Sehnsucht nach Riga - Karen Winter - E-Book

Sehnsucht nach Riga E-Book

Karen Winter

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Beschreibung

Schon als Kind liebt Marie-Luise von Zehlendorf, genannt Malu, Stoffe und Mode. Nichts wünscht sich die Gutsherrentochter mehr, als Kleider zu entwerfen. Als sie nach dem Tod ihres Vaters das Baltikum verlässt und nach Berlin zieht, wird ihr Traum Wirklichkeit. Doch ihr Liebster bleibt zurück und heiratet eine andere. Wird Malu in Berlin ihr Glück finden - oder muss sie dafür in die Heimat zurückkehren?

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Seitenzahl: 472

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Erster Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Zweiter Teil

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel

Fünfunddreißigstes Kapitel

Sechsunddreißigstes Kapitel

Siebenunddreißigstes Kapitel

Achtunddreißigstes Kapitel

Über die Autorin

Karen Winter

SEHNSUCHTNACH RIGA

Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Copyright © 2013 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Arno Hoven, Düsseldorf

Titelillustration: Sandra Taufer, München unter Verwendung

von Motiven von © Marta Benavides/iStockphoto;

debra hughes/shutterstock

Umschlaggestaltung: Sandra Taufer, München

Datenkonvertierung E-Book: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-1934-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Erster Teil

Erstes Kapitel

Gut Zehlendorf (Lettland), 1894

Die Maulschelle klatschte der schmächtigen Marenka so heftig ins Gesicht, dass sie gegen den Kamin taumelte, zu Boden stürzte, aufschrie und sich sogleich die Hand gegen die geschlagene Stelle drückte.

»Du wagst es zu schreien?« Freiherrin Cäcilie von Zehlendorf kniff die Augen zusammen, die wie zwei schmale dunkle Schlitze aus ihrem kalkweißen Gesicht schauten. Ihre Unterlippe zitterte, der Busen bebte. Die geballten Fäuste presste sie fest an ihre Schenkel. Immer wieder rang die Freiherrin nach Luft, und die Haushälterin Ilme stand bereit, ihre Herrin sofort aufzufangen, falls sie ohnmächtig werden sollte.

Das geschlagene Kindermädchen wimmerte auf, duckte sich und legte die Arme schützend über den Kopf. Gleichzeitig versuchte sie, den Knopfstiefeletten der Freiherrin auszuweichen, die wutentbrannt nach ihr trat.

»Nicht!«, jammerte Marenka. »Bitte nicht.«

Ein Tritt traf die Brust der jungen Frau, der nächste landete zwischen ihren Rippen.

»Nicht, bitte nicht«, flehte Marenka weiter, doch schon wurde sie wieder getroffen, diesmal an der Schulter. Das Kindermädchen heulte auf. »Ich kann doch nichts dafür!«

Das Gesicht der Gutsherrin war weiß, der Mund zur Grimasse verzerrt. »Und ob du etwas dafür kannst, du Trampel. Deine Aufgabe ist es, auf die Kinder aufzupassen. Und was hast du gemacht?«

Ihre Stiefelspitze zielte jetzt auf Marenkas Bauch.

Die Haushälterin rang die Hände. Noch nie hatte sie ihre Herrin so außer sich erlebt. In ihrer Verzweiflung ging sie dazwischen, packte die Freifrau bei den Handgelenken und sagte beruhigend: »Pscht, pscht. Davon wird’s nicht besser.«

Sie führte Cäcilie von Zehlendorf zu einem Sessel, legte ihr eine Decke über die Beine und goss ihr einen Sherry ein. Dann nahm sie ein kleines braunes Fläschchen, das hinter den Flaschen der Bar verborgen war und die Aufschrift »Laudanum« trug. Zehn Tropfen davon ließ sie in das Sherryglas fallen. Dann wandte sie sich an die Kinderfrau, die noch immer auf dem Boden vor dem Kamin lag und leise schluchzte. »Ruf den Arzt, schnell.«

»Den Arzt?«, fragte Marenka. »Wieso denn? Den brauchen wir doch nicht mehr. Soll ich nicht lieber nach dem Bestatter schicken?«

Ilme sah das Kindermädchen drohend an und legte einen Zeigefinger auf ihre Lippen. Mit dem Kinn deutete sie auf die Freifrau, die halb von Sinnen in ihrem Sessel hing. »Mach schon. Tu, was ich dir sage!«

Die Geschlagene rappelte sich auf und stürzte aus dem Salon.

