Shadowflame - Licht und Dunkelheit - Liz Skadi - E-Book
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Shadowflame - Licht und Dunkelheit E-Book

Liz Skadi

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Beschreibung

Ein Königreich, zerrissen von zwei verfeindeten Mächten
Eine Magierin, die ihrem Land Ruhm und Ehre bringen will
Ein Geheimnis, das alles verändern könnte

Als Schattenmagierin Ava an der renommierten Shadowflame Akademie aufgenommen wird, geht für sie ein Traum in Erfüllung. Endlich kann sie ihr Land mit ihrer Magie verteidigen. Doch ausgerechnet Lichtmagier Zion wird ihr als Trainingspartner zur Seite gestellt, denn nur vereint entfalten Licht und Schatten ihre ultimative Macht.

Zion ist arrogant, abweisend - und leider viel zu attraktiv. Vom ersten Moment an herrscht zwischen den beiden eine gefährliche Anziehungskraft. Ava ahnt noch nicht, dass Zion seine eigenen Ziele verfolgt. Und dann stößt sie auf ein Geheimnis, das ihre Welt erschüttert. Auf einmal kämpft Ava nicht mehr nur um den Sieg in der Abschlussprüfung, sondern um die Freiheit eines ganzen Königreichs. Und der Einzige, dem sie jetzt noch trauen kann, ist ausgerechnet der, der ihr Herz schneller schlagen lässt ...

Magisch, düster und mitreißend: der Auftakt einer YA-Romantasy-Dilogie voller Intrigen, Geheimnisse und verbotener Magie - mit War Academy Setting

ONE. Wir lieben Young Adult. Auch im eBook!

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Seitenzahl: 458

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Titel

Kapitel 1: Wir sind die Dunkelheit

Kapitel 2: Eine ultimative Waffe

Kapitel 3: Willkommen an der Shadowflame-Akademie

Kapitel 4: Nächtliche Begegnung

Kapitel 5: Waffen benötigen keinen Schlaf

Kapitel 6: Ich bin dein Schatten, sei mein Licht

Kapitel 7: Auf ein Tänzchen

Kapitel 8: Eine schwierige Partnerschaft

Kapitel 9: Krumme Geschäfte

Kapitel 10: Zwischenprüfung

Kapitel 11: Tödliche Feier

Kapitel 12: Befreiung einer Rebellin

Kapitel 13: Auf in die Schlacht

Kapitel 14: Royales Date

Kapitel 15: Familienbesuch

Kapitel 16: Die Wahrheit

Kapitel 17: Der Deal

Kapitel 18: Wir passen auf uns auf

Kapitel 19: Verrat

Über die Autorin

Impressum

Über dieses Buch

Als Schattenmagierin Ava an der renommierten Shadowflame Akademie aufgenommen wird, geht für sie ein Traum in Erfüllung. Endlich kann sie ihr Land mit ihrer Magie verteidigen. Doch ausgerechnet Lichtmagier Zion wird ihr als Trainingspartner zur Seite gestellt, denn nur vereint entfalten Licht und Schatten ihre ultimative Macht.

Zion ist arrogant, abweisend – und leider viel zu attraktiv. Vom ersten Moment an herrscht zwischen den beiden eine gefährliche Anziehungskraft. Ava ahnt noch nicht, dass Zion seine eigenen Ziele verfolgt. Und dann stößt sie auf ein Geheimnis, das ihre Welt erschüttert. Auf einmal kämpft Ava nicht mehr nur um den Sieg in der Abschlussprüfung, sondern um die Freiheit eines ganzen Königreichs. Und der Einzige, dem sie jetzt noch trauen kann, ist ausgerechnet der, der ihr Herz schneller schlagen lässt ...

Kapitel 1: Wir sind die Dunkelheit

Manchmal reizt es mich, verbotene Dinge zu tun. Es gibt mir einen gewissen Kick. Kitzelt an etwas in mir, das seit siebzehn Jahren in einem Zwangsschlaf schlummert. So wie jetzt. Ich starre in die Flamme der Kerze, bis ich nichts anderes mehr sehe. Nur Licht. Keine Schatten. Als stände die gesamte Welt in Flammen, und ich wäre mittendrin.

Das Gefühl ist zu gleichen Teilen schaurig wie erregend.

»Ava!« Die fordernde Stimme meines kleinen Bruders reißt mich aus meiner Trance, und ich entziehe mich dem Feuer. Ungeduldig rüttelt Kit an dem Bett, gegen das mein Rücken lehnt. »Ich will noch eins sehen!«

Ich schließe die Augen, um den grellen Punkt vor meinem Sichtfeld loszuwerden und die Magie zurückzudrängen, die sich verstohlen durch meine Blutbahn schleicht. Dann betrachte ich unsere verdreckte Schlafzimmerwand, die von der Kerze zwischen meinen Füßen angeleuchtet wird. Die meisten Flecken sind von mir. Wie der Brandfleck, den ich mit acht Jahren in blanker Panik und ziemlich schlampig mit roter Fingerfarbe kaschierte. Ich bekam den größten Ärger meines Lebens, mein dunkles Geheimnis aber konnte ich wahren.

»Ava!«

»Schrei nicht so, oder du weckst Mutter auf.« Ich lege meine Hände gegeneinander, verschränke meine Zeigefinger, spreize die kleinen Finger ab und halte sie vor die zitternde Flamme. Begleitet von einem finsteren Heulen wandert mein Schattenwolf über den unebenen Putz und reißt hungrig sein Maul auf. »Und dann wird sie dich fressen«, grolle ich mit dunkler Stimme.

»Ein Wolf!« Kit hüpft triumphierend auf dem Bett. Die Federn quietschen, und das Metallgestell drückt sich schmerzhaft in meine Wirbelsäule. »Noch eins!«

Ich spreize alle Finger ab, krümme sie und wandere mit meinen Schattenfingern langsam und bedächtig die Wand empor.

»Igitt! Eine Spi-Spi-Spinne!«

Ich lasse die Schattenspinne weiterkrabbeln, mache schabende Geräusche an dem verrosteten Bettgestell, dann werfe ich mich blitzschnell auf meinen Bruder und kitzle ihn kräftig durch. Kit kreischt in den höchsten Tönen und winselt um Gnade.

»Das war’s, Kit.« Ich befördere ihn ächzend aufs Kissen. Kit verkündet jeden Morgen mit Stolz, dass er sich in einer Wachstumsphase befindet. Ich könnte schwören, er wiegt täglich fünf Pfund mehr.

»Noch ein Schattenspiel!« Mit flatternden Wimpern sieht er zu mir auf, doch sein bettelnder Hundeblick kann mich heute Abend nicht erweichen.

»Nichts da.« Ich wickle ihn fest in die Bettdecke und rolle ihn herum. »Ich werde es dir nicht verzeihen, wenn du morgen meinen Abschied verpasst.«

Kit murmelt ein paar gedämpfte Worte und windet sich wie ein Fisch auf dem Trockenen in dem Deckenkokon, bis sein Kopf herausschaut. »Das würde ich niemals verpassen!«, platzt er heraus, befreit auch seine Arme und wirft sich mir an den Hals. Seine blonden Locken und der mückenvertreibende Duft nach Zitrone kitzeln in meiner Nase, und sein warmer Körper fühlt sich vertraut in meinen Armen an. Nach Heimat.

»Sei ein braver Bruder, und schlaf jetzt.« Energisch drücke ich ihn zurück in die Matratze und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn. »Sonst kommt die Schattenspinne und wickelt dich heute Nacht in ein festes Netz, aus dem es kein Entkommen gibt.«

Finster sieht er zu mir auf. »Ich fürchte mich vor keiner Schattenspinne.«

»Das ist gut.« Ich tippe an seine Nasenspitze. »Denn Angst ist ...«

»... für Feiglinge«, beendet er meinen Satz und zieht eine Grimasse.

»Und wir sind ...«

»... keine Feiglinge.« Er stößt eine Faust in die Luft. »Wir sind Valkyrs!«

Ich lächle und verstrubble sein wirres Haar. Es wächst schneller noch als Kits Körper. »Ganz genau, Kit Valkyr. Und nun mach deine Augen zu.«

Selbstverständlich macht er seine Augen nicht zu. »Wieso darf ich nicht mitkommen?« Er sieht trotzig zu mir auf. Sorgenvoll betrachte ich seine linke Augenbraue, die nach unserem gestrigen Feuerspiel an einer Seite angesengt ist. Weder Vater noch Mutter haben uns drauf angesprochen. »Ich bin groß genug für die Akademie.«

»Du gehst mir bis hier, Kit.« Ich tippe an meinen Bauchnabel, woraufhin Kit empört schnaubt. »Die Akademie ist nichts für Kinder. Dort lernt man Dinge, die nur Erwachsene tun dürfen.«

Er stülpt die Unterlippe vor. »Das ist nicht fair.«

Ich seufze. Dieses Gespräch haben wir inzwischen hundertmal geführt, seitdem die Einladung zur Shadowflame-Akademie bei uns reinflatterte und sich mein Leben auf den Kopf stellte. Monatelang habe ich nach meiner Bewerbung auf den ersehnten Brief gewartet, und vor drei Wochen war es endlich so weit. »Du darfst mich besuchen kommen.«

Kit strahlt mich an. »Immer?«

Ich ziehe ihm die Decke bis unters Kinn. »Immer.«

Ich rolle mich von Kits schmalem Bett und begebe mich über die knarrenden Holzdielen zu meiner Nachtkommode unter dem Giebelfenster. Unser gemeinsames Schlafzimmer im Dachboden ist nicht groß, aber groß genug. Unsere Eltern besitzen ein Haus und ein Stück Land, das wir frei bewirtschaften können. Zudem sind unsere Nachbarn großzügig, und das Dorf behandelt uns mit Respekt. Das ist mehr, als unsereins verlangen darf.

