Sichtbar! - Oliver Pott - E-Book

Sichtbar! E-Book

Oliver Pott

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Beschreibung

Werden Sie unübersehbar! Überall blinkt und blitzt es, erscheinen laute, aufgedrehte Werbespots auf den Bildschirmen. Ein Tag, an dem uns keine Werbung ins Auge fällt, ist im heutigen Alltag kaum mehr vorstellbar. Kundenaufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut. Doch wie gelingt es Unternehmen einfach und gleichzeitig effektiv, den Blick möglicher Kundinnen und Kunden einzufangen und sie vom eigenen Produkt oder von der eigenen Dienstleistung zu überzeugen? In diesem Buch erklärt der Onlinemarketing-Experte Oliver Pott, wie Sie in nur sechs Schritten smarte und nachhaltige Sichtbarkeit für Ihr Unternehmen erreichen, um besonders relevante Zielgruppen anzusprechen, und so den Umsatz signifikant steigern. Wenn Sie zudem die drei Dimensionen der werthaltigen Sichtbarkeit – bestehend aus Relevanz, Autorität und Storytelling – beherrschen, können Sie künftig komplett auf schrille Kampagnen verzichten und trotzdem sichtbar und relevant bleiben.

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Oliver Pott

mit Jan Bargfrede

SICHTBAR!

Kunden gewinnen in einer immer lauteren Welt

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Wir leben in einer Sichtbarkeitsökonomie: Produkte und Dienstleistungen, die nicht sichtbar sind, werden von Kund_innen nicht wahrgenommen. Musste Sichtbarkeit früher mit hohen Budgets für TV- und Anzeigenwerbung teuer erkauft werden, lässt sich hochwertige Sichtbarkeit heute planbar und mit geringen finanziellen Mitteln herstellen.Leser_innen erfahren hier, wie sie in 6 Schritten smarte Sichtbarkeit für ihr Unternehmen erreichen, um besonders relevante Zielgruppen anzusprechen und so ihren Umsatz signifikant steigern. Wer zudem die 3 Dimensionen der werthaltigen Sichtbarkeit – bestehend aus Relevanz, Autorität und Storytelling – verinnerlicht hat, kann künftig komplett auf laute und schrille Kampagnen verzichten.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Inhalt

Impressum

Inhalt

Wer nicht sichtbar ist, existiert nicht

Wer sichtbar ist, gewinnt die besten Kunden und macht mehr Umsatz

Die drei Dimensionen werthaltiger Sichtbarkeit

In 6 Stufen zur smarten Sichtbarkeit

Gelenkte Sichtbarkeit macht Umsatz

Kanäle smarter Sichtbarkeit

Toxische Sichtbarkeit

Ressourcen zum Buch

Danksagungen

Anmerkungen

Wer nicht sichtbar ist, existiert nicht

Wir leben in einer Sichtbarkeitsökonomie: Wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht sichtbar ist, existiert es nicht am Markt. Unternehmen scheitern heute vor allem daran, dass sie ihrem Angebot keine geeignete Bühne bieten und damit unsichtbar für den Markt bleiben.

Früher waren große und teure Budgets für TV-Kampagnen und ganzseitige Zeitungsanzeigen nötig, um Sichtbarkeit herzustellen. Sichtbarkeit war teuer, laut und schrill, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Die gute Nachricht lautet: Heute lässt sich hochwertige Sichtbarkeit planbar und mit geringstem Budget einkaufen. Diese besonders werthaltige Sichtbarkeit ist als Rohstoff verfügbar wie Mehl für den Bäcker.

Es ist smarte Sichtbarkeit, die oftmals leise, aber hoch relevant für die Kunden ist und daher die Basis für bessere Kunden und mehr Erfolg darstellt.

Unternehmen, die gegenüber ihrer Zielgruppe smarte Sichtbarkeit herstellen, gewinnen leichter Neukunden und erwirtschaften mehr Umsatz. Sie sind krisenfester und haben gegenüber Mitbewerbern unschlagbare Wettbewerbsvorteile. Sie können ihren Umsatz zudem skalieren und damit besonders schnell und nachhaltig wachsen. Und sie bauen nebenher eine eigene Marke, einen »Brand«, auf.

Die smarte Sichtbarkeit ist die Lösung für ein drängendes Problem vieler Unternehmen: Ein eigenes Produkt, in das viel Vertrauen und Hoffnung durch das Unternehmen gesetzt wird, findet nicht die Aufmerksamkeit seiner Kunden. Oder es stellt für Unternehmen oder Entrepreneure, die den Schritt in die eigene Produktherstellung erst noch planen, eine große Herausforderung dar, Sichtbarkeit für das eigene Produkt zu schaffen und Neukunden zu gewinnen.

Smarte Sichtbarkeit hat einen hohen Wert

Die Digitalisierung hat einen Perspektivwechsel eingeläutet: Es kommt nicht länger auf die Reichweite Ihrer Sichtbarkeit an, also die Menge der Augenpaare, die Sie sehen. Viel wichtiger ist eine qualitätsvolle, werthaltige Sichtbarkeit möglichst genau Ihrer Kundengruppe gegenüber.

Dabei ist es gleich, ob Sie als Arzt, Anwalt, Therapeut oder Coach Ihr Wissen anbieten oder ob Sie ein physisches Produkt vermarkten wollen.

Sie sind hoch spezialisierter Steuerberater oder Kniechirurg? Dann könnten Sie beispielweise im Dschungelcamp auftreten und werden damit gegenüber Millionen von Zuschauern sichtbar. Das jedoch ist offenkundig keine gute, werthaltige Form der Sichtbarkeit – vermutlich sogar toxische Sichtbarkeit, die Ihrem Ruf eher schadet. Zu besseren Kunden und mehr Umsatz führt das nicht und auch in Ihre Marke zahlt ein solcher Auftritt nicht ein.

Sie können es aber auch machen wie E3/DC, eine Firma aus Osnabrück mit einem skurrilen Namen, die Stromspeicher für Privathäuser herstellt und von der Sie vermutlich noch nie etwas gehört haben. Den Chef der Firma, Dr. Andreas Piepenbrink, sieht man vermutlich eher nicht im Dschungelcamp. E3/DC ist nur einer engen Kundengruppe gegenüber überhaupt sichtbar, hat ein geringes Werbebudget und setzt dennoch 120 Millionen Euro pro Jahr um.1

Sie ist auf hochwertige, smarte Weise sichtbar und erfüllt prototypisch die drei Dimensionen smarter Sichtbarkeit:

E3/DC erzielt einen außergewöhnlich hohen Relevanzgrad gegenüber ihren Kunden.

Das Unternehmen genießt außerdem Autorität (und damit Deutungshoheit). Der Firmengründer Dr. Andreas Piepenbrink gilt als führender, häufig zitierter Experte im Markt der Energiespeicher.

E3/DC speichert die eigene Sichtbarkeit in einer authentischen, gut erzählten Geschichte. Dieses Storytelling zahlt nebenher in die eigene Marke ein – so sehr, dass die Marke zur »Marke des Jahrhunderts« gewählt wurde, obwohl sie erkennbar keine Marke für den Massenmarkt ist.2

Unternehmen, denen es gelingt, diese drei Dimensionen smarter Sichtbarkeit zu erobern, haben in ihrem Markt einen uneinholbaren, dauerhaften Vorsprung.

Wie Sie das für sich, Ihre Personenmarke und Ihr Unternehmen umsetzen können, ist wesentlicher Teil dieses Buchs.

Der erste Eindruck zählt – und lässt sich kaum mehr überschreiben

Am Anfang jedes Umsatzes steht die Sichtbarkeit für Ihre Person, Ihre Marke, Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung. Sie ist die erste Stufe des Marketings – sofern Marketing all das zusammenfasst, was Ihren Kunden zum Kauf motiviert. Ob auf einem Messestand, in einer Fachzeitschrift, im TV oder im Internet: Der allerfrüheste Kontaktpunkt zu Ihrem Kunden ist stets die Sichtbarkeit.

