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Wenn das Glück dir einen Stups gibt – der erste Band der Hundeglück-Reihe von Isabell Sommer Größer könnten die Gegensätze kaum sein: Mila hat einen Brautmodenladen und verkauft Träume aus Tüll. Robin ist Scheidungsanwalt und lässt diese Träume wieder platzen. Mila hat nach einer herben Enttäuschung Angst vor der Liebe, während Robin sich von Date zu Date hangelt, um bloß kein Single mehr zu sein. Immer, wenn sie ihre beiden Hunde Balou und Alice in die Hundetagesstätte Zum Pfotentreff bringen, laufen sich Mila und Robin über den Weg und merken: sie können sich nicht ausstehen. Oder vielleicht doch? Auf den Hund gekommen und die Liebe gefunden – die Hundeglück-Reihe Band 1: Sitz, Platz, Kuss Band 2: Sitz, Platz, Liebe Band 3: Sitz, Platz, Glück
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Seitenzahl: 318
Veröffentlichungsjahr: 2023
Isabell Sommer
Hundeglück-Roman
Als sich die Brautmodenverkäuferin Mila und der Scheidungsanwalt Robin das erste Mal begegnen, kommt es gleich zu einem handfesten Streit. Denn als Robin seine Weimaraner-Hündin Alice in die Hundetagesstätte Zum Pfotentreff bringt, fährt er Mila fast über den Haufen. Sie hat dasselbe Ziel und ihren Labrador Balou an der Leine. Die Hunde verstehen sich sofort ganz ausgezeichnet, doch Frauchen und Herrchen können sich nicht ausstehen. Außerdem hat Mila nach ihrer letzten Beziehung Angst vor der Liebe, und Robin ein Date nach dem anderen, um kein Single mehr zu sein. Ein gemeinsam besuchter Trainingskurs mit den Hunden sorgt dafür, dass die beiden sich näherkommen. Doch sie stehen sich immer wieder selbst im Weg. Ist die Lage wirklich aussichtslos? Oder können die Hunde ihren Besitzern den nötigen Stups geben?
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Isabell Sommer ist das Pseudonym der österreichischen Autorin Isabell Leitner. Sie studierte Germanistik und Bibliothekswesen, angetrieben von ihrer Liebe zu Büchern. Seit 2014 widmet sie sich ganz ihrer Leidenschaft: dem Schreiben. Mit ihrem Partner und ihrer Collie-Hündin Skadi lebt sie in Nordrhein-Westfalen, in einem Dorf nahe der holländischen Grenze. Ihre süße Fellnase spielt eine Hauptrolle in ihrem Herzen und war der Antrieb für die neue Reihe.
Eigenlizenz
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2023 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
© 2023 Isabell Sommer
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur.
Redaktion: Silke Reutler
Covergestaltung: www.buerosued.de
Coverabbildung: www.buerosued.de
Ziertrenner unter Verwendung eines Motivs von Ihor/Adobe Stock
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491666-8
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Dass das große Kaufhaus im Zentrum nicht der optimale Ort zum Verstecken ist, hätte man sich vielleicht vorher denken können. Allerdings war das so nicht, wirklich überhaupt nicht, geplant. Darum muss ich jetzt blitzschnell improvisieren.
Ich war schon als Kind gut darin, mich zu verstecken. Wenn es Blumenkohl zum Abendessen gab, konnte ich mucksmäuschenstill in meinem Baumhaus ausharren, während meine Mutter schimpfend nach mir suchte. Als mein Vater unseren Benny zum Züchter zurückbringen wollte, weil er als Welpe sämtliche Schuhe im Haushalt angeknabbert hatte, hielt ich mich so lange mit dem kleinen Terrier versteckt, bis er aufgab. Und bei Oma Fritzis Beerdigung saß ich stundenlang lautlos heulend versteckt zwischen Blumenkränzen und Gestecken, um nicht nach vorne zum Sarg gehen zu müssen.
Und was bringt mir diese ganze Erfahrung im Verstecken jetzt? Rein gar nichts. Ausgerechnet jetzt lässt sie mich im Stich, und es klappt überhaupt nicht.
Man sieht sich immer zweimal im Leben, sagen die Leute. Aus meiner Sicht ist das eine schamlose Untertreibung. Das ist etwas, was Leute sagen, die sich noch nie von jemandem getrennt haben, ohne danach fluchtartig die Stadt zu verlassen. Meinen Ex habe ich seit unserer Trennung nicht zwei-, sondern zweiundzwanzigmal gesehen. Er mich einundzwanzigmal. Und ich habe nicht vor, ihn gleichziehen zu lassen.
Ich gehe hinter einer Kleiderstange in Deckung, an der die neue Frühjahrskollektion baumelt: luftig-leichte Teilchen, viel Transparenz, ein bisschen Lochspitze. Blusen und Hosen in Pastelltönen und Marineblau, zwischen denen ich hindurchspähe.
So verfolge ich jede Bewegung des Menschen, dem ich am zweitwenigsten begegnen will: Tom. Der legt gerade die Hand auf den Po des Menschen, dem ich am allerwenigsten begegnen will: seiner neuen Freundin Natascha.
Gutgelaunt und völlig entspannt schlendert Tom durch den Laden und begutachtet Shirts und Polohemden. Ich wünschte, er besäße den Anstand, zumindest ein bisschen elend auszusehen. Ich wünschte, er würde den Eindruck machen, mich zu vermissen. Ich wünschte, er wäre wenigstens alleine unterwegs. Aber er und Natascha wirken so glücklich, dass ich heulen könnte.
Mit aller Macht bemühe ich mich, mit meiner Umgebung zu verschmelzen. Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, ein Chamäleon zu sein und so pastellig zu werden wie die Klamotten.
Balou an meiner Seite hechelt freudig. Er zeigt überhaupt keine Ambition, mit irgendetwas optisch zu verschmelzen. Sein Interesse ist ganz anderer Natur: Er hat es darauf abgesehen, seine goldblonden Labradorhaare auf den Klamotten zu verteilen und an den Beinen vorbeigehender Leute zu schnuppern.
