Blood Moon Rising: Die mitreißende Fantasy Romance-Dilogie in einem Bundle! - Liz Skadi - E-Book

Blood Moon Rising: Die mitreißende Fantasy Romance-Dilogie in einem Bundle! E-Book

Liz Skadi

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Rebellin mit der Magie von Königinnen.  Ein Prinz mit dem Wunsch nach Veränderung.   Ein tödlicher Wettlauf um die Krone. Melinoé ist eine Mondkämpferin – und die größte Feindin der Königin. Denn sie trägt Magie in sich, mit der sie ihre Heimat, die Islá Lûna, vor der zerstörerischen Macht des Mondes schützen kann. Doch angeblich sollen nur Frauen der Königsfamilie diese Magie beherrschen können und allein Melinoés Existenz gleicht somit einem Hochverrat an der Krone. Um am Leben zu bleiben, soll Melinoé auf Geheiß der Königin den Prinzen Astello töten. Obwohl traditionell Frauen auf dem Thron sitzen, will er am bevorstehenden Blutmondritual teilnehmen, einem Kampf um die Krone. Allerdings lässt sich der Prinz nicht so leicht töten, wie sie zunächst annimmt. Und nicht nur die Erkenntnis, dass Astello ähnliche Ziele wie sie verfolgt, machen ihn für Melinoé immer interessanter. Er weckt Gefühle in ihr, die sie nicht ignorieren kann – und plötzlich muss Melinoé entscheiden: Geht es um ihre Freiheit, oder doch um viel mehr?  Die Blood Moon-Reihe ist eine Enemies to Lovers Slow Burn Romantasy mit einer starken Anti-Heldin, He-falls-first-Vibes und einem mitreißenden Wettkampf um den Thron.   //Diese E-Box enthält alle Bände der fesselnden Romantasy-Dilogie. -- Band 1: Blood Moon Rising: Kampf um die Krone  -- Band 2: Blood Moon Falling//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



www.impressbooks.de Die Macht der Gefühle

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses E-Book ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch lizensiert und wurde zum Schutz der Urheberrechte mit einem digitalen Wasserzeichen versehen. Das Wasserzeichen beinhaltet die verschlüsselte und nicht direkt sichtbare Angabe Ihrer Bestellnummer, welche im Falle einer illegalen Weitergabe und Vervielfältigung zurückverfolgt werden kann. Urheberrechtsverstöße schaden den Autor*innen und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH, Völckersstraße 14-20, 22765 Hamburg © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2024 Text © Liz Skadi, 2024 Coverbild: Depositphotos / © AuthorRazvodovska / © Authorspaxiax / © Authoryulan / © Authormikeaubry / © AuthorLukassek Shutterstock / © delyrie / © Aleksandra Vinogradova Covergestaltung der Einzelbände: Jaqueline Kropmanns ISBN 978-3-646-61178-6www.impressbooks.de

© Privat

Liz Skadi kam 1985 im Ruhrgebiet zur Welt. Als früher Bücherwurm lernte sie mit Asterix und Obelix lesen, erlebte schaurige Abenteuer mit dem kleinen Vampir und brachte bereits als Kind ihre eigenen Geschichten zu Papier. Später studierte sie Archäologie und Politikwissenschaft und arbeitete bei den Vereinten Nationen, ehe sie ihre Leidenschaft für das Schreiben wiederentdeckte und sich dem Erschaffen fremder Welten widmete. Liz hat eine Vorliebe für eigenwillige Kick-Ass-Heldinnen, (düster-)magische Welten von High bis Urban Fantasy, Drachen und nicht-toxische Romanzen. Sie ist ein absoluter Serienjunkie und Profi im Prokrastinieren, powert sich gern beim Kickboxen aus und ohne Espresso ist sie nur ein halber Mensch. Zudem schwört sie auf die Heilkraft von Schokolade. Heute wohnt sie in Hamburg, reist am liebsten um die Welt und schreibt fantastische Geschichten für junge Erwachsene.

Wohin soll es gehen?

Vita

Blood Moon Rising. Kampf um die Krone

Blood Moon Falling. Prüfungen der Göttin

Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Liz Skadi

Blood Moon Rising. Kampf um die Krone (Blood Moon Rising 1)

Eine Rebellin mit der Magie von Königinnen.

Ein Prinz mit dem Wunsch nach Veränderung.

Ein tödlicher Wettlauf um die Krone.

Melinoé ist eine Mondkämpferin – und die größte Feindin der Königin. Denn sie trägt Magie in sich, mit der sie ihre Heimat, die Islá Lûna, vor der zerstörerischen Macht des Mondes schützen kann. Doch angeblich sollen nur Frauen der Königsfamilie diese Magie beherrschen können und allein Melinoés Existenz gleicht somit einem Hochverrat an der Krone. Um am Leben zu bleiben, soll Melinoé auf Geheiß der Königin den Prinzen Astello töten. Obwohl traditionell Frauen auf dem Thron sitzen, will er am bevorstehenden Blutmondritual teilnehmen, einem Kampf um die Krone. Allerdings lässt sich der Prinz nicht so leicht töten, wie sie zunächst annimmt. Und nicht nur die Erkenntnis, dass Astello ähnliche Ziele wie sie verfolgt, machen ihn für Melinoé immer interessanter. Er weckt Gefühle in ihr, die sie nicht ignorieren kann – und plötzlich muss Melinoé entscheiden: Geht es um ihre Freiheit, oder doch um viel mehr?

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Playlist

Meet me where the moon kisses the earth.

Prolog

»Und so erhob Nyxá sich aus dem ewigen Feuer und formte ein Eiland, das sie Edán nannte. Paradies.«

Die alten Insel-Legenden (Chrônicá Edán I)

Der Mond, so heißt es, sei ein alter Freund. Der treueste aller Sterne schützt uns vor der nächtlichen Finsternis, vertreibt die bösen Monster und wiegt uns mit seiner stillen Melodie in einen geruhsamen Schlaf. Glücklich dürfen sich jene schätzen, die an diese Worte glauben und unter dem fahlen Silberlicht ihre Träume ausleben.

Sie haben nie die dunkle Seite des Mondes gesehen.

Es gibt Momente, da beneide ich sie. All jene, die auf unserem alten Kontinent verblieben sind, anstatt sich in ein ungewisses Abenteuer zu stürzen, von dem sie nie zurückkehren würden. Diese Momente jedoch sind flüchtig wie Sternschnuppen und verglühen ebenso schnell. Denn ich bin das Kind ebendieser Meute lebensmüder Weltentdecker, die sich vor fünfhundert Jahren auf die Suche nach einer legendären Insel gemacht haben, die nur in ihren Albträumen existierte. In meinem Herzen schlägt ihre Tapferkeit, durch meine Adern rauscht ihre Leidenschaft und in meinen Muskeln ruht ihr Kampfgeist. Mein Körper und meine Seele sind tief verwurzelt mit diesem grauenvollen Ort. Meiner Heimat.

Der Islá Lûna.

Seit jeher rankten sich Legenden um die Insel des Mondes. Eine schauriger als die nächste. Bettgeschichten, die wochenlange Schlaflosigkeit garantieren. Und doch waren es weder Hungersnot noch Kriegsflucht, die die wagemutige Atálas-Expedition an den schwarzen Lavastrand der Sichelbucht spülte. Unsere ehrgeizigen Mütter und Väter wollten eine neue Zivilisation in unberührter Natur gründen. Die Illusion einer gerechten Gesellschaft und friedlichen Zukunft trieb sie an.

Bis die erste Nacht hereinbrach. Und sie am eigenen Leib erfahren mussten, dass alle Legenden wahr sind.

Zu ihrem Unglück erwischten die Pioniere den Mond in seiner mörderischsten Phase. Dem Blutmond. Blôdá Lûna. Alle zwei Dekaden erobert er für acht Nächte den Himmel und löscht jedes Leben aus. Doch statt zu fliehen, entschieden unsere Vorfahren sich für den Kampf und boten dem gefräßigen Mond die Stirn. Zwei Dutzend erlebten die erste Morgendämmerung. Siegreich aber war nur eine. Stella Ráy. Die junge Frau erklomm unter den unerbittlichen Angriffen des blutenden Monds den glutspeienden Vulkan, der sich majestätisch in der Mitte der Insel erhebt. An seiner herausgebrochenen Spitze angekommen – dort, wo der Mond die Erde küsst – schöpfte sie mit der bloßen Hand aus einem brodelnden See und verleibte sich die Macht der Insel ein. Magíy Dêa.

Von jener Nacht an herrschte Stella Ráy als Königin über die Islá Lûna, so wie ihre Tochter und deren Tochter nach ihr. Die Frauen der Krone waren seit jeher das nächtliche Bollwerk gegen den Mond in all seinen Phasen, der Schutzwall unserer rasant wachsenden Stadt Cardìanéra. An unserem Schicksal allerdings änderte Stellas Sieg nichts. Der Mond terrorisiert uns von der Geburt bis zum Tod und beherrscht uns selbst dann noch, wenn wir längst Sterne am Nachthimmel sind.

Wehe derjenigen, die sich ihm entgegenstellt.

Wehe derjenigen, die sich seine göttliche Macht einverleibt.

Wir tun es dennoch. Denn ohne den Kampf – wären wir nur feiger Sternenstaub. Einst schwor ich, mit dem Schwert in der Hand zu sterben, so wie meine Mutter und ihre Mutter vor ihr. Wir sind die Strahlen der Sonne. Wir sind die Sterne am Nachthimmel. Wir kämpfen, bis der Mond hinter dem Horizont versinkt. Gestern, heute und in alle Ewigkeit.

Ilsouý naigro sì.

Meine Seele bekommst du nicht.

Ich bin Aylin Noxáy. Kind der Nacht. Mondkämpferin. Rebellin. Mutter. Dies ist nicht meine Geschichte. Doch jede Geschichte braucht einen Anfang.

***

»Wir müssen sie töten«, wispert Elaine. Die junge Heilerin zittert so heftig wie eine Schattenweide im Sturm. »Es ist unverantwortlich. Das Neugeborene wird ihren Leib als Dämon verlassen. Die Ausgeburt des Mondes wird uns alle zerfetzen!«

Meine Hand schnellt vor wie ein Mondblitz. Erschrocken zuckt Elaine zurück, als meine Fingernägel sich in das zarte Fleisch ihres Handgelenks bohren. Das Mondgift in meinem Blut färbt die Adern unter meiner aschfahlen Haut tiefschwarz.