Ilme, eine dicke Frau in mittlerem Alter, die stets ein weißes Kopftuch und eine weiße Schürze über ihrem blauen Kleid trug, tätschelte der Freifrau die Hand. »Nu trinken Se mal.«

Cäcilie von Zehlendorf leerte das Glas, dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und begann heftig zu weinen. »Mein Gott, was für eine Tragödie. Was für eine furchtbare Situation! Was sollen wir nur tun?«

»Nu, nu«, murmelte Ilme und zwinkerte die Tränen weg, die in ihr hochgestiegen waren. Sie hatte das Gefühl, als ob ein schwarzer, dunkler Stein sich auch auf ihre Brust gelegt hätte. Nur mit Mühe konnte sie einen langen verzweifelten Seufzer zurückhalten. »Dr. Matthus wird kommen«, sagte sie.

»Wo ist sie?« Die Freifrau zog ein Spitzentaschentuch aus ihrem Ärmel und sah Ilme mit einem so verzweifelten Blick an, dass die Haushälterin wegschauen musste.

»Nu, ich glaub, sie ist im Kinderzimmer. Mit dem jungen Herrn.«

»Wie bitte? Mit Ruppert?« Die Freifrau sprang auf. »Wie kann man diesen Teufel mit Ruppert allein lassen?«

Sie eilte aus dem Salon und hetzte die Treppe hinauf zum Kinderzimmer. Ilme folgte ihr.

Im Kinderzimmer saßen ein kleines Mädchen im weißen Musselinkleid und ein etwas größerer Junge auf dem Boden und malten. Als ihre Mutter die Tür aufriss, fuhren sie zusammen, das offene Fenster schlug mit einem Knall gegen den Rahmen.

»Ruppert!«, rief Cäcilie von Zehlendorf und breitete die Arme aus. »Ist dir etwas passiert? Hat sie dir auch etwas angetan?«

Der sechsjährige Junge schüttelte stumm den Kopf. Seine Miene zeigte keinerlei Regung. Nur Ilme sah, wie er ein Blatt, das er augenscheinlich gerade bemalt hatte, in der Faust zerknitterte und hinter seinem Rücken verbarg.

Das kleine Mädchen rappelte sich vom Boden hoch und stürzte der Mutter entgegen. Auf seinem Gesichtchen waren Tränenspuren zu erkennen. Das hellbraune zerzauste Haar ringelte sich bis auf seine Schultern, und einer seiner kleinen Schuhe lag achtlos auf dem Boden. Es wollte sich seiner Mutter in die Arme werfen, doch die wandte sich ab.

»Geh weg«, zischte sie voller Abscheu. »Geh weg von mir. Du bist nicht mehr meine Tochter, du bist ein Teufel!«

Zweites Kapitel

Gut Zehlendorf (Lettland), 1894

Als der Freiherr Wolfgang von Zehlendorf sich in seine Kutsche begab, versank die Sonne hinter den Dächern von Mitau. Er legte sich eine Reisedecke über die Beine und seufzte. Von der Versammlung der lettländischen Ritterschaft hatte er sich einiges erhofft, doch seine Erwartungen waren enttäuscht worden. Der Freiherr seufzte noch einmal und dachte an seinen Sohn. Ruppert war mittlerweile sechs Jahre alt, und Wolfgang von Zehlendorf hielt es für geboten, ihn in eine Schule zu schicken. In den Schulen von Mitau aber gab es seit einiger Zeit nur Unterricht in russischer Sprache. Dazu kam, dass seit dieser Neuerung die Schulen von Russen bevölkert wurden, von ungezähmten kleinen Jungen ohne Manieren und Wertgefühl. Und die deutsche Ritterschaft hatte es nicht vermocht, vom Zaren die Genehmigung für eine einzige deutsche Schule zu erhalten. Also blieb nur der Privatunterricht. Wolfgang schauderte, wenn er daran auch nur dachte. Grässliche Gouvernanten in langweiligen dunklen Kleidern und mit spitzen Gesichtern würden zu Mittag bei Tisch sitzen. Schweizer Bonnen, die nach Kampfer und Hustenbonbons rochen, würden mit ihrem komischen Dialekt das Haus füllen, und sein Sohn würde nie aus diesem von Frauen dominierten Haushalt herausfinden.

Wenn Wolfgang von Zehlendorf ehrlich zu sich war – und das war er meist, wenn er allein in seiner Kutsche durch die baltische Landschaft fuhr –, so musste er zugeben, dass Ruppert nicht so geraten war, wie er sich das für seinen Erben erhofft hatte.

Wolfgang von Zehlendorf sah aus dem Fenster und erblickte eine Gruppe junger Birken. Dahinter erstreckte sich fruchtbarer Boden, über dem der Abendnebel hing. Knapp zwanzig Werst lag Gut Zehlendorf von Mitau entfernt. Mit der Kutsche brauchte er, je nach Witterung, gut zwei Stunden von der Stadt bis nach Hause. Zeit genug, um eine Entscheidung über die Zukunft des Jungen zu treffen.

Er muss aus dem Haus, entschied der Freiherr. Es geht nicht an, dass die Frauen ihn noch mehr verwöhnen. Er muss mit Gleichaltrigen zusammen sein. Gut möglich, dass er es schwer haben wird in den ersten Monaten. Möglich sogar, dass seine Mitschüler ihn so manches Mal verprügeln. Aber, Herr im Himmel, es ist das Beste für den Jungen.

