Shopping mit Mord - Elaine Viets - E-Book

Shopping mit Mord E-Book

Elaine Viets

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Beschreibung

Halstücher, Mystery Shopping und ein Mord …
Die Cosy Crime-Reihe um Josie Marcus geht spannend weiter!

Als Josie Marcus’ beste Freundin Alyce in die noble Gemeinde Wood Winds zieht, freut sich Josie für sie. Nichts scheint hier, in dieser ruhigen Wohngegend der Reichen und Schönen passieren zu können. Doch der Eindruck täuscht, denn kurz nach dem Umzug wird die berühmte Tuch-Designerin und Alyces neue Nachbarin Halley Hardwicke ermordet. Plötzlich steht Alyces Mann Jack unter Verdacht und Josie steckt mitten in ihrem neuen Fall. Für ihre Freundin sucht sie nach dem wahren Täter und stößt dabei auf pikante Details, die alles verändern …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Mord als Accessoire.

Alle Bände der Mord in der High Society-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
Elaine Viets konnte mich auch mit diesem Roman wieder vollkommen überzeugen.“
„Zwischen den Reichen und Schönen wird eine Leiche gefunden – einfach unterhaltsam!“
„Cosy Crime vom Feinsten: spannend, humorvoll und mitreißend.“
„Endlich ein neuer Fall für Josie Marcus und die Modewelt.“
„Ein toller Roman, der mich wunderbar unterhalten hat.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 461

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Über dieses E-Book

Als Josie Marcus’ beste Freundin Alyce in die noble Gemeinde Wood Winds zieht, freut sich Josie für sie. Nichts scheint hier, in dieser ruhigen Wohngegend der Reichen und Schönen passieren zu können. Doch der Eindruck täuscht, denn kurz nach dem Umzug wird die berühmte Tuch-Designerin und Alyces neue Nachbarin Halley Hardwicke ermordet. Plötzlich steht Alyces Mann Jack unter Verdacht und Josie steckt mitten in ihrem neuen Fall. Für ihre Freundin sucht sie nach dem wahren Täter und stößt dabei auf pikante Details, die alles verändern …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Mord als Accessoire.

Alle Bände der Mord in der High Society-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Erstausgabe 2007 Überarbeitete Neuausgabe August 2022

Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-672-7

Copyright © 2007 by Elaine Viets Titel des englischen Originals: Accessory to Murder

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2020 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Mord als Accessoire (ISBN: 978-3-96817-224-8).

Übersetzt von: Heimo Kreuzer Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Slavun, © Macrovector stock.adobe.com: © Jay Crihfield, © Maryia Bahutskaya, © Duncan Andison elements.envato.com: © PixelSquid360 Korrektorat: Dorothee Scheuch

E-Book-Version 18.08.2022, 14:11:47.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Shopping mit Mord

Für Christopher Jackson, der St. Louis geliebt hat

Kapitel 1

»Ich kann nicht glauben, dass jemand tausend Dollar für nen Schal bezahlen würde«, meinte Alyce Bohannon.

»Sag mal«, entgegnete Josie Marcus, »bist du nicht die, die tausend Mücken für Küchenmesser ausgegeben hat?«

»Das waren keine Küchenmesser«, sagte Alyce. »Das waren Williams-Sonoma-Klingen aus Karbonstahl. Die waren Kunstwerke.«

»Und dieser Schal ist keins?«, fragte Josie. »Sieh dir die Farbe an: Halleyblau. Die ist dreidimensional. Fühl mal. Das ist italienische Seide. Das Gewicht ist perfekt. Er legt sich wunderschön an.«

Josie liebte Halleyblau. Es war intensiver als Himmelblau und reicher als die Farbe, die durch Maxfield Parrish berühmt geworden war. Es war das Blau eines bodenlosen Sees. Die Farbe passte zauberhaft zu jedem Hautton von »Vanilleweiß« bis »Dunkle Schokolade«.

Josie hielt den Schal vor ihr Gesicht und erfreute sich daran, wie luxuriös er sich anfühlte. Neben einem halleyblauen Schal hatten ihre einfachen, braunen Haare glamouröse, rote Strähnchen und ihre braunen Augen wirkten tiefgründig und exotisch. Ihr schlichtes Äußeres war ihr Kapital, oder zumindest ihr Unterhalt. Josie war die ideale Testkäuferin; sie konnte in jedem Einkaufszentrum untergehen. Sie konnte keinen Schal tragen, mit dem sie auffiel.

Sie fuhr mit einem manikürten Finger über das Muster mit dem Vogel und dem Hasenglöckchen. Wie alle guten Muster war es einfach, aber raffiniert.

»Josie, hör auf, den Schal zu begrapschen, bevor der Sicherheitsdienst uns abholt«, sagte Alyce. »Er ist hübsch, aber ich könnt ‘nen beinah gleich guten um dreißig Dollar bei Target kaufen.«

»Ich könnt mir dort ‘ne ganze Schublade voller Messer zum gleichen Preis kaufen«, meinte Josie.

Alyce zuckte zusammen. »Okay, bin ich halt altmodisch. Ich mag meine Kunst in ‘nem Rahmen.«

Josie hielt den blau-weißen Schal gegen Alyces milchweiße Haut. Der märchenhafte Stoff machte ihre Augen rauchig blau und ihre Haut silberseidig.

»Wenn man etwas so Schönes trägt,« sagte Josie, »ist man selbst der Rahmen für die Kunst.«

»Schätzchen, ich bin die ganze Ausstellung.« Alyce blickte auf ihre üppigen Kurven hinab. »Ich bin nicht zur Modepuppe geboren, Josie. Ich bin zu praktisch, als dass ich Geld für etwas ausgeben würde, was nicht nützlich ist.«

»Bei Pretty Things ist nichts nützlich«, sagte Josie. »Darum geht’s ja bei dieser Boutique. Ich wünschte, ich könnt ihn mir leisten.«

»Also gibt man dir keine tausend Dollar, die du als Testkäuferin hier ausgeben kannst?«

»Nicht so laut«, sagte Josie. »Ich bin hier als Geheimkäuferin.«

»Wir sind Hausfrauen«, entgegnete Alyce. »Wir sind unsichtbar. Die dürren Verkaufsangestellten da sind zu sehr damit beschäftigt, hip zu sein, um uns zu bemerken.«

»Keine Sorge. Die krieg ich noch«, meinte Josie. »Ich hab dreißig Dollar, die ich hier ausgeben kann, und es wird nicht einfach sein, was zu finden.«

»Wir wär’s mit den Goldohrringen da?«, schlug Alyce vor.

»Du hast ‘nen ausgezeichneten Geschmack. Die kosten zweihundert Dollar«, sagte Josie. »Ich könnt mir vielleicht ‘nen Schalring zu dem Schal kaufen, den ich mir nicht leisten kann. Der kostet achtundzwanzig Dollar.«

»Sie wohnt bei uns in der Straße, weißt du?«, sagte Alyce.

»Wer?«, fragte Josie.

»Halley. Ihr Haus ist halleyblau ausgeschmückt. Die Farbe ist etwas grell für die Fensterläden.«

»Ich kauf nur kurz den Schalring, dann können wir hier raus und reden«, meinte Josie.

Nur eine Verkaufsangestellte war verfügbar. Auf ihrem Namensschild stand »SABER«. Sie hatte dunkelrote Haare und den Anschein schicker Ermüdung. Saber ignorierte Josie und starrte geradeaus.

Josie kannte ihren Typ. Saber war eine gefangene Prinzessin. Die gefangene Prinzessin wusste, dass das Universum einen furchtbaren Fehler begangen hatte. Sie war keine Verkäuferin. Sie war Adel jenseits seiner Stellung. Sie tat den Kunden einen Gefallen damit, sie zu bedienen. Sie sollten stattdessen ihr dienen. Die gefangene Prinzessin ließ es sich nie entgehen, den Kunden klarzumachen, dass sie unter ihr standen.

Eine geringere Käuferin hätte sie angefleht: »Können Sie mir helfen?«

Josie bleib still. Sie zählte die Minuten, die auf ihrer Uhr vergingen. Eins. Zwei. Drei. Bei drei Minuten und zweiundfünfzig Sekunden fragte Saber endlich: »Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich nehm das hier«, sagte Josie.

Saber hob den günstigen Schalring mit zwei Fingern auf, als wäre er eine Küchenschabe. »Sonst noch was?« Saber war vor lauter Langeweile beinah gelähmt.

»Das reicht.« Josie lächelte süßlich. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Bericht zu schreiben.

»Sind Sie aus New York?«, fragte Saber.

»Nein«, antwortete Josie.

»Ich wusste, dass Sie das nicht hier gekauft haben«, sagte sie mit einem Nicken auf Josies Escada aus dem Garagenflohmarkt. »St. Louis ist zu deutsch und zu dämlich.«

»Das ist nicht gerade fair«, platzte es Alyce heraus.

Josie war überrascht. Alyce sprach nur selten, wenn sie mit Josie testkaufen ging, doch sie verteidigte St. Louis nur zu gern. Sie hasste es zuzugeben, dass ihre Stadt Fehler hatte.

Saber starrte auf Alyces blauen, seidenen Hosenanzug. »Wie alt ist der?« Sie machte sich keine Mühe, ihre Verachtung zu kaschieren.