»Luft anhalten, Balou«, wispere ich. »Wir müssen ganz leise sein.«
Misstrauische Blicke treffen mich. Ich werde argwöhnisch beäugt. Ein kleines Mädchen deutet auf mich: »Mama, was macht die Frau da? Spielt die Verstecken?« Der Securitymann hat mich längst im Blick und zieht eine Augenbraue hoch. Gleich wird er zu mir kommen und mich fragen, was zur Hölle ich da mache. Dann ist alles aus. Dann wird Tom mich sehen. Und dann? Dann werde ich dem Mann gegenüberstehen, dem ich gerade am zweitwenigsten begegnen will.
Ich wische mir Schweißtropfen von der Stirn, lächele dem Securitymann zu und ziehe bedeutungsvoll beide Augenbrauen hoch, um ihm verständlich zu machen, dass ich absolut harmlos bin.
Es hätte klappen können. Ich hätte aus der ganzen Sache ohne peinliche Begegnung rauskommen können – hätte ich mich nur etwas weniger auf Tom und seine Neue konzentriert und etwas mehr auf den Hund.
Das Beste an einem Labrador Retriever ist sein freundliches Naturell.
Und in solch einer Situation das Schlechteste.
Balou entdeckt sein Exherrchen. Und ganz gleich, wie furchtbar die Sache zwischen Tom und mir in die Brüche gegangen ist – seine Liebe ist ungebrochen.
Die Leine wird mir aus den Fingern gerissen.
»Nein! Aus!«, stoße ich unterdrückt hervor. Aber nichts und niemand stoppt einen Labrador, der losrennt, weil er einen Menschen entdeckt, den er in sein großes Herz geschlossen hat. Mit enthusiastischem Schwanzwedeln räumt Balou die säuberlich drapierten Seidentücher von einem Tisch und steuert wie ein Bulldozer quer durch den Laden auf sein Exherrchen zu.
»Mieser Verräter!«, zische ich ihm hinterher, bevor ich mich aufrichte, hinter dem Kleiderständer hervortrete und dabei versuche, wenigstens ein kleines bisschen Würde zu bewahren.
Natascha ist hinreißend.
Kombucha-Natascha, so hat Leo sie getauft. Meine beste Freundin wollte mich aufmuntern, nachdem wir erfahren haben, dass sich Tom nur kurz nach unserer Trennung Hals über Kopf in die nächste Beziehung gestürzt hat. Als könnte ein bisschen Exfreund-Bashing mein gebrochenes Herz wie ein übergroßes Pflaster kitten.
Bisher hatte ich das Glück, Tom immer nur ohne seine Neue über den Weg zu laufen. Aber als ich ihr jetzt gegenüberstehe, weiß ich, wie Leo auf diesen Spitznamen kommt. Natascha hat dieses gesunde, innere Leuchten, das Menschen haben, die gut auf sich achten und einen scheußlich vernünftigen Lebensstil pflegen. Ihre sanfte Bräune hat nichts von Solarium, sondern von Spaziergängen an der frischen Luft. Sanft wellen sich ihre haselnussbraunen Haare bis zum Kinn. Jede ihrer Bewegungen ist anmutig. Und ja, Leo hat recht. Natascha sieht aus, als würde sie jeden Morgen nach dem Yoga ein Glas Kombucha trinken.
Das nehme ich mit einem einzigen Blick wahr, während Tom sich zu Balou runterbeugt und ihm wild durchs Fell wuschelt. »Da ist ja mein großer Junge! Was machst du denn hier?«
Als er sich aufrichtet, zieht sich mein Magen zusammen. Da sind sie, die sanften, braunen Augen, die mich immer ein bisschen an einen Teddybären erinnert haben. Das liebe Lächeln. Die braunen Locken, die ich so gerne mit den Fingern zerzaust habe. Aber er ist nicht mehr mein Freund, nicht mehr mein Tom. Und jetzt mit meinen Fingerspitzen in seinen Haaren zu wühlen, wäre wohl nicht die beste Idee.
»Mila, hi«, sagt er nur und wirkt jetzt zumindest etwas peinlich berührt.
Das ist also aus »Ich liebe dich« und »Du bist meine Traumfrau« geworden – ein schlichtes »Mila, hi«.
Und aus mir sprudeln die Worte nur so heraus. »Oh, hi, was für eine Überraschung! Schön, dich mal wieder zu sehen. Mein Gott, das ist jetzt wie lange her?«
Eine Woche und vier Tage. So lange ist es her, dass wir uns das letzte Mal über den Weg gelaufen sind. Am Rheinufer zwischen Ausflugsboot-Anlegestelle und der besten Frittenbude der Stadt. Ist nicht so, als würde ich absichtlich Buch über unsere Zufallsbegegnungen führen, mein Gehirn erledigt das von ganz allein. »Und du bist Natascha, nicht wahr? Echt schön, dich auch mal kennenzulernen. Ehrlich. Ich habe schon viel von dir gehört. Na ja, bleibt nicht aus, gemeinsame Freunde und Bekannte und so.« Ich greife nach ihrer Hand, schüttle sie heftig und strahle übers ganze Gesicht.
Während ich wie aufgezogen plappere, starren mich ihre olivgrünen Augen erschrocken an. Kacke, ich fühle mich unendlich plump neben ihr. Alles an ihr ist filigran. Sie hat zarte Handgelenke und elegant hohe Wangenknochen, auf die ihre langen Wimpern dunkle Schatten werfen.