Ich setze mich in den Korbstuhl, greife nach der Bürste und ziehe die groben Borsten durch mein Haar. Dabei betrachte ich mich eingehend im Spiegel, suche nach einem Pickel oder einem Hauch von Sonnenbrand. Das Zeichen unserer Magie, das mir nach der Geburt mit Brenneisen in die Haut geprägt wurde, prangt zwischen meinen Augenbrauen. Doch ich kann keinen Makel in meinem Gesicht entdecken. Kein Wunder. Ich habe mich nie so gründlich gereinigt wie heute Abend. Habe mich abgerieben und geschrubbt, bis auch das letzte Körnchen Sand unter meinen Nägeln verschwunden und jede Schicht Hornhaut unter meinen Füßen abgetragen war. Seidig glänzt mein blondes Haar, schimmert im Kerzenlicht wie flüssiges Gold.

Ich lege die Bürste beiseite und flechte es zu einem losen Schlafzopf, der über meine Schulter fällt. Letzte Woche war ich beim Friseur. Zuvor waren meine Haare hüftlang, nun haben sie eine wesentlich praktischere Länge. Immerhin werden sie bald mit etwas in Berührung kommen, womit sie noch nie in Berührung kamen.

Nachdenklich betrachte ich die Reflexion der Kerzenflamme in meinen Augen. Sie schillern wie dunkle Saphire. Die schönsten Augen der Welt, nannte sie Sam Tybalt, der Sohn unseres Metzgers, nachdem wir die Nacht im Heu verbracht hatten. Ich schenkte ihm einen stürmischen Kuss, woraufhin mir meine Magie entglitt. Das tat sie eigenartigerweise nicht bei der vorherigen Akrobatik im Stroh. Seither meidet Sam mich wie die Beulenpest, und ich bekomme keine kostenlosen Würstchen mehr. Peinliche Momente wie dieser sind ein weiterer Grund, warum mit der Einladung zur Akademie für mich ein Traum in Erfüllung geht. Nie wieder muss ich mich davor fürchten, dass mir etwas entgleitet, das mir nicht entgleiten darf.

Mit den Fingern betaste ich den Eisenring, der an meinem linken Handgelenk sitzt. Ich trage ihn seit meiner Geburt. Fünfmal wurde er von den Königskriegern ausgetauscht, damit meine Knochen gedeihen können und das magiehemmende Metall nicht mit der Haut verwächst. Auch Kit und Vater tragen ihn. Die Magie ist ein Familienerbe. Doch im Gegensatz zu ihren Armreifen wird meiner morgen entfernt. Denn ich bin eine zukünftige Königskriegerin. Teil des magischen Schutzschilds Khisfires.

Bei dem Gedanken klopft mein Herz so schnell, dass die schwarze Spitze meines Nachthemds bebt.

»Ava«, murmelt Kit schläfrig.

Ich sehe über meine Schulter zu ihm zurück. »Was ist los?«

»Mach endlich das Licht aus.«

Ich schmunzle, schürze die Lippen und hole tief Luft, um die Kerze auf meiner Kommode auszublasen.

»Nicht so!« Kit hebt den Kopf. Die kastanienbraunen Augen hat er von unserem Vater. Die Sturheit von unserer Mutter. Manchmal denke ich, ich habe nichts von ihnen geerbt. »So, wie es sich gehört, Ava«, verlangt mein Bruder.

»Kit ...«, ermahne ich ihn.

Doch Kit lässt nicht locker. »Wer sind wir?«

Ich seufze. Kurz halte ich die Luft an und lausche auf Geräusche vor unserer Tür. Dann lege ich den Zeigefinger gegen meine Lippen. Kaum jemand weiß, dass ich trotz des Eisenrings Magie wirken kann. Nur ein wenig, doch auch ein wenig ist genug, um von der Königsgarde mitgenommen zu werden. Nicht auf eine aufregende Reise, sondern geradewegs ins Gefängnis.

Kit rollt mit den Augen. »Ich verrate es niemandem.« Er legt sich feierlich die Hand an seine Brust. »Versprochen.«

Lächelnd schnippe ich mit den Fingern. Die Kerzenflamme auf meiner Kommode zittert und flackert ein letztes Mal auf, ehe das Feuer erlischt. Unglücklicherweise verdunkeln sich auch bei den Crowes nebenan die Fenster. Und ich könnte schwören, dass selbst der Mond und die Sterne sich dimmen.

»Die Dunkelheit, Kit«, wispere ich in die Schatten. »Wir sind die Dunkelheit.«

Kapitel 2: Eine ultimative Waffe

Diese Nacht schlafe ich nicht eine einzige Minute. Unruhig wälze ich mich von einer Seite auf die andere, bis endlich der erste Hahn im Dorf kräht und ich so hastig aus dem Bett stürze, dass ich mich prompt flach lege. Anstatt mir zu helfen, lacht Kit sich halb tot, während ich im Badezimmer hektisch nach unserer Heilpaste für meine aufgeschürften Knie suche. Nachdem ich meine Haare zu einem kunstvollen Flechtkranz geflochten, mir etwas Wangen- und Lippenfarbe aufgelegt und meine Augen mit Kohlestift umrandet habe, hocke ich mich vor meine Kleidertruhe und hole die Klamotten heraus, die mein Vater mir für die Akademie hat anfertigen lassen. Eine Hose, die sich eng an meine Beine schmiegt, eine langärmelige Bluse mit eingearbeitetem Korsett und wadenhohe Stiefel. Das geschmeidige Ziegenleder trägt sich leicht und angenehm, hält an der windigen Küste unserer Hauptstadt Onyxair aber dennoch warm. Vater ließ es schwarz einfärben, denn er befürchtet, dass man mich versehentlich als Lichtmagierin einordnen würde.

Mir ist zwar nicht ganz klar, warum er diese Sorge hegt – immerhin bin ich mit dem Sichelmond auf meiner Stirn gebrandmarkt –, aber allein der Gedanke erfüllt mich mit Grauen. Als Schattenmagierin lernte ich schon in der Wiege, dass das Licht unser schlimmster Feind ist und wir uns niemals einem Lux nähern dürfen. Licht und Schatten trennt eine natürliche Feindschaft. Prallen unsere Magien aufeinander, drohen Chaos und Tod. Vereint hingegen werden sie zur ultimativen Waffe. Der Shadowflame. Die Shadowflame Akademie wurde errichtet, damit wir unseren Beitrag für das Königreich leisten und für unser Volk an der Front kämpfen, nachdem wir es in den Ruin trieben und unsere Feindschaft auf den Schultern der Menschen austrugen. Und ich bin stolz, mich bald eine ihrer Schülerinnen nennen zu können.

Eilig schlüpfe ich in die neuen Kleider und lege meinen bescheidenen Schmuck an. Das Silberarmband mit dem Onyx-Frosch, das Kit mir gebastelt hat, sowie den Ring, den meine Eltern mir zum zwölften Geburtstag geschenkt haben und dessen eingelassener Saphir die Farbe meiner Augen widerspiegelt.

Als ich die Glocken unseres Rathauses in der Ferne höre, knalle ich die Truhe zu und stolpere hastig die Treppe hinunter. Aus unserer Küche dringt ein herrlicher Duft. Ein üppiges Frühstück erwartet mich, mit saftigen Aprikosen, glänzendem Spiegelei und dampfenden Pfannkuchen. Sogar Honig wurde für diesen Anlass eingekauft, eines der teuersten Lebensmittel im Hikya-Tal.

Leider bin ich dermaßen aufgeregt, dass ich keinen Bissen herunterbekomme. In meinem Magen herrscht ein heilloses Durcheinander an Emotionen, die keinen Platz übrig lassen. Während meine Familie also ausgiebig frühstückt, quassle ich ohne Unterbrechung, um die angestaute Energie loszuwerden, damit sie mich nicht in Form von Schatten verlässt.

