Sehnsucht, Sex & Abenteuer - Sina Blackwood - E-Book

Sehnsucht, Sex & Abenteuer E-Book

Sina Blackwood

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Beschreibung

Seit Maja an der Burg Fragenstein nach einem Sturz von einem Felsen gerettet wurde, sind einige Monate vergangen. Man hatte ihr die Erklärung, sie sei bei Nacht vom Weg abgekommen, ohne Abstriche geglaubt. Gut für Maja, denn die Wahrheit hätte man als blanke Spinnerei abgetan. Allen Gefahren zum Trotz begibt sie sich bald wieder auf die Suche nach einer Möglichkeit, sich mit Nico, ihrem geheimnisvollen Geliebten, zu treffen.

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Inhaltsverzeichnis

Die übliche Unruhe

Sommersonnenwende

Von Schiffen &Wasser

Auf der Suche nach irgendwas

Weihnachtstrip nach Nürnberg

Klostergeflüster

Der Rabe von Innsbruck

Wiederholungstäter

Seemacht Genua

Allerlei Aufbrüche

Der schlafende Kaiser

Sehnsucht – nicht nur nach dem Süden

Rivale Venedig

Veroneser Geschichte(n)

Heimreise mit Hindernissen

Die übliche Unruhe

Seit Maja an der Burg Fragenstein nach einem Sturz von einem Felsen gerettet wurde, sind einige Monate vergangen. Man hatte ihr die Erklärung, sie sei bei Nacht vom Weg abgekommen, ohne Abstriche geglaubt. Zumal die Hotelangestellten übereinstimmend aussagten, sie sei mit einbrechender Dunkelheit losgezogen, um die Reste der Burg zu bestaunen. Gut für Maja, denn die Wahrheit hätte man als blanke Spinnerei abgetan. Sie hatte es sogar geschafft, mit dem gebuchten Reisebus wieder mit nach Hause zu fahren, und das Leben schien seinen altgewohnten Trott zu gehen – aber eben nur für die anderen.

Auf der Heimreise von Tirol hatte sie sehr viel Zeit, über all das Erlebte nachzugrübeln und sich Gedanken über Nico zu machen, der höchstwahrscheinlich die Retter gerufen hatte. Die Namensgleichheit wäre sonst ein äußerst seltsamer Zufall gewesen. Ob er wohl ahnte, dass sie viele Jahre in einer anderen Zeit gefangen war? Hatte er es gar bewirkt, indem er von einer Existenz in die nächste wechselte? Wo würde sie ihn das nächste Mal unverhofft treffen? Tausend Fragen und jede warf eine neue auf, statt beantwortet zu werden.

Fakt war, dass sich Maja immer mehr nach Nico sehnte. Daran hatten auch die Jahre mit Ritter Georg im 15. Jahrhundert nichts geändert.

Bei den Gedanken an Georg konnte sie es nicht verhindern, dass heiße Tränen über ihre Wangen kullerten. Er war immer für sie da gewesen und wäre mit ihr sicher bis ans Ende der Welt geritten, hätte sie das auch noch sehen wollen. Er musste sterben, weil er sie beschützt hatte. Aber sein Tod hatte ihr die Rückkehr nach Hause ermöglicht.

An diesem Punkt stutzte Maja und kam auf den Gedanken zurück, dass Nico die Fäden gezogen haben könnte. Schließlich entführte der sie in stets wandelnder Gestalt in unterschiedliche Zeiten. War Nico womöglich sogar identisch mit Georg? Der erschien schließlich, als sie den Erzherzog für immer verlassen hatte. Und das Tor öffnete sich, als er aus dieser Welt gehen musste. Andererseits…Maja gab es rasch auf, das Geheimnis wirklich ergründen zu wollen. Womöglich verschwand Nico dann für immer, was für sie einer Katastrophe gleichkommen würde.

Obwohl gerade erst wieder zu Hause, packten sie schon nach wenigen Tagen erneut die übliche Unruhe und das Fernweh. Nico fehlte ihr. Zudem hatte sie jetzt mehrere Jahre eine Freiheit genossen, die das 21. Jahrhundert so nicht zuließ. Sie holte ihren kleinen Rollkoffer hervor, um ihn für die nächste Reise zu überprüfen.