»Ich kauf klassische Stilrichtungen«, sagte Alyce. »Er ist fünf Jahre alt. Okay, sechs.«

»Alt genug, um in die Schule zu gehen«, meinte Saber. »Zu alt, um ihn zu tragen. Deshalb zieht Halley mit ihrem Geschäft auch nach New York. In St. Louis hat man keinen Stil. Die New Yorker kennen sich mit Mode aus. Dieses Kuhkaff weiß nix davon.«

Saber schlurfte in den Hinterraum und knallte die Tür zu.

»Danke für Ihren Einkauf bei Pretty Things«, sagte Josie in die Luft.

Alyce stand mit offenem Mund da. »Hast du gehört, was die kleine Ziege gesagt hat?«

»Das gibt die Tiefstpunktzahl beim persönlichen Service«, sagte Josie.

»Wie kann sie das über St. Louis sagen?«, fragte Alyce.

»Äh, ich stimm Saber ja nur ungern zu, aber uns würd niemand als Modehauptstadt bezeichnen.«

»Einige der reichsten Frauen der Welt wohnen hier«, protestierte Alyce.

»Und kaufen ihre Sachen in New York und Paris«, ergänzte Josie. »Wo holen sich deine reichen Freunde ihre Klamotten? Chico’s, Ann Taylor oder Talbots?«

»An den Läden gibt’s nichts auszusetzen«, meinte Alyce. »Da bekommt man was für sein Geld.«

»Völlig richtig«, sagte Josie. »Aber der letzte Schrei sind sie nicht. Find mal eine einzige hochmodische Frau in diesem Einkaufszentrum.«

»Gleich da am Ende vom Tresen.« Alyce war zu höflich, um zu deuten, doch sie strahlte voll wohlerzogenen Triumphes. Josie folgte ihrem Blick zu einem klassischen Typus, der Lady beim Mittagessen. Ihre aschblonden Haare waren zu unmöglichen Wirbeln gesprüht. Ihre patrizische Nase war so stark gepudert, dass Josie sich fragte, ob sie die verräterischen Adern einer Trinkerin versteckte. Manche ihrer Mittagessen mussten feuchtfröhlich sein.

»Das ist doch ‘n Designer-Anzug, oder nicht?«, fragte Alyce. »Das klumpige rosa, grüne und gelbe Gewebe sieht wie Haferflocken mit Streuseln aus. Sie hat dazu ‘ne senffarbene Bluse an. Die Farben sind so bizarr, dass sie einfach reich sein muss.«

»Ihr Anzug ist von Chanel«, sagte Josie. »Die Tasche ist von Kate Spade.«

»Und der Schal?«, fragte Alyce.

»Welcher Schal?«, fragte Josie entgegen.

»Sie hatte vor ‘ner Minute ‘nen halleyblauen Schal in der Hand. Den hat sie vom Tresen genommen.«

»Alyce, auf dem Tresen lagen drei Schals«, sagte Josie. »Ich hab mir einen angesehen und zurückgelegt. Du meinst, sie hatte den anderen. Jetzt liegen da zwei. Ich wette, sie hat ihn mitgenommen.«

»Bist du dir sicher?«

»Ich glaub, sie hat ihn sich in die Handtasche gesteckt«, meinte Josie.

»Sag’s jemandem. Du bist doch als Testkäuferin in dem Laden.«

»Nicht nötig. Die Wachleute sind schon alarmiert.«

»Wo denn?«, fragte Alyce.

»Siehst du die Frau, die da an der Tür die Abendschals betastet? Ihre Haare sind zu schwarz, als dass sie hier ‘ne Kundin sein könnte. Sie färbt sich selbst die Haare. Kein hochkarätiger Salon würde ‘ne Frau über vierzig mit kohlrabenschwarzen Haaren vor die Tür lassen. Das entzieht der Haut die Farbe und lässt sie gelb erscheinen. Außerdem sind sie zu kurz und schmeicheln ihrem Gesicht nicht.«

»Warum lässt sie sie nicht länger wachsen?«, fragte Alyce.

»Wenn sie kurz sind, können die Ladendiebe sie nicht packen. Außerdem hat sie Schnürsenkel an den Schuhen.«

»Dann mag sie eben komfortable Schuhe«, entgegnete Alyce. »Sie trägt ‘n schönes Kostüm.«

»Das kommt aus zweiter Hand, wie meines. Der Saum ist ausgelassen worden. Sie ist wahrscheinlich ‘ne ehemalige Polizistin. Ihre Schuhe sind zum Schnüren, damit sie Dieben hinterherjagen kann. Slipper würden abrutschen, wenn sie rennt.«

»Sie lässt Ms. Chanel davonkommen«, sagte Alyce. »Die Ladendiebin geht auf den Ausgang zu.«

»Das Wachpersonal geht geschickt vor, um falsche Verhaftungen zu vermeiden«, erklärte Josie. »Die Verdächtige muss den Laden verlassen haben, sonst kann sie behaupten, sie wollte für den Schal bezahlen. Siehst du die Blonde mit dem harten Gesicht da an der Kasse? Sie ist die andere Wachfrau.«

»Woher weißt du das?«, fragte Alyce.

»Die Einkaufszentren sind mein Leben«, sagte Josie. »Ich kann dir nicht sagen, wie viele Verhaftungen ich schon miterlebt hab. Schau mal zu.«

Die zwei Wachfrauen folgten Ms. Chanel durch die Tür. Josie folgte dem Trio in das Einkaufszentrum und setzte sich auf eine Marmorbank neben einem Blumentrog. Durch die Blätter hatte sie einen erstklassigen Ausblick auf Ms. Chanel. Alyce setzte sich neben sie. »Was –«

»Schhh«, zischte Josie. »Die Show fängt an.«

Die schwarzhaarige Wachfrau hielt Ms. Chanel ihren Ausweis vor die Nase. »Ich bin von Pretty Things Enterprises, Ma’am«, sagte sie. »Ich möchte Sie bezüglich des Halley-Schals in Ihrer Handtasche fragen.«

»Da liegt sicher eine Verwechslung vor.« Eis verkrustete jedes perfekt ausgesprochene Wort.

»Bitte kommen Sie wieder in den Laden, Ma’am, damit wir diese Sache in Ordnung bringen können.«

»Ich habe keine Lust, zurückzukommen«, sagte Ms. Chanel. »Sie halten mich mit Gewalt fest. Ich werde meinen Anwalt anrufen. Ich habe die Quittung hier.«

Sie zog eine Quittung aus ihrer Handtasche. Josie meinte, die blonde Wachfrau sei einen Farbton bleicher geworden, doch die schwarzhaarige begutachtete die Quittung, dann lächelte sie sanft. »Ihre Quittung wurde heute um neun Uhr zehn in unserer Filiale in Clayton ausgestellt, Ma’am. Es ist elf Uhr fünfzehn im Einkaufszentrum Dorchester. Sie benutzen eine alte Quittung mit einem neuen Schal. Kommen Sie bitte rein, damit wir das besprechen können.«

»Da ist bestimmt etwas mit Ihrer Registrierkasse falsch«, sagte Ms. Chanel, doch sie wehrte sich nicht, als das Wachpersonal sie in den Laden führte und sie zu einer Tür hinter einem japanischen Wandschirm begleitete. Die Szene spielte sich so leise ab, dass die Kunden es nicht mitbekamen.

»‘ne alte Masche«, sagte Josie. »Ms. Chanel kauft ‘nen teuren Artikel in ‘nem Laden der Kette und behält die Quittung in der Handtasche. Dann geht sie in ‘nen anderen Laden und stiehlt den gleichen Artikel. Wenn man sie erwischt, versucht sie, das Wachpersonal zu überzeugen, dass es ‘n Irrtum ist. Wenn sie davonkommt, tauscht sie ihn in ‘nem dritten Laden der Kette gegen Bargeld um oder verkauft ihn auf eBay.«

»Glaubst du, sie macht das regelmäßig?«, fragte Alyce.

»Nee, ‘ne Gewohnheitsdiebin hätt bemerkt, wie die Wachleute sich annäherten und hätt den Schal weggeworfen oder dafür bezahlt. Sie ist ’ne Amateurin, die auf ‘nen Kick und ‘nen Fünffingerrabatt aus ist. Ich wette, ihre zutiefst schockierte Familie wird ihre Kaution bezahlen und es wird nicht das erste Mal gewesen sein, dass sie sich mit Mommys Hobby auseinandersetzen mussten. Sie ist ganz gut, aber das Wachpersonal war aufmerksam.«

Bassschläge von lautem Hip-Hop vibrierten den Gang hinunter und übertönten die sanfte, klassische Musik, die aus den Lautsprechern des Einkaufszentrums kam.

Josie seufzte. »Ich versuch, diese Musik schätzen zu lernen«, sagte sie. »Es soll ja moderne Dichtkunst sein.«

»Ja, ‘n Haufen Wörter reimen sich mit ›Bitch‹«, meinte Alyce. »‘n Laden wie das Gangsta Boyz Home passt nicht zum Dorchester. Josie, da musst du zustimmen.«

Drei Teenager in Sackhosen kamen aus dem Gangsta Boyz Home und bahnten sich ihren Weg durch die Menschenmenge im Einkaufszentrum, wobei sie eine Spur erboster Blicke auf sich zogen.