Mein Bruder hängt gebannt an meinen Lippen, als ich von der Akademie und dem Schattengebirge schwärme, der nördlichsten Grenze Khisfires. Dort werden die Shadowflames nach ihrem Abschluss stationiert. Jeweils ein Schatten- und ein Lichtmagier kämpfen Seite an Seite gegen unsere Feinde, als ultimative Waffe. Stirbt einer, stirbt auch der andere. So Furcht einflößend das klingt, finde ich den Gedanken, Rücken an Rücken zu kämpfen, zu siegen oder eben zu verlieren, überwältigend. Wäre der loyal Verbündete nicht zugleich mein größter Feind. Ein Lux.

Doch davon darf ich mich nicht irritieren lassen. Ich muss furchtlos sein. Furcht behindert die Magie, so viel habe ich bereits gelernt. Und die Lux haben ebenso Angst vor uns wie wir vor ihnen.

»Ich kann den Debütantenball gar nicht abwarten«, sprudelt es aus mir heraus, während ich nervös mit meinem Frosch-Armband spiele. »Im Abendblatt hab ich gelesen, dass der Prinz sich einen Magier herauspickt und mit ihm die Tanzveranstaltung einleitet. Stellt euch nur mal vor, Prinz Othello wählt mich!«

Meine Mutter lauscht meinem Redeschwall mit einem sanften Lächeln, während sie sich unser festliches Frühstück in den Mund schaufelt. Die magische Welt ist nicht die meiner Mutter. Üblicherweise zieht sie sich zurück, wenn das Thema angeschnitten wird. Sie ist zwar mit einem Schattenmagier verheiratet, durch das Eisen aber kam sie mit der Magie nie in Kontakt. Manchmal glaube ich, dass sie sich vor uns fürchtet und es nur gut zu verbergen weiß. Letzten Endes fürchten uns die meisten Menschen.

»Iss etwas, Ava.« Mein Vater lässt einen Pfannkuchen auf meinen Teller gleiten und beträufelt ihn mit einer sündhaften Menge Honig. »Du musst für die Reise bei Kräften sein.«

Vater bleibt während des Frühstücks ungewohnt schweigsam. Er brät stumm unsere Eier, sorgt für Pfannkuchen-Nachschub und schenkt süßen Wein nach. Doch sein Gesicht bleibt ernst, und ein Lächeln kann ich ihm nicht entlocken. Nicht einmal, als ich scherze, bei meinem ersten Heimatbesuch einen Lichtmagier anzuschleppen. Stattdessen fällt, sobald ich diesen Witz ausgesprochen habe, meiner Mutter das Ei von der Gabel. Ihr entsetzter Gesichtsausdruck ist definitiv erinnerungswürdig, steht dem meines Vaters aber in nichts nach.

Kit glotzt mich von der Seite an. »Das ist doch verboten!«, verkündet er mit der felsenfesten Vehemenz eines Sechsjährigen.

»Schon klar.« Ich lache und zerzause sein Haar. »Daher sollte es ja auch ein Witz sein, Kit.«

»Das ist nicht witzig, Avalon«, stutzt meine Mutter mich zurecht und klaubt ihr Ei vom Boden.

»Dann verstecke ich ihn halt unter meinem Bett und hülle ihn in die Schatten«, entgegne ich trotzig, stecke meinen Finger in den Honig und lecke ihn ab. Köstlich.

Vaters Augenbrauen sacken tief ab. »Die Krieger des Königs sind im Dorf. Achte auf deinen Mund, Avalon.«

Ich rolle mit den Augen und stochere im Honig. »Kann man nicht mal mehr einen Witz reißen? Kontrolliert der König das auch?«

»Ich finde es witzig.« Kit legt seine Hand auf mein Knie und reckt sich zu mir empor. »Wir können ihn unter meinem Bett verstecken«, flüstert er. »Da kommt Vater nie drauf.«

Ich pruste vor Lachen. Unsere Eltern stimmen nicht in unser Gelächter mit ein. Im Gegensatz zu früher aber lassen mich ihre Zurechtweisungen kalt. Seit ich die Zulassung zur Akademie bekommen habe, erdulde ich meine sichtbaren und unsichtbaren Fesseln mit einem inneren Lächeln. In wenigen Stunden sitze ich mit Lichtmagiern und Schattenmagiern an einem Tisch, und wenn ich dort den Witz anbringe, wird bestimmt jeder darüber lachen. Also stopfe ich mir trotzig den Pfannkuchen rein und greife nach einem weiteren.

***

Nachdem Vater schweigend abgeräumt hat, verlässt Mutter mit Kit das Haus, um die Dorfgemeinschaft zusammenzutrommeln. Ich überprüfe ein letztes Mal mein Gepäck und schultere meinen Rucksack. Er ist nicht sonderlich schwer, denn ich bekomme alles an der Akademie gestellt. Ich kann es kaum abwarten, die atemberaubenden Rüstungen zu tragen, die man gelegentlich in den Kriegsberichterstattungen im Tagesblatt bewundern kann.

Ich ziehe die Riemen stramm und will nach dem Koffer greifen, doch Vater nimmt ihn mir ab. »Sei vorsichtig, Ava.« Er legt eine Hand auf meine Schulter, und in seinen sanften Augen schimmert eine Traurigkeit, die ich immer häufiger an ihm bemerke. Trotz des langen Sommers sieht er blass und abgeschlagen aus. Das Eisen an seinem Handgelenk ist stark abgenutzt und zeugt von seiner langen Gefangenschaft.

Hätte ich nicht vor einem Jahr zufällig seinen Arztbrief aufgestöbert, würde ich seine fahle Hautfarbe auf den Stress mit der Ernte schieben. Im Spätsommer und Herbst gibt es auf unserem Feld viel zu tun, und wir brauchen das Gold. Doch es ist nicht die Arbeit. Vater hat die Eisenkrankheit. Eine tödliche Krankheit, die langsam alle Organe befällt. Da der Auslöser Eisen ist und sie somit nur Magier betrifft, wird über diese Symptomatik geschwiegen. Offizielle Diagnosen sind verboten. Das alles weiß ich von Salem, dem Sohn unserer Dorfärztin. Von ihm weiß ich auch, dass es ein Heilmittel gibt. Ginsareng. Doch das können wir uns unmöglich leisten. Ginsareng ist ein sehr seltenes und extrem teures Pulver. Unbezahlbar für gewöhnliche Nox. Erschwinglich für eine Shadowflame-Kriegerin.

»Folge den Befehlen des Königs«, trägt Vater mir mit leiser Stimme auf und schielt zur Haustür, hinter der ich Hufgetrappel vernehme. »Sprich nur mit Bedacht. Lerne fleißig.« Er wendet seinen Kopf kurz zur Seite, um einen trockenen Husten abzusetzen. »Atme tief durch, bevor du Magie anwendest. Und verrate niemandem ...« Sein Blick fällt wie beiläufig hinab zu meinem Eisenarmband. »... dass du stärker bist, als der König es erlaubt.«

Ich ziehe scharf die Luft ein. Meine Finger schließen sich um die eiserne Fessel. Das dunkle Geheimnis, das mich seit meiner frühen Kindheit umgibt, habe ich stets akribisch bewahrt. »Du weißt es?«

»Natürlich weiß ich es. Ich bin dein Vater, Avalon.«

Siedend heiß überschlage ich im Kopf all die Male, die ich unerlaubterweise meine Magie anwendete oder mit dem Feuer spielte. »War es der Brandfleck?«

Seine Augen verengen sich. »Welcher Brandfleck?«

»Ach, nichts.« Schnell weiche ich seinem bohrenden Blick aus.

»Nachdem dir das Eisenband umgelegt wurde, nahm ich dich aus der Wiege und ...« Vater senkt seine Stimme zu einem kaum wahrnehmbaren Flüstern. »Dein Schatten bewegte sich.«

»Mein Schatten ... bewegte sich?« Ich wusste nicht einmal, dass das überhaupt möglich ist. Gebannt betrachte ich meinen Schatten auf dem Steinfußboden. Die Morgensonne, die durch das Flurfenster scheint, zieht ihn in die Länge. Doch er steht brav dort, wo er hingehört.

Vaters Finger bohren sich schmerzhaft in meine Schulter und lenken meine Aufmerksamkeit wieder zu ihm. »Ich war fünf, als der Krieg endete.« Seine Stimme klingt dermaßen rau, als hätte er Sand geschluckt. »Zuerst kam der Eisenregen ...« Er schließt kurz die Augen und schüttelt den Kopf, tiefe Falten graben sich in seine Stirn. »Königskrieger stürmten unser Haus. Deine Großeltern wurden mit Eisenpfeilen niedergestreckt und anschließend mit zwei Schwerthieben hingerichtet.« Mein Magen macht Purzelbäume, und ich fürchte, die Pfannkuchen auf Vaters Hemd zu übergeben. »Der König ist skrupellos«, raunt er und schielt zur Tür. »Er fürchtet uns. Das macht ihn so gefährlich. Aber er braucht uns auch.« Er legt eine Hand an meine Wange, und die Härte in seinem Blick weicht auf. »Zeig ihnen, was in dir steckt, Avalon. Doch zeig es ihnen nach ihren Maßstäben. Erfülle ihre Wünsche, und sie erfüllen dir deine. Wirst du aber zu einem Problem ...«

»Was, Vater?«, wispere ich atemlos. »Was wird dann geschehen?«

Noch nie hat er so ehrlich zu mir gesprochen. Noch nie hat er über den Krieg gesprochen. Unsere Eltern waren so alt wie Kit, als der vernichtende Krieg zwischen Licht- und Schattenmagiern endete und unser Königreich in Ruinen, Asche und Knochen hinterließ. Erst an der Schule jedoch habe ich alles über den unverzeihlichen Verrat – den Mord an der letzten Lux-Königin Mirella durch den damaligen Nox-König Omen – und die darauffolgenden Kriegsjahre gelernt.