Die Außenseite war topp, die Räder waren in Ordnung, der Reißverschluss funktionierte tadellos und das Innenleben ließ auf den ersten Blick ebenfalls nichts zu wünschen übrig. Maja öffnete den Verschluss des Innennetzes und bekam tellergroße Augen – genau am Falz hingen zwei winzige Raupen, die sich in feste Seide eingesponnen hatten, welche nicht etwa einfach nur beige oder weiß war. Nein, sie schillerte, je nach Lichteinfall, in den zartesten Bonbonfarben.

„Motten?“, überlegte Maja laut und holte eine Lupe.

In Anbetracht der Tatsache, dass weder die letzte Kleidung noch die Kofferbestandteile irgendwelche Löcher aufwiesen, und die Optik gar so verwirrend war, verwarf sie den Gedanken sofort.

„Was seid ihr?“, murmelte sie, während sie versuchte, die beiden seltsamen Puppen mit einer Pinzette abzuzupfen.

Du kennst uns nicht? Tz, tz, tz, hörte sie es deutlich in ihren Gedanken flüstern.

Maja hielt inne. „Schmetterlingsgedanken. Das gibt es doch nicht! Ihr habt überlebt?! Ich habe euch oft schmerzlich vermisst.“

Das glauben wir dir sogar, denn sonst hättest du uns jetzt gar nicht sehen können. Nur wird es eine Weile dauern, bis wir wieder richtig zahlreich sind.

„Das ist mir völlig egal, Hauptsache, ihr seid wieder bei mir.“

„Telefonierst du?“, hörte Maja ihren Mann fragen und schreckte zusammen.

„Nein, ich diktiere Stichpunkte für ein neues Buch ins Handy“, erwiderte sie geistesgegenwärtig, was die Gedanken amüsiert kichern ließ.

Fast wie in alten Zeiten, dachte Maja, worauf sich etwas in den pastellfarbenen Hüllen bewegte. Sie schaute genauer hin und bemerkte, dass sich die winzigen Tiere zum Schlupf bereit machten. Ich lasse den Koffer einen Spalt offen, versprach sie.

Das amüsierte Grinsen der Schlüpflinge konnte sie nicht sehen. Dabei hätte sie wissen müssen, dass die Gedanken auch aus dem geschlossenen Koffer zu ihr vordringen würden, so sie es zuließ.

Das Leben im 21. Jahrhundert wäre ohne die kleinen Biester, wie Maja die witzigen Schmetterlingsgedanken nannte, auch kaum zu ertragen gewesen. Man musste einfach einige Dinge mit bissiger Ironie betrachten.

Allerdings wirkte sich der Ausflug ins 15. Jahrhundert so aus, dass die Neugier auf Altes, das sich erhalten hatte, nur noch gewachsen war. Zudem stieß Maja das Gesehene an, Notizen für unzählige neue Romane und Kurzgeschichten zu hinterlegen, um bloß nichts zu vergessen. Gleichzeitig stieg das Verlangen, einige Dinge noch einmal zu betrachten. Nur diesmal unter einem ganz anderen Blickwinkel. Sowohl der Koffer als auch die neugierigen frisch geschlüpften Gedanken warteten schließlich auf neue Abenteuer. Oder auf alte, die man eben neu beleuchten konnte.

Vor Jahren hatte Maja in Waldenburg recherchiert und es trieb sie, noch einmal dahin zu fahren. An einem sonnigen Samstag setzte sie ihren Plan in die Tat um. Geführte Tagesfahrten mit dem Reisebus waren nicht zu haben gewesen, so fuhr sie schließlich mit dem Auto.

Die weiten Felder links und rechts der Autobahn ließen sie gleich wieder an den langen Ritt mit Georg denken, auf dem es erfreulich mehr zu sehen gegeben hatte. Wenigstens ging die Fahrt zügig voran und Maja stellte ihr Auto auf einem Parkplatz in der Nähe des Schlosses ab.

Dieses hatte man zwar auf den Resten einer Burg aus dem 12. Jahrhundert erbaut, war aber nicht das eigentliche Ziel ihrer Reise. Auch, dass die Hussiten 1430 die Burg zerstört hatten, und danach der Auf- und Umbau als Schloss erfolgte, wusste Maja. Ganz zu Schweigen, von weiteren Änderungen im 18. und 21. Jahrhundert.

