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Es könnte der Fang seines Lebens werden. Zweimal im Jahr flieht William Westmoreland vor seinem unerfüllten Leben in Rhode Island nach Florida, um sich auf Mike Jansens Fischerboot einzumieten und auf den Golf hinauszufahren. Der Ausblick dort bietet zwar mehr als nur das kristallblaue Wasser und die tropischen Gefilde, aber William hat sich nie weiter vorgewagt. Er ist einfach nicht der Typ für eine Urlaubsromanze. Mike hat seinen Charterservice in Apalachicola gegründet, um für seine Tochter und seine Mutter sorgen zu können. Ihre Sicherheit ist ihm dabei immer wichtiger als seine eigene. Er will sich nicht eingestehen, dass seine Zuneigung zu William mit jedem seiner Besuche wächst. An einem wunderschönen Tag beginnt Williams und Mikes letzte Fischfangtour, aber ein unberechenbarer Hurrikan bringt alles ins Wanken und die beiden Männer sitzen plötzlich fest. Mitten in Regen und Sturm werden sie von der Leidenschaft überwältigt, die sie all die Jahre unterdrückt haben. Zurück im Alltag warten allerdings zu viele Verpflichtungen auf William. Werden die beiden es schaffen, die Distanz zwischen ihnen zu überwinden und einen Ort zu finden, an dem sie beide ganz sie selbst sein können? Ihre Reise mag von rauem Seegang geprägt sein, aber die hoffnungsvolle Zukunft, die sie am Ende erwartet, ist die Turbulenzen wert.
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Seitenzahl: 318
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Inhalt
Zusammenfassung
1
2
3
4
5
6
7
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9
10
11
12
Epilog
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Copyright
Von Andrew Grey
Es könnte der Fang seines Lebens werden.
Zweimal im Jahr flieht William Westmoreland vor seinem unerfüllten Leben in Rhode Island nach Florida, um sich auf Mike Jansens Fischerboot einzumieten und auf den Golf hinauszufahren. Der Ausblick dort bietet zwar mehr als nur das kristallblaue Wasser und die tropischen Gefilde, aber William hat sich nie weiter vorgewagt. Er ist einfach nicht der Typ für eine Urlaubsromanze.
Mike hat seinen Charterservice in Apalachicola gegründet, um für seine Tochter und seine Mutter sorgen zu können. Ihre Sicherheit ist ihm dabei immer wichtiger als seine eigene. Er will sich nicht eingestehen, dass seine Zuneigung zu William mit jedem seiner Besuche wächst.
An einem wunderschönen Tag beginnt Williams und Mikes letzte Fischfangtour, aber ein unberechenbarer Hurrikan bringt alles ins Wanken und die beiden Männer sitzen plötzlich fest. Mitten in Regen und Sturm werden sie von der Leidenschaft überwältigt, die sie all die Jahre unterdrückt haben. Zurück im Alltag warten allerdings zu viele Verpflichtungen auf William. Werden die beiden es schaffen, die Distanz zwischen ihnen zu überwinden und einen Ort zu finden, an dem sie beide ganz sie selbst sein können? Ihre Reise mag von rauem Seegang geprägt sein, aber die hoffnungsvolle Zukunft, die sie am Ende erwartet, ist die Turbulenzen wert.
MIKE JANSENS Wecker klingelte um vier Uhr morgens wie an jedem Arbeitstag. Er schlug die dünne Decke zurück und stieg aus dem Bett. Da er sich schon vor langer Zeit angewöhnt hatte, gleich nach dem Aufwachen wachsam und rege zu sein, war er auf Anhieb munter. Die Hitze in Apalachicola setzte der Klimaanlage stark zu, aber gerade wehte eine kühle Brise durch den Raum. Das musste wohl genügen, bis er sich eine neue leisten konnte. So sah sein alltägliches Leben aus: Dinge reparieren und Abstriche machen, bis er genug Geld hatte, um seine alten und abgenutzten Sachen zu ersetzen. Natürlich gab es Ausnahmen. Eine davon war sein Lebensunterhalt.
Er sprang unter die Dusche und ging seiner üblichen Morgenroutine nach, ohne zu viele Gedanken zu verschwenden. Bevor er den Raum verließ, schlüpfte er in lockere Shorts, ein hellblaues T-Shirt, das Carrie für ihn ausgesucht hatte, und seine rutschfesten Schuhe. Zuallererst hielt er an der Schlafzimmertür seiner Tochter inne. Leise öffnete er die Tür und huschte hinein.
Carry war der glücklichste Unfall in Mikes Leben gewesen, den er keinen Moment bereut hatte. Sie lag mit dem Rücken zu ihm auf ihrem rosafarbenen Kopfkissen und ihr blondes Haar leuchtete im Licht der mit Einhörnern verzierten Nachttischlampe. Mike beugte sich über sie, küsste sie sanft auf die Wange und schlich wieder hinaus.
Der Duft nach starkem Kaffee erfüllte die feuchte Luft, und es zog ihn in die Küche. Welch ein Glück, dass er den Timer eingestellt hatte! Er goss sich eine Tasse ein und trank sie aus, während er eine Kühlbox mit sehr viel Wasser, Limonade und seinem Mittagessen füllte. Dann schüttete er den Rest Kaffee in seine Thermoskanne – irgendwann würde er das Coffein bestimmt nötig haben – und verließ das Haus durch die Gartentür.
Die vertraute feuchte Hitze schlug ihm trotz dieser frühen Stunde mit voller Kraft entgegen. Das Klima machte Mike nichts aus. Er war so daran gewöhnt, dass er die Hitze wohl nur bemerken würde, wenn sie plötzlich fehlte. Wenn die Temperaturen im Winter unter 13 Grad sanken, fühlte er sich ganz hilflos und völlig durchgefroren. Mike legte seinen Proviant auf den Boden seines Trucks und ging noch einmal ins Haus zurück, um in dem Behälter mit den Snacks für seine Gäste zu wühlen.