»Wir warten …«, presse ich mühsam hervor, während sich die Schmerzen der Wehen mit jenen abwechseln, die das Gift in meinem Körper verursachen. »… bis der letzte blutrote Mondstrahl … hinter dem Horizont … versinkt.«

Meine Seelenkämpferin Beatrix schiebt die vor Angst schlotternde Elaine beiseite und hockt sich neben mich, erneuert das feuchte Tuch auf meiner fiebrigen Stirn. »Wie lange willst du noch leiden, Aylin?« Der Ton ihrer Stimme ist streng. In ihren smaragdgrünen Augen, die sonst Kampfeslust ausstrahlen, erkenne ich tiefe Besorgnis. »Er wird nicht kommen«, flüstert sie eindringlich. »Das Gift in deinem Blut hat längst dein ungeborenes Kind erreicht. Wenn der Dämon deinen Bauch verlässt, könnte er –«

Ich packe die oberste Schnalle ihrer Rüstung und ziehe Beatrix zu mir hinab. »Er wird kommen!« Eine erneute Schmerzwelle überrollt mich. Mein Schrei lässt die Gläser an der Weinbar klirren und mischt sich mit jenen der Opfer des Blutmondes, die in den Gassen der Stadt ihr Leben aushauchen.

»Es ist so weit.« Beatrix umfasst meine Beine, drapiert ein Handtuch unter mir und legt ein Messer bereit. »Elaine! Bring mir Mônsud. Sofort!«

Krachend schlägt die Tür der Weinbar auf. Das Geschrei und Chaos der Gasse wehen in einer heißen Böe hinein. Schwer hängt die Bitterkeit der Blutmondmagie in der schwülen Luft. Mühsam hebe ich den Kopf, blinzle den Schweiß aus meinen Augen. Hinter Beatrix’ Schultern erkenne ich im Schein des blutroten Mondlichts eine vertraute Silhouette.

Trotz der Schmerzen, die mein Innerstes zerreißen, legt sich ein Lächeln auf meine Lippen. »Tristan!«

Nie habe ich an seinem Vorhaben gezweifelt. So irrsinnig es auch war.

»Ihr wollt euer Kind retten. Ich versteh das, Aylin. Aber Tristan schafft es keine zwei Meter in den Nebelwald«, prophezeite Beatrix, nachdem ich sie in Tristans Plan eingeweiht hatte: während des royalen Blutmondrituals zum Quell der Magíy Dêa zu pilgern, um mir das heilige Wasser zu bringen. »Wenn ihn nicht der Mond trifft, wird ihm eine der Prinzessinnen den Kopf abschlagen. Er ist ein Mann, Aylin!«

Als Tristan versucht, zu mir durchzukommen, verstellen ihm Ragnas Türsteherinnen den Weg. Ich strecke den Arm nach ihm aus, mein Unterleib verkrampft sich. »Lasst ihn durch!«, schreie ich meine nächste Wehe hinaus.

Zögerlich lassen die Mädchen ihre Waffen sinken. Tristan stolpert zu mir, kommt schlitternd auf die Knie. Seine mondfarbenen Augen reflektieren das flackernde Licht der Kerzen, die Elaine entzündet hat. Ich finde keine Furcht in seinem Blick. Nur eiserne Entschlossenheit und unerschütterlichen Mut. Wie ein wahrer Mondkämpfer.

Nie war ich stolzer auf ihn.

Wir werden leben. Das Baby wird leben.

»Ich wusste, dass du es schaffst.« Ich lege meine Hand an seine Wange. Seine Haut fühlt sich klebrig an. Blut tränkt sein silberblondes Haar. Die Lederkleidung ist zerrissen, eine klaffende Wunde prangt über seinem Herzen, eine Brandblase überzieht seine rechte Schulter. Ich kann nur erahnen, welche Strapazen er erleiden musste. Durch welche Hölle er gegangen ist. Doch das alles ist nicht mehr wichtig. »Ich wusste es, Tristan.«

»Der Mond konnte mich nicht aufhalten.« Er gibt mir einen Kuss, ehe seine rauen Lippen sich an mein Ohr legen. »Trink es«, wispert er mit brüchiger Stimme und drückt mir ein Glasgefäß in die Hand. »Jetzt.«

Verstohlen schirme ich das Fläschchen vor den anderen Frauen ab. Eine Flüssigkeit schwappt darin. Sie ist rot wie Blut und glitzert wie zerstoßene Sterne. Wasser aus dem Heiligen See des Vulkans, geschöpft zum Blutmond. Ich spüre einen heftigen Tritt im Unterleib, presse die Zähne zusammen und öffne mit zittrigen Fingern den Verschluss. Tristan hilft mir, das Fläschchen an meine Lippen zu setzen. Während Beatrix die Sicht auf uns versperrt, kippe ich den Inhalt hinunter.

Heiß wie Lava rinnt die Flüssigkeit meinen Rachen hinab. Ein heiserer Schrei entbrennt in meiner Kehle. Das Glas entgleitet meinen Fingern und zerschellt am Boden. Keuchend ringe ich um Luft, während die Magie sich in meinen Adern ausbreitet und das Gift verdrängt, mit dem der Mond vor zehn Nächten meine Unachtsamkeit bestrafte. Die schwarzen Linien auf meiner Handfläche bekommen ein Eigenleben und das Blut unter meiner Haut brodelt, ehe die dunkle Färbung langsam verblasst. Die Tritte gegen meine Bauchdecke werden stärker. Wehen wallen durch meinen Körper, wechseln sich mit Wogen der Magie ab. In meiner Pein konzentriere ich mich auf Tristans festen Händedruck und seine geflüsterten Worte.

»Wir sind die Strahlen der Sonne«, wispert er den Leitsatz der Mondkämpferinnen in mein Ohr. »Wir sind die Sterne am Nachthimmel. Wir kämpfen von unserem ersten bis zu unserem letzten Atemzug und wenn unser Herz den Kampf verliert, übergeben wir ihn unserer Seele. Wir kämpfen, bis der Mond hinter dem Horizont versinkt. Gestern, heute und in alle Ewigkeit. Ilsouý naigro sì.« Seine Stimme bricht, bevor er abschließt. »Unsere Seelen bekommst du nicht, Lûna. Unsere nicht.«

Und dann – plötzlich – ist es vorbei. Die kochende Hitze in meinen Adern weicht einer wohltuenden Kälte. Schmerz wandelt sich in Stärke. Der nahende Tod ergibt sich dem Leben. Ich schließe meine Augen, atme tief ein. Mich umgibt der Duft nach Bitterkeit. Und Blut.

Magíy Dêa.

Ich hebe meine Lider und sehe mich von dichtem Nebel umhüllt. Blutrot wabert er um uns, dringt in den Schornsteinschacht und schwebt hinauf in den Himmel. Ein unmissverständliches Zeichen. Alle zwei Dekaden wird der rötliche Nebel, der von der Rotunde des Mondpalastes emporsteigt, mit Bangen erwartet. Bleibt er aus, steht eine gefährliche Regierungsperiode an – mit einer Königin ohne Magie. Einer Verliererin. Der daheimgebliebenen Prinzessin, die nur als Absicherung dient, falls keine ihrer Schwestern das Blutmondritual überlebt.

Jeder wird den Nebel sehen.

Rexáy Nèva. Eine neue Königin ist erwacht.

Beatrix beugt sich über mich und leuchtet mir mit einer Flamme in die Augen. »Es hat funktioniert«, flüstert sie ehrfürchtig. »Aylin, du hast die Magie angenommen. Sie hat dich geheilt!«

Brüsk wische ich ihre Hand beiseite. Die Kerze fliegt aus Beatrix’ Fingern und erlischt. »Hol sie heraus!« Meine Stimme klingt fest und befehlend wie vor dem Mondangriff. Ich bin die Anführerin der Mondkämpferinnen des Sichelviertels. Durch mein Blut fließen unbändiger Kampfgeist und … Magie. »Sofort, Beatrix!«

Ein Poltern zu meiner Rechten lässt mich den Kopf wenden. Ragna – Inhaberin der Weinbar, die heute Nacht in ein Geburtshaus umfunktioniert wurde – rollt einen schweren Stein vor den Kamin, um ihn zu verschließen. Doch der blutrote Nebel ist bereits in Freiheit. Und für die ganze Stadt zu sehen.

Ragna wirbelt zu uns herum. Ihr feuerrotes Haar konkurriert mit dem magischen Nebel. Die bernsteinfarbenen Augen funkeln erbost. »Aylin!« Sie reißt ihr Schwert aus dem Gürtel und stürmt auf uns zu. »Was hast du getan?!« Entsetzt blickt sie von mir zu Beatrix. »Was habt ihr getan?«

»Eine Frau der Insel gibt niemals kampflos auf!« Ich packe ihr Handgelenk und ziehe sie zu mir hinab. »Niemals!«

In ihren glühenden Augen erkenne ich pure Mordlust. Sie hadert mit sich, ob sie mir ihre Schwertklinge durch die Brust stoßen soll. So, wie es ihre Pflicht wäre. Immerhin habe ich den schlimmsten Frevel begangen, den eine Frau der Insel begehen kann. Nur durch königliche Adern darf Magíy Dêa fließen.

Doch in unserem Viertel schreiben wir unsere eigenen Gesetze.

Ragnas Kopf schnellt zur Seite. »Versiegelt Türen und Fenster!«, bellt sie ihre Befehle an die Mädchen. »Holt alle Mondkämpferinnen herbei! Wir bekommen königlichen Besuch.«

Während ihre Befehle weitergetragen werden, überrollt mich eine letzte Wehe. Ich spüre sie kaum. Da sind keine Schmerzen mehr, nur ein erregendes Pulsieren von Macht. Man sagt sich, Magíy Dêa würde eine Königin nicht nur mächtig und unbesiegbar machen, sondern auch einen Teil ihrer Menschlichkeit nehmen. Sie in ein skrupelloses und kaltherziges Geschöpf verwandeln.

