Das Herz der Savanne - Karen Winter - E-Book

Das Herz der Savanne E-Book

Karen Winter

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Beschreibung

Namibia, 1960. Ruth ist glücklich. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie verliebt, die Farm läuft gut, und auch ihr Traum von einer eigenen Käserei scheint Wirklichkeit zu werden. Ihre Mutter Rose und ihre Schwester Corinne aber sorgen sich um ihren guten Ruf. Denn Ruth lebt mit dem schwarzen Historiker Horatio zusammen, hat ihn sogar zum Verwalter der Farm ernannt. Ruth ist bereit, für ihre Liebe zu kämpfen. Als auf Salden's Hill die Leiche eines schwarzen Mädchens gefunden wird und die Polizei Horatio festnimmt, bricht für sie jedoch eine Welt zusammen. Hat sie sich in Horatio so getäuscht?

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Seitenzahl: 440

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel

Fünfunddreißigstes Kapitel

Dank

Über die Autorin

Karen Winter

DAS HERZDER SAVANNE

Afrika-Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Copyright ©2012 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: ©istockphoto/Manuel Gutjahr

Umschlaggestaltung: Gisela Kullowatz

Datenkonvertierung E-Book: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-1092-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Erstes Kapitel

Ruth saß auf der Veranda. Sie hatte die Füße nicht wie sonst gegen eine Säule gestützt, sondern saß zurückgelehnt im Korbstuhl. Statt einer offenen Bierflasche stand ein Glas Wein vor ihr auf dem Tisch. Seit Horatio bei ihr lebte, hatte sie sich verändert. Allerdings kam es ihr so vor, als hätte das niemand bemerkt. Ruth fuhr mit der rechten Hand in ihr dichtes rotes Haar, das wie ein lodernder Dornbusch wild um ihren Kopf hing, und lockerte es. Warum schenkte jeder auf der Farm den anderen nur so wenig Beachtung? Jeder war mit sich selbst befasst. Seit sie reich waren, kam es Ruth so vor, als glaubten insbesondere Corinne und Rose, plötzlich andere Menschen zu sein. Es war, als hätten sie stets ein Idealbild vor Augen gehabt, und jetzt, da sie sich Kleider kaufen konnten wie Audrey Hepburn, setzten sie alles daran, Audrey Hepburns zu werden. Oder Marilyn Monroes oder Grace Kellys.

Ruth schüttelte den Kopf. Wie viel Geld sie auch ausgaben, sie würden zeitlebens Corinne und Rose bleiben, und es war schwer zu verstehen, warum die beiden das nicht kapierten.

»Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«

»Was?« Ruth schrak auf.

Horatio lächelte sie mit blitzenden Zähnen an. Seine schlanken Finger umklammerten den Stiel des Weinglases. »Der Kompost.«

Ruth lachte auf.

»Warum lachst du?«

»Ich habe mir gerade Corinne und Rose in einem Marilyn-Monroe-Kleid vorgestellt. Du weißt schon: das weiße Ding, dessen Rock bei Wind von unten bis zu den Ohren fliegt. Und dann kamst du mit deinem Kompost.«

Horatios Gesicht verzog sich, doch dann wurde er sachlich. »Du nimmst deine Schwester und deine Mutter nicht ernst.«

»Wie sollte ich sie ernst nehmen? Bei den Sorgen, die sie haben? Sie sollten mal ordentlich arbeiten, dann würden sie schon merken, dass Wedgwood-Geschirr das Leben nicht so sehr verändert, wie sie es sich erhofft haben.«

»Mir tun die beiden eher leid«, bemerkte Horatio.

»Pfft! Leidtun. Nein, das müssen sie dir wirklich nicht. Sie haben doch alles, was sie brauchen.«

»Eben nicht. Ihnen fehlt eine Aufgabe, eine Leidenschaft, die sie ausfüllt.«

Ruth schnitt eine Grimasse und trank einen Schluck von ihrem Rotwein. »Was ist nun mit dem Kompost? Darüber wolltest du doch mit mir reden.«

Horatio nickte. »Nicht nur über den Kompost, sondern auch darüber, wie wir das Weideland verbessern können.«

»Seit wann interessierst du dich für so etwas? Themen wie dieses besprechen normalerweise eher Farmer, und das bei einem Bier im Pub von Gobabis.«

»Ich war heute bei den Hütten deiner Arbeiter und hatte ein sehr interessantes Gespräch mit deinem Vorarbeiter. Seine Familie lebte früher von der Rinderzucht, wusstest du das? Er sagt, man müsse den Boden mit den Ahnen versöhnen, dann würde er gedeihen.«

Ruth lachte. »Ist er nicht Christ? Will er unsere Rinder nach den Aposteln benennen und hoffen, dass sie Wein statt Milch geben?« Ihre Stimme klang ein wenig barsch. Sie freute sich so, dass Horatio sich um die Farm, um ihre Farm, um ihr Leben kümmerte, darüber nachdachte, es verbesserte. Und dennoch fiel es ihr schwer, ihre Gefühle zu zeigen. Sie war noch nie so glücklich gewesen und hatte nicht die geringste Ahnung, welches Verhalten sich für eine glückliche und verliebte Frau ziemte. Also tat sie, was sie am besten konnte: Sie spottete.

Horatio ignorierte es. »Es ist eine Lehre, die die Nama seit Jahrhunderten erforscht und erprobt haben. Niemand kennt das Land besser als sie. Es geht nicht um Apostel und Weihwasser, sondern um den Einklang mit der Natur. Die Natur nutzen, um Defizite der Natur auszugleichen.«

»Die Defizite der Natur ausgleichen? Soll ich Wasser in den Himmel tragen, damit es auf die Erde regnet?«

»So ähnlich«, erwiderte Horatio ruhig. »Santo hat mir erzählt, wie sein Großvater in den alten Zeiten die Weiden zum Blühen gebracht hat. Nie hat er während der Trockenzeit Rinder verloren. Nie musste seine Familie, sein Clan hungern.«

Ruth sah, dass Horatio es ernst meinte, und nahm sich zusammen. »Was genau hat er gemacht?«

»Er hat die abgestoßenen Hörner seiner Rinder eingesammelt. Dann hat er sie mit Kuhmist gefüllt und im Boden vergraben. Im Jahr darauf erzielte er den doppelten Ertrag. Und er hat einen Heilkräutersud über die Felder gespritzt, damit sich der Boden erholen kann.«

Ruth zog die Stirn in Falten. »Unsere Flächen sind riesig. Wir bräuchten für den Dünger ein Flugzeug.«

»Das stimmt, trotzdem können wir es zumindest einmal versuchen. Santos Großvater hatte auch kein Flugzeug. Und trotzdem ging es. Er hat zwei Ochsen vor einen Wagen gespannt und auf diesen ein Fass mit einem Loch und einem hohlen Köcherbaum-Ast gestellt. Wenn man will, geht alles. Und es wäre wichtig, denn Mama Elo und Mama Isa probieren Tag und Nacht an ihren Käsen herum. Aber jeder weiß, dass ein Käse nur so gut sein kann wie die Milch, aus der er gemacht ist. Und die Qualität der Milch hängt wiederum von der Nahrung des Viehs ab.«

»Einen Heilsud für den Boden, ja?« Ruth war immer noch skeptisch. »Wie soll der aussehen?«

»Santo sagte, sein Großvater nahm dafür verschiedene Kräuter, Gewächse und Baumrinden, die hier in der Gegend wachsen.«

»Was für Baumrinden? Die Bäume, die hier wachsen, kannst du an einer Hand abzählen …«

»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Horatio. »Wir haben Kameldornbäume und andere Akazien, dazu jede Menge Dornbüsche; außerdem wachsen hier ein Wolfsmilchgewächs und natürlich die Kaktusfeigen. Also nehmen wir die. Und als Heilkraut die Teufelskralle. Die Schwarzen bereiten aus den Knollen einen Tee zum Entgiften. Was uns guttut, tut sicherlich auch dem Boden gut!« Er sah Ruth an, lächelte sein breites, weißzahniges Lächeln, und Ruths Herz schlug ein paar Takte schneller.

Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, sprach Horatio schnell weiter. »Außerdem sammeln wir den Mist der Kudus und Oryxe, der Gnus und der Zebras von den Wasserstellen. Die Rinden und Feigenblätter verdünnen wir, so stark es geht, und bringen sie vor der nächsten Regenzeit auf die Weiden. Dann sickert der Dünger von selbst in den Boden. Wir füllen die abgestoßenen Kuhhörner mit Mist und graben sie auf den Weiden ein, damit die Nährstoffe auch von unten in das spärliche Gewächs dringen und die Rinder und Schafe alles bekommen, was sie brauchen. Nicht alles auf einmal, verstehst du? Alles ganz langsam und allmählich. Deshalb die gefüllten Kuhhörner.«

Ruth stülpte die Lippen vor und sah ihn prüfend an. Dann breitete sie die Arme aus. »Warum nicht? Schaden kann es ja nicht. Solange ich den Schafen keine Choräle singen muss, kann es mir egal sein. Wir müssten uns aber beeilen. Jetzt ist März. Die Regenzeit ist fast vorüber. Oder hast du noch mehr Rezepte aus der schwarzen Ahnenküche?«

Horatio lachte und warf Ruth eine Kusshand zu. »Pass auf! Morgen früh schicken wir die Arbeiter los. Sie sollen abgestoßene Kuhhörner und Mist einsammeln. So viel sie nur können. Du und ich, wir mischen den Mist, stopfen die Hörner, und morgen Nachmittag graben die Arbeiter die Hörner in die erste Weide. Mama Elo und Mama Isa sollen Feigenblätter häckseln, Teufelskrallenknollen und Zweige von Kameldornbäumen. Dann sollen sie daraus einen Sud kochen, mit dem wir erst einmal die Lämmerweiden tränken. Für den Sommer reicht das. Und bevor der nächste Winter kommt, besorgen wir Muscheln vom Strand, mit denen wir die Böden kalken. Außerdem benötigen wir Guano für den Gemüsegarten von Mama Elo und Mama Isa. Vielleicht lohnt es sich auch, aus Guano einen Düngersud zu brauen, aber das müssen wir abwarten. Immerhin wird der Vogelmist schon als Dünger in die halbe Welt verkauft.«

Ruth starrte Horatio mit großen Augen an und schüttelte leicht den Kopf. »Aha, und weil die halbe Welt unseren Vogelmist kauft, wirkt er auch? Wieso interessiert dich das alles auf einmal? Du hast mit Farmwirtschaft nie etwas zu tun gehabt. Du bist ein Stadtmensch, bist Wissenschaftler. Ich dachte bisher, du könntest gerade mal ein Schaf von einem Rind unterscheiden. Was ist los mit dir?«

Lächelnd griff Horatio nach Ruths Hand. »Ich lebe hier mit dir. Deine Interessen sind auch meine. Ich habe in den letzten Wochen viel gelernt, habe Bücher über die Farmerei gelesen. Man kann beides, Ruth: eine Farm betreiben und ein Buch über die Geschichte der Nama schreiben. Außerdem ist die Viehzucht ein Teil der Namageschichte.«

»Aber …« Ruth konnte es noch immer nicht fassen. »Aber du hast dich nie dafür interessiert. Tiere machen dir Angst, hast du gesagt.«

»Ich liebe dich«, erklärte Horatio. »Und weil das so ist, ist mir all das wichtig, was dir wichtig ist.« Er stand auf, beugte sich zu Ruth und küsste sie. »Ich gehe ins Haus. Ich muss noch ausrechnen, wie viele Kuhhörner und wie viel Mist wir in etwa brauchen. Außerdem muss ich mit Santo sprechen. Dein Vorarbeiter kennt vielleicht noch andere Tricks, wie wir die Böden fruchtbarer machen können. Auf jeden Fall werde ich gleich morgen Mama Elo und Mama Isa Bescheid geben. Sie dürfen ab sofort keine Küchenabfälle mehr wegwerfen. Wir brauchen jedes bisschen Kaffeesatz, jede faule Süßkartoffel, jedes abgefallene oder übrig gebliebene Blatt für den Kompost.«

Als er sich abwandte, schaute Ruth ihm mit offenem Mund nach. Offensichtlich hatte sich auch Horatio verändert. Sie goss sich noch ein Glas Wein ein und lehnte sich gerade in ihrem Korbstuhl zurück, als ihre ältere Schwester Corinne auf die Veranda trat. Sie trug ein zerknittertes Kleid, dessen Kragen ein wenig ausgefranst war, und hatte sich eine Decke um die Schultern gelegt.

»Ganz schön kühl im Freien«, stellte sie fest und schenkte sich Wein in das mitgebrachte Glas. Dann machte sie es sich in einem weiteren Korbstuhl bequem, ließ ihren Blick über das mondhelle Land streifen und seufzte. »Ich hätte nie geglaubt, dass ich die Stille einmal so genießen würde.«

Ruth verzog den Mund und dachte an ihren schlecht erzogenen Neffen und ihre aufmüpfige Nichte. »Doch«, sagte sie. »Ich glaube dir.« Sie sah Corinne von der Seite an. Obwohl das Gesicht der Schwester einen friedlichen Ausdruck zeigte, wirkte Corinne selbst alles andere als friedlich. Ihr Körper war gestrafft, als erwarte sie einen Angriff; sie hatte die Schultern hochgezogen, das Kinn war gereckt und kantig. War Corinne deshalb hier auf Salden’s Hill geblieben, während ihr Mann in Swakopmund und ihre Kinder im Internat waren? Wegen der Stille? Ruth konnte sich das nicht vorstellen. »Warum bist du nicht in Swakopmund bei deinem Mann?«

Corinne sah sie erschrocken an. »Willst du damit andeuten, dass ich störe? Salden’s Hill ist genauso mein Elternhaus wie deines. Habe ich kein Recht mehr, hier zu sein, seit Farm und Herrenhaus dir gehören?«

»Doch, aber ja, natürlich«, beschwichtigte Ruth die Schwester. »Natürlich hast du das Recht, und niemand will es dir streitig machen. Es ist nur so, dass du Salden’s Hill früher gehasst hast. Und jetzt scheinst du gar nicht genug von der frischen Landluft zu bekommen.«

»Ein Mensch kann sich ändern. Und ich, Ruth, habe mich verändert.«

Ruth schwieg. Sicher, sie selbst hatte sich verändert, ohne dass dies jemand zur Kenntnis genommen hätte. Aber Corinne? Sie sah ihre Schwester noch einmal von der Seite an, überlegte, was diese in den letzten Tagen und Wochen gesagt und getan hatte, aber ihr fiel nicht der kleinste Unterschied ein.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte Ruth also vorsichtig. »Ich meine, wie hast du dich verändert?«

Corinne sah misstrauisch zu Ruth und zog die Stirn in Falten. »Warum willst du das wissen?«

Ruth breitete die Arme aus. »Wir sind Schwestern. Wir sollten Vertrauen zueinander haben. Ich interessiere mich für dich; ich möchte wissen, wie es dir geht, was du dir wünschst … Ist das so schlimm?«

»Wirklich?« Corinne drehte sich halb aus dem Sessel.

Nein, eigentlich nicht, dachte Ruth. Eigentlich möchte ich nicht hören, welches Schmuckstück dich glücklich machen würde. Aber ich fürchte, du heckst etwas aus, und ich muss wissen, was das ist. »Natürlich«, erwiderte sie eilig und nickte lebhaft. »Immerhin bist du meine Schwester, und wir leben unter einem Dach.«

Als Ruth den glücklichen Ausdruck im Gesicht Corinnes sah, schämte sie sich einen Moment lang für ihre Gedanken.

