Sieben Zwerge für Paulina - Iris Lieser - E-Book

Sieben Zwerge für Paulina E-Book

Iris Lieser

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Beschreibung

Paulina schiebt Frust. Von den Klassenkameraden ausgegrenzt, von der Mutter ständig angeblafft und für die Trennung der Eltern verantwortlich gemacht, fühlt sie sich einsam und verlassen. Da können auch coole Designerklamotten und teure Geschenke des Vaters nicht helfen. Wegen so einer blöden Deutscharbeit dreht auch noch der Lehrer durch und brummt der Klasse Einzelreferate auf, und die ausgerechnet über Märchen! Wer liest denn heutzutage noch solchen alten Kram! Aber es wird alles anders, glaubt sie, wenn sie die Mutprobe besteht, die ihr die Mädchenclique der Klasse vorschlägt. Dann wird Paulina endlich dazugehören, anerkannt sein, Freundinnen haben, auf Partys gehen. Spieglein, Spieglein an der Wand …

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IRIS LIESER

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche National- bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.dnb.de.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Copyright © 2017 Fabulus-Verlag Tanja Höfliger, Fellbach

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung von BookaBook, der Literarischen Agentur Elmar Klupsch, Stuttgart.

Lektorat: Martina Buder, Dresden

Umschlaggestaltung, Satz und Herstellung: r2 | röger & röttenbacher, büro für gestaltung, Leonberg

Druck und Bindearbeiten: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany 

ISBN Print: 978-3-944788-52-4

ISBN EBOOK: 978-3-944788-53-1

Besuchen Sie uns im Internet unter: www.fabulus-verlag.de

1

Die Klassenarbeit

»Herrschaften, so geht es nicht! Das hier ist, auf gut Deutsch gesagt, unter aller Sau!«

Johannes Mühlen rauschte in den Klassenraum, donnerte die Hefte, die er gestapelt in den Händen hielt, mit einem gehörigen Knall auf seinen Tisch und wandte sich den Jugendlichen zu. Zehn Augenpaare sahen ihn halb belustigt, halb verwundert an.

»Setzen! Aber sofort!«, herrschte er Kira an, die hinter Henriette stand und nach dem ersten Erstaunen über sein ungewohntes Verhalten in aller Seelenruhe ihre angefangene Tätigkeit, einen Zopf in die langen, blonden Haare der Freundin zu flechten, fortgesetzt hatte. Etwas in seinem Blick veranlasste sie aber doch, seiner Anweisung Folge zu leisten. So zornig hatten die Schüler ihn noch nie erlebt.

Seine Stimme klang gefährlich leise: »Ich habe hier zehn korrigierte und benotete Klassenarbeiten. Zwei davon sind eine glatte Fünf, unter fünf weiteren steht eine Vier. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Bei manchen ist es gerade noch eine Gnadenvier! Die absoluten Highlights sind zweiDreien, beide ebenfalls mit der Tendenz zur Vier. Das ist ein Desaster, Leute. Und das ein halbes Jahr vor den Prüfungen zur Fachoberschulreife, die gleichzeitig die Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe bedeuten! Jedenfalls, wenn es nach euren Eltern geht – ihr scheint da ja weniger ambitioniert zu sein!

Wenn ihr eure miserablen Leistungen wenigstens nur in Deutsch abliefern würdet! Aber in Mathe und Englisch seid ihr keinen Deut besser, wie mir die Kollegen Schelges und Stickelbruck mitgeteilt haben.

Wie, bitteschön, stellt ihr euch euren Abschluss vor?«

Die Klasse schwieg. Niemand machte einen besonders betroffenen Eindruck.

»Neun!«, platzte Nils heraus.

»Neun. Tolle Antwort! Was willst du mir mit dieser Zahl sagen, Nils? Dass du jetzt bis zur zentralen Abschlussprüfung täglich neun Stunden lernen wirst? Das wäre ebenso wünschenswert wie erforderlich, mein Lieber!«, antwortete der Lehrer mit vor Ironie tropfender Stimme.

