist, zum Beispiel, gehört zu den Dingen, die ihm missfallen. Dass sie gewissermaßen rastlos ist, nicht so geduldig wie er, und immer etwas zu tun braucht, das findet er wiederum sehr anziehend. Auch jetzt hat sie scheinbar schon viel zu lange gesessen und kann es nicht abwarten, dass die Bedienung mit der Rechnung kommt. Kaum ist es soweit, steht sie auf, streicht sich die vom Wind verwirbelten Haarsträhnen hinter die Ohren und streckt die Hand nach seiner aus.

»Lass uns spazieren gehen«, schlägt sie vor und liefert damit wieder einmal eine Vorlage, die er nun in Ruhe ausmalen kann. Auf dem Spaziergang, dessen Ziel ihm bei ihren Worten eingefallen ist. Aber dazu schweigt er noch, weil er es mag, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Wie er es mag, sie neugierig zu machen und ihr zu zeigen, dass er mit ihrer Fantasie und Kreativität ohne Weiteres mithalten kann.

Sein Arm liegt an ihrem Rücken, ihrer an seinem. Ihr Daumen ist in einer seiner Gürtelschlaufen eingehakt, seine Hand steckt in ihrer Potasche. Noch schlummert die Hand, doch beim Gefühl der Rundungen kribbelt es so manches Mal darin.

So gelangen sie vom Flussufer zu einem Pfad, der sich durch ein Wäldchen schlängelt, dessen Bäume lange Schatten werfen. Weiter geht es über eine Wiese, deren Halme unter ihren Schritten surren und deren Blumen von den letzten, müden Hummeln besucht werden. Vor einer Hecke bleiben sie stehen.

»Lass uns ein Spiel spielen«, schlägt er vor, und beim Anblick des Funkelns in ihren Augen und wie sie sich scheinbar grüblerisch auf die Lippe beißt, regt sich etwas unterhalb seiner Gürtellinie.

Sie mag seine Spiele, weiß, wie er spielt und dass es keine Verlierer gibt. Sieht man davon ab, dass es für Außenstehende vielleicht den Anschein hat, als sei sie der Verlierer. Sie liebt es, auf diese Weise »zu verlieren«. Abermals sieht sie zur Hecke. Das warme, dunkle Licht spielt im Grün der Blätter und verleiht einigen von ihnen eine goldene Farbe.

»Kenne ich dieses Spiel schon? Wie heißt es? Verstecken?«

Er kommt ihr so nahe, dass sein Atem über ihre Wange streicht. »Siehst du den Eingang in der Hecke?«

»Ja.« Ihre Stimme ist ein Flüstern. Sie ist in seinem Blick gefangen, allzu freiwillig. Sie mag diese Augenblicke so sehr, die Sekunden, in denen ihr Herz so laut schlägt.

»Auf der anderen Seite gibt es einen Ausgang.«

»Das dachte ich mir. Und du willst, dass ich ihn finde?«

Er haucht einen Kuss auf ihren Mund. Ganz sachte, wie um ihre Sehnsucht nach mehr zu wecken. »Finde ihn«, murmelt er an ihre Lippen und macht einen Schritt zurück. »Ich warte auf der anderen Seite. Wenn du in zehn Minuten nicht dort bist ...«, bei diesen Worten schmunzelt er, »dann finde ich dich.«

Eine Gänsehaut kriecht über ihren Nacken, als sie den Eingang der Hecke passiert. Wie erwartet ist da ein Gang, der schon bald um eine weitere Ecke führt und sich daraufhin gabelt. Sie sieht über die Schulter zurück. Ohne Weiteres würde sie jetzt noch zurückfinden. Sie könnte den Spieß umdrehen, sich außerhalb der Hecke zu ihm schleichen, ihm die Hände über die Augen legen ... und das Spiel verderben. Wie schade wäre das.

Die Aufregung treibt ihren Herzschlag weiter an. Die Vorfreude, ihn in spätestens zehn Minuten wiederzusehen, will sie vorantreiben, doch sie bleibt noch einen Moment stehen. Sie legt den Kopf zurück und sieht in den Himmel, dessen Blau sich auf der Seite der untergehenden Sonne orange färbt. Sie atmet ein und meint, noch seinen Duft riechen zu können. Der Duft, der sie seit Stunden umgibt und lockt. Dann blickt sie nach vorn und schlägt den linken Pfad ein. Immer links wird sie gehen, nimmt sie sich vor und landet mit dieser Entscheidung im Zentrum des Irrgartens.

Hier steht ein Brunnen. Wasser sprudelt aus der Spitze der steinernen Säule und sammelt sich im Becken. Ein paar Blätter treiben darauf. Auf dem breiten Brunnenrand balancierend, mustert sie den Gang, aus dem sie gekommen ist, und die drei anderen, die von hier aus anderswohin führen. Mit einer Vermutung, wo der Ausgang liegt, hopst sie vom Brunnenrand und wählt einen neuen Weg.