Doch es heißt ebenso, dass eine gewöhnliche Frau sich die Macht der Insel nicht einverleiben kann. Dass ein Mann niemals das Blutmondritual überlebt. Dass die Königin uns in alle Ewigkeit vor dem Mond beschützt.

Heuchlerisches royales Pack.

Ich drücke Tristans Hand und bereite mich auf das vor, was gleich meinem Leib entspringen wird. Meine Sorge aber ist unbegründet. Tristan stößt einen überraschten Freudenruf aus und im nächsten Augenblick höre ich den Schrei eines Babys. Meines Babys.

»Melinoé«, hauche ich und strecke die Arme nach ihr aus. Beatrix legt das Bündel in meine Arme. Schwarze Augen leuchten mir entgegen wie der sternlose Nachthimmel an Neumond. Darüber jedoch wabert ein blutiger Schimmer. Geboren mit Magíy Dêa.

»Sie besitzt Magie.« Vorsichtig berührt Tristan ihre Wange. »Aylin, wie kann das sein?«

Doch ich schweige. Tränen der Erleichterung und des Glücks laufen meine Wangen hinab. Melinoé. Kleine Heldin.

»Sie scheint gesund«, haucht Elaine. »Kein Mondgift in den Adern. Aber sieh dir ihre Augen an …«

Beatrix umfasst mein Kinn, zwingt meinen Kopf in die Höhe. »Ihr müsst weg, Aylin«, sagt sie eindringlich. »Die Königin wird sie töten. Uns alle!«

Widerstrebend nicke ich und lege Melinoé in Tristans Arme. Fest drückt er sie an seine Brust, während Beatrix mir aufhilft. Trotz der Geburt fühle ich mich so stark und gesund wie vor dem Mondangriff. Elaine wirft mir einen Umhang über und ich wickle ihn geschickt um meinen Körper, sodass ich Bewegungsfreiheit habe. Kurz strauchle ich auf dem Boden, der glitschig ist vom Blut und Fruchtwasser, und steige in die Stiefel, die Ragna mir bereitstellt.

»Aylin«, flüstert Tristan gedämpft. In seinen mondfarbenen Augen sehe ich Angst aufflackern. Melinoé liegt so friedlich in seinen Armen, als befänden wir uns nicht mitten in der tosenden Hölle einer Blutmondnacht. »Wir müssen sie verstecken. Falls wir … den Kampf verlieren.«

Ein Donner erschüttert das Haus. Dicke, ätzende Mondtropfen landen auf dem Dach der Bar, hämmern gegen den Stein wie Hagel. Die Schreie in der Gasse werden lauter und qualvoller.

»Tristan hat recht, Aylin.« Ragna breitet ihre Arme aus, drängt uns in Richtung der Hinterzimmer. »Ihr müsst euch verstecken.«

Elaine will mich stützen, doch ich reiße mich los. »Ich werde nicht fliehen!« Ich ziehe ein Schwert aus dem Gürtel der Heilerin. »Ich werde kämpfen.«

»Du hast frisch entbunden!«, ruft Elaine entsetzt aus.

In diesem Moment öffnet sich ein Loch in der Wand neben dem Weinregal und ein schwarzer Lockenschopf lugt heraus. »Mama?« Beatrix’ Tochter sieht mit großen smaragdgrünen Augen zu uns auf. Sie ist erst zwei Jahre alt, aber in ihrem Gesicht spiegelt sich der Kampfgeist der Inselfrauen. Mit einer Hand hält sie einen kleinen sichelförmigen Dolch umklammert. »Darf ich mitkämpfen, Mama?«

»Nein, Alix. Du wirst still sein«, entgegnet Beatrix barsch, eilt zu dem Geheimversteck und sieht über ihre Schulter zu mir zurück. »Aylin. Das Baby!«

Melinoé hält Tristans Finger fest umklammert und sieht neugierig zu mir auf. Auch wenn mein Herz schmerzt, gebe ich ihr einen Kuss auf die Stirn und reiche sie Beatrix. Tristan legt mir einen Arm um die Schultern und zieht mich an sich, während meine Seelenkämpferin unser Kind in den Schoß ihrer Tochter bettet. Alix schlingt ihre kleinen Arme um das Bündel. Ich erhasche einen letzten Blick in Melinoés nachtschwarze Augen, ehe Beatrix den Verschlussstein vor das Versteck schiebt.

Ich wische meine Tränen fort und sehe zu Tristan auf. »Für Melinoé.«

»Für Melinoé.« Er lehnt seine Stirn gegen meine. Auch seine Wangen sind von Tränen genässt. In dem Silber seiner Augen finde ich die Liebe, die ich schon bei unserer ersten Verabredung darin fand. Tristan Ilésan. Edelsteinjäger. Mann meiner Wahl. Ein Herz weich wie Moos und ein Wille wie eine Mondkämpferin.

»Wir treffen uns, wo der Mond die Erde küsst«, haucht er gegen meine Lippen.

Unser Kuss wird unterbrochen, als die Tür aus den Angeln gerissen wird. Ich wirble herum, reiße das Schwert empor. Zu spät. Eine Welle der Magie schwappt über mich, Stühle und Tische fliegen durch die Luft. Ich verwurzle mich mit dem Boden, halte Tristans Hand fest in meiner. Steinbrocken lösen sich von der Decke und donnern auf uns nieder. Für einen Moment bebt die Welt. Nachdem der Staub sich gelichtet hat, sind Ragnas Mädchen tot. Blutüberströmt liegen sie bei der Tür, ihre Gliedmaße seltsam verdreht.

Mit der Königin kann sich niemand messen. Nicht mal eine Mondkämpferin. Immerhin muss die stärkste Frau der Insel mächtig genug sein, dem Mond selbst die Stirn zu bieten. Im Türrahmen jedoch steht nicht unsere alte Königin – sondern Prinzessin Celeste.

Unsere neue Königin.

Wer hätte das gedacht? Niemand hat bei der Wette um das Blutmondritual seine Mondtaler auf ihren Namen gesetzt. Celeste. Vierzehn Jahre. Jüngste von fünf Schwestern. Sie war immer die Unauffälligste. Die Zarteste.

Doch eine Frau der Insel darf man nie unterschätzen. Niemals.

Tristan fängt ein letztes herumfliegendes Stuhlbein auf, während Ragna und Beatrix ihre Waffen ziehen. Gemeinsam stellen wir uns der neuen Königin entgegen. Celestes mondblasses Haar weht im bitteren Wind, Fetzen blutroten Nebels umgeben sie. Über ihren silbernen Augen liegt ein rötlicher Schleier. Aufmerksam mustert sie uns Frauen, würdigt Tristan hingegen keines Blickes. Brodelnde Wut schäumt unter ihrer hübschen Perfektion.

Sie versteht. Versteht, was hier geschehen ist. Sieht das Blut, mich und den Umhang, den ich trage.

Sie versteht.

»Wo ist das Kind?« Celestes Stimme klingt zart, fast trügerisch sanft, im Untergrund jedoch schwingt eine Warnung mit, die selbst der taffsten Mondkämpferin einen kalten Schauer über den Rücken jagt.

Dennoch schweigen wir. Ich bin die Erste, die einen Schritt vortritt. Statt einer Antwort hebe ich mein Schwert.

»Wo ist das Kind?!«, donnert Celeste. Die Worte kommen tief aus ihrem Bauch heraus, sind dunkel und warnend. Blutrote Magie entweicht jeder Pore ihrer Haut. Magie, die sie sich soeben einverleibt hat. Dieses Mädchen gewann den mörderischen Wettlauf quer über die Insel, schlug ihre vier älteren Schwestern, erklomm den brodelnden Vulkan, trank aus dem Heiligen See – und überlebte. Nun ist sie mächtig wie eine Göttin. Nur ihr Stolz kann in diesem Moment mit ihrer Stärke konkurrieren.

Doch Stolz habe ich auch.

Ich trete einen weiteren Schritt auf sie zu. »Wenn du sie willst, musst du erst mich töten.«

Celestes Mundwinkel zuckt verächtlich. Die feinen Züge ihres Gesichts weichen einer harten Maske. Den ersten Magieblitz kann ich mit meiner Klinge abwehren. Der zweite trifft Tristan in die Brust. Mit einem lauten Kampfschrei stürme ich auf die Königin zu, will ihr das Herz herausreißen. Eine Woge bitterer Magie hält mich davon ab und reißt mich von den Füßen. Orientierungslos wirble ich durch die magiegetränkte Luft, bevor ich hart auf dem Boden aufkomme. Hustend robbe ich vorwärts, schiebe mich durch mein eigenes Blut. Meine Lunge fühlt sich schwer an, mein Körper ist von zahlreichen Blitzen getroffen. Ich glaube, ein Bein zu vermissen. Meine Finger tasten nach Tristans Hand, die blass und leblos in der staubigen Dunkelheit auftaucht. Sanft drücke ich sie.

Wir kannten die Risiken. Dennoch haben wir das Unmögliche gewagt. Eine Frau der Insel gibt nicht auf. Niemals. Und ein Mann auch nicht.

»Bringt mir das Kind!« Das Gekreische der Königin dringt wie aus weiter Ferne zu mir. »Tot oder lebendig!«

Müde hebe ich den Blick. Hinter dem Schleier des nahenden Todes erkenne ich die unscheinbare Ritze in der Wand, hinter der meine Tochter ihr Leben erst beginnt. Ich könnte schwören, über die Klagerufe der Mondopfer und das Donnern der Magie einen Babyschrei zu hören.

Ja. Wir haben alles riskiert. Und wir waren siegreich.

»Sei stark, Melinoé«, flüstere ich. »Kämpfe. Lebe. Verdränge den Mond mit jeder Nacht deiner Existenz.« Meine Lider werden schwer. Tristans steife Finger entgleiten mir. »Wir treffen uns, wo der Mond die Erde küsst«, hauche ich in einem letzten Atemzug.

Kapitel1

Neumond

»Nyxá gebar zwei Mädchen, die Zwillingsschwestern Lillitú und Lûna. Gemeinsam bildeten sie die Trias von Edán.«

Die alten Insel-Legenden (Chrônicá Edán I)

Wieso nur habe ich eingewilligt?

Ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.

Eine Falle. Das war mein erster Gedanke, als ich den Brief mit dem königlichen Siegel in Händen hielt. Die Königin aber bot mir ein Treffen bei Neumond an, der einzigen Nacht im Monat ohne Magie, in einer Bar tief im Sichelviertel. Meiner Heimat. Jeder Bürger im Radius von zwei Meilen würde sein Leben für meines geben.

Unschlüssig hocke ich auf der Dachkante eines Wohnhauses und beobachte den Eingang von Ragnas legendärem Weinparadies. Der schwarze Lavastein, aus dem ganz Cardìanéra erbaut ist, hat die Hitze der Sonne gespeichert und wärmt mich wie ein gut befeuerter Ofen. Die Dunkelheit der Nacht streichelt meine Haut, der langsam abkühlende Wind trägt den Duft nach gebratenem Fleisch, Anis und Alkohol mit sich. Lûna Nèva. Des Neumonds trügerischer Frieden.

Eine Böe lüftet meine Kapuze und ich schaue empor. Dorthin, wo der Mond über die Islá Lûna herrscht, lang bevor wir dieses Eiland besiedelten. Heute aber besprenkeln einzig die Sterne den tiefschwarzen Himmel. Wie ein schützender Baldachin breiten sie sich über der Stadt aus und bilden markante Sternbilder. Ihnen wohnen spezielle Mächte inne, die uns bei unserem nächtlichen Kampf unterstützen. Die alten Insel-Legenden besagen, Sterne sind die Seelen jener, die Lûna zu sich holte. Unser Kampf endet niemals. So mancher verabschiedet sich als Sternschnuppe. Die meisten aber strahlen in alle Ewigkeit, in der Hoffnung, ihn irgendwann zu besiegen. Unseren alten Feind.

Lautes Gelächter lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Glas zersplittert, als irgendwo eine Flasche zu Bruch geht. Einige Meter entfernt torkeln ein paar junge Mädchen durch die Gassen, genießen die mondlose Nacht. Rhythmische Trommelmusik schallt aus den Bars und Gaststätten, lässt das Sichelviertel vibrieren. Die tiefen, dumpfen Schläge erfüllen nicht wie üblich den Zweck, den Mond zu vertreiben, sondern Gäste anzulocken und die ohnehin angeheiterte Stimmung anzukurbeln. Harmloses silbernes Licht beleuchtet die große Einkaufsstraße in der Ferne. Neumond ist die lebhafteste Nacht des Monats. Beinah scheint sie unwirklich. Nicht von dieser Welt. Unbehelligt, frei und sorglos schlendern Frauen durch die Gassen Cardìanéras und feiern, bis der Morgen anbricht und sie erschöpft in ihre Betten fallen. Selbst Männer sind unterwegs, erledigen ihre Monatseinkäufe, baden auf der Liegewiese im schwarzen Mond oder gehen Vergnügen nach, die ihnen sonst verwehrt bleiben.

Unglücklicherweise hat diese friedliche Atmosphäre einen fetten Dämpfer bekommen, als die Königin höchstpersönlich vor zehn Minuten durch die Gasse stolzierte und das Weinparadies betrat. In Begleitung zweier Wächterinnen.

Zwei. Mehr nicht.

Nachdenklich spiele ich mit dem Dolch in meiner Hand. Die raffiniert geschliffene Klinge aus grünem Turmalin – das Werk unseres Edelsteinschleifers Sòreen – ist mit frischem Mondlicht angereichert. Der silberne Griff in Form eines Sichelmondes liegt kühl und sicher in meiner Handfläche. Die verbotene Waffe wird mir heute Nacht zwar keine magischen Dienste leisten, ebenso wenig wie das Mondschwert aus pinkem Saphir an meiner Hüfte, – die scharfen Klingen aber könnten mühelos den hübschen Kopf der Königin von ihrem Körper trennen. Auch das magische Amulett an meiner Halskette und die eintätowierten Sternbilder auf meiner Haut können mir in dieser dunkelsten und magielosesten aller Nächte nicht helfen. Doch ihr auch nicht.

Also wieso?

Die Königin ändert ihre Taktik. Zwanzig Jahre schon rinne ich zwischen ihren Fingern hindurch wie Mondlicht. Mein Kopfgeld ist mittlerweile auf fünftausend Mondtaler angewachsen. Fünftausend! Davon könnte man eine geräumige Villa im Vollmondviertel erwerben, bis zum letzten Tag erlesenen Blutmond-Burgunder genießen und butterzartes Hüftsteak des Sichelhirschs schlemmen. Und doch hat mich nie jemand verraten. Obwohl von Léandre, dem einäugigen Fischerjungen am Hafen, bis zu unserer Heilerin Cressida, die laut eigener Aussage über zwei Jahrhunderte auf den Schultern trägt, jeder Bewohner des Sichelviertels weiß, wer ich bin – und wie er mich finden kann.

Aufmerksam tasten meine Augen die unter mir liegende Gasse bis auf die letzte Abflussritze ab. Ich entdecke nichts Außergewöhnliches. Einige Frauen unserer vierteleigenen Patrouille. Ein paar umherhuschende Ratten, streunende Katzen und Hunde. Die Tiere freuen sich, eine Nacht außerhalb der unterirdischen Gänge verbringen zu dürfen, die all unsere Keller miteinander verbinden. Sie werden in den Stunden des Mondes von Jungen und Männern bewohnt, die keine Magie tolerieren – auch keine Schutzmagie – und Lûna besonders hilflos ausgeliefert sind.

In meinem inneren Zwiespalt wende ich mich schließlich Ragna zu. Mit verschränkten Armen und zweifelnd erhobener Augenbraue lehnt die Rothaarige gegen den Türrahmen ihrer Weinbar. Ragna ist eine der unangefochtenen Anführerinnen des Viertels. Mit ihren fünfundfünfzig Jahren ist sie eine fähige und erfahrene Mondkämpferin. Ihre beeindruckenden Muskeln konkurrieren selbst mit jenen der Kämpferinnen der Krone. Sie ist stolz darauf, Barbesitzerin, Mondkämpferin und Türsteherin in einem zu sein.

Ragna misstraut der Königin und diesem ominösen Treffen. Eine natürliche Reaktion. Jeder Bewohner des Sichelviertels, der bei Verstand ist, misstraut Celeste. Sechsundzwanzig Nächte im Monat wirft sie uns dem Mond zum Fraß vor, weil ihre magische Schutzglocke, die eigentlich ganz Cardìanéra überdecken sollte, an der Grenze zu unserem Viertel endet. Angeblich, weil ihre Magíy Dêa für einen umfassenden Schutz nicht ausreicht. Stattdessen befüllt sie zu Vollmond den Brunnen auf unserem Marktplatz mit Schutzmagie und verkauft uns dieses pompöse Spektakel noch als große royale Geste der Mütterlichkeit. Schade nur, dass diese Schutzmagie exakt acht Stunden wirkt. Verlässt Celeste den Marktplatz und entschwindet wieder in den Luxus ihres Palasts, sind wir nur noch flitzende Ratten unter dem mörderischen Mondlicht.

Mit einem sanften Kopfschütteln signalisiert Ragna mir, dass ich die Sache abblasen soll. Sicherlich, dieses Treffen mag ein Fehler sein. Möglicherweise mein letzter. Doch wie üblich siegt Neugier über Argwohn. Ich streife die Kapuze zurück und spanne meine Muskeln an. Die Geduld der Königin ist aufgebraucht. Dies hier ist ein Verzweiflungstreffen. Und ich bin gespannt, wie ihr unschlagbares Angebot aussieht.

In einer geschmeidigen Bewegung lasse ich mich vom Dach fallen und lande federnd auf der Straße. Wie alle Gassen Cardìanéras wurde sie mit Lava aufgegossen und glattgebürstet, ehe sie versteinerte. Während meines kurzen Wegs zur Weinbar werde ich von den neugierigen Augen einiger Mädchen verfolgt. Tuschelnd verdrücken sie sich in einen Hauseingang. Ein älterer Mann, der Körbe mit Gemüse nach Hause trägt, dreht sich verstohlen zu mir um und eilt zügig weiter.

Das Gerücht über mein Treffen mit der Königin hat schon die Runde gemacht, bevor ich die versiegelte Nachricht überhaupt in Händen hielt. Cardìanéra mag trotz ihrer hohen Sterberate eine imposante Stadt sein – die Geburt eines Mädchens wird von der Krone reich belohnt –, im Herzen jedoch ist sie ein Dorf, in dem ein Geheimnis gut behütet werden muss, um nicht ans Mondlicht zu kommen. Nacht um Nacht vom Tod bedroht zu sein, schweißt zusammen.

»Ohne Gesichtsschutz?« Ragna drückt ihren Glimmstängel an der Hauswand aus und mustert mich mit einem prüfenden Blick. Seit vierzig Jahren sortieren diese bernsteinfarbenen Augen zuverlässig jede Krawallmacherin aus, erspähen jedweden Monddämon, der ihre berühmt-berüchtigte Weinbar ins Visier nimmt, und lesen den Grad der Alkoholisierung an der Pupille ab. »Riskant.«

Ich zucke mit den Schultern und deute mit der Dolchspitze zum schwarzen Brett bei der Eingangstür. Neben den üblichen An- und Verkaufszetteln, Wohnungsanzeigen und mehr oder weniger gut verschlüsselten Gesuchen und fadenscheinigen Angeboten von Schutztätowierungen, magischem Schmuck und Waffen hängen dort auch die königlichen Kopfgeldausschreibungen.

»Die Kopfgeldplakate werden immer hässlicher.« Ich reiße eines dieser Schmierzettel ab, auf dem mein Name steht, gemeinsam mit der unmissverständlichen Aufforderung: TOD ODER LEBENDIG. Darunter befindet sich eine Zeichnung, die beleidigender kaum sein könnte.