»Bestimmt nicht«, grinste Nils, »aber Sie haben gesagt, Sie hätten zehn Arbeiten – haben aber nur neun Noten aufgezählt: zwei Dreien, fünf Vieren, zwei Fünfen. Macht nach Adam Riese neun. Was ist mit der zehnten?«

Johannes Mühlens Miene verdüsterte sich.

»Darüber spreche ich mit dem betroffenen Schüler beziehungsweise der betroffenen Schülerin«, antwortete er in einem Tonfall, der jede weitere Frage verbot. »Nils, da du ja immerhin bis zehn zählen und drei einstellige Zahlen addieren zu können scheinst, wirst du vermutlich auch in der Lage sein, die Hefte auszuteilen. Wenn ich also bitten dürfte?«

Der Angesprochene erhob sich betont lässig von seinem Stuhl und kam mit provozierender Langsamkeit der Aufforderung nach. Die Jugendlichen warfen kurz einen Blick auf ihre Noten und ließen die Hefte in ihren Taschen verschwinden. Keiner schien von den schlechten Ergebnissen besonders erschüttert zu sein.

»Habt ihr mal darüber nachgedacht, wie eure Zukunft aussehen soll?«, fragte der Lehrer mit Ernst in der Stimme.

»Ihr seid hier auf einer Privatschule. Eure Eltern zahlen seit fast sechs Jahren sehr viel Geld dafür, dass eure Schulbildung unter anderen Voraussetzungen stattfindet als auf herkömmlichen, staatlichen Schulen. Schaut euch um – ihr seid gerade mal zehn junge Menschen in einer Klasse. Überall sonst, auf Haupt-, Realund Gesamtschulen sowie auf Gymnasien, bestehen die Klassenverbände aus bis zu dreißig Schülern. Doch euren Eltern war es wichtig, euch die Möglichkeit zu geben, intensiver betreut und individueller gefördert zu werden. Wie oft habe ich versucht, euch klarzumachen, dass das keine Selbstverständlichkeit ist? Doch statt dankbar für diesen Luxus zu sein, präsentiert ihr euren Müttern und Vätern kurz vor dem entscheidenden Schritt, also kurz vor den anstehenden Prüfungen, die richtungweisend für euer zukünftiges Leben sind, solche Noten. Findet ihr das gut?«

Die Schüler schwiegen weiterhin. Immerhin war jetzt auf vereinzelten Gesichtern eine leichte Verunsicherung zu beobachten. Doch die Mehrzahl der Jugendlichen grinste. So auch Marius. »Lieber Herr Mühlen!« Es klang gönnerhaft.

»Mein Vater ist Steuerberater und verdient so viel Kohle, dass es Ihre Vorstellungen übersteigen dürfte. Meine Zukunft ist gesichert, da machen Sie sich mal keine Sorgen!«

»Und meiner ist Arzt. Chefarzt, um es genau zu sagen«, prahlte Sebastian. »Wir haben ein riesiges Haus mit Pool im Keller. Und noch einen zweiten im Garten. Dazu drei Mehrfamilienhäuser, in denen alle Wohnungen vermietet sind. All das werden meine Schwester und ich mal erben. Wenn man da nicht von einer sicheren Zukunft sprechen kann, weiß ich es auch nicht.«

»Sie sind doch nur neidisch!«, warf Henriette ein, was ihr etliche anerkennende Blicke einbrachte. Dadurch bestärkt, setzte sie nach: »Wir sind schließlich auf der Welt, um zu leben! Nicht, um andauernd nur zu arbeiten!«

Johannes Mühlen sah aus, als hätte er Zahnschmerzen.

»Andauernd! Nur! Sagt mal, denkt ihr eigentlich auch mal nach, bevor ihr redet? Leistung erbringen, Erfolg durch gute Noten zu haben, für die man sicher auch mal arbeiten muss, bedeutet doch nicht, dass man nichts anderes mehr macht. Doch auch die Arbeit gehört zum Leben – oder meint ihr, einem Steuerberater oder Arzt flögen die Fünfhunderter einfach so in die Tasche?«

»Nö.« Nils hatte Oberwasser. »Aber solange unsere Eltern

schuften, können wir doch prima chillen! Man ist schließlich nur einmal jung! Außerdem …«, sein Blick wurde lauernd, »wer sagt denn, dass wir nicht arbeiten? Oder zumindest dafür sorgen, dass andere nicht arbeitslos werden?«

Seine Mitschüler brachen in Gelächter aus.