Als Mike den letzten Rest seiner Ausrüstung einsammelte, ging das Licht auf der Veranda an. Er schloss die Autotür und drehte sich zu seiner Mutter um, die im Nachthemd in der Tür stand. „Ich weiß noch nicht, wie spät es heute wird.“
„Ich weiß. Behalte das Wetter im Auge. Dieser Sturm sieht nicht gut aus.“ Mikes Mutter hielt sich für eine talentierte Wahrsagerin. Sie verfolgte den Wetterbericht einzig und allein, um die Meinung der Experten anzuzweifeln und ihre eigenen Vorhersagen zu treffen. Tatsächlich hatte sie die höhere Trefferquote.
„Das tu ich doch immer.“ Er umarmte sie. „Sag Carrie, dass ich sie lieb habe.“
Seine Mutter nickte bedächtig. „Ich fahre heute mit ihr nach Tallahassee. Sie wollte ein paar Bücher abholen und ich helfe dabei, den Ausflug der Jugendgruppe aus der Kirche zu planen.“
„Danke, dass du auf sie aufpasst.“ Ohne seine Mutter hätte Mike seinen Beruf an den Nagel hängen können.
„Du weißt doch, dass ich alles für die Kleine tun würde.“ Mikes Mutter schüttelte den Kopf. Ihre dunklen Haare waren von grauen Strähnen durchzogen. „Sie ist das Beste, was wir haben. Ich will, dass sie alle Chancen bekommt, die du nicht hattest.“ Sie tätschelte seine Wange.
„Du hast alles richtig gemacht, Mom. Besser als die meisten anderen, um ehrlich zu sein.“ Mike lächelte und wandte sich ab. Wenn er mit seinen Vorbereitungen nicht in Verzug geraten wollte, musste er sich beeilen. Er hasste es, wenn die Zeit knapp wurde. „Viel Spaß in der Stadt. Sag Carrie, ich bin heute Abend wieder da.“ Er sprang die Treppen des kleinen Hauses, in dem er mit seiner Mutter und seiner Tochter wohnte, hinunter und stieg in seinen Truck. Der Jachthafen war nur knappe fünf Kilometer entfernt und schon kurz darauf parkte Mike auf seinem Stammplatz.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen und so machte er sich im Schein der Straßenlampen mit seiner Kühlbox auf den Weg zur Decisions, seinem Fischerboot.
Mike liebte das Schiff und widmete ihm mehr Aufmerksamkeit, als er es eigentlich sollte, aber die Decisions war seine Lebensgrundlage und er wollte seine Kunden beeindrucken. Sie war etwa neun Meter lang und hatte ihn auch in brenzligen Situationen nie im Stich gelassen. Im letzten Sommer hatte er sie an Land geholt, komplett gereinigt und ihrem Rumpf einen neuen Anstrich verpasst, bevor er sie wieder zu Wasser gelassen hatte.
Mike ging an Bord und verstaute seine Habseligkeiten in der kleinen Kajüte. Als er die steile leiterähnliche Treppe in den Bug hinunterstieg, zog er den Kopf ein, um sich nicht zu stoßen. Auf seinem Boot hatte alles seinen angestammten Platz und zuerst verstaute er die Kühlbox, bevor er mit seinem morgendlichen Kontrollgang fortfuhr.
Als er wieder aus der Kajüte kletterte, kam sein Maat Gordon an Bord. „Morgen, Boss“, grüßte er wie immer.
„Morgen, Bubba. Reich mir dein Zeug an, dann bring ich’s nach unten.“
Gordon reichte ihm seine Kühlbox und Mike stellte sie neben seiner eigenen ab. Dann kletterte er wieder an Deck und schloss die Kajütentür hinter sich. Seine Mutter hatte ihm dabei geholfen, die Sitzpolster zu entfernen und sie durch strapazierfähigen, wasserfesten Stoff zu ersetzen. Sein Boot mochte zwar gebraucht aussehen, aber er kümmerte sich gut darum.
„Wie viele Leute kommen heute?“
„Nur zwei. William hat gebucht, und dann hat letzte Woche noch ein anderer Typ angerufen. William meint, es wäre okay, wenn er mitkommt.“ Allein Williams Namen auszusprechen, ließ Mikes Herz schneller schlagen.
„Ist es also wieder so weit“, kommentierte Gordon ausdruckslos. Er machte sich daran, die beiden besten Angelruten und Spulen vorzubereiten. „Wann wollten sie ankommen?“
„Jeden Moment. William hat von sechs Uhr gesprochen.“ Mike liebte die Touren mit William. Obwohl es gar nicht nötig war, brachte William jedes Mal eine riesige Kühlbox voller Snacks, Getränke und allem, was ihnen sonst noch einen unvergesslichen Tag bescheren konnte, mit, die er jedes Mal bereitwillig für alle anderen öffnete. Mike hätte schwören können, dass William Extraportionen einpackte, nur um sie zu teilen. Ein Angeltrip mit ihm wurde immer zu einer fröhlichen Veranstaltung und es fühlte sich für Mike nicht so an, als würden er und Gordon lediglich ihren Job machen. Manche Kunden behandelten ihn und seinen Maat kaum besser als Dienstboten. Glücklicherweise waren das aber nur die Wenigsten. Die meisten Gäste waren nett und hatten einen schönen Tag auf dem Meer. Aber die Touren mit William waren etwas ganz Besonderes.
Eine halbe Stunde später waren sie mit ihren Vorbereitungen fertig. Vom Kai ertönte Williams Stimme: „Hey Jungs! Bereit, den Kutter mit Fisch zu füllen?“
„Darauf kannst du Gift nehmen“, erwiderte Gordon. Er sprang von Bord und lief über die Holzplanken zu Williams schickem Mietwagen.
Mike kontrollierte seine Navigationsgeräte und die Ausrüstung zur Fischortung, während Gordon Williams Kühlbox an Bord hievte und ihr Besitzer die beiden Crewmitglieder mit einem breiten aufgeregten Lächeln begrüßte.
„Was fischen wir heute?“ William war es eigentlich egal, was sie fingen, so lange er überhaupt zum Angeln aufs Meer fahren konnte. Oft gab er Mike und Gordon seine Fische mit nach Hause. William ging es nur um die Erfahrung und den Spaß. Fische zu fangen, gehörte nicht zu seinen Prioritäten.