Wolfgang von Zehlendorf hatte Rupperts Entwicklung im letzten Jahr mit Sorge betrachtet. Einmal war er dazugekommen, als der Junge ein neugeborenes Kätzchen quälte, indem er versuchte, dessen Schwanz anzuzünden. Ein anderes Mal hatte Ruppert mit der Peitsche auf einen Stalljungen eingeschlagen, weil dieser sich geweigert hatte, dem Sechsjährigen ein Pferd zum Ausritt zu satteln. Hinter dem Rücken seiner Kinderfrau schnitt er Fratzen, doch kaum kamen seine Mutter oder sein Vater hinzu, wurde aus Ruppert der liebste Junge der Welt.

Es tat weh, aber Wolfgang von Zehlendorf musste sich eingestehen, dass der Junge einen Hang zur Hinterhältigkeit und Niederträchtigkeit hatte. Die Ursache hierfür lag natürlich darin, dass seine Gattin Ruppert unmäßig verwöhnte. Zudem wurde sie nicht müde, dem Jungen zu erklären, welch unendlich großen Besitz und welche Reichtümer er einmal erben würde und welche Macht sein Wort den Dienstboten gegenüber heute schon hatte.

Wolfgang würde es nicht wagen, seiner Frau zu erklären, welche Fehler sie im Umgang mit dem Jungen beging, oder ihr gar Vorschriften zu machen. Die Kindererziehung war Sache der Frauen, trotzdem machte er sich Sorgen. Außerdem scheute er die Auseinandersetzungen mit Cäcilie von ganzem Herzen, denn sie wusste stets sehr genau, was gut und richtig war, wer etwas zu tun oder zu lassen hatte. Manchmal schien es dem Freiherrn geradezu, als ob in der Brust seiner Gattin statt eines Herzens ein Verhaltens- und Regelbüchlein für alle Lebenslagen schlug. Ihr gegenüber kam sich Wolfgang oft ein wenig beschränkt vor, ein Mann vom Lande, nur wenig besser als ein Bauer.

Der Freiherr wusste, dass es ihm an städtischem Schick mangelte, den Cäcilie im Gegensatz zu ihm in ihrer Jugend in Riga wie Nektar eingesogen haben musste. Stets beherrscht, lächelte sie über seine Ungeschicklichkeit mit der Austernzange hinweg und legte ihm bei Tisch eine Hand auf den Unterarm, wenn er die Gäste mit seinen Theorien zur besseren Bestellung der Landwirtschaft langweilte. Sie war es gewesen, die nach ihrer Heirat vor sieben Jahren wertvolles Porzellan angeschafft hatte, die Kristallgläser aus Italien und Champagner und Foie gras aus Frankreich kommen ließ. Und sie war es auch gewesen, die ihm eine Zigarettenspitze aufgenötigt und einen Humidor für seine Zigarren angeschafft hatte. Seit sie dem Haushalt vorstand, gab es die merkwürdigsten Gerichte mit den seltsamsten Zutaten und mit unaussprechlichen französischen Namen. Fingerschälchen, Messerbänkchen und Damastservietten kannte Wolfgang selbstverständlich aus seiner Kindheit, aber Schneckenzangen und silberne Olivenstäbchen hatte es zuvor auf Gut Zehlendorf nicht gegeben.

Alles in allem bewunderte Wolfgang seine Gattin für ihren gesellschaftlichen Schliff und ihre untrügliche Sicherheit in allen Dingen des Lebens. Nur manchmal kam ihm der Gedanke, dass auch Cäcilie nicht mit jedem Problem so leicht fertig wurde, wie es den Anschein hatte. Insbesondere dann, wenn die kleine Marie-Luise ihrer Mutter Fragen stellte, die mit »Warum« oder »Woher« begannen. Woher weiß die Sonne, dass es Morgen ist und sie aufgehen muss? Warum muss ich abends und morgens die Zähne putzen, auch wenn ich in der Nacht gar nichts esse?

Cäcilie betrachtete ihre Tochter dann mit einem Blick, als würde sie das kleine Mädchen überhaupt nicht kennen und auch nicht wissen, wie das Kind vor ihre Füße gekommen war. Sie zog die Augenbrauen nach oben und antwortete mit ungewöhnlicher Schärfe: »Weil das nun einmal so ist und auch du es nicht ändern wirst.«

Marie-Luise. Immer wenn Wolfgang von Zehlendorf an seine kleine vierjährige Tochter dachte, umspielte ein Lächeln seine Lippen. Ihr Haar war so fest und dick, als würde man in einen Handfeger fassen, während Rupperts Haar eher fein und seidig an seinem Kopf lag und nur mit Mühe die Ohren verdeckte. Malu hatte weiße ebenmäßige Zähnchen, die sie beim Lachen zu gern zeigte, während Ruppert die langen Zähne – ein Erbe der Familie seiner Mutter – meist hinter der vorgehaltenen Hand versteckte. Malus Augen wirkten mal grau, mal grün und mal braun, doch stets waren sie groß, rund und wissbegierig, während Rupperts blaue Augen eng beieinanderstanden und seine Blicke flink wie Frettchen hin und her huschten.