»Pass auf dich auf, Avalon«, antwortet Vater nur und tätschelt meine Wange. »Und werde nicht zum Problem.« Er reißt den Koffer in die Höhe, setzt seinen schwarzen Hut mit der breiten Krempe auf und öffnet die Haustür. Goldene Morgensonne flutet unseren Korridor. »Und vergiss dein Tuch nicht!«

Ich klaube das weiße Leinentuch von der Garderobe, das ich vor einigen Jahren einer fahrenden Händlerin für drei Kupfermünzen abkaufte und ich sonst nur im Hochsommer trage, wenn die Sonne erbarmungslos auf unsere Köpfe brennt. Doch eigentlich ist dieses Kleidungsstück verpflichtend für jeden Nox. Ein Tuch, bestenfalls den ganzen Körper bedeckend, das uns vor der Sonne abschirmt. Damit Licht und Schatten so wenig Berührungspunkte haben wie möglich. Aus dem gleichen Grund dürfen wir uns dem Feuer nicht nähern, und Lichtmagiern ist es untersagt, in die Nacht hinauszutreten. So steht es im Gesetz von Lux und Nox, das nach dem Krieg niedergeschrieben wurde. Hier im Dorf ignorieren wir die Verhüllungsregel weitestgehend, so wie die meisten anderen. Also, eigentlich ignoriere ich sie und somit auch Kit, der mir ohnehin alles nachmacht.

Leider ändert sich alles, sobald die Königskrieger bei uns einfallen. Früher musste ich sogar mit Gesichtsschleier herumlaufen, wenn sie zur Kontrolle kamen. Ich weiß nicht, wie strikt die Regeln in der Hauptstadt eingehalten werden. Doch an der Akademie werden jegliche Regeln der Magiehemmung ohnehin überflüssig, sobald wir unser Eisen ablegen und mit dem Magietraining beginnen. Immerhin müssen wir unsere Fähigkeiten beherrschen, wenn wir an die Front gehen. Nach den Worten jedoch, die Vater eben an mich richtete, ist es sicher angebracht, zumindest anfänglich den Regeln treu zu bleiben.

Ich wickle mir das Tuch locker ums Haar und folge meinem Vater. Seine unheilvollen Worte sind vergessen, als ich auf unsere staubige Straße trete und von der versammelten Dorfgemeinschaft in Empfang genommen werde. Die Sonne ist bereits über die Berge gekrochen und flutet das Tal und unser kleines Dorf Muriel, das idyllisch an einem kristallklaren Bergsee ruht. Die Gespräche versiegen, und alle Blicke gleiten zu mir. Im ersten Moment stehen wir uns verlegen gegenüber. Ein Zweihundert-Seelen-Dorf und die einzige Magierin im Hikya-Tal, die je zur Shadowflame-Akademie abgeholt wurde.

In unserem Dorf passieren wenig aufregende Dinge. Mal stirbt ein Hahn. Mal treibt ein Kojote sein Unwesen. Über den Durchzug einer Räuberbande vor drei Jahren sprechen wir noch heute. Dies ist wohl der ereignisreichste Tag seit dem Ende des Krieges. Ein paar Kinder schwenken fröhlich ihre Fahnen mit dem Wappen Khisfires. In den Häuserecken erspähe ich vereinzelte Königskrieger, die ihren unergründlichen Blick über unser friedliches Dorf schweifen lassen, als würde hinter jedem Busch ein Monster lauern. Aber das Monster bin ja nur ich.

Unsere Wahrsagerin sitzt auf einem Klappstuhl mitten auf der Straße und trommelt auf ihrer Handtrommel. Bedrohlich hallen die Schläge durchs Tal. Der Blick aus ihren weisen Augen liegt dabei unverwandt auf mir und beschert mir wie üblich eine Gänsehaut. Katarina Tremain kämpfte im Krieg. Meine Mutter erzählte mir, dass die Frau das Dorf nur mit einer Eisenkeule bewaffnet gegen eine Meute Schattenmagier verteidigte. Sie wollten zu einer Lichtmagierin, die sich im Keller des Metzgers versteckte.

Als ich die Wahrsagerin auf die Geschichte ansprach und ihren Mut lobte, sah sie mich an, als wollte sie mir den Hals umdrehen. Sie spie mir ins Gesicht, dass sie nicht das Mädchen verteidigt habe, sondern das Dorf. Ihr Ausbruch hat mich irritiert, ebenso wie ihre Worte. Menschen starben während des Krieges, weil sie zwischen die Fronten von Lux und Nox gerieten. Sie waren keine Kriegspartei, nicht am Anfang. Hätte sie das Mädchen herausgegeben, hätten die Schattenmagier das Dorf wahrscheinlich verschont. So aber starben achtzig Dorfbewohner. Über die Lichtmagierin spricht niemand mehr. Was geschah mit ihr? Wieso wurde sie so vehement verteidigt?

Meine Freunde lungern auf dem Gehweg und grinsen mich an, aber erst, als unsere Dorfälteste sich ausgiebig räuspert, erwache ich aus meiner peinlichen Berührtheit. Ich eile zur Anführerin unseres Dorfes, mache einen eleganten Knicks und küsse ihre Fingerknöchel. »Danke, Älteste Sadie. Für alles, was Ihr für mich und meine Familie getan habt. Für Eure Güte und Herzlichkeit.« Die kurze Dankesrede habe ich vor Wochen ausformuliert, wieder verworfen und erneut ausformuliert. »Das Dorf ist meine Heimat und wird es immer sein.«

»Du wirst unser Land würdig verteidigen.« Älteste Sadie legt eine Hand an meine Stirn, dort, wo mein Nox-Mal sitzt. »Möge die Nacht mit dir sein, mein Kind.«

Überrascht sehe ich zu ihr auf. Den letzten Satz spricht sie in der alten Sprache der Nox. Da den Worten Magie innewohnt, ist sie strikt verboten. Generell sind alle magischen Bräuche nach dem Krieg verbannt worden, wie die Anbetung von Nacht und Tag, die Göttinnen und das Pflegen magischer Kultstätten. Die uralten Nox- und Lux-Schreine im Wald hinter unserem Dorf werden von Unkraut überwuchert und verkommen. Mein Vater lehrte mich trotzdem unsere Sprache. Er sagt, es sei traurig, solch einen Wissensschatz verkümmern zu lassen.

»Möge die Nacht mit Euch sein, Älteste«, kommt es mir in der Sprache der Nox über die Lippen, ehe ich mir auf die Zunge beißen kann.

Älteste Sadie aber lächelt. Sie reicht mir ein eingerolltes Pergament, und als ich es öffne, blicke ich auf eine wunderschöne Tuschzeichnung unseres Dorfs, das friedlich im grünen Tal gebettet liegt. Darunter haben alle zweihundert Einwohner unterschrieben.

Mir kommen fast die Tränen. Mein Blick schweift über die verklemmten Dorfbewohner. »Danke«, sage ich in die Stille.

Ich bin erleichtert, als meine Freundin Havana sich von den anderen löst und mir entgegenläuft. In ihrem atemberaubenden Kleid aus feuerroter Seide und mit dem Flechtkranz aus gelben Kosmeen, der sich um ihr Haar windet, sieht sie aus wie eine Prinzessin. »Du musst mir unbedingt schreiben, Ava.« Sie umarmt mich stürmisch. Zeitgleich beginnen die Dorfbewohner, ihre Gespräche wieder aufzunehmen. »Versprich es mir!«

Ich drücke sie fest. »Ich verspreche es.«

Als Tochter der Dorfältesten war Havana eine der wenigen, die keinerlei Hemmungen vor mir hatten. Daher freundeten wir uns schnell an und veranstalteten jede Menge Unfug, von einer brennenden Scheune bis zu dem schlimmsten Morgen meines Lebens, nachdem wir zwei Flaschen des Weins ihrer Eltern leerten. Eines Nachts verleitete Havana mich zu etwas, das mir bis heute nachhängt. Wir schlichen uns zum Schmied, um meinen Eisenring zu entfernen. Die Geräusche, die wir dabei fabrizierten, weckten das halbe Dorf auf. Mein Vater war so unsagbar wütend, nie habe ich ihn dermaßen wütend erlebt. Ich bekam zwei Monate Hausarrest und frage mich noch heute, was geschehen wäre, wenn wir den Ring abbekommen hätten.