„Zackenbarsche und Schnapper. Leider müssen wir die roten wieder zurück ins Meer werfen.“ Das war Mikes wunder Punkt, aber es nützte nichts, deswegen herumzunörgeln. Er konnte die staatlichen Vorschriften nicht ändern. Man musste sich einfach damit arrangieren.
„Cool.“ William kletterte an Bord und schüttelte Mike und Gordon die Hand. „Angeln wir dieses Mal mit Lebendködern?“
„Wenn wir die Fallen finden“, antwortete Gordon.
„Wir warten noch auf einen Gast. Sieht aber so aus, als wäre er gerade angekommen.“
Scheinwerferlicht blitzte durch die Hafenanlage. Mike hoffte, dass es ihr viertes Besatzungsmitglied war.
„Dean“, rief er, als der Fahrer aus dem Truck stieg, und der Mann winkte ihnen zu, während weitere Fahrzeuge in den Hafen einbogen. Mike fuhr am liebsten früh los, um schon unterwegs zu sein, wenn die anderen Charterkapitäne eintrafen und ebenfalls in See stachen.
„Ich bin Mike und das ist Gordon“, sagte er und half Dean auf das sanft schwankende Boot zu klettern. Das letzte, was er wollte war, dass ihm ein Passagier über Bord ging. „Aber du kannst ihn Bubba nennen. Wir duzen uns hier auf dem Schiff, ich hoffe, du bist einverstanden.“ Mike nahm Deans Kühlbox und stellte sie neben Williams auf dem Deck ab. Sah aus, als müsste niemand verhungern.
„Ich bin William.“ Die beiden Passagiere schüttelten die Hände. „Warst du schon mal fischen?“
„Ist mein erstes Mal“, gab Dean zögernd zu. Er mochte in den Vierzigern sein, trug Turnschuhe, Khakishorts und ein lindgrünes T-Shirt. Sein Haar war so hell wie das von Carrie und er hatte sehr blasse Haut. „Ich war auch noch nicht oft auf einem Boot oder Schiff unterwegs. Aber ich wollte so etwas immer schon ausprobieren, und weil ich gerade geschäftlich in Tallahassee bin und einen freien Tag habe, dachte ich mir, ich kriege meinen Hintern jetzt mal hoch. Ich hoffe, das ist in Ordnung.“
„Klar, je mehr, desto besser!“ William setzte sich hin und wippte aufgeregt mit den Beinen. Mike beobachtete das Auf und Ab der braun gebrannten Schenkel, die wie ein Metronom im Takt seines eigenen Herzschlags zuckten.
„Wir geben unser Bestes, damit es ein unvergesslicher Trip für dich wird“, sagte er. „Eigentlich können wir auch schon aufbrechen, also mach’s dir bequem. In einer halben Stunde können wir die Lebendköder einsammeln und dann brauchen wir noch ein, zwei Stunden, bis wir mit dem Fischen loslegen können. Wir beginnen am weitentferntesten Punkt unserer Tour und arbeiten uns dann zum Hafen zurück. Wenn wir einen guten Angelplatz finden, bleiben wir da. Wenn nicht, schippern wir weiter.“
Mike startete den Schiffsmotor und die Decisions erwachte röhrend zum Leben. Gordon löste die Leinen und Mike lenkte das Boot rückwärts aus der Anlegestelle hinaus, wendete, verließ den schützenden Hafen und nahm Kurs auf die offene See.
„Mann“, sagte Dean zehn Minuten später und deutete hinaus auf den Golf. „Die Sonne geht auf. Ich glaube, das habe ich noch nie zuvor gesehen.“
Deans Begeisterung war verblüffend. Für Mike war diese Euphorie nichts Neues, er sah sie fast jedes Mal, wenn er mit einem Kunden aufs Meer hinausfuhr, aber er wurde es nie leid, das Meer durch die Augen seiner Passagiere zu sehen.
„Setz deine Sonnenbrille auf, das schützt die Augen. Wenn es die ersten Strahlen über den Horizont geschafft haben, wird es richtig hell.“ Einmal hatte ein Kunde seine Warnung missachtet und sich die Augen verletzt, weil er zu lange in die Sonne gestarrt hatte.
Als sich der Horizont erhellte und die ersten Sonnenstrahlen auf den Wellen glitzerten, griffen Dean und William nach ihren Sonnenbrillen. Es bot sich ihnen ein atemberaubender Anblick und Dean saß regungslos da und beobachtete den Sonnenaufgang auf dem offenen Meer.
„Wie ist es dir so ergangen?“, fragte William und rutschte auf den Sitz gleich neben Mikes Kapitänsstuhl, von dem aus dieser den Horizont und das GPS im Auge behielt. „Wie geht es Carrie?“
„Ganz gut“, antwortete Mike. „Sie macht sich heute einen schönen Tag mit meiner Mom.“ Er drehte leicht am Steuerrad, um auf Kurs zu bleiben. Sein Job war es, das Schiff ans Ziel zu bringen, während Gordon sich um das Wohlbefinden der Gäste kümmerte. Seit fast sechs Jahren arbeiteten die beiden jetzt zusammen, und oft wussten sie schon im Voraus, was der andere vorhatte.
„Sie ist jetzt zehn, oder nicht?“
„Genau. Letzte Woche hatte sie Geburtstag.“ Mike musste lächeln.
„Dachte mir so etwas.“ William griff nach dem alten Segeltuchrucksack, den er immer mit an Bord brachte, zog ein in rosafarbenes Papier gewickeltes Geschenk heraus und reichte es ihm. „Du hast mal erwähnt, dass sie gerne liest, deswegen habe ich ihr ein paar Bücher besorgt. Die hier haben Freunde von mir geschrieben.“
Mike nahm das Geschenk an sich. „Dankeschön. Das wird ihr bestimmt gefallen.“ Er legte das Päckchen auf dem Armaturenbrett hinter dem festmontierten GPS-Gerät ab. Dort würde es fürs Erste trocken bleiben. „Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“
William lächelte und nickte nur. „Ich dachte, es könnte ihr gefallen.“ Er hatte Carrie noch nie getroffen, aber Mike hatte ihm schon sehr oft von ihr erzählt.