Ziemlich enttäuscht steht sie wenig später abermals vorm Brunnen und trifft eine neue Entscheidung. Sie ahnt, dass sie nun den richtigen Pfad erwischt hat und beschleunigt ihre Schritte, um den Ausgang vor Ablauf der zehn Minuten zu erreichen, biegt um eine Ecke ... und prallt gegen seine Brust.

Sie lacht, weicht zurück und will ein Argument anbringen, das er mit einem einfachen »Zu spät« löscht. Also dreht sie sich um und läuft in die Richtung, aus der sie gekommen ist.

Er hat sie eingeholt, kaum dass sie einen Fuß auf die Lichtung gesetzt hat. Er umschlingt sie von hinten und presst sie an seinen Körper, schmiegt sein Gesicht an ihre Halsbeuge, um ihren Duft einzuatmen. Sie legt den Kopf gegen seine Schulter und schließt die Hände in seinem Nacken. Seine Hände fahren über sie, kneten ihre Brüste durch die Bluse, öffnen die ersten Knöpfe und gleiten dann tiefer. Als er sie zwischen ihren Beinen berührt, murrt sie genussvoll und greift hinter sich in seinen Schritt.

»Du bist hart.« Sie schmiegt sich wieder dichter an ihn. »Und das fühlt sich so gut an.«

Bevor er ihr antworten kann, macht sie sich von ihm los, springt auf den Brunnenrand und kickt ihre Schuhe von den Füßen. Er macht sich nicht die Mühe, die Sneakers auszuziehen, sondern ist in der nächsten Sekunde im Brunnen, nimmt ihr Hände und zieht sie zu sich ins Wasser. Sie schaudert, als es ihre Füße kühl umspült.

»Hart war ich schon im Restaurant«, sagt er und dirigiert sie zur Säule. Ihren Fluchtweg blockiert er mit seinem Körper.

Schnell öffnet er die letzten Knöpfe ihrer Bluse und auch das Fronthäkchen ihres BHs. Ihren Blick in seinem festhaltend, knetet er ihre Brüste, deren Spitzen hart gegen seine Handflächen reiben. Als sie mit dem Rücken gegen die Säule stößt, küsst er sie. Mit dem Wasser, das über ihre Schultern und Arme rinnt, prickelt ein neuer Schauder über ihre Haut. Sie knabbert an seiner Lippe, lässt seine Zunge in ihren Mund und öffnet den Gürtel seiner Jeans.

Seine Hände wollen unter ihren Rock. »Und was ist mit dir? Bist du feucht?«

Sie greift seine Handgelenke, stoppt ihn. »Meine Füße?«, neckt sie ihn. »Die sind so feucht wie deine.«

Er befreit sich aus ihrem Griff. »Du hast ein loses Mundwerk ... und zu lose Hände ...« Er zieht seinen Gürtel aus den Schlaufen der Jeans und küsst sie, sowohl um sie zum Schweigen zu bringen als auch, um sie noch wehrloser zu machen.

Seine Hände streichen über ihre Seiten nach oben, teasen ihre Nippel ein neues Mal und schieben ihre Arme über ihren Kopf. Sie spürt das Leder seines Gürtels auf ihrer Haut. Es schließt sich um ihre Gelenke, schlingt sich auch um die Säule des Wasserspeiers hinter ihr. Er macht sie daran fest.

»Mund und Hände gezügelt«, murmelt er an ihre Lippen und wirkt noch zufriedener, als sie sich windet, weil er ihre Nippel jetzt ganz unsanft behandelt, sie kneift und daran zieht. Wenig später erreichen seine Hände ihr eigentliches Ziel zwischen ihren Beinen. »Und wie feucht du bist ...«

Er schiebt ihren Rock ein Stück höher und ihren Slip zur Seite, um einen Finger in sie zu stecken. Sie stöhnt und kommt ihm soweit es geht entgegen, damit er sie besser berühren kann.

»Ist das eine Bitte?«, fragt er mit einem leisen Lachen. »Soll ich dich zum Höhepunkt streicheln?«

Um sie zu reizen, schickt er seine Fingerspitze ein paar Mal um ihren Kitzler. Nur so lange, dass ihr Geist ein bisschen weicher wird und loslässt. Dann hebt er sie an, setzt sie auf den schmalen Sims der Säule und schiebt ihre Beine auseinander. Das Wasser rinnt nun auch über ihre Brüste, über ihren Bauch.

»Oder soll ich dich zum Höhepunkt fisten?«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, schiebt er drei Finger in sie, dehnt sie und nimmt einen vierten hinzu. Sie winkelt die Beine an, um zuzusehen, wie seine halbe Hand wieder und wieder in sie fährt. Vollkommen geil macht sie dieser Anblick und das Gefühl des heftiger werdenden Ziehens in ihrem Unterleib. Immer lauter wird ihr Stöhnen, das manchmal sein Name ist und manchmal wortlos und schließlich zu einem kleinen, enttäuschten Murren wird, weil er aufhört. Dabei war sie so kurz davor.