»Du musst mir alles über den Prinzen berichten«, trägt Havana mir auf. Den Befehlston hat sie von ihrer Mutter. »Wie sieht er aus der Nähe aus? Wie tanzt er? Was isst er? Welchen Mädchen schaut er hinterher?« Ihre kornblumenblauen Augen leuchten vor Euphorie. »Wie riecht er?«

»Ich werde nicht für dich an dem Prinzen schnüffeln, Havana.« Ich gestehe, Prinz Othello sah bei seinem diesjährigen Geburtstagsball zum Anbeißen aus. Das Bild aus dem Abendblatt hängt bei Havana und mir im Kleiderschrank, wo wir den Prinzen regelmäßig anschmachten können. Aber ich bezweifle, dass er eine Schattenmagierin näher an sich heranlässt als nötig.

»Mach dir keine Hoffnungen, Havana.« Bäckersohn Milo stößt seinem Freund Salem beifallheischend den Ellbogen in die Seite und zwinkert mir verstohlen zu. »Der Prinz hat andere Interessen. Angeblich wurde er schon mehrfach mit Magierinnen gesehen. Shadowflames.«

Die Gerüchte sind mir bekannt. Sie füllen ständig unsere Zeitungen und nähren den Dorfklatsch. Doch ich halte sie für das, was sie sind. Gerüchte. »Sei lieber still, Milo.« Der tödliche Blick eines Königskriegers, der sich in unserem Vorgarten platziert hat, macht mich nervös. »Sonst reist du mit mir nach Onyxair. In Eisenschellen.«

»Ist das eine Einladung?« Milo wackelt grinsend mit den Augenbrauen. Früher wollte er unbedingt mein fester Freund werden. Als er einen fiesen Witz über Magier an die Schultafel kritzelte, gab ich ihm eine Ohrfeige, doch selbst danach hörte er nicht auf, bei jeder Gelegenheit mit mir zu flirten.

Sehr zum Unmut seiner Freundin Morgana, die schräg hinter ihm steht und stinkwütend aussieht. Statt aber ihren Freund zusammenzustutzen, zielt ihre Wut auf mich ab. »Verfluchte Nox«, zischt sie.

Ihren Worten folgt eine betretene Stille, die ich mit einem erhabenen Lächeln fülle. Ich habe früh gelernt, Morganas Beleidigungen zu ignorieren. Sie ist eine Wölfin, die nur heult. Vor zwei Jahren haben wir auf dem Schulhof eine Schlägerei angezettelt, und sie ist wie ein Feigling in den Wald geflüchtet, als ich ihr meine Faust ins Gesicht rammte. Es war eine dumme Aktion, das gebe ich zu. Ich wurde mehrere Wochen suspendiert. Meine Eltern aber lobten mich dafür, dass ich meine Würde verteidigte, und für meinen Bruder bin ich seither die ›Heldin der eisernen Faust‹.

Während Havana die Stille mit dramatischen Schwärmereien über den Prinzen füllt, spüre ich eine Berührung an meiner linken Schulter. Ich drehe mich um und blicke in die blassgrünen Augen meines Ex-Freundes Sam. Er bleibt in sicherem Abstand stehen und schenkt mir ein schiefes Grinsen. Heute sieht er außerordentlich gut aus. Der Duft nach Seife und einem herben Parfüm wehen zu mir herüber. »Meld dich mal, Ava.« Seine braunen Locken hängen ihm lässig in der Stirn, und er streicht sie in einer nervösen Geste zurück.

Mein Lächeln ist etwas reservierter. »Klar.«

Als Sam sich plötzlich vorbeugt und mir einen Kuss auf die Wange gibt, zucke ich leicht zurück. Ich kralle meine Fingernägel in die Handflächen, um keinen Fetzen Schattenmagie zu verlieren. Es ist nicht so, als wäre ich noch immer in Sam verknallt wie vor zwei Jahren, als er mich einfach im Stroh sitzen ließ, nur weil ich ein paar Halme in die Schatten verschlang. Und seinen linken Schuh. Aber so was passiert eben. Allerdings muss ich ihm zugutehalten, dass er mich nie verraten hat. Mein dunkles Geheimnis nämlich ist nicht nur ein Regelverstoß, sondern ein Skandal und rüttelt an den Grundfesten unserer Weltordnung. Einer Weltordnung, in der Menschen uns mit Eisen kontrollieren. Nicht jedoch mich.

»Avalon.« Sam ist verschwunden, stattdessen baumelt ein gefüllter Jutebeutel vor meinem Sichtfeld. Der Duft nach frischen Brötchen kriecht in meine Nase. Die kupferblonden Locken der Bäckerin leuchten in der frühherbstlichen Morgensonne wie Feuer. »Damit du gut nach Onyxair kommst, Liebes.«

»Danke, Guinevere.« Ich verstaue den Beutel mit dem Gebäck in meinem Rucksack. »Das ist –«

Ich werde von Jäger Severus unterbrochen, der hinter der Bäckerin auftaucht und die Frau rücksichtslos beiseiteschiebt. »Avalon«, sagt er mit dunkler Stimme und legt seine großen Pranken auf meine Schultern. Unter dem Gewicht knicke ich fast ein. »Ich gebe dir nun den besten Rat, den du bekommen kannst, Mädchen.« Er deutet erst auf seine Augen und dann auf meine. »Verliere nie dein Ziel aus den Augen. In der Jagd wie im Kampf existieren nur du und das Ziel.« Seine Pupillen befinden sich so dicht vor mir, dass ich nichts anderes mehr sehe. »Verstehst du, Mädchen? Die mentale Verbindung ist das Wichtigste.«

Severus wird mich wohl noch »Mädchen« nennen, wenn ich so alt bin wie die Wahrsagerin. Angeblich brachte er mich mit bloßen Händen auf die Welt, weil unsere Hebamme schwer erkrankt war. Seither behandelt er mich wie seine Tochter und stutzt jeden zurecht, der mich wegen meines Nox-Mals ärgert. »Ich werde es beherzigen, Severus.«

Daraufhin grinst er zufrieden und befreit mich von seinen gigantischen Händen.

»Avalon!« Die Stimme meines Vaters klingt eindeutig angespannt. Vielsagend deutet er auf mein Tuch, das offen im Wind flattert. »Die Eskorte ist gleich da.«

Doch statt das Tuch zu befestigen, eile ich zu Kit und schließe ihn in meine Arme. Er trägt eines unserer Küchenhandtücher auf dem Kopf und sieht damit absolut lächerlich aus. Stolz hält er mir einen mit Taschentüchern umwickelten Gegenstand entgegen. Als ich das Geschenk annehme, kann ich fühlen, dass es eine Kerze ist. »Damit die Schatten dich nicht fressen.«

Nun laufen doch die Tränen über meine Wangen, obwohl ich das vermeiden wollte. Dies hier ist ein glücklicher Abschied. Aber als ich in die Gesichter meiner Eltern blicke, ist sie da. Die Traurigkeit. Auch wenn Vater und Mutter versuchen, meine Begeisterung zu teilen, können sie den Schmerz des Verlusts nicht verbergen. Natürlich kenne ich den Grund für ihre Wehmut. Jeder kennt ihn, auch wenn niemand darüber spricht. Nicht heute. Nicht hier. Shadowflames sterben früh. Manche halten fünf Jahre durch. Manche zehn. Länger als vierzehn Jahre kämpfte kein Paar. Es ist die Magie. Sie zehrt den Körper auf. Wir kämpfen hart und kurz. Und sterben als Helden.

Doch lieber habe ich ein spektakuläres Leben mit einem legendären Ende als ... nun, das hier. Das Leben, das mein Vater führt und zu dem möglicherweise auch mein Bruder verdammt ist. Ein Leben in Fesseln, auf ewig gefangen in einem abgelegenen Dorf, in dem jeder Tag dem anderen gleicht. Mit einer geraubten Identität. Wie ein gewöhnlicher Mensch. Dabei sind wir alles andere als das.

Ich verteile Küsse auf Kits Gesicht, woraufhin er mich angeekelt von sich schiebt. Über seinen angewiderten Gesichtsausdruck muss ich lachen, doch es bleibt mir im Hals stecken, als ich eine unangenehme Präsenz hinter mir spüre. Widerwillig drehe ich mich zu unserer Wahrsagerin um. Katarina Tremain legt ihre rauen, faltigen Hände um mein Gesicht, und ihre Lider flattern.

»Ich sehe Tod«, wispert sie, und ihre Augen verdrehen sich auf diese fiese Art, als ob sie sich jeden Moment über mir erbricht. »Flammen. Asche. Dunkelheit. O so viel Finsternis ...«

Eine unangenehme Gänsehaut kriecht meine Wirbelsäule hinab, und ich packe ihre Handgelenke. »Danke, Katarina. Das klingt faszinierend, aber ich muss jetzt –«

»Ich werde Euch töten!« Katarinas Stimme klingt nun erschreckend wie meine eigene. Ihre Lider öffnen sich, und statt ihrer Iriden ist da nur das Augenweiß.