»Kfz-Mechatroniker beispielsweise?«, feixte Marius so leise, dass der Lehrer es nicht hören konnte. Von den Klassenkameraden wurde seine Bemerkung jedoch mit Gejohle und lautem Beifall quittiert. Der verebbte sofort, als ihr Lehrer aufstand und etwas an die Tafel schrieb.

»Och nee«, stöhnte Marius und sprach den anderen damit aus der Seele.

»Och doch«, antwortete Johannes Mühlen. Nun lächelte nur noch er.

2

Geld regiert die Welt

»Ey, ich glaub’s nicht! Der hat doch wohl einen Sockenschuss!«

»Aber echt! Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr!«

»Märchen! Wie bescheuert ist das denn?«

»Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute! Na, dann lasst uns doch mal das Knusperhäuschen suchen! Mal gucken, ob die Hexe noch im Ofen steckt!«

Die Stimmen der Mädchen gingen wild durcheinander. Henriette, Kira, Fabienne und Lisa hatten sich in ihre Lieblingsecke auf dem kleinen Pausenhof zurückgezogen und diskutierten mit hochroten Köpfen über die letzten Minuten der vergangenen Deutschstunde.

»Referat« hatte Johannes Mühlen an die Tafel geschrieben und gelassen abgewartet, bis sich die Wogen der Entrüstung geglättet hatten.

»Wer von euch kennt eigentlich noch Märchen?«, hatte er begonnen.

»Was meinen Sie? Die Disney-DVDs? ›Küss den Frosch‹ oder ›Cinderella‹?«

»›Rapunzel – neu verföhnt!‹«

»Boah, die sind doch Mist! Lieber ›Bambi‹ oder ›Susi und Strolch‹. Die sind echt cool!«

»›101 Dalmatiner‹ und die ›Aristocats‹ aber auch!«

»Sollen wir etwa ein Referat über so ’nen Kinderkram schreiben?«

Der Lehrer hob abwehrend die Hände.

»Macht euch keine falschen Hoffnungen! Ich meine keine DVDs, sondern die Originaltexte. Hat irgendjemand in seinem Bücherregal eine Märchensammlung? Von den Gebrüdern Grimm beispielsweise?«

»Bücherregal?«, fragte Sebastian erstaunt. »Wer liest denn heute noch?«

Lisa errötete. »Ich. Manchmal. Aber dann bestimmt keine Märchen. Lieber ›Harry Potter‹ oder ›Die Tribute von Panem‹ oder so.«

»Wie doof bist du denn? Das kannst du dir doch alles in der Glotze angucken. Lesen ist total out!«

Johannes Mühlen machte der aufkeimenden Diskussion ein Ende.

»Ruhe!«, forderte er energisch. »Okay. Dann werden wir im Deutschunterricht mal dafür sorgen, dass lesen wieder›in‹ sein wird. Bis morgen schaut jeder von euch die Bücher seiner Eltern durch. Wer nicht fündig wird, kommt zu mir oder sucht das Märchen, das ich ihm gleich zuweisen werde, im Internet. Ab morgen habt ihr drei Wochen plus die Weihnachtsferien Zeit, das Referat über den …« –er lächelte spöttisch – »Kinderkram zu schreiben. Und in diesem Fall wird es keine Gruppenarbeit geben, bei der einer die Arbeit für alle erledigt und die anderen ihre Noten fürs Nichtstun einheimsen.«

Er blickte in lange Gesichter.

»Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?« Nils wollte nicht glauben, was er gehört hatte. »Einzelarbeit?«, vergewisserte er sich.

»Einzelarbeit!«, bestätigte der Lehrer mit Nachdruck.