Er öffnet die Knöpfe seiner Jeans, holt seinen Schwanz aus der Unterhose und lässt ihn durch ihre Spalte gleiten. Er ist heiß, noch immer hart, und er pulsiert vor Lust auf sie. Wassertropfen rinnen von ihrem Venushügel auf ihn und sitzen darauf wie durchsichtige Perlen.

»Heute kommst du nicht, weil ich dich streichele oder fiste«, sagt er. »Heute ficke ich dich zum Höhepunkt.«

Damit stößt er in sie. Sie schreit und zieht an ihren Fesseln, doch der Gürtel sitzt fest und hält ihre Hände über ihrem Kopf.

»Tiefer«, flüstert sie und sieht ihn an.

Seine Augen waren nie dunkler als in diesem Moment, und in seiner angespannten Miene steht nun das Vorhaben, sie beide um den Verstand zu bringen. Sie schreit ein zweites Mal, als er ihre Hüften packt und ihrem Wunsch folgt, sie tiefer zu ficken.

»Fester«, murmelt sie schon halb benommen und atemlos.

Dann schließt sie die Schenkel um seine Hüften, um ihn darin einzuspannen, ihn sowohl anzutreiben als auch sich austoben zu lassen, bis sie beide für diese Nacht Erlösung finden.

EINS

Brandon Boyd hatte die süßeste Stimme, die Emma kannte. »7 am«, säuselte er in Emmas Ohr, und sie räkelte und streckte sich, drehte sich auf die andere Seite. Tatsächlich war es sieben Uhr am Morgen und Zeit aufzustehen, doch die Vorstellung, dass Brandon Boyd gar nicht für Incubus, seine Band, sang, sondern für sie, ließ sie noch ein wenig dösen. Als er bei »12 pm« angelangt war, warf Emma die Bettdecke zurück, stand auf und ging vor sich hin summend unter die Dusche. Im Anschluss grübelte sie vor ihrem Kleiderschrank darüber nach, welchen Rock sie heute tragen würde. Für andere sah es vielleicht so aus, als sei es ein und derselbe, schließlich war es immer ein schwarzer Bleistiftrock, aber Emma kannte die Unterschiede und Details natürlich. Und sie wusste auch, dass sie genau sechsundzwanzig solcher Röcke besaß. Wann immer sie einen fand, konnte sie einfach nicht widerstehen und musste ihn kaufen.

Sie entschied sich für ein Exemplar und wählte dazu ein leichtes Shirt ohne Ärmel. Es war Juni und brütend heiß in Chicago. Sie wollte nicht schon zerflossen sein, wenn sie aus der Bahn stieg. Das Shirt hatte den exakt gleichen Farbton wie Emmas Haare. Es war nicht nur rot, sondern knallrot. An ihre eigentliche Haarfarbe konnte Emma sich kaum erinnern. Ein Straßenköterblond war es wohl, das sie mit der leuchtenden Farbe aufpeppte, seit sie zwanzig war. Zwanzig – dieses Alter war schon anderthalb Jahrzehnte her und die Zeit gewesen, als sie vom Pummelchen zur Frau geworden war – ohne den Verlust ihrer Kurven. Einst hatte sie diese Kurven bedauert und verflucht, doch inzwischen waren ihr runder Hintern und die schmale Taille, natürlich verpackt in einem Bleistiftrock, so etwas wie ihr Markenzeichen. Zusammen mit dem leuchtend roten Haar. Mit ein paar geübten Handgriffen steckte sie es zurück, legte ein bisschen Make-up auf und wechselte in die Küche, um einen Bagel zu tosten und ihrem Kaffeeautomaten den ersten leckeren Latte Macchiato des Tages zu entlocken. Frühstück – das fand für Emma grundsätzlich zu Hause statt. Sie mochte es nicht, sich in der Redaktion schnell etwas zwischen die Zähne zu schieben und dabei auf der Tastatur herumzuklimpern. Das war sowas von unentspannt.

Die beiden Bagel-Hälften ploppten kross aus dem Toaster. Emma flippte sie auf einen Teller, nahm Kräuterstreichkäse aus dem Kühlschrank, schnappte sich auch ihren Kaffee und setzte sich an den Tresen, der ihre Küche vom Wohnzimmer trennte.

Während sie aß, dachte sie über die Geschichte nach, die sie am Vorabend gelesen hatte. Sie hatte sie kribbelig und so heiß gemacht, dass sie nicht hatte einschlafen können, ohne sich selbst mit dem Gedanken daran einen Orgasmus zu bescheren. Angetrieben von der verlockenden Vorstellung, an diesen Wasserspeier im Pool des Irrgartens gefesselt zu sein und mal eben aufs Feinste durchgevögelt zu werden.

Nicht irgendeine Porno-Geschichte hatte sie am Vorabend gelesen, sondern Der Irrgarten. Die siebenundachtzigste Geschichte, die einerseits nur für sie und andererseits doch für ein großes Publikum verfasst worden war.