Tom hat den Schock, mich wiederzusehen, schnell überwunden und schaltet sich ein, um seine Freundin vor mir zu retten. »Natascha, das ist Mila, meine … Exfreundin. Mila, Natascha.«
Ein bisschen tut er mir leid, so unbehaglich, wie er sich offensichtlich fühlt. Er legt den Arm um Nataschas Schultern, nimmt ihn jedoch gleich wieder runter, zupft sich am Kinnbart. Er mochte es immer schon harmonisch. Kein Streit, keine Konflikte. Und Begegnungen zwischen der Ex und der Neuen liegen ganz sicher außerhalb seiner Komfortzone, und ich bin die Letzte, die ihn dafür verurteilen könnte.
Balou schiebt seinen breiten Kopf an Tom vorbei und schaut Natascha freundlich an. In dem Moment hat er auch schon beschlossen, mit ihr Freundschaft zu schließen. Untreue Seele! Er wedelt freudig mit dem Schwanz, presst sich an ihr Bein und hinterlässt dabei feuchte Nasenabdrücke auf dem glatten Stoff ihrer Hose. Natascha erstarrt. Mit verkrampftem Lächeln tätschelt sie Balous Kopf und zuckt zurück, als er über ihre Finger leckt.
Ha! Ein Makel an der perfekten Kombucha-Natascha. Wie kann Tom, der Hundefreund Tom, mit einer Frau glücklich sein, die sich vor Hunden fürchtet? Die Sache ist doch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Da hilft es auch nicht, dass er sofort herbeistürzt, um seine holde Maid vor dem bollerköpfigen Ungetüm zu retten. Er krault Balou hinter den Ohren und zieht dessen Aufmerksamkeit auf sich, so dass Natascha gefahrlos den Rücken des Hundes – meines Hundes! – streicheln kann, was sie unbeholfen tut. Toms Teddyblick gilt ihr, nicht mehr mir.
Ich habe mir die Leine geschnappt und bin drauf und dran, dem Ganzen ein Ende zu setzen und mein Monster zu mir zu ziehen. Beinahe tut mir Natascha leid, die vom völlig distanzlosen Balou belästigt wird und noch nicht ahnt, dass ihre Beziehung mit Tom dazu verurteilt ist, in die Brüche zu gehen. Nicht nur, weil sie kein Hundetyp ist, was für Leute wie mich und auch wie Tom ja eigentlich schon ein klares Ausschlusskriterium ist, sondern auch, weil Tom einfach kein Beziehungstyp ist. Er ist ein Freigeist, wie er mir immer wieder gesagt hat, auch wenn ich ihm nicht glauben wollte, und noch lange nicht bereit, sich fest zu binden. Harmloser Teddyblick hin oder her – auf Tom kann man nicht bauen. Arme Natascha!
Aber dann bleibt mein Blick an einem dicken, fetten Klunker hängen. Ich starre auf einen Ring an Nataschas Finger, der nur eins bedeuten kann.
»Oh«, mache ich.
»Oh«, haucht Natascha, als ihr Blick meinem folgt.
Tom räuspert sich. »Ja, wir sind verlobt«, gesteht er.
Ein Rauschen in meinen Ohren, das immer lauter wird. Ich habe mich verhört, bestimmt.
»Verlobt«, krächze ich wie ein heiserer Papagei.
Aber doch nicht mit Tom! Dem kuscheligen, harmlosen Tom, der wirkt wie der perfekte Schwiegersohn und dem man kein Wort glaubt, wenn er von seinem Freiheitsdrang schwadroniert. Dem Tom mit den freundlichen, braunen Augen, den karierten Holzfällerhemden, den breiten Händen, der mich erst vor ein paar Monaten verlassen hat, weil ihm das alles viel zu schnell viel zu eng wurde.
Verlegen streicht sich Natascha das weiche Haar hinters Ohr. »Ich weiß, das geht ziemlich schnell. Aber jetzt, wo wir das Haus gekauft haben, denken wir, es ergibt Sinn, Nägel mit Köpfen zu machen.«
Wie oft hat Tom mir gegenüber behauptet, er wäre nicht der Typ fürs Heiraten, für Familiengründung und Eigenheim? Alles nur leere Worte! Da muss nur eine Natascha um die Ecke biegen, und plötzlich ist er der Typ für all das Spießige, das ich wollte, er aber nicht.
Balou drückt sich tröstend an mich. Vermutlich findet er es nur gerade angenehm, sich an mich zu lehnen, aber ich möchte das gerne als Trösten interpretieren. Meine Finger wühlen sich in sein weizengelbes Fell.
»Mila …«, beginnt Tom. Ahnt er, was ich gerade denke? Weiß er, dass mir das einen ordentlichen Stich versetzt? Dazu muss er wirklich kein Hellseher sein. Aber ich will mir jetzt keine Blöße geben, das kommt überhaupt nicht in die Tüte.
Und wieder einmal bin ich zu viel. Zu viele Worte, zu viel Mimik, zu viele Gesten. Ein viel zu breites Lächeln, das sich gewaltsam auf mein Gesicht drängt.
»Wie schön, das ist ja toll für euch«, sprudle ich los. »Mein Gott, so schnell, da hat die Liebe ja wie der Blitz eingeschlagen. Das freut mich für euch. Ehrlich! Total! Absolut! Du und eine Hochzeit, Tom, wer hätte das gedacht? Also ich nicht! Freut mich … sehr. Natascha, weißt du was? Komm doch zu mir in den Laden. Vielleicht hat Tom dir ja davon erzählt. Na ja, vielleicht auch nicht. Ich verkaufe Brautkleider. Will ja nicht angeben, aber es sind die schönsten, die es in der ganzen Stadt gibt. Wirklich, es würde mich freuen, wenn du bei mir dein Traumkleid findest.«
Ungefähr sieben Sätze früher hätte ich mir besser die Zunge abbeißen sollen. Zu spät, jetzt sind die Worte raus. Und wieder mal war meine Zunge schneller als mein Verstand. Ich stehe den beiden gegenüber und grinse übertrieben freudig. Neben mir hechelt Balou. Seine Freude ist absolut echt.
Ich weiche Toms Blick aus.