»Tut mir leid, aber ich will nicht mit Gangstern zusammen einkaufen«, sagte Alyce. »Da fühl ich mich nicht sicher. Jake wär stinksauer, wenn er wüsste, dass ich im Einkaufszentrum Dorchester bin. Er hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich nicht mehr hier herkomm.«

Bei Aussagen wie dieser war Josie froh, dass sie nicht verheiratet war. Sie machte Männern nicht gerne Versprechen – und sie wollte sich auch nicht davonschleichen und sie brechen.

»Hat Jake Angst, dass die Meute mit den Gehhilfen dich in Cissy’s Tea Shoppe anfällt?«

»Sei nicht albern. Jeder weiß, dass die Kriminalität im Einkaufszentrum Dorchester außer Kontrolle ist, und das Gangsta Boyz Home ist daran schuld. Alle guten Läden ziehen um. Ich weiß nicht, warum es das hier gibt.«

»Weil das Dorchester die Besitzer eingeladen hat. Das Einkaufszentrum hat ‘nen Laden für Gangsta-Klamotten und ‘ne Videospielhalle eingerichtet. Die Geschäfte sind nicht für die Teeladenbesucher gedacht.«

»Aber warum?«, fragte Alyce. »Unsereiner benimmt sich anständig.«

»Und ist echt geizig«, ergänzte Josie. »Die Frauen, die hier einkaufen, kaufen ‘nen Kaschmirpullover bei Lord and Taylor und tragen ihn zwanzig Jahre lang. Mit dem Konsumverhalten kann man ‘n Einkaufszentrum nicht offenhalten. Die vom Einkaufszentrum wollten ‘ne jüngere Kundschaft, die Geld für Klamotten, Turnschuhe und CDs ausgibt.«

»Stattdessen haben sie Leute angelockt, die die Sachen stehlen.«

»Alyce!«, erboste Josie sich.

»Na, ist doch wahr. Lucy Anne Hardestys Mutter wurde die Handtasche gestohlen, als sie ausm Teesalon kam. Der junge Gauner hat ihr den Ellbogen gebrochen. Hat ihr das Golfen versaut. ‘n anderer Bekannter wurde aufm Parkplatz vom Dorchester ausgeraubt.«

»Ich hab von der Verbrechenswelle nichts in der Zeitung gelesen«, meinte Josie.

»Jake meint, das kommt davon, dass das Dorchester einer der großen Werbekunden der St. Louis City Gazette ist. Er sagt, die würde nicht von vermehrten Verbrechen berichten und riskieren, dass das Einkaufszentrum die Werbung kündigt.«

Das war noch etwas, was Josie an ihren verheirateten Freundinnen hasste. Sie zitierten ihre Männer, als hätten sie keine eigenen Gedanken im Kopf. Josie wusste jedoch, dass Alyce Jake durchs Jura-Studium gebracht hatte.

»Jake meint –«

»Hey! Du da! Halt!«

Josie sah einen der taffen Teenager, wie er durch die Marmorhalle raste und etwas in seinen riesigen Händen hielt. Ein Wachmann sprang ihm nach und warf den Jungen kraftvoll nieder. Sie rollten über den Boden, während ein weiterer Wachmann sich auf den jungen Mann warf. Ein dritter brüllte: »Ruft die Polizei.«

»Die Wachleute sind gut«, meinte Alyce.

»Sie sind dämlich«, entgegnete Josie. »‘nen Verdächtigen so dingfest zu machen ist die beste Art, sich ‘ne Klage einzuheimsen. Der Junge blutet. Die Wachleute haben exzessive Gewalt angewendet. Was hat er denn geklaut?«

»‘ne Biografie von Donald Rumsfeld«, antwortete Alyce. »Warum stiehlt er ein Buch, wenn er’s sich gratis in der Bibliothek holen kann?«

»Er will’s ja nicht lesen«, meinte Josie. »Er wird’s in ‘nen anderen Laden der Kette bringen und versuchen, sich das Geld erstatten zu lassen. Wenn er kein Bargeld kriegt, wird er sich ‘ne CD mit ‘ner Gutschrift holen. Wo sind seine Freunde?«

»Ich kann sie nicht sehen«, sagte Alyce. »Ich nehm an, die haben sich aus’m Staub gemacht.«

»Es sei denn, er sollte nur für Ablenkung von der echten Aktion sorgen«, meinte Josie. Sie hörte etwas knallen.

»Hat da ‘n Auto ‘ne Fehlzündung mitten im Einkaufszentrum?«, fragte Alyce.

»Da wird geschossen«, sagte Josie und schubste Alyce unter die Bank. Zwei junge Männer mit kurzen Dreadlocks rannten auf die Treppe zu.

»Hilfe!« Eine junge Frau mit großen, dunklen Augen, vier Augenbrauenringen und spitzen, rosa Haaren stolperte aus dem Sportschuhgeschäft drei Türen weiter unten. Ihr Gesicht war bleich vor Schock. Sie konnte nur in kurzen Atemzügen sprechen. »Zwei Männer. Mit Dreads. Sind bewaffnet. Haben den Laden ausgeraubt.«

Sechs Kunden mit Handys wählten zugleich 911.

Josie rannte zu der jungen Frau. Auf ihrem Namensschild stand »COURTNEY«.

»Geht’s Ihnen gut, Courtney?«

»Alles in Ordnung«, sagte sie, doch ihre Zähne klapperten. Josie zog einen Pullover von einem Ständer und legte ihn ihr um. Josie sah blauen Rauch und roch Kordit. »Was ist passiert? Hat man auf Sie geschossen?«

»Die haben auf die Kasse geschossen. Zwei Kerle in Crips-Klamotten kamen rein.« Courtney hielt inne, um Luft zu holen. »Der große hatte ‘ne Glock 9. Die sah aus wie die im Fernsehen. Er meinte, er würd mich erschießen, wenn ich die Kasse nicht aufmach. Meine Hände zitterten so stark, dass ich die Tasten nicht drücken konnte. Er hat mich weggestoßen und auf die Kasse geballert. Er hat sich vierhundert Dollar geschnappt. Sein Freund hat sich drei Paar Sportschuhe gegriffen. Zusammen haben sie tausend Dollar mitgehen lassen.«

»Aber Sie sind nicht verletzt«, sagte Josie.

»Nein,« bestätigte Courtney, »außer, dass mir die Ohren sausen. Scheiße, ich will nicht heulen.«

Josie gab ihr eine Handvoll Taschentücher und sie tupfte sich zornig das Gesicht ab, wobei sie ihre dunkle Augenschminke verschmierte. »Es hat noch nie jemand ‘ne Pistole auf mich gerichtet.«

Alyce schenkte einen Becher Kaffee vom Probiertisch ein. Er war so schwarz wie altes Motoröl. Courtney nahm ein Schlückchen und verzog das Gesicht, doch sie trank ihn.

»Ich kann nicht glauben, dass die ‘nen Laden im Einkaufszentrum am helllichten Tag ausrauben«, meinte Alyce.

»Es ist wegen des verdammten Gangster-Ladens«, sagte Courtney. »Ist mir egal, dass der Manager mir das Gehalt erhöht hat. Das ist’s nicht wert. Heute ist mein letzter Tag.« Sie riss ihr Namensschild ab und warf es auf den Tresen.

Wachleute aus dem Einkaufszentrum und uniformierte Polizisten eilten zur Ladentür herein. Josie und Alyce glitten zum Seiteneingang hinaus. Sie hatten den Überfall nicht gesehen und wollten nicht von der Polizei befragt werden.

»Ich brauch Kaffee«, sagte Alyce. »Gehen wir ins Untergeschoss.«

Sie machten an einem Kiosk Halt und besorgten sich doppelte Lattes, dann ließen sie sich auf die schmiedeeisernen Stühle im Innengarten des Einkaufszentrums fallen. Rosa Blumen ergossen sich wie Meerschaum aus Terrakottatöpfen. Sonnenlicht fiel in schimmernden Strahlen durch die Dachfenster. Das sanfte Geplätscher des Springbrunnens beruhigte sie.

»Es ist so ‘n schönes Einkaufszentrum«, meinte Alyce. »Schade, dass ich nie wieder herkommen werd.«

»Warum? Weil du zwei Diebstähle mitbekommen hast? Das passiert in jedem Einkaufszentrum in Amerika.«

»Nicht, wo ich einkauf«, meinte Alyce.

»Oh doch«, korrigierte Josie sie. »Eine Million Amerikaner begehen täglich Ladendiebstahl. Sie klauen an die zwanzigtausend Dollar pro Minute. Ich weiß, dass die Gangster-Jungs furchteinflößend aussahen, aber was ist wirklich passiert? Eine weiße Frau hat tausend Dollar gestohlen, und ‘n paar schwarze Teenager auch.«

»Nee, das kannst du nicht wegerklären«, entgegnete Alyce. »Eine alte Frau, die einen Schal stiehlt, und ein bewaffneter Raub sind nicht das Gleiche. Der Überfall war beängstigend. Vielleicht bin ich zu gut behütet, aber ich mag mein Leben. Ich komm hier nie wieder her, nicht mal dir zuliebe.«

Josie zuckte mit den Achseln. »Okay, wenn du meinst.«

»Das tu ich. Meine Vorstadtnachbarn können Gauner sein, aber wir schießen nicht auf Leute in Einkaufszentren.«

»Ihr raubt sie nur schriftlich aus«, meinte Josie.