»Sie soll sich mein Gesicht einprägen.« Ich zerknülle den Steckbrief und werfe ihn ins nächste Rinnsal. »Wer weiß, vielleicht meldet sich jemand, wenn ich nicht aussehe wie ein ausgemergelter Straßenköter.«

Ragna lacht. Wegen ihres jahrzehntelangen Rauchens klingt es, als würden zwei schwere Mahlsteine aufeinander reiben. »Um fair zu bleiben: Als die Königin dich das letzte Mal sah, warst du ein ausgemergelter Straßenköter.«

»Ein Straßenköter, der ihre Existenz bedroht.« Ich überfliege das schwarze Brett und entferne drei Angebote für magische Tätowierungen. Es benötigt sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, um die Magie des Mondes einzufangen und unter die Haut zu brennen. Abgesehen von mir besitzen nur zwei weitere Frauen dieses Viertels entsprechende Fertigkeiten. Alle anderen sind heuchlerische Halsabschneiderinnen.

»Und unsere Ärsche seit sieben Jahren vor dem Mond rettet.« Die Barbesitzerin deutet mit ihrem verbliebenen Zeigefinger auf die zackige Narbe, die ihre linke Gesichtshälfte ziert. Ragnas feuerrotes Haar ist auf dieser Seite abrasiert, um die ehemalige Verletzung dramatisch hervorzuheben. Ein Mondblitz traf sie, als sie den Müll der Nacht entsorgte, nur drei Minuten, bevor die Sonne aufging. Zudem zählt ihre rechte Hand nur noch zwei Finger. Die anderen verlor sie an einen Monddämon, der es bitter bereute, Ragna angegriffen zu haben. Einer der Zähne dieser seelenlosen Raubkatze – spitz wie ein Dolch und groß wie ein Unterarm – ruht nun in einem Glaskasten an der Wand hinter der Bar.

»Ich hoffe, das wird auch so bleiben.« Den warnenden Unterton in Ragnas Stimme kenne ich nur zu gut. Immerhin sorgte die Barbesitzerin die ersten sieben Jahre meines Lebens für mich. Und ich war alles andere als gehorsam. »Mach keine Dummheiten, Mädchen.« Ragna wirft einen letzten prüfenden Blick die Gasse hinab und öffnet die Eingangstür mit einem Fußtritt.

Ich trete ein und mich empfängt die wohlvertraute, von Wein getränkte Luft. Fruchtig, süß und scharf zugleich füllt der Alkohol meine Lunge. Finley – unser Nachwuchsreporter des Viertels – behauptete einmal, er hätte bereits einen sitzen, wenn er sich an der Theke niederlässt. Da kann ich nicht mitreden. Die Magie in meinen Adern bewirkt, dass Alkohol nur eine geringe berauschende Wirkung auf mich hat. Zu meinem Leidwesen.

An der Bar herrscht gähnende Leere. Ich biege nach links ab und schiebe die schweren Samtgardinen beiseite, um den Sitzraum zu betreten. Das sonst gemütlich-heimische Ambiente, untermalt von fröhlichem Gelächter und dem Klirren von Gläsern, wird heute von einer kalten, unheilvollen Stille verdrängt. Ragnas pulsierendes Weinparadies ist verlassen wie sonst nur der Grenzstrich zwischen Sichelviertel und Nebelwald. Die Luft ist so spannungsgeladen, dass sie auf meiner Haut prickelt wie in der letzten Minute vor Sonnenuntergang. Die Lavasteinsäulen, die den großen Raum unterteilen, werden von einem silbernen Licht angeleuchtet, welches das Mondlicht imitiert. Ragna ist makaber. Und lebensmüde. Vor zwei Jahren wechselte sie aus einem Moment des Übermuts heraus – wir hatten die Bar erfolgreich gegen eine Meute Monddämonen verteidigt – die Nuance auf Rot. Blutrot. Die Farbe der gefährlichsten aller Mondphasen steht exklusiv der Königinnenfamilie zu. Ein Jahr saß Ragna im Kerker des Palasts ein. Bis heute ist mir ein Rätsel, wie sie es lebend in die Freiheit geschafft hat. Kaum ein Mensch, der in die königlichen Kerker hinabsteigt, sieht je das Tageslicht wieder.

Auf flüsterleisen Sohlen nähere ich mich unserer Königin, die es sich in ihrer düsteren Erhabenheit an einem Tisch in der Mitte bequem gemacht hat. Meine Frauen drängen sich in die schlecht ausgeleuchteten Ecken, nippen an ihrem Wein und unterhalten sich gedämpft. Sie geben sich unbeteiligt, doch ich weiß genau: Ihnen entgeht nichts. Nichts, was heute Nacht geschieht. Kein Muskelzucken oder verdächtiges Augenzwinkern. Sie sind die besten Mondkämpferinnen des Viertels und würden sofort eingreifen, sollte sich dieses unerfreuliche Rendezvous als Falle herausstellen.

Doch ich bezweifle, dass die Königin es heute Nacht auf einen Kampf anlegen wird. Sie mag die stärkste Frau Islá Lûnas sein – zu Lûna Nèva aber besitzt auch sie nur Muskeln und Verstand. So wie wir alle.

Wie zwei tödliche Giftpfeile bohren sich Celestes Augen in meinen Kopf. Das auffallende Silber ihrer Iriden und das schlohweiße Haar sind ein äußeres Merkmal der Königinnenfamilie, das durch die geschickte Wahl ihrer Koncùbinós – die berühmten royalen Samenspender – kultiviert wird. Ein Jammer, dass ausgerechnet Celestes älteste Tochter Esmeráy – unsere nächste Königin, sollte man dem derzeitigen Stand der Wetteinsätze für das Blutmondritual Glauben schenken – mit ihrem schwer zu bändigenden schwarzen Haar und Augen, die einer düsteren Gewitterwolke gleichen, aus der Reihe fällt. Lediglich die blasse Hautfarbe teilen wir alle. Als unsere Vorfahren vor langer Zeit an der Sichelbucht Anker legten, waren wir noch von der Sonne geküsst. Der Mond aber saugte unsere Farbe auf. So wie er alles aufsaugt.

Eingehend lasse ich meinen Blick über die Königin schweifen. An ihren muskulösen Körper schmiegt sich eine schwarze Lederrüstung mit blutrotem Brustpanzer und goldglänzenden Schulterplatten, die gefletschte Raubtiergebisse nachbilden. Über ihrer linken Brust prangt das königliche Wappen: der von zwei Händen gehaltene Vollmond. Das wuchtige Diamantamulett um ihren Hals und die augapfelgroßen Rubine, die in ihre Armreifen eingelassen sind, bersten vor Magie. Zahllose Sternbildtätowierungen aus flüssigem Mondlicht schmücken ihre alabasterfarbene Haut wie Buchstaben ein Pergament. Eine pompöse Krone aus Obsidian und Diamant – ein mit einem Schwert aufgespießter Vollmond – wiegt schwer auf ihrem zierlichen Kopf.

Celeste Ráy herrscht seit zwei Jahrzehnten über die Islá Lûna. Sie behauptete sich im tödlichen Wettlauf zum heiligen Vulkansee gegen ihre vier älteren Schwestern und gewann das Blutmondritual entgegen allen Wetten. Gerüchten zufolge fanden ihre Konkurrentinnen den Tod nicht durch den Mond, sondern durch die jüngste Thronanwärterin selbst. Bei Zwielicht wird in so mancher Bar gemunkelt, Celeste habe ihre letztverbliebene Schwester in den brodelnden Vulkansee geworfen. Es wäre nicht der erste Vorfall dieser Art – sollte man den Erzählungen der Alten Glauben schenken –, doch zeigt es zweifellos den skrupellosen Ehrgeiz unserer amtierenden Königin.

Auch jetzt finde ich in Celestes hübschem Gesicht Mordlust und pure Verachtung, gepaart mit nur schwer gebändigter Ungeduld. Blitzschnell unterziehe ich die beiden königlichen Wächterinnen, die sich im Schatten zweier Säulen verstecken, einer visuellen Leibesinspektion. Zwei gewaltige Schwerter aus Obsidian. Diverse Dolche. Je eine Armbrust. Wurfmesser wie Sterne am Himmel. Feuerfeste Rüstungen.

Sie wissen, mit wem sie es zu tun haben.

Am Tisch der Königin angekommen schnappe ich mir den freien Stuhl, drehe ihn herum, setze mich und verschränke die Arme über der Rückenlehne. Herausfordernd funkle ich Celeste an. Auf Demut kann sie bei mir lange warten. Ein rötlicher Schimmer überlagert ihre mondfarbenen Augen, je nach Lichteinfall intensiv wie Blut oder sanft wie ein Sonnenaufgang. Magíy Dêa. Meine Iriden sind schwarz wie Lavastein und somit ist der rote Schleier deutlich eindrucksvoller. Ob sie mich deshalb so anstarrt? Hat es ihr die Sprache verschlagen? Möglicherweise will sie sichergehen, dass ich keine Doppelgängerin bin. Immerhin hat die Königin mich seit meinem siebten Lebensjahr nicht mehr zu Gesicht bekommen. Damals war ich ein abgemagertes Ding, das von einem Erdloch ins nächste flüchtete und sich vor der Magie in ihrem Blut fürchtete.

Heute bin ich Melinoé Noxáy. Besser bekannt als Noé. Ärgste Feindin der Königin. Einzige Frau außerhalb der Königinnenfamilie mit Magíy Dêa in ihren Adern. Stolze Anführerin der Mondkämpferinnen des Sichelviertels.

Manche nennen mich sogar die wahre Königin Islá Lûnas.

»Bei unserem letzten Aufeinandertreffen hattet Ihr weniger Falten.« Ich schenke der Königin ein kaltes Lächeln. »Mute ich Euch zu viel Stress zu?«

Ihr Mundwinkel zuckt verächtlich. Die langen schwarzen Fingernägel bohren sich in den Lavasteintisch und ein unangenehmes Quietschen erreicht meine Ohren. Die Königin kann ihre Wut über die Demütigung, die ich ihr mit meiner alleinigen Existenz zumute, kaum verbergen. Mit offener Abscheu bleibt ihr Blick zwischen meinen Brüsten kleben. Im Gegensatz zu Ragna und allen anderen Frauen des Viertels habe ich meine Amulette heute Nacht nicht versteckt. An einer Kette um meinen Hals baumelt ein in Platin gefasster Rubin in Form einer Dolchspitze, angefüllt mit Magie. Ein Erbstück meines Vaters. Im Sichelviertel erzählt man sich, mein Vater wäre der beste Edelsteinjäger ganz Cardìanéras gewesen. Jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durchkämmte er den Nebelwald und fand neben gewöhnlichen Steinen auch seltene und solche, die exklusiv von der Krone beansprucht werden.