Corinne seufzte. »Ich bin alt geworden, Ruth. Und das verändert einen mehr, als man meint.«

»Alt?« Ruth schüttelte den Kopf. »Du bist nur drei Jahre älter als ich.«

»Ja, das stimmt«, gab Corinne zu und seufzte erneut, »aber ich habe zwei Kinder geboren. Und das lässt eine Frau um Jahrzehnte altern.«

»Wieso? Sie sind doch ohnehin die meiste Zeit im Internat.«

Corinnes Augen funkelten plötzlich feucht. »Ja, aber bevor ich sie dorthin geben konnte, hatte ich sie jeweils ein dreiviertel Jahr in mir. Mein Bauch sieht seitdem aus wie der Fish-River-Canyon, meine Brüste können meine Hüftknochen mit Küsschen begrüßen, und wenn die Kinder zu Hause sind, dauert es exakt drei Tage, dann sind die Ringe unter meinen Augen größer als meine Ohrringe.«

»Oh!« Ruth sah auf die riesigen Kreolen in Corinnes Ohren, dann schwieg sie und beobachtete, wie sich Corinne eine Träne aus dem Augenwinkel tupfte. Nach einer Weile erst fragte sie vorsichtig. »Aber hast du dir das nicht immer gewünscht? Einen weißen Mann und weiße Kinder und ein weißes Haus in der weißen Stadt Swakopmund?«

»Dohoch!«, schluchzte Corinne. »Aber es ist nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Willem ist immer unterwegs, die Kinder im Internat. Ich habe zu viel Zeit zum Nachdenken, fürchte ich. Und was ich denke, gefällt mir nicht.«

Ruth sah erstaunt, wie sich Corinnes Augen erneut mit Tränen füllten. »Ich dachte, es wäre immer dein Wunsch gewesen, den lieben langen Tag nichts anderes zu tun, als die Blumen für den Esszimmertisch zu arrangieren«, sagte sie behutsam.

»Ja«, hauchte Corinne. »Das war es auch. Aber es macht einfach keinen Spaß, wenn niemand da ist, der diese Arrangements bewundert.«

»Hast du keine Freundinnen? Frauen, deren Männer geschäftlich ebenfalls dauernd unterwegs sind, Frauen, die Cocktailpartys ausrichten und untereinander Klatsch und Zeitschriften tauschen?«

Jetzt rollten Tränen über Corinnes Wangen. Sie hatte die Hände ineinandergeschlungen und knetete ihre Finger. Ruth sah, wie sich Corinnes Busen in aufgewühlten Stößen hob und senkte. Schon brach es aus ihrer Schwester heraus: »Sieh mich doch an! Meine Schuhe, meine Haare, meine Kleider! Sie knittern schon, wenn ich sie nur ansehe. Ich habe kein Geld, um mit meinen Freundinnen zum Lunch zu gehen oder Cocktailpartys auszurichten. Und keins, das ich in Kapstadt beim Shoppen ausgeben kann.« Corinne lachte bitter. »Ich habe ja noch nicht einmal Geld für die Blumen auf dem Esszimmertisch.«

»Oh«, stammelte Ruth. »Oh, ich wusste nicht, dass es so schlecht um euch steht. Ich dachte, ihr schwelgt im Luxus. Deine Briefe, weißt du, sie klangen immer so überschwänglich.«

Corinne nickte traurig. »Ja, ich weiß, ich habe euch belogen. Ein bisschen jedenfalls. Willems Geschäfte kommen irgendwie nicht richtig in Gang. Woran das liegt, weiß ich nicht, er redet nicht mit mir darüber. Und im Grunde interessiert es mich auch nicht.« Sie schluckte, wischte sich die Tränen ab und richtete sich auf. »Jetzt weißt du es also. Deine große, erfolgreiche Schwester ist in Wirklichkeit eine Niete, die in Swakopmund irgendwann an ihrer Einsamkeit zugrunde geht.«

Ruth nickte. Sie hätte gerne gefragt, warum Corinne sich keine Arbeit suchte oder wenigstens weniger anspruchsvolle Freundinnen. Aber sie war einfühlsam genug, um zu erkennen, dass solche Fragen im Augenblick nicht besonders hilfreich waren. Zudem ahnte sie, dass es hier um Dinge ging, die sie im Gegensatz zu ihrer Mutter wirklich nicht verstand. »Und was willst du nun tun?«, fragte sie daher stattdessen.

Corinne zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Ich dachte, wenn ich noch eine Weile auf der Farm bleiben würde, wüsste ich, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Und womöglich erholen sich Willems Geschäfte ja auch wieder. Er machte neulich so eine Andeutung. Alles, was ihm fehlt, ist wohl jemand, der ihn am Anfang ein bisschen unterstützt.« Unvermittelt lachte sie auf und breitete die Arme aus. »Wir sind doch jetzt reich! Sag, Ruth, was hast du mit dem ganzen Geld vor? Was wirst du dir kaufen?«

»Nichts, ich habe alles«, erwiderte Ruth, ein wenig erleichtert, dass Corinne zurück zu ihrem alten Ich gefunden hatte.

»Was ist mit Kleidern, Schuhen, Schmuck?«

»Ich leite eine Farm. Die Kühe geben nicht mehr Milch, wenn ich sie im Kleid melke.«

»Was ist mit Parfüm?«

Ruth hob den Arm, roch an ihrer Achsel. »Nein. Brauche ich nicht.«

»Was willst du dann mit all dem Geld?«

»Zuerst einmal werde ich Mama Elo und Mama Isa fragen, was sie sich wünschen. Außerdem tuckert der Motor des alten Traktors schon eine ganze Weile, und die Käserei braucht auch noch dies und jenes. Aber du, Corinne, du hast doch jetzt eigentlich das Geld für Cocktailpartys und neue Kleider, für Schmuck und all die anderen Dinge, die dir Spaß machen.«

Corinne sah erstaunt auf. »Ja, aber das ist doch mein Geld.«

»Ja, und?« Ruth verstand nicht.

»Meinst du denn, ich gebe mein eigenes Geld für Dinge wie Schmuck und Partys aus?«

»Wieso nicht? Wessen Geld denn sonst?«

Corinne verdrehte die Augen. »Schätzchen«, sagte sie mit leiser Herablassung. »Müsste ich mein eigenes Geld ausgeben, hätte ich wohl kaum heiraten brauchen.«

Ruth klappte den Unterkiefer herab. »Du … du …«, stotterte sie, »du hast Willem nur geheiratet, damit er für dich sorgt?«

»Für mich und die Kinder.«

»Warum sollte ein Mann das tun? Was tust du dafür?«

Jetzt tätschelte Corinne Ruth sogar die Hand. »In der Stadt arbeitet keine Frau, die auf sich hält. Das tun nur die schwarzen Frauen. Überall auf der Welt übrigens. Man heiratet, um versorgt zu sein. Das ist so. Dafür schenkt man seinem Mann Kinder, sorgt für ein schönes Heim und geht mit ihm ins Bett. Das ist der Deal. Und Willem hat seinen Teil der Abmachung nicht eingehalten. Deshalb bin ich die Angeschmierte. Nicht er.«

Ruth schüttelte sich unwillig, als hätte sie jemand mit schmutzigem Wasser bespritzt. Sie öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch Corinne unterbrach sie, bevor sie etwas sagen konnte. »Ich weiß, du willst einwenden, dass es hier draußen viele Frauen gibt – weiße Frauen –, die auf den Farmen mitarbeiten. Diese Frauen aber, meine Liebe, bedauere ich von ganzem Herzen. Sie tun es nicht freiwillig, glaub mir. Sie arbeiten, weil sie es müssen, weil sie Männer haben, die wie Willem ihren Teil des Deals nicht einhalten.«

»Und was ist mit Rose?«

»Ach, unsere Mutter!« Corinne machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich sage es nicht gern, Ruth, aber unsere Mutter ist nicht unbedingt die Hellste. Allerdings kann man ihr daraus keinen Vorwurf machen; sie ist schließlich von zwei schwarzen Frauen erzogen wurden. Genau wie du, übrigens. Sie hatte unzählige Möglichkeiten, als sie noch jung und hübsch war. Die Farmer hätten sich um sie gerissen. Doch was tut sie? Lässt sich von einem schwängern, der zwar reich ist, dafür aber am nächsten Tag auf Nimmerwiedersehen verschwindet! Und damit nicht genug. Eine Zeit später lässt sie sich auch noch von einem Schafscherer beschlafen. Wer soll so eine noch wollen? Mit zwei unehelichen Kindern? Noch dazu mit so einer Herkunft! Nein, Ruth, unsere Mutter hat ihre Chancen samt und sonders vertan. Und zumindest ich habe daraus etwas gelernt: es anders zu machen als sie.«

Ruth saß noch immer mit offenem Mund da, unfähig, ihrer Schwester zu antworten. Die aber sprach schon weiter. »Sie ist wirklich nicht die Hellste. Bei Gott nicht! Selbst jetzt, wo sie Geld hat und sich noch einen Mann suchen könnte, bleibt sie hier auf dieser dreckigen Farm hocken und bestellt sich Haute-Couture-Kleider, deren Labels niemand kennt. Das nenne ich Verschwendung! Und glaube mir, jedes einzelne Pfund, das sie ausgibt, tut mir weh.«

Zweites Kapitel

Seit Rose Salden reich geworden war, hatte sie sich eine Eigenheit angewöhnt: Sie stöhnte, wenn die Dienstboten nicht exakt das taten, was sie sollten. Sie stöhnte, wenn die neuen Vorhänge sich in die falsche Richtung blähten. Sie stöhnte, wenn Ruth beim Essen den Ellbogen auf den Tisch legte. Am meisten aber stöhnte sie, wenn sie an Horatio dachte oder ihm gar über den Weg lief.