»Das ist nicht witzig«, sagte Alyce.

Das war es wirklich nicht. Bald würden noch mehr Schüsse sich durch ihr Leben bohren. Nichts würde für Alyce und Josie mehr dasselbe sein.

Kapitel 2

Josie konnte in jedem Einkaufszentrum in Amerika mit verbundenen Augen den Weg zur Restaurant-Abteilung finden, aber in einer Küche konnte sie sich verlaufen.

Alyce war eine Kochkünstlerin. Nach einem stressigen Morgen im Einkaufszentrum Dorchester hatte sie sich in ihre Küche zurückgezogen. Jede Frau bekämpfte die Angst auf ihre eigene Weise. Alyce besiegte ihre mit einem Pfannenwender. Sie hatte das ganze Wochenende lang gekocht. Alyce stand in der Küche, als Josie montagmittags vorbeischaute, um nachzusehen, ob ihre Freundin sich erholt hatte.

Josies Küche sah wie das Vorher-Bild in einem Heimwerker-Magazin aus, die von Alyce war das triumphale Nachher. In den fürstlichen Häusern in Wood Winds am Rande von West County hatten die Küchen keine Porzellanbecken und Formica-Tresen. Alyces Küche war mit feinem Eichenholz vertäfelt wie eine englische Bibliothek. Der Kühlschrank war so gut verkleidet, dass Josie ihn nicht finden konnte. Jemand hätte »WESTINGHOUSE« auf die Vertäfelung schreiben können, um ihr einen Hinweis zu geben. Josie verstand nicht mal Alyces Toaster. Er sah aus wie etwas, was die NASA ins All schoss.

Alyce verschwamm in ihren Bewegungen an ihrer schwarzen Kücheninsel aus Granit, wo sie mit magischen Küchengeräten hackte, schlug und rührte. Josie sah fasziniert zu. Sie hatte keine Ahnung, was die Hälfte der Werkzeuge war. Sie sahen aus, als gehörten sie in ein Verlies.

»Ich dachte, ich mach uns ‘nen kleinen Brunch, bevor der Klempner kommt«, sagte Alyce. »Möchtest du ‘ne Artischocken-Lauch-Frittata?«

»Wenn du sie machst, werd ich sie mögen«, antwortete Josie. Sie setzte sich leeseits der Schneide- und Würfelutensilien an die Granitinsel. »Warum erwarten wir den Klempner? Ist deine Toilette verstopft?«

»Nee, ich brauch ‘nen Topffüller«, sagte Alyce.

»Was ist das?«, fragte Josie.

»Ich lass ‘nen Wasserhahn über dem Herd anbringen, mit dem ich große Kochtöpfe füllen kann. So muss ich die dann nicht durch die ganze Küche schleppen.«

»Du machst Witze«, sagte Josie.

»Mach ich nicht. So was hat jeder.«

»Nicht in Maplewood«, entgegnete Josie. »Wir Stadtfrauen sind aus hartem Holz geschnitzt. Wir durchqueren weite Küchen und tragen Töpfe voller Wasser.«

»Und verschüttet es überall«, meinte Alyce.

»Na klar. Wie sonst sollt ich meinen Küchenboden putzen? Was ist in dem Martini? Der ist ja rot.«

»Das ist ein Moosbeer-Martini«, antwortete Alyce. »Der ist gut für dich. Dir liegt was auf dem Herzen, Josie. Ich mein, was anderes als die furchtbare Sache im Einkaufszentrum Dorchester.«

»Das hat mich nicht gestört«, erwiderte Josie. »Diebstahl gehört im Einkaufszentrum zum Alltag, aber ich muss zugeben, der bewaffnete Überfall war etwas extrem.«

Josie wohnte in einer alten Vorstadt am Rande von St. Louis. Es war an Josies Standards gemessen recht sicher, doch Maplewood hatte auch seine Verbrechen. Trotzdem zog sie das eklektische Durcheinander ihrer Stadt der im Gleichschritt marschierenden Vollkommenheit von Alyces weniger gefährlicher Siedlung vor.

»Das ist kein Witz, Josie. Die Kerle haben ‘ne Pistole auf ‘ne unschuldige Ladenangestellte gerichtet. Vielleicht bist du das gewöhnt, ich aber nicht.« Alyce schlug wütend Eier in eine Schale, jeweils zwei zugleich.

»Ich bin dir ‘ne Entschuldigung schuldig«, sagte Josie. »Ich hab nachgeforscht. Am Freitag waren wir dabei, als das Einkaufszentrum Dorchester starb. Der Überfall war der Anfang vom Ende. Das ist schon in anderen Einkaufszentren passiert: Man vermietet an einen Laden, der das falsche Klientel anzieht. Ladendiebstahl, Handtaschenraub und andere Verbrechen werden häufiger. Die Werbekunden setzen die lokalen Zeitungen unter Druck, die Kriminalität kleinzureden. Das funktioniert ‘ne Weile, dann passiert was, was zu groß ist, um’s zu vertuschen, und die Situation explodiert.«

Alyce schlug ein weiteres Paar Eier auf.

»Wie machst du das?«, fragte Josie. »Kein einziges Stück Schale. Meine Eier wären extraknusprig.«

»Danke«, sagte Alyce.

»Wegen der Eier?«, fragte Josie.

»Weil du mich wegen des Einkaufszentrums Dorchester ernst genommen hast. Weil du mich nicht behandelst wie ‘ne behütete Hausfrau. Aber du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet. Was liegt dir aufm Herzen?«

»Meine Mom. Sie hat angefangen zu rauchen.«

»Wieso denn?«

»Gruppenzwang«, antwortete Josie.

Alyce lachte. »Deine Mutter ist wie alt? Fünfundsechzig?«

»Achtundsechzig«, sagte Josie. »Jane hat mit dem Rauchen aufgehört, nachdem mein Vater uns verlassen hat, weil sie sich keine Zigaretten leisten konnte. Sie brauchte jeden Penny, um mich großziehen zu können. Jetzt, wo sie im Ruhestand ist, hat sie etwas Geld zur Verfügung. Alle ihre Freunde rauchen, also hat sie wieder angefangen. Sie meint, sie macht sich keine Sorgen um Krebs – dafür ist sie zu alt.«

»Da hat sie nicht Unrecht, Josie«, meinte Alyce. »Es ist ihr Leben.«

»Es ist ‘n schlechtes Vorbild für Amelia«, entgegnete Josie. »Neun ist ‘n gefährliches Alter. Manche von den Kindern in ihrer Schule fangen an zu rauchen. Sie hat’s nicht nötig zu sehen, wie ihre Großmutter am Glimmstängel hängt. Ihre Schule toleriert das Rauchen nicht. Sie könnte ihr Stipendium verlieren und rausgeworfen werden. Sie –«

Josie hörte inmitten des Satzes auf zu reden und starrte Alyce an. Ihre Freundin packte zwirbeliges Grünzeug in etwas, was wie ein Düngerverteiler aussah. »Was machst du mit dem Miniatur-Landwirtschaftsgerät? Das Dings mit der Kurbel.«

»Das ist ‘ne Kräutermühle«, sagte Alyce, als wäre das eine Erklärung.

Josie nahm an, dass so etwas auch jeder hatte. Sie würde sich nicht mit mehr Fragen beschämen. »Und noch was, was mich an Moms Raucherei stört: Sie stinkt.«

»Josie!«

»Ich kann’s bei ihr zu Hause nicht aushalten. Ich bin fünf Minuten dort und riech nach Zigarettenrauch. Es steckt in ihren Teppichen und den Vorhängen. Ich muss mir jedes Mal, wenn ich sie besuch, die Haare waschen. Vergiss nicht, sie wohnt im oberen Stock. Der Rauch scheint sich in allem in ihrer Wohnung zu versenken. Ich hab ihr schon gesagt, dass ich’s nicht ausstehen kann, aber sie wimmelt meine Beschwerden ab, als ob ich nicht zähle.«

»Was ist denn so schlimm dran?« Alyce riss die Blätter von den Babyartischocken und warf sie weg. Sie entsorgte alles bis auf ein Stück vom Herz von der Größe eines Fingerhuts. Josie hielt das für viel Arbeit, wenn sie doch ein Glas große, schöne Artischockenherzen um zwei Dollar kaufen konnte.

»Es ist ihre Wohnung«, sagte Alyce und nahm eine weitere winzige Artischocke auseinander. »Wenn deine Mutter nach Rauch mieft, wird sie Amelia anekeln. Dann musst du dich nicht darum sorgen, dass deine Tochter ‘ne schlechte Gewohnheit annimmt.«

»Mom raucht auch bei mir zu Hause.«

»Sag ihr nein«, meinte Alyce. »Du hast das Recht, das Rauchen da zu verbieten.« Sie warf die kindlichen Artischocken ins kochende Wasser.

»Das ist das Problem dabei, wenn deine Mutter auch deine Vermieterin und Babysitterin ist«, sagte Josie. »Sie raucht, während sie in unserer Wohnung auf Amelia aufpasst. Mom schwört, dass es nicht so ist, aber sie schmuggelt Zigaretten ein. Ich kann sie riechen, sobald ich die Tür aufmach. Sie macht die Fenster auf, sodass die Wohnung stinkig und eiskalt ist und ich dafür zahl, den Garten zu beheizen.«

»Hört sich an wie das, was du in der Schule gemacht hast. Hast du nicht Glimmstängel in die Mädchentoilette geschmuggelt und den Rauch zum Fenster rausgeblasen?«

Alyce warf die gekochten Artischocken in eine Schüssel Eiswasser. Josie fragte sich, ob das die kleinen Dinger verwirrte.