Doch der verbotene Edelstein ist nicht das Skandalöseste an mir, ebenso wenig wie die leuchtenden Sternbildtätowierungen. Es sind die blutroten Akzente an meiner hautengen Lederkluft, die der Königin förmlich ins Gesicht schreien, wie mir die Gesetze der Ráys am Allerwertesten vorbeigehen.

»Du trägst Magie in dir, die nur uns zusteht.« Celestes Stimme hat den unheilvollen Klang von Wellen, die ans Ufer eines mondbeleuchteten Sees schwappen.

»Wäre das wahr, wieso trage ich sie dann in mir?«

Die Königin beugt sich mit blanker Wut in den blutigen Augen vor. Ihre Kiefermuskeln zucken unter der bleichen Haut, ihre Krone wankt bedenklich. Als wolle der Vollmond sich geradewegs auf mich stürzen. »Deine Mutter hat das schwerste Verbrechen begangen, das –«

»Meine Mutter hat kein Verbrechen begangen.« Meine Dreistigkeit, ihr das Wort abzuschneiden, lässt Celeste verstummen. Ihr Brustkorb bebt. Sie bleckt ihre Zähne, als wolle sie mich auf der Stelle fressen. Mit Haut und Haar. »Nicht sie gewann das Blutmondritual, sondern –«

»Nimm diese Lüge in den Mund und es wird dein letzter Atemzug sein!« Die Königin donnert mit ihrer Faust auf die Tischplatte. Durch die ganze Aufregung gerät ihr Blut in Wallungen, wodurch mir die markante Tätowierung auf ihrer Stirn – das Corôná-Sternbild – mit voller Kraft entgegenleuchtet. Die beiden Wächterinnen in den Schatten rühren sich, ebenso wie meine Frauen. Bereit, mich zu verteidigen.

So weit aber will ich es nicht kommen lassen. Sollte jemand Hand gegen die Königin erheben, wird dieses Viertel in der nächsten Mondnacht Tatort eines blutigen Massakers werden, das niemand überlebt.

»Ich schweige nur über die Geschehnisse beim letzten Blutmondritual, um mein Volk zu schützen«, versuche ich die Wogen zu glätten. »Nicht, weil Eure Drohungen mir Angst machen.«

»Deine Existenz ist ein Frevel.« Mit einem Wink ihrer Hand gibt Celeste den Wächterinnen zu verstehen, nicht einzugreifen. Ihre hasserfüllten Augen wandern über mich. »Lûna wird dich holen.« Pure Verachtung liegt in ihren Worten. »Und sie wird dich richten.«

Ich habe mir die mächtigste Frau der Insel gefasster vorgestellt. Sicher, die Frauen des königlichen Bluts gelten als jähzornig und herrschsüchtig. Aber dass solch ein illegales Ding wie ich ihr furchtloses Gemüt derart erschüttert …

Sie muss mich mehr fürchten als den Mond selbst.

»Soll sie«, antworte ich leichthin, ramme meinen Monddolch in die Tischplatte und stiere die Königin in den Stuhl. »Ich mache ihr die Nächte seit sieben Jahren schwer. Soll Lûna ihre Rache bekommen. Aber nur ein Feigling kapituliert kampflos. Wenn du also möchtest, dass ich mein Knie vor dir beuge oder mich eigenhändig an den Mondmast binde – vergiss es, Königin.« Ich betone Königin in einer respektlosen Weise und lasse meinen Blick abfällig über ihren Körper schweifen.

Definitiv keine Falle. Sie wäre längst zugeschnappt. Diese Frau brodelt unter ihrer königlichen Perfektion. Liebend gern würde sie mich lynchen. Hier und jetzt, mit meinem eigenen Dolch. Celeste lässt sich nicht vorführen, nicht von einem verwaisten Mädchen mit unverhoffter Magie im Blut und nicht von der selbsternannten Mondkämpferin mit einer Armee kampfbereiter Frauen im Rücken. Der aufgespießte diamantene Mond auf ihrem Kopf – angefüllt mit Magie – ist eine unmissverständliche Kampfansage an Lûna höchstpersönlich. Unsere Königin fordert sie von ihrem ersten bis zu ihrem letzten Atemzug heraus und besitzt den Mumm, die Göttin dabei noch zu verhöhnen, indem sie ihre Magie auf dem Kopf trägt.

Mutig und stark. Furchtlos und tödlich. Frei von Skrupel und Moral. Verlogen und selbstverliebt. Das sind sie, die Königinnen der Insel. Und diejenigen, die es werden wollen. Das müssen sie sein, um zu überleben, und unser aller Überleben zu sichern. Schließlich sind nur sie dazu in der Lage.

So sagt man sich.

Eine gefährliche Lüge. Noch gefährlicher ist es jedoch, sie aufzudecken.

»Was wollt Ihr von mir?« Ich will dieses Treffen so kurz wie möglich halten. Ihre Gegenwart ist mir zuwider. Mörderin. Sicher, wir alle werden zu Mördern, wenn der Mond erwacht. Sie aber hat meine Eltern getötet. Und ich vergebe nicht. Lûna soll sich ihre Rache holen, erst aber bekomme ich meine. Irgendwann. Ja … irgendwann.

Celestes Blick bohrt sich in meinen wie zwei mit Blut überzogene Eiszapfen. »In vierzehn Nächten ist Blutmond«, schneiden ihre Worte scharf wie Wurfmesser durch die weingetränkte Luft.

»So weiß es jede Ratte in der Kanalisation«, erwidere ich tonlos.

Ich hasse es, im Unklaren zu sein, worauf dieses Treffen hinausläuft. Meine erste Vermutung wäre: Die Königin will mich dem Blutmond opfern. Aber sie wird kaum erwarten, dass ich mich freiwillig ergebe. Also wird sie mir etwas im Gegenzug anbieten.

Ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.

»Drei meiner Kinder werden am Blutmondritual teilnehmen.« Sie lässt mich nicht aus den Augen, während sie spricht. Ihre Fingernägel klackern ruhelos auf dem Steintisch. Noch immer brodelt es unter ihrer harten Schale. Doch ich habe das Gefühl, diesmal aus einem ganz anderen Grund.

»Drei?«, frage ich nach, auch wenn es mich einen feuchten Kehricht interessiert, wie viele ihrer sadistischen Töchter bei der königlichen Prüfung das Zeitliche segnen. Wenn alle drei dabei umkommen – umso besser.

»Mein Sohn Astello wird die Prüfung antreten«, presst die Königin sichtlich widerstrebend hervor. Hörbar atmet sie aus, nachdem sie die Worte gesprochen hat. Das Klackern ihrer Fingernägel wird eindringlicher und ein unterschwelliges Gemurmel dringt aus den Schatten.

Mir hingegen entgleiten die Gesichtszüge. Ich kann diese ungewollte Gefühlsregung so wenig aufhalten wie Mondlicht, das sich über dem Horizont ergießt.

»Euer Sohn?« Ich kann den Unglauben in meiner Stimme nicht verbergen. Diese Neuigkeit erwischt mich mehr als unvorbereitet.

»Es ist sein Recht.« Gern würde sie mehr hinzufügen, das ist ihr anzusehen. Eine Wuttirade. Eine Hassrede. Möglicherweise würde sie in diesem Moment auch sehr viel lieber jemandem den Hals umdrehen. Überraschenderweise bin das nicht ich.

Es ist sein Recht.

Ich kenne das Gesetz der Insel, könnte jedes Kapitel im Tiefschlaf rezitieren. Es ist Jahre her, dass ich die Worte unserer ersten Königin Stella Ráy inhalierte, um herauszufinden, ob ich wirklich illegal bin. Meine Existenz ein Frevel.

Jedes Königskind, welches das vierzehnte Lebensjahr erreicht hat, darf zum Ritual des Blutmondes antreten.

Königskind. Ein neutrales Wort. Geschlechtsunspezifisch. Ob die erste Königin der Insel mit dieser Schreibweise beabsichtigte, dass je ein Junge die Königinnenprüfung absolviert? Das wage ich zu bezweifeln. Es wäre reiner Selbstmord. Und sinnfrei. Männer können keine Magie in sich tragen. Wie könnte er je über die Islá Lûna herrschen? Das Volk beschützen? Lûna würde ihn in der ersten Nacht verschlingen.

Doch was juckt es mich, wen von Celestes Brut der Mond verschlingt? »Interessiert mich nicht«, mache ich mein Desinteresse an dem royalen Wettlauf um Leben und Tod deutlich.

»Ich will, dass du ihn tötest.« Die Worte der Königin sind noch immer rasiermesserscharf, nun aber flüsterleise. Nur für meine Ohren bestimmt. »Im Nebelwald. Zur ersten Nacht des Blutmonds. Es soll wie ein Mondangriff aussehen. Keine Spuren.«

Das ist es also. Nicht in tausend Jahren hätte ich solch eine Bitte aus dem Mund der Königin erwartet.

Ich erlaube mir nicht die Zeit, ihre Worte sacken zu lassen. »Was bekomme ich im Gegenzug?«

Celeste lächelt mit einer schaurigen Bösartigkeit, die sie in ihren Jahren als Königin perfektioniert hat. »Deine Freiheit«, haucht sie siegesgewiss, scheint sich absolut sicher, dass ich solch ein Angebot niemals ablehnen könnte.

Doch nur ein trockenes Lachen entringt sich meiner Kehle. »Das glauben dir nicht mal die treuesten Sterne, Königin.«

Abermals beugt sie sich vor, rammt ihre metallenen Ellenbogenschützer in die Tischplatte und legt ihr spitzes Kinn auf den Handflächen ab. Ihr Blick ist so intensiv, dass ich das Gefühl habe, direkt in das Auge des Mondes zu schauen. Etwas, das man tunlichst meiden sollte. Man könnte sich in ihm verlieren – und sich in der Folge selbst verlieren.