Ein Schwarzer in ihrem Haus, der nicht tat, was sie ihm befahl. Ein Schwarzer, der Tag für Tag mit ihr gemeinsam bei Tische saß. Ein Schwarzer, der sich am Abend ungeniert einen Sundowner aus der Hausbar einschenkte. Das war mehr, als Rose Salden verkraften konnte.

»Ich tue immer, was ich tun muss, um zu bekommen, was ich will«, erklärte sie Corinne und betrachtete sie mit einigem Missfallen.

Zu einer Zeit, zu der Rose bereits die gesamte Buchhaltung der Farm erledigt, Einkaufslisten geschrieben und die Vorräte überprüft hatte, saß ihre Tochter im Speisezimmer und frühstückte in aller Ruhe.

»Ich weiß«, erwiderte Corinne, zog ihren ausgeblichenen Bademantel enger um sich und gähnte herzhaft und mit offenem Mund. Rose sah auch dies mit Missfallen.

»Und was willst du dieses Mal, Mutter?«, fragte Corinne.

Rose Salden stöhnte und schloss kurz die Augen. »Liegt das nicht auf der Hand? Es geht um deine Schwester. Und um den Schwarzen, den sie zu lieben glaubt. Horatio. Er muss weg.

Corinne zog die Augenbrauen hoch, doch ehe sie etwas sagen konnte, sprach Rose Salden weiter: »Ja, ja, ich weiß, wir sind ihm zum Dank verpflichtet. Er hat Margaret das Leben gerettet.« Sie nahm eine ältere Ausgabe der Allgemeinen Zeitung zur Hand und hielt ihrer Tochter das Titelblatt vor die Nase. »Da, lies, was dort geschrieben steht.«

Corinne seufzte. »Mutter, ich kenne den Artikel. Ich kann ihn beinahe singen.«

»Lies ihn trotzdem. Offensichtlich hast du alles schon wieder vergessen.«

»Feuer der Wüste« gefunden

Junge Farmerin kämpft um ihre Familie und deckt alte

Verbrechen auf

4. Januar 1960

Ruth Salden, die junge Farmerin auf Salden’s Hill in der Nähe von Gobabis, hat ein Abenteuer der besonderen Art bestanden und dabei den größten Schatz der Nama, das legendäre »Feuer der Wüste«, aufgespürt.

Während der Zeit der Herero- und Namaaufstände übergab ein sterbender junger Namakämpfer Margaret Salden, der Gründerin der Farm, den wertvollen Diamanten, den die Nama als Seele ihres Stammes ansehen.

Kurz darauf wurde Wolf Salden, Margarets Ehemann, von deutschen Soldaten getötet, und Margaret Salden floh von der Farm, den edlen Stein in den Kleidern versteckt. Ihre kleine Tochter Rose musste sie in der Obhut zweier schwarzer Frauen zurücklassen.

Seither, seit vierzig Jahren, galten das »Feuer der Wüste« und Margaret Salden als verschollen, und es gab niemanden auf Salden’s Hill, der nicht geglaubt hätte, sie wäre tot.

Rose Salden, die Erbin, betrieb die Farm lange Zeit allein, übergab sie jedoch vor wenigen Jahren an ihre jüngere Tochter Ruth.

Diese hielt sich während der blutigen Demonstration im Dezember des vergangenen Jahres in Windhoek auf. Obgleich sie nur die Farmersbank aufsuchen wollte, um einen Kredit zu verlängern, geriet sie in den Aufstand der Schwarzen, bei dem es elf Tote gab. Eine der schwarzen Frauen erzählte Ruth von Margaret Salden und gab ihr einen Hinweis darauf, dass die Frau noch am Leben war.

Sofort machte sich die junge Farmerin auf die Suche nach ihrer verschollenen Großmutter. Dabei wurde sie von einem jungen Nama begleitet, der als Historiker die Geschichte seines Stammes dokumentiert und seinerseits großes Interesse am Heiligtum der Nama hegt.

Der Hinweis führte Ruth Salden und Horatio Mwasube nach Lüderitz zum Diamant Trust, der sich von Beginn an unter deutscher Leitung befand. Dort stießen sie auf geheime Akten, die nicht nur belegten, dass der Konzern bereits zur Zeit der Nama- und Hereroaufstände großes Interesse an dem legendären Diamanten hatte, sondern auch, dass ein Teil des Diamant Trust Wolf Salden gehörte und nun auf seine Erben überging.

Von Lüderitz führte die Spur des Diamanten und seiner Hüterin in die Skelettwüste zu einem Namastamm, der weitab der Zivilisation lebt und vor Jahrzehnten Margaret Salden aufgenommen hatte. Das Treffen zwischen Großmutter und Enkelin war jedoch nicht nur voller Freude, sondern auch von großer Gefahr geprägt, da Henry Kramer, Jurist des Diamant Trust und Sohn des Geschäftsführers, Ruth und ihre Großmutter entführte, um an das »Feuer der Wüste« zu gelangen.

In einer dramatischen Rettungsaktion unter der Leitung von Horatio Mwasube gelang es schließlich, die beiden Frauen zu befreien, den Mörder von Wolf Salden zu entlarven und dessen Sohn, Henry Kramer, wegen Erpressung, Entführung und versuchten Mordes an Ruth und Margaret Salden verhaften zu lassen.

Der legendäre Schatz der Nama aber war bereits Jahre zuvor von Margaret Salden und dem Oberhaupt des Namastamms der Skelettwüste im Atlantik versenkt worden, damit, so die Aussage Margarete Saldens, »um seinetwillen nie wieder Blut fließen möge«.

Corinne ließ die Zeitung sinken. »Großmutter ist tot. Ich verstehe also nicht, was du jetzt willst.«

»Eben. Sie ist tot. Ihr Herz hat die Folgen dieser ganzen Geschichte nicht verkraftet und hat aufgehört zu schlagen. Sie ist vor sechs Wochen gestorben. Gott sei Dank hier, zu Hause, auf Salden’s Hill. Aber deshalb müssen wir Horatio Mwasube schon lange nicht mehr dankbar sein.«

»Er hat auch Ruth das Leben gerettet. Zählt das für dich denn gar nicht?« Corinne sah ihre Mutter vorwurfsvoll an.