„Das ist deine achte Fahrt mit mir, oder?“ Mike versuchte, sich zu erinnern.
„Ich glaube auch. Alle sechs Monate, und das seit vier Jahren. Kaum zu glauben.“
„Warum so oft?“, fragte Dean. Mike schaute sich nach ihm um. Dean sah ziemlich grün um die Nase aus. Mike fasste in die Kühlbox für seine Gäste und reichte ihm eine Flasche Wasser.
„Ich bin einfach verdammt gerne auf dem Wasser unterwegs, deswegen komme ich zweimal im Jahr her, um angeln zu gehen. Keine Handys, kein Fernsehen, kein Internet – einfach nur Ruhe. Es gibt nichts Besseres, um für ein paar Stunden alles hinter sich zu lassen und Zeit in der Natur zu verbringen. Hier gibt es nur dich, das Boot, Wasser und Fische.“ William kramte noch einmal in seinem Rucksack herum und reichte Dean ein kleines Päckchen. „Schau aufs Meer hinaus, trink etwas und versuch’s mal hiermit. Das sind Bonine-Tabletten, die sind gut gegen Seekrankheit.“
„Ich wusste doch, dass ich irgendwas hätte mitnehmen sollen, aber eigentlich werde ich nie reisekrank.“
„Das passiert jedes Mal“, erklärte Mike. Er hatte kaum einen Trip erlebt, bei dem es niemandem schlecht wurde. „Langsam und gleichmäßig atmen. Versuche, dich zu entspannen und nicht daran zu denken.“
Dean nickte und setzte sich wortlos hin.
Mike behielt ihn im Auge, bis sein Gesicht wieder eine gesunde Farbe annahm. „Bleib noch eine Weile nüchtern.“
„Danke.“ Dean blieb im überdachten Bereich des Bootes sitzen, während Mike nach den weißen Schwimmkörpern Ausschau hielt, die seine Netze markierten.
„Da ist einer, Mike“, rief William, der über wahre Adleraugen verfügte. Und tatsächlich, er hatte recht.
Mike lenkte nach rechts und hielt das Boot still, während Gordon die Falle einsammelte. Er füllte Wasser in eine ihrer Köderboxen und ließ die lebenden Fische hineingleiten. Mike half Gordon, die Falle neu zu bestücken, und bevor sie ihren Weg fortsetzten, ließen sie sie wieder zurück ins Wasser.
„Nur keine Hektik. Wir kreuzen noch eine ganze Weile herum.“ Mike gab Gas und sie schossen über das Wasser, schlugen leicht auf und Wasser spritzte auf, als sie die Wellen durchteilten. Mike liebte diesen Teil des Ausflugs, die gespannte Erwartung auf den Fang. Außerdem war er ein Speedjunkie.
William stand neben ihm und schaute durch die Frontscheibe. Er strahlte pure Lebensfreude aus.
„Wie geht’s Dean?“, fragte Mike und wandte seinen Blick wieder vom GPS zur See, die vor ihnen lag.
„Besser. Ich denke, wenn er erst etwas zu tun hat und nicht ständig daran denken muss, dass es ihm schlecht ist, wird er es schon packen.“
„Gut.“ Mike hasste es, wenn es seinen Kunden schlecht ging. Er wollte, dass sie die Tour genossen, und mit einem verstimmten Magen war das nur schwer möglich.
Eine Stunde lang fuhr Mike Vollkraft voraus. Dann drosselte er das Tempo und aktivierte das Fischortungsgerät. Sie trieben dahin, bis Mike der Grund des Golfs vielversprechend erschien. Gordon ließ den Anker fallen und Mike brachte ihn aus. Als das Boot fest verankert war, half er Gordon bei den weiteren Vorbereitungen.
„Wo willst du anfangen?“, fragte Gordon William, während er ihm eine Angel präparierte.
„Hier sieht’s gut aus“, erklärte William und nickte mit dem Kinn zu einer Stelle hinüber, während er die Angel nahm, die Gordon ihm anbot.
Gordon blieb bei Dean, um ihm die Angelausrüstung zu erklären, während Mike zu William trat, der startklar an der Reling stand.
„Weißt du noch, wie du mit dem Daumen die Schnur kontrollierst?“ Mike nahm ein Stück Fisch, das Gordon aufgeschnitten hatte, und hängte es an Williams Angelhaken.
„Klar“, antwortete William sanft, hob die Angel und ließ seinen Köder ins Wasser hinab. Er sank hinunter und William korrigierte die Schnur. Nur Sekunden später zerrte etwas am anderen Ende. William spulte die Angelschnur wieder auf und brachte den ersten Fang des Tages zum Vorschein.
Aber Dean war ihm auf den Fersen.
„Schnell aufspulen“, wies Gordon ihn an.
Williams Fisch durchbrach die Wasseroberfläche zuerst. Es war ein kleiner Zackenbarsch. Mike holte ihn vom Haken und nahm Maß, bevor er ihn in den Fischeimer fallen ließ und mit etwas Eis bedeckte.
„Was für eine Schönheit“, sagte er und präparierte den Angelhaken aufs Neue, damit William es erneut versuchen konnte.
Dean brachte einen roten Schnapper an Bord. Gordon nahm ihn vom Haken, befestigte ihn an einer Halterung und reichte ihn an Dean weiter.
„Hast du dein Smartphone dabei?“
Grinsend rückte Dean das Gerät heraus.
Mike schoss mehrere Bilder von Dean und seinem ersten Fang, bevor er den Fisch wieder in die Freiheit entließ. Deans Grinsen wollte nicht vergehen und vor lauter Aufregung konnte er es gar nicht erwarten, seine Angel wieder auszuwerfen. Spaß und Begeisterung hatten jeden Gedanken an seine Übelkeit ausgelöscht.
William fing noch einen Fisch, aber auch diesen mussten sie wieder in die Freiheit entlassen. Er fiel ins Wasser und tauchte sofort ab.
„Was ist das da, Bubba?“, fragte Dean kurz darauf und zeigte ins Wasser.
