Siegen ist Kopfsache - Matt Fitzgerald - E-Book

Siegen ist Kopfsache E-Book

Matt Fitzgerald

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Beschreibung

Dieses Buch handelt von den großen Momenten im Ausdauersport und bringt die Taktiken ans Licht, mithilfe derer Sportler ihre mentale Stärke entwickeln. Topathleten scheinen manchmal über übernatürliche Fähigkeiten zu verfügen. Doch wie perfekt sie auch ausgebildet sind: Ihr Talent bringt sie nur bis zu einem bestimmten Punkt. In den härtesten Rennen muss ein Champion sich auf seinen Kopf und seinen Körper gleichermaßen verlassen können – um sich den Ängsten zu stellen, die wir alle kennen: Zweifel, Leiden, Versagensangst, um nur einige zu nennen. Der renommierte Sportjournalist Matt Fitzgerald zeigt anhand von Erkenntnissen der Psychobiologie, wie Athleten es schaffen, dank mentaler Kraft physische Grenzen zu überwinden. Mit fesselnden Berichten aus dem Triathlon, Radsport, Laufen und Rudern versetzt Fitzgerald den Leser mitten ins Renngeschehen. Er erklärt die wissenschaftlichen Hintergründe der mentalen Kraft und wie jeder mentale Stärke entwickeln kann, um Herausforderungen zu überwinden – im Sport wie im Leben generell.

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Der Kopf ist der Athlet.

Bryce Courtenay, »The Power of One«

Vorwort

Vorwort

Zu untersuchen, was der Ausdauerleistung Grenzen setzt, ist nicht nur ein rein akademisches Unterfangen. Es hat auch Auswirkungen darauf, wie Athleten getestet werden, wie sie trainieren und wie sie sich auf Wettkämpfe vorbereiten. In den ersten 100 Jahren der Trainingswissenschaft ging man davon aus, dass die Ausdauerleistung von der Muskelermüdung abhängt, welche durch entleerte Energiespeicher oder unzureichende Sauerstoffzufuhr und daraus resultierende Übersäuerung des Muskelapparats verursacht wird. Deshalb tragen Athleten Pulsmessgeräte während des Trainings und lassen sich in die Ohren piksen, um ihre Blutlaktatwerte zu ermitteln. Erythropoietin-Missbrauch hat den Radsport und andere Ausdauersportarten unterwandert, und Tonnen von Nudeln und Reis werden vor Wettkämpfen gegessen. Das sind nur ein paar Beispiele dafür, welchen Einfluss die Trainingswissenschaft auf das Leben von Ausdauersportlern hat.

Ende der 1990er-Jahre brachte Professor Tim Noakes das Central Governor Model (CGM) auf. Dieses Modell geht davon aus, dass die Ausdauerleistung von einem unterbewussten Steuerungssystem im Gehirn (dem »Central Governor«) bestimmt wird, welches die Aktivierung des Muskelapparats dahingehend reguliert, dass die im Laufe eines Rennens erbrachte Geschwindigkeit / Kraft niemals die Möglichkeiten des Körpers überschreitet, die Belastung einer Ausdauerleistung auszuhalten. Seine Hypothese: Wenn es dieses Sicherheitssystem nicht gäbe, könnte ein hochmotivierter Ausdauersportler sich über seine körperlichen Fähigkeiten hinaus belasten und sein Leben durch Hitzeschock, Myokardischämie oder Muskelstarre gefährden.

Das CGM war revolutionär, weil es viele Trainingswissenschaftler davon überzeugte, dass das Organ, das die Ausdauerleistung limitiert, das Gehirn ist, nicht das kardiovaskuläre System und ein ermüdeter Muskelapparat. Darauf folgende Untersuchungen, darunter unsere Studie aus dem Jahr 2010, bestätigten diese nicht länger kontroverse Ansicht. Es gibt jedoch ein großes Problem: Wenn die Ausdauerleistung von einem unterbewussten, intelligenten Sicherheitssystem reguliert wird, was kann der Ausdauersportler dann noch beeinflussen? Die Antwort lautete, im Training nichts anderes zu tun als bisher auch, um die Fähigkeit des Körpers, mit Ausdauerbelastungen umzugehen, zu verbessern. Tatsächlich hatte das CGM keine nennenswerten Auswirkungen darauf, wie Ausdauerathleten trainieren und sich auf Wettkämpfe vorbereiten.

Glücklicherweise gibt es keinen Beleg dafür, dass so ein »Central Governor« in unserem Gehirn existiert, und Ausdauerathleten haben ihre Leistung ja ziemlich gut unter Kontrolle. Dieses alternative Modell, wie das Gehirn die Ausdauerleistung reguliert, wird als Psychobiologisches Modell bezeichnet. Sein Kernprinzip besteht in der Annahme, dass Entscheidungen zur Geschwindigkeitseinteilung oder zur Rennaufgabe im »bewussten Gehirn« getroffen werden und dass diese bewussten Entscheidungen hauptsächlich auf der bewussten Wahrnehmung basieren, wie hart, schwer oder anstrengend die Belastung ist, ein Gefühl, das wir Anstrengungswahrnehmung nennen.

Viele meiner Kollegen aus der Trainingswissenschaft können dieses Psychobiologische Modell nur schwer akzeptieren; wie kann etwas, das so vergänglich und subjektiv ist wie Wahrnehmung, einen so großen Einfluss auf die Ausdauerleistung haben? Parameter, die man objektiv messen kann (zum Beispiel Herzgröße und in der Muskulatur gespeicherte Glykogenmenge) müssen doch einen größeren Einfluss haben. Diesen Rückschluss kann man als gerechtfertigt ansehen, wenn man die Ausdauerleistung lediglich als die Arbeitsleistung einer biologischen Maschine betrachtet, die keine Gedanken oder Gefühle hat. Ich jedoch sehe die Ausdauerleistung als ein selbstregulierendes Verhalten, auf das Gedanken und Gefühle beträchtliche Auswirkungen haben können. Die Schmerzen von Folter (einer Wahrnehmung) können Soldaten dazu zwingen, das Land zu verraten, dem sie ihr Leben verschrieben haben. Extremer Hunger (eine Wahrnehmung) kann aus zivilisierten Menschen Kannibalen machen. Gedanken und Gefühle können auch zu einem katastrophalen, endgültigen Ausfall der Homöostase führen: Selbstmord. Deshalb sollte es uns nicht überraschen, dass die Wahrnehmung von Anstrengung (und die damit verbundenen Gedanken) die Ausdauerleistung limitieren können. Wahrnehmungen sind mächtig.

Matt Fitzgerald war einer der ersten Sportjournalisten, die die möglichen Auswirkungen dieses Psychobiologischen Modells für Ausdauerathleten erkannt haben. Ich erinnere mich an unser erstes Gespräch im Jahr 2009, über eine wackelige Mobilfunkverbindung, nachdem wir unsere wegweisenden Studien über den Effekt von mentaler Ermüdung auf die Wahrnehmung von Anstrengung und auf die Ausdauerleistung veröffentlicht hatten. Ich war bei einem Leichtathletikwettkampf in Italien, und Matt war zu Hause in den Vereinigten Staaten. Wir telefonierten über eine Stunde lang, befeuert von meiner Leidenschaft für interdisziplinäre Forschung (und der natürlichen Neigung eines Italieners, viel zu reden!) und Matts Durst nach den neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen, die positive Auswirkungen für seine Leser haben könnten. Unsere »Fernbeziehung« hat Jahre überdauert, in denen ich weiter im Bereich der Psychobiologie der Ausdauerleistung forschte und Matt alles für die breite Masse verständlich in seinen Artikeln und Büchern übersetzte.

In diesem Buch hat Matt eine eindrucksvolle Sammlung von realen Beispielen dafür zusammengetragen, wie sehr die Anstrengungswahrnehmung und andere psychologische Faktoren die Ausdauerleistung beeinflussen. Diese Beispiele aus dem Leben von Eliteathleten aus verschiedenen Ausdauersportbereichen sind gekonnt vermischt mit Zusammenfassungen der wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das Ergebnis ist ziemlich eindrucksvoll: ein Buch, das sowohl als Sportbiografie, aber auch als Ratgeber dafür gelesen werden kann, wie man seine Ausdauerleistung verbessert, indem man sein eigener »Sportpsychologe« wird. Ich hoffe, dies wird zu dazu führen, dass immer mehr Ausdauerathleten und ihre Trainer psychologische Prinzipien und Techniken anwenden. Die Macht der Psychologie ist noch nicht ganz ausgeschöpft im Ausdauersport und sie bewusst und systematisch zu nutzen ist eines der maßgeblichen Ansinnen des Psychobiologischen Modells.

Dennoch, wie Matt auch betont, ist es keine reine »Willenssache«, Wettkämpfe in Ausdauerdisziplinen zu gewinnen. Bewusste Selbstregulierung von Gedanken, Gefühlen und Verhalten kann einen beträchtlichen Einfluss auf die Ausdauerleistung haben, wie in diesem Buch anhand von aus dem Leben gegriffenen Beispielen gezeigt wird. Aber die genetischen Voraussetzungen, das körperliche Training und die Ernährung (zum Beispiel Kohlenhydrate und Koffein) spielen auch eine wesentliche Rolle, denn sie haben großen Einfluss darauf, wie Anstrengung wahrgenommen wird. Das unterbewusste Gehirn kann die Anstrengungswahrnehmung ebenfalls beeinflussen, wie wir kürzlich anhand unterschwelliger visueller Botschaften belegten. Wie man die negativen Auswirkungen einiger unterbewusster Stimuli vermeidet und die Macht des Unterbewusstseins dafür nutzt, seine Ausdauerleistung zu verbessern, wird eines der künftigen Entwicklungen der Psychologie im Bereich Ausdauersport sein.