»Lass das, Katarina.« Vater reißt mich von ihr fort. »Spar dir das für die Taverne auf. Von uns bekommst du keine Kupfermünze.« Er richtet mein Tuch, bindet es fest um mein Haar und zieht es zusätzlich über meine Stirn, sodass mein Gesicht im Schatten liegt. »Alles in Ordnung, Ava?«

»Avalon Valkyr!«, schallt es durchs Dorf, und mein Herz macht einen erschrockenen Satz. Wegen dieser Verrückten habe ich verpasst, wie die Eskorte einfährt.

Als ich mich umdrehe, stehen drei imposante Kutschen auf der Straße. Sie sind mit Fahnen des Königreichs geschmückt und bestehen komplett aus Eisen. Wie Gefängniswagen. Ein kaltes Gefühl verdrängt meine Vorfreude. Auch die Pferde sind mit Eisen beschlagen. Die Krieger, die sich vor ihnen positioniert haben, tragen die typische Rüstung der Königsgarde. Kaum eine Stelle ist frei von Eisen, und das Gesicht ist durch ein Visier geschützt. Selbst die Waffen sind aus Eisen. Schlagstöcke, Pfeil und Bogen und Fesseln.

Befürchten sie, ich würde fliehen? Weiß der König nicht, dass ich barfuß und ohne Proviant den Weg zur Shadowflame-Akademie antreten würde? Für mich ist dies ein Weg in die Freiheit.

»Avalon Valkyr!«, wiederholt ihre Anführerin in einem Ton, der sofortiges Handeln verlangt.

Das ganze Eisen macht mich nervös, aber ich lasse mir nichts anmerken. Ich straffe die Schultern, hebe das Kinn und trete vor. »Avalon Valkyr.« Ich hoffe inständig, dass niemand sieht, wie heftig mein Herz pocht. Innerlich vibriere ich.

»Sind Sie bereit für die Abreise?« Mit ihren stahlgrauen Augen mustert mich die Kriegerin minutiös durch den Schlitz des Visiers. An meinen Haaren bleibt ihr Blick hängen und verdunkelt sich. Ich hätte wohl doch besser Vaters Hut angezogen.

»Bereit«, antworte ich mit fester Stimme.

»Mehr als das«, murmelt Sam hinter mir.

»Sie hatte schon letzten Monat alles gepackt!«, ruft Havana kichernd.

»Psst ...«, zische ich.

»Ist Besuch erlaubt?« Kit tritt selbstbewusst vor und stellt sich einem der Krieger entgegen. Mein kleiner Bruder fürchtet sich kein bisschen vor dem gigantischen Mann mit dem gruseligen Visier und den mächtigen Waffen.

»Kit!« Mutter zerrt ihn zurück. »Das gehört sich nicht.« Nervös stopft sie seine Locken unter das Küchentuch und zieht es ihm so tief ins Gesicht, dass er dahinter verschwindet.

»Steigen Sie ein, Nox«, kommandiert die Kriegerin.

Nox. Schattenmagierin. Ab jetzt werde ich nur das sein. Die Schattenmagie wird mein Leben ausfüllen. Bis ich selbst zum Schatten werde. Und zur Hälfte eines tödlichen Ganzen.

Ein letztes Mal drehe ich mich um. Vater nickt mir auffordernd zu, ein besorgter Zug um seinen Mund. Mutters Lippen hingegen umspielt ein stolzes Lächeln, während Kit unter seinem Küchentuch breit grinst und beide Daumen in die Höhe hält. Mein Blick schweift über das Dorf, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin und jeden Tag meines Lebens verbracht habe. Über die Menschen, mit denen ich es geteilt habe.

Lächelnd wende ich mich schließlich nach vorn. Ich stolziere zu den Kriegern, die mich in ihre Mitte nehmen und zu einer der Kutschen führen. Mit einem großen Schritt trete ich ins Wageninnere, und sofort wird die Tür hinter mir zugeschlagen.

Kurz schnürt es mir die Luft ab. Dicke schwarze Gardinen verhängen die winzigen Fenster zu beiden Seiten. Ich reiße sie auf und bin erleichtert, als ich wieder die Sonne sehe und den Staub der Straße rieche. Weit beuge ich mich aus dem Fenster. Und da sehe ich sie. Meine Familie. Meine Heimat. Ich winke ihnen, und sie winken zurück, rufen zum Abschied.

Als wir anfahren, rennt Kit hinter den Eisenwagen her, wedelt wild mit den Armen, bis er in einer Wolke aus trockener Erde verschwindet, die die Pferde aufstäuben. Wir nehmen an Geschwindigkeit auf, und die Menschen werden kleiner, bis sie nur noch winzige Punkte am Horizont sind. Als wir schließlich aus der Talschlucht biegen, lasse ich Muriel hinter mir. Und mit ihm mein bisheriges Leben.

Kapitel 3: Willkommen an der Shadowflame-Akademie

Überwältigend. Das ist das erste Wort, das mir einfällt, als wir aus dem Schatten der Berge auftauchen und auf eine gepflasterte Straße einbiegen, die geradewegs nach Onyxair führt. Die nachtschwarzen Kuppeldächer des Palasts heben sich vom blauen Himmel ab, und auf jedem dieser Dächer glänzt ein goldener Stern im Sonnenlicht. Tag und Nacht. Licht und Schatten. Der Palast von Khisfire wurde vor über tausend Jahren errichtet und symbolisiert die in unserem Land heimischen Magien, als würden sie noch immer über das Königreich herrschen. Als hätte die Herrschaft von Lux und Nox nicht vor fünfzig Jahren geendet.

Doch nun, da ich dieses gigantische Bauwerk betrachte, das majestätisch über unser Reich wacht, erfasst mich ein ungeahnter Stolz. Stolz auf ein Erbe, das mir so fremd ist und dennoch tief in mir verwurzelt. Wir haben diesen Palast errichtet. Schatten- und Lichtmagier. Eine Architektur, die beide Mächte in sich vereint und in beeindruckender Weise repräsentiert. Vor dem großen Verrat von Nox an Lux müssen wir also in Frieden gelebt haben. Wir sind nicht verdammt, uns ewig in Feindschaft zu begegnen und dabei die Menschheit in den Ruin zu treiben.

Ich beuge mich noch ein Stück weiter aus dem Fenster, während die eisernen Räder der Kutsche unsanft über die Steine holpern. Hinter dem Palast, an einem steilen Berghang, entdecke ich die Shadowflame-Akademie. Sie sieht genauso aus, wie ich sie auf zahlreichen Zeichnungen gesehen habe. Eine Eisenfestung, gehauen in den schwarzen Schieferstein. Sie strahlt Macht, Stärke und Erhabenheit aus und hängt bedrohlich über der Stadt. Eine Waffenschmiede.

Ich kann meine Augen nicht von dem atemberaubenden Anblick lösen, und als ich das nächste Mal blinzle, fahren wir bereits unter dem goldenen Torbogen hindurch in die Hauptstadt. Laute Trommelschläge lassen den Wagen erzittern. Menschen säumen die Straßen und drehen sich nach uns um, während wir uns in eine Kolonne aus Eisenwagen einordnen.

Ob es auch zukünftige Shadowflames sind? Ob Lichtmagier darunter sind?

Alles an meinem Körper beginnt zu kribbeln, und ich hoffe inständig, es ist nur die Aufregung und nicht meine Magie. Reflexartig hebe ich meine Hand zum Gruß. Doch die Blicke der Menschen verfinstern sich, und sie wenden sich von mir ab, stecken verstohlen die Köpfe zusammen. Ich war auf Ablehnung vorbereitet, dennoch trifft sie mich nun wie ein Schlag in die Magengrube. Sich des Hasses bewusst zu sein und ihn selbst zu erleben, ist etwas ganz anderes. Schnell wickle ich das Tuch enger um meinen Kopf und ziehe mich ins Wageninnere zurück.

Ich weiß, Muriel ist eine Perle in einem Meer aus Hass, Vorurteilen und strikten Gesetzen. Berechtigt, sicherlich, immerhin brachten wir Tod und Leid über unser Volk. Aber wenn wir die Vergangenheit nicht ruhen lassen können, wie sollen wir je friedlich miteinander auskommen? Der König kann uns nicht ewig in Fesseln halten. Erst beim diesjährigen Erntefest hörte ich, wie ein fahrender Händler von einigen Schattenmagiern berichtete, die eine Rebellion an der südlichen Koralinküste anzettelten. Sie befreiten sich von ihrem Eisen und verschlangen mehrere Menschen in den Schatten. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir aufbegehren. Allein der Gedanke, ich müsste ein Leben führen wie Vater ... Möglicherweise würde ich auch ausbrechen.

Nein. Ganz sicher würde ich ausbrechen.