Malu, das Sonnenkind. Malu, die so viel von ihm hatte. Sie war mehr Land- als Adelskind und mit ihrer unbekümmerten Fröhlichkeit schon jetzt eine Herzensdiebin. Vielleicht, dachte Wolfgang, hatte er Malu stärker ins Herz geschlossen, weil Cäcilie immer etwas an dem Kind auszusetzen hatte. Stets war ein Fleck auf Malus Kleid oder ein Halm im Haar, und oft verlor sie ihre Schuhe, weil sie lieber das Gras unter ihren kleinen Fußsohlen spüren wollte, als eingezwängt in den engen Schuhen zu laufen. Malu liebte Tiere, näherte sich ohne Furcht oder Abscheu den Rindern und Schweinen, jagte die Hühner über den Hof oder trieb die Gänse mit ausgebreiteten Armen vor sich her. Bei Tisch zappelte sie herum und sprach schon mal mit vollem Mund, weil sie zu aufgeregt war, um erst hinunterzuschlucken. Sie biss herzhaft in einen Pfirsich, statt ihn sich von der Kinderfrau mit Messer und Gabel in Stücke schneiden zu lassen. Sie trank Wasser aus dem nahen Bach, aß Beeren ungewaschen direkt vom Strauch und schlief jede Nacht so tief und fest wie ein Bärenjunges.

»Malu.« Wolfgang flüsterte den Namen der Kleinen zärtlich vor sich hin. Mit ihr würde er keine Sorgen haben. Sie würde ihren Weg gehen. Schon jetzt galt ihre ganze Liebe den einfachen Dingen. Sie würde einen Gutsherrn heiraten und mit Freude ihr Haus führen. Sie würde Anteil nehmen am Gedeih und Verderb der Güter, würde zupacken, wenn es darauf ankam, und stets das tun, was gerade nötig war.

Die Kutsche durchquerte das große schmiedeeiserne Tor mit dem Wappen derer von Zehlendorf. Knirschend rollte sie über die kiesbestreute Auffahrt, umrundete das Rondell vor der Freitreppe und kam schließlich mit einem Ruck zum Stehen.

Wolfgang von Zehlendorf warf die Decke von sich, als der Kutscher den Schlag aufriss, und stieg aus.

Er blickte an der Fassade des Hauses empor. »Was ist hier los?«, fragte er. »Es sind beinahe alle Zimmer erleuchtet. Gibt meine Gemahlin heute Abend eine Gesellschaft?«

Der Kutscher schüttelte den Kopf. »Ich weiß von nix, jnädiger Herr. Is’ auch nich meine Sache. Soll ich in der Küche fragen?«

»Nein, geh ruhig nach Hause, warst lange genug auf den Beinen.«

Der Kutscher riss sich die Mütze vom Kopf. »Danke, Herr. Ein’ schön’ Abend auch.«

Wolfgang nickte. Dann stieg er langsam die Freitreppe hinauf und unterdrückte dabei ein schlechtes Gewissen, denn Cäcilie hasste es, wenn er zu spät kam und die Gäste warten ließ.

Im Vestibül war jedoch alles ruhig. In der Garderobennische hingen keine fremden Mäntel, und in der Silberschale auf der kleinen Nussbaumanrichte lagen keine Visitenkarten. Nur die Blumen in einer Vase verloren mit einem zarten Geräusch die ersten Blütenblätter. Und doch brannten alle Petroleumlampen. Sogar der schwere Deckenlüster war mit frischen Kerzen bestückt und malte Schatten an die Wände. Aus der Küche, deren Tür offen stand, drang nicht das kleinste Geräusch. Im Herd glomm ein Feuerrest, die kupfernen Töpfe, Kessel und Pfannen hingen blank geputzt an ihrem Gestell, der schwarz-weiß geflieste Boden war sauber gewischt, der Holztisch mit Sand gescheuert.

Wolfgang beruhigte sich ein wenig. Lag die Küche verlassen, dann gab es keine Gesellschaft, und er hatte folglich nichts verpasst.

Überhaupt herrschte im Haus eine so ungewohnte Stille, dass Wolfgang von Zehlendorf nun doch eine dunkle Ahnung überfiel. Meist waren die Kinder zu hören, die irgendwo im Haus spielten, oder die Dienstmägde, welche die letzten Arbeiten des Tages verrichteten. Heute aber hörte Wolfgang keinen Laut. Das Haus lag still. Totenstill. Ob etwas passiert war? Er spürte sein Herz rascher schlagen. War jemand erkrankt? Hatte es einen Unfall gegeben?