Vor ungefähr zwei Jahren war Emma auf einen Chicagoer Blog aufmerksam geworden und dem Blogger, der sich TiWrites nannte, bald gefolgt. Seine Geschichten waren so real, so greifbar und keineswegs primitiv, aber dennoch höchst erotisch. Sie hatte ihm gemailt, ein paar komplimentgeladene Zeilen waren es gewesen, aus denen sich eine Konversation entwickelt hatte. In deren Verlauf hatte TiWrites sie aufgefordert, ihm drei Stichworte für den nächsten Blogbeitrag zu liefern. Emma hatte das gern getan, und tat es seither. Ihre letzten Stichworte waren »Irrgarten«, »Brunnen« und »Fesseln« gewesen.

Wie jede andere besaß seine letzte Story einen wirklich speziellen Charakter. Dies nicht nur, weil TiWrites so gut schrieb, sondern auch, weil seine Story aus ihrer beider Gedanken entstanden war und weil sie beide zu den Akteuren geworden waren, mit denen er immer mehr Menschen begeisterte. Mehr als fünftausend Follower hatte er mit seinen erotischen Bedtime-Stories schon gewonnen. Pro Tag kam mindestens einer hinzu.

In ihren Mails gaben sie nie etwas Privates von sich preis oder erfuhren es vom anderen. Sie sprachen nie über ihren Alltag, nicht über ihre Jobs und tauschten ganz sicher keine Fotos aus. Sie blieben einander unbekannt – aber das eigenartige Vertrauen, das sich mit der Zeit doch entwickelt hatte, war faszinierend. Nicht einmal ihre echten Namen kannten sie, und TiWrites hatte nie gefragt. Für ihn war und blieb Emma die Muse, die sich LebensLust nannte.

Das zumindest war die offizielle Version. Es war das, was TiWrites glaubte und Emma ihn glauben ließ, weil sie die Illusion nicht gegen die Realität austauschen wollte. Noch nicht – kostete das auch Mühe. Nein, sie hatte nicht geschnüffelt oder recherchiert, wie es für jemanden, der in der Journalisten-Branche arbeitete, naheliegend war. Es war eine Äußerung gewesen, die sie hatte aufhorchen lassen, und die Erkenntnis war so prompt gekommen, dass Emma für einen Moment wie vor den Kopf gestoßen gewesen war.

Beinahe einen Monat war es nun her, dass Tom, der Fotograf von KINGz eines von Emmas Carbo-loading-Rezepte fotografiert hatte. Die Rezepte waren aufgrund ihres hohen Kohlenhydratgehaltes speziell auf die Bedürfnisse von Sportlern abgestimmt. Die Linguini waren echt lecker gewesen, wie auch Tom festgestellt hatte, als er sich nach dem Fotografieren, wie üblich, darüber hergemacht hatte. Während er aß, erwähnte er seinen Blog, schien das aber in derselben Sekunde für einen Fehler zu halten und wollte davon ablenken. In Emmas Kopf hatte ein Alarm geschrillt, denn zu TiWrites jüngstem Beitrag hatte sie die Stichworte »Pasta«, »Restaurant« und »Buffet« geliefert, woraufhin er eine Story geschrieben hatte, in der eine Frau ihren Körper zu einem Buffet dekorieren ließ, damit ein Mann Nudeln von ihr essen konnte. Auf Emmas Nachhaken, hatte Tom ihr zwar mit einem Augenzwinkern, aber sehr bestimmt gesagt, dass er nicht darüber sprechen wollte. Nichtsdestotrotz hatte es Emma immer mehr gedämmert: Tom hatte eine Schwäche für Sex und Frauen. Tom hatte einen Blog, verheimlichte dessen Thema, hatte sich aber wegen der Linguini daran erinnert. TiWrites – das konnte nur eine Abkürzung für Tom schreibt sein.

Nachdem Emmas Schock, der Tom aufgrund seiner Gaumenfreuden völlig entging, abgeklungen war, musste sie an sich halten, um ihm bloß nicht um den Hals zu fallen und ihn niederzuknutschen. Der Satz »Ich bin LebensLust!«, drängte sich unermüdlich auf ihre Zunge, und die Erkenntnis erfüllte sie mit so viel Freude, dass sie beinahe geheult hätte. Denn Tom war ein bisschen mehr als nur Emmas Fotograf; er war außerdem ein begnadet guter und ausdauernder Liebhaber. Bedauerlicherweise nicht nur ihrer. Während sie sich mit jedem Mal ein bisschen mehr an ihn verlor, lebte er seinen Sexualtrieb in vollen Zügen aus und ahnte nicht, wie sehr es sie wurmte, nicht die Einzige und Einzigartige zu sein.