»Woher wusstest du das?«, fragte Josie. »Wir sind nicht zusammen in die Schule gegangen.«

»Ich kenn dich, Josie. Ich wette, du hast geraucht, um aufzubegehren. Vielleicht macht deine Mutter dasselbe. Je mehr du dich darüber auslässt, desto mehr wird sie rauchen. Lass sie sein. Es ist ‘ne Phase. Warum hast du mit dem Rauchen aufgehört?«

Alyce tupfte die gequälten Artischocken mit einem Küchentuch trocken, als hätte sie sie gerade gebadet.

»Ich hab Jungs für mich entdeckt«, antwortete Josie. »Ich wollte mehr Geld für Klamotten und Schminke, also hab ich die Zigaretten aufgegeben. Oh mein Gott. Was, wenn Mom ‘nen festen Freund hätte? Soll heißen, außer ihrem Bingo-Kumpel, Jimmy Ryent. Der ist harmlos.«

»Siehst du? Es könnte viel schlimmer sein«, meinte Alyce. »Männer sind viel schwerer aufzugeben als Zigaretten. Und teurer sind sie auch. Die Mutter meiner Freundin Liz hat ‘n Vermögen für ‘ne Gesichtsstraffung ausgegeben und dafür hat sie ‘nen Mann bekommen, der ihr das Bankkonto leergeräumt hat. Jetzt erbt Liz nur noch ‘nen riesigen Schuldenberg.« Alyce steckte ein seltsam geformtes Metallgerät in eine Zitrone.

»Was machst du da mit der unschuldigen Zitrone?«, fragte Josie.

»Das ist ‘n Zitronentrichter«, erklärte Alyce. »Damit entsaftet man Zitronen und Limetten am effizientesten. Den steckt man einfach rein und drückt und der Saft kommt aus dem Trichter. Keine Kleckerei. Keine Samen.«

»Sieht gemein aus«, sagte Josie.

Die Diskussion um den Zitronenmissbrauch wurde von der Türglocke unterbrochen.

»Das wird der Klempner sein«, sagte Alyce und sprang auf, um die Seitentür zu öffnen.

Da stand ein mächtiges Paket auf ihrer Türschwelle. Josie sah sich die langen Beine, die engen Jeans und das hellblaue Jeanshemd mit dem Logo »MIKES DOGTOWN-KLEMPNEREI« an. Die Augen des Klempners hatten eine klare, graublaue Farbe. Sein Kinn war fest und kantig. Kurze, bräunliche Haare, Dreitagebart wie in Miami Vice. Sehr schön, dachte sie.

»Ich bin Mike. Ich komm ‘n Rohr verlegen«, sagte er und wurde hochrot. »Ich mein, Sie wollten ‘nen Topffüller, Ma’am?«

Er sah Josie und Alyce an, da er nicht wusste, wen er ansprechen sollte. Josie biss sich auf die Lippe, um nicht zu kichern.

»Ja«, antwortete Alyce. Ihr bleicher Hautton war rosiger als sonst. Sie tätschelte die Wand über dem Herd. »Hier will ich ihn, wenn Sie an meine Rohre kommen. Ich mein, meine Wasserrohre.«

Josie prustete und versuchte, es zum Husten zu machen.

Mike sah aus, als wollte er zur Tür hinausrennen. »Rohre. Jawohl. Sie haben bestimmt gute Leitungen. Ich hol mein Zeug ausm Wagen und bin gleich wieder da.« Er verschwand wieder.

»Der kann sich meine Rohre ansehen«, flüsterte Josie. »Vielleicht brauch ich doch ‘nen Topffüller.«

»Ruhe«, zischte Alyce. Sie war rosig vor Scham.

Mike kam mit einem grauen Werkzeugkasten und einem vorsichtigen Gesichtsausdruck zurück.

»Wir machen eine Frittata«, sagte Alyce. »Wollen Sie ein Stück?«

Josie verschluckte sich. Alyce trat sie.

»Nein, danke«, antwortete Mike. »Ich hatte schon was zu Essen. ‘nen Big Mac.« Er sah sich in der Küche um. »Sie gehen wohl nicht zu McDonald’s.«

»Ich schon«, sagte Josie. »Ich liebe die Spezialsoße. Die könnt ich mir überall hinreiben.« Woher kam das denn?

Mikes Augenbrauen schossen hoch.

»Als Schönheitsbehandlung«, fügte Josie hinzu. »Nicht zum Essen.«

Alyce hustete so unkontrolliert, dass Josie ihr auf den Rücken klopfen musste. Mike wollte ihr ein Glas Wasser geben, doch er fand den Schrank mit den Gläsern inmitten der Felder unmarkierten Eichenholzes nicht. Als Alyce sich ausgeprustet hatte, war Josies dämliche Bemerkung vergessen.

»Wollen Sie etwas Kaffee? Limonade? Mineralwasser?«, fragte Alyce. Sie tat einen Schritt auf den Herd zu und Mike trat zur Tür zurück. Was ging da vor? Warum machten zwei Hausfrauen einem Klempner solche Angst. Und warum hörten sie sich nach einem schlechten Porno an?

»Nee, alles gut«, sagte Mike. »Wirklich. Ich will nur an die Arbeit.«

»Dann lassen wir Sie«, sagte Alyce freundlich. »Sobald ich meinen Braten aus der Röhre hab.«

»Gut«, sagte er. »Ich mein, danke.«

Alyce war vielleicht nervös, doch sie war nach wie vor die perfekte Gastgeberin. Sie schnitt die Frittata in zwei Stücke und legte jedes mit einer großzügigen Portion Salat auf einen Teller. Dann trug sie die Teller in das sonnige Frühstückszimmer. Josie begutachtete den seltsamen, gleitenden Gang ihrer Freundin. Alyce schien über dem Boden zu schweben und Josie wusste nie, wie sie das anstellte.

»Wie kann ich helfen?«, fragte Josie.

»Du kannst dich hinsetzen und den Ausblick genießen«, sagte Alyce. Sie war zu höflich, um zu sagen, dass Josie ihr nur im Weg stünde.

Josie setzte sich. Das sonnige Erkerfenster schaute auf den Garten hinaus, der im frühen Dezember mit Zierkohl bepflanzt war. Auf dem Tisch waren gelbe Leinenservietten und dazu passende Sweetheart-Rosen in einer Kristallglasvase.

Alyce stellte eine Kanne Kaffee auf das Wärmegerät und holte den Krug mit dem übriggebliebenen Moosbeer-Martini, einen Korb warme Brötchen und Butterröllchen. Dann kam sie mit dem Küchentresen-Fernseher zurück. Alyce sah während der Mahlzeiten nie fern. Josie nahm an, dass sie Deckung für ihre Unterhaltung schaffen wollte. Alyce schaltete den Fernseher auf leise und sie sprachen im Halbflüsterton.

»Was ist los mit mir?«, fragte Josie. »Ich hab mich noch nie so dämlich angehört.«

»Wir haben das Desperate-Housewives-Syndrom«, meinte Alyce. »Seit der Serie wird jeder halbwegs gutaussehende Handwerker angebaggert. Klempner haben’s besonders schwer, und der hier ist scharf. Die Männer haben Angst. Die sind’s gewöhnt, mit dem Sex anzufangen, nicht, dass die Frauen sich an sie ranmachen.«

»Er ist schon nett, aber ich kann nicht glauben, dass ich das gesagt hab«, sagte Josie. »Ich schäm mich voll.«

»Du konntest nicht anders. Du hast die Rolle von Susan eingenommen, der tollpatschigen Alleinstehenden. Ich hätt erwartet, dass du jeden Moment über ‘nen Stuhl stolperst. Die verdammte Serie hat uns die Handwerker ruiniert. Früher konnte ‘ne Frau ‘ne kleine Sache mit ‘nem Reparateur haben und es war nichts dabei. Ich hab’s mir nicht geleistet, aber einige meiner Freundinnen schon. Jetzt sind die Kerle zu Sexobjekten geworden. Sie sind wie Rockstars, nur dass sie zu was taugen. Frauen finden sie unwiderstehlich.«

»Kein Wunder, dass sie Angst haben. Sollt ich –«

Alyce jedoch starrte den Fernsehschirm an. Er hatte einen roten Streifen unten, auf dem »Eilmeldung« stand. Sie packte die Fernbedienung und drehte die Lautstärke auf. Der Sprecher sagte: »Die Frau aus West County wurde vermutlich während eines versuchten Autodiebstahls am Einkaufszentrum Dorchester erschossen. Zeugen zufolge handelte es sich bei dem Täter um einen siebzehnjährigen Afroamerikaner. Die Polizei verfolgte den Verdächtigen in das Einkaufszentrum, wo er festgehalten und in Haft genommen wurde.