„Der Fisch, den wir freigelassen haben. Sie haben Schwimmblasen im Bauch, und wenn wir sie aus fünfundzwanzig Metern Tiefe heraufholen, können sie sie nicht mehr halten.“
„Außerhalb der Fangsaison müssen wir die roten Schnapper wieder ins Meer werfen, aber das bringt die meisten von ihnen um. Absoluter Blödsinn, aber so ist das Gesetz.“ Es war die reinste Verschwendung, aber wenn es erlaubt wäre, außerhalb der Saison zu fischen, würden sich alle gezielt auf die Schnapper stürzen. Manchmal nervte es Mike zutiefst, sich an Regeln halten zu müssen. „Holt eure Schnur wieder ein und dann geht’s weiter.“
Gordon lichtete den Anker und Mike setzte das Boot wieder in Bewegung. Sie hatten noch einige Strecken vor sich, aber Mike wollte seinen Gästen einen kleinen Vorgeschmack geben. Während er das Boot steuerte, verfolgte er über Kopfhörer die Wetterprognosen.
„Weniger Wind und Wellen auf dem Golf. Windstärke von derzeit zehn Knoten nimmt weiter ab, Wellen am späten Nachmittag nur noch einen Meter hoch. Im Atlantik bedroht der Tropensturm Marshall die Ostküste. Er erreicht die Küste nördlich von Cape Canaveral, bevor er weiter in Richtung Norden zieht. Der Sturm bewegt sich ungewöhnlich schnell voran und wird sich in den nächsten Stunden verstärken.“
Das klang nach einem großartigen Tag auf dem Golf und miserablen Aussichten für die Ostküste.
Mike legte die Kopfhörer zur Seite und rieb sich die verschwitzten Ohren. „Geht’s dir besser?“, fragte er Dean, der sich für ein paar Minuten auf die großen Polster gelegt hatte, mit denen Mike das Motorgehäuse etwas gemütlicher gestaltet hatte. Diese große Fläche wurde auf den meisten Booten als Sitzgelegenheit verwendet.
„Ja. Ich glaube, es hilft, wenn ich mich kurz hinlege.“
„Gute Idee. In einer halben Stunde erreichen wir unseren nächsten Angelplatz.“ Mike konzentrierte sich wieder darauf, das Boot zu steuern, und gab sein Bestes, um es nicht zu sehr ins Schwanken geraten zu lassen.
„Ich find’s toll hier draußen“, sagte William und trat zu Mike in die offene Steuerkabine. „Es wäre besser, wenn du dich eincremst, Dean. Selbst im Schatten fängt man sich leicht einen Sonnenbrand.“
Dean griff nach seinem Rucksack und fing an, sich einzureiben. William war bereits fertig und duftete nach Kokosnuss und seinem eigenen satten, fast süßlichen Geruch, den Mike überall wiedererkannt hätte. Er versuchte, sich zu konzentrieren, aber Williams Anwesenheit machte es ihm nicht gerade einfach.
Mike wusste, dass er sich zu William hingezogen fühlte. Das war ihm schon klar geworden, als William das erste Mal auf seinem Boot erschienen war. Mike hatte nur einen Blick auf seine breiten Schultern und die schmale Taille werfen müssen, die in einem engen, vielleicht ein bisschen zu engen T-Shirt gesteckt hatte, und sein Herz hatte ein paar Schläge ausgesetzt. Selbst heute noch musste Mike an dieses weiße T-Shirt denken, das Williams Bauchmuskeln und die dezent hervorstehenden Brustwarzen eher betont als verborgen hatte. Mike war es schwergefallen, sich auf seinen Job zu konzentrieren, und daran hatte sich in den letzten vier Jahren nichts geändert. William war definitiv ein Mann, dem Mike verfallen könnte. Aber das würde nicht geschehen. Die Liste von Mikes Gründen war so lang, dass sie auf den Grund des Golfs hinabgereicht hätte.
William war ein intellektueller, äußerst gebildeter Typ aus dem Nordosten. Er wohnte in der Nähe von Providence und arbeitete in seinem Familienunternehmen, das Maschinenbauteile für Traktoren, Krane, Planierraupen und allerlei andere Spezialfahrzeuge herstellte. Keine Chance, dass jemand wie er Interesse an jemandem wie Mike zeigen könnte. Außerdem sah Mike ihn gerade einmal an zwei Tagen im Jahr, wenn William zum Fischen kam. Die Welten, in denen sie lebten, hätten nicht unterschiedlicher sein können, also würde Mike tunlichst darauf achten, dass sein Interesse an William, wenn man es denn so nennen konnte, sich nicht weiterentwickelte. Kein Vorstoß und definitiv nicht mehr als Freundschaft. Dass Mikes Puls bei Williams Anblick stärker beschleunigte als die Decisions, hatte keinerlei Bedeutung. Mike lebte in Apalachicola, einer Kleinstadt mit knapp zweitausend Einwohnern, die ihr Geld auf dem Golf verdienten und größtenteils Familien mit ellenlangen Stammbäumen angehörten. Er wusste von keinem anderen Homosexuellen im Ort, und Mike hatte nicht vor, sich als der einzige zu outen und den Nachbarn einen Grund zu geben, ihn schief anzusehen.
„Mike“, rief Gordon und riss ihn aus seinen Gedanken. „Sind wir nicht bald da?“
„Jep.“ Mike überprüfte ihre Koordinaten und schaltete das Fischortungsgerät ein, drosselte das Tempo und begutachtete das Wasser unter ihnen. „Anker fällt.“ Er bremste das Schiff noch weiter ab und Gordon ließ den Anker fallen.
Das Boot kam zum Stehen und schaukelte auf den Wellen, während sie ihre Passagiere aufrüttelten. Mike ließ Gordon freie Hand, und schon bald holten Dean und William wieder ihre Angeln ein.
„Ich habe ein Riesending erwischt!“, jubelte William, während sich seine Angelschnur zischend entrollte.
„Mike!“, rief Gordon. „Der Brummer hat die Spule zerlegt!“ Er sprang William zur Seite, als die Schnur ihren Anschlag erreichte und ihm beinahe die Angelrute aus der Hand riss.