Er öffnete die Tür zum Salon und fand seine Frau auf einer der beiden dunkelroten Récamieren. Sie hatte die Füße angezogen und hielt sich eines der Kissen vor den Bauch. Auf einem kleinen Tisch neben ihr stand das Fläschchen Laudanum.

Cäcilie war sehr blass, beinahe schon durchsichtig. Schon immer hatte ihr Anblick Wolfgang den Atem geraubt. Selbst nach über sieben Jahre Ehe konnte er es nicht fassen, dass ausgerechnet diese schöne Frau sich in ihn verliebt hatte. Sie trug ihr volles braunes Haar zu einem kunstvollen Knoten aufgesteckt, das schmale Gesicht mit den griechischen Zügen war nun von Dunkelheit überschattet. Unter der edlen Nase zitterte der volle Mund ein wenig, als ob Cäcilie nur mühsam einen Schrei unterdrücken konnte. Ihre schiefergrauen Augen glänzten, und die Lider waren geschwollen.

Wolfgang eilte auf seine Frau zu, kniete sich vor ihr auf den Boden und griff nach ihrer Hand. »Zilchen, was ist?«, fragte er. Sanft strich er über ihren Arm. So schwach und verletzlich hatte er sie noch nie gesehen. Ihr Anblick schmerzte ihn. »Was, in aller Welt, ist geschehen?«

Cäcilie öffnete den Mund, doch die Worte erstarben ihr auf der Zunge. Schließlich schüttelte sie den Kopf und läutete mit einer Glocke nach Ilme.

Die Haushälterin kam, nahm ihrem Herrn den Hut und den Mantel ab. Sie tat dies mit einem Seufzen, ohne wie üblich zu lächeln oder ihn zu begrüßen.

»Jetzt sagt mir endlich, was hier los ist«, verlangte der Freiherr. »Euren Blicken nach zu urteilen, ist jemand gestorben.«

»So ist es auch«, hauchte die Freifrau. »Ilme, erzähle du ihm alles. Ich … ich fühle mich zu schwach dafür.«

Die dicke Haushälterin trat von einem Bein auf das andere. »Nu, wie soll ich anfangen?«

»Am besten mit dem Anfang«, erwiderte Wolfgang von Zehlendorf. »Setz dich hin dabei.«

Ilme ließ sich auf der vordersten Stuhlkante nieder, in den Händen knüllte sie ein Putztuch. Sie senkte den Blick, dann begann sie zu sprechen: »Herr, een Unjlück ist passiert. Die Tante, unsere gnädige Freifrau Camilla, sie ist tot. Aufjebahrt liejt sie, drüben, im kleinen Salon. Die Totenwäscherin wird wohl jleich kommen.«

»Oh, das ist wahrhaft traurig«, erklärte Wolfgang von Zehlendorf. Er erhob sich und goss sich an der kleinen Bar einen Wodka ein. »Du auch?«, fragte er die Haushälterin. Deren Blicke huschten zur gnädigen Frau, die mit geschlossenen Augen auf der Récamiere lag.

»Nu, auf den Schreck.« Ilme streckte die Hand aus.

Als beide getrunken hatten, sagte Wolfgang: »Das ist schade, wirklich jammerschade. Die gute Camilla. Fast neunzig Jahre lebt so ein Mensch, und doch kommt sein Tod unverhofft. Na ja, man hätte es wohl erwarten können.«

»Das … das ist noch nicht alles«, murmelte Ilme.

»Was denn noch?«

Stumm streckte die Haushälterin ihrem Herrn das leere Schnapsglas entgegen. Wolfgang zog die Augenbrauen hoch, dennoch schenkte er ihr nach. »Na, wir woll’n mal nicht übermütig werden, Ilme. Du trinkst doch sonst nichts.«

»Am besten, Sie jießen sich auch noch einen ein, Herr«, murmelte Ilme. »Sie werden’s brauchen können.«

»So, jetzt aber raus mit der Sprache!«

Cäcilie von Zehlendorf schluchzte auf.

»Die Malu, die Kleine, sie war’s«, nuschelte Ilme.

»Was war Malu?«

»Sie … sie hat unsere gnädige Freifrau Camilla umgebracht.«

»Was?« Wolfgang von Zehlendorf brach in Gelächter aus. »Was ist denn das für ein Unsinn? Malu ist vier Jahre alt!«

Cäcilie richtete sich ein wenig auf. »Camilla … Sie wollte ausfahren. Gerade war sie im Begriff, die Kutsche zu besteigen. Das Kind hat mit einem Katapult auf die Pferde geschossen. Die gingen durch, Camilla stürzte, und nun ist sie tot.« Ihre letzten Worte gingen in Schluchzen unter.

