Sense - Jörg Juretzka - E-Book

Sense E-Book

Jörg Juretzka

4,4

Beschreibung

Kristof Kryszinski lässt gern alle fünfe gerade sein. An die letzten beiden Biere der vorletzten Nacht erinnert er sich häufig nur noch ungenau. Er fährt eine antike Carina, die regelmäßig zum Schrottplatz muss, damit heruntergefallene Teile ersetzt werden können, und er füttert widerwillig eine despotische Katze. Außerdem ist er Privatdetektiv, der sich mit ein paar Ermittlungen für eine schöne Anwältin finanziell über Wasser hält. "Sense" ist der zweite Band der erfolgreichen und mit drei Deutschen Krimipreisen ausgezeichneten Kristof Kryszinski-Reihe von Jörg Juretzka.

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Seitenzahl: 335

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Jörg Juretzka

Sense

Roman

Alle Figuren dieses Krimis sind frei erfunden.

Für Cora und Verena

Speziellen Dank an Jackyl für »Rock-a-Ho«

eISBN 978-3-86789-577-4

Das Ebook basiert auf der 2. Auflage, erschienen 2002 im Rotbuch Verlag. © 2000 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: projekt ® Cathrin Günther

Motiv: © photonica

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

Rotbuch Verlag

Alexanderstraße 1

10178 Berlin

Tel. 01805/30 99 99

(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)

www.rotbuch.de

Tot! Er war tot. Deshalb antwortete er nicht.

Im ersten Moment fühlte ich mich wie ein Idiot.

Ich hatte Kaffee und Eier gekocht, Toast getoastet, ein paar Frühstücksutensilien gespült und mit dem Ellenbogen etwas Platz auf dem Tisch geschaffen. Und während ich so hantierte, hatte ich gleichzeitig einen eindringlichen, an Vernunft und gesunden Menschenverstand appellierenden Monolog gehalten, wie ihn selbst ein Gewerkschafter mit politischen Ambitionen und zehn Pils unterm Hemd nicht besser hingekriegt hätte.

Und alles für einen Toten, ich Idiot. Denn tot war er. Jetzt, wo ich das erste Mal richtig hinsah, gab es keinen Zweifel. Diese grausliche Blässe und irgendwie talgige Konsistenz der Haut, die auf halbem Weg erstarrten Lider, der entfernt an den Kelch einer Fleisch fressenden Pflanze erinnernde, halb offene und doch so völlig stille Mund, diese absolute Reglosigkeit – all das ziert keinen Lebenden. Dafür brauchte ich keinen Puls zu fühlen. Dafür hab ich inzwischen einen Blick. Ich bin Detektiv, und da im Auto zu hocken oder im Kaufhaus herumzulungern und Überwachungsarbeit zu leisten so furchtbar öde ist, habe ich mich weitgehend auf das Aufspüren von Vermissten spezialisiert. Und weil Vermisste für gewöhnlich in Schwierigkeiten stecken – sonst, ähem, wären sie in den meisten Fällen nicht vermisst –, kommt es immer wieder mal vor, dass Freund Hein schneller war. Mal einen Tag, mal eine Woche. Es ist ein richtiger Scheißberuf, manchmal, und nicht nur im Sommer. Die Heizungen laufen ja weiter, ob der Mieter nun munter herumläuft oder mit der Fixe im Arm in seinem Sessel verfault.

In diesem Fall war ich aber Erster gewesen, und deshalb war das nächste Gefühl, das mich überkam, ein kurzes Aufflammen von trotziger Wut. Er war meiner, verdammt!

Da lag er, den Kopf weit im Nacken, weil über Nacht die Luft aus dem Kopfkissen der Luftmatratze entwichen war, bis zum Hals eingemuckelt unter Mutters Häkeldecke auf dem Boden meiner Küche. Wacklig in den Beinen und mit satanisch pochender Birne kniete ich mich neben ihn. Fass ihn nicht an, und es heißt: Unterlassene Hilfeleistung. Fass ihn an, und die von der Spurensicherung haben unweigerlich was zu meckern.

Lass sie, dachte ich und lüftete mit meiner guten, unvergipsten Hand die Decke, lass sie meckern.

Vor nicht ganz fünf Stunden hatten wir uns noch zugeprostet, und nun war er hin. Schluss, aus, Sense. Ende des Weges für Sascha Sentz, den verspielten Prinzgemahl der Duisburger Spielautomaten-Königin. Wieso? Wieso so plötzlich? Wieso bei mir? Woran war er gestorben? Und was war jetzt mit der Belohnung? Allmählich kehrte meine Fassung zurück. Tot oder lebendig, hätte ich ausmachen sollen. Schriftlich. Jetzt konnte ich kucken, wie ich an mein Geld kam. Man lernt doch nie aus.

Blut oder sonstige Hinweise auf tiefer gehende Wunden waren nirgendwo zu entdecken. Auch sein Schädel machte einen intakten Eindruck. Nichts verkrustete, soweit ich es, ohne ihn auf den Bauch zu drehen, ausmachen konnte, die weichen Locken. Ein Blick in den Mund zeigte keine Spuren von Erbrochenem oder sonst was, woran er hätte erstickt sein können. Was dann? Erst bei längerem Hinsehen erschien mir die Haltung seines Kopfes unnatürlich. Zu angestrengt. Viel zu weit nach hinten/oben gerichtet, als es allein durch das Erschlaffen eines Luftkissens zu erklären wäre. Fast so, als versuche er, hinter sich zu blicken, ohne dafür den Kopf zu drehen. So wie ein Limbo-Tänzer.