Einen Augenblick später tauchte Mike hinter ihnen auf und griff, gegen Williams Rücken gepresst, ebenfalls zur Angel. „Hol die große Spule. Wir können die Schnur von Hand aufrollen.“ Obwohl er sich eigentlich nicht fortbewegen wollte, brachte er etwas Abstand zwischen sich und Williams Rücken. Insgeheim dankte er Williams Fang für diese willkommene Abwechslung. Was immer dort an der Angel zappelte, musste ein riesiger Brocken sein. Gordon reichte ihm Handschuhe und Mike zog sie sich über, bevor er Williams Angelschnur Stück für Stück aus dem Wasser zerrte. Der Fang kam der Wasseroberfläche immer näher.
„Hai!“, rief Dean und deutete ins Wasser, als ein großer goldgelber Körper sichtbar wurde.
„Das ist ein Ammenhai“, bemerkte Gordon. „Tagsüber fängt man die nur ganz selten.“
Mike nickte zustimmend. „Der ist fast zwei Meter lang.“ Er zog weiter an der Schnur und hielt still, als der Hai direkt neben dem Boot durch die Wasseroberfläche brach. „Macht ihr ein paar Bilder?“ Gordon und Dean folgten seiner Aufforderung. Dann durchschnitt Mike die Schnur und der Hai verschwand schnell wieder im Meer.
„Wird er das wohl überleben?“, fragte William.
Mike zuckte die Schultern und beobachtete die Wellen. Glücklicherweise war keine Spur von dem Meeresräuber zu sehen.
Jetzt nutzte Dean seine Chance. Er brachte einen ordentlichen Zackenbarsch an Bord, der mit einer weiteren Portion Eis in den Eimer wanderte.
„Weiter geht’s.“
Gordon lichtete den Anker und sie machten sich auf die Suche nach einem neuen Angelplatz.
Der Morgen belohnte sie mit einigen hübschen Fängen. Während Mike sich bemühte, eine Angelstelle ausfindig zu machen, an der er in der Vergangenheit schon Glück gehabt hatte, gönnten sich Dean und William ihr Mittagessen im Schatten. Aus Gewohnheit und noch mit der Warnung seiner Mutter im Ohr, hörte Mike noch einmal in den Wetterfunk hinein.
„Wind und Wellen nehmen auf dem Golf auch weiterhin ab. Hurrikan Marshall nähert sich allerdings mit immer höherer Geschwindigkeit der Space Coast und macht keine Anstalten, seine Richtung zu ändern. Vermutlich wird er in der Nähe von Daytona Beach das Festland erreichen und dann nach Norden ins Landesinnere ziehen, bis hinauf nach Georgia.“
Mike seufzte und nahm die Kopfhörer ab. Das Wetter war nicht bedrohlich, aber sicherheitshalber würde er sich stündlich auf dem Laufenden halten. Er hatte weniger Angst davor, mitten in einem Sturm festzusitzen, als davor, dass der Sturm sich dem Golf näherte und das Meer aufwühlte.
Wieder gingen sie an einem guten Ort vor Anker. Während seine Kunden angelten, verspeiste Mike sein Mittagessen und übernahm dann Gordons Aufgaben, damit dieser auch zu seiner Pause kam. William bot ihnen allen an, sich aus seiner überquellenden Kühlbox zu bedienen.
Die Routine der nächsten Stunden wurde nur von Mikes gelegentlichen Tagträumen mit William in der Hauptrolle unterbrochen. Einmal pro Stunde hörte er in den Wetterfunk hinein. Der nächste brachte ihm keine neuen Erkenntnisse, aber der Bericht um zwei Uhr war beunruhigend.
„Hurrikan Marshall hat die Küste von Daytona Beach erreicht und sich zu einem tropischen Sturm abgeschwächt. Das Auge des Sturms liegt derzeit etwa zwanzig Meilen nördlich von Orlando. Der Sturm bewegt sich mit neunundzwanzig Meilen pro Stunde weiter Richtung Nordwesten und zieht weiter zum Golf von Mexiko. Wenn er auf das Wasser trifft, könnte er wieder stärker werden. Bleiben Sie dran und achten Sie auf weitere Warnungen.“
Mike fühlte, wie sich sein Magen verkrampfte. Er schaute Richtung Osten. Weit und breit waren keine Wolken zu sehen und der Sturm hunderte Meilen entfernt. Für gewöhnlich blieb Mike bis sechs Uhr auf dem Meer und machte sich dann auf den Rückweg zum Hafen.
William und Dean waren angesichts ihrer Fangerfolge ganz aufgekratzt. „Diese Stelle hier ist einmalig“, sagte William und wandte sich mit einem so leuchtenden Strahlen zu Mike, dass ihm selbst die Sonne nur noch wie eine armselige Funzel vorkam.
„Dann angle weiter“, bemerkte er abgelenkt.
„Was ist los?“, fragte Gordon, als die beiden Kunden ihre Angeln wieder auswarfen.
„Der Sturm ist nicht nach Norden gezogen, sondern weiter nach Westen. Er ist jetzt auf der Höhe von Orlando. Wenn er den Golf erreicht, haben wir hier bald riesige Wellen. Sieht aus, als hätten sie es aufgegeben, den Verlauf dieses Mistdings vorherzusagen und lassen sich jetzt einfach davon überraschen.“
Gordon schaute aufs Wasser hinaus. „Gib dem ganzen noch ein paar Stunden, bevor wir zurückfahren. Warum sollten wir ein Risiko eingehen? Die beiden fangen heute eine ganze Menge Fisch.“
„Ganz meine Meinung.“ Wenn der Sturm in ihre Richtung zog, würden Mike und Gordon Zeit brauchen, um alles zu sichern. „Ich verfolge jede Stunde den Wetterbericht.“
Mike machte sich wieder an die Arbeit, während Gordon William und Dean dabei half, ihre abgenagten Köder auszuwechseln. Mike steuerte noch einige weitere fischreiche Angelstellen an und bewegte sich dabei unauffällig näher zur Küste. Zwei Stunden später meldete der Wetterbericht, dass der Sturm seinen gegenwärtigen Kurs beibehalten würde. „Alles klar. Das hier ist unser letzter Halt. Wir bleiben eine Viertelstunde und machen uns dann auf den Rückweg. Der Sturm, der eigentlich nach Norden weiterziehen sollte, überquert gerade Florida und wird in ein paar Stunden auf den Golf treffen. Dann sollten wir wirklich nicht mehr hier draußen sein.“
Die Stimmung auf dem Boot änderte sich augenblicklich. Mike traf all seine Vorkehrungen, während Gordon den beiden Männern beim Angeln half. Sie fingen hauptsächlich rote Schnapper und ließen sie wieder frei. William brachte es zu einem kleinen Riffhai, dem Gordon einen solchen Schlag verpasste, dass der Hai in einen Schockzustand verfiel. Gordon entfernte den Haken und ließ das Tier zurück ins Wasser gleiten. Das war ein würdiges Ende ihres Ausflugs. Mike lenkte das Schiff in Richtung Land und gab Vollgas.