»Himmelherrgott!«, stöhnte Rose. »Deine Schwester hätte sich auch selbst retten können. Und im Übrigen hat sie sich auch ganz ohne Hilfe in diese verfahrene Situation gebracht! Der Schwarze lebt jetzt seit einem Vierteljahr auf Salden’s Hill, isst mit uns an einem Tisch, schläft mit uns unter einem Dach. Zeigen wir uns einem Schwarzen aus den Slums von Windhoek gegenüber damit nicht genug erkenntlich?«

Sie sah Corinne in die Augen und senkte die Stimme, obwohl außer ihnen niemand im Salon war. »Er nistet sich hier ein. Ruth ist naiv, hat keine Ahnung von der Welt. Am Ende wird er sie heiraten wollen oder ihr gar ein Kind machen. Er weiß ganz genau, wie reich wir jetzt sind. Schließlich hat er die geheimen Akten in Lüderitz gefunden. Nun sitzt er im gemachten Nest, und wir sind dem Gespött der Leute ausgesetzt. Ein Schwarzer als Farmbesitzer! Das ist unerhört. Womöglich eines Tages Enkel, die aussehen wie Milchkaffee! Ich dürfte mich gar nicht mehr aus dem Haus trauen.«

Corinne verstand. »Es geht ums Geld, nicht wahr? Seien wir doch mal ehrlich. Niemand wird mehr mit Willem Geschäfte machen wollen, wenn publik wird, dass ein Schwarzer in der Familie das Zepter schwingt.«

»Willem, Willem!« Rose Salden wedelte mit der Hand, als wolle sie eine Schmeißfliege verscheuchen. »Ich höre immer nur Willem. Wo ist er eigentlich, der Vater deiner Kinder?«

Corinne zog einen Schmollmund. »Du weißt genau, dass er wegen dringender Geschäfte zurück nach Swakopmund musste.«

»Aha«, erwiderte Rose und sah ihre Tochter mit leiser Verachtung an. »Und wo macht er die Geschäfte? In eurer wundervollen Villa?«

Corinne schluckte, betrachtete ihre Fingernägel, von denen der rote Lack blätterte. Dann zog sie an einem losen Faden ihres Bademantels. »Du weißt doch längst, dass wir nicht so reich sind, wie wir es gern wären. Willem steht noch am Anfang seiner Karriere. Aber es geht aufwärts. Du wirst sehen, bald leben wir tatsächlich so, wie ich es dir immer vorgemacht habe.«

»Und gerade weil euer Aufstieg so rasant ist, wollte sich Willem Geld von mir leihen, nicht wahr? Du kannst dir sicher denken, warum ich ihm nichts gegeben habe! Einem Mann, der seine Schwiegermutter anpumpen muss, ist in keiner Hinsicht zu trauen.«

Corinne wich dem Blick ihrer Mutter aus, betrachtete stattdessen wieder ihren verschlissenen Bademantel: »Darum geht es jetzt nicht. Wir sollten uns zuerst um Horatio kümmern. Was der plant, möchte ich lieber gar nicht wissen.«

»Und hast du einen Vorschlag?«, fragte Rose.

»Na ja, wir müssen ihn bei Ruth in Misskredit bringen. Sie muss endlich erkennen, dass die Schwarzen uns nur schaden.«

»Und wie willst du das anstellen?« Rose betrachtete ihre älteste Tochter erneut mit Missfallen und schüttelte den Kopf. Sie war so stolz gewesen auf Corinne mit ihrem reichen Mann und den beiden tollen Kindern. Und jetzt hockte ihre älteste Tochter am späten Vormittag ungewaschen und ungekämmt vor ihrem leeren Frühstücksteller. Corinne wirkte schon mit ihren knapp dreißig Jahren verbraucht: Tiefe Falten reichten von der Nase bis zu den Mundwinkeln, ihre Haut war großporig, die Haare waren strohig. Außerdem sprach sie zu laut und lachte zu schrill und trug Kleider, die nicht nur schlecht saßen, sondern auch aus Stoffen gefertigt waren, die Rose nicht einmal für Vorhänge akzeptieren würde. Und dümmer als Ruth war sie auch noch.

Rose stöhnte. So lange hatte sie sich danach gesehnt, ihre Corinne zu sehen. Sie hatte mit ihr nach Gobabis fahren und im Hotel mit ihr angeben wollen. Alle Nachbarn sollten sehen, was für eine schöne, erfolgreiche und elegante Tochter sie hatte. Jetzt hatte sie Corinne endlich bei sich; sie war gleich nach Margarets und Ruths Rückkehr nach Salden’s Hill gekommen – und lag ihrer Mutter seitdem nicht nur auf der Tasche, sondern war, bei Licht besehen, auch in jeder anderen Hinsicht eine herbe Enttäuschung. Rose seufzte erneut. Das Leben war einfach nicht gerecht. Besonders, wenn sie an ihre Töchter dachte. Denn wenn Rose ehrlich war, so war sie auch mit Ruth nicht zufrieden. Am Anfang, gleich nach Ruths Abenteuer, war sie so stolz auf ihre jüngere Tochter gewesen. Es war ihr sogar gelungen, Ruth mit Margarets Augen zu sehen und sie als eine stolze, eigensinnige, aber grundehrliche und verlässliche junge Frau anzuerkennen, die wusste, was sie wollte. Rose hatte so gehofft, dass Ruth ein neues, besseres Leben wollte. Als Ruth ihr die Farm abgekauft hatte, hatte Rose gehofft, Ruth würde Salden’s Hill in ein Schmuckstück verwandeln, in ein Hotel oder etwas anderes, das etwas hermachte. Aber Ruth hatte die dreckigen Schafe und Kühe nicht nur behalten, sondern den Viehbestand noch erweitert. Statt Kleidern und Schmuck hatte sie neue Maschinen angeschafft, statt Möbel und Dekorationen auszusuchen, eine komplette Käseküche eingerichtet. Das Schlimmste aber war, dass sie Horatio mitgebracht hatte und Rose seither das wundervolle Herrenhaus mit einem Schwarzen teilen musste, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.

Horatio war der Einzige, der bemerkt hatte, wie sehr sich Ruth seit dem gemeinsamen Abenteuer verändert hatte. Horatio. Er sah alles, verstand alles, und Ruth lächelte jedes Mal, wenn sie an ihn dachte. Auch jetzt stand sie, gekleidet in ihren üblichen Arbeitsoverall, auf der Lämmerweide und lächelte versonnen. Sie warf ihr Haar zurück, das lange, wilde Haar, das sie offen trug, seit Horatio es mit einem lodernden Dornbusch verglichen hatte, ließ die Mistgabel sinken und betrachtete ihren Liebsten, der ungefähr zwanzig Meter vor ihr arbeitete und ganz und gar versunken schien. Nur manchmal hob er den Kopf, sah zu ihr und lächelte ebenfalls, und dann vollführte Ruths Herz kleine, glückliche Hüpfer.

Ruth sah an sich herab, und ihr Lächeln wurde breiter. Noch vor ein paar Monaten hatte sie sich pummelig und ungefähr so attraktiv wie ein trächtiges Angusrind gefühlt. Aber dann hatte Horatio sie mit seinen großen, dunklen Augen angesehen, und Ruth hatte sich zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich schön gefühlt. Und schlank, jedenfalls seitdem Horatio ihr eine Diät ausgeredet hatte: Iss bloß nicht weniger, Liebes. Dann habe ich nicht mehr so viel, das ich lieben kann. Sie hatte den Diätratgeber in die Ecke geworfen, ihr Haar gelöst, die Schultern gestrafft und war schön geworden. Einfach so. Nur wegen der Liebe.

Aber nicht nur ihr Körpergefühl hatte sich verändert. Anders als früher sang Ruth nun häufig während der Arbeit. Auch jetzt stieß sie die Gabel im Takt von Chris Howlands Hit Das hab ich in Paris gelernt in den Mist. Danach sang sie lauthals Heidi Brühls Chico Chico Charlie und Wir wollen niemals auseinandergehn. Erst als ihr die Puste ausging – lange nachdem sich Horatio verabschiedet hatte, um in der Gerätehalle nach dem Rechten zu sehen –, richtete sie sich auf und sah zum Herrenhaus hinüber. Durch das geöffnete Fenster erblickte sie ihre Mutter und ihre Schwester Corinne. Sie saßen am Tisch im Salon und unterhielten sich angeregt. Jetzt stand Corinne auf und schaute hinüber zur Halle, wo Horatio gemeinsam mit dem Vorarbeiter Santo einen Traktor reparierte. Rose folgte ihrem Blick.

»Aha, so ist das also«, murmelte Ruth. »Dachte ich es mir doch!«

Sie wusste natürlich, wie ihre Mutter zu Horatio stand. Und sie wusste genauso selbstverständlich, dass Corinne und Rose etwas ausheckten, wenn sie zusammensaßen. Ruth nickte dennoch zufrieden. Sollten sie reden, was und wie sie wollten. Je länger, desto besser. Denn solange die beiden da drinnen mit irgendwelchen Nebensächlichkeiten beschäftigt waren, konnten sie ihr wenigstens bei der Farmarbeit nicht in die Quere kommen.