Es sind stets Menschen, die eine Kaufentscheidung fällen, und daher gilt: Der erste Eindruck zählt – und zugleich gibt es keine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck! Die Marketingforschung hat längst erkannt, dass sich der erste Eindruck besonders stark auf Kundenseite verankert, und bezeichnet diesen magischen Moment erster Sichtbarkeit als »Primacy-Effekt«.3

Sie kennen das selbst: Sie urteilen innerhalb weniger Sekunden, ob Ihnen ein Mensch sympathisch oder unsympathisch ist. Diesem ersten Eindruck später entgegenzuwirken ist nur mit größtem Aufwand und viel Beziehungsarbeit möglich.

Das kann jedoch zu einem Beurteilungsfehler führen: Vielleicht hatte Ihr Gegenüber einfach nur einen schlechten Tag, Kopfschmerzen oder eine schlechte Nachricht zu verdauen? Solche Verzerrungen in der ersten frühen Sichtbarkeit sind als »Halo-Effekt« intensiv erforscht4: Ein attraktiver, höflich auftretender Schüler namens Alexander, der sich gut ausdrücken kann, bekommt beispielsweise bei gleicher Leistung eine bessere Note als ein übellauniger Kandidat mit dem Namen Kevin, der mit heftigem Dialekt spricht. Der Prüfer überträgt hier die sichtbaren Zeichen auf die eigentliche Leistung. Das ist selbstverständlich unzulässig.

Brillenträger gelten als besonders intelligent und belesen; auch das ein Fehlschluss. Französisches Parfum oder italienische Schuhe gelten automatisch als besonders exklusiv, selbst wenn sie in einer Großfabrik billig hergestellt werden.

Und Produkte, die in teuren, besonders luxuriösen Verpackungen angeboten werden, können höhere Preise durchsetzen. Der Kunde überträgt die erste Sichtbarkeit der teuren Verpackung im Regal automatisch auf das Produkt.

Ja, das ist unfair und – bei genauerem Hinsehen – unzulässig. Kunden aber urteilen genauso vereinfacht und reduzieren Sie und Ihre Produkte auf den ersten Eindruck Ihrer Sichtbarkeit.

Unternehmen, die ihren ersten Eindruck unter Kontrolle behalten und hochwertig aufbauen, können die erste und damit wichtigste Wahrnehmung beim Kunden direkt steuern. Das beste Instrument dazu ist die Sichtbarkeit, die in den am Beispiel E3/DC angerissenen drei Dimensionen gesteuert werden sollte. Auch das ist wesentlicher Inhalt dieses Buchs.

Ein Unternehmen, das smarte Sichtbarkeit erzielt und im ersten Eindruck makellos erscheint, hat einen großen Vorsprung im Verlauf des Verkaufsprozesses.

Achtung: Lassen Sie Ihre Sichtbarkeit nicht unbeaufsichtigt!

Machen Sie sich bewusst: Sie sind gegenüber Ihren Kunden im Markt auch dann sichtbar, wenn Sie sich mit diesem Thema noch überhaupt nicht auseinandergesetzt haben.

Unsichtbar jedenfalls sind Sie nie – nur haben Sie diese Sichtbarkeit nicht mehr unter Kontrolle.

Die großen Hotel-Bewertungsportale beispielsweise erfassen weltweit nahezu jedes Hotel und Gäste beurteilen es – ob der Betreiber es möchte oder nicht. Jameda listet Ärzte auf und Patienten schreiben ihre Kritiken, auch wenn ein Arzt gar kein Profil angelegt hat. Bei Amazon bewerten Kunden Ihr Produkt und diskutieren in Hobbyforen darüber.

Und wer Ihr Unternehmen googelt, findet Google-Sterneurteile in Kategorien von einem bis zu fünf Sternen. Ein Produkt, das von Ihren Kunden mit nur zwei Sternen bei Amazon oder Google bewertet wird, kann schon wenige Tage nach dem Start als Rohrkrepierer enden.

Bei Kununu beurteilen Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber; sucht ein Stellenkandidat nach einem Unternehmen, wird dieses Portal aufgrund seiner hohen Suchmaschinenwirkung auf vorderen Plätzen erscheinen und den ersten Eindruck des neuen Arbeitgebers durch den Halo-Effekt steuern.

All das ist ungelenkte Sichtbarkeit mit großer Wirkung auf Ihren Umsatz und vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels auch auf die Personalqualität.

Fehlt Ihnen eine Strategie zur Lenkung, dann geben Sie die Sichtbarkeit und damit ein mächtiges Instrument aus der Hand – und die Steuerung übernimmt der Markt selbst. Das kann im Chaos münden und zu ernsthaften wirtschaftlichen Problemen führen. Im schlimmsten Fall entsteht eine Negativspirale durch Kundenmeinungen, der »Shitstorm«, den Sie nicht mehr einfangen können.

Das Handelsblatt urteilt über diese sehr gefährliche Form der Sichtbarkeit: »Die Katastrophe im Netz kann Geschäftsstrategien hinwegfegen und den Ruf von Top-Managern ruinieren.«5

Hauptziel smarter Sichtbarkeit ist, bessere Kunden zu gewinnen und mehr Umsatz zu erzielen. Aber es gibt einen versteckten, angenehmen Nebeneffekt, eine eingebaute »Versicherung« gewissermaßen:

Smarte Sichtbarkeit beugt schlechter Reputation vor, indem sie in guten Zeiten ein solides positives Image Ihrer Wahrnehmung aufbaut. Das schützt Sie und den Ruf Ihres Unternehmens in stürmischen Zeiten möglicher Krisen.

Wer sichtbar ist, gewinnt die besten Kunden und macht mehr Umsatz

Jeder Dienstleister oder Anbieter von Produkten möchte seinem Geschäftsmodell Kunden zuführen. Und genau dort beginnen die Probleme: Ein Produkt an Kunden zu verkaufen oder, noch schwieriger, ein Produkt überhaupt zu entwickeln, das an Kunden verkauft werden kann, und dann funktionierende Vertriebswege zu finden kostet Energie und bietet ein hohes Frustrationspotenzial. Es gibt hochwertige Formen der Sichtbarkeit und weniger leistungsfähige; aber schlimmer als schlecht sichtbar zu sein, ist, unsichtbar zu sein.

Nicht erleichternd wirkt zudem für Entrepreneure die Tatsache, dass die Produktentwicklung häufig nicht im sicheren Wissen geschehen kann, für das Produkt später auch einen lukrativen Absatz zu finden. Und schließlich tritt heute mehr denn je noch das Empfinden hinzu, dass das eigene Angebot durch das Ringen um die Aufmerksamkeit möglicher Kunden, insbesondere durch die Digitalisierung und die Zergliederung vieler Märkte, heute auf so viele Konkurrenten trifft, dass das eigene Stück vom Kuchen der Sichtbarkeit und damit vom Markt kaum zu erobern ist.

Den Konsumenten begegnen gleichzeitig so viele Informations- und Konsumangebote, dass auch hier die Sichtbarkeit des einzelnen Angebotes gegen null tendiert. Sichtbarkeit scheint schwer zu erreichen und allzu viele konkurrieren darum.

Ein Beispiel: Sie haben sich in Ihrem Beruf eine gute Expertise in einem ganz speziellen Bereich erarbeitet. Sie können Probleme für Kunden schnell und mit beeindruckenden Abkürzungen für diese lösen. In dieser Nische Ihres eigentlichen Aufgabenfeldes gehen Sie zu 100 Prozent auf; hier liegt Ihre Kernkompetenz. Nun überlegen Sie, das sichere Angestelltenverhältnis zu verlassen oder sich noch einmal in diesem Bereich Ihrer Selbstständigkeit zu spezialisieren.

Und dann beschleicht Sie schnell das Gefühl, dass es doch nicht so einfach wird, neue Kunden zu erreichen, denn in Ihrer Branche sind schon viele Mitbewerber auf dem Markt, die Ähnliches tun. Sie haben auch das Gefühl, dass der Wettbewerb das nicht besser kann als Sie, vielleicht können Sie es sogar viel besser – aber das sieht keiner. Außerdem hat der Wettbewerb schon seine Marktanteile erobert, er ist sichtbar.

Schnell entsteht für Unternehmen das Gefühl, Sand in der Wüste zu verkaufen, keine Sichtbarkeit mehr erreichen zu können und einer Übermacht an Konkurrenz gegenüberzustehen – ganz gleich, ob sie das tatsächlich bessere Produkt oder die bessere Dienstleistung anbieten.