Nun hatte sich herausgestellt, dass Tom TiWrites war. Und für den war sie ohne Zweifel die Einzige und Einzigartige, wenn auch auf außergewöhnliche Weise. Emma hatte im Stillen triumphiert und sich ein bisschen ausgelacht, weil sie sich monatelang gegrämt und darauf gewartet hatte, dass Tom verstand, dass sie nicht wie alle anderen war. Sie wollte, dass er sich endlich eingestand, dass er und sie zusammengehörten und dass er alle anderen für immer von seiner Bettkante schubste. Einen Wink mit dem Zaunpfahl brauchte er oder auch einen Wink des Schicksals. An diesem Nachmittag hatte das Schicksal sehr heftig Winke-Winke gemacht, und Emma war klar geworden, dass Tom schon bald begreifen würde, was TiWrites längst wusste ...

Zum ersten Mal im Bett gelandet waren sie beide als Kumpels, die sich sexuell anziehend fanden. Es hatte nicht mehr werden sollen – war es prinzipiell auch nicht. Ein Fakt, den bislang nur Emma bedauerte, denn sie war der Macht der Biologie unterlegen. Sex ohne Gefühle? Wieder und wieder? Das funktionierte nicht. Nicht für sie und nicht für die meisten anderen. Was sie an Tom so mochte, mit Ausnahme seiner sexuellen Fähigkeiten? Das konnte sie nicht einmal sagen. Sie hatte ihn einfach echt gern. Ihr Herz schlug schneller, wenn sie ihn sah. Und die Schmetterlinge im Bauch, die waren ein wirklich unmissverständliches Zeichen.

Ohne Zweifel, Tom war gutaussehend. Verdammt gut aussehend. Mit seiner hellbraunen Surfer-Frisur, den beinahe femininen Gesichtszügen und den von dichten Wimpern gerahmten, mandelförmigen Augen hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit Brandon Boyd. Sah Emma Tom tief in die Augen – und das hatte sie öfter getan, in allen möglichen Stellungen – dann las sie darin allerdings eine klare Botschaft: Baby, tu dir einen Gefallen und lass uns bloß Spaß haben!

Anders als Brandon Boyd säuselte er ihr nicht allmorgendlich ein »7 am« ins Ohr. Er wachte nicht einmal mit ihr auf. Weil er gar nicht erst mit ihr einschlief. Das war eine der Sachen, die Emma ändern würde! Sie wollte Tom! Für sich allein! Und sie würde ihn bekommen!

***

In der Redaktion war Emma an jedem Morgen eine der Ersten. Sie lebte im Stadtteil Buena Park, der weit im Norden Chicagos lag. Auch verkehrsbedingte Verzögerungen, deren Wahrscheinlichkeit auf der längeren Strecke höher war, galten bei KINGs nicht als Entschuldigung. Hier kam man einfach nicht zu spät. Auf dem Weg durch das Großraumbüro warf sie den schon an den Schreibtischen sitzenden, Kaffee trinkenden Kollegen einen Gruß zu, sprach kurz mit einer Redakteurin aus dem Motorsport-Bereich und ging dann zu ihrem eigenen Arbeitsplatz. Sie fuhr den PC hoch, setzte sich und erschrak, weil Tom mit fröhlich-lautem »Guten Morgen« praktisch aus dem Nichts heraus neben ihr auftauchte. Er hockte sich auf ihren Schreibtisch und trank aus seiner rosaroten Kaffeetasse. Dass ihn alle deshalb neckten, störte ihn nicht. Im Gegenteil, er machte sich seinen eigenen Spaß daraus.

»Habe ich schon erwähnt, dass dir Rot ausgezeichnet steht?«, sagte er.

Emma starrte ihn an. Sein Blick, der macht sie ... grr! Seine dreckigen Gedanken sprangen sie geradezu an und projizierten ihr die Bilder der Story ins Hirn. In ihren Gedanken zog er den Gürtel aus den Schlaufen seiner Jeans, ließ das Leder schnalzen und fesselte sie dann an den Wasserspeier eines Brunnens, um ihr die Klamotten vom Leib zu reißen, seine Hüfte zwischen ihre Beine zu schieben und sie zu ...

»Verdammt ...«, murrte sie, blinzelte und beeilte sich ein: »... oft hast du das erwähnt«, anzufügen.

»Aber das war auf deine Haare bezogen. Heute meine ich dein Shirt. Außerdem mag ich, wie knapp es sitzt. Das lässt viel Raum für ...«

»Apropos Raum ...« Emma warf einen Blick über die Schulter auf die anderen Kollegen. Da sie und Tom häufig zusammenarbeiteten, schenkte ihnen niemand Beachtung. Daran sollte sich erst einmal nichts ändern. »Der ist sehr hellhörig, dieser Raum.«

Tom wiederholte seine Worte im Flüsterton, doch Emma machte eine verscheuchende Handbewegung.

»Hau schon ab! Ich will arbeiten.«

»Du hast noch zwanzig Minuten Zeit. Entspann dich!«

»Ich bin hier, also will ich auch arbeiten.«

»Streber!« Mit einem Zwinkern verdrückte er sich zu seinem eigenen Arbeitsplatz.