Wir arbeiten außerdem an einem neuartigen Trainingskonzept, das sich Brain Endurance Training nennt und körperliches Training mit mental fordernden Aufgaben verbindet, um die Gehirnareale zu stimulieren, die an der Selbstregulierung beteiligt sind, und die geistige Ermüdung hinauszuzögern. Es sind aufregende Zeiten, denn das Psychobiologische Modell inspiriert innovative, leistungssteigernde Strategien, die über diejenigen hinausgehen, die sich auf Grundlage des traditionellen kardiovaskulären / Muskelermüdungs-Modells entwickelt haben.

Behalten Sie Matt also im Auge. Ich bin sicher, dieses Buch ist nur das erste einer ganzen Reihe erfolgreicher Bücher auf diesem für Ausdauerathleten sehr vielversprechenden Gebiet.

Dr. Samuele Marcora,Trainingswissenschaftler

Einleitung

Einleitung

MEIN ERSTER AUSDAUERWETTKAMPF war ein Lauf über zwei Runden um den Sportplatz der Oyster-River-Grundschule in Durham, New Hampshire. Es war eine von vielen Veranstaltungen, die auf dem Programm des Field Day standen, einer Art Abschlusszeremonie für die Fünftklässler. Wie die meisten Elfjährige war ich bereits unzählige Wettrennen in der Nachbarschaft gelaufen, aber das waren alles kurze Sprints gewesen. Kinder treten nicht über lange Distanzen gegeneinander an, außer unter der Anleitung von Erwachsenen. Beim Field Day wurde mir klar, warum das so ist.

Da wir es nicht besser wussten, spurteten wir alle mit voller Geschwindigkeit los. Nach ungefähr 50 bis 60 Metern schlich sich eine grippeähnliche Schwäche in meine Beine. Mit jedem Schritt schien ich ein Kilo schwerer zu werden. Meine Kehle brannte wie eine offene Wunde, in die man Salzwasser kippt. In meinem Kopf begann es zu kribbeln, und mein Bewusstsein reduzierte sich auf ein schwaches Flämmchen, das in einem heimtückischen Wind flackerte. Die wenigen Gedanken, die ich noch fassen konnte, waren panikdurchzogene Fragmente: Was zur Hölle passiert mit mir? Ist das normal? Tut es den anderen Kindern auch so weh?

Ich beendete die erste Runde, kämpfte die übermächtige Versuchung nieder, einfach aufzuhören, und ging auf die zweite. Ein Junge war noch vor mir – Jeff Burton, das einzige Kind in meiner Klasse, das so dürr war wie ich selbst. Ich begriff meine Situation. Ich konnte entweder Druck machen, um Jeff einzuholen, was aber bedeutet hätte, dass ich mein Leid vergrößerte. Oder ich konnte mein Leid auf dem jetzigen Niveau halten und Jeff ziehen lassen. Was schließlich eintrat, war eine dritte Möglichkeit: Jeff schwächelte. Seinen Einbruch zu sehen, verlieh mir Flügel. Ich überholte ihn im Angang auf die letzte Kurve und überquerte als Erster die Ziellinie, wobei ich so erschöpft war, dass ich dies nur innerlich feiern konnte.

Aus dieser Erfahrung habe ich eine fundamentale Wahrheit über Ausdauersport gelernt. Während meine Beine und meine Lunge mich an eine Position gebracht hatten, die es mir ermöglichte, zu gewinnen, war es mein Kopf – insbesondere meine Fähigkeit, den Schreck über die neuen Empfindungen zu dämpfen, und mein Wille, für den Sieg etwas zu leiden –, der mich zu Höchstleistungen angespornt hatte. Mir wurde klar: Die grundlegende Herausforderung von Langstreckenrennen ist eine mentale.

Drei Jahre nach meinem Triumph beim Field Day verletzte ich mich beim Fußball am Knie. Der Chirurg, der mich wieder zusammenflickte, riet, dass ich mir einen anderen Sport suchte. Ich lief nebenbei für das Leichtathletik-Team der Mittelstufe an der Oyster River Schule und hatte, bis ich mich verletzte, schon einige Erfolge feiern können. Also entschied ich mich, alles auf die Karte »Laufen« zu setzen.

Das war 1985 – Mittelalter, was den Entwicklungsstand der Knie-Rekonstruktion und -Rehabilitation betraf. Mein komplettes Bein war sechs Wochen lang eingegipst, dann bekam ich für weitere sechs Monate eine Schiene. Dieser Koloss aus Kevlar und Klett begleitete mich meine komplette erste Indoor-Leichtathletik-Saison an der High School. Als mir die Schiene im Frühjahr abgenommen wurde, fühlte ich mich wie neugeboren. In der Outdoor-Saison lief ich siebenmal 1.500 Meter und pulverisierte sechsmal meine persönliche Bestleistung.

Im Herbst führte ich unser Cross-Country-Team bei den Staatsmeisterschaften zum Titel in einer von drei schulübergreifenden Athletik-Kategorien New Hampshires. Eine Woche später nahm ich als Einzelstarter am »Meet of Champions« teil, bei dem die besten Teams und Einzelathleten aus allen drei Kategorien gegeneinander antreten, und wurde Zehnter. Ich war der Zweitbeste unter den Zehntklässlern und der Erfolgreichste unter den Debütanten. Ich war auf gutem Wege, der beste High-School-Läufer von New Hampshire zu werden, noch bevor ich meinen Schulabschluss hatte.

Dazu ist es nie gekommen. Das erste Anzeichen dafür, dass es nie passieren würde, zeigte sich bereits direkt nach meinem großen Durchbruch bei der Cross-Country-Staatsmeisterschaft. Das Rennen fand im Derryfield Park in Manchester statt, dem härtesten Gelände-Kurs in Amerika. Er beginnt am Fuß eines Skihangs, führt dort direkt hinauf und wieder hinunter. Ich erklomm den Anstieg als Zweiter hinter Sean Livingston, einem Oberstufenschüler, der sich talentmäßig auf einem ganz anderen Niveau befand. Ich dachte mir dabei nicht viel, bis wir aus dem Wald kamen, meine Freundin mich sah und kreischte: »O mein Gott! Er ist Zweiter!« Erst da wurde mir bewusst, dass ich hier ein ganz großes Ding durchzog.

Nur wenige Augenblicke später jedoch überholte mich Todd Geil von der konkurrierenden Stevens Academy, auch ein Zehntklässler. Als wir den Fuß des Hügels erreichten, hatte er 10 oder 15 Meter auf mich herausgelaufen. Aber der Kurs machte eine letzte teuflische Kurve nach oben, bevor er zum Ziel hin abflachte. Ich war ein besserer Bergaufläufer als Todd (so war ich überhaupt erst vor ihn gekommen) und ich begann aufzuholen.

Wir liefen die Schlusskurve zusammen. Todd zog das Tempo an, ich auch. Wir spurteten im wortwörtlichen Gleichschritt die Zielgerade entlang, während uns unsere Eltern, Trainer und Teamkollegen lautstark anfeuerten.

Dann gab ich einfach auf. Ich warf das Handtuch. Ende. Es passierte, als Todd das Tempo noch ein klein wenig anzog – sein letzter Schachzug. Ich werde nie erfahren, ob ich hätte mithalten oder das Tempo sogar noch ein wenig höher schrauben können, weil ich es nicht einmal versuchte. Der Grund dafür war einfach: Es tat zu weh. Ein Teil von mir schien zu fragen: Wie sehr willst du das hier wirklich? Und ein anderer Teil antwortete: Nicht so sehr wie dieser andere Typ da. Ich glaube nicht, dass Todd talentierter oder fitter war als ich – tatsächlich habe ich ihn in zwei der fünf Cross-Rennen, die uns in unserer Schullaufbahn noch blieben, geschlagen. Was an diesem Tag den Unterschied machte, war, dass er den Willen hatte, es noch ein bisschen mehr zu versuchen.

Der Schreck, den mir im Alter von elf Jahren meine erste Begegnung mit dem Leiden, das Ausdauerwettkämpfe mit sich bringen, eingeflößt hat, war nie ganz weggegangen. Ich liebte es, zu laufen, ich liebte es, fitter und schneller zu werden, aber ich hasste es, so zu leiden, wie ich es in den Rennen tat. Meine Abneigung gegen diese dunkle Seite des Sports, den ich mir ausgesucht hatte, war auszuhalten, als ich noch neu darin war und niedrige Erwartungen hatte. Aber als ich mit den Konkurrenten auf Augenhöhe war, stellte ich fest, dass noch größere Schmerzen möglich waren, als ich sie bisher gehabt hatte, und dass ich würde noch mehr leiden müssen, wenn ich ganz oben auf dem Treppchen stehen wollte. Erst da merkte ich, dass ich mich bisher in einer Art Komfortzone innerhalb des Unwohlseins bewegt hatte, in der Illusion eines »100-Prozent-Bereichs«, und dass mir keine andere Wahl blieb, als über diese Schwelle zu treten, wenn ich jemals der Beste sein wollte.