Die Tote wurde als die dreißigjährige Designerin Halley Hardwicke identifiziert –«

Alyces Gabel klapperte auf den Tisch. »Das ist meine Nachbarin«, sagte sie. »Halley ist tot.«

»Die Schal-Designerin«, sagte Josie und verschüttete ihren Moosbeer-Martini. Keine der beiden Frauen bemerkte, wie die rote Flüssigkeit auf Alyces Boden tropfte.

Halleys Foto tauchte auf dem Bildschirm auf. Sie hätte Alyces Schwester sein können – ihre dünnere, modebewusste Schwester. Halleys Haut war bleich wie Orchideenblüten. Ihre platinblonden Haare waren lang und glatt und kontrastierten mit einem tiefblauen Schal.

Halley. Die Frau, die Seidenschals von herzzerreißender Schönheit herstellte. Sie war auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums erschossen worden.

Plötzlich schien die Welt ein gutes Stück hässlicher.

Kapitel 3

Die Nachricht von Halleys Ermordung sprach sich mit Schallgeschwindigkeit in Alyces Siedlung herum. Handys zwitscherten und Computertasten klackerten. Ehemänner wurden aus ununterbrechbaren Besprechungen gerufen. Ehefrauen öffneten vibrierende Handys in Einkaufswarteschlangen, sahen die persönlichen Notfallcodes und nahmen die Anrufe an der Kasse an, was für eine höfliche Vorstädterin eine Todsünde war.

Josie und Alyce starrten immer noch ungläubig auf den Fernseher, als die Frauen von Wood Winds auf den Notfall reagierten. Sie räumten ihre Küchen aus, um üppige Kuchen und herzhafte Hauptgerichte zu machen. Einer Katastrophe, die sich so nahe am eigenen Heim ereignet hatte, konnte man nicht auf leerem Magen begegnen.

Einige Frauen kochten spezielle Familiengerichte, als brauten sie einen persönlichen Zauber, der ihre Lieben schützen sollte. Der Kochwein wurde für die Lieblingsmahlzeiten der Ehemänner hervorgeholt, wie zum Beispiel Bœuf bourguignon, und wenn die Köchin ein paar Schlücke nahm, dann halt, na ja, um sich die Nerven zu stärken.

Halley war tot. Ein Mitglied des Weihnachtstanzausschusses von Wood Winds war im Einkaufszentrum ermordet, während eines unschuldigen Einkaufs erschossen worden. Wenn man die goldene, glückliche Halley ermorden konnte, dann konnte das jeder von ihnen passieren.

Während einige Frauen von Wood Winds es für nötig hielten, ihre Heime zu schützen, wendeten andere sich an ihre Nachbarn. Eine von ihnen kam geradewegs zu Alyce nach Hause gerannt. Alyce stapelte gerade die Essteller in ihrer Küche und trat dabei vorsichtig um Mike, den Klempner, herum. Josie wischte ihren verschütteten Martini auf und versuchte, nicht auf Mikes wohlgeformten Hintern zu starren, der sich unter der Spüle hin- und herbewegte.

Die Küchentürglocke läutete und eine sanfte Stimme rief: »Alyce, bist du da? Ich bin’s, Joanie.«

»Wer ist das?«, flüsterte Josie.

»Meine Nachbarin, Joanie Protzel«, antwortete Alyce. »Ihr gehört das Haus mit dem Mansardendach gleich neben Halleys Haus. Sie weiß vielleicht was.«

Alyce öffnete die Tür und Joanie eilte mit zwei riesigen Tabletts in die Küche. Sie war so aufgeregt, dass sie Mike gar nicht bemerkte.

Joanie war um die Dreißig, eine jener kleinen Frauen, die ein Sofa an einem Bein anheben konnten, um darunter Staub zu saugen. Sie brachte ein halbes Deli-Restaurant herein, doch keines ihrer braunen Haare war fehl am Platz.

»Ich hab gerade das von Halley gehört«, sagte Joanie. »Ich konnte nicht allein zu Hause sitzen. Ich musste mit jemandem reden. Ich hab zwei Schiwe-Tabletts mitgebracht.«

Das Trauermahl nahm die gesamte Granitinsel ein.

»Joanies Familie gehört Protzel’s Deli in Clayton«, erklärte Alyce.

»Wir haben Halleys Familie auch was zu essen geschickt«, sagte Joanie. »Das hier ist nur ‘ne Kleinigkeit.«

Manche drückten sich mit Blumen aus, Joanie tat es mit Essen. Sie hielt viel vom leiblichen Wohl – wenn man aß, fühlte sie sich besser. Josie hätte nicht geglaubt, dass sie nach Alyces Frittata noch etwas hätte essen können, doch dann nahm sie einen kleinen Happen vom Pökelfleisch. Dann nahm sie einen großen Bissen. Bald hatte sie mehrere Scheiben Fleisch verputzt.

Das Putenfleisch sah aus, als wäre es vom echten Vogel abgeschnitten. Josie hasste das verarbeitete Zeug, das wie nasse Kleenex schmeckte. Sie genehmigte sich ein kleines Stück. Lecker. Saftig. Sie probierte etwas mehr. Dann viel mehr.

Wie kann ich so essen, wenn gerade ‘ne Frau ermordet wurde?, fragte Josie sich.

Weil der Tod einem Hunger aufs Leben macht, beschloss sie. Sie häufte lebensspendende Salami auf Roggenbrot.

»Ich hätt nie gedacht, dass man jemandem aus der Nachbarschaft das Auto stehlen würde«, sagte Alyce. »Wir sperren in Wood Winds nicht mal die Türen ab.«

»Es ist auch nicht hier passiert«, berichtigte Joanie. »Es war im Dorchester. Wir haben ja alle die Geschichten über das Einkaufszentrum gehört. Die Schwester meiner Freundin Kay wurde da am helllichten Tag ausgeraubt. Kay geht da nicht mehr hin, nicht mal zum Abverkauf.«

»Jake will auch nicht, dass ich im Dorchester einkauf«, sagte Alyce.

Josie strich gehackte Hühnerleber auf Sisselbrot. Das in Maismehl gewendete Roggenbrot hatte eine unglaubliche Kruste. Es wäre eine Schande gewesen, es zu vergeuden.

»Jake liebt dich halt«, meinte Joanie.

Josie fragte sich, warum es zur Liebe gehörte, nein zu sagen. Sie langte nach mehr Hühnerleber und sah große Löcher auf der Deliplatte. Josie hoffte, dass sie nicht für alle davon verantwortlich war. Sie war erleichtert, als sie sah, wie Alyce eine Kaisersemmel gefüllt mit Rindfleisch von der Größe einer Radkappe verschlang.

»Nimm etwas handgeschnittenen Nova«, hielt Joanie sie an und überhäufte einen Mohn-Bagel mit Streichkäse, Kapern und einem halben Pfund Lachs. Sie reichte ihn Josie.

Josie aß den Lachs. Das war nur höflich.

»Jake meint, man würde nicht glauben, wie schlimm die Kriminalität in dem Einkaufszentrum ist«, sagte Alyce. »Er meint, da gab es Überfälle, Handtaschenraub, sogar Vergewaltigungen in der Parkgarage. Man hat wegen der Verbrechen mehr Sicherheitskameras installiert. Josie und ich waren am Freitag dort testkaufen und haben ‘nen bewaffneten Überfall miterlebt. Na ja, das Nachhinein haben wir miterlebt. Die arme Geschäftsleiterin zitterte wie Espenlaub.«

»Du bist Testkäuferin?« Joanie warf Josie ein breites Lächeln zu. »Ich wollte immer schon fürs Shoppen bezahlt werden.«

»Es ist etwas mehr als nur Shoppen«, entgegnete Alyce, bevor Josie antworten konnte. »Es ist harte Arbeit. Josie ist teils Schauspielerin, teils verdeckte Ermittlerin. Sie ist wirklich voll dabei. Sie glaubt, dass man weibliche Kunden nur auslacht.«

»Wir kriegen keinen Respekt.« Joanie stapelte mehr Lachs auf einen Bagel für Alyce.

Alyce nahm ihn, ohne zu zögern. Mord erstickte jeden Gedanken an eine Diät. Warum heute dünn sein, wenn man morgen tot war? »Josie hat all diese Verkleidungen, damit sie jeden Laden betreten und wie ‘ne gewöhnliche Kundin aussehen kann. Manchmal trägt sie trägerlose Tops und manchmal zieht sie sich wie wir an. Heute sieht sie wie ‘ne menschliche Trophäe aus.«

Josie trug wieder mal ihr Modeopfer-Outfit.

»Bei dem Job muss man ja gut verdienen, wenn du Escada trägst«, meinte Joanie.

»Den hab ich vom Garagenflohmarkt«, murmelte Josie an einem Mundvoll Lachs vorbei.

»Die Schuhe sind eine Qual«, fuhr Alyce fort. »Schau dir die spitze Zehenpartie an den Pradas an. Die Perücken sind auch ziemlich unangenehm, aber das sind heute ihre eigenen Haare. Du trägst sonst immer deine blonde Perücke zu dem Modeopfer-Outfit. Wo ist die denn?«

»Ich hab sie gewaschen und sie war heute Morgen immer noch nass«, sagte Josie. »Ich hatte keine Zeit, sie zu trocknen.«

»Wenigstens ist’s nicht das schwarze Ding«, meinte Alyce. »Ich hab schon so manches zu unseren Ausflügen getragen.«

»Du gehst mit ihr mit?«, fragte Joanie.