Wolfgang von Zehlendorf ließ sich in einen Lehnstuhl fallen. »Was?«, fragte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie bitte?«

»Ja! So war es! Du kannst es ruhig glauben, mein Lieber. Deine Tochter ist eine Mörderin. Noch so klein und doch schon so böse. Oh, Herr im Himmel, warum hast du mich einen solchen Satan zur Welt bringen lassen? Warum strafst du mich so? Hättest du sie nicht in meinem Leib sterben lassen können?« Cäcilie fiel zurück auf das Sofa und schluchzte haltlos.

Wolfgang schüttelte noch immer den Kopf. »Warum?«, fragte er. »Wie ist Malu auf den Gedanken gekommen, mit einem Katapult zu schießen?«

»Der Teufel steckt in dem Kind, der hat’s ihr eingegeben.« Cäcilies Stimme war nur noch ein leiser Hauch.

»Unsinn!« Wolfgang von Zehlendorf sprang auf. »Ein Kind ist ein Kind und kein Teufel. Kinder sind niemals von Grund auf böse, und Malu am allerwenigsten.« Seine Stimme klang barsch. Er zeigte mit dem Finger auf Cäcilie. »Ich möchte nicht, dass du so über unsere Tochter redest. Hast du gehört?« Selten hatte er mit seiner Frau in diesem Ton gesprochen.

Er betrachtete sie mit einem unwilligen Blick, dann eilte er aus dem Salon. Mit energischen Schritten stieg er die geschwungene Doppeltreppe hinauf in den ersten Stock, in dem die Schlafzimmer lagen. Vor Malus Zimmer hielt er inne. Sie wird schon schlafen, dachte er. Ich sollte bis morgen warten. Doch dann überlegte er es sich anders und drückte die Klinke herunter.

Das Kindermädchen fuhr mit einem Schrei hoch, als er die Petroleumlampe entzündete.

»Herr, was ist?«, fragte sie verschlafen und sah nach Malu, die wie ein Engel in ihrem Bett lag, den Daumen der rechten Hand im Mund.

»Warst du dabei, als es passiert ist?«, fragte Wolfgang von Zehlendorf barsch. Die Kinderwärterin Marenka, ein Mädchen aus dem Dorf, setzte sich auf und presste die Zudecke fest an die Brust. Ihr langes Haar, das sie gewöhnlich zu einem geflochtenen Kranz um den Kopf trug, fiel ihr lose über die Schultern, ihre Wange war leicht geschwollen. »Ich war in der Küche … habe für den jungen Herrn eine heiße Schokolade geholt.« Sie begann zu weinen. »Hätte ich gewusst, was passieren würde, dann wäre ich geblieben.« Sie schüttelte den Kopf. »Der junge Herr, er hatte den Katapult. Ich wollte ihn wegnehmen, aber der junge Herr sagte, er gibt ihn mir erst, wenn ich ihm eine Schokolade hole.«

»Ruppert hatte das Ding?«

»Ja. Und ich hab ihm noch gesagt, dass er es auf gar keinen Fall der Kleinen geben soll.«

»Was hast du gesehen, als du zurückgekommen bist?«

Marenka wischte sich mit dem Handrücken den Rotz von der Nase. »Mausetot. Den Kopf im Nacken, die Augen starr geradeaus, der Mund eine Handbreit offen – so lag sie auf dem Boden, die gute Freiherrin. Die Kutsche war umgekippt. Ein Pferd hatte sich losgerissen und rannte wie wild über das Gelände, das andere wieherte laut und schleifte die Kutsche hinter sich her.«

»Und die Kinder?«

»Malu hatte den Daumen im Mund und lutschte daran, so wie sie es immer tut, wenn etwas sie ängstigt.«

»Und Ruppert?«

»Ich weiß es nicht mehr, gnädiger Herr.« Marenka heulte auf. »Es ging alles so schnell. Ich weiß es einfach nicht mehr. Er muss wohl neben ihr gestanden haben.«

Wolfgang von Zehlendorf blickte zu seiner Tochter, die im Schlaf ein Brummen von sich gab. Sie ist noch so klein, dachte er. Wie kann ein so kleines Kind mit einem Katapult so fest schießen, dass die Pferde durchgehen? Ein Kind mit geballten Fäustchen, die nicht größer sind als eine Aprikose. Man braucht Kraft dazu, mehr Kraft, als Malu haben kann.

»Was hat Ruppert getan?«, wollte Wolfgang wissen.