Ruth lehnte die Mistgabel an einen Weidezaunpfosten, streichelte beiläufig einem Lamm über den Rücken und begab sich anschließend zu einem bisher ungenutzten Teil des Nebentraktes. Er enthielt seit Kurzem alles, was man für eine kleine, einfache Käserei benötigte: einen guten Herd, mehrere Quarktöpfe, ein Käsegitter, Leinentücher, Siebe in verschiedenen Größen, Rührgeräte, jede Menge Gewürze, eine Pipettenflasche mit Lab und natürlich Behältnisse, um den Käse abzufüllen.

Mama Elo, gesund und drall wie eh und je, stand am gescheuerten Arbeitstisch und rührte mit Hingabe in frischer Quarkmasse.

»Was wird das?«, fragte Ruth neugierig. »Probierst du einen neuen Käse aus?«

Die Schwarze wischte sich mit dem Unterarm eine Haarsträhne aus ihrer verschwitzten Stirn. »Das, Meisie, wird der berühmte Nama-Ziegenfrischkäse. Mama Isa hatte das Rezept noch im Kopf.«

Ruth wandte sich zu Mama Isa um, die neben dem Arbeitstisch auf einem Schemel hockte, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in den Händen vergraben. »Was ist drin?« Sie hielt erstaunt inne. Durch das Licht, das durch die frisch geputzten Stallfenster drang, wirkte Mama Isa wie ein angestrahltes Denkmal.

»Stör sie nicht. Sie denkt an die Vergangenheit.«

»Aha.« Ruth ging um den Schemel herum und betrachtete Mama Isa von oben, um die Wirkung des Lichts aus einer anderen Perspektive heraus zu betrachten. Die schwarze Frau seufzte auf.

»Stör sie nicht, hab ich gesagt!« Mama Elos Ton war eine Spur schärfer geworden.

Ruth wich zwei Schritte zurück und beugte sich zu Mama Elo. »Sitzt sie da und denkt, dass es aus ihren Ohren qualmt, weil sie eine Zutat des Rezepts vergessen hat?«, flüsterte sie.

»Natürlich nicht!« Mama Elo zog empört die Augenbrauen nach oben und stöhnte so, wie sie es sich bei Rose abgeguckt hatte. »Sie nimmt Kontakt zu den Ahnen auf.«

»Wegen Pfeffer und Salz?« Ruth schüttelte den Kopf.

Als Mama Elo wieder aufstöhnte, zog Ruth schicksalsergeben die Schultern hoch. Irgendwie ertönte dieses Stöhnen hier auf der Farm mittlerweile öfter als Schafblöken.

»Jede einzelne Zutat muss stimmen, verstehst du? Das wird nicht irgendein Käse, sondern ein Käse, in dem die Geister wohnen. Wenn auch nur eine Zutat falsch ist, macht er die Menschen nicht glücklich, sondern melancholisch. Alles muss stimmen, alles.«

Im gleichen Augenblick tauchte Mama Isa aus der Ahnenwelt auf. Auf ihrem Gesicht prangte ein breites Lächeln, die immer noch weißen Zähne blitzten. »Ich hab’s«, verkündete sie stolz. »Ein bisschen Kalaharitrüffel muss rein.«

Mama Elo nickte, als hätte sie es gewusst, nahm eine Hand voll der pulverisierten Trüffel, roch daran, rieb das Gewürz zwischen den Fingern und ließ es großzügig in die Schüssel mit der Käsemasse rinnen. Leise singend rührte sie mit dem Holzlöffel zehn Mal linksherum, dann zehn Mal rechtsherum.

»Ich glaube, Meisie, es ist besser, wenn du jetzt gehst.« Mama Isa komplimentierte Ruth mit heftigem Handwedeln zur Tür.

Ruth riss erstaunt die Augen auf. Dann lächelte sie, breitete die Arme aus und sagte amüsiert: »Klar. Ich gehe. Ihr seid hier die Chefs.« Sie wandte sich um, verließ die Käserei und schüttelte den Kopf. Kalaharitrüffel! Wenn Mama Elo und Mama Isa die Käserei auf diese Weise führten, wären sie pleite, bevor der erste Käse gereift sein würde. Und Abnehmer hatten sie auch noch nicht gefunden.

Die Sonne brannte heiß über dem Wendekreis des Steinbocks. Ruth schob die Ärmel ihres Overalls bis über die Ellbogen zurück und lief über den Wirtschaftshof hinüber zum Herrenhaus. Schon im Morgengrauen war sie bei der neuen Herde gewesen, hatte das Fell der Schafe untersucht, die Euter befühlt, die Tränken aufgefüllt und ein wenig Kraftfutter für die Tiere gestreut. Jetzt war eine gute Zeit gekommen, um endlich ein zweites Frühstück einzunehmen und einen Kaffee zu trinken.

In der Küche war es still. Kein Wunder, denn Mama Isa und Mama Elo werkelten nach wie vor in der Käserei herum. Die Kaffeekanne war leer, nicht einmal ein abgedeckter Teller mit Sandwichs stand auf dem Tisch, von selbst gemachter Limonade ganz zu schweigen. Nur ein leerer Teller und eine gebrauchte Tasse warteten im Spülbecken darauf, dass sich jemand ihrer annähme.

Ruth seufzte, drehte den Wasserhahn auf und trank gleich aus dem Kran.

»Ruth!«

Sie fuhr herum. Hinter ihr stand Rose, die Augen geschlossen, die Hände anklagend erhoben.

»Was ist?«

»Du benimmst dich wie eine Farmerin!«

»Ich bin eine Farmerin.«

»Ja«, musste Rose zugeben. »Aber ich hoffe doch, dass du zu denen gehörst, die wissen, dass man aus Gläsern trinkt.«

»Aber sicher, Mutter.« Ergeben nahm Ruth ein Glas aus dem Schrank, füllte es mit Wasser und stellte es auf den Tisch. Dann öffnete sie den Kühlschrank, holte Brot, Butter und getrocknetes Fleisch hervor und machte sich ein Sandwich.

»Nimm einen Teller, Kind. Ich kann gar nicht zusehen.«

»Musst du auch nicht. Komm einfach wieder, wenn ich hier fertig bin, oder möchtest du etwas von mir? Hast du in Corinnes Illustrierten ein neues Geschirr entdeckt, oder sind die neuen Vorhänge unvorteilhaft für Corinnes Teint?«

Rose überhörte die Ironie. »Nichts dergleichen. Ich bin gekommen, um mit dir zu reden. Ein Gespräch von Frau zu Frau.« Seufzend ließ sie sich auf einen Stuhl fallen.

Ruth biss kräftig vom Sandwich ab, kaute einmal und fragte dann mit vollem Mund: »Worüber willst du mit mir reden?«

Rose sah angewidert zur Seite. »Man spricht nicht mit vollem Mund.«

Ruth schluckte herunter und lächelte. »Dann solltest du bei Familienzusammenkünften ab sofort pausenlos Sandwichs verteilen.«

»Es geht um deine Zukunft«, verkündete Rose ernst und zog Ruth den Teller mit den verbliebenen Broten weg. »Es geht mich vielleicht nichts an, aber ich wüsste gern, wie das hier mit diesem … ähm … Horatio weitergehen soll. Sieh, Ruth, er ist ein Schwarzer, und Schwarze und Weiße gehören nicht zusammen.«

Ruth angelte sich ihren Teller zurück, biss geräuschvoll von ihrem Sandwich ab, kaute, nickte und sagte: »Du hast recht, Mutter.«

»Na, siehst du, Kind. Ich wusste doch, dass du vernünftig bist.«

»Du hast recht: Es geht dich nichts an.«

Ruth machte Anstalten aufzustehen, doch Rose befahl: »Bleib sitzen!«

»Mutter, ich habe eine Farm zu führen. Es gibt jede Menge zu tun heute.«

»Bleib sitzen, habe ich gesagt. Na los doch, mach schon.«

Seufzend ließ sich Ruth wieder auf den Stuhl fallen, legte die Hände ordentlich vor sich auf die Tischplatte und zog ein Gesicht, das sie sich eigentlich für die Sonntagspredigt in der Kirche aufsparte. »Also, schieß los.«

Rose räusperte sich. »Du hast im Laufe der letzten Monate viel von der Geschichte deiner Familie erfahren, mein Kind. Du weißt, wie schwer sie es in diesem Land hatte, weißt auch, wie viele Kämpfe unsere Vorfahren ausfechten mussten, um zu erhalten, was sie sich geschaffen hatten – mit ihrer Tüchtigkeit und natürlich mit Gottes Segen …«