Gordon sammelte die verstreute Ausrüstung ein. „Tut mir leid, dass wir jetzt schon zurückmüssen, Jungs.“
„Alles gut“, erwiderte Dean grinsend. „Besser auf Nummer sicher gehen. Wir hatten doch einen großartigen Tag. Der bleibt mir in Erinnerung.“ Er setzte sich hin und William nahm neben ihm Platz. Mike beobachtete ihn aus dem Augenwinkel und bemerkte, dass William das gleiche mit ihm tat.
Der Wind frischte etwas auf, aber glücklicherweise blieb die Wasseroberfläche ruhig. Mike war aber klar, dass das nicht so bleiben würde, wenn der Sturm erst die Landmasse überquert hatte.
„Hat irgendjemand hier Empfang?“, fragte er.
„Ich schau mal“, sagte William hinter ihm und schaute auf sein Smartphone. „Ein bisschen, aber nicht genug. Im Notfall würde es vielleicht für einen Anruf reichen, aber …“ William brachte seinen Gedanken nicht zu Ende, denn plötzlich fiel der Motor aus.
„Feuer!“, schrie Gordon.
Ohne zu zögern schaltete Mike die Maschinen aus. Schwarzer Rauch quoll aus den Öffnungen des Motorraums. Mike sprang auf, griff nach einem Feuerlöscher und scheuchte Dean und William ans andere Ende des Schiffs. Gordon zog an dem Seil, mit dem sich die Motorabdeckung öffnen ließ, während Mike den Feuerlöscher im Anschlag hielt, bereit, etwaigen Flammen den Garaus zu machen.
Aber da waren keine. Nur endlose Rauchschwaden.
„Kannst du irgendwas sehen?“, fragte Gordon, während der Wind den Qualm auf das Wasser hinaustrug.
„Ja. Der Turbolader hat sich vom Motor gelöst.“ Mike setzte den Feuerlöscher ab, froh, dass es nicht brannte. Dann holte er den Werkzeugkoffer aus der vorderen Kajüte. „Erst einmal abkühlen lassen“, meinte er und trat zu Gordon, der in den Maschinenraum hinunterspähte.
„Kannst du das reparieren?“, fragte Dean.
„Kann ich“, erwiderte Gordon. „Muss die Teile nur wieder verbinden.“ Er suchte alle nötigen Ersatzteile zusammen, während Mike den Hafen und die Küstenwache anfunkte. Er erklärte ihre missliche Lage und bat alle darum, in Bereitschaft zu bleiben.
„Kann ich bei irgendetwas helfen?“, fragte William.
„Kennst du dich mit diesem Motor aus?“
William lachte. „Unsere Firma stellt Teile für dieses Modell her.“
„Ich kann jede Hilfe gebrauchen.“ Mike beendete den Kontakt mit der Küstenwache und William machte sich mit Gordon an die Arbeit, während das Boot auf den Wellen schaukelte.
„Das Anschlussstück ist im Eimer“, stellte William fest und machte sich mit ein paar Ersatzteilen ans Werk. Schlussendlich klebte er zwei Teile zusammen und Gordon dichtete alles ab und befestigte den Turbolader wieder am Motor.
„Ich denke, das reicht fürs Erste.“ Gordon kletterte aus der Vertiefung und deckte den Motorraum wieder ab. Als er fertig war, startete Mike die Maschine und gab langsam Gas. „Hält.“
Mike nickte und beschleunigte. So schnell er konnte brachte er sie zurück zur Küste.
Ein Windstoß fuhr durch die Kajüte und Mike betete, dass der notdürftig reparierte Turbolader hielt. Sie hatten eine Stunde verloren und in dieser Zeit hatte sich das Wetter verändert. Der Sturm selbst war noch einige Stunden entfernt, aber wenn er den Golf erreichte, wären sie die ersten in ihrem Gebiet, denen er richtig zusetzen würde.
Der Wind frischte auf. Er wirkte noch nicht bedrohlich, aber die ersten Wellen bauten sich auf, und die See, die noch vor einer Stunde so ruhig gewesen war, wurde immer rauer. „Bitte setzt euch alle hin“, rief Mike. „Wir brauchen noch eine Stunde, bis wir die schützende Bucht erreichen, und ich will nicht, dass mir einer von euch über Bord geht.“ Und genauso wenig wollte er das Tempo drosseln müssen.
Noch einmal hörte er auf den Wetterbericht, aber er erfuhr nichts Neues. Auch wenn das Auge des Sturms dem Golf noch fern war, so kündigte sich der Wind schon an, wühlte das Wasser auf und peitschte Wellen gegen den Schiffsrumpf.
Der Golf war groß, aber manchmal erinnerte er Mike auch an eine Badewanne. Wenn das Wasser irgendwo in Wallung gebracht wurde, konnte man es überall spüren. Die Wellen waren jetzt erst knapp über einen Meter hoch, aber sie wuchsen kontinuierlich und die größeren klatschten kraftvoll gegen den Bug. Mike konnte nur hoffen, dass die notdürftige Reparatur hielt. Er musste seine Crew und das Boot so schnell wie möglich zum Hafen bringen.
Die Sonne stand immer noch hoch am Himmel und nur wenige Wolken waren zu sehen, aber während das Ufer endlich in sichtbare Nähe rückte, erreichten die Wellen schon eine Höhe von eineinhalb Metern.
