Skrupellos - Val McDermid - E-Book

Skrupellos E-Book

Val McDermid

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Beschreibung

Kate Brannigan hat keine Bedenken, bei Ermittlungen in Sachen Finanzbetrug ihren Freund mit einzuspannen. Was soll schon Schlimmes passieren? Sie hätte es besser wissen müssen, denn Richard ist stets ein unberechenbarer Faktor. Was mit einem harmlosen Finanzierungsbetrug beginnt, wächst sich zu einem knallharten Fall um Drogengeschäfte und Kinderpornos aus.

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Val McDermid

Skrupellos

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Inhaltsübersicht

Für meine Mutter, [...]1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. KapitelEpilog

Für meine Mutter,

in Liebe und Dankbarkeit

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1. Kapitel

Wenn Nacktschnecken lächeln könnten, würden sie mühelos einen Job als Autoverkäufer finden. Darryl Day war der Beweis dafür. Seine falsche Munterkeit hatte etwas von einer klebrigen Schleimspur, als er uns durch den Ausstellungsraum folgte. Von Anfang an hatte er klargemacht, dass in seinen Augen nur Richard zählte. Ich war bloß das dumme Frauchen. Jetzt saß Darryl uns an einem Plastiktisch gegenüber und grinste wie ein Schwachsinniger mit dieser Instantfreundlichkeit, durch die Verkäufer sich vom Rest der Menschheit unterscheiden. Er zwinkerte mir zu. »Und Mrs. Barclay wird die Lederpolsterung gefallen«, meinte er anzüglich.

Unter normalen Umständen hätte ich ihm mit dem größten Vergnügen mitgeteilt, dass er sich mit seinem schäbigen Sexismus gerade um die Provision aus einem Geschäft in der Größenordnung von zwanzig Riesen gebracht hatte. Doch die Umstände waren so weit entfernt davon, normal zu sein, dass ich mir allmählich vorkam wie »Major Tom«, was den Zustand meines Gehirns anging. Ich lächelte, tätschelte Richards Arm und sagte süßlich: »Für meinen Dick ist mir nichts gut genug.« Richard zuckte zusammen. Er ahnte wohl, dass er auf die eine oder andere Art dafür würde büßen müssen.

»Lassen Sie mich jetzt noch mal schauen, ob wir uns beide auch im Klaren sind, was Sie für Ihr Geld bekommen. Sie haben das Objekt im Ausstellungsraum gesehen, wir haben eine Probefahrt gemacht, und Sie haben sich für das Gemini Turbo Super Coupé GLXi in Nachtblau entschieden, mit ABS, Allradantrieb …« Darryl leierte weiter das feudale Zubehör herunter, das Richard auf meine Anweisung hin verlangt hatte, und die Augen meines Liebsten wurden glasig. Er tat mir fast leid. Richards auserwähltes Auto ist ein klappriges, frisiertes Käfer-Cabrio in knalligem Pink. ASR hält er für ein neues hochwertiges Aufnahmesystem. Und ist ABS nicht diese Danceband aus Wythenshawe …?

Darryl wartete. Ich trat Richard gegen den Knöchel. Allerdings nur ganz sanft. Bisher hatte er seine Sache nämlich gut gemacht. Er kam mit einem Ruck zu sich und sagte: »Hm, ja, klingt gut. Entschuldigung, ich war gerade mit den Gedanken woanders, ich hab mir schon vorgestellt, wie es sein wird, den Wagen zu fahren.« Bravo, Richard.

»Sie sind ein richtiger Glückspilz, wenn ich so sagen darf«, schmeichelte Darryl und starrte auf die Rundung meiner Wade in den Leggings aus Leopardenfell, die ich als passendes Attribut für meine spannende neue Rolle der Mrs. Richard Barclay ausgewählt hatte. Dann riss er seinen Blick los und kramte in seinen Papieren. »Ein Spitzenmodell, eine wahre Schönheit. Aber kommen wir jetzt zum schmerzlichen Teil. Sie haben mir bereits gesagt, dass Sie Ihr altes Fahrzeug nicht in Zahlung geben wollen, richtig?«

Richard nickte. »Ja, richtig. Mein Auto wurde mir gestohlen, die Versicherungssumme kann ich als Anzahlung benutzen. Das heißt, ich brauche noch sechs Riesen. Soll ich mich um ein Bankdarlehen kümmern oder so was?«

Darryl sah aus wie der Herzog von Edinburgh, wenn er einen Hirsch im Visier hat. Er schätzte Richard ab, mich streifte er mit einem flüchtigen Blick. »Da gibt’s nur ein Problem, Richard. Es wird ein paar Tage dauern, bis Ihr netter Sachbearbeiter von der Bank nebenan in die Gänge kommt. Dagegen können Sie, wenn wir hier und jetzt eine Regelung finden, diesen eleganten Schlitten schon morgen am späten Nachmittag mitnehmen.« Der klassische Verkaufstrick, zur Nachahmung empfohlen.

Richards Mienenspiel ließ eine ganze Skala von Gefühlen Revue passieren, von Enttäuschung bis Vorfreude. »Könnten wir es dann gleich perfekt machen, Darryl?«, fragte er eifrig.