»Worauf willst du hinaus, Mutter?«

Rose, die den Kopf zuvor leicht geneigt und sich um einen salbungsvollen Ton bemüht hatte, richtete sich kerzengerade auf. »Verdammt, Ruth! Jetzt begreif doch endlich! Wir Weiße haben uns hier mit viel Mühe etwas aufgebaut. Ohne uns würden die Schwarzen noch immer in der Kalahari ihre Feuergötter anbeten und Maden rösten.«

»Na und? Wer sagt dir, dass es ihnen besser gefällt, jetzt für uns auf den Farmen zu arbeiten?«

Rose stöhnte und rang die Hände. »Du willst mich nicht begreifen, Ruthi, oder?«

Ruth lehnte sich zurück. Langsam sagte sie: »Ich denke schon, dass ich dich begreife, Mutter. Dich und die anderen Weißen, die genauso denken wie du. Wir haben Wohlstand und Fortschritt in ihre Wildnis gebracht. Ohne uns wüssten viele bis heute nichts von Messerbänkchen, Schneckenzangen und Damastservietten. Wir sind ihnen überlegen, denkst du. Und du denkst, dass sie uns auf ewig dankbar sein sollten. Aber dass diese Leute auch ohne Messerbänkchen glücklich waren und nichts vermisst haben, das begreifst du nicht, Mutter. Sie haben uns nicht gerufen. Verstehst du? Wir sind einfach gekommen, haben uns genommen, was wir wollten. Wir haben ihre Weiden zerstört, über ihre Religion gelacht, ihre Kultur mit Füßen getreten. Wir haben ihnen ihr Eigentum weggenommen und ihre Stammesleute getötet. Und bei alldem waren wir ihnen niemals überlegen.«

»Pfft!« Rose verzog abschätzig den Mund. »Niemals überlegen? Wie waschen die Namafrauen denn bis heute? In einem Kessel über der Asche! So sieht es aus. Ohne uns, ohne uns …«

»Ja, ja. Ohne uns würden sie noch immer die Maden von den Bäumen essen. Aber vielleicht wollen sie genau das! Und überhaupt: Die Schwarzen wissen, was sie brauchen. Sie wissen, wie man in der Wüste überlebt, wie sie ihre Tiere auch in der Trockenzeit satt bekommen. Das alles wissen wir nicht. Sie sind nicht dümmer als wir, Mutter. Sie sind anders. Das ist alles.«

Rose starrte Ruth einen Augenblick an, dann hatte sie sich wieder gefangen. »Anders, sagst du. Meinetwegen. Dann eben anders. Du stimmst mir also zu, wenn ich sage, dass sie nicht sind wie wir. Das wiederum heißt aber, wir passen nicht zusammen. Sie haben andere Vorstellungen, andere Werte, eine andere Kultur. Ihnen sind andere Dinge wichtig als uns und …« Rose seufzte und sah zum Himmel, als flehe sie Gott an, die Dinge zu ändern. »Und sie hassen uns. Vom ersten Tag an haben sie unserer Familie das Leben schwer gemacht.« Sie deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Ruth. »Du weißt genau, was ich meine, mein liebes Fräulein. Immerhin musst du jedes Jahr etliche von ihnen entlassen, weil sie klauen, faulenzen, saufen bis zum Umfallen oder sonst was treiben.«

»Tja.« Ruth stand auf. »Du weißt selbst, woran das liegt: Wir haben den Schwarzen unsere Lebensart übergestülpt. Normalerweise sorgen sie für drei Tage im Voraus und warten ab, was kommt. Mutter Natur, das wissen sie, lässt sie nicht im Stich. Wir aber wissen das nicht und sind es gewohnt, für Jahre im Voraus für uns zu sorgen. Und wenn die Schwarzen das nicht mitmachen, weil sie es anders gewohnt sind, entlassen wir sie. Das ist nicht immer gerecht, das weiß ich selbst, aber ich trage nun einmal die Verantwortung für diese Farm und die ganzen Mitarbeiter und bin deshalb gezwungen, über die nächste Woche hinaus zu denken. Hätte ich einen anderen Beruf, könnte ich mich womöglich auf die Lebensart der Einheimischen einstellen, aber dafür fehlen mir hier die Mittel.« Demonstrativ sah sie auf die Uhr.

Rose griff nach ihrem Ärmel und hielt sie fest, bevor sie den Raum verlassen konnte. »Aber jetzt geht es um Horatio. Weißt du, was er plant?«

»Was soll er schon planen? Er schreibt die Geschichte seines Volkes.«

»Und womit verdient er sein Geld?«

Ruth schnaubte verärgert. »Er verdient sich seinen Unterhalt, indem er mir auf der Farm hilft. Anders als Corinne habe ich ihn schon oft mit der Gabel auf dem Misthaufen gesehen. Er hat Mama Elos und Mama Isas Gemüsegarten umgegraben und ist dabei, mit Santo einen Reifekeller für den Käse zu graben.«

»Du sprichst von der weißen Pampe, die Mama Elo und Mama Isa bisher produziert haben?« Rose verzog angewidert das Gesicht.

Ruth reichte es. Sie stemmte die Arme in die Hüften, beugte sich ein wenig nach vorn und sagte scharf: »Hast du nicht endlich bekommen, was du wolltest, Mutter? Immer hast du gejammert und geklagt, weil wir nicht genügend Geld für Nachmittagstees hatten. Immer hast du mir Corinne als Vorbild hingestellt. Als Vorbild für Eleganz und Lebensart. Und jetzt? Jetzt hast du sie den lieben langen Tag in deiner Nähe und kannst ihr beibringen, wie man diese hässlichen Knubbel von den Pullovern pult, die vom langen Tragen kommen. Du hast deine Nachmittagstees, und du hast Wedgwood-Geschirr und Chanel-Kostüme und Vorhänge aus Chintz und Silberbesteck. Die Farmersgattinnen der Gegend haben dich zur Vorsitzenden des Festkomitees für den Farmerwettbewerb gewählt, und du bist Kassiererin der Waisenhausstiftung geworden. WAS WILLST DU ALSO NOCH?«

Rose schaffte es, so unschuldig dreinzublicken wie ein Lämmchen. »Ach, das Komitee und die Stiftung. So wichtig sind mir diese Dinge gar nicht.«

»Immerhin wirst du nächste Woche einmal wieder eine Teeparty geben. Die Einladungen sind raus, die Zusagen trudeln langsam ein. Was willst du also noch?«, fragte Ruth noch einmal, nun eine Spur sanfter.

Rose räusperte sich und schaute auf das Diamantarmband, das seit Kurzem ihr Handgelenk zierte. »Was ich will? Nichts weiter. Nicht viel. Eigentlich nur das Beste für uns, aber das weißt du.«

»Also?«

Als Rose aufblickte, sah Ruth die Verachtung in ihren Augen. »Bring den Schwarzen hier weg. Schaff ihn weg, und heirate einen Weißen. Ganz egal, wen. Aber weiß muss er sein.«

»Sonst?« Ruth stemmte erneut die Arme in die Hüften.

Rose erhob sich bedächtig, zuckte geziert mit den Schultern und stöhnte: »Sonst bleibt auf Salden’s Hill nichts mehr, wie es jetzt ist.«

Drittes Kapitel

»Ich mache da nicht mit. Ich habe zu tun. Außerdem weiß ich sowieso nicht, was ich denen sagen soll.« Ruth funkelte ihre Mutter erbost an. »Wer ist überhaupt auf den Blödsinn gekommen, der Zeitung ein Interview zu geben?«

»Keiner von uns natürlich.« Mit einem Ruck schob Rose ihre Kaffeetasse zurück. Ihr Blick schweifte durch den Raum, prüfte den Fall der Vorhänge, streifte das Blumenarrangement auf dem Beistelltisch, die Sofakissen aus bestickter Seide. Sie nickte zufrieden. »Die Allgemeine Zeitung ist auf uns zugekommen. Die Redaktion hat vorhin angerufen. Die Suche nach dem ›Feuer der Wüste‹, der Mord an deinem Großvater, die Verhaftung der Kramers und der Tod deiner Großmutter vor ein paar Wochen haben große Wellen geschlagen. Sogar im Ausland. Nun, und jetzt wollen die Leser wissen, wie es den Beteiligten an diesem Drama ergangen ist.«

Ruth sah auf die versilberte Uhr, die neuerdings den Kaminssims schmückte: »Wann kommen diese Menschen hierher?«

»Oh, in einer Stunde schon.« Corinne sprang erschrocken auf und griff sich ins Haar. »Ich muss mich noch zurechtmachen. Bestimmt bringen sie einen Fotografen mit.« Mit einem Satz stob sie aus dem Salon.