Aber ich entschied mich dagegen. Stattdessen wurde ich zu einem klassischen Kopf-Fall. Eine Furcht, die alles andere aufsaugte, ergriff an Wettkampftagen Besitz von mir. Mein Magen rotierte, mein Herz raste, meine Gedanken drehten sich unaufhörlich um die Qual, der ich mich gleich aussetzen würde. Wenn das Rennen auf einen Dienstag fiel, saß ich wie in Trance im Unterricht und bekam nichts von dem mit, was die Lehrer erzählten. Wenn der Wettkampf an einem Samstag stattfand, konnte ich kaum meine Frühstücksflocken hinunterwürgen, bevor ich das Haus verließ, um mich mit meinen Teamkameraden für die Busfahrt zur Schlachtbank zu treffen.

In meinem Junior-Jahr wurden aus meinen falschen 100 innerlich anerkannte 95 Prozent. Ich strengte mich genau so sehr an, dass niemand merkte, dass ich nicht am Anschlag lief. Trotzdem hatte ich noch gute Tage – ich wurde Sechster beim »Meet of Champions« 1987 – aber viel öfter verließ ich die Rennstrecke angewidert von mir selbst, wissend, dass ich da draußen nicht alles gegeben hatte.

Es wurde immer schlimmer. Bei einem Leichtathletikwettkampf unter freiem Himmel in Boston simulierte ich nach der Hälfte eines 3.000-Meter-Rennens einen verstauchten Knöchel, ließ mich auf den Boden fallen und wand mich unter gespielten Schmerzen. Wochen später bei einem weiteren 3.000-Meter-Lauf tat ich so, als hätte ich den Aufruf an die Startlinie verpasst, und das Feld rannte ohne mich los. Nach meiner Schulzeit und meiner letzten Gelände-Saison (die ich mit einem erbärmlichen 17. Platz beim »Meet of Champions« abschloss, einem Rennen, in dem mein Widersacher Todd Zweiter wurde), hörte ich mit dem Laufen auf. Der Waschlappen in mir hatte gewonnen.

1995, zwei Jahre nach meinem College-Abschluss und immer noch der Überzeugung, dass ich mit dem Laufen fertig war, zog ich nach San Francisco. Ich hatte vor, den ersten vernünftigen Job als Schreiber anzunehmen, der mir angeboten wurde. Dieses Angebot sollte von Bill Katovsky kommen, der zwölf Jahre zuvor das Magazin Triathlete gegründet hatte und nun eine neue Ausdauerzeitschrift namens Multisport auf den Markt bringen wollte. Ich hätte genauso bei einem Angebot von High Times (alles über Cannabis) zugeschlagen, aber das Schicksal wollte mich offensichtlich in ein Umfeld führen, in dem es von Leuten wimmelte, die es liebten, zu trainieren, fitter und schneller zu werden, so wie ich früher.

Es geschah das Unvermeidliche. Ich wurde rückfällig, trainierte wieder und nahm an Wettkämpfen teil. Erst als Läufer, dann als Triathlet. Es war ein zweischneidiges Schwert. Mir gefielen diese Freizeitbeschäftigungen mehr und mehr, aber ich wurde auch immer ehrgeiziger. Zwei sich überschneidende Verlangen befeuerten diesen zweiten Abschnitt meines Lebens als Ausdauersportler. Vor allem wollte ich der Athlet werden, der ich hätte sein können, wenn ich nicht aufgehört hätte. Aber um das zu schaffen, das wusste ich, musste ich meine mentale Schwäche besiegen, der ich während meiner ersten Sportkarriere erlegen war, und ich wollte diesen bremsenden Schweinehund zu meinem eigenen Wohl nicht mehr mit mir herumschleppen.

Ich wurde nie der Athlet, der ich vielleicht hätte sein können. Als meine wahre Achillesferse erwies sich mein meuternder fragiler Körper, der mich außer Gefecht setzte, sobald ich das Wort Plantarfasziitis auch nur dachte. Es hatte schon in meiner Jugend Vorboten dieser Schwäche gegeben, unter anderem meine Knieverletzung im Alter von 14 Jahren. Aber wenn ich es schon nicht schaffte, der Athlet zu werden, der ich hätte sein können, gelang es mir wenigstens, der beste Athlet zu werden, der ich angesichts meines unvollkommenen Körpers, aus dem ich nun einmal nicht herauskam, werden konnte. Ich besiegte den Schweinehund.

Wenn der Moment, in dem ich Todd auf der Zielgeraden der Staatsmeisterschaft im Geländelauf ziehen ließ, den Verlust meiner Integrität als Athlet symbolisierte, dann war ein Moment während des Silicon Valley Marathons im Jahr 2008 meine Erlösung. Ich war ungefähr fünf Kilometer vom Ziel entfernt und litt sehr, als ich ein junges Pärchen passierte, das am Straßenrand stand und vermutlich auf einen Freund wartete, der mitlief. Ich war bestimmt schon ein Dutzend Schritte weiter, als ich die Frau ein einziges Wort sagen hörte.

»Wow.«

Dieses Wort hätte alles Mögliche bedeuten können. Vielleicht war die junge Dame beeindruckt davon, wie schnell ich rannte. Aber der Führende des Rennens (ich würde es als Dritter beenden) war vier Minuten vor mir dort vorbeigekommen. Das konnte es also nicht sein. Oder vielleicht bewunderte sie meinen wunderschönen Laufstil. Aber den habe ich nicht und mein Laufschritt hat vermutlich nie schlimmer ausgesehen als in diesem Augenblick.

Tatsächlich glaube ich, dass die Frau davon beeindruckt war, wie furchtbar ich aussah, sie war beeindruckt von der grauenvollen Anstrengung, die mich jede Bewegung kostete. Ich musste für sie gewirkt haben wie jemand, der durch eine unsichtbare, hüfthohe Flüssigkeit watet. So hat sich die Anstrengung zumindest für mich angefühlt. Ich bin ziemlich sicher, dass ich auch gesabbert habe. Dieses gemurmelte, einsilbige Wort war so etwas wie ein respektvolles Nicken, eine Anerkennung, wie sehr ich kämpfte, wie sehr ich bereit war zu leiden, um mein bedeutungsloses Ziel in einer bestimmten Zeit zu finishen.

Um ehrlich zu sein, habe ich mein Zeitziel in diesem Wettkampf verfehlt, eine Verletzung hatte mich im Training gerade so viel gebremst, dass es nicht mehr zu erreichen war. Aber ich schaffte etwas viel Großartigeres – ich habe die Befriedigung erlangt, zu wissen, dass ich einmal wirklich alles gegeben hatte, da draußen auf der Rennstrecke.

Kilometer 37 des Silicon Valley Marathons 2008 bleibt mein wertvollster Moment als Athlet. Mehr noch, ich betrachte ihn als einen der schönsten Momente in meinem Leben. Natürlich, es war nur ein Rennen, aber Sport und Leben hängen nun einmal irgendwie zusammen, genau wie Athlet und Mensch ein und dieselbe Person sind. Indem ich meine Angst davor, in Wettkämpfen zu leiden, besiegt habe, ist mein Respekt vor mir selbst größer geworden, ich habe eine Art innere Stärke gewonnen, die mir auch dabei geholfen hat, andere Herausforderungen zu bestehen, innerhalb und außerhalb des Sports.

Vielleicht hätte ich mich selbst nie auf diese Weise erlöst, wenn ich nicht durch meine Arbeit als Journalist für Ausdauersport einen gewissen Vorteil gehabt hätte: häufigen Kontakt mit Weltklasse-Athleten. Durch diese Interaktionen entdeckte ich, dass die mit dem größten Talent gesegneten 0,1 Prozent die gleiche psychologische Verletzlichkeit aufweisen wie wir anderen auch, und dass sie sie ebenfalls überwinden müssen, um Dinge zu erreichen, die uns nicht gelingen. Talent allein macht nicht den Unterschied. Diese Erkenntnis erfüllte mich mit einer Mischung aus gesunder Scham und Inspiration, die mich dazu bewegte, es noch ein bisschen mehr zu versuchen.

An einem recht frühen Punkt im zweiten Abschnitt meines Lebens als Ausdauersportler führte ich ein Telefonat mit Hunter Kemper, der zwei Tage zuvor bei der USA Triathlon Elite National Championship 1998 im kalifornischen Oceanside teilgenommen hatte. Auf der Hälfte des abschließenden 10-Kilometer-Laufs setzten sich Hunter und der Australier Greg Welch von der Spitzengruppe ab. Welch hatte die Triathlon World Championship 1990, die Duathlon World Championship 1993, die Ironman World Championship 1994 und die Triathlon World Championship über die Langdistanz 1996 gewonnen. Hunter war ein 22-jähriger Neuprofi, dessen größter sportlicher Erfolg bis dato ein zweiter Platz über 10.000 Meter bei der Atlantic Coast Conference Championship war. Die beiden Männer gingen Seite an Seite auf den letzten Kilometer. Ich fragte Hunter, wie das für ihn gewesen war.

»Ich bin durchgedreht«, erzählte er mir.