Es stellt sich ein Gefühl der Chancenlosigkeit ein. Wer etwas verkaufen möchte, will und muss dennoch seine eigene Sichtbarkeitsnische suchen, die ihm für seine Zwecke nutzbringend ist. Genau diesen Zielkonflikt löst die smarte Sichtbarkeit. Denn reine Sichtbarkeit zu bekommen ist gar nicht das eigentliche Problem.

Reine Sichtbarkeit ist wertlos

Bloße Sichtbarkeit ist häufig wertlos. Das gilt auch im Digitalen.

Arianna Renée beispielsweise ist sehr gut sichtbar und hat sich ein großes Stück des Kuchens in ihrem Bereich gesichert. Als Instagrammerin @Arii hat sie auf diesem Kanal über 2,6 Millionen Follower. All diese Menschen folgen ihr, weil sie von ihr kurzweilige Unterhaltung, Ablenkung oder Informationen erwarten und sehen wollen. Da wäre es intuitiv folgerichtig, dass es @Arii leicht gelingen müsste, auch Informationen über Produkte an ihre Follower weiterzugeben, ihre Orientierungsfunktion diesen gegenüber zu nutzen und sie zu einem Kauf zu animieren. Doch Renée hat auch Berühmtheit dafür erlangt, eben genau an diesem Punkt die PS ihrer Prominenz und Sichtbarkeit nicht auf die Straße gebracht zu haben.

Sicherlich mit der Absicht, ihre Sichtbarkeit gegenüber ihrer Zielgruppe zu kommerzialisieren, hat sie den Versuch gestartet, selbst produzierte T-Shirts einer extra zu diesem Zweck geschaffenen Marke zu verkaufen. Damit die Firma, welche die Shirts herstellen sollte, mit der Produktion beginnen konnte, stellte diese eine scheinbar unbedeutende Bedingung: Renée sollte zunächst einmal 36 T-Shirts verkaufen. Damit würden die Anfangskosten der Produktion gedeckt und der Internet-Star könnte die realistische Chance der Marke beweisen. Bei über zwei Millionen Followern klang das auch für Arianna Renée nach einer machbaren Aufgabe. Doch es geschah das Unerwartete: Es gelang ihr eben nicht, 36 T-Shirts zu verkaufen. Die Produktion der Shirts wurde nie gestartet und Renée erklärte später reumütig, dass sie daraus etwas gelernt habe: Es sei für sie ein Weckruf, noch härter zu arbeiten.1

Damit ist sie zwar sichtbar – aber wertlos sichtbar.

Die Gründe des Scheiterns von Ariane Renée lassen sich jedoch beschreiben, ja sogar positiv wenden und liegen zu einem guten Teil in der Inflation der Sichtbarkeit innerhalb des Mediums: Instagram, wie viele andere erfolgreiche Kanäle mit hohen Wachstumsraten und hoher werbender Präsenz von Unternehmen, inflationiert Sichtbarkeit.

War das Internet in seinen Anfangsjahren, nachdem es die ersten Forschungslabore verlassen hatte, lange ein unidirektionales Medium wie die sogenannten »alten Medien« (Zeitung, Bücher, Fernsehen, Kino und Radio), bei dem stets institutionalisierte Sender Informationen an viele Empfänger überbrachten, so wandelte sich das Internet über die Jahre zu einem neuen Modell, das eine Säule des Erfolgs des heutigen Internets wurde: Das Internet machte die vormaligen Empfänger auch zu Sendern und jeder konnte seine Informationen über das Web verbreiten. Jeder sendet seitdem.

Angefangen mit Blogs und den wachsenden Möglichkeiten, eigene Inhalte mit den ersten Website-Programmierungen auch einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, wurde das Internet immer kommunikativer. Facebook, Instagram, YouTube beziehungsweise damals vor allem diverse Vorgängersysteme ermöglichten es plötzlich nahezu jedem, eigenen Themen und der eigenen Person noch mehr und noch leichter Sichtbarkeit zu verschaffen. Allein der Name eines der Vorgängernetzwerke von Facebook, »MySpace«, zeigt recht gut, worum es plötzlich ging: die eigene Parzelle in der breiten Sichtbarkeit.

Eine der direkten Folgen dieser recht jungen Möglichkeiten liegt in den heute etwa 1,2 Milliarden aktiven Nutzern von Instagram, die dort Sichtbarkeit für eigene Inhalte herstellen. Jeder dieser Nutzer verbringt dort fast eine Stunde täglich und schaut sich Inhalte an, die sich durch den Feed, Storys und IGTV, die »Entdecken«-Seite und Hashtags sehr schnell zu einer Masse an Informationen und Inhalten aufsummieren – zu immerhin 1,2 Milliarden Stunden Senden und Empfangen und Ringen um Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit nur bei Instagram.

Zusätzlich werden über eine Milliarde Stunden YouTube-Videos täglich geschaut2, geschätzte 5,8 Milliarden Google-Suchanfragen gestartet3 und 1,8 Milliarden Menschen nutzen täglich Facebook.4

Kurz gesagt: Es wird unglaublich viel gesendet und viele Kanäle setzen dabei auf die Kennzahl »Views«, auf Sichtbarkeit – und übrigens zählen auch alle Kanäle die Views und zeigen den Produzenten von sichtbaren Inhalten diese Kennzahlen stets sehr präsent, für jeden einzelnen Beitrag aufgeschlüsselt, um die Nutzer zu motivieren, noch mehr Views und damit Reichweite herzustellen. Das verdeutlicht, worum es geht: Sichtbarkeit. Und alle, die das Medium nutzen, werden zu einer Art Abhängigkeit von Views, Followerzahlen und Reichweite erzogen:

»Diese Nutzerin hat viele Follower, sie muss folgerichtig ein sehr erfolgreiches Business betreiben. Jener Nutzer erreicht mit seinen Videos 100 000 Klicks. Er macht sicherlich viel Geld mit seiner Reichweite.«

Sichtbarkeit unterliegt unter ökonomischen Gesichtspunkten einer starken Inflation. So wie Währungen manchmal ein Problem damit haben, wenn die ausgebenden Banken immer mehr Geld drucken, ohne einen Wert zu hinterlegen, so bekommt auch Sichtbarkeit Schwierigkeiten, wenn sie allzu viel vorhanden ist. Für Geld gilt: Es ist nicht mehr physisch hinterlegt (mit Goldreserven im Gegenwert der Scheine und Münzen beispielsweise). Und so ist vielleicht auch die riesige und wachsende Menge an Sichtbarkeit nicht mehr mit genügend Aufmerksamkeit möglicher Zuschauer hinterlegt.

Insbesondere im Bereich von Social Media werden Sichtbarkeit und Geschäftserfolg häufig von außen betrachtet synonym verstanden, einfach weil die Nutzer durch das Medium zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für Follower und Klicks erzogen werden – und weil der wirkliche Zusammenhang gar nicht nachvollzogen werden kann. Der Nutzer hat keinen Zugang zur betriebswirtschaftlichen Auswertung des Return on Investment für die Follower der Kanäle, denen er folgt. Da ist es durchaus verlockend, zu denken, dass jemand, der viele Follower hat, wohl auch einen hohen Geschäftserfolg vorweisen kann. Allerdings ist diese Ableitung rein aus der Betrachtung beispielsweise des Instagram-Accounts eines großen Unternehmens oder erfolgreichen Wissensanbieters nicht mehr als Kaffeesatzleserei.

Die Inflation der Sichtbarkeit

Sichtbarkeit ist also inflationär verfügbar; sie ist nicht nur bei Instagram, sondern auch in anderen medialen Kanälen und Kontexten heute immer leichter und in immer größerem Maße zu bekommen. Wenn wir von einer Sichtbarkeitsökonomie sprechen, dann ist es einer der einfachsten ökonomischen Zusammenhänge, der wohl auch für Arianna Renée zum Problem wurde: das Verhältnis von Angebot und Wert als Folge der Nachfrage. Je leichter und in größerer Menge eine Ware wie Sichtbarkeit zu bekommen ist, desto niedriger wird tendenziell ihr Wert, wenn es zudem noch viele Anbieter gibt; und eben dieser Zusammenhang nennt sich Inflation.

