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I can't get no satisfaction. Das sind die Worte des Dichters Sick Jagger. Der Droschkendriver Decan Donovan kennt ihre Bedeutung. Doch in seiner momentanen Lage hilft ihm das einen Scheiß. Der gerade begangene Kaufhausraub lief zwar perfekt. Aber nun blickt er in den Lauf einer Pistole. Der Beginn einer echten Höllenfahrt.
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen:
3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan
3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer
3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn
3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter
3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer
3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick
3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz
3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi
3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick
3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler
3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer
3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer
3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt
3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson
3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson
3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt
3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle
3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn
3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler
3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter
3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel
3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler
3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner
3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler
3028 – Der Träumer von William Meikle
3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund
3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler
3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel
3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner
3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington
3034 – Der stille Tod von Ian Carrington
3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner
3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick
3037 – Winnetous Geist von Ian Carrington
3038 – Blutsbruder Sherlock Holmes von Ian Carrington
3039 – Der verschwundene Seemann von Michael Buttler
3040 – Der unheimliche Mönch von Thomas Tippner
3041 – Die Bande der Maskenfrösche von Ian Carrington
3042 – Auf falscher Fährte von James Crawford
3043 – Auf Ehre und Gewissen von James Crawford
3044 – Der Henkerkeller von Nils Noir
3045 – Die toten Augen des Königshauses von Ian Carrington
3046 – Der grausame Gasthof von Ralph E. Vaughn
3047 – Entfernte Verwandte von Jürgen Geyer
3048 – Verrat aus dem Dunkel von James Crawford
3049 – Die Dämonenburg von Nils Noir
3050 – Die Shakespeare-Verschwörung von J. J. Preyer
3051 – Das Monsterlabor von Nils Noir
3052 – Die Bruderschaft des Feuers von James Crawford
3053 – Der tote Landarzt von Uwe Niemann
3054 – Nebel in der Baker Street von Jürgen Geyer
3055 – Das Rätsel der eiskalten Hand von Uwe Niemann
3056 – Nächtlicher Spuk von Jürgen Geyer
3057 – Der Hexenfluch von Nils Noir
Sherlock Holmes - Neue Fälle
Buch 57
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Copyright © 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer
Vignette: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
www.blitz-verlag.de
V1 14.02.2025
ISBN: 978-3-68984-297-0
Bunnymans Easter Egg Hunt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
The Return of Bunnyman & Puddle Duck
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Ein süßer Fratz der Gregory Guts
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Der Spuk der Scary Shelly
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Über den Autor