Hunters ausführlichere Erklärung machte mir klar, dass er sich so eingeschüchtert und auf ebenso surreale Weise fehl am Platze gefühlt hatte, wie ich es an seiner Stelle getan hätte. Er machte eine seelenerschütternde Selbstvertrauenskrise durch, als er mit Welch direkt neben sich das letzte Stück der Rennstrecke zurücklegte. Etwas in Hunter schien zu fragen: Wie sehr willst du das? Ein kurzer Moment der Unsicherheit, des Schwankens. Aber einen Augenblick später erkannte Hunter, dass er dieses Rennen mehr gewinnen wollte, als er seinen legendären Herausforderer fürchtete, und genug, um dafür zu leiden. Er sprang blind in den Abgrund und entdeckte die Möglichkeiten eines völlig neuen Leistungsniveaus. Seine plötzliche Tempoverschärfung erwischte Welch kalt und der Neuling spurtete allein Richtung Ziellinie, wo er sich den ersten seiner insgesamt sieben nationalen Meistertitel holte.

Etwas später im selben Telefongespräch erfuhr ich von Hunter, dass seine High-School-Bestzeit über 3.000 Meter nur zwei Sekunden schneller war als meine. Erfahrungen wie diese – und davon gab es viele mehr – ließen meine Angst vor dem Leiden in Rennen schrumpfen. Sie stärkten meine Entschlossenheit, ein härterer Wettkämpfer zu werden, und meinen Glauben daran, dass ich einer werden könnte.

Während meine persönliche Entwicklung voranging, fand im Bereich der Sportwissenschaft eine Revolution statt. Neue Technologien wie die funktionelle Magnetresonanztomografie öffneten erste Türen für die Erforschung des menschlichen Gehirns und erlaubten es Bewegungsphysiologen, mehr darüber zu erfahren, welche Rolle dieses durchweichte, knapp eineinhalb Kilo schwere elektrifizierte Organ im Ausdauersport spielt – ein Prozess, der in der Entwicklung eines neuen, »psychobiologischen« Modells der Ausdauerleistung gipfelte. Laut der Definition von Samuele Marcora, einem italienischen Sportwissenschaftler, der in England lebt und arbeitet, betrachtet dieses neue Modell Geist und Körper als gekoppelt, wobei der Körper die klar untergeordnete Instanz ist. Aufgrund meiner lebenslangen Faszination für die mentale Dimension des Ausdauersports verfolgte ich seine Untersuchungen aufmerksam und begann das, was ich aus Magazinartikeln und Büchern wie »Gehirntraining für Läufer« erfuhr, zu verbreiten. Was mich am meisten an der Gehirn-Revolution im Ausdauersport und an dem Psychobiologischen Modell, das daraus hervorging, faszinierte, war, dass sie genau die Lektion stützten, die ich bei meiner Rennpremiere in der fünften Klasse gelernt und an Erfahrung im Ausdauersport mitgenommen hatte. Die wahre Herausforderung im Ausdauersport ist eine psychologische.

Viele Aspekte der Ausdauerleistung, von denen immer angenommen wurde, sie seien biologischer Natur, stellten sich als kopfgesteuert heraus. Ein Beispiel: Studien von Paul Laursen der australischen Edith Cowen University und anderen Wissenschaftlern haben gezeigt, dass das biologische Phänomen der Dehydrierung die Athleten in Rennen nicht langsamer macht – Extremfälle ausgenommen –, stattdessen ist es der psychologische Zustand sich durstig zu fühlen.

Wie in allen »harten« Wissenschaften wimmelt es in der Sportwissenschaft von Männern und Frauen, die starke materialistische Tendenzen haben und die deshalb nicht sehr geneigt sind, die Rolle des Kopfes im Ausdauersport anzuerkennen. Diese Tendenz lässt sie gegenüber der Überzeugung von Top-Athleten, der Kopf sei der eigentlich entscheidende Faktor, eher abweisend auftreten. Aber die Gehirn-Revolution hat schon einige dieser materialistischen Wissenschaftler bekehrt. Diese Erleuchteten sind nun willens zuzugeben, dass der große finnische Läufer Paavo Nurmi recht hatte, als er vor fast einem Jahrhundert sagte: »Der Kopf ist alles. Muskeln sind nur Gummistücke. Alles, was ich bin, bin ich wegen meines Kopfes.«

Etwas drastischer – wenn auch weniger poetisch – formuliert lautet Nurmis Ansicht: Aus psychobiologischer Sicht wird die Ausdauerleistung ausschließlich von der Leistung des Kopfes bestimmt; Biologie ist nur das, womit der Kopf von außen gefüttert wird, und das beeinflusst, was er erzeugt. Der britische Neurowissenschaftler Vincent Walsh behauptet sogar, dass sportliche Wettkämpfe die größte Herausforderung seien, der sich das menschliche Gehirn stellen kann – eine größere Herausforderung gar als reine Denkaufgaben wie die Lösung von Differenzialgleichungen und eine größere Herausforderung für das Gehirn als für den Körper.

Wenn Sie das für übertrieben halten, bedenken Sie: Man braucht keine Muskeln für Ausdauersportwettkämpfe oder irgendeine andere Form der Bewegung, wenn man es genau nimmt. Sie sind absolut verzicht- und austauschbar. Heutzutage können Tetraplegiker, Menschen mit einer Querschnittslähmung, Roboter-Extremitäten via Elektroden, die am Kopf befestigt sind, mit ihren Gedanken kontrollieren. Bald wird es vollständig Gelähmten möglich sein, festgeschnallt in einem mechanischen Körper oder ihn von außen steuernd, an Ausdauersportwettkämpfen teilzunehmen. Werden diese kybernetischen Athleten unermüdlich sein? Nein. Ihre Leistungsfähigkeit wird vom Kopf begrenzt werden, genau wie es die Leistung gesunder Athleten immer schon war.

Einen Roboterkörper mit seinen Gedanken zu kontrollieren, ist nicht einfach, selbst wenn der Roboterkörper die ganze Arbeit macht – weil er eben nicht die ganze Arbeit macht. Nach ungefähr 30 Minuten essen mit einem Roboterarm schlägt die Ermüdung zu und macht es unmöglich, fortzufahren. Es gibt keinen Unterschied zwischen diesem Phänomen und einem Mountainbiker, der am letzten Anstieg des Rennens vom Hungerast erwischt wird. In beiden Fällen passiert der Zusammenbruch im Kopf als Folge der mentalen Anstrengung, den Körper – sei es einer aus Fleisch und Blut oder aus Metall – weiter dazu zu treiben, Arbeit zu verrichten.

Auch wenn die Wissenschaft erst vor Kurzem erkannt hat, dass Ausdauer im Grunde etwas Psychologisches ist, wusste das der Volksmund schon immer. Wenn wir sagen, jemand hat Ausdauer bewiesen, was meinen wir damit? Wir wollen damit sagen, dass er eine harte Zeit durchlebt hat. Ein Wanderer kann Ausdauer beweisen, indem er es aushält, 36 Stunden lang bei Kälte auf einem Berg herumzuirren, ein Marineoffizier kann Ausdauer beweisen, wenn er während der »Hell Week« des SEAL-Trainingsprogramms sieben Tage Schlafentzug schafft (so wie mein Vater während des Vietnam-Kriegs). Aber wenn man der Kälte ausgesetzt ist oder nicht schlafen darf, ist es nicht der biologische Effekt, den man aushalten muss, sondern das Erlebnis, das Erfahren eben dieser Situationen. Wenn der Wanderer die Kälte nicht spüren oder der Marineoffizier seine Müdigkeit nicht wahrnehmen würde, gäbe es keinen Grund, ihnen dazu zu gratulieren, dass sie diese Qual überstanden haben.

Ausdauersportler beweisen Ausdauer im Wortsinn. Sie halten stundenlanges Training durch, die Entbehrungen eines asketischen Lebensstils und alle möglichen Gebrechen und Schmerzen. Aber was Ausdauersportler vor allem aushalten müssen, ist nicht die eigentliche Anstrengung, sondern die Wahrnehmung der Anstrengung. Das ist der Begriff, den Wissenschaftler nun benutzen, um das zu benennen, womit Athleten normalerweise beschreiben, »wie hart« sich eine Belastung in einem bestimmten Moment anfühlt, und er stellt das zentrale Konzept des Psychobiologischen Modells im Ausdauersport dar. Es war meine Wahrnehmung von Anstrengung, die mich beim Field Day 1982 so schockierte und an der ich später in meiner High-School-Läuferkarriere immer wieder scheiterte. Und es ist die Wahrnehmung von Anstrengung, so legen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse nahe, die einen Mountainbiker im Wettkampf am letzten Hügel einen Hungerast erleiden lässt, die einen Gelähmten, der einen Roboterarm mit seinen Gedanken führt, nach 30 Minuten gegen eine Wand laufen lässt, und die die Ausdauerleistung in allen möglichen Situationen begrenzt. Die wichtigste Entdeckung im Zuge der Gehirn-Revolution im Ausdauersport und die wichtigste Wahrheit, die Sie als Ausdauersportler kennen können, ist diese: Man kann als Ausdauersportler nur besser werden, wenn man seine Beziehung zur Anstrengungswahrnehmung ändert.

Sogar etwas, das so offensichtlich körperlich ist wie Training, unterliegt diesem Prinzip. Der Trainingsprozess erhöht die körperlichen Kapazitäten eines Athleten, aber gleichzeitig verändert sich das Verhältnis zur Anstrengungswahrnehmung. Je fitter der Athlet wird, desto leichter fühlt es sich für ihn an, zu schwimmen, Rad zu fahren, zu laufen oder was auch immer in jeder erdenklichen Geschwindigkeit zu tun. Und das ist der Grund, warum sich die Leistung verbessert. Wenn sich die körperlichen Fähigkeiten des Athleten verbessern würden, aber das Verhältnis zur Anstrengungswahrnehmung nicht entsprechend, würden sich die Rennergebnisse nicht verändern, weil der Athlet psychisch nicht in der Lage wäre, auf diese verbesserten körperlichen Kapazitäten zurückzugreifen.