Wo reichlich Angebot ist, da hat das auch einen direkten Einfluss auf die Nachfrage. Für den mobilen Facebook-Feed kann zum Beispiel eine durchschnittliche Aufmerksamkeit pro Posting der Nutzer von 1,7 Sekunden aufgezeigt werden. Das bedeutet, dass ein Produktangebot, wie beispielsweise das T-Shirt von Arianna Renée, genau diese Aufmerksamkeit von jedem einzelnen ihrer Follower bekommt.5 Das reicht meist nicht aus, um einen Kaufimpuls beim Betrachter zu setzen.

Dass Sichtbarkeit heute leicht zu bekommen ist, ist zunächst aber ein Vorteil. Der leichte Zugang macht die Beschaffung des Rohstoffes Sichtbarkeit für Unternehmen angenehmer, planbarer und damit auch wirtschaftlicher. Die Aufmerksamkeit von Millionen Menschen erreichten vor 30 Jahren allenfalls Bild-Redakteure, TV-Showmaster und Bestseller-Autoren. Heute lässt sich Sichtbarkeit planbar bei Instagram, Google und Facebook einkaufen.

Allerdings lässt sich durch die Verwendung des Rohstoffes Sichtbarkeit nun viel schwerer ein direkter Gewinn erzielen, was offensichtlich Teil des Problems von Arianna Renée war. Sinkende Preise sind für Konsumenten oder Käufer angenehmer als für Verkäufer und Lieferanten.

Eine Weiterverarbeitung von Gold als teurem Rohstoff beispielsweise zu Schmuckstücken lässt einen hohen Wert auch in der weiteren Vermarktung der entstehenden Produkte zu, jedoch muss Gold auch teuer eingekauft werden. Das ist einer der Hauptgründe für den hohen Preis von weiterverarbeitetem Gold; selbst das einfachste und schlichteste verarbeitete Schmuckstück hat immer noch seinen Goldwert im Wiederverkauf, nur weil Gold als Rohstoff selten und entsprechend werthaltig ist.

Wenn aber beispielsweise ab morgen eine Maschine zu einem günstigen Preis verkauft wird, mit der jeder Haushalt aus Trinkwasser einige Kilo Gold pro Tag gewinnen könnte, dann würde das alles Gold entwerten. Weder das Gold noch im Übrigen die Maschine, die es filtert, wären nach kurzer Zeit überhaupt noch etwas wert, wenn der Rohstoff Gold erst einmal die Märkte überschwemmt hätte. Und in gleichem Maße haben sich Sichtbarkeit und ihre Filtermaschinen durch das Internet devaluiert. Als unmittelbare Folge kann auch in der Nutzung des Rohstoffes Sichtbarkeit dann kein unmittelbarer Wert mehr erzielt werden, wenn diese nicht veredelt wird.

Salz hat eine lehrreiche Genese in genau dieser Art erfahren. Wurde Salz noch bis ins Mittelalter mit Gold aufgewogen, weil es schwer zu bekommen war, so wurde mit der industriellen Förderung der Neuzeit dessen Preis immer niedriger. Heute werden Millionen Tonnen Salz jährlich gefördert und der Salzpreis ist extrem gesunken. Hersteller, die dennoch mit Salz Geld verdienen wollen, werden dadurch vor ein klares Problem gestellt.

Ein Beispiel jedoch, wie sich bei inflationärem Gut dennoch ein guter Gewinn erzielen lässt, ist »Himalaya-Salz«. Dieses soll aus dem Himalaya stammen und eine besondere Zusammensetzung haben; mitunter wird sogar eine besondere Form des Salzabbaus beschrieben. Die Hersteller dieses Salzes überakzentuieren einige Eigenschaften des Produkts, geben ihrem Salz einen eigenen Namen und erzählen eine Geschichte dazu. Dadurch schaffen sie es, aus dem inflationierten Gut Salz ein hochwertigeres, differenzierteres Produkt herauszuarbeiten und zu einem deutlich höheren Preis zu verkaufen.

Auch dem Gewürzhersteller Ankerkraut gelingt eine solche Aufwertung. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buchs kostete der »Fairglobe Biopfeffer« bei Lidl 1,99 Euro pro 100g. Der »Hamburger Kapitänspfeffer« von Ankerkraut kostet 8,56 Euro pro 100g und damit mehr als viermal so viel – und ist doch auch bloß Pfeffer.

Ankerkraut erzählt seinen Kunden eine gute Geschichte: Schon im Produktnamen sind Anklänge der weiten, mondänen, maritimen Welt eingearbeitet. Dass Produkte eine gute Geschichte benötigen, ist heute wesentlicher Bestandteil hochwertiger Sichtbarkeit, dem wir uns ausführlich widmen werden.

Hamburger Kapitänspfeffer erzählt schon im Produktnamen eine Geschichte – und kostet 8,56 Euro pro 100 Gramm.

Quelle: Ankerkraut.de

Ganz ähnlich wie beim Salz drängt der rapide sinkende Wert von Sichtbarkeit heute viele Anbieter in die Enge, wenn er sich auf die reine Produktfunktion (hier: Salz oder Pfeffer) reduziert.

Die große Sichtbarkeit, die einem erfolgreichen Instagrammer zur Verfügung steht, steht auch allen anderen mindestens potenziell zur Verfügung und viele machen ebenfalls reichlichen Gebrauch von dieser Möglichkeit. Hinzu kommt, dass eben nicht mehr eine Einzelperson oder eine Institution Inhalte produziert und der Rest konsumiert. Jeder Konsument ist heute Prosument, also eine Mischform aus Produzent und Konsument, aus Sender und Empfänger. Jeder Nutzer ist selbst Sender und empfängt von vielen anderen Sendern. Jede einzelne gesendete Botschaft wird dabei in ein großes Rauschen aus Abermillionen Botschaften aufgenommen und droht darin zu verschwinden.

Arianna Renée sollte sich genau überlegen, in welche Richtung sie »noch härter arbeiten« will. Denn die Beschaffung weiterer wertloser Sichtbarkeit wird ihr kaum nutzen.

»Laute« Sichtbarkeit entwertet Ihre Wahrnehmung am Markt

Übrigens kennen auch die »alten Medien« diese Phänomene. Wenn in einer der beliebten Abendsendungen ein Produkt vorgestellt wurde, erreichte sie Millionen an Zuschauern. Schließlich wurde kaum ein anderes Produkt in Konkurrenz gezeigt und es genoss außerordentliche Sichtbarkeit.

Mit dem Aufkommen der Privatsender, die zudem deutlich lockerere Werberegelungen hatten, wurde die Sichtbarkeit für Fernsehwerbung inflationär. Fernsehwerbespots und einzelne Produkte trafen vermehrt auf Konkurrenz im gleichen Kanal. Waschmittel zum Beispiel buhlten plötzlich im TV um die Sichtbarkeit gegenüber ihren Kunden, nicht erst am Ladenregal. Davor galt: Der Kunde entschied sich erst am Warenregal für ein Produkt – mit dem Werbefernsehen war ein großer Teil der Kaufentscheidung schon mit der Sichtbarkeit im TV getroffen. Damit wird Sichtbarkeit heute mehr denn je zum allerersten und auch zum wichtigsten Baustein des Marketings.

Die Werbung wurde erfindungsreicher, bunter und letztlich eindringlicher. Ein Waschmittel, in der Werbung vorher brav gelobt wegen seiner »guten Qualität«, versprach plötzlich das »weißeste Weiß«. Und nur einige Jahre später wurde der Fernsehzuschauer von der Fernsehwerbung niedergebrüllt: »Geiz ist geil!« oder »Ich bin doch nicht blöd!«. Das ist laute Sichtbarkeit und das Gegenteil von smarter Sichtbarkeit.

Und obwohl die Eskalation hier immer weitergetrieben wurde, scheint es heute so, als würde sich dieses Konzept langsam totlaufen. Zum einen ist diese laute Form der Werbung im TV in den Hintergrund getreten. Zudem hat Fernsehwerbung, wie auch Werbung im Radio, in Zeitschriften und Kinos und generell in den alten Medien, die besten Jahre anscheinend hinter sich. Die Werbeeinnahmen hier sind seit Jahren rückläufig, ein Trend, der sich mit dem Aufkommen des Social Web überschneidet.