Majas Neugier galt dem Naturalienkabinett, dessen Domizil im 19. Jahrhundert eigens für die Kuriositäten-Sammlung der Apothekerfamilie Linck errichtet worden war. Bei ihrem letzten Besuch, der schon einige Jahre zurücklag, hatte sie sich ausgiebig mit der ausgestellten Mumie Schep-en-Hor beschäftigt, der sie einen wichtigen Part in einer ihrer mehrteiligen Buchserien widmete.

Maja schloss sich einer Gruppenführung an, um etwas mehr über das Ganze zu erfahren. Schon beim Eintreten hatte sie eine wesentlich angenehmere Atmosphäre bemerkt. Das untere Geschoss war umgebaut worden und präsentierte sich nun hell und freundlich. Auch in den oberen Räumen waren Teile der Ausstellung neu geordnet, was sich eindeutig positiv auf den Betrachter auswirkte.

Maja lauschte den Worten der Führerin und war froh, sich eine Fotoerlaubnis gekauft zu haben. Einige Exponate waren durchaus angetan, weiterführend zu recherchieren. Schon allein die astronomischen Geräte luden geradezu ein, tiefer ins Geschichtliche zu blicken.

Der wissenschaftliche Fortschritt ließ sich aber auch gut anhand der Tierpräparate verfolgen. Erstaunlich, welche handwerkliche Wandlung sich hier offenbarte. Und damit war Maja schon mit den Gedanken bei Schep-en-Hor, denn auch die ägyptische Mumifizierung diente dem Zweck, einen toten Körper für die Ewigkeit zu erhalten.

Scheps seelenlose Hülle lag noch am selben Platz wie beim ersten Besuch. Maja umrundete den Sarkophag, auf der Suche nach einem Fleck, von wo aus sie ein gutes Foto schießen konnte. Die zum Fenster hereinscheinende Sonne machte das so gut wie unmöglich, denn das Glas, hinter dem die Mumie lag, spiegelte äußerst störend.

Maja blieb zurück, als die Gruppe in den nächsten Raum weiterzog. Sie wollte noch einen Augenblick stumme Zwiesprache mit Schep führen. Um doch noch ein brauchbares Foto zu bekommen, ging sie in die Knie. Ein goldener Reflex huschte über die Mumie. Maja hielt überrascht inne und versuchte, zu ergründen, was das wohl gewesen sein konnte, denn sie war nachweislich allein bei Schep-en-Hor.

Verblüfft stellte sie fest, dass das merkwürdige Leuchten aus den Bandagen der Mumie drang. Maja ging noch etwas näher und hatte plötzlich das Gefühl, der ganze Raum drehe sich um sie. Sie schloss für einen Moment die Lider.

Als sie sie wieder öffnete, erschrak sie zutiefst, denn dutzende Augenpaare beobachteten sie neugierig. Zudem trugen die braunhäutigen Fremden weiße Gewänder, lapislazulibesetzte Pektorale und kunstvoll geknüpfte Perücken.

„Du kommst spät, Liebe meines Lebens“, hörte sie eine bekannte Stimme hinter sich und kreiselte herum.

„N ... Nico?“, hauchte Maja, den Mann mit großen Augen musternd. Es irritierte sie, dass er sie vor den Anwesenden, als seine Liebste bezeichnete. Zudem erhob er sich soeben von einem vergoldeten Thron.

„Bringt einen Schemel für die Favoritin des Pharao!“, befahl jemand und ein Diener eilte davon.

„Ich habe nicht mehr geglaubt, dich unter den Lebenden zu sehen“, wandte er sich ihr zu. Sie an beiden Händen haltend, schaute er ihr tief in die Augen. „Wie hast du es geschafft, zu entkommen?“

Maja hatte keinen Schimmer, um was es ging und auch nicht, in welches Jahrhundert sie geraten war. Nur, dass sie wohl im Ägypten der vorchristlichen Zeit gelandet sein musste, ahnte sie. Um keine Fehler zu begehen, antwortete sie: „Die Götter waren mir gewogen.“

„Offensichtlich, denn du bist die einzige Überlebende.“ Er geleitete sie zu ihrem Schemel neben seinem Thron.