Natascha wirkt für einen Moment fassungslos, als hätte sie eine Lawine überrollt. Dann erwidert sie mein Lächeln. »Das ist ja ein liebes Angebot, vielen Dank. Oh ja, ich komme bestimmt darauf zurück.«
»Du blöder Mistkerl«, gurre ich liebevoll und hebe Balou aus dem Kofferraum. »Garstiger, schiacher Depp.«
Diese zauberhaften Ausdrücke habe ich von Leo. Meine beste Freundin stammt aus Österreich und hat ihren Dialekt größtenteils verloren, streut aber immer wieder diese hübschen Wörter ein, die ich aufsauge wie ein Schwamm.
Es ist nicht so, als könnte er nicht selbst rausspringen. Wenn eine interessante Hündin vorbeistolziert, schafft er das ja auch. Ich schätze, er ist einfach ein fauler Kerl und genießt es, wenn ich ächzend seine dreiunddreißig Kilo hochwuchte. Das bringt mich jedes Mal an meine körperlichen Grenzen. Jedes Mal nehme ich mir vor, eine dieser praktischen Rampen zu kaufen, über die der Hund ganz bequem in den Kofferraum hinein und auch wieder raus klettern kann. Und jedes Mal stelle ich dann doch unter Rückenschmerzen fest, dass ich das immer noch nicht gemacht habe und meinen faulen Moppel stemmen muss.
Und es ist auch nicht so, als wäre ich nicht sauer auf ihn. Untreue Tomate, die mich meinem Ex und seiner Neuen zum Fraß vorgeworfen hat. Aber es ist so unendlich schwer, richtig böse auf jemanden zu sein, der einen aus so treuherzigen Augen anschaut. Ohne diesen Schokoschmelzblick hätte Balou ein kurzes Leben.
Ich habe vorne an der Straße geparkt und laufe das restliche Stück zu Fuß, weil der Weg ab hier so schlammig ist, dass ich mit meinem Fiat Panda vermutlich einfach stecken bleiben würde. Balou macht das nichts aus, als waschechter Labrador Retriever kann ihm der Untergrund gar nicht schmutzig genug sein. Zielstrebig läuft er voraus und nimmt sich ausnahmsweise kaum Zeit, um an Bäumen und Gräsern zu schnuppern, denn er weiß genau, wohin es geht, und freut sich schon. Mich stört der Schlamm auch nicht, ich habe meine Autofahrschuhe an, meine Doc Martens, die einen derben Kontrast zu meinem Arbeitsrock aus rosa Tüll bilden.
Es ist ein wunderbarer Tag – eigentlich. Tau glitzert an den hohen Grashalmen. Die Luft hat noch diese frostige Frische, die dem frühen Morgen zu eigen ist, die aber jetzt schon erahnen lässt, dass es ein heißer Tag werden wird. Mild fällt die Sonne zwischen den Lindenzweigen hindurch und malt goldene Tupfen auf die Erde. Kronwicken und Steinklee blühen zu beiden Seiten des Weges, Bienen und sogar Schmetterlinge tummeln sich zwischen den Blüten. Es ist ruhig hier, so ruhig, dass man vergessen könnte, wie nah die Stadt ist. Die Hundetagesstätte, in die ich Balou regelmäßig bringe, liegt am Stadtrand, kaum eine Viertelstunde mit dem Auto von meiner Wohnung entfernt, aber dennoch ist es hier wie in einer anderen Welt.
Und trotzdem steht meine Stimmung in einem ebenso brutalen Kontrast zum hübschen Tag, wie meine Doc Martens zu meinem Tüllröckchen. Innerlich koche ich vor Wut.
»Komm doch zu mir in den Laden« – zur Hölle! Was hat mich geritten, als ich das gestern im Kaufhaus gesagt habe? Die allerletzte Person, der ich ein Brautkleid verkaufen will, ist die Verlobte meines Exfreundes. Desselben Exfreundes wohlgemerkt, der kategorisch ausgeschlossen hat, in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren zu heiraten, und der Schnappatmung bekommen hat, wenn ich mal meine Zahnbürste bei ihm in der Wohnung vergessen habe.
Meine Wangen glühen. Aufgebracht stapfe ich durch den Matsch, der bei jedem meiner Schritte schmatzende Geräusche von sich gibt. Meine Arme schwingen energisch. Ich schaue weder nach links noch nach rechts, starre nur geradeaus den Pfad entlang und auf Balou schaukelndes Hinterteil.
»Bleib bloß weg«, knurre ich dem zwitschernden Vogel zu, der dicht an mir vorbeiflattert und denke dabei an Natascha, die bloß keinen Fuß in meinen geliebten Laden setzen soll.
Ich bin so sauer auf Tom! Dass er sich so schnell neu orientiert hat, wie man so schön sagt, und mit seiner neuen Partnerin plötzlich zu all den Dingen bereit ist, die ich mir mit ihm vergeblich gewünscht habe. Sauer auf diese Natascha, mit ihrem Yoga-Glow und Kombucha-Teint.
Aber vor allem bin ich so unglaublich sauer auf mich selbst. Warum konnte ich meinen dummen Mund nicht halten?
»Komm zu mir in den Laden, das wird supi! Wir schlürfen Sekt und plaudern über meinen Ex, deinen Verlobten, wie die allerbesten Freundinnen«, flöte ich mit verstellter Stimme in die klare Morgenluft und schnaube dann übellaunig.
Die ganze Nacht habe ich mich schlaflos hin und her geworfen und bin die Begegnung im Kaufhaus im Kopf tausendmal durchgegangen. Heute fühle ich mich kein bisschen ruhiger, die Nacht hat nicht gerade zu meiner Entspannung beigetragen.
Das Aufheulen eines Motors zerreißt die idyllische Stille. Der Wagen kommt so schnell hinter mir um die Kurve geschossen, dass ich gar nicht dazu komme, aufzuschreien. Instinktiv reiße ich die Hände schützend vor mein Gesicht. Durch meine gespreizten Finger nehme ich deutlich das Gesicht des Fahrers wahr, er ist genauso schockiert wie ich, hat den Mund und die Augen in Panik aufgerissen.