Der Growler fuhr vom Hof der Nightowl-Agentur. Es war der vierrädrige Clarence von Decan der über den Makadam rumpelte, um den Pöbel zu kutschieren, der hier in Hackney zur späten Stunde unterwegs war. Er war der Kutscher der Pusher, Pimps und Pussycats, der Droschkendriver mit der Nacht-Lizenz, den es einen Scheiß interessierte, wer in seine Droschke stieg, Hauptsache sie kotzen ihm nicht die Kabine voll und zahlten anständig. Wer sich verdrückte, ohne zu blechen, der kriegte was mit dem Hinterlader-Gewehr vor den Latz geballert, das Decan unter seinem Bock versteckt hatte. Verfluchter Rattendreck, das Snider-Enfield von der Royal Arms Factory war ein echtes Schätzchen. Es hatte zwar nur einen Schuss im Lager, aber der hatte es in sich. Wenn der Schlagbolzen mit seiner Spitze in das Zündhütchen der Patrone trieb, war es definitiv aus mit dem Lumpen, auf den Decan sein Gewehr gerichtet hielt. Bisher kam das nicht allzu häufig vor. Das letzte Mal, dass er einen Typen weggepustet hatte, lag schon einige Wochen zurück. Er hatte dem Kerl in den Rücken geschossen, als er davonlief und ihn danach liegen gelassen, nachdem er ihm sein Geld abgenommen hatte. Halunken wie den vermisste niemand, die wurden gegrillt von den Fine Young Cannibals, von denen gab es einige in Londons Straßen, man mochte es nicht für möglich halten. Früher, als Decan noch kein Nightcrawler war, war er in einer Schnapsbrennerei angestellt. Es war die Destillerie in der Goswell Road in Clerkenwell. Eigentlich ein super Job. Doch wurde der Gin, den sie dort brannten, im Laufe der Zeit zu seinem besten Buddy, mit dem er nachts gemeinsam um die Häuser zog. Dadurch fing er an, die Tage zu verschlafen, verlor seinen Job in der Brennerei und sein Schicksal schien besiegelt. Doch kurz nach seinem Rauswurf lernte er den kleinwüchsigen Trevor Tambourine kennen. Der Zwerg war ein heimatloser Herumtreiber, ein Rolling Stone, der sich mit Taschendiebstählen und kleinen Raubzügen über Wasser hielt. Decan schloss sich Trevor an und eine Zeit lang lief es auch wirklich gut. Sie erbeuteten eine Menge Scheiß in den Villen und Châteaus, in die sie einbrachen und verhökerten das Ganze auf dem Schwarzmarkt. Mit der Kohle, die sie in der Zeit einnahmen, lebten die beiden in Saus und Braus. Doch war ihr süßes Leben nur von kurzer Dauer. Nach einem Bruch in der Rosebery Avenue war es zur Festnahme durch den Chefinspektor von Scotland Yard und diesem scharfsinnigen Schnüffler, Sherlock Holmes, gekommen. Das heißt, Decan wurde geschnappt und eingelocht. Trevor konnte entkommen. Das Ganze war mittlerweile ein paar Jährchen her. Zwei davon hatte Decan im Newgate Prison abgesessen. Danach hatte ihm sein Bewährungshelfer, Mr. Baggypant, einen Job bei einem Touristikunternehmen namens The Wanderer besorgt, das Sightseeing-Touren durch Westminster organisierte. Allerdings gefiel Decan die Gondelei nicht besonders, darum sattelte er um und fing bei Nightowl an. Anfangs war es nicht ganz einfach, die Nächte durchzufahren. Aber irgendwann kam er dahinter, welch Vorzüge er dadurch genoss. Als Nightcrawler konnte man sich seine Zeit einteilen, wie man es wollte, und ohne Bedenken in einen Pub einkehren, ohne dass es irgendjemanden interessierte. Das Jafferson war Decans bevorzugtes Lokal. Hier gab es die billigsten Pints und wenn einen der Hunger plagte, konnte man sogar rund um die Uhr ein Stew bekommen, das man durchaus essen konnte, ohne dass einem gleich schlecht davon wurde. Eigentlich hatte Decans Schicht gerade erst begonnen, aber da er schon mal in der Kingsland Road war, also in der Straße, in der das Jafferson lag, entschied er sich kurz dort Halt zu machen, um ein, zwei Bierchen zu zischen. Jedoch, als er dort ankam und hineingehen wollte, versperrte ihm eine Alte, die vor dem Laden herumlungerte, den Weg. Es war ein stinkendes Weib, hässlich wie die Nacht. Decan hasste dieses Zigeunerpack. Nur die Hand aufhalten, aber nichts dafür tun, das konnten diese elendigen Schnorrer. „Verpiss dich, Miststück“, pöbelte er die Bettlerin an. Er schubste die klapprige Alte vom Eingang weg, hinunter in den Dreck und stiefelte in die Kneipe. Im Jafferson war mächtig was los. Trunkenbolde und Bordsteinschwalben, wohin man auch schaute. Einige Leute tanzten auf dem Tisch zu den Klängen einer Concertina, Gläser klimperten und es stank nach Pot. Decan bestellte sich ein Pint für vier Pence. In der Regel trank er drei davon, also ließ er jedes Mal, wenn er hier in die Kneipe kam, einen Shilling. Das war ein Luxus, den er sich leistete, schließlich gönnte er sich ja sonst nichts.
„Ich wusste doch, dass ich dich hier treffe.“
Die Stimme, die Decan hinter seinem Rücken hörte, kam ihm irgendwie bekannt vor. Er wandte sich um, konnte aber niemanden sehen. Also glaubte er zunächst, sich getäuscht zu haben. Doch als er sein Glas ansetzte und trank, hörte er die Stimme wieder.
„Hier unten bin ich, direkt vor dir.“
Decan drehte sich erneut um und sein Blick fuhr herunter. Das gab es doch nicht. Verfluchte Schweinejauche. „Trevor Tambourine“, sagte Decan ungläubig, der den Zwerg seit ihrem letzten gemeinsamen Bruch nicht mehr gesehen hatte. „Du lebst?“
„Wie du siehst“, quiekte der Zwerg. Er reichte Decan gerade mal bis zu den Knien.