Als ich schlafen ging, lebte er noch. Jetzt war er hin. Was war passiert? Was – diese Frage kehrte immer wieder zurück – wurde nun aus der Prämie? Was sollte ich den Bullen erzählen? Denn die musste ich jetzt rufen. Oder? Ich zögerte einen Moment, marterte mein Hirn nach irgendeiner Form von Lösung, die mich elegant und völlig unbeteiligt außen vor ließe, doch es blieb dabei: Dies war meine Küche, meine Matratze, mein Fall, meine Leiche.

Genickbruch, diagnostizierte der Notarzt.

Gewaltsam, fügte der Pathologe wenig später hinzu.

Mordverdacht, sagten die Bullen, und dann sackten sie mich ein.

Was mich am meisten überraschte, war, dass ich noch nicht einmal sonderlich überrascht war.

Eine Verhaftung schien mir nur die natürliche Fortsetzung des ganzen vorangegangenen Theaters zu sein. Und eine Verurteilung wäre dann der Gipfel, die Krönung.

Kapitel 1: Morgenstund’ ...

Mittwochs morgens, meine ich, wäre es gewesen, so um ... acht ungefähr, also zur Unzeit, als mich Veronika van Laar, meine Anwältin und ... sagen wir ... ›persönliche Bekannte‹, aus dem Schlaf schrillte und »Beweg deinen Arsch sofort rüber in die Kanzlei« kommandierte, »ich hab einen dicken Fisch für dich an der A-« und sie hatte »-ngel« noch nicht ausgesprochen und der Hörer war noch nicht zurück auf die Gabel gefallen, da war ich schon unten auf der Straße und zeigte dem alten Toyota, was ein richtiger Kaltstart ist.

Hier hätte ich zu mir kommen, die Zündung killen und zurück ins Bett tapern sollen. Doch so funktioniere ich nicht. Einmal in Fahrt, bin ich nur schwer wieder zu stoppen. In jeder Hinsicht, fürchte ich.

Der schwarze Schlamm, den ich statt Motorenöl fahre, und die graue Masse, die ich anstelle eines Gehirns verwende, ruhten beide noch im Aggregatzustand frühmorgendlicher Starre, derweil die vier Kolben des 1600ers schon der kritischen Marke von 20m/Sek. entgegenglühten, und das im Dritten, als ein heftiges, blechernes Scheppern fast alle meine Wahrnehmungsorgane mit einem Ruck ans Laufen brachte, was mich zwang, eine Vielzahl auf mich einstürmender Informationen praktisch zeitgleich zu bearbeiten. Nämlich:

1. Es regnete. Folglich waren die Straßen glitschig und meine Scheiben wie immer beschlagen.

2. Mein rechter Fuß lag schwer und unbeweglich auf dem Gaspedal.

3. Beim Abbiegen hatte das Auto sich gerade ein ganz klein wenig meiner Kontrolle entzogen.

4. Wir hatten etwas gerammt, das grün und weiß lackiert war und oben ein Paar blauer Lampen draufhatte.

5. Ich war von letzter Nacht noch hackevoll.

Als ich damit durch war, mit dem Bearbeiten dieser Informationen, waren wir schon 200 Meter weiter und um eine rasche Entscheidung verlegen. Wir, mein Auto und ich, waren bald 300 Meter weiter, und das obendrein im vierten Gang, womit wir uns, realistisch betrachtet, recht flott einer Vorentscheidung näherten. 400 Meter, mittlerweile, weiter, im Vierten, bei Vollgas, und die Situation bekam die Züge einer gewissen Irreversibilität. Unumkehrbarkeit, zu Deutsch. Und es wäre mir wirklich schwer gefallen umzukehren, 500 Meter weiter, bei Endgeschwindigkeit, rein schon vom fahrerischen Aspekt her. Was ich so gerade eben hinbekam, war, die Fuhre kurz zusammenzubremsen, sie in eine Seitenstraße zu reißen, von da in noch eine, anschließend eine Unterführung hinabzutauchen, einen Bahnübergang im Sprung zu queren, danach die Pfützen und Schlammpassagen eines Neubauviertels zu zerteilen wie einst Moses das Rote Meer und zu guter Letzt so lange in gewagten Drifts durch die Parkplatzreihen eines Einkaufszentrums zu zickzacken, bis ich mir sicher sein durfte, etwaige Verfolger gründlich abgeschüttelt zu haben. Dann erst stoppte ich und wischte meine Frontscheibe klar, um mich zumindest grob zu orientieren.

Wie sich herausstellte, hatte ich keinen Dunst, wo ich mich befand.

›Orientierungsvermögen‹, sag ich immer gerne, ›ist das eine Standbein des Detektivberufes.‹ ›Improvisationstalent‹, schicke ich immergerne hinterher, ›das andere.‹

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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