Die einzige Überlebende? Maja erschrak. „Ich weiß nicht einmal, was geschehen ist. Es ging alles so schnell.“ Dabei lief ihr Gehirn auf Hochtouren. Wer war dieser Pharao? Was war geschehen? Wie kam es, dass er sie inmitten einer solchen Menschenmenge als Geliebte bezeichnete?

Sie hatte sich zwar im Rahmen ihrer Romanrecherchen mit den Horusnamen einiger Pharaonen beschäftigt, die hier gesehene Kartusche konnte sie allerdings nicht lesen.

„Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern“, flüsterte Maja, „nicht einmal an meinen oder deinen Namen.“

Der Pharao hielt überrascht in der Bewegung inne. „Du weißt nicht, wer ich bin?“

Maja wiegte langsam den Kopf und hoffte, dass er in das Spiel einsteigen werde.

Da sagte er auch schon: „Ich bin Psammetich, Herrscher über Ägypten, und du bist meine Lieblingsfrau.“

„Psammetich ...“, hauchte Maja und schaute ihn verunsichert an.

„Erinnerst du dich wirklich nicht?“

„Spätzeit, Saïten-Dynastie. Die Sechsundzwanzigte, wenn ich mich nicht irre“, murmelte Maja.

Psammetich schaute sie beunruhigt an. „Ich weiß zwar nicht, was du mir damit sagen willst, aber ich glaube, dass es mit dem Überfall zusammenhängt.“ Er nahm sie sorgenvoll in den Arm. „Meine Geliebte, was haben sie dir nur angetan?“

Maja hatte inzwischen tief in ihrem Gedächtnis gekramt und den Augenblick in groben Zügen auf 500 bis 600 vor Christus datiert. Zudem stellte sie fest, dass sie zwar sehr viel über die politischen Erfolge Psammetichs, aber nichts über seine Frauen wusste.

Erzürne ihn nicht durch langes Zögern, hörte sie die Schmetterlingsgedanken flüstern.

Maja fasste nach dem dargebotenen Weinbecher. „Danke, mein Liebster, langsam löst sich der Schock.“

„Dann tanze für mich“, bat Psammetich, den Musikanten ein Zeichen gebend.

Maja hätte gar keine Chance gehabt, abzulehnen. Die heiligen Krokodile hatten in allen Jahrhunderten den gleichen Appetit und fraßen alles, was ihnen zugeworfen wurde. Also fasste sie rasch nach einem umherliegenden Schleiertuch, um mit einem aufreizenden Bauchtanz den hungrigen Mäulern zu entgehen.

Unzählige Male zum eigenen Vergnügen geübt, sorgten die geschmeidigen Bewegungen bei den Männern für tellergroße Augen. Offensichtlich war ihr Plan aufgegangen, denn nach Beendigung der Darbietung führte man sie sofort in die Gemächer des Pharao. Seinen Sexhunger zu stillen, war wesentlich erfreulicher, als die Fressgier der Krokodile zu befriedigen.

Und wenige Minuten genügten, um Maja zu überzeugen, dass sie Nico in einer seiner unzähligen Erscheinungsformen vor sich hatte. Die Art, wie er sie küsste, wie er seine Lippen in ihren Schoß presste und ihr mit der Zunge unglaubliche Lust bereitete, war völlig identisch. Seine streichelnden Hände glitten über ihre Schenkel, wanderten weiter zu ihren warmen Pobacken, um sie leidenschaftlich an sich zu ziehen.

„Du hast mir gefehlt“, flüsterte er, als sie Augenblicke später rittlings auf seinen Schenkeln saß. „Jetzt wo Nebetneferumut Schepenupet III. ist, kann ich dir endlich wieder mehr Zeit widmen.“

Maja begriff, dass sie mitten in die Feierlichkeiten der Namensgebung geraten war. Psammetich hatte seine älteste Tochter reich mit Ländereien ausgestattet, ihr ein festes Einkommen durch die Priesterschaft beschert und sie als Adoptivtochter an Schepenupet II. übergeben.

Maja überlegte, ob dieser Name in ihrer Zeit wohl auch eher Schep-en-upet geschrieben werden müsste, in Anlehnung an Schep-en-Hor, der sie es zur verdanken hatte, hier gelandet zu sein. Vielleicht lebte Schep-en-Hor ja sogar jetzt noch und sie hatte sie gesehen, ohne sie zu erkennen?