„Wo verflucht nochmal hast du dich herumgetrieben, die letzten zehn Jahre?“
„Ach, hier und da“, blies sich der Kleine auf. „War geschäftlich unterwegs, überwiegend in Liverpool, Leeds und Leicester.“
„Verstehe“, knurrte Decan und schluckte etwas Plürre aus seinem Glas. Die Wichtigtuerei seines ehemaligen Kumpanes ging ihm gehörig auf den Sack. Machte einen auf dicke Hose, der Pupper, anstatt ganz kleine Brötchen zu backen. Am liebsten würde er Trevor in den Boden rammen, hier, jetzt gleich, auf der Stelle.
„Was hältst du davon?“, hörte er den Zwerg fragen, „wenn ich dir einen ausgebe, der alten Zeiten wegen?“
„Lass mal“, lehnte Decan ab. „Ich muss wieder auf den Bock, meine Schicht hat gerade begonnen.“
„Ja, ich hörte davon, dass du jetzt Kutscher bist. Musst hart für deine Piepen arbeiten, wie?“
Jetzt reichte es. Diese Arroganz brachte Decans Blut zum Kochen. Er setzte sein Glas auf dem Tresen ab und packte das kleinwüchsige Eichhörnchen am Kragen. „Immerhin habe ich einen Job und muss Grannys nicht die Handtasche stehlen, wie du“, raunzte er den Zwerg an.
„Tut mir leid, Mann“, sagte Trevor besänftigend. „Ich wollte dich nicht beleidigen. I’m sorry. Okay. Reg’ dich ab und lass mich wieder runter. Bitte.“ Als Trevor wieder festen Boden unter seinen löchrigen Sohlen spürte, richtete er sich das Hemd und versuchte, die Sache noch einmal versöhnlicher anzugehen. „Hör zu, Decan. Es tut mir leid, wie das damals gelaufen ist, ehrlich, und ich bin dir auch sehr dankbar, dass du mich nicht verpfiffen hast. Und damit du siehst, wie dankbar ich bin, biete ich dir an, bei einem großen Ding mitzumachen, das ich gerade in Planung habe. Die Sache ist bombensicher und außerdem springt bei der Geschichte eine Menge raus. Es lohnt sich. Was meinst du?“
Decan schien wenig beeindruckt. Er leerte sein Pint und donnerte das Glas auf die Theke.
„I can’t get no satisfaction“, lautete seine Antwort.
„Was soll das denn heißen?“, wollte Trevor wissen.
„Das heißt, dass ich nicht will“, bellte Decan. „Es heißt, dass es manchmal besser ist, es nicht zu bekommen. Verstehst du, was ich meine? Träume halten dich am Leben. Sie sind, wie ein laufender Motor, der dich antreibt und dich durchs Leben bringt. Bleibt er stehen, fängt er an zu rosten und das wars. Ende Muchacho.“
„Das ist wirklich das Bescheuertste, was ich je gehört habe, Decan. Von wem hast du den Scheiß?“
„Ich lese Bücher, stell dir vor. In denen steht solch ein „Scheiß„.“
„Ach wirklich?“ Trevor schien skeptisch. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und lächelte müde. „Und aus welchem Buch stammt das Zitat?“
„Aus einem Gedichtband von Sick Jagger.“
„Sick Jagger?“ Trevor legte die Stirn in Falten. „Who the Fuck is Sick Jagger?“
„Ein großer Dichter“, schnaubte Decan. „Aber was verstehst du schon davon?“
„Überhaupt nichts, das gebe ich zu. Aber ich verstehe was von Einbruch und ich weiß, wo es sich lohnt einzusteigen.“
Decan kramte die Pence für sein Pint zusammen und knallte sie auf den Tresen. Er hatte genug von Trevors Gelaber und wollte gehen, als er den Zwerg sagen hörte: „Komm, lass deine Kröten stecken. Ich lad’ dich ein.“
„Nichts da, kommt nicht infrage“, bölkte der Droschkendriver. „Ich zahle mein Bier selbst.“
„Wie du meinst, Decan.“ Trevor verdrehte die Augen und stöhnte. „Schön, dich mal wieder gesehen zu haben. Ich verabschiede mich, muss pennen. Hab’ morgen noch einen langen Tag vor mir.“
„Ach ja?“ Decan folgte dem Kleinwüchsigen vor die Tür. „Was bitteschön hast du schon zu tun, Trevor?“
Der Zwerg blickte sich um, um sicherzugehen, dass sie keiner belauschte. „Ich organisiere einen Kaufhausraub“, flüsterte er dem Kutscher zu. „Interessiert, oder nicht?“
Das Fortnum & Mason Kaufhaus war der reinste Irrgarten. Holmes, vollgepackt mit Tüten, in denen allmögliches Gedöns steckte, suchte seit über einer halben Stunde nach…
„Holmes, da sind Sie ja“, sagte Mrs. Hudson erleichtert. „Ich dachte schon, Sie seien ohne mich nach Hause gegangen.“
„Aber, liebe Mrs. Hudson“, entgegnete Holmes seiner Hauswirtin. „Sie glauben doch wohl nicht, ich würde jemals ohne Sie gehen? Wo waren Sie denn? Ich habe Sie überall gesucht.“
„In der Parfümerie“, erklärte die rüstige alte Dame. „Ich brauchte doch noch eine Kleinigkeit für Mrs. Guthrie. Sie half mir im letzten Jahr bei meiner Wohltätigkeitssammlung. Sie erinnern sich sicherlich, Holmes. Eine ganz reizende Person.“
Holmes nickte, obwohl er weder wusste, wer diese Mrs. Guthrie war, noch erinnerte er sich an eine Wohltätigkeitssammlung im letzten Jahr.