Reine Sichtbarkeit hat den Höhepunkt ihrer Werthaltigkeit als Basis für gute Geschäftsmodelle heute längst überschritten. Die Idee, mit viel Sichtbarkeit auch gleichzeitig viel Gewinn erwirtschaften zu können, erweist sich immer mehr als Trugschluss. Und selbst verzweifelte Versuche, dann eben noch mehr Sichtbarkeit zu erreichen oder lauter zu werden, scheitern.

Auch aus dem Privaten kennt man das: Auf mancher Feier gibt es einen Schreihals, der laut und gestikulierend Geschichten erzählt. Er ringt förmlich um Aufmerksamkeit – und es wird zunehmend anstrengender und unbefriedigender, ihm zuzuhören.

Gleichzeitig gibt es aber charismatische Menschen, denen man gerne zuhört, auch wenn sie gerade leise sind. Sie haben relevante Themen, man fühlt sich mit ihnen auf einer Wellenlänge und man könnte förmlich eine Stecknadel fallen hören, weil das Publikum an ihren Lippen hängt. Um diese Person scharen sich dann plötzlich andere, die zuhören wollen, obwohl sie eben nicht laut ist. Solche Personen erreichen eine interessante Form von Sichtbarkeit und insbesondere entwickeln sie eine Verbindung zu anderen Menschen, die sich bemühen, ihre Inhalte aufzunehmen. Plötzlich zwingt ein Sender seine Sichtbarkeit nicht anderen auf, sondern mögliche Empfänger suchen diese.

Eine solche Form der Sichtbarkeit, leiser womöglich und nicht einfach durch Masse und Lautstärke anderen aufgezwungen, ist erstrebenswert. Wir bezeichnen diese Sichtbarkeit, die gesucht wird und nicht aufdringlich ist und vom Charisma und der Verbindung zu den Sendern lebt, als smarte Sichtbarkeit. Diese ist der vermutlich klügere Weg für die allermeisten Unternehmen, ihre Kunden zu erreichen und Sichtbarkeit zu bekommen, die auf allen Ebenen heraussticht. Und sie bekommt wieder einen Wert.

Die Zeit der Sichtbarkeitsimperien ist zu Ende

Vor einiger Zeit noch konzentrierte sich Sichtbarkeit auf einige wenige Leuchttürme großer Strahlkraft.

In seinem Buch White6 beschreibt der US-Autor Bret Easton Ellis unseren Zeitgeist als eine Ära, in der die großen Sichtbarkeitsimperien untergehen. Früher zum Beispiel gab noch es große Rockbands, deren neue Alben sehnsüchtig von den Fans erwartet wurden und die größte mediale Aufmerksamkeit und damit Sichtbarkeit bekamen. Sie wurden in die großen Talkshows anlässlich eines neues Musikalbums eingeladen und erhielten größte Sichtbarkeit im deutschsprachigen Raum, beispielsweise durch einen Auftritt bei Wetten, dass …?, das als deutsche TV-Institution ebenso ein solches Imperium nach der Ellis’schen Definition sein dürfte.

Auch Kinofilme zählten früher dazu: Ein neuer James Bond beispielsweise wird auch heute noch öffentlich zelebriert. Ebenso sind im Belletristikmarkt solche Imperien noch erkennbar; so erhält ein neuer Roman des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq noch immer große mediale Aufmerksamkeit und wird in den Feuilletons aller großen Zeitungen diskutiert. Die sechs letzten seiner Bücher landeten umgehend auf den Bestseller-Listen.

Diese »Imperien« leben heute noch von ihrem Momentum, das sie aus ihrer eigenen Geschichte und starken Marke noch immer mit sich tragen. Abbas neues Album Voyage beispielsweise hat nur deshalb größte mediale Aufmerksamkeit erhalten, weil Abba noch immer vom Nimbus des eigenen Imperiums zehrt – und das, obwohl sich die Band schon 1982, also vor über 40 Jahren, aufgelöst hat und seitdem kaum mehr mit neuen Projekten sichtbar war.

Auch das Album Let it be der Beatles liegt schon 50 Jahre zurück und bekam anlässlich dieses Jubiläums erneut größte mediale Aufmerksamkeit. Paul McCartney berichtete in einer mehrteiligen Disney-Serie über die Entstehungsgeschichte und veröffentlichte eine Biografie seiner eigenen Lieblingslieder. Das Album erschien außerdem in einer Neuedition und wurde massiv vermarket. All diese Aufmerksamkeit erhielt das Album, obwohl es bereits 50 Jahre alt ist. Damit ist Let it be ein Album, das seine Sichtbarkeit über viele Jahre bewahrt hat und am Kristallisationskeim des Jubiläums wieder auferstehen lässt, als sei sie nie verblasst.

Dass sich Sichtbarkeit über eine solch lange Zeit in Geschichten speichern lässt, belegen spätere Abschnitte dieses Buchs.

Auch James Bond wird schon deshalb innig erwartet, weil die Filmserie eine Quasi-Institution geworden ist. Und Michel Houellebecq ist seit Jahrzehnten hoch gehandelter Kandidat für einen Literatur-Nobelpreis. In seinem letzten Roman »Vernichtung« gab er bekannt, dass dieses Buch sein letztes sein werde – auch das hat für große Aufmerksamkeit und damit Sichtbarkeit geführt und dürfte den Buchverkäufen förderlich gewesen sein.

Diese Monumente der Sichtbarkeit jedoch sind selten und heute auserzählt: Erinnern Sie sich an ähnlich große Inszenierungen, wenn ein neuer Kinofilm heute auf den Markt kommt? Ja, es gibt sie noch immer, die lang erwarteten Kinofilme, beispielsweise Matrix 4 Resurrections – aber sie sind selten geworden; und wenn sie erwartet werden, dann oft aus der Historie heraus. So auch bei Matrix, dessen erste epische und genrebestimmende Verfilmung 1999 und damit noch im letzten Jahrtausend erschien. Erst auf dieser Basis der gespeicherten jahrzehntealten Sichtbarkeit erhielt das Film-Sequel derart viel Aufmerksamkeit.

Die allermeisten neuen Kinofilme aber finden kaum mehr in der breiten Wahrnehmung statt, selbst wenn es besonders teure Blockbuster-Filme mit namhaften Schauspielern sind.

Wenn Helene Fischer ihr neues Album herausbringt, wird auch dieses groß und aufwendig inszeniert; dem gegenüber steht aber eine Vielzahl unbekannter Schlagersänger, die kaum ihr Lohn und Brot verdienen. Und auch Wetten, dass …? knüpfte an die früheren Erfolge an; das Revival aus 2021 war ein großer Erfolg, auch weil die Sendung eine große, lange Geschichte aufweist und als das »Lagerfeuer« der Nation wahrgenommen wird.

Frühere Sichtbarkeitsimperien wie Wetten, dass … oder Die Schwarzwaldklinik konnten sich über außergewöhnlich lange Zeiten halten und erreichten in den 80er-Jahren bisweilen 20 Millionen Zuschauer. Andere regelmäßige Sendungen der 60er- und 70er-Jahre konnten damals Jahrzehnte überdauern, ohne an Attraktivität einzubüßen: Einer wird gewinnen, eine der populärsten TV-Shows im deutschsprachigen Raum überhaupt, wurde über 20 Jahre lang ausgestrahlt und erzielte in der Spitze eine heute undenkbare Einschaltquote von 90 Prozent.7

Damit konzentrierte es auf eine heute unvorstellbare Weise die Sichtbarkeit. Seit den frühen Zeiten der massiven Sichtbarkeit leiden die Einschaltquoten an massivem Schwund; ein Boden ist nicht erkennbar.

Auch im Musikbereich ist eine solche Sichtbarkeitserosion zu erkennen und als Ursache dafür auszumachen, dass Künstler heute kaum mehr von ihren Musikeinnahmen leben können. Noch vor einigen Jahren hat ein Auftritt eines Musikers in einer großen deutschen TV-Show für breite, millionenweite Sichtbarkeit gesorgt, die sich problemlos in direkte Plattenverkäufe übersetzen ließ. Sichtbarkeit war direkt mit Umsatz verbunden; daraus entstand dann mit der Zeit ein treues Stammpublikum für den Sänger oder die Sängerin. Für die Sichtbarkeit sorgten daher aus Eigeninteresse die »Major Labels«, die großen Musikfirmen also.