Der Wagen schlingert und schießt haarscharf an mir vorbei.
»Balou«, brülle ich aus Leibeskräften.
Mit großen Sätzen kommt mein Hund auf mich zugesprungen, schwanzwedelnd und außer sich vor Begeisterung über die Aufregung. Erleichtert atme ich auf und schreie dem Autofahrer hinterher: »Betrunken, oder was? Passen Sie doch auf, verdammt!«
»Können Sie nicht auf der Seite laufen, wie jeder normale Mensch?«, schallt es durch das offene Seitenfenster zurück. Ein paar Meter entfernt ist das Auto zum Stillstand gekommen, es steht quer auf dem Weg.
»Wäre nicht nötig, wenn Sie hier nicht herumrasen würden wie ein verdammter Rennfahrer«, tobe ich. Der ganze Frust, den die Begegnung mit meinem Ex und seiner Neuen ausgelöst hat, bricht aus mir heraus. Fehlt nicht viel, und ich würde aufstampfen wie das Rumpelstilzchen.
Der Mann streckt den Kopf aus dem Seitenfenster seines Wagens, verrenkt sich, um zu mir zu schauen. Ich sehe dunkle Haare, helle Augen, grün oder blau. Checkt er ab, ob ich mich verletzt habe, oder erfreut er sich einfach nur am Anblick meines schlammbespritzten Rocks? Ich funkle ihn wütend an.
»Und wenn Sie nicht ganz so verträumt durch die Weltgeschichte laufen würden, würde das Ihre Lebenserwartung erhöhen«, kontert er. »Mal ehrlich, um mein Auto nicht zu hören, muss man den Kopf so was von in den Wolken haben. Oder extrem gute Ohrstöpsel.«
Punkt für ihn. Die pechschwarze Angeberkarre ist schwerlich als dezent zu bezeichnen. Der Motor röhrt wie ein wildes Tier und jault auf, als er wieder aufs Gas tritt und einfach weiterfährt.
»Idiot«, brülle ich ihm hinterher.
Balou schnauft neben mir, sein hechelndes Gesicht sieht aus, als würde er lächeln. Ich seufze tief, hocke mich dann neben ihn, vergrabe die Finger in seinem dicken Fell und atme einen Moment lang durch. Mein Herz rast immer noch. Balou hat keine Ahnung, was da gerade passiert ist und dass er beinahe überfahren worden wäre, aber ich möchte wetten, mein treuherziger Depp würde diesen Schnösel auch noch sympathisch finden. Spontan fällt mir kein Mensch ein, den Balou nicht gut leiden kann.
Ich bin da anders. Pöbelnde Kerle in dicken Protzautos, die mich und meinen Hund fast überfahren, wandern ganz flott auf die Kann-ich-nicht-leiden-Liste.
»O Gott«, stöhne ich.
Während ich murmelnd und Selbstgespräche führend die letzten Meter durch den Matsch zurückgelegt habe, ist mir bewusst geworden, dass der Weg zur Hundetagesstätte eine Sackgasse ist. Unmöglich, dass der Typ da nur durchfahren wollte. Wenn er sich nicht verfahren hat und mir nicht gleich wieder entgegenkommt, haben wir dasselbe Ziel.
Und tatsächlich parkt die Protzkarre vor dem Tor der HuTa, direkt unter dem Schild, auf dem Zum Pfotentreff steht. Der Lack des Batmobils ist über und über mit Schlamm bespritzt, stelle ich schadenfroh fest. Wäre Bruce Wayne aus dem Auto gestiegen, hätte ich den Anschlag auf mein Leben vielleicht sogar verzeihen können. Aber so nicht. Denn bedauerlicherweise steht mir kein sexy Superheld gegenüber, sondern der Inbegriff eines Spießers. Und bedauerlicherweise ist der Businessanzug im Gegensatz zum Wagen makellos sauber. Schade. Ich hätte es dem Kerl gegönnt, wenn er sich den feinglänzenden Twill versaut hätte.
Er beugt sich ins Auto, klappt die Rückenlehne nach vorne, um – wie ich vermute – einen Hund abzuschnallen, der auf der zweifellos viel zu schmalen Rückbank sitzt. Was für ein unpraktisches Auto, um einen Vierbeiner zu transportieren! Aber ich mit meinem kleinen Panda sollte diesbezüglich lieber mal still sein – der ist zugegebenermaßen auch nicht die optimale Hundetransportmaschine, hat aber zumindest so etwas wie einen Kofferraum.
Mit einem geschmeidigen Satz springt ein wahres Reh von einem Hund heraus, grazil und langbeinig, mit silberglänzendem Fell und hellen Augen, die mich an die des Besitzers erinnern. Beinahe hätte ich leise geschnaubt – ein Weimaraner. Das passt wie die Faust aufs Auge. Für jemanden, der so ein Auto fährt, geht es wohl auch an der Leine nicht ohne schickes Statussymbol. Ein toller Hund, aber an so einen feinen Pinkel, der höchstens mal zum Angeben eine Runde durch den Park flaniert, einfach verschwendet.
Eilig nehme ich Balou an die Leine, er tut das gleiche mit seiner Hündin. Ich beschleunige meine Schritte. Er beschleunigt auch und zieht beinahe an mir vorbei. Mit gerümpfter Nase werfe ich ihm einen Seitenblick zu. Ist das jetzt ein albernes Wettrennen? Wenn das so ist, bin ich fest entschlossen, es nicht zu verlieren. Balou will neugierig an der Hündin schnuppern, doch ich halte ihn zurück. Grimmig stapfen wir zu viert Seite an Seite auf das Tor der HuTa zu, aber es ist die Hand des Anzugträgers, die sich die Kordel der Glocke schnappt und daran zieht.
»Giiisela«, tönt ein langgezogener Ruf über die Wiese.