Ruth sah ihr kopfschüttelnd nach. »Dann braucht ihr mich ja ohnehin nicht. Horatio und ich müssen Viehmist mischen und abfüllen.«

Ein Knall ließ Ruth zusammenzucken. Rose hatte mit der flachen Hand auf den Esstisch geschlagen. »Das wirst du nicht tun! Die Journalisten kommen in erster Linie deinetwegen. Und ich erlaube nicht, dass man dich mit Kuhkacke an den Händen fotografiert. Es war schon schwer genug, sie auf den späten Vormittag zu vertrösten – was im Übrigen nur nötig war, weil meine Töchter für diese Art von Auftritten Stunden brauchen, um sich zurechtzumachen.«

»Ach, und wer soll die Arbeit machen? Kommst du danach mit raus und hilfst mir?« Ruths Miene ließ keinen Zweifel daran, wie ungelegen ihr die Zeitungsleute kamen. »Und Aufrüschen wie Corinne werde ich mich ganz bestimmt nicht. Ich bin schließlich Farmerin.«

Stöhnend sandte Rose einen Blick zum Himmel. »Nimm meinetwegen Mama Elo und Mama Isa mit aufs Feld. Sie brauchen dafür heute Abend nichts Aufwendiges zu kochen.«

Mit ihrem Taschentuch polierte Rose das glänzende Mahagoni des Esstischs, während Ruth überlegte, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, hierzubleiben. Schließlich stand sie auf. Wer wusste schon, was die beiden sonst erzählten. »Ich hole Horatio.«

»Wieso denn das? Was soll der denn beim Interview? Keiner hat nach ihm gefragt.«

»Er war während des ganzen Abenteuers dabei, oder nicht? Ich wette, er weiß darüber mehr zu berichten als du und Corinne zusammen. Ohne ihn sage ich gar nichts«, erklärte Ruth und verließ eiligen Schrittes den Salon.

Vor dem Spiegel im Flur fuhr sie sich kurz durch das lange Haar, strich einmal über ihre Jeans, zupfte das Hemd zurecht und schlüpfte aus ihren derben Stiefeln, mit denen sie normalerweise gar nicht ins Haus durfte. Mit dem bestrumpften linken Fuß wischte sie über den rechten Stiefel, dann wechselte sie die Schuhe und tat dasselbe mit dem rechten Fuß und dem linken Stiefel. »So, fertig«, murmelte sie und ging hinaus.

Sie fand Horatio bei Santo in der Gerätehalle. Die Männer diskutierten darüber, wie es zu bewerkstelligen sei, die Felder gleichmäßig zu düngen.

»Wir brauchen eine Vorrichtung, die wir an den Trecker hängen. Auf die Ladefläche kommen die Tonnen mit dem Flüssigdünger, und von ihnen führt ein Schlauch hinaus«, erklärte Santo gerade.

»Das ergibt ein gleichmäßiges Rinnsal, aber keine ordentliche Düngung. Vielleicht wäre es doch besser, sich eine Düngemaschine zu leihen.«

Santo schüttelte den Kopf. »Würd ich nich’ machen. Macht zu viel Aufsehen. Ist sogar besser, wir düngen in der Nacht.«

Ruth trat zu den Männern und zog die Stirn kraus. »Warum das denn?«

Horatio legte ihr einen Arm um die Schulter: »Hallo, Liebes«, sagte er und küsste sie zart, bevor er weitersprach: »Weil alles, was anders gemacht wird als bei den Nachbarn, Misstrauen weckt. Wie willst du deine Käse verkaufen, wenn die anderen Farmer erzählen, du würdest die Wüste düngen?«

»Wenn es doch richtig ist?«

»Das ist egal. Als richtig gilt hier, was alle machen. Das weißt du doch.«

Ruth nickte. Dann fiel ihr das Interview wieder ein. »Kommst du mit ins Haus? Gleich kommen Journalisten von der Allgemeinen Zeitung, um ein Interview mit uns zu führen.«

Horatio nahm einen Lappen und wischte sich die Hände daran ab. »Geht es um das ›Feuer der Wüste‹?«, fragte er. Auch seinem Gesicht war abzulesen, wie viel lieber er sich weiter um seine Arbeit kümmern würde.

»Ja«, erwiderte Ruth. »Etwas anderes interessiert die Leute an uns nicht.«

Horatio spitzte die vollen Lippen und sah einen Moment ins Leere. Dann seufzte er ergeben. »Haben Mama Elo und Mama Isa gerade zufällig einen frischen Ziegenkäse da?«

»Bestimmt«, erwiderte Ruth. »Aber was hat das mit der Zeitung zu tun?« Im nächsten Augenblick schlug sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ah, jetzt verstehe ich! Du meinst, wir sollten die Journalisten unsere Käse kosten lassen, damit sie darüber in ihrer Zeitung schreiben?«

Horatio nickte.

Ruth hieb ihm fröhlich auf die Schulter, obwohl sie ihm viel lieber zärtlich über die Wange gestreichelt hätte. Aber nicht vor Santo oder sonst einem Menschen! Es reichte schon, dass Horatio sie eben zur Begrüßung geküsst hatte. »Für einen Stadtmann hast du verdammt gute Einfälle.« Sie eilte in die Käserei, wies die beiden Frauen an, einige kleine Ziegenkäsetaler zu formen und diese mit Honig zu überziehen. »›Das Feuer der Wüste‹«, erklärte sie ihnen. »Wenn es den Diamanten schon nicht mehr gibt, so gibt es doch seinen Namen. Und den kennt mittlerweile jeder hier in Südwest. Das sollten wir ausnutzen.«

Mama Elo und Mama Isa nickten begeistert und machten sich auf der Stelle an die Zubereitung. Ruth stand daneben und sah zu, wie Mama Elo aus der Frischkäsemasse mit einem Löffel kleine Kugeln ausstach. »›Feuer der Wüste‹«, murmelte Mama Isa vor sich hin. »›Feuer der Wüste‹. Ein Feuer muss doch brennen, oder? Also brauchen wir Pfefferkörner. Pfeffer und Honig. Roten Pfeffer und Honig. Scharf und süß. So muss es sein.«

Mama Elo betrachtete Ruths leuchtende Wangen und ihre strahlenden Augen. »Wird wohl Zeit, dass wir auch einen ›Käsetaler der Liebe‹ herstellen, was?«

Ruth spürte die Röte in ihr Gesicht schießen. »Ach, seht einfach zu, dass das Wüstenfeuer rasch auf den Tisch kommt! Und gebt euch Mühe, hört ihr?«

Eine halbe Stunde später balancierte Ruth einen Teller mit einem Dutzend Ziegenkäsetalern ins Haus. Sie wusch sich rasch die Hände und kämmte sich das Haar. Mama Elo muss mir die Spitzen schneiden, dachte Ruth, während sie sich mit einer Haarsträhne sanft über die Wange fuhr. Am besten noch heute Abend. Mein Haar soll glänzen wie Feuer. Horatio mag es so am liebsten.

Sie zog sich ein frisches Hemd an und traf zeitgleich mit den Journalisten in der Halle ein. Auch Horatio hatte seine Arbeitskleidung gegen ein blitzweißes Hemd getauscht. So groß und aufrecht stand er in der Halle, dass Rose Salden fand, dass er viel zu wenig schwarz und viel zu sehr wie ein Bass aussah. Sie unterdrückte ein neuerliches Stöhnen und wandte sich an die Journalisten: »Bitte, folgen Sie mir in den Salon und nehmen Sie Platz.«

Mama Elo, mittlerweile angetan mit einer weißen Rüschenschürze, servierte mit einem freundlichen Lächeln die Ziegenkäsetaler und selbst gemachte Limonade.