„Komm, genießen wir die Kühle des Abends“, sagte da auch schon Psammetich, nach ihrer Hand fassend und sie in Richtung der Gärten dirigierend.

Lies ihm alle Wünsche von den Augen ab, bettelten die Schmetterlingsgedanken, Nitokris, wie man Schepenupet früher nannte, beobachtet dich schon, seit du hier angekommen bist.

Maja erschrak. Sie ist hier?! Sie wusste, dass die neue Gottesgemahlin des Amun über die Macht verfügte, sie aus dem Umfeld ihres leiblichen Vaters entfernen zu lassen, so der nur eine Spur von Unmut zeigte.

Psammetich schien ihre Angst spüren zu können, denn er blieb stehen, schaute fest in ihre Augen und sagte: „Ich werde dich niemals verstoßen, nur weil andere es verlangen. Bei dir spüre ich doppelte Lust. Du bist meine Lieblingsfrau und ich werde dich bewachen lassen, wie meinen wertvollsten Schatz.“

Die letzten Worte mehrten Majas Sorgen, denn sie wiesen deutlich darauf hin, dass eine reale Gefahr für sie bestand.

Der Leibwächter, den er ihr zuteilte, war ein Nubier von gewaltiger Körpergröße. Er überragte Maja locker um mehr als zwei Köpfe. Statt sich sicher zu fühlen, begann sie, sich nun erst recht zu fürchten. Anlamani war ihr nicht geheuer. Durch seine extrem dunkle Hautfarbe verschmolz er fast mit dem Dunkel in einigen Gängen des Palastes. Maja erschreckte sich heftig, als das Weiße seiner Augen plötzlich im flackernden Schein eines Öllämpchens direkt vor ihr aufleuchtete.

Auch die Dienerin, die ihr Psammetich zubefohlen hatte, ging dem Hünen lieber aus dem Weg. Maja gelang es nicht, ihr auch nur ein Wort über Anlamani zu entlocken. Sie schüttelte heftig den Kopf, deutete auf ihre Ohren und wechselte das Thema.

Irgendwo musste wohl jemand stecken, der die seltsame Akustik der Räume nutzte, leise gesprochene Worte viele Meter weit weg laut und deutlich hören zu können.

Psammetich schien, um dieses Phänomen zu wissen. Er unterhielt sich mit ihr an einigen Stellen des Palastes entweder gar nicht oder auffallend wispernd. Das Schlafgemach musste wohl abhörsicher sein, denn hier zog der Regent ungeniert alle Register.

Maja genoss die heißen Stunden mit Psammetich, der, trotz seines Alters, Jüngere weit in den Schatten stellte. Er verwöhnte sie die ganze Nacht mit Zärtlichkeiten und legte ihr nach Mitternacht ein Geschmeide um den Hals, denn ohne eine Liebesgabe hatte seine Favoritin noch nie das Schlafgemach verlassen.

Maja begab sich durch den spärlich beleuchteten langen Gang sofort zu ihren Räumen. Sie hatte gerade die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als plötzlich Anlamani in voller Bewaffnung hinter einer der Säulen hervortrat. Maja konnte einen Schreckenlaut nicht ganz unterdrücken. Ob wirklich ein hämisches Grinsen über das Gesicht des Wächters huschte, oder ob es nur ein Lichtreflex gewesen war, hätte sie nicht schwören wollen.

„Du solltest nicht allein wandeln“, hörte sie ihn raunen.

Sie nahm allen Mut zusammen und erwiderte: „Ich bin doch nicht allein. Dich dürfte wohl keiner übersehen.“ Dann eilte sie weiter, verbarrikadierte ihre Tür und bekam aus Furcht kein Auge zu. Was, wenn das Verhängnis zum Fenster hereinkäme?

Beim Morgenmahl saß sie an Psammetichs Seite, so wie er es bestimmte. Schepenupet würdigte die Geliebte ihres Vaters keines Blickes. Maja sah das als schlechtes Omen. Sie hielt die Ohren offen, um schnell reagieren zu können.

„Wenn ich heute in den Amun-Tempel gehe, wird Anlamani über dich wachen“, erklärte Psammetich beim Spaziergang durch die blühenden Gärten.