»Ich schwöre bei der Macht Lûnas«, wispert sie. Ihr Atem riecht nach Nebel und Blut. »Töte meinen Sohn und ich gewähre dir ewige Freiheit. Dein Name wird reingewaschen. Das Kopfgeld erlischt. Dich erwarten unendlicher Reichtum und immerwährender royaler Schutz. Werde meine königliche Abgesandte. Diene mir und danach meiner siegreichen Tochter. Bekämpfe den Mond im Sichelviertel Cardìanéras im offiziellen Auftrag der Krone.«

Ich habe mich geirrt. Es ist doch eine Falle. Aber eine, in die ich nie tappen werde. Freiheit? Von wegen. Sie kann mich nicht töten, stattdessen will sie mich in Ketten legen. Nehme ich dieses Angebot an, werde ich eine Gefangene der Krone sein. Das ist schlimmer als jeder Tod, den der Mond für uns parat hält.

»Ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann?« Entschieden schüttle ich den Kopf. »Ich korrigiere, Königin. Nicht nur werde ich es ablehnen …« Ich packe meinen Dolch, befreie ihn aus dem Stein und erhebe mich ruckartig. »Ich spucke es dir ins Gesicht.« Da ich noch immer kein Blutbad in Ragnas Paradies anzetteln will, landet meine Rotze lediglich vor der Königin auf der Tischplatte. »Lieber verende ich als Gejagte im Mondlicht, als der Krone zu dienen.«

Verwundert werde ich Zeugin diverser Gefühlsregungen auf dem Gesicht der knallharten Königin. Sie will mir an die Kehle, meine Adern mit ihren Fingernägeln aufschlitzen und die unrechtmäßige Magie herausfließen lassen … aber sie kann sich kontrollieren. Wäre kein Neumond, wäre diese Bar bereits in Blut getränkt. Stattdessen sieht die Königin mit einem erstaunlich milden Lächeln zu mir auf. »Du solltest deine Entscheidung überdenken, wenn dir dein Volk etwas bedeutet.«

»Ist dies eine Drohung?« Das Gewisper in den Schatten wird lauter. »An dein Volk?«

Celestes Gesicht aber ist wie in Stein gemeißelt.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihre Drohung an das Sichelviertel ernst nehmen soll. Celeste mag skrupellos genug sein, ihr eigenes Volk anzugreifen. Ob ihre Kronenkämpferinnen mitspielen, ist eine ganz andere Sache. Zumal sie erst an mir und meinen Frauen vorbeimüsste. Und an Ragna.

»Ich gebe dir ein Ultimatum bis zum zunehmenden Halbmond.« Königin Celeste erhebt sich ebenso ruckartig wie ich. »Entscheide weise, Melinoé.«

Sie gibt ihren Wächterinnen einen Wink und rauscht an mir vorbei. Der Duft nach Blut und Bitterkeit folgt ihr.

Ewige Immunität. Nach all den Jahren im Untergrund. Die Königin ist bereit, ihre Jagd auf mich zu beenden. Für den Mord an ihrem eigenen Fleisch und Blut.

Nur wieso?

Ich drehe mich herum. »Wieso?«

Die Königin bleibt stehen, ihr Kopf wendet sich in meine Richtung. Ein silberner Lichtstrahl fällt von der Decke, geradewegs auf ihr blasses Gesicht. Der Hauch von Mitleid schleicht sich in ihre blutigen Augen. Kein mütterliches Bedauern. Es ist der Ausdruck, der einen überkommt, wenn man eine dreibeinige Ratte dabei beobachtet, wie sie erfolglos versucht, vor dem Mondlicht davonzurennen. »Weil er ein Junge ist.«

Kapitel2

Zwielicht

»Als Nyxás Zeit zu ihrem Ende gekommen war, teilte sie ihr Erbe unter den Zwillingstöchtern auf. Lillitú erhielt die Insel Edán und Lûna das Wasser, das sie umgibt.«

Die alten Insel-Legenden (Chrônicá Edán I)

»Vergiss es, Alix.« Mit einem letzten schwungvollen Strich meiner Diamantnadel vervollständige ich das Umbrià-Sternbild auf Alix’ linkem Wangenknochen. Anschließend wische ich das ausgetretene Blut mit einem ausgedienten Lappen ab und werfe ihn auf die zitternden Flammen der heruntergebrannten Kerzen, um sie zu löschen. Die magische Tätowierung leuchtet in der staubigen Dunkelheit meiner provisorischen Absteige fast so eindrucksvoll wie das Original am Himmel. Zweimal im Jahr erneuert, schützt es eine Trägerin gegen die besonders tückische Mentalmagie des Mondes, die uns andernfalls zu tollwütigen Mörderinnen macht.

»So eine Gelegenheit kommt nie wieder.« Alix lässt sich von der Tischkante gleiten, greift nach ihrem Brustpanzer und zieht ihn sich über den Kopf. Das schwarze Leder ist mit Platin verstärkt und schützt – so die Mondkämpferin – ihre beiden wichtigsten Körperteile. Die freiliegende Haut ihres Bauches, ihres Dekolletés und ihrer Arme ist ein leuchtendes Kunstwerk aus Schutz- und Kampfsternbildern. Magische Tätowierungen sind verboten und werden mit dem Tod bestraft. Angeblich, weil ihre Wirkungsweise bei Menschen ohne Magíy Dêa im Blut ins Gegenteil umschlägt. Eine glatte Lüge. Ich schmücke die Frauen des Sichelviertels seit sieben Jahren mit Sternbildern aus purem Mondlicht. Üblicherweise an schwer einsehbaren Hautstellen. Alix ist da weniger subtil.

»Ich werde dieses Angebot nicht annehmen«, wiederhole ich mich und sauge die Mondmagie der Nadel in mich auf, ehe ich das Werkzeug zurück ins Mauerfach lege und einen Lavastein davorschiebe. »Niemals.«

»Diese Frau jagt dich seit zwanzig Jahren, Noé«, erinnert Alix mich, während sie sich ihren Waffengürtel um die Hüfte schnallt. »Irgendwann wird sie dich bekommen.« Sie rastet einen Pfeil in ihrer Armbrust ein und hängt sie sich quer über die Schulter. »Was geschieht dann mit uns?«

Ich schenke ihr ein bittersüßes Lächeln. »Danke, dass du zuerst an mein Schicksal denkst, mein Stern.«

Alix hebt verwundert eine Augenbraue. Die hat sie sich gemeinsam mit ihren kinnlangen Locken in einem schreienden Blau gefärbt, um Lûna zu verschrecken, die bekanntlich keine Freundin von Gewässern ist. Ob die Abwehrmethode funktioniert, sei dahingestellt. Den unzähligen Narben an Alix’ Körper nach zu urteilen eher nicht. »Diese Zeiten sind vorbei, Süße«, teilt sie mir eisgekühlt mit und legt ihr fiesestes Lächeln auf. Doch was soll ich sagen. Selbst damit ist sie unwiderstehlich. »Wie wir feststellen mussten, sind zwei heiße Mondkämpferinnen mit Todeswunsch zu viel für eine Beziehung.«

Zu diesem niederschmetternden Ergebnis mussten wir sogar mehr als einmal kommen. Unsere turbulente Beziehung begann kurz nach meiner Geburt. Alix war süße zwei Jahre alt, als ihre Mutter mich frisch entbunden und blutig in ihre Arme drückte und uns anschließend in ein Loch in der Wand einmauerte, damit die Königin uns nicht entdeckte. Unsere Eltern wurden brutal ermordet, während wir in der Finsternis ausharrten. Nachdem der Mond abgetaucht war, befreite uns Ragna und versorgte uns, bis wir uns selbst versorgen konnten. Von da an gab es nur noch uns beide. Noé und Alix.

Es gibt viele Rollen, die Alix seither in meinem Leben eingenommen hat. Ersatzmutter. Schwester. Beste Freundin. Geliebte. Zeitweise sogar Erzfeindin. Heute sind wir Seelenkämpferinnen. Alix würde für mich sterben. Und ich für sie. Mehr braucht es nicht, um unsere komplizierte Beziehung zu erklären.

»Nicht zu glauben, dass wir je so eine erwachsene Entscheidung getroffen haben.« Ich binde mein nachtschwarzes Haar zu einem kampftauglichen Zopf, ehe auch ich den Sitz meiner Waffen prüfe. Sie sind überschaubar. Ich kämpfe mit meiner Magie. »Wir müssen betrunken gewesen sein. Oder es war Mondwahnsinn.«

Ein wohlvertrautes, schaudererregendes Prickeln wandert durch meine Adern und ich werfe einen flüchtigen Blick auf die tickende Monduhr um Alix’ Handgelenk. Auch wenn die Magíy Dêa in meinem Blut mich rechtzeitig zum Mondaufgang warnt, bin ich gern vorbereitet. Ragna sagt immer, Wissenschaft und Magie in Harmonie sei die ultimative Macht. Keine sogenannte Göttin könne da mithalten. Die Barbesitzerin steht den alten Insel-Legenden kritisch gegenüber und verlässt sich lieber auf das, was sie sieht. Ich weiß nur eines. Sobald das silberne Licht sich über dem Horizont ergießt, zählt jede Sekunde.

Fünf Minuten. Höchstens sechs.