»Erst sichtbar werden, dann Geld verdienen«, so die Faustformel.

Heute verhält es sich umgekehrt: Nur wer längst sichtbar ist, kann auf diesem Erfolg aufbauen, wird in große TV-Sendungen eingeladen – und kann dann Geld verdienen.

»Um von einem Plattenvertrag mit einem Major-Label wirklich profitieren zu können, benötigt eine Band oder ein Solo-Künstler eine bereits existierende Fanbase«, schildert Hubert Wandjo, Leiter des Bereichs Musik- und Kreativwirtschaft an der Popakademie Mannheim.8 Er empfiehlt heute jungen Künstlern, die bislang noch keine eigene Sichtbarkeit erzeugen konnten, besser ein eigenes Label aufzubauen und damit dem »Do it yourself«-Ansatz zu folgen.

Zu erkennen ist der Grundgedanke: Früher war das Produkt selbst noch ausreichend aufmerksamkeitsstark und es gab attraktive öffentliche Kanäle, ein Produkt einem großen Publikum vorzustellen und damit Sichtbarkeit herzustellen. Das Produkt verkaufte sich danach mehr oder weniger automatisch und ohne großes Zutun. Heute muss die Sichtbarkeit gegenüber einer Zielgruppe zunächst aufgebaut werden, erst danach kann sie zum Umsatz veredelt werden.

Sichtbarkeit verschwindet nicht; sie splittet sich auf

Was ist mit dem Publikum passiert? Man könnte vermuten, dass die Sichtbarkeit der Zuschauer verschwunden und verblasst ist. Das aber ist ein Trugschluss.

Die Gründe der Sichtbarkeitserosion sind unterschiedlich, fußen aber vor allem auf der Zerfaserung der ehemals großen Namen, Produkte und Institutionen in viele kleinere Elemente. Der Zugang zu der damit verbundenen Nischen-Sichtbarkeit ist für jeden Menschen zugänglich, da es keine hohen Zugangshürden mehr gibt. Damit wird Sichtbarkeit einfacher verfügbar und demokratischer – das ist die erste sehr gute Nachricht für Sie, denn Sie benötigen heute kein Imperium mehr, um auf Ihre Sache aufmerksam zu machen.

Früher konnte ein Kinofilm nur durch ein Megastudio wie Warner Brothers, Universal oder Disney produziert werden, unter anderem, weil die nötige Produktionstechnik unerschwinglich teuer war und die Kanäle zum Konsumenten ebenso bewacht und teuer waren: Sendezeiten bei den großen TV-Sendern zum Beispiel für Werbespots oder der immense Aufwand, einen Film in die Kinos zu bringen. Dazu kam, dass die großen Hollywood-Stars selbst die Sichtbarkeit auf sich konzentrierten und, da sie mit ihrer Strahlkraft jeden Film aufladen konnten, exorbitante Gagen verlangten. Nur die großen Filmkonzerne konnten sich daher Blockbuster-Produktionen leisten.

Heute lässt sich ein einfacher Film selbst mit einer iPhone-Kamera filmen und auch direkt schneiden; die Qualität des Endprodukts ist sicher nicht mit einer Kinoproduktion zu vergleichen, gewinnt aber den Preis-Ergebnis-Vergleich um Längen. Spätere Teile dieses Buchs werden insbesondere zeigen, dass die rein technische Qualität heute gar kein Erfolgsfaktor mehr ist, wenn die inhaltliche Qualität hoch genug ist und der Zuschauer intensiv an die neuen Sichtbarkeitskanäle angebunden wird. Das einfach produzierte Videostück kann außerdem direkt und ohne Umwege Millionen an Zuschauern zugänglich gemacht werden, ohne dass dieser Zugang bewacht wäre. Es ist tagesaktuell, direkt und schnell.

YouTube, Instagram, Facebook und TikTok sind heute reichweitenstärker als selbst große Fernsehsender und sie werden nicht wie bei TV-Kanälen und in Kinos durch teure Zugangshürden geschützt.

Warum aber fand diese Zerfaserung überhaupt statt und warum befinden wir uns heute in einem Zeitgeist, der Sender und Empfänger miteinander zum »Prosumenten« verschmilzt? Die Gründe fußen im Wesentlichen auf der Long-Tail-Theorie, die sich mit diesem Thema seit Beginn des Internets auseinandersetzt.9

Der Ansatz liegt darin, dass die großen Stars, Shows und Produkte akzeptiert wurden, weil es keine Alternative zu ihnen gab. Ein Beispiel: Bis in die Mitte der 1980er-Jahre – und damit weit vor dem Aufkommen des kommerziellen Internets – gab es in jedem deutschen Bundesland drei Sender: ARD, ZDF und das jeweilige Regionalprogramm, das »Dritte«. Die Zuschauer konnten sich nur für eines dieser Programme zeitgleich entscheiden und mangels Alternative wurden Sendungen wie Ein Kessel Buntes oder Wetten, dass …? populär. Sie deckten ein möglichst breites Publikum ab und diese Shows waren anschlussfähig für das 10-jährige Schulkind ebenso wie für die 75-jährige Best-Agerin.

Sie waren zugleich ein Kompromiss: Spezifische Interessen oder Spartenthemen waren darin nicht vorgesehen und auch aufgrund des breiten Zuschauerzuschnitts gar nicht möglich; sie wurden entweder auf spätere Sendezeiten ausgelagert oder später dann in Nischenkanäle. Das Medium Fernsehen hatte damit in großen Teilen ein Relevanzproblem: War ein Sendestück einer Samstagabendshow uninteressant, zum Beispiel eine Wette bei Wetten, dass …? oder der Auftritt eines bestimmten Künstlers, musste der Zuschauer diesen Teil in dem Wissen erdulden, dass ein paar Minuten später vielleicht ein anderer Schwerpunkt gesetzt wurde, der ihn dann mehr interessierte.

Das änderte sich mit dem Aufkommen des Privatfernsehens. Doppelt so viele Kanäle bedeutete eben auch eine höhere Sendevielfalt; die Zahl der Zuschauer verteilte sich nun auf die doppelte Kanalzahl. Damit sanken die Einschaltquoten für jeden einzelnen Sender und die Sichtbarkeit jedes einzelnen Kanals. Der Zuschauer hatte nun erstmals ein größeres Alternativangebot; spätestens mit den Kabel- und Satellitenanschlüssen standen nunmehr Hunderte von Spartenprogrammen zur Verfügung. Mit jedem neuen Nischensender reduzierte sich die Reichweite; zugleich aber stieg der Relevanzgrad jedes Senders.

Das Internet, beispielsweise YouTube, änderte dann die gesamte Landschaft des Bewegtbildes, vor allem aus den folgenden Gründen:

Die Zahl der Kanäle war nun nahezu unendlich; damit waren die YouTube-Kanäle hoch relevant. Wer sich für Polosport interessierte oder für die Orchideenzucht, fand in den klassischen Kanälen nahezu kein relevantes Angebot. Mit YouTube kann sich jeder Zuschauer sein eigenes Programm der unterschiedlichsten inhaltlichen Angebote zusammenstellen.

Das Bewegtbild löste sich von der Sende-Synchronität: Lief im Fernsehen eine Sendung zu einer unpassenden Zeit, zum Beispiel während der Arbeitszeit, oder überschnitten sich zwei Programme, mussten sich die Zuschauer für eine Alternative entscheiden. Asynchrone Sendeformen wie der YouTube-Kanal haben diesen erheblichen Nachteil nicht.

Die Sichtbarkeit wurde zeitgleich mobil: Konnte ein TV-Sender bislang nur im heimischen Wohn- oder Schlafzimmer empfangen werden, so können YouTube-Kanäle, ein Smartphone vorausgesetzt, überall empfangen werden.

Internet-Sichtbarkeit bindet den Zuschauer sehr viel interaktiver ein: Er kann unter einem Beitrag kommentieren, er kann Fragen stellen oder ein Video an Freunde weiterleiten, bei denen er ein Interesse vermutet.