»Geschrien hat der junge Herr, dass man glauben konnte, das ganze Haus steht in Flammen. Mit dem Finger hat er auf das kleine Fräulein gezeigt und gebrüllt: »Die war’s! Die da war’s! Die hat den Katapult abgeschossen. Ich hab’s genau gesehen.«

Wieder betrachtete Wolfgang von Zehlendorf seine schlafende Tochter. Er trat zu ihrem Bett und hob die Hand, um ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Malus Lider zitterten sanft. Sie spitzte das Mündchen, sog an ihrem Daumen und seufzte friedvoll. Er ließ die Hand sinken. Sein Gesicht wurde düster, verzerrte sich im Schmerz. Ein herzzerreißender Seufzer entrang sich seiner Brust. Dann wandte er sich rasch ab. »Hat Malu etwas gesagt?«

Die Kinderwärterin schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts hat sie gesagt. Nur geschaut mit ihren großen Augen, als ob sie gar nicht verstünde, was geschehen war.«

»Wie sollte sie auch?«, empörte sich Wolfgang. »Mein Gott, sie ist noch so klein! Ein kleines unschuldiges Mädchen, das ist sie.«

Die Wärterin duckte sich ein wenig unter den heftigen Worten. »Lieb gehabt hab ich sie immer, Herr. Sogar jetzt noch.«

»Was?« Mit einem einzigen Schritt war Wolfgang am Bett der jungen Frau und gab ihr eine heftige Kopfnuss. »Das musst du auch«, zischte er. »Malu muss man einfach lieb haben. Und wenn du das plötzlich nicht mehr kannst, dann sag es, nimm deine paar Sachen und geh!«

Wieder weinte Marenka heftig. »Aber …«, schluchzte sie. »Aber die gnädige Frau hat …«

»Was hat die gnädige Frau?«

Marenka schniefte und sah ihren Herrn verzweifelt an. »Gesagt hat sie, von nun an soll ich die Kleine warten und nicht mehr.«

»Was heißt das?«

»Ich soll sie waschen, anziehen, füttern, zu Bett bringen. Mehr nicht.« Marenka schlug die Hände vor ihr Gesicht und heulte laut auf. »Schmusen soll ich nicht mit ihr, keine Märchen ihr mehr vorlesen, keine Spaziergänge unternehmen, sie nicht herzen und küssen. Nicht einmal auf den Schoß darf ich sie heben, wenn sie weint. Weil sie des Teufels ist, sagt die gnädige Frau. Am liebsten wäre es der Herrin wohl, wenn wir das Kind einsperren würden.«

»Hat sie das so gesagt?«

Marenka schüttelte den Kopf, legte sich nieder und schluchzte so steinerweichend, dass Wolfgang von Zehlendorf hilflos das Zimmer verließ.

Seine Frau wartete im Salon auf ihn, aber er hatte nicht die Kraft, ihr unter die Augen zu treten. Plötzlich fühlte er sich unsagbar müde und erschöpft. Er ließ sich auf der obersten Treppenstufe nieder, stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände. In seinem Kopf herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander, seine Gedanken wimmelten umher wie Ameisen. Malu, die Kleine, der Sonnenschein, sollte getötet haben. Was wog sie wohl gerade? Zwanzig Kilogramm? Nein, das war sicher zu viel. Vor sechs Wochen, an ihrem Geburtstag, hatte er sie gemessen und in den Türrahmen eine Kerbe geschnitten. Exakt einen Meter war sie damals groß gewesen. Vielleicht wog sie nur fünfzehn oder sechzehn Kilogramm. Wie viel Kraft konnte sie schon haben?

Wolfgang schüttelte den Kopf. Nein. Nie und nimmer. Er wollte und konnte nicht glauben, was seine Frau ihm erzählt hatte. Kraftlos wie ein alter Mann richtete er sich auf, fasste nach dem Geländer und schlurfte die Treppen hinab, als drücke eine ungeheuer schwere Last auf seine Schultern.

»Ich glaube es nicht«, erklärte er müde und setzte sich auf einen Sessel gegenüber der Récamiere, auf der noch immer seine Frau ruhte.

»Ja. Ich weiß. Es ist furchtbar. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir einen Teufel aufgezogen haben. Eine wilde, böse Bestie. Eine Kalamität.« Cäcilie von Zehlendorf ließ keinen Zweifel daran, dass Malu für sie die Täterin war.

»Was ist mit Ruppert?«

Wolfgang hatte die Frage leise gestellt. Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da überzog sich das blasse Gesicht seiner Frau mit Dunkelheit. Sie kniff ihre Augen zu Schlitzen zusammen, ihre Nasenflügel bebten.

»Nein!«, zischte sie. »Diese Frage will ich nicht gehört haben. Reicht es nicht, eine Bestie zur Tochter zu haben? Brauche ich noch einen Ehemann, der mir den Sohn schlechtreden will?« Sie warf die Arme nach oben. Die Ärmel ihres Kleides rutschten und gaben den Blick auf ihre zarte Haut frei. »Lieber Gott!«, rief sie verzweifelt. »Warum strafst du mich so? Was habe ich getan? Nicht Ruppert. Nicht auch noch Ruppert.«

Dann warf sie sich in die Kissen und weinte haltlos. Ihre Schultern bebten, der ganze Körper zitterte wie im hohen Fieber. Plötzlich entriss sich ein Schrei ihrer Kehle, der Kopf sank hinab, die Augen fielen zu.