Was da auf uns zugaloppiert kommt und kein bisschen auf seinen Namen hört, ist nicht etwa ein Rehpinscher oder Pudel.
Meine Mundwinkel zucken hoch, als dem Anzugträger ein entgeistertes »Himmel« entfährt und er einen Schritt zurücktritt, obwohl sich ein Zaun zwischen uns und Gisela befindet. Sieht so aus, als wäre er zum ersten Mal hier, sonst wäre er mit der Fellnase der HuTa-Inhaberin vertraut. Sieht man Gisela zum ersten Mal, können einem tatsächlich die Gesichtszüge entgleisen.
Sie hat Flecken wie eine Kuh, Beine wie ein Fohlen und Lefzen wie ein Wolf. Und ein Gemüt wie ein Lamm, aber das ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Clara scherzt manchmal, sie hätte mit Gisela einen ganzen Stall voller Tiere in Gestalt eines einzigen Hundes. Selbst für eine Deutsche Dogge ist Gisela besonders riesig. Ihr faltiges Gesicht schwabbelt vor Freude, als sie mich erkennt.
»Kommt rein, kommt rein«, ruft Clara, stiefelt uns entgegen und winkt einladend. Der Wind zerzaust ihre graue, unbezähmbare Lockenmähne. Ihre wachen blauen Augen funkeln uns entgegen. Sie trägt ihre Uniform: Gummistiefel und eine Allwetterjacke. »Klingt wie eine Plattitüde, ist aber wahr, die Maus tut nix.«
Ich öffne das Tor und kraule Giselas runzelige Stirn, was diese mit einem zufriedenen Grunzen quittiert. Der Anzugtyp zögert kurz, bevor er mir mit seinem Hund folgt.
Clara begrüßt erst die Hunde, tätschelt Balou an der Seite, so wie er es mag, und lässt die Weimaraner-Hündin an ihrer Hand schnuppern. Dann erst sind wir Menschen dran. Kräftig schüttelt sie die Hand des Schnösels.
»Robin Jansen«, stellt er sich vor. »Hier, das sind die ausgefüllten Anmeldepapiere, die Sie mir gemailt hatten. Und da der Nachweis über die Haftpflichtversicherung.«
»Hi, Robin«, duzt sie ihn sofort und stopft die Papiere achtlos in ihre große Umhängetasche, an der Balou immer sehr interessiert ist, weil sie darin Leckerlis, Kaustangen und Zerrspielzeuge transportiert. »Hübsch ist sie, die Alice. Ihr könnt die beiden ruhig ableinen, die verstehen sich.«
Ihr hat ein Blick genügt, um das festzustellen, dabei stehen Balou und Alice fast zwei Meter voneinander entfernt und hatten bisher nicht einmal die Gelegenheit, einander zu beschnuppern. Aber was Hunde angeht, kann man Clara blind vertrauen, das habe ich längst begriffen. Die Inhaberin der Hundetagesstätte hat einen untrüglichen Blick für die Charaktere und Stimmungen ihrer Pfleglinge und erkennt auf Anhieb, wo es harmonisch läuft und wo es knallen könnte. Entsprechend teilt sie die Gruppen ein.
Trotzdem nehme ich Balou nur widerstrebend von der Leine.
Mit dem Hund des Feindes wird nicht kooperiert, versuche ich ihm telepathisch ins Hirn zu pflanzen und starre eindringlich in seine freundlichen, dunklen Augen. Er leckt mir über die Hand, dann zählt für ihn nur noch die hübsche Weimaranerin. Etwas säuerlich sehen ich und Schnösel-Robin dabei zu, wie die Hunde einander freundlich beschnuppern und dann sofort miteinander zu spielen beginnen, als würden sie sich schon ewig kennen. Wir Menschen sind für sie jetzt absolut uninteressant. Etwas verloren stehen wir mit Clara am Rand der Wiese, während Balou und Alice mit großen Sätzen über die Wiese jagen.
»Also dann.« Unschlüssig schaut Robin zwischen Alice und seinem Auto hin und her, das aufgeblasene Ego scheint für einen Moment die Luft verloren zu haben. »Wenn irgendwas ist, meine Nummer haben Sie … hast du ja. Du kannst mich jederzeit erreichen, wenn etwas mit Alice ist. Ach, und wegen der Leckerchen …«
Meine Mundwinkel zucken kurz hoch. Mister Aufgeblasen hat offenbar eine softe Seite. Er klingt aufrichtig besorgt um das Wohlergehen seiner Hündin, und der Abschied fällt ihm sichtlich schwer.
Clara bemerkt das auch und grinst. »Ich weiß, Getreideallergie. Willst du dich noch mal kurz umschauen? Noch mal einen kleinen Rundgang übers Gelände machen? Schauen, wie sie sich in der Gruppe macht?«, bietet die HuTa-Chefin an, damit er sich vergewissern kann, dass es seiner Alice hier auch wirklich gut geht.
Ich selbst habe diesen Rundgang gemacht und sehr genau auf jedes Detail geachtet, als ich Balou damals das erste Mal hier abgegeben habe.
Bedauernd schüttelt er den Kopf. »Würde ich wirklich gerne, aber ich muss dringend los. Wichtiger Termin.«
Natürlich, Mister Aufgeblasen. Ich kann nicht behaupten, überrascht zu sein. Einer wie der sprintet sicher den ganzen Tag von einem hochwichtigen Meeting zum nächsten und fühlt sich dabei unverzichtbar.
»Überfahren Sie unterwegs niemanden«, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen.
Er funkelt mich an. Hellgrün, stelle ich fest. Seine Augen leuchten in einem intensiven Farbton, der vermutlich attraktiv wäre, wenn das Gesicht drum herum nicht so eingebildet aussehen würde. Die Lippen kräuseln sich jetzt unwillig, als könnte er nur mühsam eine schneidende Antwort unterdrücken. Die dunklen Haare liegen perfekt. Der Anzug ist mit Sicherheit maßgeschneidert, und zwar von jemandem, der sein Handwerk versteht.