Josie konnte die Bewunderung beinah fühlen, die die kleine Frau ausstrahlte.

»Manchmal, wenn sie ‘ne Partnerin braucht. Aber ich werd nicht bezahlt«, fügte Alyce schnell hinzu. Die Frauen aus Wood Winds duften nie den Anschein erwecken, dass sie Geld nötig hatten.

»Alyce ist meine beste Verkleidung«, sagte Josie. »Niemandem fallen zwei Hausfrauen auf.«

»Die sehen nicht mal eine«, meinte Joanie. »Man möchte meinen, dass ich in manchen der Läden unsichtbar wär.«

»Jemand muss dich bedient haben. Das ist ‘ne schöne Halskette«, sagte Alyce.

»Die ist von Chico’s«, sagte Joanie.

»Da haben wir’s.« Josie knusperte eine saure Gurke.

»Was meinst du damit?«, fragte Joanie.

»Wir haben heute früher über St.-Louis-Mode geredet«, erklärte Josie. »Ich meinte, dass Alyces Freundinnen bei Chico’s und Ann Taylors einkaufen und sich keine Halley-Schals besorgen.«

»Nicht für eintausend Dollar«, sagte Joanie. »Nein, danke. Das Geld geb ich lieber für meine Familie aus. Ich meinte immer, dass Halley in New York glücklicher wär.«

Einen Augenblick lang überschattete sich Joanies kleines, herzförmiges Gesicht und ihre braunen, samtenen Augen füllten sich mit Tränen. »Das ist so sinnlos«, meinte sie. »Im Fernsehen hieß es, dass die Polizei den Mörder in Gewahrsam hat. Ein junger Mann mit siebzehn Jahren. Was hatte er denn von dem Mord? Gar nichts. Und Halley ist tot. Die schöne, talentierte Halley.«

Plötzlich hatte Josie keinen Hunger mehr. Sie legte den Rest ihres Sandwichs zurück auf den Teller.

»Die arme Familie«, sagte Alyce. »Ihr kleines Mädchen wird ohne Mutter aufwachsen. Was wird Cliff ohne Halley machen?«

»So wie ich’s gehört hab,« antwortete Joanie, »hätte er auch so ohne sie weitergemacht. Sie wollten sich trennen.«

»Nein!« Alyce lehnte sich weiter vor. Josie ebenso. Der Klatsch war beinah so köstlich wie das Deli-Essen.

»Cliff und Halley stritten immer«, erzählte Joanie. »Wie Hund und Katz’. Alan und ich konnten sie hören, und du weißt ja, wie groß das Grundstück um unser Haus ist. So laut schrien sie. Der Schall kam durch die Eibenhecke und den Lattenzaun.«

»Worüber haben sie denn gestritten?«, fragte Alyce nach.

»Cliff wollte sich nicht scheiden lassen«, sagte Joanie. »Er wollte zur Eheberatung. Halley sagte nein. Sie hatte die Vorstadt satt. Sie wollte nach New York ziehen. Ich kann dir nicht sagen, wie viele Nächte sie darüber hin- und herredeten. Dann stritten sie um ihr kleines Mädchen. Der Streit war letzte Nacht. Sie diskutierten, wer das Sorgerecht bekommt.«

»Halley wollte ihre Tochter nach New York mitnehmen?«, fragte Alyce.

»Nein!«, antwortete Joanie. Ihre Stimme wurde flüsterleise. Sie konnte die Worte kaum aussprechen. »Sie wollte Brittney überhaupt nicht.«

»Welche Mutter würde ihr Kind aufgeben?« Alyce war schockiert.

Ich, an ‘nem schlechten Tag, hätte Josie beinah gesagt. Wenn Amelia mit ihren Freundinnen chattete und das Radio dröhnend laut aufgedreht hatte, hatte Josie Lust, sie der ersten Person zu übergeben, die sie darum bat. Sie stopfte sich den Mund rechtzeitig mit einer Gabelvoll Coleslaw. Die Mütter von Wood Winds scherzten nicht über ihre Kinder.

»Halley meinte, Brittney könnte bei ihrem Vater bleiben und hier zur Schule gehen«, sagte Joanie. »Sie meinte, dass St. Louis eher ‘ne Familienstadt ist als New York.«

»Na ja, das ist wahr,« sagte Alyce, »aber konnte sie nicht warten, bis Brittney die Highschool abschließt? Sie ist jetzt wie alt – fünf? Das dauert nicht so lang.«

»Das hat Cliff auch gesagt und Halley ist durchgedreht. Sie meinte, dass sie genug von ihrem Leben in diesem Kaff verschwendet hat. Sie könnte St. Louis keine Minute länger aushalten. Halley sei zu talentiert, um hier zu leben. Wir seien alle nur ein Haufen Hinterwäldler.«

»Das ist nicht dein Ernst«, sagte Alyce. »Sie saß während der Tanzausschusstreffen da und lächelte und währenddessen hasste sie uns.«

»Sie hat so gemeine, unverzeihliche Dinge gesagt«, erzählte Joanie. »Und ihr Mann, Cliff, ist ein guter Kerl. Etwas langweilig, aber nett. Das hatte er nicht verdient. Ich hoff nur, dass das kleine Mädchen ihre Mutter nicht gehört hat. Das könnte sie ein Leben lang mit sich rumtragen.«

Es herrschte eine unangenehme Stille. Sie wussten alle, dass, wenn Joanie Halley gehört hatte, ihre Tochter sie auch gehört hatte.

»Was hat Cliff getan, als Halley das gesagt hat?«, fragte Alyce schlussendlich.

»Cliff ist verrückt geworden. Er hat angefangen zu … brüllen. Ich kann’s nur so bezeichnen. Er war wie ein wilder Stier. Er hat Halley aufs Übelste beschimpft. Dann hat er etwas geworfen. Glas oder Porzellan, ich weiß nicht genau. Wir hörten, wie es zerbrach. Halley schrie, doch diesmal vor Angst, nicht vor Zorn. Ich glaub, sie hatte Angst, dass er sie schlägt. Wir wollten die Polizei rufen und häusliche Gewalt melden, als sie plötzlich völlig still waren.

Ein wenig später hörten wir, wie eine Tür knallte und ein Auto ansprang. Cliffs Mercedes. Er musste ausgefahren sein, um runterzukommen. Cliff kam erst um drei Uhr morgens zurück. Wir wachten auf, als er das Garagentor öffnete. Er ist heute um sieben zur Arbeit gefahren, wie immer, aber er hat die Tür so kräftig zugeknallt, dass die Fenster klapperten. Sie haben sich nicht versöhnt. Ich wette, er hat sie an dem Morgen nicht zum Abschied geküsst. Ihr Tod muss schwer auf ihm lasten.«

»Ich hätte nie gedacht, dass sie sich trennen wollten«, sagte Alyce. »Sie wirkten immer glücklich. Cliff war so stolz auf sie. Er hat mit ihren Leistungen angegeben. Er lächelte immer und umarmte sie. Ich hab ihn nie zornig gesehen.«

»Cliff ist einer von den Männern, die einstecken und einstecken und eines Tages alles rauslassen«, erklärte Joanie. »Letzte Nacht ist etwas geplatzt und er hat sie zur Rede gestellt.«

»Kann man’s ihm übelnehmen?«, fragte Alyce.

»Der Autodiebstahl war wirklich furchtbar,« sagte Joanie, »aber es hätte noch schlimmer kommen können.«

»Was könnte schlimmer sein als der Mord an Halley?«, fragte Josie.

»Wenn sie sich noch mal gestritten hätten, hätte Cliff seine Frau umgebracht, so zornig war er. Ich glaub nicht, dass ihn jemand hätte aufhalten können«, sagte Joanie. »Was wär dann mit dem armen Mädchen, wenn seine Mutter tot und sein Vater ein Mörder wär?«

Kapitel 4

»Cliff hätte seine Frau nie ermordet«, meinte Alyce. »So was passiert hier nicht. Das ist hier nicht die Großstadt.«

Josie fühlte, wie es in ihr aufbrauste. Sie lebte in der Innenstadt von St. Louis – oder zumindest in der Nähe. Wieso konnten ihre Nachbarn Verbrecher sein, aber die von Alyce nicht?

Immer mit der Ruhe, sagte sie sich selbst. Alyce ist deine beste Freundin.

Es war eine ungewöhnliche Freundschaft. Das wusste Josie. Alyce war reich und sie war arm. Alyce war verheiratet. Josie war eine alleinerziehende Mutter ohne Ehemann in Aussicht. Alyce kümmerte sich Vollzeit um den Haushalt. Josie arbeitete als Testkäuferin. Alyce mochte die ruhige Sicherheit ihrer Vorstadt. Josie zog die hastige Eile der Stadt vor.

Sie hatten ihre gemeinsamen Unterschiede immer gemocht, dachte Josie zumindest.

Es ist wegen des Schock, sagte Josie sich selbst. Alyce glaubt nicht wirklich, dass die Stadtbewohner gewalttätig sind, oder? Ein kleiner Zweifel bohrte sich wie ein Wurm in Josies Hirn.

Alyces Telefon klingelte, bevor Josie fragen konnte.