Emma schnaubte. Eine Streberin war sie sicher nicht, aber es war ein wichtiger Tag. Donnerstag nämlich. Der Wochentag der Redaktionssitzung bei KINGz, und im Unterschied zu anderen Donnerstagen, die sie relaxt anging, barg dieser Tag eine Chance, die sie nicht versemmeln wollte.

Seit Emma bei KINGz begonnen hatte, schrieb sie eine Kolumne über gesunde Ernährung und wählte monatlich neue Rezepte, mit denen die Leser des He-Magazins für ihr eigenes Wohl oder das ihrer Liebsten sorgen konnten. Längst war das nicht mehr wirklich interessant, sondern nur noch bequem. Sah man von den Launen des Herausgebers ab, so war es leicht verdientes Geld. Emma tat, was sie gewohnt war und worin sie so gut war, wie kein anderer in der Redaktion. Für die Ewigkeit wollte sie diese Themen aber nicht bedienen und hatte sich schon einige Male auf die bei KINGz ausgeschriebenen Stellen beworben. Bislang hatte Leander, der Herausgeber, allerdings immer jemanden Neues eingestellt und Emma weiter die Ernährungstante sein lassen, deren Zuverlässigkeit garantiert war. Völlig überraschend war er jetzt, nach beinahe fünf Jahren, von allein auf sie zugekommen. Eine Kollegin aus dem Lifestyle-Bereich hatte gekündigt und Leander wollte Emma diese Stelle geben, vorausgesetzt, sie meisterte eine Aufgabe, die er ihr gestellt hatte: Für die Ausgaben Juli und August sollte sie die sechs erotischsten Locations in Chicago finden und vorstellen.

In den vergangenen Tagen hatte Emma also recherchiert und sich für sechs Locations entschieden. Da sie in der Redaktionssitzung sagen würde, welche das waren, war es nur logisch, dass ihr der Sinn nicht nach einer Plauderei stand. Tom hatte sie ihre Ideen bereits gezeigt, und er fand sie sehr gut. Er freute sich darauf, mit ihr zu diesen Terminen unterwegs zu sein. Natürlich tat er das, aber Emmas Vorfreude war genauso groß. Sie würde nicht nur schreiben, und er würde nicht nur fotografieren.

Während sie ihre Notizen sichtete, warf sie immer wieder einen Blick auf die Uhr. Aus reiner Gewohnheit fanden sich alle Redakteure fünf Minuten vor neun an ihren Schreibtischen ein und begannen zu arbeiten. Es war nicht auszuschließen, dass Leander pünktlich um eine Minute vor neun eintraf, und dann wollte man sich nicht gleich ein paar harsche Worte einfangen. Aber an diesem Tag ließ er sich Zeit. Erst um Viertel nach neun trudelten er und Muriel, Emmas Freundin und die Lebensgefährtin des Herausgebers, in der Redaktion ein. Wie ein eisiger Wind wehte Leander an den Schreibtischen vorbei, grummelte auf jedem Meter ein »Hey«, statt eines »Guten Morgen« und ließ seine Sekretärin mit einer Geste wissen, dass er sie in seinem Büro, das alle den Glaskasten nannten, sprechen wollte. Einen solchen Auftritt hatte es seit Längerem nicht gegeben, und Emma befürchtete, dass Leander jeden ihrer Vorschläge abschmettern würde.

Sie sah zu Muriel hinüber. Die schien nicht besser gelaunt, fuhr sich immer wieder genervt durch die dunklen Locken und mied ihren Blick. Es hatte offenbar gescheppert zwischen den beiden. Nach einiger Zeit, in der alles Friede-Freude-Eierkuchen gewesen war, hätten sie sich keinen besseren Tag aussuchen können. Emma konzentrierte sich auf ihre Notizen und war froh, als es endlich so weit war. Sie wollte es nur noch hinter sich bringen.

Leander sprach zuerst alle anderen Redakteure auf ihre aktuelle Arbeit an und wandte sich zum Schluss an Emma. Von Muriel, die für den Fall, dass alles nach Wunsch verlief, ihre direkte Kollegin sein würde, hörte sie ein leises: »Schnapp dir den Auftrag, deine Ideen sind super.«

Emma atmete durch und präsentierte ihre Locations.

Den ersten Termin plante sie im LiveAct, einem Fotostudio, das Paare während des Aktes stilvoll fotografierte. Zum Zweiten wäre das Euphoria an der Reihe, bei dem es sich um ein ganz besonderes SM-Appartement handelte. Als Nächstes würde sie das Aquarium vorstellen, eine Art Bordell, das speziell auf die Wünsche von Frauen ausgerichtet war und in dem sie selbst schon gewesen war. Der vierte Termin würde im Fucking Drama stattfinden, einem Theater, das klassische Bühnenstücke um Sex bereicherte. Die vorletzte Location war das Sin City, ein Swingerclub. Zuletzt wollte sie das Sex Come True besuchen, eine Agentur, die Sexträume wahr werden ließ, indem sie die Möglichkeit bot, sie nachzuspielen.