Versteckt hinter der Gardine beobachte ich das Treiben auf den Straßen. Immer mehr Kutschen gesellen sich zu uns. Achtzig Magier, alle in meinem Alter. Außerhalb meiner Familie habe ich nur gelegentlich andere Schattenmagier getroffen. Hauptsächlich Freunde meines Vaters. Doch die Besuche wurden immer sporadischer, bis sie irgendwann ganz ausblieben. Magier seiner Generation sterben früher als gewöhnlich. Es ist das Eisen, sagt Vater. Es sei nicht gut. Nicht auf die Dauer.

Als wir in den Palast einfahren, lehne ich mich wieder vor. Der Palasthof ist riesig, wahrscheinlich so groß wie die gesamte Fläche unseres Dorfes. Auf einem Rondell, das aus hellen und dunklen Marmorfliesen gemacht ist, stehen so viele Krieger, wie ich noch nie gesehen habe. Ein Meer aus Eisen. Mit einem Ruck kommen wir zum Stillstand, und ich stecke sorgfältig meine Haare unters Tuch, ehe sich die Wagentür öffnet.

Mit pochendem Herzen steige ich die Treppe hinab. Meine Knie zittern leicht. Ich achte auf eine aufrechte Haltung und folge den Kriegern über das von der Königsgarde bevölkerte Rondell, bis wir vor einer breiten Treppe haltmachen, die zum Eingang des Palasts hinaufführt. Ein goldener Teppich liegt über den Stufen aus. Die große Flügeltür aus massivem Gold ist wie unser Wappen gestaltet. Links der Tag. Rechts die Nacht. Die zahlreichen Sterne wurden kunstvoll in das Edelmetall eingraviert, ebenso wie die Strahlen der Sonne.

Ich will den Blick über die übrigen Anwärter schweifen lassen, aber meine Krieger versperren mir einen Großteil der Sicht. Die Magier werden wie ich über den Platz eskortiert und in ihre Position vor dem Palasteingang gebracht. Keiner kommt mir nah genug, damit ich das Stirn-Mal erkennen könnte. Zudem tragen fast alle Mützen oder Tücher wegen des schneidenden Windes. Allerdings fällt mir auf, dass viele von ihnen einfache Kleidung tragen, manche erscheinen sogar richtig abgerissen. Kein Magier ist reich, als Geschäftspartner sind wir nicht sonderlich beliebt, und jeglicher Besitz wurde uns nach dem Krieg genommen.

Ich erhasche einen Blick auf eine Magierin, deren Kleid von den salzigen Meeresböen aufgebauscht wird, sodass ihr Höschen hervorblitzt. Ein Junge schräg hinter mir trägt eine löchrige Leinenkluft, die einem Kartoffelsack ähnelt. Ängstlich sieht er sich unter seinem zerrissenen Gesichtsschleier um. Ein Nox. Das Mädchen neben ihm trägt nur eine kurze Lederhose sowie ein hauchdünnes Baumwollhemd und zittert am ganzen Körper. Unter einem akkurat geschnittenen grasgrünen Pony trifft sich ihr Blick mit meinem, und als ich ihr ein aufmunterndes Lächeln schenke, ernte ich nur eine gequälte Grimasse.

Die Emotionen, die in der Luft hängen, lassen sich förmlich greifen. Die Anspannung und Nervosität. Wir sind die zehnte Generation zukünftiger Shadowflames, alle fünf Jahre werden Magier üblicherweise für den Krieg rekrutiert. Kaum einer weiß, was uns erwartet. Was an der Akademie gelehrt wird und wie es gelehrt wird, dringt nicht nach draußen.

Ich will mich wieder dem Palast zuwenden, als sich plötzlich eine Entourage direkt hinter uns platziert und die Sonne verdunkelt. Die Magierin in ihrer Mitte grinst mich an. Ihre Augen schillern wie geschliffener Bernstein, schwarze Locken schauen unter einer grobgestrickten Wollmütze hervor. Das Mädchen ist in einen überdimensionierten Pullover mit zahlreichen Mottenlöchern gekleidet und trägt abgenutzte Stiefel, die ihr fünf Nummern zu groß sind.

»Kalt hier«, bemerkt sie augenzwinkernd, während ich nicht aufhören kann, ihre Mütze anzustarren. Eigentlich will ich nur das Mal sehen, das darunter verborgen ist. »Das hat mir keiner gesagt.« Bibbernd umschlingt die Magierin ihren Oberkörper und klappert geräuschvoll mit den Zähnen. »Du wirst zur großen Kriegerin. Du wirst bald ins Gras beißen. Aber nicht, dass es hier arschkalt ist.«

»Das Nordmeer bringt die Kälte.« Ich lasse meinen Rucksack von den Schultern gleiten und hole die Pelzweste heraus, die Severus mir zum Abschied geschenkt hat. »Nimm die.«

Die Magierin reißt ungläubig die Augen auf. »Wahnsinn.« Andächtig streichelt sie das butterweiche Wolfsfell. Ihre Hände sind auffallend schwielig und der Eisenring noch stärker zerkratzt als der meines Vaters. »Willst du die nicht selbst tragen?«

»Ich brauche sie nicht.« Ich betrachte die Löcher-Landschaft in dem Leder ihrer Stiefel, durch die nackte Haut blitzt. »Gib sie mir einfach später wieder.«

Sie nimmt mir die Weste ab, legt sie sich über die Schultern und streichelt andächtig das warme Fell. »Danke ...« Ihre Augenbraue wandert fragend empor.

»Avalon.« Ich strecke meine Hand aus. »Avalon Valkyr. Nenn mich Ava.«

»Shae. Shae Godiva.« Ihr Blick bleibt an meiner Stirn haften, nur kurz, aber lang genug, um mein Mal zu identifizieren. Ich kann keine Reaktion in ihrem Gesicht ablesen. Keine Furcht.

Also ist sie eine Nox.

»Freut mich, Ava.« Sie umfasst meine Hand, und ihre Finger sind in der Tat eiskalt. Als wir uns berühren, wandert ein eigenartiges Prickeln über meine Haut, das noch nachwirkt, als wir uns wieder loslassen. Solch eine Empfindung hatte ich noch nie, weder bei Kit noch bei Vater.

»Woher stammst du?« Ich schüttle unauffällig meine Hand, um das Kribbeln loszuwerden.

»Aus der Xenai-Wüste. Wir leben als Nomaden.« Kein Wunder, dass Shae friert. Die Xenai-Wüste ist ein heißer Landstrich vor dem Schattengebirge und befindet sich somit direkt an der Grenze zu Thyrris. »Und du?« Shae begutachtet meine Aufmachung, und ihr Mundwinkel zuckt amüsiert. »Lass mich raten. Du wohnst in Onyxair und bist die neueste Flamme von Prinz Othello.«

Ich quittiere ihren überheblichen Unterton mit einem bösen Blick. »Mein Vater hat für die Fertigung dieser Kleidung sehr lange gespart.«

»Hey, das sollte kein Vorwurf sein.« Shae kuschelt sich zufrieden in meinen Pelz. »Ich bin nur überrascht, dass es Magier gibt, die nicht am Rande der Gesellschaft durch den Staub kriechen. Also, woher stammst du?«

»Ein winziges Dorf. Muriel.«

»Nie gehört.«

»Es ist ziemlich abgeschieden.« Ich will meinen Rucksack schließen, als ich den Jutesack sehe. Während der Fahrt war ich so sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich das Gebäck nicht angerührt habe. Ich greife hinein und halte ein Rosinenbrötchen in die Höhe. »Hast du Hunger?«

Shae entgleiten die Gesichtszüge. »Du bist der Wahnsinn, Ava.« Gierig greift sie nach der Backware. »Ehrlich. Ich liebe dich jetzt schon.«

Der Typ in dem Kartoffelsack blickt neidisch in unsere Richtung. Vaters Stimme hallt durch meinen Kopf, als ich die vernichtenden Blicke der Krieger hinter ihren Visieren bemerke. Werde nicht zum Problem.

Ich schließe meinen Rucksack und schultere ihn wieder. Krümel bedecken Shaes Lippen, als sie schmatzend nach vorn deutet, und ich wende mich der Treppe zu.

In diesem Moment tritt der König aus dem Tor. Ryu Roark herrscht seit dem Kriegsende und kämpfte sogar im Krieg. Er war damals Befehlshaber über eine Militäreinheit der Menschen, die sich Lux und Nox mit Eisen bewaffnet entgegenstellte. Was bedeutet, dass er viele Magier hinrichtete. Möglicherweise sogar meine Großeltern. Der dreiundsiebzigjährige Herrscher überlebte seine beiden Töchter, und somit wanderte die Thronfolge zu seinem Enkelsohn Othello.

Ryu hat etwas Bedrohliches an sich. Das schüttere silbergraue Haar flattert im Wind, den langen Bart hat er unter dem Kinn geflochten. Zum Anlass trägt er eine edle Robe in Schwarz und Weiß, ein Brustpanzer aus Eisen blitzt darunter hervor. Der Blick aus seinen sturmgrauen Augen schweift über die Magier zu seinen Füßen, und darin liegt etwas zutiefst Kaltes und Brutales. Er hat zahlreiche Schlachten geschlagen, im eigenen Reich und an der Grenze. Wie viel Tod und Leid er gesehen haben muss. Ob ich in ein paar Jahren auch solch eine Härte ausstrahle?