»Es ist Claire, vom Wood Winds Way«, sagte Alyce zu Josie und Joanie. »Nur ‘ne Minute.«

Joanie entschuldigte sich und ging ins Wohnzimmer, wo sie selbst auf dem Handy telefonierte. Josie brauchte die Zeit, um sich zu beruhigen. Sie stöberte auf der Deli-Platte und versuchte, nicht zu lauschen, doch über das Knuspern der koscheren Gürkchen und Kaisersemmeln konnte sie jedes Wort mithören.

»Es ist schrecklich, Claire«, sagte Alyce. »Cliff ist zu früh dran mit den Plänen für das Begräbnis. Man kann sie nicht bestatten, bevor ‘ne Autopsie stattgefunden hat. Warum? Weil’s um Mord geht. Ich weiß, dass sie schön war, aber man muss ‘ne Autopsie machen. Bitte wein jetzt nicht, Claire.«

Alyce legte auf. »Arme Claire«, sagte sie. »Sie war mit Halley im Tanzausschuss. Sie nimmt sich ihren Tod wirklich zu Herzen. Ein Autodiebstahl. Das passiert einfach nicht.«

Josie meinte, den Rest des Satzes zu hören: »Zumindest unsereinem nicht.« Sie schaute demonstrativ auf die Uhr. »Sieh sich einer die Zeit an. Ich muss Amelia von der Schule abholen. Sag Joanie von mir auf Wiedersehen.« Sie rannte hinaus, bevor ihr die falschen Worte herausrutschten.

Als sie wieder im Auto saß, war sie stinkwütend. Glaubte Alyce wirklich, dass Geld sie vor Verbrechen schützen konnte?

Als Josie aus der Vierfachgarage fuhr, konnte sie Alyces Handy wiederum klingeln hören. Wahrscheinlich noch eine Nachbarin. Die Frauen von Wood Winds waren von Halleys Ermordung wie gelähmt. Ihre Reaktion kam von mehr als nur dem Schock des plötzlichen Todesfalls. Sie konnten nicht fassen, dass ihresgleichen ein Autodiebstahl widerfahren war. Sinnlose, brutale Morde passierten ihnen nicht. Sie hatten ein Vermögen dafür ausgegeben, in Anwesen mit unversperrten Türen zu wohnen. Josie meinte, dass einem das ein falsches Gefühl von Sicherheit vermittelte. Sie glaubte nicht, dass man irgendwo sicher war, auch nicht mit bewaffneten Wachleuten an den Toren. Sie sperrte immer ihre Türen ab.

Sie fuhr an den Châteaus, Villen und Palästen von Wood Winds vorbei und winkte dem unnötigen Wachmann zum Abschied zu. Es war ein glänzender Dezembertag mit einem herzzerreißend blauen Himmel. Die Rasen waren im milden Winter weiterhin grün. Wood Winds sah so friedlich aus wie eine Postkarte.

Josies Stimmung wippte zwischen Zorn und Scham. Wie konntest du das überhaupt von Alyce denken?, fragte sie sich selbst. Wenn du Hilfe brauchtest, war Alyce da, ohne Fragen, ohne Vorträge. Du hast kein Recht, deine beste Freundin zu kritisieren. Als du deine Tochter auf die Barrington School for Boys and Girls geschickt hast, hast du einen Fuß in Alyces elegante, behütete Welt gesetzt.

Der andere blieb fest in Maplewood stehen, dem Land der Mittagsimbisse und Backsteinhäuser, nur dass Maplewood dieser Tage im Trend lag. Welch Ironie war das? Es war schwer zu entscheiden, welche Einstellung man an den Tag legen sollte. Sollt ich Arbeiterschicht, Oberschicht oder hoffnungslos hip sein?, dachte Josie.

Sie fuhr auf die schwingende Einfahrt der Barrington School. Ihr kleiner, grauer Honda ging in der Herde aus Lincoln Navigators, Cadillac Escalades und Humvees unter. Sie fühlte sich wie ein Zugpferd neben Vollblütern.

Josie fragte sich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, Amelia hier herzuschicken. Sie hatte das Beste für ihre Tochter gewollt. Als Amelia ein volles Stipendium für die Barrington errungen hatte, war Josie begeistert gewesen, obwohl sie sich die Schule trotzdem nur schwer leisten konnte. Aber hieß am reichsten auch am besten?

Du verschaffst deiner Tochter Möglichkeiten, die du nie hattest, sagte Josie sich selbst. Dann knallte Amelia durch die Eingangstür der Schule wie eine dunkelhaarige Bombe; ihr Rucksack hopste hinter ihr her und Josies Zweifel verschwanden. Die Socken ihrer Tochter waren halb in ihre Schuhe gerollt. Josie meinte, dass das vielleicht in den Genen lag. Als Amelia die Autotür aufriss, sah Josie die zarte Haut ihrer Tochter mit den versprengten Sommersprossen auf der Nase, die kleinen Schokoladentropfen glichen.

Amelia hatte nach wie vor das süße Lächeln eines kleinen Mädchens. Josie wusste, dass sie bald eine launische Teenagerin werden würde, doch inzwischen konnte Josie sich noch an ihr erfreuen. Amelia sprang ins Auto und Josie erwartete das köstliche Aroma von –

»Zigaretten!«, rief Josie. »Amelia Marcus, hast du etwa geraucht?«

»Nein, Mom.« Amelias Augen waren weit offen und unschuldig.

»Du lügst.«

»Du hältst den Verkehr auf, Mom.«

Josie blickte in den Rückspiegel. Sie versperrte die Einfahrt. Sie winkte einer Mutter in einem Escalade verstohlen zu und bekam ein unehrliches Lächeln zurück.

»Versuch nicht, das Thema zu wechseln, Amelia.« Josie fuhr hinaus auf die Straße und fragte sich, wie sie am schnellsten nach Hause käme. Der Verkehr war an jenem Nachmittag dicht.

»Du bist heute früh zur Arbeit gefahren und Grandma hat mir Frühstück gemacht«, erklärte Amelia. »Sie hat geraucht.«

»Der Geruch würd sich nicht bis halb drei am Nachmittag halten.«

»Ich schwör, ich hab keine Zigarette angefasst, Mom.«

Josie sah ihre Tochter an. Die Aussage war zu vorsichtig abgestimmt. Das Kind hätte Anwältin werden können. »Aber du warst mit jemandem zusammen, die ‘ne Zigarette hatte, und sie hat dich ziehen lassen, während sie sie hielt. Du hast mit Zoe rumgehangen und sie raucht.«

Amelias Augen wurden weit und sie sagte: »Woher –?«, dann hielt sie inne. Ein Punkt auf Moms Konto.

»Du bist für mich wie ein offenes Buch«, sagte Josie. Das hab ich in deinem Alter gemacht, dachte sie. Wie ging noch mal der alte elterliche Fluch? Eines Tages wirst du eine Tochter haben, die genau so ist wie du. Zumindest half das Josie, einen Schritt vorne zu bleiben. Noch.

Zoe war ein Schatten auf Josies Leben. Das Mädel war neun, bald neununddreißig. Sie war die Erste in Amelias Klasse, die sich schminkte und Stöckelschuhe trug. Sie war in der Klasse auch für Sexualkunde verantwortlich, wobei sie völlig inkorrekte Informationen mit genügend authentischen Details vermischte, dass es jedem Vater und jeder Mutter Angst machen konnte.

»Was hab ich dir über Zoe gesagt?«, fragte Josie. Die Autoschlange am Stoppschild zog sich zwei Kilometer lang dahin. Sie würden nicht vor Mitternacht zu Hause sein.

»Ach, Mooom.« Amelia rollte mit den Augen, was zu Josies unliebsten Gewohnheiten gehörte.

»Amelia, wir haben das mit dem Rauchen besprochen. Davon kriegt man Krebs. Es kann dich umbringen.«

»Zoe meint, das hat man nie beweisen. Sie hat’s uns im Netz gezeigt.«

»Nur ‘n Depp glaubt das«, entgegnete Josie.

»Du glaubst, Grandma ist ‘n Depp?«

Die Unterhaltung hatte sich auf gefährliches Gebiet begeben. Josie holte tief Luft, zählte bis drei und versuchte, diese Landmine auf Zehenspitzen zu umgehen. »Grandma ist achtundsechzig. Ich find es nicht gut, wie sie mit ihrer Gesundheit umgehen will, aber sie ist erwachsen und ist sich der Konsequenzen bewusst. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir.«

»Aber es ist mein Leben.«

»Wenn du dein eigenes Haus hast, dann kannst du leben, wie du willst«, sagte Josie. »Aber solange du unter meinem Dach –« Sagte sie das gerade wirklich? Sie klang wie ihre Mutter.

»Es ist Grandmas Dach«, meinte Amelia.

»Es ist meine Wohnung unter Grandmas Dach.«

Der Verkehr war aussichtslos verworren. Josie reckte den Hals, doch sie konnte nichts sehen. Es musste einen Unfall an der Kreuzung gegeben haben. Sie sah eine lange Auffahrt links, dann einen weiten Wald. Wenn sie aus dem Schlamassel entkommen wollte, dann jetzt oder nie. Josie machte eine abrupte Kehrtwende. Ihre Tochter machte auch eine.

»Was macht ‘ne Lesbe?«, fragte Amelia.

Josie trat auf die Bremse und das Auto hinter ihr hupte. Amelia stellte im Auto oft peinliche Fragen, damit sie ihrer Mutter nicht ins Gesicht sehen musste.