»Cäcilie!« Wolfgang sprang auf und rüttelte seine Frau, die wie ein Sack Wäsche hin und her fiel. »Ilme! Schnell!«

Die Haushälterin schien hinter der Tür gestanden zu haben. Sie holte aus ihrer Kittelschürze ein Riechfläschchen und hielt es Cäcilie von Zehlendorf unter die Nase.

»Das war alles zu viel für sie«, murmelte die ältere Frau. »Mein Jott, was für ein Unjlück!«

Als Cäcilie sich leise regte, sagte Ilme zu ihrem Herrn: »Sie braucht Ruhe. Nichts darf sie aufrejen. Das hat schon der Arzt jesacht. Sie hat doch so eine zarte Jesundheet.«

Wolfgang nickte. Vorsichtig setzte er sich auf den Rand der Récamiere und nahm seine Frau in die Arme. »Alles wird gut, mein Liebling. Alles wird gut.«

Sie sah ihn an, und Wolfgang erschrak über den Schmerz in ihren Augen. In diesen Augenblick begriff er, dass er alles nach ihrem Willen tun musste, um sie nicht zu verlieren. Sie würde sterben. Einfach die Augen schließen und sterben, wenn er ihr noch größeren Schmerz zumutete. Einmal schon hatte er sie so gesehen. Damals, als der Junge zur Welt gekommen war. Beinahe wäre sie an ihm gestorben. Sie hatte so viel Blut verloren. Der Arzt hatte betroffen den Kopf geschüttelt und Wolfgang eine Hand auf die Schulter gelegt. »Es ist Zeit, Abschied von ihr zu nehmen«, hatte er gesagt, und Wolfgang war es, als würde Gott eigenhändig sein Herz zerreißen. Doch dann hatte Ilme der Todkranken den Jungen gezeigt, hatte ihre Hand auf den kleinen Kopf des Säuglings geführt und ihn gleich darauf an Cäcilies Brust gelegt. Und während Wolfgang gefürchtet hatte, der Junge würde mit der Milch auch den letzten Rest Lebenskraft aus Cäcilie heraussaugen, war genau das Gegenteil eingetreten. Der Junge hatte ihr die Kraft zum Weiterleben gegeben. Damals. Und heute? War es jetzt anders?

Sanft strich er mit dem Zeigefinger über ihre Wange. »Es tut mir so leid«, flüsterte er und wusste dabei nicht, ob er Cäcilie, Malu oder sich selbst meinte. »Mein Liebling, es tut mir so unendlich leid.« Tränen stiegen in ihm auf; er hatte nicht die Kraft, sie zurückzuhalten. Er presste seine Frau an sich, ließ die Tränen in ihr Haar rollen, während der Schmerz in seiner Brust ihn in Stücke riss.

»Ruppert?«, flüsterte Cäcilie nach einer Weile mit blasser Stimme. »Was ist mit Ruppert?«

»Nichts ist mit ihm, mein Herz. Gar nichts. Es war so, wie du meinst. Malu hat die Tante getötet. Es war ein Unfall. Und Ruppert konnte nichts dagegen tun.«

Drittes Kapitel

Gut Zehlendorf (Lettland), 1895

Seit dem Tod der Tante vor knapp einem Jahr kränkelte Cäcilie von Zehlendorf. Matt lag sie in einem Liegestuhl unter dem Apfelbaum, das Gesicht so bleich wie der Leinenstoff. Bei der kleinsten Bewegung geriet sie in Atemnot, der Kopf schmerzte beinahe ständig. Auch mit ihrer Verdauung stand es nicht zum Besten. Doch am schlimmsten war ihre Nervosität. Beim kleinsten Geräusch zuckte Cäcilie zusammen. Lärm war ihr ein Gräuel, plötzliche Bewegungen verursachten eine Krisis. Sie litt an einer schweren Chlorosis, auch Bleichsucht genannt.

Dr. Matthus kam beinahe jeden Tag. Er hatte erklärt, dass es Cäcilie an roten Blutkörperchen mangelte. Um dies zu beheben, hatte er zu einer Diät aus Roter Bete und roten Früchten geraten. Außerdem verschrieb er ihr immer wieder Laudanum und viel Ruhe, doch nichts half. Selbst ein Kuraufenthalt an der Küste bei Jūrmala hatte keinen Erfolg gebracht. Selten konnte sich Cäcilie noch zu irgendeiner Tätigkeit aufraffen, selbst das Blättern in der war ihr meist zu schwer. Nur für Ruppert nahm sie sich nach der Mittagsruhe stets ein halbes Stündchen Zeit. Dann fragte sie ihn nach den Fortschritten beim Lernen, lachte über seine Abenteuer und streichelte dem Jungen über Rücken und Haar.

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