Ich werde töten müssen, früher oder später, und ich hoffe, dass ich gut damit zurechtkomme. Wie man mit dem Töten umgeht, macht einen guten Krieger aus, so sagte mir Severus. Es darf einen nicht zerstören, aber auch nicht kaltlassen. Und auf keinen Fall darf es einen abstumpfen. Eine gesunde Beziehung zum Tod ist wichtig, und man muss hinter der Tat stehen. Wissen, was man schützt und warum.

»Herzlich willkommen!« Der König breitet die Arme aus, und seine tiefe Stimme rollt über uns hinweg. Sie ist hart und schmetternd, wie sein Blick. »Verehrte Lux!« Ryu Roark deutet auf die Türhälfte mit der Sonne. »Verehrte Nox!« Er schwenkt zum Mond. Als würden die Menschen des Reichs von Lux und Nox nicht wissen, welche Magie wem zugehörig ist. »Mit Stolz heiße ich euch heute in Onyxair und in meinem Palast willkommen!«

Mein Palast? Mich stört etwas an dem Bild eines Menschen vor einer Kulisse, die jahrhundertelang von Magiern geprägt wurde, die in der heutigen Politik von Khisfire aber nicht eine einzige Stimme besitzen.

»Achtzig junge Magierinnen und Magier«, fährt er fort. »Eine Generation, die in Frieden aufgewachsen ist und uns Menschen nähersteht als je zuvor. Nach Jahrhunderten der Feindschaft zwischen Lux und Nox, die in einem Akt des Verrats ihren Höhepunkt fand und in einem zerstörerischen Krieg endete, sind wir auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Die Schuld der Magie wird beglichen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Wunden werden geheilt. Es ist ein langer Prozess, aber wir machen es gut.«

Der König legt eine Pause ein, und ich frage mich, ob er Applaus erwartet. Seine Worte klingen wie ein massiver Vorwurf. Als wäre es unsere Strafe, heute hier zu sein. Und zum ersten Mal bröckelt etwas von meinem unbändigen Stolz, eine Shadowflame zu werden. Ich kämpfe für mein Volk, um etwas von dem abzugeben, was ich seit meiner Geburt in mir trage. Weil ich es als meine Aufgabe empfinde. Nicht als eine Pflicht, um eine Schuld zu begleichen, die nicht meine ist. Ich habe keinen unverzeihlichen Verrat begangen. Können wir die Vergangenheit hinter uns lassen? Wenn Schuld uns motiviert, Shadowflames zu werden, werden wir kaum erfolgreich sein.

»Ihr baut unser Vertrauen in die Magie wieder auf. Ein Vertrauen, das vor fünfzig Jahren jäh zerbrochen ist.« Der König – so habe ich das Gefühl – kennt nur eine Mimik. Grimmig. Wirklich willkommen fühle ich mich bei ihm nicht. Ich hoffe inständig, dass sein Enkel bald Ryus Amt übernimmt und sich einige Dinge ändern werden. Immerhin ist Prinz Othello kaum älter als wir und kennt den Krieg nur vom Hörensagen. »Wir legen unser Leben in eure Hände, zukünftige Shadowflames.« Der König faltet die Hände über dem eisernen Brustpanzer. »Und ihr gebt eures für uns. Wir wissen euren Mut zu schätzen. Euer Opfer wird geehrt. Seid euch versichert.«

Abermals entsteht eine Pause, und diesmal höre ich zaghafte Klatscher. Nach und nach stimmen auch die anderen mit ein, und ich folge ihrem Beispiel. Die Rede ist mir sauer aufgestoßen, aber meinen Stolz trübt das ewige Herumreiten auf der Vergangenheit nur minimal. Auf diesen Moment habe ich gewartet, seitdem ich weiß, dass die Shadowflames existieren. Und den lasse ich mir nicht nehmen. Ich kämpfe nicht für Ryu Roark. Ich kämpfe für mein Volk.

***

Wir verlassen den Palasthof und fahren in einer gigantischen Kolonne den Schieferberg hinauf. Je näher wir der Akademie kommen, desto bedrohlicher wirkt sie. Zwei Meter dick sind die Eisenmauern, die sie umschließen. Die Krieger schleusen uns durch zwei separate Eingänge und sterile Korridore aus Beton und Eisen, bevor unser Marsch im Speisesaal endet. Ich bin nicht überrascht, dass auch hier die Wände, der Boden und sogar die Möbel aus Eisen bestehen. Augenscheinlich ist jegliche Magie außerhalb des Trainings unerwünscht. Die Decken sind niedrig, Licht kommt ausschließlich durch winzige Gitterfenster. Da sie Richtung Norden rausgehen, gibt es kein direktes Sonnenlicht. Dämmerzone. Die Trennung zwischen Nox und Lux ist deutlich zu sehen. Die Tischgruppen auf der linken Seite sind mit Kerzen ausgestattet, auf der rechten Seite verbleiben sie im Dunklen.

Ich werfe einen verstohlenen Blick zu den Magiern, die auf der anderen Seite in den Saal strömen. Mein Herz nimmt an Fahrt auf, als ich das erste Lux-Mal erblicke, direkt zwischen den rostroten Augenbrauen eines Mädchens. Das Symbol des Lichts ist eine strahlende Sonne. In weißer Tinte wird es unter die Haut gestochen, so wie unser Halbmond in schwarzer Tinte. Doch bis auf das Mal kann ich nichts Ungewöhnliches an der Magierin feststellen. Ich betrachte ein weiteres Gesicht und dann noch eines. Und verspüre leichte Enttäuschung, als ich feststellen muss, dass die Lux aussehen wie wir.

Was habe ich erwartet?

»Viel Erfolg, Nox«, wünscht mir die anführende Kriegerin, ehe sie mich ohne einen weiteren Kommentar verlässt.

Kurz bin ich irritiert, dass ich plötzlich allein bin. Frei. Darf ich machen, was ich will? Darf ich ... mit einem Lux reden? Doch an den Wänden stehen sie aufgereiht – Krieger in ihren Eisenrüstungen, das Visier heruntergeklappt. Was glauben sie, was hier geschieht? Dass jemand in Flammen aufgeht? Wir einen der Stühle in die Schatten verschlingen? Wir tragen Eisen und sind umgeben von Eisen. Man kann es auch übertreiben.

Unschlüssig lasse ich den Blick schweifen. Es gibt zwei Buffets. Eine lange Reihe an Eisennieten, die sich durch den Boden zieht, markiert die Grenze zwischen Lux und Nox. Auch andere Magier stehen unbeholfen da und werfen nervöse Blicke zur Gegenseite. Als ein Mädchen mit kirschrotem Haar und langem schwarzem Wollmantel schnurstracks zum Buffet der finsteren Seite schreitet, folge ich ihrem Beispiel. Ich greife mir einen Teller und betrachte das Angebot. Es ist erschreckend still im Saal. Nur das Klappern von Geschirr und Scharren von Metallstühlen ist zu hören.

Als sich hinter mir jemand einreiht, reiche ich dem Magier einen Teller an. Der scheint so erleichtert über diesen minimalen Sozialkontakt, dass er erleichtert die Luft ablässt. Seine sommersprossigen Lippen kräuseln sich zu einem zurückhaltenden Lächeln. Das Nox-Mal blitzt zwischen seinen feuerroten Locken hervor, ein Strohhut mit breiter Krempe hängt an einem Band um seinen Hals. Der Magier trägt ein bodenlanges schwarzes Leinenkleid und klobige Sandalen, aus denen seine verdreckten Zehen ragen.

»Ich bin Avalon.« Ich reiche ihm die Hand.

Sein Lächeln wird breiter, und er schüttelt meine Hand mit solch einem Enthusiasmus, dass ich fast meinen Teller fallen lasse. Einer seiner Schneidezähne ist halb herausgebrochen, was ihm ein unfreiwillig komisches Aussehen verleiht. »Bo.«

»Bo?«

Er nickt, sieht sich wachsam um und beugt sich dann zu mir. »Kurz für Bodriguero Odruizo«, flüstert er in mein Ohr.

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Deine Eltern wollten es dir schwer machen, was?«

Er zieht eine Grimasse. »Das kannst du laut sagen.«

Ich werfe einen Blick über seine Schulter, wo sich brav Magier an Magier reiht. Ich habe das Gefühl, unser Flüstergespräch hallt durch den gesamten Saal. »Komisch, oder?«

»Was meinst du?« Bo greift nach Messer und Gabel und reicht mir das Besteck. »Die Lux? Die gesichtslosen Krieger?« Er hält sein Eisenbesteck mit spitzen Fingern in die Höhe und betrachtet es mit erhobener Augenbraue. »Das ganze Eisen?« Verstohlen sieht er sich um. »Oder die unheimliche Stille?«

Ich lache, und meine Anspannung löst sich ein wenig. »Ja, das alles.«