„Na, dann können wir ja jetzt zurück in die Baker Street, nicht wahr?“ Holmes war es langsam leid, den Packesel für Mrs. Hudson zu spielen.
„Aber nein, Holmes“, widersprach seine Hauwirtin energisch. „Ich habe doch die Zutaten für meinen Simnel Cake noch gar nicht, den Kuchen für die Kinder.“ Bei dem Gedanken an all die lieben Jungen von der Bakerstreet-Bande, wurde Mrs. Hudson warm ums Herz. Sie selbst hatte ja nie Kinder. Darum freute sie sich auch jedes Jahr auf das Osterfest, insbesondere auf den Easter Monday, an dem sie traditionsgemäß Früchtekuchen für die Kinder backte. Holmes allerdings grauste es bei dem Gedanken, die ganzen Rabauken im Haus herumlaufen zu haben. Im letzten Jahr zu Ostern hatte ihm einer der Rotzbengel seine Pfeife gestohlen, und Holmes wusste bis heute nicht, welcher Lümmel von den Lümmeln es gewesen war.
„Mensch, pass doch auf, wo du hinläufst, du alte Schachtel“, blaffte Mrs. Hudson jemand von der Seite an. Holmes, der über und über mit Tüten behangen war, konnte die Situation nur wehrlos hinnehmen. Am liebsten wäre er diesem unfreundlichen Herrn an die Gurgel gesprungen. Was diesem Grobian einfiel, eine alte Dame derart rüde anzuschnauzen. Eine Frechheit sondergleichen. Mrs. Hudson war auf einmal ganz blass. Sie hatte dieses unverfrorene Verhalten sichtlich schockiert. Was war das nur für Sittenstrolch, dachte der Meisterdetektiv. Er blickte dem Mann mit der Kutscherrobe hinterher, der in Begleitung eines Kindes war. Oder Moment mal, dachte Holmes, beim genaueren Hinsehen. Das war gar kein Kind, sondern ein Zwerg. Holmes beobachtete, wie die beiden sich ihren Weg durch die Fluten der kauffreudigen Besucher pflügten und im Getümmel abtauchten. Irgendwoher glaubte Holmes, den einen der beiden zu kennen oder ihn zumindest irgendwo schon mal gesehen zu haben, kam aber nicht darauf, wo das gewesen sein könnte.
„Was für unzivilisierte Menschen es doch gab, Holmes“, sagte Mrs. Hudson, immer noch fassungslos. „Kein Benehmen und kein Anstand. Manchmal fragt man sich wirklich, wohin es mit dieser Welt noch gehen soll, wenn nur noch Diebe und Strolche unterwegs waren?“
Die Bemerkung seiner Hauswirtin ließ bei Holmes den Penny fallen.
„Jetzt fällt es mir ein“, sagte er zu Mrs. Hudson.