»Jeder zehn Seiten. Leute!« Er hob die Stimme. »Ihr wollt in die Oberstufe, Abitur machen, zum Teil studieren, in jedem Fall aber eine vernünftige Ausbildung. Wie wollt ihr das schaffen, wenn ihr nur am PC oder vor dem Fernseher hängt? Die letzte Arbeit war für mich als Deutschlehrer wie eine Ohrfeige! Ihr seid fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Kaum jemand hat mehr als zehn zusammenhängende Zeilen geschrieben. Eure Werke waren inhaltlich ein nur mit viel gutem Willen lesbares Durcheinander und strotzten nebenbei vor Grammatikund Rechtschreibfehlern. Wenn ihr jetzt nicht umdenkt, hat kaum jemand von euch eine Chance, auch nur die Fachoberschulreife zu bestehen. Von der Quali fürs Gymnasium will ich gar nicht reden.«

»Jetzt übertreiben Sie aber! Ich habe jedenfalls mehr als zehn Zeilen geschrieben!«, wehrte sich Fabienne mit trotzigem Gesichtsausdruck.

»Hast du dir deine Arbeit mal angesehen?«

»Wozu denn? Reicht doch, wenn ich weiß, dass ’ne Vierminus drunter steht. Die letzte war Vier plus. Macht ’ne glatte Vier im Halbjahreszeugnis.«

»Und du meinst, das ist in Ordnung? Mehr erwartest du nicht von dir selbst? Hattest du nicht mal gesagt, dass du Apothekerin werden möchtest?«

Sie überlegte einen Moment lang. Merklich kleinlauter erwiderte sie dann: »Meine Eltern wollen das. Ich würde viel lieber was mit Mode machen.«

»Ach. Und dafür brauchst du keinen Schulabschluss?« Die Frage stand im Raum und brachte zehn junge Menschen zum Nachdenken.

»Okay!«, ergriff Nils nach einer halben Minute das Wort,»so’n halbwegs passabler Abschluss kann ja nicht schaden! Aber müssen es unbedingt Märchen sein?«

Johannes Mühlen lächelte.

»Ja. Unbedingt. Und jeder bearbeitet ein anderes. Wie gesagt: Ihr habt vier Wochen Zeit. Zehn Seiten. Mindestens. Auf den ersten fünf stellt ihr den anderen in einer Nacherzählung das jeweilige Märchen vor. Die zweite Hälfte des Referates beinhaltet eine Textinterpretation unter Berücksichtigung der individuellen Frage, die ich euch dazu stellen werde. Ihr könnt schon mal notieren:

Kira, du übernimmst ›Der Wolf und die sieben Geißlein‹. Die Frage dazu lautet: Ist Mutterliebe angeboren oder erlernt?

Nils, für dich habe ich ›Vom Fischer und seiner Frau‹ vorgesehen mit der Frage: Weshalb führt Habgier möglicherweise zum Unglück?«

Die Klasse stöhnte, doch alle schrieben fleißig mit. Mit einem zufriedenen Lächeln verließ der Lehrer beim Klingeln den Raum, wohl wissend, dass die Wogen in der anstehenden langen Pause hoch schlagen würden. Die fünf Jungen hatten sich auch sofort in zwei Gruppen vom Schulgelände entfernt und in der nahe gelegenen Dönerbude wieder getroffen. Es war verboten – und aus diesem Grund besonders reizvoll.

Mit den Worten: »Wenn wir erwischt werden, sage ich, dass ich euch überredet hätte. Mir kann keiner was. Ansonsten behaupte ich, dass mein Vater als Sponsor aussteigt. Das riskieren die nie!«, hatte Marius die Klasse am Anfang des Schuljahres überredet, die Pausenregeln zu übertreten. Und er hatte recht gehabt. Die Lehrer taten so, als bemerkten sie nicht, dass die fünfköpfige Jungenclique fortan in fast jeder Mittagspause verschwand. Blieben die Jungen in der Schule, gingen die Mädchen. Zumindest das »Kleeblatt«, das aus Henriette, Kira, Lisa und Fabienne bestand.

Auch Kiras Eltern waren jederzeit bereit, Sportveranstaltungen und Klassenfahrten, neue Unterrichtsmaterialien oder Projekttage durch großzügige Geldspenden zu unterstützen. Und mit der politisch aktiven, einflussreichen Mutter von Henriette wollte man es sich erst recht nicht verscherzen.