»Ich versuche es zu vermeiden«, entgegnet er knapp und stapft über die feuchte Wiese zurück zu seinem Auto. – In dieser Umgebung ist er mit seinem feinen Twill und seinen Glattlederschuhen ein wandelnder Fremdkörper. Am Tor dreht er sich um, nickt Clara zum Abschied noch einmal zu, würdigt mich hingegen aber keines weiteren Blickes. Das Aufheulen des Motors hallt über die Wiese und lässt sogar die beiden spielenden Hunde kurz innehalten. Dann verliert sich das dumpfe Röhren zwischen den Linden.
»Tee?«, fragt Clara schlicht.
Ich nicke. Tatsächlich habe ich auch nicht viel Zeit und muss zur Arbeit, nicht umsonst bringe ich Balou fast jeden Tag morgens hierher. Im Gegensatz zu Mister Aufgeblasen geht die Welt bei mir aber nicht unter, wenn ich nicht auf die Minute pünktlich in irgendein Meeting hetze. Für ein Tässchen Tee habe ich immer Zeit.
Linden und Birken umranden die weitläufige Wiese, die Clara durch Zäune gegliedert hat, um die Hunde in Gruppen aufteilen zu können, in die der Rabauken und in die der Zarten, die der Zwerge und die der Riesen, Youngster und Senioren – ganz nach Bedarf. All die Hunde berufstätiger Menschen, die jemanden brauchen, der sich während der Arbeit um ihre geliebten Vierbeiner kümmert. So wie ich.
Es gibt Überdachungen und Schutzhütten, außerdem einen großen, beheizbaren Raum mit gemütlichen Liegeplätzen. In bunten Planschbeckenmuscheln können sich die Hunde an heißen Tagen abkühlen. Balou liebt es, darin zu spielen oder sie als überdimensionale Trinknäpfe zu nutzen. Auf einem Teil der eingezäunten Wiese flattern bunte Fähnchen und Wimpel im frischen Morgenwind, aus Hürden und Tunneln ist hier ein Parcours für die Agility-Kurse aufgebaut, die Clara anbietet.
Den ganzen Tag verbringt Clara hier draußen, spaziert zwischen den Gruppen in den Ausläufen hin und her und sieht überall nach dem Rechten. Sie beschäftigt sich mit den Hunden, knuddelt die Sensibelchen und sorgt dafür, dass niemand im Spiel überrannt wird oder sich danebenbenimmt. Hier sind zwar nur verträgliche, gut sozialisierte Hunde willkommen, trotzdem ist es immer gut, alles im Blick zu behalten, um notfalls regulierend eingreifen zu können.
Hinter den Ausläufen schmiegt sich ein kleines Haus an den Waldrand. Es macht einen wunderbar einladenden, gemütlichen Eindruck. Claras Zuhause könnte einem Märchen entsprungen sein; mit den hölzernen Fensterläden und der Veranda, der blaugestrichenen Tür und all den üppig bepflanzten Blumenkästen wirkt es auf zauberhafte Weise wie aus der Zeit gefallen. Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, habe ich das Gefühl, ein paar Schritte aus der Realität hinaus und in eine andere Welt zu treten. Eine, in der die Uhren anders ticken. Vielleicht habe ich deswegen ein so gutes Gefühl dabei, meinen Balou hier zu lassen.
Und inmitten dieser Wiesen stehen wir jetzt unter einem Zelt neben dem Lagerschuppen, das an heißen Tagen vor Sonnenschein und an schlechten Tagen vor Nieselregen schützt, und wo Clara immer eine Thermoskanne mit Tee und ein paar Becher bereithält.
»So ein Idiot«, fauche ich. Meine Finger, die sich um den heißen Becher schließen, zittern leicht.
Clara lacht leise. Um ihre freundlichen, blauen Augen bildet sich ein Netz aus feinen Fältchen. »Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen? So wütend kenne ich dich ja gar nicht.«
»Das kann ich dir sagen – ein Sportwagen ist mir fast über die Leber gefahren. Und über den Rest meines Körpers. Und über Balou noch dazu.« Ich nehme einen so großen Schluck, dass ich mir den Mund verbrenne. »Herr Superwichtig ist den Weg entlanggerast wie eine gesengte Wildsau. Und was war das bitteschön für ein spießiger Anzug? Der ist bestimmt ein ganz hohes Tier in irgendeiner Firma und bildet sich wer weiß was drauf ein.«
Claras Mitarbeiter Kilian schiebt eine Schubkarre vorbei, auf der sich Hundefuttersäcke stapeln. Sein olivgrünes Shirt mit dem HuTa-Logo spannt über dem breiten Rücken, die kurzen Ärmel betonen seinen muskulösen Bizeps. Er ist bestimmt Mitte sechzig, aber besser in Form, als ich es jemals sein werde.
Er nickt uns zu und unterbricht damit meinen Redefluss. Claras Augen leuchten förmlich auf. »Kilian, hallo! Die Lieferung ist schon da? Sehr gut. Lass uns nachher mal kurz das neue Kursprogramm besprechen. Es gab einen Haufen Anmeldungen, und ein paar Leute haben angefragt, ob es nicht doch noch freie Plätze in den Workshops und im Welpenkurs gibt.«
»Können wir nachher gerne machen«, erwidert Kilian, was für ihn schon sehr gesprächig ist.
Clara lächelt ihm hinterher, dann erst wendet sie sich wieder mir zu. »Ich hatte bisher eigentlich den Eindruck, dass er ein ganz netter Kerl ist, der Robin.« Was bedeutet, dass ihr vor allem sein Hund sympathisch ist. Clara wird nämlich nicht müde zu betonen, dass ihr mehr am vierbeinigen Ende der Leine gelegen ist, als am zweibeinigen.