Emma spürte, dass ihre Ohren vor Aufregung rot geworden waren. Sie schob ihre Notizen zusammen und sah auf. Ein paar Sekunden lang betrachtete Leander sie mit regloser Miene und schwang dabei in seinem Stuhl hin und her.

Zerrupfen würde er all ihre Ideen, in der Luft zerreißen und danach würde er sagen ...

»Gut.«

Emma kräuselte die Stirn.

»Das klingt spannend«, sagte Leander weiter. »Du hast den ersten Termin für morgen Nachmittag geplant? Ist das noch so?«

»Ja, morgen bin ich im LiveAct. Das Shooting findet auf einer Terrasse ...«

»Gut«, hörte sie wieder. Die Einzelheiten schienen Leander nicht zu interessieren. Er setzte sich im Stuhl auf, wodurch er das Schaukeln endlich sein lassen musste. »Ich habe einen Fotografen kontaktiert, der dich auf deinen Touren begleiten wird.«

Emma nickte, noch immer überrascht, dass er nicht einen Einwand hatte, nicht einen einzigen Vorschlag anmeckerte. Da hatte sie sich sonst was an Argumenten zurechtgelegt, und nun brauchte sie nicht ein einziges? Das war ja absolut ... Moooment! Aus dem hinteren Teil ihres Hirns zerrte sie eine Information, die ihr beinahe entschlüpft wäre, und warf Tom, der ihr gegenüber saß, einen Blick zu. Er wirkte verwirrt.

»Ich dachte, dass Tom, wie bisher ...«

»Oh nein.« Leander hob die Hände und wandte sich an den Fotografen von KINGz. »Das ist absolut nichts gegen dich, Tom, aber ich denke, diese Fotos sind eine Herausforderung, für die wir einen Spezialisten auf dem Gebiet der erotischen Fotografie benötigen. Ich habe mit Tristan Kennedy gesprochen, und er hat sich kurzfristig Zeit genommen.«

Einige Redakteure murmelten oder raunten. Emma begann sich zu ärgern. Sie wollte mit keinem Unbekannten arbeiten. Erst recht nicht bei diesem Auftrag. Sie wollte sich auf das Wesentliche konzentrieren und sich nicht auch noch an irgendeinen Menschen gewöhnen müssen. Und sie hatte sich verdammt noch mal gefreut, mit Tom unterwegs zu sein! Das konnte sie bloß nicht als Argument anbringen.

»Tom und ich sind ein echt gutes Team«, warf sie ein. »Wir sind eingespielt, arbeiten perfekt miteinander. Und er hat Portraits ...«

»Du hast schon mal von Tristan Kennedy gehört?«, unterbrach Leander sie abrupt genervt.

Das hatte Emma verdammt noch mal nicht! Und ausschlaggebend war für sie nicht, dass sie es mit einem offenbar besonderen Namen der Branche zu tun haben sollte. Für KINGz hingegen schien es eine Rolle zu spielen.

»Ich bin echt froh, dass er das mit uns durchziehen will«, erklärte Leander weiter. Sein Ton hatte noch mehr Schärfe gewonnen. »Wenn du meinst, dass er eine Nummer zu groß für dich ist, dann macht das jemand anderes, der mit ihm klarkommt.«

Eine Nummer zu groß für sie? Emmas Ärger schlug in Empörung um. Es ging vorrangig darum, dass sie aus heiterem Himmel mit Fakten konfrontiert wurde. Mit dem neuen Auftrag hatte Leander sie ins kalte Wasser geworfen und von ihr innerhalb kürzester Zeit Vorschläge gefordert. Damit, dass er ihr eine Minute vor dem Start einen Fremden als Partner zur Seite stellte, übertrieb er irgendwie. Emma biss die Zähne aufeinander. Aber wenn Tristan Kennedy der Fotograf dieses Auftrags war, dann war das eben so.

»Ich glaube nicht, dass irgendwer eine Nummer zu groß für mich ist«, antwortete sie.

Leander nickte und stand auf. »Er wird morgen Nachmittag hierher kommen, und dann könnt ihr im LiveAct durchstarten.«

Nachdem er die Tür des Konferenzraumes hinter sich zugezogen hatte, hörte Emma Muriel neben sich aufatmen.

»Für einen Moment habe ich befürchtet, dass du es vergeigst.«

Emma wartete, dass die anderen Redakteure den Raum verließen. Als Muriel sich dessen bewusst wurde, blieb sie ebenfalls, wechselte noch ein paar Worte mit einem Kollegen, schloss dann die Tür und lehnte sich dagegen.