„Was fällt Ihnen ein, Holmes?“
„Ich meine, mir fällt ein“, erklärte er seiner Hauswirtin, „woher ich diesen Rohling kenne.“
„Wie?“ Mrs. Hudson zeigte sich erstaunt. „Sie kennen diesen Rüpel?“
„Oh ja“, sagte Holmes. „Die Geschichte liegt schon ein paar Jahre zurück. Aber ich habe den Fall noch genau in Erinnerung. Lestrade und ich waren Räubern auf der Spur, die in einigen Anwesen eingebrochen waren. Es war eine Serie von Einbrüchen, die eine ganze Zeit lang andauerte, bis wir ihnen das Handwerk legten.“
„Ach, sagen Sie bloß, Holmes.“ Mrs. Hudson war baff. „Dieser Kerl von eben war also ein Einbrecher?“
„Jawohl“, bestätigte Holmes. „Ich bin mir zu beinahe hundert Prozent sicher. Den anderen der beiden hatten wir allerdings nie zu fassen gekriegt. Laut einiger Zeugenaussagen sollte es sich bei dem Komplizen um einen Kleinwüchsigen gehandelt haben. Das nenne ich mal einen Zufall.“
Holmes lud Mrs. Hudson in ein Café ein, es befand sich im Untergeschoss des Kaufhauses. Dort aßen sie Flapjacks {Fussnote: es handelt sich hier um eine Art Müsliriegel) und tranken Earl Grey. Die Zutaten für Mrs. Hudsons Früchtekuchen besorgten sie im Anschluss. Zurück in der Baker Street, legte sich Mrs. Hudson ein wenig hin. Der Einkaufsstress hatte der alten Dame zugesetzt, und nun wollte sie sich ausruhen. Sherlock Holmes hingegen machte sich auf zum Yard, um dem Inspektor zu berichten, wen er vorhin im Kaufhaus begegnet war. Lestrade wusste natürlich, dass Decan Donovan längst aus dem Gefängnis entlassen wurde. Doch dass er sich, allem Anschein nach, wieder mit seinem alten Komplizen herumtrieb, versetzte den Inspektor in Rage.
„Dieser verfluchte Hund“, bölkte er und schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch. „Was in Himmelsnamen führen die im Schilde?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen, Inspektor. Wir sollten uns vielleicht mal mit Donovans Bewährungshelfer unterhalten. Vielleicht weiß der, wo wir Donovan finden können, um ihn auszuquetschen.“
„Ausquetschen“, lallte der Inspektor und schlug erneut mit der Faust auf den Tisch. „Das ist eine hervorragende Idee, Holmes. Das machen wir, Sie und…hicks.“
Holmes blickte auf die leere Whiskyflasche, die vor dem Inspektor auf dem Schreibtisch stand. Wie es schien, hatte Lestrade schon einiges Intus. Der Meisterdetektiv wusste von dem Trübsal, den der Inspektor zu den Feiertagen plagte. Es war jedes Jahr dasselbe. Lestrade versank im Selbstmitleid und trank mehr, als er vertrug. Die Tatsache, dass er niemanden zu Hause hatte, der auf ihn wartete, mit dem er Eier bemalen oder in die Kirche gehen konnte, machte dem Zauselbären schwer zu schaffen. Holmes hingegen, der ebenso ledig war wie der Inspektor, litt nicht darunter. Er war sogar der Meinung, dass Partnerschaften, wie die Ehe, völlig überbewertet wurden. Seine Welt war das nicht. Er liebte die Unabhängigkeit, wie seinen Colt, Koks und Cocktails.
„Lassen Sie uns mal sehen.“ Der Inspektor erhob sich und taumelte benommen zu seinem Aktenschrank. Er schob die oberste Schublade auf und suchte nach den Unterlagen der Raubserie. Holmes allerdings war skeptisch, dass Lestrade sie dort finden würde.
„Meinen Sie, Herr Inspektor. Sie finden den Ordner hier bei sich im Aktenschrank? Der Fall liegt ein paar Jahre zurück“, gab der Meisterdetektiv zu bedenken.
„Das stimmt allerdings, Holmes. Sie sind mir immer einen Schritt voraus“, bemerkte der Inspektor und schwang vom Aktenschrank zur Tür. „Auf geht’s. Ab ins Archiv.“
Wie die beiden Ermittler den Akten entnehmen konnten, war Donovan nach drei Jahren wegen guter Führung aus dem Newgate Prison entlassen worden. Sein damaliger Bewährungshelfer Mr. Baggypant hatte Donovan gleich darauf in Arbeit vermittelt. Wie in den Unterlagen stand, war Donovan bei einem Sightseeing-Unternehmen angestellt gewesen. Dort allerdings aufgrund von Unzuverlässigkeit nach einem halben Jahr wieder entlassen worden. Was danach aus ihm wurde, stand nicht in der Akte.