»Nun ist es an der Zeit, eine weitere weise Entscheidung zu treffen«, sagt Alix ernst und legt ihre Hand auf meine, hindert mich daran, meinen Monddolch zu ziehen. In ihren smaragdgrünen Augen leuchtet eine vertraute Kampfeslust. Bereit für eine weitere Nacht unter Lûnas Zorn. »Lass mich dir auf die Sprünge helfen, indem ich dir einen gehörigen Arschtritt verpasse.«

»Gern.« Ich streife ihre Hand ab und ziehe meinen Dolch hervor. Mit der Fingerkuppe prüfe ich die Schärfe der leuchtenden Klinge. Scharf genug, einen Stern zu zerteilen. »Aber warte damit bis Sonnenaufgang.« Ich gebe meinem Hintern einen Klaps. »Ich brauche meinen Arsch, um zu kämpfen. Du weißt, die erste Nacht nach Neumond ist der Mond ein mörderisches Biest.«

Unvermittelt packt Alix meinen Arm und zieht mich näher. »Ewige Immunität«, flüstert sie eindringlich. »Sie hat es geschworen, Noé. Du weißt so gut wie keine andere, dass Schwüre zu Neumond nicht gebrochen werden können. Deiner Flucht wäre ein Ende gesetzt. Kein Versteckspiel mehr.« In einer ausschweifenden Geste präsentiert sie mir mein heutiges Versteck in einem heruntergekommenen Haus an der westlichen Stadtmauer – der äußersten Gefahrenzone. »Dies alles wäre vorbei.« Alix schnippt mit dem Finger vor meiner Nase. »Einfach so. Mit einem kinderleichten Mord. An einem Jungen. Du musst dir nicht mal Mühe geben. Leite einen Blutmondstrahl um und schneide seinen hübschen Kopf ab. Kurz und schmerzlos.«

»Sie will mich besitzen, Alix!« Allein über dieses Angebot nachzudenken, ist eine Beleidigung an all meinen Prinzipien. An meiner illegalen Existenz. Und an meinen Eltern. »Die horrenden Geldsummen auf meinen Kopf bleiben ergebnislos. Ihre Wächterinnen beißen sich an mir die Zähne aus. Jetzt versucht Celeste es auf die verlogen-kooperative Art. Nebenbei soll ich ihren Sohn abmurksen. Dieses Angebot stinkt zum Himmel!«

»Natürlich tut es das.« Ihr dunkles Lachen lässt Alix’ Brust vibrieren und die darauf befindlichen Amulette tanzen. »Was kümmert es dich? Was zählt, ist das Endergebnis.«

»Das Endergebnis wäre, dass sie gewonnen hätte.«

»Sie hat bereits gewonnen.« Kopfschüttelnd lässt Alix mich los und schwingt ihren rechten Fuß auf das Fensterbrett, um ihren Stiefel zu schnüren. »Die Königin besitzt dich seit deiner Geburt, Noé. Du lebst auf der Flucht, existierst nur in den Schatten. Das ist keine Freiheit.«

»Es ist meine Freiheit.« Ich spähe zwischen den Brettern hindurch, die das Fenster verrammeln. Vier Minuten. Vielleicht drei. Ich versiegle die Ritze mit Wachs, damit kein Mondlicht hineinkriechen kann. »Die einzige Art Freiheit, die ich je haben werde.«

»Du könntest mehr haben«, widerspricht Alix mir in ihrer nervtötend oberlehrerhaften Art. Sie ist zwei Jahre älter als ich und lässt das nur zu gern raushängen. »Verhandle.«

»Mit der Königin?« Ich halte meine linke Hand in die Höhe und wackle mit dem Mittelfinger, an dem der Familienring der Noxáys sitzt. Ragna zog ihn von dem erstarrten Finger meiner Mutter, ehe die Barbesitzerin ihren Leichnam verbrannte. Eine Nacht später folgten ihrer Seele jene der restlichen Familienmitglieder der Noxáys. Ich bin die letzte Tochter dieser alten Pionierfamilie, die einst Cardìanéra mitbegründete. »Erinnerst du dich, dass sie unsere Eltern getötet hat?«

In Zeitlupe schiebt Alix ein Messer nach dem anderen in ihren Stiefelschaft, ihre wachsamen Augen aber lassen mich nicht los. Ihnen entgeht nichts. Keine Gefühlsregung. Keine Lüge. Auch eine von Alix’ lästigeren Charaktereigenschaften. »Willst du ihnen nachfolgen?«

Zornig ramme ich meinen Dolch in eine der Fensterlatten. »Ich will, dass sie ihnen folgt.«

Alix schenkt mir ihr wunderbar bösartiges Lächeln. Problemlos könnte sie damit einen Heiratsantrag machen und gleichzeitig jemandem die Kehle durchschneiden. »Näher wirst du nicht an sie herankommen, mein Stern.«

»Du bist wahnsinnig.« Zugegeben, es war auch mein erster Gedanken, nachdem die Königin die Weinbar verlassen hatte.

Als königliche Abgesandte werde ich in den Palast geladen. Der Königinnenfamilie vorgestellt. Unendlich viele Gelegenheiten, meine Rache zu verüben. Irgendwann … ja, irgendwann.

»Ich sag nur, es ist eine Chance.« Alix zwinkert mir zu, entfernt meinen Dolch aus der Holzbarrikade und reicht ihn mir. »Auf vielen Ebenen.«

Als ich ein leises Scharren über unseren Köpfen vernehme, spannen sich meine Muskeln an. Ein Monddämon? Ist Lûna heute zu früh dran? Im nächsten Augenblick knallt die Luke zum oberen Stockwerk auf. Ein silberblonder Lockenschopf baumelt hinab, ihm folgt Finleys breit grinsendes Gesicht. Unser rasender Reporter und die größte Klatschbase des Viertels lässt sich galant fallen und kommt sicher auf den Füßen auf. Staub umhüllt uns.

»Wenn ich meinen bescheidenen Senf dazugeben könnte …«

»Nein«, würgt Alix ihn ab und schreitet zur Tür, reißt sie auf. Die unheilschwangere Luft des späten Zwielichts weht hinein. Es herrscht die typische Todesstille vor Mondaufgang.

Zwei Minuten. Vielleicht drei.

»Dieser Prinz ist ein Schnuckel«, fährt Finley unbeirrt fort und greift sich einen schrumpeligen Apfel aus der Obstschale des ansonsten leeren Esstischs, der nur noch auf drei Beinen wackelt. »Wenn diese Info bei deiner Schicksalsentscheidung hilft, Noé.« Er beißt genüsslich in die Frucht. Saft läuft sein Kinn hinab und tropft auf den staubigen Boden.

»Es hilft nicht, Finley.« Ich reiße ihm den Apfel aus der Hand. »Und du solltest längst im nächstbesten Keller sein. Was hast du da oben verloren? In zwei Minuten ist Mondaufgang!«

Doch der lebensmüde Finley zuckt nur sorglos mit den Schultern und schnappt sich eine Pflaume. »Ich bin immer da, wo die Gerüchteküche brodelt. Außerdem habe ich mein achtzehntes Lebensjahr überlebt.« Er steckt sich das Steinobst in den Mund und spuckt den Kern aus, trifft zielsicher den längst erloschenen Kamin. »Alles, was jetzt an Lebenstagen folgt, ist Bonus.«

Mein Blick schweift zur offenen Tür hinaus und zum Himmel empor. Schwarz mit einem Hauch Tintenblau. Zwei Minuten. »Wie alt ist er?«, frage ich Finley, der in aller Seelenruhe die Kellerluke öffnet und dabei jede Menge Staub aufwirbelt.

»Wer?« Hustend wedelt er mit einer Hand vor seinem Gesicht herum.

»Wer wohl.« Ungeduldig drehe ich den Dolch in meiner Hand. Mein Herz pocht zügiger in Erwartung an die Magie, die gleich meinen Körper fluten wird. »Der Prinz.«

Ein vertrauter Feuereifer entbrennt in Finleys blassblauen Augen. Nach dem Tod seines Vaters – dem legendären Poeten Vesper Solimáy – hat er die leitende Position der Viertelzeitung übernommen und füllt diese mit Enthusiasmus und einem Talent aus, das man ihm nicht abstreiten kann. Es gibt wenig, was er nicht weiß. Das liegt nicht an seiner Unfähigkeit, unauffällig Spionage zu betreiben, sondern an seiner aufdringlichen, aber überaus charmanten Art. Finley hat etwas von einem flauschigen Hundewelpen, den man in seine Arme nimmt, um ihn vor dem Mond abzuschirmen, während man ihm gleichzeitig sein Herz ausschüttet. Und seine dunkelsten Geheimnisse.

»Was interessiert es dich?« Alix lehnt mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen und mustert mich skeptisch.

»Astello Ráy ist neunzehn Jahre alt«, gibt Finley bereitwillig sein Wissen preis. »O ja. Ihr habt richtig gehört. Das erste Kind unserer ehrwürdigen Königin war ein Junge. Welch Skandal! Erinnert sich nur niemand dran. Unsere Gehirne sind wie Siebe, wenn es um royale Skandale geht. Am Hinrichtungspfahl zu Vollmond will niemand enden. Prinz Astellos Geburtstag war übrigens vor drei Wochen. Hat niemanden interessiert. Keine Feier. Keine Ankündigung in der Presse. Nichts. Wahrscheinlich hat seine Familie vergessen, dass er überhaupt noch existiert. So wie der Rest der Bevölkerung.«

»Ist ja auch ziemlich alt geworden für einen Prinzen«, merkt Alix trocken an.

»Das ist er«, murmle ich nachdenklich. Prinzen sterben früh auf der Insel. Die meisten von ihnen segnen laut Geschichtsschreibung schon nach der Geburt das Zeitliche. Wie viele von diesen Toden Lûna zuzuschreiben sind und welche Jungen schlicht kommentarlos aus dem Weg geräumt wurden, lässt sich nur erahnen. Ein Mann hat keinen Wert für das Königinnenhaus. Sie gelten als lästiges Schandmal im Stammbaum. »Wieso will er antreten?«

»Das ist in der Tat erstaunlich.« Finley tippt sich grübelnd ans Kinn. »Mondwahnsinn?«

»Ist doch scheißegal«, drängt Alix mich. »Die Zeit läuft. Mach dich bereit.«

»Sollte ich einwilligen …« Ich kann kaum glauben, dass ich diese Worte wirklich ausspreche. Ein Pakt. Mit der Königin. »Es wäre Mord.«

Alix lacht und zieht ihr Schwert aus der Scheide. Mein Herz flattert. Dreißig Sekunden. Vielleicht vierzig. »Hast du etwa Skrupel? Ausgerechnet?«

»Wir reden hier nicht davon, einen Mondwahnsinnigen abzumurksen.« Ich halte Finley die Kellerluke auf und gebe ihm mit einer unmissverständlichen Geste zu verstehen, endlich seinen Hintern in den schützenden Untergrund zu bewegen. »Es ist ein Auftragsmord. Ich möchte mein Opfer kennen, bevor ich ihm den Saft abdrehe. Alles andere wäre feige. Und dumm.«