Mike war noch nie so froh gewesen, wieder nach Hause zu kommen.
Als er die Decisions in den Hafen steuerte, wurde das Wasser durch den Schutz der Küste ruhig und klar wie Glas. Mike drosselte das Tempo. Hinter dem Boot bildete sich Kielwasser, während er langsam stromaufwärts fuhr, immer näher zu seinem Anlegeplatz. Mit zitternden Händen wendete er und Gordon vertäute das Schiff. Mike schaltete den Motor ab und alle Gerätschaften aus. Dann half er, die Fische in Kühlboxen zu verteilen und ihre Ausrüstung von Bord zu schaffen.
„Habt ihr eine sichere Unterkunft? Wer weiß, wo der Sturm sich noch herumtreibt, aber ihr solltet euch nicht in der Nähe des Wassers aufhalten.“
„Was ist mit dem Schiff?“, fragte William. „Was passiert damit, wenn das Wetter schlechter wird?“
„In der Bucht ist es geschützt. Außerdem vertäuen Gordon und ich das Boot noch zusätzlich. Das muss dann reichen.“ Mike wünschte, er könnte mehr tun, aber das gehörte zu den Risiken der Seefahrt. Er hatte nicht die richtige Ausrüstung, um das Boot aus dem Wasser zu heben und abzutransportieren, also musste er auf den Schutz des Hafens vertrauen. Außerdem zahlte er deftige Versicherungsbeiträge, um alle möglichen Schäden abzudecken.
„Können wir dir noch bei deinen Schutzmaßnahmen helfen?“, fragte William, als er seine Kühlbox von Bord trug und auf dem Bootssteg abstellte.
„Glaube ich nicht. Bringt euch nur selbst in Sicherheit. Ich weiß nicht, ob der Sturm noch stärker wird.“ Mike schüttelte seinen Kunden die Hand und fragte sich wie jedes Mal, ob dies das letzte Treffen mit William gewesen war. Der Gedanke daran, dass diese Befürchtung sich bewahrheiten könnte, ließ ihn immer unruhig zurück, aber ihm waren die Hände gebunden. Mike hatte schon vor Langem akzeptiert, dass er sein Leben wohl allein verbringen würde.
„War das alles?“, fragte Gordon, als Mike wieder aufs Boot kletterte.
„Das war alles. Isolieren wir das Boot so gut wir können. Die ganze Angelausrüstung in meinen Truck. Die Sitzpolster können wir in die Kajüte packen. Alle losen Gegenstände müssen von Deck.“
Die beiden waren an diese Prozedur gewöhnt und hatten sie schon oft durchexerziert. Mike verlud die elektronische Ausrüstung in seinen Truck. Er stapelte alles hinten im Wagen und kehrte zurück zum Boot. Als nächstes war die Kühlbox dran und auch Gordon schleppte mehr Ausrüstungsteile herbei. Sie arbeiteten, so schnell sie konnten, während sich ein Wolkenschleier vor die Sonne legte. Mike wusste, dass das nur die ersten Vorzeichen des stetig schlechter werdenden Wetters waren. Seine Mutter hatte sich berechtigterweise Sorgen gemacht, und er hätte wissen müssen, dass ihr nicht einfach nur die Nerven durchgingen.
„Ich habe alle Seile fest vertäut und auf dem Boot ist nichts Wertvolles mehr.“
„Machen wir die Sonnenblende los und legen sie auch in die Kajüte. Dann hat der Wind weniger Angriffsfläche.“ Mike löste die Schnüre und rollte sie auf, während Gordon das Sonnensegel zusammenfaltete und ebenfalls unter Deck verstaute. Als sie fertig waren, griff Mike nach Carries Geschenk und verschloss die Kajütentür. „Ich schätze, mehr können wir jetzt nicht mehr tun.“
„Stimmt. Bringen wir etwas Abstand zwischen uns und das Wasser.“ Gordon tippte kurz an seinen Hut, setzte sich in sein Auto, wendete und fuhr weg so schnell er konnte. Er wohnte zehn Minuten vom Hafen entfernt, aber näher am Wasser als Mike, also musste er zu Hause noch einige Sturmsicherungen vornehmen.
Mike warf noch einen letzten Blick auf sein Boot, seine Lebensgrundlage, und hoffte, dass es den nächsten Tag überstehen würde, falls sich der Sturm in ihre Richtung bewegte.
Er verließ den Hafen, während andere Kapitäne zurückkamen. Mike winkte ihnen zu und die meisten winkten zurück. Sein erster Gedanke war, ihnen bei den Sturmsicherungen zu helfen, aber Carrie war zu Hause, und er wollte sie unbedingt sehen und sichergehen, dass auch dort alles gut befestigt war.
Das rasselnde Geräusch eines Motors, der nicht ansprang, weckte seine Aufmerksamkeit, und Mike ging hinüber zu Williams Mietwagen.
„Das verfluchte Teil springt nicht an.“ William stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu. „Ich muss bei der Mietwagenfirma anrufen und hören, was die sagen.“
„Lass mal sehen.“ Mike trat näher heran und William öffnete die Tür, um die Motorhaube zu entriegeln. Mike öffnete die Klappe und sah das Problem auf den ersten Blick. Wahrscheinlich ging es William ähnlich. „Die Kabel vom Anlasser sind durchgeschmort. Deswegen kriegt der Motor kein Startsignal.“ Das konnte er nicht reparieren. „Hast du eine Unterkunft hier?“
„Ich bin extra für diesen Tag von Georgia hergekommen und wollte eigentlich direkt zurück in mein Hotel und morgen dann geschäftlich nach Atlanta.“ Während Mike die Motorhaube des teuren Wagens schloss, holte William sein Smartphone heraus. Vermutlich hing er in der Warteschleife, denn er lief auf und ab und wurde immer aufgeregter. „Endlich. Mein Mietwagen springt nicht an.“ Er gab alle Informationen durch. „Ich bin am Hafen in Apalachicola.“
Mike lehnte sich gegen das Auto und wartete darauf, dass William seinen Anruf beendete.