Maja zuckte zusammen. „Ich ... ich komme schon allein zurecht“, stammelte sie. „Deine Sicherheit ist wichtiger.“

Seine schroffe Handbewegung ließ sie verstummen. Der Herrscher duldete keinen Widerspruch. Dafür gewährte er ihr die Bitte, für die Zeit seiner Abwesenheit in den Gärten bleiben zu dürfen. Sie setzte sich auf die Umfassung eines Wasserbeckens, streckte das Gesicht der Sonne entgegen und atmete den betörenden Duft des blühenden Lotus.

Ein paar Vögel kamen zum Trinken, zankten sich um die besten Plätze, worauf sich Maja den Streithähnen zuwandte. Eine Lotusblume wuchs ganz in der Nähe und Maja beugte sich zum Wasser hinunter, um sie genauer zu betrachten.

Sand knirschte hinter ihr, nur kam sie nicht mehr dazu, nachzuschauen, wer sich näherte. Jemand drückte ihren Kopf mit aller Gewalt unter Wasser. Maja wollte schreien und die letzte Luft aus ihren Lungen stieg als blubbernde Blasen zur Oberfläche. Wasser drang in ihren Mund, alles drehte sich in ihrem Kopf, sie keuchte ...

„Na, na, na, gleich ist wieder gut!“, hörte sie eine männliche Stimme sagen und fühlte, wie ihr jemand auf den Rücken klopfte. „Sie haben sich ja mächtig verschluckt!“

Maja riss die Augen auf. Sie hockte vor Schepen-Hor im Naturalienkabinett und hustete wie eine Erstickende. „Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte“, stammelte sie. „Es geht schon wieder. Danke.“

Sie schloss rasch zur Gruppe auf, wobei ein winziges Lächeln wie festgenietet in ihren Mundwinkeln hing. Nico hatte sie weder vergessen noch das Interesse an ihrer Gesellschaft verloren. Sie freute sich schon auf das nächste Date, obwohl sie bisher jeder Zeitsprung in Angst und Schrecken versetzt hatte.

Für heute konnte sie sich ganz entspannt allem widmen, was Waldenburg noch zu bieten hatte. So besuchte sie auch die Töpferwerkstatt, den Grünefelder Park und gönnte sich einen kleinen Imbiss in der Glänzelmühle. Einzig das Scheunenfest ließ sie außen vor, denn von all der Aufregung am Hofe Psammetich I. schwirrte ihr mächtig der Schädel.

Nur von Wasser, egal, ob in Form von Regen, Springbrunnen oder Teichen, hatte sie vorerst die Nase voll.

Sommersonnenwende

Lange hielt die Abneigung gegen das flüssige Element allerdings nicht an. Maja bekam schon bald Sehnsucht nach dem Meer. Diesmal suchte sie sich wieder einen Ort im eigenen Land, aber ganz im Norden, aus – auf der Insel Rügen.

An einem ziemlich heißen Sommertag packte sie ihren Koffer ins Auto, um auf den Autobahnen Meter zu machen. Von der A4 wechselte sie auf die A13 und beschloss, weil sich durch die Baustellen überall Autoschlangen bildeten, ab Berlin auf den Landstraßen zu fahren. Das dauerte zwar länger, führte aber durch reizvolle Landschaften. Nur für die letzten Kilometer vor Stralsund wechselte sie wieder auf die Autobahn.

Wie immer, wenn sie die Rügenbrücke überquerte, bedauerte sie es, hier nicht anhalten und fotografieren zu können. Unwillkürlich fielen ihr Fakten und Zahlen ein. 2007 fertiggestellt, 4100 Meter die Gesamtlänge der Strelasund-Querung, davon 2831 Meter allein der Teil der Schrägseilbrücke. Höhe, Zugkraft der Seile und 135 Tonnen Materialgewicht zogen durch ihre Gedanken. Seufzend ließ sie das grandiose Bauwerk schließlich hinter sich, um sich in den äußerst zäh fließenden Verkehr Richtung Bergen einzureihen.

Sie hatte vor der Insel noch einmal vollgetankt und ertrug den Wahnsinn des Stop-and-go mit stoischer Ruhe. Selbst gut im Auto temperiert, ließ sie mit einem Lächeln die vielen Motorradfahrer passieren, die in der prasselnden Sonne in ihren schwarzen Lederkombis schnell überhitzen konnten, denn die meisten hatten sicher kein Kühlsystem in ihrer Kluft.