»Wer zur Hölle ist Tristan Kennedy?« Emma feuerte ihren Stift auf den Tisch. »Und wieso muss ich mit ihm arbeiten, statt wie gewohnt mit Tom? Seit wann engagieren wir Externe, wenn wir eigene Fotografen haben? Soll meine Arbeit durch seinen Namen aufgewertet werden oder was ist hier los?«

Muriel runzelte die Stirn. »Mit den meisten Fragen adressierst du die falsche Person. Aber ich glaube, dass Leander nur an die Fotos dachte, als er Tristan Kennedy kontaktierte. Wieso regst du dich so auf?«

»Es ärgert mich, dass ich erst jetzt davon erfahre und schon morgen mit dem Typen losziehe. Ich habe das geplant, in der Annahme, dass Tom fotografiert.«

»Wo ist der Unterschied? Mal ehrlich, Tom ist grandios, wenn es darum geht, Zucchini & Co. zu knipsen, aber Menschen, die vögeln? Und wieso willst du ihn unbedingt dabei haben? Ich frage mich ja schon eine Weile, ob da was zwischen euch läuft. Falls ja, sei bloß vorsichtig! Tom ist kein Unschuldslamm und ...«

»Da läuft nichts«, knurrte Emma und war froh, dass sie Muriel nie etwas erzählt hatte. Ein paar Mal war sie kurz davor gewesen, hatte sich aber immer, wie sich nun herausstellte glücklicherweise, zum Schweigen verdonnert.

»Besser ist das.« Muriel schlenderte zu einem der Fenster. »Was genau ist also dein Problem? Hätte Leander dich um Erlaubnis bitten sollen? Hätte er fragen sollen, ob du was gegen die Zusammenarbeit mit einem der bekanntesten Erotik-Fotografen bei einem für deine Karriere enorm wichtigen Projekt hast?«

Emma stand auf und brachte ihre Nase direkt vor Muriels. »Ich habe ein Problem damit, so kurzfristig mit Fakten abgespeist zu werden ... Bei einem für meine Karriere enorm wichtigen Projekt.« Letzteres fügte sie besonders betont an. »Und außerdem nervt es, dass du ständig in ein Horn mit Leander bläst.«

Emma bereute den Satz, kaum dass er ihren Mund verlassen hatte. Erst recht, als sie Muriels kühle Miene sah.

»Du weißt, dass das nicht so ist. Genau genommen haben wir uns heute Morgen gestritten, weil ich meine Bedenken wegen Tristan Kennedy geäußert habe. Nicht wegen seiner Arbeit, sondern wegen seines Charakters.« Ein Lächeln, das keins war, verzerrte ihren Mund. »Es ist toll, sich zu Hause wegen des Jobs zu zoffen und jetzt sowas von der besten Freundin zu hören.«

Muriel ging zur Tür, riss sie auf und donnerte sie hinter sich zu.

Emma fühlte sich wie geohrfeigt ... und wie ein dummes Schaf. Ein feines Fettnäpfchen hatte sie sich da wieder ausgesucht! Mit ihren letzten Worten hatte sie prinzipiell nichts anderes bekundet, als gar nicht mal vorhandenen Neid auf Leander und Muriel.

Interessant wäre außerdem gewesen, warum Tristan Kennedys Charakter so bedenklich war, aber diese Frage würde sie heute nicht mehr beantwortet bekommen.

ZWEI

»7 am«, säuselte Brandon Boyd in Emmas Ohr. Sie streckte sich, gähnte und blinzelte ins Sonnenlicht, das außergewöhnlich hell war ... für sieben Uhr morgens. Mit einem Ruck setzte sie sich im Bett auf und checkte die Uhrzeit auf ihrem Mobiltelefon. Verdammte 10 am war es bereits!

Emma fluchte und sprang aus dem Bett. An nicht einem Tag bei KINGz war sie seither zu spät gekommen. Mit einem Chef wie Leander verschlief man einfach nicht. Das war ein NoGo. Das war eine Katastrophe!

Sie war schon im Bad und halb unter der Dusche, da klingelte ihr Telefon. Es war eine Nummer aus der Redaktion. Muriels Apparat. Muriel redete los, kaum dass Emma das Gespräch angenommen hatte: »Ich habe ihn daran erinnert, dass du einen Arzttermin hast. Das muss er vergessen haben.«

»Oh, danke! Ich hab’s verpennt. Ich kann es nicht fassen. In einer Stunde bin ich da.«

Emma legte auf und sprintete wieder ins Bad.

Während sie duschte, hörte sie Wortfetzen der Jokes, die der Moderator im Radio riss. Als sie aus der Dusche trat, verstand sie, was sein aktuelles Thema war: Es war Freitag, der 13. Juni, und der Typ kramte die absurdesten Freitag-der-13.-Geschichten aus seinem Repertoire. Emma war nicht abergläubisch, aber bei dem Tagesstart wollte sie davon lieber nichts mehr hören und schaltete das Radio aus.

Eine knappe Stunde später hetzte sie von der Bahn, die man in Chicago nur El für Elevated nannte, zu dem Hochhaus im Loop, dem Business-District der Metropole, in dessen siebter Etage KINGz