Zugleich – und dieser Vorteil wird manchmal übersehen oder doch zumindest unterbewertet – straffte sich durch die Konvergenz des E-Commerce mit dem Sichtbarkeitskanal die Kaufkette. Damit wurde die Sichtbarkeit erstmals direkt messbar mit dem Umsatz verklammert: Zuvor ließ sich über die Einschaltquote lediglich die Reichweite der für ein Produkt in einem Werbespot erzeugten Sichtbarkeit messen. Beim Kauf wurde dem Kunden ein Medienbruch zugemutet; er musste ein Produkt später in einem Ladengeschäft kaufen, seltener (aber besser) ließ sich ein Produkt direkt per Telefon bestellen. Anders im Internet: Während eines Videobeitrags können direkte Kauflinks eingeblendet werden und der Kauf wird am gleichen Gerät, auf dem das Video läuft, sofort durchgeführt; der Kaufimpuls, der aus der Sichtbarkeit heraus entsteht, lässt sich also umgehend in Umsatz ummünzen.

Verteilung der Sehzeit in Deutschland: Klassisches lineares Fernsehen verliert zunehmend die Zuschauer, vor allem jüngere Zuschauer (16–29 Jahre). Für sie sind die Sendestrecken vor allem eins: nicht mehr relevant.

Quelle: Eigene Darstellung nach einer Statistik von Roland Berger10

Das Beispiel des Fernsehens ist offensichtlich; aber der Long-Tail-Ansatz der Zerfaserung früherer Imperien lässt sich darüber hinaus in nahezu jedem Sichtbarkeitsbereich des öffentlichen Lebens erkennen.

Wo früher beispielsweise – bedingt durch die begrenzte Zahl an Regalmetern – nur wenige Interpreten und Künstler in den Regalen der Musikhandlungen standen, kann sich dank Spotify eine unbegrenzte Zahl an ambitionierten Künstlern ein Publikum erschließen.

Auch hier ist das Muster erkennbar: Der bisherige Superstar musste für eine große Zahl an Zuhörern anschlussfähig und attraktiv sein, sonst wurde er erst gar nicht unter Vertrag bei einem Major Label genommen und sein Schaffen blieb damit weitgehend unsichtbar. Das Problem des Superstars: Auch bei ihm musste der Zuhörer Kompromisse schließen. Erst als mit Spotify eine nahezu unendliche Zahl neuer Künstler aufkam, musste ein Fan endlich keine Kompromisse mehr eingehen – er fand exakt seinen Geschmack, selbst wenn ein Song vielleicht nur ein paar Hundert Hörer fand.

Der Kuchen wird nunmehr also in viel mehr Stücke geteilt. Erschienen beispielsweise im gesamten Jahr 1984 noch insgesamt 55 000 neue Songs, wird heute dieselbe Zahl Songs pro Tag im Internet veröffentlicht.11 Durch diese hochgradige Zerfaserung bleibt ein überaus großer Teil dieser Lieder unsichtbar; so ist es außerdem nachvollziehbar, dass sich daraus kaum ein sinnvolles ökonomisches Konzept für den Großteil der Künstler ableiten lässt.

Auch der große Kino-Blockbuster hat erheblich Konkurrenz bekommen. Er war einst Garant allergrößter Sichtbarkeit und hatte seine Hollywood-Superstars. Es gibt sie auch heute noch und ein neuer Film von Quentin Tarantino erhält noch immer breite mediale Aufmerksamkeit. Zugleich aber gibt es Konkurrenz durch zahlreiche, teils sehr hochwertig und aufwendig produzierte Serien der Streaminganbieter wie Netflix, Amazon Prime, Disney oder Sky.

Sie sind damals gestartet als reine Sichtbarkeitskanäle für bestehende Kinoproduktionen, haben sich aber zu Contentproduktions-Unternehmen und Filmstudios weiterentwickelt. Deren Serienvielfalt ist mittlerweile unüberschaubar, gleichzeitig sind die Schauspieler oft nur den Fans bekannt und verschwinden mit dem Serienende wieder in die völlige Unsichtbarkeit. Die Produktion einer neuen Serie ist damit viel preiswerter als die eines Hollywood-Kinofilms, weil die Produktionstechnik heute günstiger ist und die Serien-Schauspieler sehr viel weniger Geld verlangen können.

Der Erfolgsfaktor der Serien aus Kundensicht ist der höhere Relevanzgrad: Während ein großer Kino-Spielfilm über eine große Zuschauerzahl anschlussfähig bleiben muss und ein James Bond damit zugleich den manchmal konstruiert wirkenden Spagat zwischen Liebes- und Actionfilm schaffen muss, kann sich eine Spartenserie auf ein einziges Genre konzentrieren und die Zuschauerbedürfnisse daher sehr viel besser befriedigen.

Aber auch in der Welt physischer Waren ist der Sichtbarkeitsniedergang einst großer Produktimperien erkennbar. Das Dr. Oetker-Backbuch beispielsweise war über Jahrzehnte eine Institution mit hundertjähriger Geschichte – einschließlich eines eigenen Schulkochbuchs, das seit 1911 über 19 Millionen Mal verkauft wurde und nach Angaben des Verlags das erfolgreichste Backbuch der Welt ist.12 Das Buch zeigt Rezepte auf knapp 600 Seiten zum Nachkochen.

Dieses Monument des Dr. Oetker-Konzerns, das positionsgenaue Sichtbarkeit in so ziemlich jeder deutschen Küche sicherstellte, hat heute erheblich Konkurrenz bekommen: Insbesondere durch den Online-Buchhandel können nun Nischenrezeptbücher auch in kleineren Auflagen veröffentlicht werden; selbst Mikro-Nischenrezeptbücher sind durch das Self-Publishing von Anbietern wie Bod oder Epubli möglich. Hier wird erst dann ein Buch gedruckt, wenn ein Kunde es bestellt.

Rezepte werden aber längt nicht mehr nur in Buchform sichtbar: Eine große Zahl an Rezepten sind in YouTube-Channels, Kochsendungen und als Rezept-Apps verfügbar. Und wer einen Zitronenkuchen backen möchte, ergoogelt sich das Rezept vielleicht, statt im Dr. Oetker-Backbuch nachzuschlagen. Die Sichtbarkeit des einstigen Oetker-Buch-Imperiums ist damit zergliedert in zahlreiche Kanäle.

Diese dort dann verfügbaren, teils außergewöhnlichen Rezepte sind vor allem gegenüber der Zielgruppe hoch relevant: Wer beispielsweise vegane glutenfreie Rezeptangebote suchte, war mit einem klassischen Kochbuch nicht allzu treffsicher bedient; damit aber war ein solcher Klassiker deutlich weniger anschlussfähig für die Kundschaft als spezielle Spartenangebote.

In der Summe konsumieren die Kunden nicht unbedingt weniger Rezepte, nur ist der Markt nunmehr zersplittert in sehr viel mehr Rezeptkanäle.

Der Kundenanspruch steigt

Der Kunde bekommt durch den Long-Tail-Mechanismus also ein passgenaueres, relevanteres und anschlussfähigeres Produkt, das durch ein früheres Blockbuster-Angebot nicht erreicht wird: Es hat damit für ihn eine höhere, kompromisslosere Qualität.

Damit steigt die Anspruchshaltung des Kunden gegenüber dem Produktinhalt, aber zugleich auch auf anderen Ebenen des Produkterlebnisses. Der anspruchsvolle Konsument möchte heute Teil ganzer inszenierter Produktwelten sein: Ein einfacher Filterkaffee genügt heute längst nicht mehr, da er wählen kann zwischen einer großen Zahl an Kaffeespezialitäten, die er als Kapseln zu Hause selbst zubereiten kann. Oder er wählt die sorgsam und extrem aufwendig inszenierte Welt des Starbucks-Coffee, bei dem er nicht nur einen frisch zubereiteten Chai-Latte-Kaffee mit eigenem Namen auf dem Becher bekommt, sondern eine Wohlfühl-Welt dazu. Das schafft ein Filterkaffee kaum; in der Folge kann Starbucks erhebliche Preise verlangen. Spätere Teile dieses Buchs beschäftigen sich intensiv mit der daraus resultierenden Marktchance der Sichtbarkeitsveredelung durch Storytelling.