Die Schmetterlingsgedanken hockten auf dem Armaturenbrett, hielten Mittagsruhe und waren zu träge, Maja irgendwelche Flausen in den Kopf zu setzen.

Weißt du eigentlich, dass du schon über eine Stunde hier stehst, fragte nach einer Weile einer und der andere fügte hinzu: Und hast gerade mal fünf Kilometer geschafft.

„Kismet“, erwiderte Maja laut, worauf die beiden aufstoben, und erinnere uns bloß nicht an Ägypten, riefen.

Wenn ich nicht wüsste, dass ihr euch in Fische verwandeln könnt, hätte ich jetzt glatt Mitleid. Irgendwie scheint euch die Sonne nicht zu bekommen.

Ooooops! Ist zynisch zu sein, nicht unser Part? Die Gedanken schauten Maja verunsichert an.

Wir können es ja mal mit Rollentausch versuchen, grinste Maja und zuckelte mit der Kolonne weiter, um möglichst die grüne Baustellenampel auch noch mit diesem Schub zu packen.

Das betretene Schweigen der flatterhaften Gedanken ließ sie breit grinsen. Allerdings konnte sie dies nicht voll auskosten, denn der weiterhin dichte Verkehr verlangte ihre ganze Aufmerksamkeit.

Erst nach der Schaabe, dem bogenförmigen Schwemmlandgebiet zwischen Tromper Wiek, Großem Jasmunder Bodden und Breeger Bodden, ging es etwas zügiger voran.

„Mehr als zehn Kilometer feinster Sandstrand und ich habe diesmal nichts davon“, murmelte Maja, als sie an den langen Reihen parkender Autos vorbeifuhr. „Na ja, man kann nicht alles haben.“

Sie hatte sich ganz bewusst für die steinigen Strände in Dranske entschieden, um fossile Reste von Meerestieren sammeln zu können. Zudem wollte sie ihre Ruhe und nicht auf jedem Meter Strand Sonnenanbeter haben.

Gegen 14 Uhr erreichte sie ihren Zielort und nahm das Ferienhäuschen in Besitz. Kaum war der Kofferraum leer, wanderte sie mit dem Fotoapparat ans Meer, um sich die frische Brise um die Ohren pusten zu lassen.

Jetzt pflügt sie wieder mit der Nase den Strand um, kicherten die Schmetterlingsgedanken, als sie, den Blick auf den Boden geheftet, nach Donnerkeilen und Seeigeln suchte.

Labert nicht, helft lieber mit, konterte Maja, worauf die beiden bunten Falter lachend die Steilküste hinauf flogen, um sich auf den blühenden Wiesen zu vergnügen.

Maja wanderte einige Kilometer und dachte über all das nach, wozu sie die Stille dieses Landstriches bisher inspiriert hatte. Genau hier hatten ihre Nixen-Geschichten ihren Ursprung. Sie war gerne bereit für neue Ideen, um auch hier eine Fortsetzung zu schreiben. Auf einem großen Stein sitzend, notierte sie sich einige neue Gedanken, begutachtete ihre ersten Funde, dann kehrte sie ganz langsam wieder um. Schließlich musste sie noch einkaufen, um den Urlaub richtig genießen zu können.

Nach dem Abendbrot schlenderte sie zum Schiffsanleger am Bodden, wo sie vom Steg aus den Kitesurfern und Kajakfahrern zuschaute. Zudem fesselten Schwärme junger Fische ihr Interesse.

Ein ungewöhnlich sachter Luftzug veranlasste sie, sich umzudrehen. Auf dem Geländer hinter ihr war soeben eine Krähe gelandet, welche sie mit schräg gelegtem Kopf neugierig beobachtete.

Odins Raben fielen ihr ein, die Ranen, die auf Kap Arkona einen Ritualplatz gehabt hatten und, dass sie dies gleich als Ziel für den nächsten Tag wählen könne.

Dem Versuch, das Gefieder zu streicheln, wich die Krähe aus, ließ sich aber am Schnabel berühren.

Willst du mir etwas erzählen oder bist du wirklich nur zufällig hier, überlegte Maja, während der Vogel auf dem Metall hin und her spazierte. Fast eine halbe Stunde beäugten sich beide, ehe die Krähe am Ufer nach Fressbarem zu stöbern begann.