In der Realität könnte das eben beschriebene Szenario niemals stattfinden. Anstrengungswahrnehmung ist in ihrer Essenz der Widerstand des Körpers, sich dem Willen des Kopfes zu unterwerfen. Je fitter der Athlet wird, desto weniger Widerstand setzt der Körper dem Kopf entgegen. Deshalb kann man ein höheres körperliches Fitnesslevel immer fühlen.

Daneben gibt es noch eine ganze Reihe von Faktoren, die den Kopf betreffen, die ebenfalls die Anstrengungswahrnehmung eines Athleten verändern und damit seine Leistungsfähigkeit verbessern können. Einige dieser Faktoren erhöhen das, was aufgrund eines bestimmten Anstrengungsgrades »herauskommt« (zum Beispiel die Geschwindigkeit), genau wie Training auch. Ein solcher Faktor ist die inhibitorische, also hemmende Kontrolle oder die Fähigkeit, auf aufgabenrelevanter Ebene fokussiert zu bleiben (zum Beispiel auf den Gegner vor einem), wenn ein ablenkender Einfluss auftritt (zum Beispiel die Erinnerung daran, dass man gegen den gleichen Gegner schon einmal verloren hat). Eine im Jahr 2014 von Samuele Marcora durchgeführte Studie zeigte, dass ein kognitiver Test, der darauf ausgelegt war, den inhibitorischen Kontrollmechanismus des Gehirns zu ermüden, die Anstrengungswahrnehmung während eines darauf folgenden 5-Kilometer-Laufs erhöhte und die Leistung verringerte. Ein Jahr später berichteten Forscher der Universität von Padua in PLOS ONE, dass Läufer, die auf einer Messskala für inhibitorische Kontrolle höhere Ergebnisse erzielten, besser in einem Ultramarathon abschnitten.

Andere Faktoren erhöhen die Schwelle, wie viel wahrgenommene Anstrengung ein Athlet tolerieren kann (oder wird). Ein offensichtliches Beispiel dafür ist seine Motivation. Ich habe es hauptsächlich meiner größeren Motivation zu verdanken, dass ich inzwischen mehr wahrgenommene Anstrengung tolerieren kann und als Ausdauersportler kein Kopf-Fall mehr bin.

Nicht alle Ausdauersportler sind Kopf-Fälle, aber es liegt in der Natur des Sports, den sie betreiben, dass sie alle sich psychologischen Herausforderungen stellen müssen. Und sämtliche dieser Herausforderungen hängen entweder direkt oder indirekt mit der Anstrengungswahrnehmung zusammen. Wenn Wettkämpfe nicht so unglaublich hart wären, wären Athleten nicht mit Momenten des Selbstzweifels konfrontiert, hätten keine Angst vor einem Rennen, ärgerten sich nach dem Zieleinlauf nicht über den Wettkampf, fühlten sich nicht geistig ausgebrannt oder eingeschüchtert. Sogar die meisten Trainingsfehler, zum Beispiel Übertraining, resultieren aus dieser Angst vor dem Leiden.

Psychologen benutzen den Begriff Bewältigung, um die verhaltensbezogene, emotionale und kognitive Reaktion einer Person auf Unwohlsein und Stress zu beschreiben. Im Ausdauersport geht es hauptsächlich um Unwohlsein und Stress; deshalb geht es dabei auch hauptsächlich um Bewältigung. In einem Rennen ist es die Aufgabe der Muskeln, zu leisten. Die Aufgabe des Kopfes ist es, zu bewältigen. Aber es gibt einen Haken: Die Muskeln können nur Leistung bringen, wenn der Kopf in der Lage ist, die Situation auch zu bewältigen. Ausdauersport ist deshalb ein Spiel von »Kopf über Körper«.

Im Ausdauersport umfasst erfolgreiche Bewältigung jedes Verhalten, jede Emotion, jeden Gedanken oder jede Kombination aus diesen, womit eine bessere Leistung erzielt wird. Anders ausgedrückt bedeutet erfolgreiche Bewältigung im Ausdauersport jede Reaktion eines Athleten auf Unwohlsein und Stress, die sein Verhältnis zur Ausdauerwahrnehmung positiv beeinflusst, entweder indem sich die Belastbarkeit des Athleten verbessert oder indem der Athlet mehr aus der für ihn möglichen Anstrengung zieht.

Einige Bewältigungsstrategien sind effektiver als andere. Eine Verletzung vorzutäuschen, um das Leiden während des Rennens zu beenden, so wie ich es in der High School tat, ist ein Beispiel für eine nicht sehr effektive Bewältigungsstrategie. Sich von Spitzenathleten inspirieren zu lassen, um ein höheres Maß an Unwohlsein ertragen zu können, wie ich es im zweiten Abschnitt meines Lebens als Ausdauersportler tat, ist ein Beispiel für eine effektivere Bewältigungsstrategie.

Um der beste Athlet zu werden, der Sie sein können, müssen Sie richtig gut darin werden, mit den charakteristischen Arten von Unwohlsein und Stress zurechtzukommen, die der Ausdauersport gern austeilt – angefangen mit der Anstrengungswahrnehmung bis hin zu den vielen Herausforderungen, die damit zusammenhängen, wie beispielsweise die Angst vor dem Versagen. Sie müssen die Fähigkeiten zur Bewältigung, die beim Meistern dieser Herausforderungen am effektivsten sind, entdecken, üben und perfektionieren. Ich bezeichne diese hochentwickelte Fähigkeit zur Bewältigung im Ausdauersport als mentale Fitness.

Die traditionelle Sportpsychologie ist nur bedingt von Nutzen, wenn es darum geht, mentale Fitness zu entwickeln. Vor der Gehirn-Revolution, als Geist und Körper getrennt voneinander behandelt wurden und die Biologie fast alles erklärte (obwohl sie das nicht tat), musste sich die Sportpsychologie auf einen winzigen Teil am Rande der Sport-Sphäre beschränken. Sie bestand aus einem Sammelsurium von Techniken, die ganz offensichtlich nicht physisch waren, wie Visualisierung und Zielsetzung, und sie wurde fast immer außerhalb des Sportkontexts selbst angewandt. Diese immer gleichen Tricks wurden den Athleten in allen Sportarten aufgedrängt – solchen, in denen Anstrengungswahrnehmung nur eine kleine Rolle spielt wie im Basketball, und solchen, in denen Anstrengungswahrnehmung alles ist: Ausdauersport.

Die Gehirn-Revolution hat zur Entstehung einer neuen Art der Sportpsychologie geführt. Einer, die sich auf dem Psychobiologischen Modell der Ausdauerleistung gründet und daher speziell für diese Disziplinen anzuwenden ist. Die neue Psychologie unterscheidet sich von der alten in zwei entscheidenden Punkten. Erstens fokussiert sie sich ganz auf die Entwicklung mentaler Fitness oder darauf, Bewältigungsstrategien zu entwickeln, die, direkt oder indirekt, das Verhältnis eines Athleten zur wahrgenommenen Anstrengung so verändert, dass sich seine Leistung verbessert. Es ist eine Psychologie, die den Kopf über den Körper stellt.

Zweitens übernehmen Sie selbst, der Athlet, in der neuen Sportpsychologie die Rolle des Sportpsychologen. Warum? Weil man nur dann wirklich gut darin wird, mit dem Unwohlsein und dem Stress umzugehen, die mit Ausdauersport einhergehen, wenn man sie am eigenen Leib erfährt. Visualisierungs- und Zielsetzungsübungen allein werden Ihrem Kopf nicht helfen, die Rebellion Ihres Körpers in den härtesten Augenblicken des Rennens zu unterdrücken. Um mentale Fitness zu erlangen, muss man sich diesen Herausforderungen ebenso stellen, wie man auch ums Training nicht herumkommt, wenn man physisch fit werden möchte. Bewältigung ist schließlich eine Reaktion auf Unwohlsein und Stress.

Sein eigener Sportpsychologe zu sein, bedeutet aber mehr, als auf die harte Tour aus Erfahrungen zu lernen. Es besteht ein entscheidender Unterschied darin, sich blind in athletische Herausforderungen zu stürzen, und darin, eben diesen mit Vorwissen über ihre Natur zu begegnen, und zu wissen, welche Bewältigungsmethoden sich bei anderen Athleten als effektiv erwiesen haben. Die übergeordnete Mission der neuen Ausdauersportpsychologie ist es, die Athleten mit diesem Wissen auszustatten, damit sie »das Rad nicht neu erfinden« müssen bei ihren Versuchen, das Unwohlsein und den Stress in ihrem Sport zu bewältigen, sondern erfolgreich als ihr eigener Sportpsychologe fungieren können.

Die beste Wissensquelle für die effektivsten Methoden, mit den Herausforderungen im Ausdauersport umzugehen, ist das Beispiel, das Spitzen-Ausdauersportler geben. Die Methoden, auf die die besten Athleten vertrauen, um die höchsten und am häufigsten auftretenden mentalen Barrieren zu überwinden und so mehr Leistung bringen zu können, sind quasi per Definition die effektivsten Bewältigungsstrategien für alle Athleten. Champions sind die ultimativen Vorbilder – das gilt für die Sportpsychologie ebenso wie für Training und Ernährung. Es ist unmöglich, auf Topniveau in irgendeinem relevanten Ausdauersportbereich erfolgreich zu sein, wenn man sich mit dem Zweitbesten zufrieden gibt. Kein Athlet, egal wie talentiert er ist, kann auf der internationalen Bühne gewinnen, ohne die gesamte Kraft seines Kopfes zu nutzen, um sowohl seine Belastungstoleranz zu maximieren als auch die Leistung, die er aus dieser Belastbarkeit generiert. Bedenken Sie, wie viel mehr als ich Hunter Kemper erreicht hat, mit vielleicht nur ein wenig mehr rohem physischen Talent.