Seine Rolle als reiner Empfänger einer werbenden Sichtbarkeit lehnt der stark umworbene Kunde mittlerweile ab; er hat gelernt, einen ganz persönlichen, mit eigenem Namen beschrifteten Kaffee erwarten zu können.

Der Kunde hat diese Anspruchshaltung aus der Online-Welt kennengelernt: Er übt sich unbewusst darin, dass Sichtbarkeit zweidimensional funktioniert und er unter einem Post kommentieren, liken und bewerten kann. Er wird zum Protagonisten des Produktuniversums, dem Gehör gewährt wird. Bei Amazon beispielsweise genügt es längt nicht mehr, ein Produkt einfach nur anzubieten, denn der Kunde wird seine eigene Meinung dazu nicht nur in einer Produktbewertung verfassen, sondern diese vermutlich auch mit seinen Freunden teilen, ob der Hersteller das nun möchte oder nicht. Ebenso kann er seinen Unmut in Firmen-Supportforen vor den Augen aller sichtbar machen oder Gleiches im Instagram- oder Facebook-Auftritt des Unternehmens tun.

Seine Lieblings-Netflix-Serie kann er mit Sternen direkt in der App bewerten und einen Kommentar hinterlassen. Dieses zeitnah und direkt wirkende Kundenzeugnis führt dazu, dass Streaming-Anbieter keine kompletten Staffeln einer Serie mehr produzieren, sondern zunächst eine Pilotfolge herstellen und senden. Fällt diese durch die messbaren Kriterien des Anbieters durch (beispielsweise durchschnittliche Zuschauerbindung, gemessen an der Sehzeit oder einem vorzeitigen Filmabbruch; Kommentare, Sternbewertungen), wird die Serie nicht nur nicht fortgesetzt, sondern über die Pilotfolge hinaus gar nicht erst produziert.

Klassisches Kino und auch das lineare TV sind hier im Hintertreffen: Man muss zunächst einen teuren Spielfilm vollständig produzieren und darauf hoffen, dass er beim Zuschauer auch landet. Erst dann kann man am Box-Office-Umsatz im Kino und damit viel zu spät erkennen, ob ein Film sich auch rechnet. Der lineare Kanal alter Medien ist auf eine Eindimensionalität in der Kommunikation zum Kunden zurückgeworfen; er kann daher frühe Indikatoren wie vorzeitigen Sehabbruch gar nicht oder nur höchst unvollständig erfassen.

Der große, unnahbare Filmstar, den das Publikum höchstens auf dem roten Teppich eines Filmfestivals bestaunen konnte, hat also weitgehend ausgedient. Allenfalls Serienfans fühlen sich mit ihren Sparten-Stars verbunden. Ähnliches geschieht im Musikbusiness. Der mit mehreren Platin-Alben ausgezeichnete Superstar Jennifer Paige (»Crush«) berichtete in einem sehr persönlichen Artikel von ihrem Niedergang vom gefeierten internationalen Superstar zur Indie-Künstlerin, die das Geld für ihr neustes Album über eine Crowdfunding-Kampagne zusammenkratzen musste. Sie sagt: »Ich bin in der Musikindustrie großgeworden zu einer Zeit, als der Reiz des Künstlers noch in seinem Mysterium bestand.«13

Die neue Künstlergeneration ist entweder allenfalls einem Spartenpublikum bekannt oder, sofern es noch Superstars unter ihnen gibt, zeigt sich deutlich offener den Fans gegenüber und erschließt sich darin auch neue Umsatzquellen. Die Tagesschau berichtete beispielsweise vom Milliardenbusiness K-Pop:

»Es gibt viele Möglichkeiten, den Idols – so heißen die K-Pop-Stars – über Livestreams, TV-Auftritte und Interviews nahe zu kommen«, erklärt K-Pop-Fan Ndugwa. In kostenpflichtigen Apps werden »Behind The Scenes«-Videos hochgeladen, Fans können sich zum digitalen Mittagessen mit ihren Idolen verabreden oder ihnen Fragen über ihr Privatleben stellen. »Die digitale Vernetzung mit den Fans und der partizipative Charakter sind extrem wichtig für den Erfolg der K-Pop-Gruppen. Es wird eine Pseudo-Intimität geschaffen«, betont der Musikwissenschaftler Fuhr. »Es gibt sogar spezielle Audioaufnahmen, bei denen Bandmitglieder flüstern, um ihren Fans auch beim Einschlafen zu helfen«, sagt Ndugwa. Der Markt sei enorm groß.14

Flat-Fee-Kultur: Reine Inhalte sind entwertet

Diese Zergliederung der Sichtbarkeit hat erhebliche Konsequenzen für diejenigen, die in der Vergangenheit mit Inhalten Geld verdient haben. Es entsteht eine Flat-Fee-Kultur, bei der Inhalte für geringste Gebühren ausgespielt werden.

Ein Spotify-Abonnement beispielsweise ist für eine geringe monatliche Gebühr erhältlich; ein Netflix-Abonnement mit Hunderten hochwertiger Serien kostet in etwa so viel wie ein, vielleicht zwei Kinobesuche. Hochwertige, vormals teure Video-Coachingkurse sind heute frei auf YouTube verfügbar. Und auch das Softwaresegment hat die Inflation ereilt: Vor einigen Jahren ließen sich für hochwertige Grafik- oder Buchhaltungsanwendungen hohe Kaufsummen erzielen. Heute sind – oft disruptive und leicht bedienbare – Apps junger Startups für Kleinbeträge erhältlich.

Diese Inflation der Inhalte kann jedoch auch eine Chance für die Kanäle eigener Sichtbarkeit sein, wie dieses Buch zeigen wird.

»Snack-Content«: Aufmerksamkeitsspannen wie Goldfische

Diese Inflationierung selbst guter, hochwertiger Inhalte hat das Publikum anspruchsvoller und auch ungeduldiger werden lassen. Wer früher 400 Euro für ein komplexeres Grafikprogramm ausgegeben hat, ist geduldiger im etwas mühsameren Erlernen neuer Funktionen als bei einer App: Lässt sich die ja zuvor als Testversion kostenlos heruntergeladene Grafik-App nicht intuitiv und sofort nutzen, löscht sie der Anwender – ihm stehen schließlich gleich mehrere App-Alternativen zur Verfügung.

Auch Spotify-Songs werden immer kürzer und prägnanter: Während sich ein Käufer eines Musikstücks beispielsweise auf einem Album diesem mit mehr Geduld zuwendet, schon deshalb, weil er es gekauft hat und nun einen Nutzen erwartet, ist durch die Spotify-Musik-Flatrate der nächste Song nur einen Klick entfernt, wenn er nicht sofort gefällt; oder es sind nur sehr kurze, wenige Sekunden dauernde Sequenzen aus einem Lied, das immer wieder angehört wird, weil die Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr hergibt.

Die ZEIT schreibt über diesen Trend mit sarkastischem Unterton:

»Heute leiden Mütter und Väter mehr denn je: Sie dürfen sich die immer gleichen fünfzehn Sekunden eines Liedes anhören, wenn ihre Kinder neben ihnen auf dem Smartphone bei TikTok unterwegs sind. Denn dort werden Clip für Clip, Challengeteilnahme für Challengeteilnahme, immer die gleichen Songfragmente durchgenudelt. Das zerrt nicht nur an den Nerven der erziehungsberechtigten Elterngeneration, es verändert auch, wie Popmusik entsteht – und was wie zum Hit wird.«15

Auch hier sind die Inhalte inflationär verfügbar und daher entwertet, sodass Künstler kaum mehr nennenswerte Erträge aus den Lizenzeinnahmen erwarten. Die Sichtbarkeit wird hier extrem fragmentiert und ist außerdem dem Zusammenhang entrissen. Das obige Zitat zeigt auch, dass nur in diesen 15 Sekunden kürzester Aufmerksamkeit entschieden wird, was zum Hit wird – das hat erhebliche Konsequenzen auch für Ihre eigene Sichtbarkeitskampagne, die diesen Punkt strategisch planen und berücksichtigen muss.

Ähnliches gilt für Readly, das eine große Zahl an Zeitschriften, sogar international, für eine Flat-Fee anbietet, oder Amazon Kindle Unlimited, bei dem Bücher gegen eine monatliche Rate heruntergeladen und gelesen werden können.