»Nett«, brause ich auf. »Er hätte uns beide fast überfahren und hat sich nicht einmal entschuldigt.«
Der Blick ihrer blauen Augen ruht auf mir, und wie so oft habe ich den Eindruck, dass sie mehr sieht, als ich preisgeben will. Clara hat nicht nur ein Gespür für Hunde, sondern auch für Menschen.
»Aber darum geht es gar nicht, stimmt’s?«
Nein, darum geht es nicht. Nicht nur. Klar regt es mich auf, dass der Kerl so unvorsichtig gefahren ist, aber dass ich so wütend bin, hat nicht nur damit zu tun. Ich bin so wahnsinnig aufgebracht, weil meine Nerven seit der Begegnung mit Tom und Natascha blank liegen. Unter der Oberfläche haben meine Gefühle die ganze Zeit gebrodelt und sind dann durch den Schreck mit einem Mal rausgeplatzt.
Jetzt, wo die Wut allmählich verpufft, fühle ich mich seltsam leer. Die kühle Morgenluft hat den Tee in meiner Tasse rasch abgekühlt, mit kleinen Schlucken leere ich den lauwarmen Rest. Balou spielt am anderen Ende der Wiese weiterhin mit seiner neuen Angebeteten Alice. Manchmal fehlt es ihm einfach etwas an Sensibilität oder an der Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle seines Frauchens zu lesen. Denn sonst würde er jetzt eilfertig herbeistürzen, um mich zu trösten. Ich seufze tief.
Gisela hingegen sitzt neben uns und drückt ihren riesigen Kopf gegen meinen Oberschenkel. Die Sabberspuren, die sie auf meinem Tüllrock hinterlässt, sind mir jetzt auch schon egal. Gedankenverloren kraule ich sie zwischen den Ohren und lasse meinen Blick über die Baumreihe schweifen, die das Morgenlicht in einen goldenen Schein taucht. Allmählich muss ich mich wirklich auf den Weg zum Laden machen, wenn ich vor meinem ersten Beratungstermin noch ein paar Dinge erledigen will, aber meine Motivation ist irgendwo im Gedankenstrudel zwischen Beinahe-Unfall und Exfreund-Treffen verpufft.
Mitfühlend versetzt Clara mir einen Knuff gegen die Schulter. »Der Tag wird kommen, an dem du feststellst, dass dir das gar nichts mehr anhaben kann«, sagt sie und meint die Trennung von Tom, von der ich ihr gleich unter Tränen erzählt hatte.
Sie hat recht, ich weiß es. Tom war nicht die Liebe meines Lebens, für die ich ihn naiverweise gehalten hatte. Und trotzdem kann ich mir gerade nicht vorstellen, dass es einen Tag geben wird, an dem der Gedanke an ihn und den Verrat unseres Glücks mir keinen Stich mehr versetzen wird.
Wie ein rosa Wölkchen ist sie den Schlammweg entlanggelaufen und ihm dann direkt vors Auto gestolpert. Ein übellauniges Wölkchen, das ihn zornig angefunkelt hat, als wollte es ihm am liebsten den Hals umdrehen.
Er schnaubt und dreht das Radio lauter. Nachdem Alice nicht mehr bei ihm im Auto ist, beschädigt er damit höchstens seine eigenen Trommelfelle, also dürfen die Misfits in voller Lautstärke durch den Wagen dröhnen.
Wie alt ist sie – elf? Fünf? Dieser ausladende Rock in Zuckerwatterosa, die Haare in genau demselben Farbton gefärbt und dazu die matschbespritzten Kampfstiefel: Sie war gekleidet wie ein kleines Mädchen, das den Eltern die Erlaubnis abgerungen hat, Prinzessin spielen und den Tag in Verkleidung verbringen zu dürfen, unter der Voraussetzung, dass es zumindest praktisches Schuhwerk trägt. Albern! Er verdreht die Augen, während er sich in den Stadtverkehr einfädelt.
Aber in erster Linie geht es gar nicht um sie. Es geht um ihn und um all das, was an ihm zerrt, um jagende Gedanken, die ihn dazu getrieben haben, stärker aufs Gas zu treten, als auf diesem schmalen Weg vernünftig gewesen wäre.
Es geht um seine Hände, die nervös über das Lenkrad getrommelt haben, und den Schock, als plötzlich ein Mensch vor ihm aufgetaucht ist und er für einen schrecklichen Moment gedacht hat, jemand würde durch seine Unaufmerksamkeit verletzt werden.
Und dann erst geht es um sie, um diese Frau im Prinzessinnenrock und den derben Schuhen, die wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, so abrupt, dass sein Herz ein paar Schläge ausgesetzt hat. Seine schlechte Laune hat eigentlich überhaupt nichts mit ihr zu tun.
Er schlängelt sich durch die Straßen, gemeinsam mit all den anderen Menschen, die in ihren Autos auch gerade unterwegs zur Arbeit sind. Als er beschleunigt, um es noch bei Grün über eine Ampel zu schaffen, rutscht die Karte heraus, die er unter die Sonnenblende geklemmt hat, und fällt auf den Beifahrersitz. Sie lässt seine Stimmung sofort noch tiefer sinken. Alles an ihr regt ihn auf: das geschmackvolle cremefarbene Papier, der Prägedruck, der Text. Es ist eine förmliche, schriftliche Einladung, die ebenso gut an entfernte Bekannte oder Geschäftspartner hätte gehen können. Als wären sie Fremde und nicht allerengste Familie.
Diese Karte ist der wahre Grund, warum er heute schon angespannt in den Tag gestartet ist. Und warum er beinahe eine Frau samt Hund überfahren hätte und sie dann auch noch angepampt hat, als sie zu Recht sauer auf ihn gewesen ist.
Vielleicht sollte er sich bei ihr entschuldigen, wenn er sie wiedersieht, denkt er und unterdrückt ein Seufzen. Ja, vermutlich sollte er das.
Aber jetzt hat er keine Zeit, sich den Kopf über rosa Frauen oder cremefarbene Einladungskarten zu zerbrechen.