Um von den Besten zu lernen, genügt es nicht, ihren Geschichten vom Bewältigen zu lauschen. Wir müssen auch wissen, wie wir diese Beispiele interpretieren. Was ist die grundlegende Natur der Herausforderungen, denen sich die erfolgreichsten Wettkämpfer gestellt und die sie überwunden haben? Wie können wir die Bewältigungsstrategien, die sie anwenden, um diese Herausforderungen zu meistern, so verstehen, dass wir sie auf unsere eigenen Erfahrungen übertragen können? Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen, um vom Beispiel der Besten profitieren zu können. Das Psychobiologische Modell des Ausdauersports hilft uns dabei. Indem wir diese neue Wissenschaft auf Fallstudien von Spitzenathleten anwenden, können wir daraus Lektionen für die Praxis ableiten, die sich dann auf unsere eigene sportliche Reise anwenden lassen.

Es war eine Kombination aus Nachempfinden und wissenschaftlicher Interpretation, die meinen Weg zur Erlösung im zweiten Abschnitt meines Lebens als Ausdauersportler ebnete. Als Läufer in der High School hatte ich nicht das geringste wissenschaftliche Verständnis für die Ängste, die mich zurückhielten. Ich erkannte auch nicht, dass Spitzenathleten die gleichen Ängste haben und überwinden. Als erwachsener Läufer und Triathlet bin ich diese Ängste direkt angegangen – in meiner Rolle als mein eigener Sportpsychologe, bewaffnet mit dem Wissen über ihre neuropsychologische Essenz und mit der Inspiration, die ich aus den Beispielen von Spitzenathleten zog, die die effektivsten Wege aufzeigten, damit umzugehen. Durch dieses Wissen allein habe ich die Herausforderungen, die ich bestehen wollte, nicht gemeistert. Aber es gab mir das, was notwendig war, um aktiv meine sportliche Erfahrung dafür einzusetzen, meine mentale Fitness zu verbessern.

Die Aufgabe dieses Buchs ist es, Sie dabei zu unterstützen, Ihr eigener Sportpsychologe zu werden – ein kompetenter und sich stets verbessernder Anwender der neuen Psychologie des Ausdauersports. Sie werden auf den folgenden Seiten keine Techniken oder Übungen finden. Das gehört in die traditionelle Sportpsychologie. Stattdessen werden Sie mit wahren Geschichten über Bewältigung in Berührung kommen, die hauptsächlich aus dem Spitzenbereich des Ausdauersports stammen und als »Lehrmomente« dienen, wenn man sie aus Sicht des Psychobiologischen Modells des Ausdauersports betrachtet.

In jedem Rennen stellt etwas (das wir nun als Anstrengungswahrnehmung spezifizieren können) einem Athleten eine einfache Frage: Wie sehr willst du das? Damit man das eigene Potenzial als Athlet umsetzen kann, muss man mit einer Version dieser Antwort reagieren: Mehr. Und dann muss man es beweisen. Es ist ein einfaches Prinzip, das unglaublich schwer in der Praxis umzusetzen ist – viel schwieriger als herauszufinden, wie man trainieren, was man essen und welche Schuhe man tragen sollte. Hier ist mein Versprechen an Sie: Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wird Ihre Antwort auf die wichtigste Frage im Ausdauersport nie mehr dieselbe sein.

Kapitel 1 Ein Rennen ist wie über glühende Kohlen zu laufen

KAPITEL 1

Ein Rennen ist wie überglühende Kohlen zu laufen

BEI EINER PRESSEKONFERENZ einen Tag vor dem Chicago-Marathon 2010 gestand Titelverteidiger Sammy Wanjiru, dass er aktuell nur zu 75 Prozent fit sei. Er bluffte nicht. Drei Wochen zuvor hatte sich Sammy einen Magenvirus eingefangen, aufgrund dessen er einige Schlüsseleinheiten hatte ausfallen lassen müssen. Während er das Bett hütete, überlegte er, ob er Chicago absagen und stattdessen einen Monat später in New York starten sollte.

Wäre die Krankheit sein einziges Problem gewesen, hätte Sammy keinen so drastischen Schritt in Erwägung gezogen. Aber 2010 war insgesamt ein schweres Jahr für den 23-jährigen Helden aus Kenia gewesen. In der Vorbereitung auf den London-Marathon im April, bei dem er ebenfalls Titelverteidiger war, war Sammy gestolpert und hatte sich am rechten Knie verletzt. Er startete trotzdem, aber die Verletzung brach wieder auf und er musste nach 15 Kilometern aufgeben. Tsegaye Kebede aus Äthiopien gewann das Rennen.

Wenn Sammy einen Rivalen hatte, dann war es dieser Mann. Kebede war im Vorjahr beim London-Marathon Zweiter hinter Sammy geworden und holte sich Bronze, als Sammy bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking im Marathon Gold gewann. Kebede stand auf der Starterliste für den Chicago-Marathon 2010, und das könnte der Grund gewesen sein, warum Sammy sich gegen eine Absage entschied, obwohl er nicht ganz fit war. Die beiden Männer rangierten auf Platz eins und zwei in der World-Marathon-Majors-Serie, einem Zusammenschluss von Marathonveranstaltungen mit einer Auswertungsperiode von zwei Jahren und einem Preisgeld von einer halben Million US-Dollar für den Läufer, der in den teilnehmenden Rennen die meisten Punkte gesammelt hatte. Die Serie 2009–2010 sollte in New York enden. Keiner der anderen Mitbewerber um das Preisgeld würde dort jedoch starten, weshalb derjenige, der in Chicago zuerst ins Ziel käme – Sammy oder Kebede – das Ding nach Hause holen würde.

Nach seinem Ausstieg in London flog Sammy mit seinem Trainer Federico Rosa nach Italien, wo sein ramponiertes Gelenk intensiv behandelt wurde. Im Juni startete er bei einem Halbmarathon in Sizilien, aber das Knie machte noch immer Probleme und Sammy stieg erneut aus. Das nächste Rennen im Kalender war der Berlin-Marathon im September. Er sagte ab und konzentrierte sich stattdessen auf Chicago. Trotz der zusätzlichen vier Wochen Vorbereitungszeit durfte jetzt nichts mehr dazwischen kommen.

Aber es gab weitere Rückschläge. Als das Knie endlich geheilt war, fing Sammys unterer Rücken an zu mucken. Er trainierte trotz der Schmerzen, so gut er konnte, und war kurz davor, in Form zu kommen, als der Magenvirus zuschlug.

Während seiner Genesung wurde Sammy klar, dass er trotz der holprigen Vorbereitung an den Start gehen wollte, und wenn er nur verhinderte, dass Kebede die halbe Million Prämie kassierte. Sein Trainer Rosa stimmte der Entscheidung widerstrebend zu, bestand aber darauf, dass Sammy es verhalten angehen und hinter den Führenden bleiben sollte, um zu versuchen, das Rennen langsam zu halten, und das, was er an Kraftreserven hatte, für einen späten Angriff aufzuheben.

Vorsichtige Renntaktiken waren nicht Sammys Ding. Sein Rennstil ließ sich am besten mit brutal aggressiv beschreiben. Bei den Olympischen Spielen hatte er bereits von der Startlinie aus die erste Überraschungsattacke gesetzt. Olympische Marathons sind dafür bekannt, taktisch und eher langsam gelaufen zu werden, selbst wenn sie nicht in der Pekinger Sommerhitze bei 28 Grad Celsius stattfinden. Sammy brannte die ersten 1,5 Kilometer in 4:41 Minuten in den Asphalt – Weltrekordgeschwindigkeit. Nur 19 Läufer schafften es bis dahin, mit ihm mitzuhalten. Bei der 10-Kilometer-Marke war die Führungsgruppe auf acht Läufer geschrumpft. Sammy ließ nicht locker. Ein Verfolger nach dem anderen musste abreißen lassen. Er rannte die letzten paar Kilometer komplett allein, überquerte die Ziellinie in 2:06:39 Stunden und unterbot, nein, pulverisierte den bisherigen Weltrekord um fast drei Minuten. Einige Beobachter bezeichneten es als die größte Marathonvorstellung, die es jemals gegeben hat. Sammy war 21 Jahre alt.

Der 10. Oktober 2010 war kein heißer Tag in Chicago, aber es war warm. Die Temperatur war bereits auf 19 Grad geklettert, als das Rennen um 7.30 Uhr morgens startete. Sammy sortierte sich brav am Ende der Führungsgruppe ein. Shadrack Kosgei, einer von zwei angeworbenen Hasen, führte eine 12-köpfige Gruppe, die nur aus Afrikanern bestand, in 15:03 Minuten zu Kilometer 5 – eine eher moderate Geschwindigkeit. Kebede, in Purpur und Schwarz gekleidet, blieb in Sammys Nähe.