»Es ist ja nur noch ein Jahr«, hatte der Direktor den Fachlehrern eingeschärft, »dann sind sie entweder in der Oberstufe und dürfen raus – oder nicht mehr auf unserer Schule. So lange müssen wir die Zähne zusammenbeißen. Sie alle wissen, wie marode unsere Finanzlage ist!«

Somit übersahen die aufsichtführenden Lehrer geflissentlich, dass die Hälfte der 10 a in den Pausen fehlte. Die Jugendlichen triumphierten. Hatten sie es doch gewusst: Geld regiert die Welt!

»Das gibt Rache! Der Arsch hat mir ’ne Fünf reingedrückt. Und dann noch dieses schwachsinnige Referat. ›Henriette‹«, äffte sie den Tonfall des Lehrers nach, »›du machst eine Nacherzählung vom ‹Froschkönig› und erklärst uns anschließend, warum der Charakter wichtiger ist als Äußerlichkeiten.‹ Allein das! Wen interessiert der Charakter? Kann ich mir davon irgendetwas kaufen? Nee, das schreit schon fast nach doppelter Rache!«

Die anderen nickten bestätigend.

»Ganz deiner Meinung. Jetzt hat der Mühlen den Bogen echt überspannt! Bisher fand ich ihn ja noch ganz passabel. Aber nun heißt es: Es war einmal – um mal gleich in diesen Märchenquatsch einzusteigen«, sagte Fabienne grimmig.

Lisas Augen funkelten.

»Wo wohnt der Mühlen eigentlich?«, fragte sie wie nebenbei.

Kira und Henriette zuckten die Schultern.

»Keine Ahnung!«, antworteten sie wie aus einem Mund.

»Aber ich weiß es.« Fabienne lächelte böse. »In demselben Kuhdorf wie Paulina.«

»Das ist gut. Das ist sogar sehr gut!«

Die vier blickten sich an. Jede wusste, was die anderen dachten. Es war an der Zeit, aus dem Kleeblatt ein Quintett zu machen. Wenn auch nur für ein paar Tage!

3

HausarrEst

»Ich sehe das nicht mehr ein! Ständig muss ich mir ihre Frechheiten anhören. Daran bist du schuld. Du behandelst mich von oben herab und deine Tochter kopiert dein Verhalten!«

Paulina saß in ihrem Zimmer und presste sich die Hände auf die Ohren. Doch es half nicht viel. Die schrille Stimme der Mutter im Nebenraum ließ sich nur dämpfen, aber nicht gänzlich ausschalten.

Nach einer kurzen Pause, in der vermutlich der Vater in seiner typischen, ruhigen Art geantwortet hatte, ging es weiter:

»Du entschuldigst sie auch noch? Ausgerechnet du, der gar nicht weiß, wovon er redet? Zu dir ist sie immer lieb und höflich. Ihre schlechte Laune lässt sie dann an mir aus. Nein, sollte sie nicht allmählich respektvoller mit mir umgehen, schmeiße ich sie raus! Dann kann sie bei dir leben und endlich mal lernen, dass auch bei Papa nicht alles schön ist!«

Erneut entstand eine Pause. Auf einmal gab es ein lau-

tes Klirren, woraufhin Rocco aufheulte. Unmittelbar danach fiel die Wohnungstür ins Schloss. Ihr Vater hatte das

›ernsthafte Gespräch‹, um das die Mutter ihn gebeten hatte, beendet.

»Paulina! Komm her!«

Sie tat, als hätte sie nichts gehört. Stattdessen riss sie die Schublade des Schreibtischs auf und suchte hastig nach den Kopfhörern. Musik zu hören, wäre eine gute Ausrede. Aber wo waren die verdammten Dinger? Fieberhaft wühlte sie zwischen Stiften und Heften, bis ihr einfiel, dass ihre Mutter ihr vor drei Tagen die Ohrhörer weggenommen hatte. Resigniert ließ sie die Schultern hängen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Mutter in ihr Zimmer stürmen würde.

»Paulina! Wenn du nicht sofort herkommst, hast du eine Woche Hausarrest!«