Federico Rosa, der das Rennen aus dem VIP-Fahrzeug an der Spitze des Feldes beobachtete, sah sofort, dass Sammy unruhig war. Der Olympia-Sieger mit der Zahnlücke war mit seinem kindlichen hüpfenden Schritt und den geraden, weit vom Körper abstehenden Armen und gespreizten Fingern, die auf Hüfthöhe in der Luft herumpendelten, in der Menge schnell auszumachen. Millimeterweise schob er sich nach vorn, erinnerte sich dann selbst an die Vorgabe und ließ sich unschuldig wieder zurückfallen.

Tu es nicht, dachte Rosa.

Es war umsonst. Nach 14 Kilometern zog Sammy davon. Er rannte an den Hasen vorbei und zog die Geschwindigkeit von 4:50 Minuten pro Meile auf 4:40 an. Alle außer einem Läufer in seiner Nähe gingen die Tempoverschärfung ohne große Mühe mit. Es war noch relativ früh im Rennen. Nur Robert Cheruiyot, der amtierende Sieger des Boston-Marathons geriet unter Druck. Er hing kurz am Ende der Gruppe, bevor er abreißen lassen musste.

Obwohl Sammy der Anstifter war, fühlte er sich nicht besser als der Mann, den er gerade aus der Spitzengruppe geschubst hatte. Angstschübe schossen durch seinen Körper, als er feststellte, dass seine Beine und sein Instinkt an diesem Tag nicht gleichgeschaltet waren. Der junge Kenianer reduzierte das Tempo und übergab die Kontrolle den Hasen. Die Geschwindigkeit fiel, und Cheruiyot kämpfte sich zurück in die Gruppe.

Kebede, der vielleicht die Schwäche seines Kontrahenten erkannt hatte, schob sich nun nach vorn. Er griff nicht sofort an, aber seine Gegner wussten, dass das nur eine Frage der Zeit sein würde. Der erste große Angriff kam bei Kilometer 29. Cheruiyot musste erneut abreißen lassen, diesmal endgültig. Dann begann das Gemetzel.

Bei Kilometer 32 schlug Kebede nochmals zu, und die Spitzengruppe flog sofort auseinander. Fünf der verbleibenden acht Läufer – darunter Vincent Kipruto mit einer Marathonbestzeit von 2:05 Stunden und Deriba Merga mit einer Halbmarathonbestzeit von 59 Minuten – verschwanden wie durch eine Falltür. Wusch! Weg waren sie.

Die einzigen Überlebenden waren Sammy und der 20-jährige Äthiopier Feyisa Lelisa, der im Frühjahr in Rotterdam 2:05:23 Stunden gelaufen war. Diese Männer verfolgten Kebede wie zu Evakuierende den letzten Zug, die Münder schmerzverzerrt. Im Gegensatz zum ersten Angriff hörte dieser nicht auf. Es hatte schon fast etwas von Hohn, wie der Äthiopier seine Verfolger mit versteinertem Gesichter hinter sich herzog und jeden noch so zaghaften Versuch einer Tempoverschärfung mit einer eigenen parierte, sodass der Abstand zwischen ihnen – etwa zwei Schritte – nicht kleiner wurde.

Als es auf Kilometer 37 zuging, bogen die drei Läufer, die nun wie an einer Perlenschnur aufgereiht hintereinander liefen, in einer scharfen Linkskurve von der Wentworth Avenue ab auf die 33rd Street. Sammy verlängerte seinen Schritt in einem verzweifelten Versuch, dranzubleiben. Er hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt und seine Schultern bis zu den Ohren hochgezogen, alles deutete auf eine unmittelbar bevorstehende Implosion hin. Er hatte den düsteren Ausdruck eine Kletterers, der an einem langsam reißenden Seil hängt. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf die knapp zwei Meter zwischen sich und Kebede gerichtet und in keinster Weise auf die noch fast fünf zu laufenden Kilometer bis ins Ziel. Alles hing ab vom Jetzt. Aber aus zwei Metern wurden vier Meter, aus vier Metern wurden sieben. Das Seil war gerissen. Sammy begann, die Hoffnung aufzugeben.

Auch Sammys zahlreiche Fans auf der ganzen Welt, die das Rennen live im Fernsehen oder im Internet verfolgten, gaben die Hoffnung langsam auf. Einige von denjenigen, die in interaktiven Foren unterwegs waren, während sie zuschauten, erklärten das Rennen zu diesem Zeitpunkt für zu Ende und beklagten sich über mangelnden Kampfgeist des Kenianers, der völlig untypisch für ihn war.

»Kebede gewinnt … verdammt!«, schrieb ein enttäuschter Wanjiru-Fan auf letsrun.com.

Man kann den Zuschauern nicht vorwerfen, dass sie Sammy so schnell abschrieben. Schließlich laufen Kenianer nicht »für sich« oder »machen ihr eigenes Rennen« wie Läufer aus anderen Nationen. Diese Ansätze kennen sie nicht. Wenn ein kenianischer Läufer bei einem Rennen antritt, um zu gewinnen, übernimmt er entweder die Führung oder bleibt so lange er nur irgendwie kann bei demjenigen, der führt. Er wird jede Tempoverschärfung mitgehen, egal wie nahe er schon an seinem Limit läuft. Sogar wenn es mit ziemlicher Sicherheit bedeutet, dass er explodiert, auf den letzten zehn Kilometern fünf Minuten verliert und auf den achten Platz durchgereicht wird, er wird es tun. Denn wenn du nicht gewinnen kannst, kannst du auch gleich Achter werden.

Von einem amerikanischen Läufer, der 5 Kilometer vor der Ziellinie 20 Meter hinter einem immer stärker werdenden Führenden herläuft, könnte man denken, er teilt sich seine Kraft clever ein. Aber Sammy war Kenianer, und dass er nicht aufschloss, konnte nur eins heißen: Er hatte keine Kraft mehr, die er sich einteilen konnte.

Sammy wusste das besser als jeder andere. Als Kebede sich immer weiter von ihm absetzte, wanderten die Gedanken des Olympia-Siegers zu dem Mann drei Schritte hinter ihm. Sein Ziel wechselte abrupt davon, das Rennen (und einen dicken Scheck) gewinnen zu wollen, dahin, den zweiten Platz zu halten und das immer noch üppige Preisgeld zu bekommen, das es dafür gab. Aber genau in diesem Augenblick wurde Kebede etwas langsamer. Sammy konnte die atemberaubende Geschwindigkeit von Kebede nicht halten, aber der Äthiopier selbst konnte es auch nicht. Davon ermutigt suchte Sammy in sich nach dem Willen, die Lücke zu schließen – und fand ihn. Lelisa schloss ebenfalls auf. Sie waren wieder zu dritt.

Aber nicht lange. Weil Kebede wusste, wie viel Selbstbewusstsein Sammy daraus zog, zu führen, erhöhte er das Tempo und zwang seinen Rivalen zurück in seinen Schatten. Lelisa musste endgültig abreißen lassen. Ein intensiver Willenskampf tobte nun zwischen den beiden alten Gegnern. Sammy war entschlossen, die Führung zu übernehmen, und sei es nur ein Zentimeter. Kebede war entschlossen, Sammy diesen Zentimeter nicht zu überlassen. Sammy schaffte es trotzdem, sich einen minimalen Vorsprung zu erkämpfen. Er konnte ihn genau zwei Sekunden lang halten, bevor Kebede wieder aufholte. Auf den nächsten 400 Metern rannten die beiden Kontrahenten Ellbogen an Ellbogen, mit synchron rotierenden Schultern und wippenden Köpfe.

Beide Männer litten nun sichtlich, aber die Aura der Kontrolle waberte noch immer um den Äthiopier herum. Als sie an der Zeitnahme bei Kilometer 40 vorbeikamen, lag Kebede einen Schritt vor Sammy, also machte er Druck. Innerhalb von Sekunden war Sammy wieder 20 Meter abgeschlagen, im freien Fall. Seine Hoffnungen sanken auf ein neues Tief.

Aber dann sah er etwas: Kebede schaute sich immer wieder um. Nicht einmal, nicht zweimal – dreimal. Jedes Mal blickte er über die linke Schulter. Sammy wechselte sachte auf die rechte Straßenseite. Als Kebede sich wieder umsah, war Sammy nicht mehr zu sehen.

Im Glauben, ihm endlich den Gnadenstoß versetzt zu haben, wurde Kebede etwas langsamer. Sammy nicht. Er kämpfte sich noch einmal an seinen Rivalen heran. Als es noch etwa 1,5 Kilometer bis ins Ziel waren, begann Kebede Zurufe der Zuschauer zu hören, kurz nachdem er sie passiert hatte. Er blickte über seine rechte Schulter – und da war Sammy. Kebede richtete seinen Blick wieder nach vorn, nahm sein Kinn herunter und bereitete sich darauf vor, den Willen des Kenianers zu brechen. Einen Augenblick später schoss Sammy an seiner linken Schulter vorbei.

Der Herausforderer reagierte schnell und parierte Sammys Beinahe-Sprint. Trotz der Rafinesse war Sammys Plan nicht aufgegangen. Er hatte keine Wahl und musste das Tempo verlangsamen. Umgehend startete Kebede den Gegenangriff und zeigte sich damit ebenso gewieft. Irgendwie wurde der holprige Schritt des Äthiopiers wieder geschmeidig. Er flog die Michigan Avenue hinunter mit dem Vertrauen eines Mannes, der wusste, dass er die letzte Kugel seines Kontrahenten abgefangen und überlebt hatte. Sammy lag plötzlich drei Schritte zurück. Diesmal schien es – endlich – vorbei.

Es war nicht vorbei. Ohne jegliche Kraftreserven in den Beinen ruderte Sammy wild mit den Armen, als ob er sie benutzen wollte, um seine ausgelaugten unteren Extremitäten damit auf Touren zu bringen. Es sah nicht schön aus, aber es funktionierte. Er holte auf. Kebede fühlte ihn, blickte sich um und sah seinen bereits dreimal gestorbenen Gegner wieder auferstanden und auf seinen Fersen. Kebede gab gerade noch rechtzeitig Gas, um Sammy einen halben Schritt hinter sich zu halten. Für den Bruchteil einer Sekunde schien die Zeit still zu stehen, Sammy eingefroren einen Hauch entfernt von Kebedes Schulter. Sammys unfokussierter Blick ließ darauf schließen, dass er innerlich rechnete. Im nächsten Moment peitschte Sammy seinen Körper zu einem ausgewachsenen Sprint – die Art von absoluter, keine Reserven schonender Anstrengung, die niemand länger als zehn oder zwölf Sekunden aushalten kann, nicht einmal mit ausgeruhten Beinen. Es war verrückt. Aber Kebede sah das nicht so. Auch er sprintete. Die beiden Männer rannten volles Tempo, Hüfte an Hüfte, als ob sie nur noch Meter von der Ziellinie entfernt wären – es war tatsächlich noch gut einen Kilometer zu laufen.

Sammy Wanjirus Fans auf der ganzen Welt schrien vor ihren Fernsehapparaten und Computermonitoren. Toni Reavis, einer der Sprecher, die die Fernsehübertragung vor Ort kommentierten, hatte sich schon heiser geschrien.

Diese Situation konnte nicht andauern und das tat sie auch nicht. Als der selbstmörderische Sprint langsam auslief, lag Kebede wieder in Führung. Trotz Sammys unvorstellbarer Willensstärke war es bei jedem Schritt klar, dass Kebede der Stärkere war. Kebede hielt die Führung, als die Läufer die vorletzte Kurve des Rennens, eine Rechtskurve auf die Roosevelt Road, nahmen.

Es gibt nur einen Hügel im Chicago-Marathon und der ist genau an dieser Stelle, knapp vor Kilometer 42. Vor dem Rennen hatten Sammy und sein Trainer beschlossen, dass Sammy hier seinen Angriff starten sollte, wenn sich die Möglichkeit ergab. Rosa hatte nicht erwartet, dass sie sich ergeben würde. Im Stillen hatte er schon beschlossen, dass angesichts der Umstände selbst ein dritter Platz noch hervorragend wäre.

Sammy lief auf den ersten zehn Metern des steilen Anstiegs hinter Kebede her. Er nutzte die Gunst, unsichtbar zu sein, und katapultierte seinen geschundenen Körper in einen letzten Sprint. Er schoss rechts an Kebede vorbei. Kebede konterte mit allem, was er hatte, aber konnte der Kraft seines Kontrahenten nicht standhalten. Mit einem grauenvollen Ausdruck in den Augen, der diese Kraft Lügen strafte, schaute sich Sammy verstohlen dreimal kurz um, bevor er sich von Kebede absetzte, der bereits aufgegeben hatte. Sammy kam 19 Sekunden vor dem zerstörten Äthiopier ins Ziel und kollabierte auf dem Bürgersteig wie ein Schlachtopfer.

 

»ES WAR DIE GRÖSSTE Überraschung, die ich je erlebt habe«, gestand Federico Rosa später den Reportern.

Was Rosa im Gegensatz zum Publikum wusste: Die Knieverletzung und der Magenvirus waren die geringsten Probleme, die Sammy zu lösen hatte, um seinen Titel in Chicago zu verteidigen. Das größere Problem war sein selbstzerstörerischer Lebensstil, dem er verfallen war, nachdem sein Olympia-Sieg ihn zu einer kleinen Gottheit und einem echten Milliardär in seinem Heimatland gemacht hatte. Noch im Juni hatte Sammy jede Nacht getrunken, und wenn er sich körperlich betätigte, dann meistens im Bett irgendwelcher Groupies. Im Juli lag Sammy knapp fünf Kilo über seinem Wettkampfgewicht. Im August war er noch nicht in der Lage, mit schwächeren Läufern im Training mitzuhalten. Im September sagte Sammys Trainer in Kenia, Claudio Berardelli, zu Rosa, dass Sammy den Chicago-Marathon nicht zu Ende bringen würde, falls er dumm genug sein sollte, überhaupt anzutreten.

Wie schaffte es Sammy also, dass er das Rennen nicht nur beendete, sondern sogar gewann? Carey Pinkowski, der Rennleiter des Chicago-Marathons, hatte eine Theorie.

»Sammy hat heute sein Herz bewiesen«, sagte er bei der Pressekonferenz nach dem Rennen.

Im Sport ist »Herz« eine Metapher für mentale Fitness. Pinkowskis Theorie war, dass Sammy seine physische Schwäche durch psychische Stärke überwand. So muss es gewesen sein. Wäre das Rennen wie ein Boxkampf gewertet worden, hätte Kebede jede Runde gewonnen, außer der, die zählte, die letzte, in der Sammy ihn mit einem Schlag k. o. gehauen hatte. In vergangenen Marathonduellen mit ähnlicher Dynamik hatte der Läufer, der an Kebedes Stelle war – also derjenige, der in besserer Verfassung zu sein schien und die Attacken der anderen schneller parierte – immer gewonnen. Es war für jeden sachkundigen Beobachter klar, dass Sammy näher am Limit seiner körperliche Fähigkeiten war als Kebede.

Die physiologischen Faktoren, die die Leistung in einem Marathon limitieren, sind bekannt. Einer dieser Faktoren ist die Entleerung der Glykogenspeicher der arbeitenden Muskulatur. Wenn Pinkowskis Theorie richtig war, hätte eine Gewebeprobe aus der Beinmuskulatur von Sammy und Kebede im Ziel niedrigere Glykogenwerte beim Sieger ergeben.

Ist das möglich? Kann der schwächere, stärker ermüdete Mann wirklich ein so hart umkämpftes Rennen, bei dem mit so hohem Einsatz gelaufen wurde, gewinnen? Bis vor Kurzem noch hätten Sportwissenschaftler gesagt, dass der physisch schwächere Athlet seinen stärkeren Rivalen nicht allein durch die Fähigkeit höherer mentaler Fitness besiegen könne. Von den 1920ern bis in die 1990er-Jahre wurde das Gebiet der Sportwissenschaft von einem streng biologischen Modell der Ausdauerleistung dominiert, das Kopf und Gehirn komplett aus den Betrachtungen ausschloss. Diesem Modell zufolge wird die Ausdauerleistung einzig durch die Physiologie unterhalb des Halses bestimmt und von harten Restriktionen begrenzt, wie der maximalen Geschwindigkeit, die ein Läufer über eine bestimmte Strecke halten kann, bevor die Glykogenspeicher leer sind.

Ein neueres Modell der Ausdauerleistung bezieht den Körper und den Kopf, beziehungsweise das Gehirn, mit ein. Diese alternative Theorie wurde von seinem ursprünglichen Entwickler, Samuele Marcora, das »Psychobiologische Modell« genannt. Diesem Modell zufolge findet Erschöpfung während eines echten Ausdauerwettkampfs nicht dann statt, wenn der Körper eine harte physische Grenze, zum Beispiel vollkommen leere Glykogenspeicher, erreicht, sondern wenn der Athlet das Maximum an wahrgenommener Anstrengung fühlt, das er willens oder in der Lage ist zu ertragen. Harte physikalische Grenzen existieren natürlich, aber kein Athlet erreicht sie jemals, weil er immer erst an das rein psychologische Limit der wahrgenommenen Anstrengungstoleranz kommt. Dass man scheinbar zwangsläufig irgendwann langsamer wird, wenn man ermüdet, ist kein mechanistisches Phänomen wie bei einem Auto, wenn das Benzin ausgeht, sondern eines des Willens.

Beweise dafür, dass Athleten immer eine physische Reserve haben, wenn sie den Erschöpfungspunkt erreichen, liefern verschiedene Studien. Darunter einige, bei denen die Probanden gebeten wurden, bis zur Erschöpfung zu trainieren, anschließend wurden ihre Muskeln elektrisch stimuliert, um zu testen, ob sie hätten weitermachen können, wenn die Athleten willens gewesen wären, sie zum Weitermachen zu bringen – und jedes Mal kam heraus, dass sie hätten weitermachen können.

Das soll heißen: Anstrengungswahrnehmung ist, wie hart sich eine Belastung für einen Athleten anfühlt. Sie unterscheidet sich von Schmerz, Ermüdung, Propriozeption und anderen Wahrnehmungen, die Athleten während eines Rennens spüren, und sie ist die wichtigste Quelle von Unwohlsein, die dazu führt, dass Athleten langsamer werden oder aufgeben, wenn sie im Wettkampf den Mann mit dem Hammer treffen. Athleten nennen dieses Gefühl für gewöhnlich »Ermüdung«, aber Ermüdung ist eine andere Wahrnehmung und viel schwächer als Anstrengung. Wenn man die Ziellinie eines harten Wettkampfs erreicht und anhält, fühlt man sich sofort viel besser, selbst, wenn das Anhalten keinen unmittelbaren Effekt auf das Ermüdungslevel hat. Warum fühlt man sich besser? Weil die Anstrengung aufgehört hat.