Darryl hatte die Formulare bereits vorbereitet. Er schob sie Richard über den Schreibtisch hin. »Wir haben eine Absprache mit einer Finanzierungsgesellschaft, die uns einen ungemein günstigen Zinssatz einräumt. Wenn Sie die Formulare jetzt ausfüllen, können wir per Anruf sofort alles erledigen. Wenn Sie dann morgen einen Scheck über Ihre Anzahlung mitbringen, können wir den Papierkram abschließen, und der Wagen gehört Ihnen.«

Ich spähte auf das Formular, kein leichtes Unterfangen, weil Darryl es wieder an sich genommen hatte, um die verbliebenen Lücken auszufüllen. Richmond Credit Finance. Adresse und Telefonnummer in Accrington. Es war nicht das erste Mal, dass ich im Verlauf dieser Ermittlungen auf den Namen stieß. Ich hatte vorgehabt, die Firma zu überprüfen, war jedoch bisher noch nicht dazu gekommen. Ich prägte mir ein, mich bei erstbester Gelegenheit darum zu kümmern. Als Darryl fragte, auf welche Weise Richard seinen Lebensunterhalt verdiente, klinkte ich mich wieder ein. Das war jedes Mal das Sahnestück.

»Ich bin freier Musikjournalist«, klärte Richard ihn auf.

»Ach?«, machte Darryl. Interessant, wie offen sein Gesicht wurde, wenn er ein echtes Gefühl wie Begeisterung verspürte. »Heißt das, Sie interviewen all die Berühmtheiten und so? Wie Whitney Houston und Beverley Craven?«

Richard nickte verdrossen. »Ab und an.«

»Mann, was für ein toller Job! Hey, wer war der größte Star, den Sie jemals interviewt haben? Sind Sie mal Madonna begegnet?«

Richard schauderte. Diese Frage hasst er am meisten. Es gibt nicht viele Rockstars, vor denen er Respekt hat, als Mensch oder als Musiker, und davon gilt nur eine Handvoll als Superstars. »Kommt drauf an, was Sie unter Star verstehen. Springsteen. Elton John. Clapton. Tina Turner. Und Madonna bin ich einmal begegnet.«

»Wow! Und ist sie wirklich, Sie wissen schon, so … na ja … geil, wie sie rüberkommt?«

Richard lächelte gezwungen. »Nicht vor meiner Frau, ja?« Ich war gerührt. Er gab sich wirklich Mühe, überzeugend zu wirken.

Darryl fuhr sich mit der Hand durch sein ordentlich frisiertes braunes Haar und zwinkerte mit einem Auge. An einem Erwachsenen hätte es lüstern gewirkt. »Alles klar, Richard. Nun zu Ihrem Jahreseinkommen. Wie hoch ist es etwa?«

Ich schaltete wieder ab. Storys, selbst die Meisterwerke, sind nicht mehr spannend, wenn man sie zum x-ten Mal liest. Darryl war von der schnellen Truppe. Er hielt sich nicht damit auf, Richard unbedeutende Details wie Jahreszinssätze zu erläutern, und zehn Minuten später hatte er die Finanzierungsgesellschaft in der Leitung und arrangierte unseren Autoanschaffungskredit. Dank der Wunder der Computertechnologie können Kreditfirmen einen Kunden fast in Sekundenschnelle überprüfen und grünes oder rotes Licht geben. Was immer auf dem Computer von Richmond Credit Finance erschien, es überzeugte die maßgeblichen Leute davon, dass ein Darlehen an Richard eine sichere Sache war. Aber wenn man sich auf Computer stützt, darf man natürlich nicht aus den Augen verlieren, dass das, was man aus ihnen herausholt, ganz davon abhängt, was zuvor jemand anders eingegeben hat.

Zwanzig Minuten später verließen Richard und ich den Ausstellungsraum als stolze Besitzer – zumindest auf dem Papier – des schicksten Schlittens, den die Leo Motor Company bis jetzt auf die Straße gebracht hatte. »Na, war ich nicht gut, Mrs. Barclay?«, fragte Richard gespannt. Wir bogen um die Ecke und gingen zu dem Peugeot 205, den Mortensen & Brannigan nach jenem Tag vor sechs Monaten geleast hatte, als mein letzter Firmenwagen, einer Plastik aus der Tate Gallery täuschend ähnlich, sein unrühmliches Ende gefunden hatte.

»Das hättest du wohl gern«, zischte ich. »Übertreib’s nicht, Barclay. Eins sage ich dir, je länger ich so tue, als wäre ich deine Frau, desto besser verstehe ich, weshalb deine erste Ehe in die Brüche gegangen ist.«

Ich stieg in den Wagen und ließ den Motor an. Richard stand auf dem Gehweg, mit Sündermiene, und seine Hornbrille rutschte ihm an der Nase herunter. Aufgebracht drückte ich auf den Knopf, mit dem man das Seitenfenster öffnet. »Um Himmels willen, steig endlich ein«, sagte ich. »Du warst große Klasse. Danke.«

Er lächelte und sprang zu mir hinein. »Du hast übrigens ganz recht.«

»Das hab ich meistens«, entgegnete ich nur halb im Scherz, während ich den Wagen behutsam in den dichten Verkehr auf der Bolton Richtung Blackburne einfädelte. »In welchem besonderen Punkt?«

»Dass der Beruf einer Privatdetektivin aus fünfundneunzig Prozent Langeweile und fünf Prozent Angst besteht. Als wir die Nummer das erste Mal abzogen, hatte ich die Hosen voll. Ich dachte: Was, wenn ich meinen Text vergesse und sie wittern, dass wir ihnen was anhängen wollen?«

»Davon wäre die Welt auch nicht untergegangen«, erwiderte ich geistesabwesend, weil ich auf die Straßenschilder achtete, um die Abzweigung nach Manchester nicht zu verpassen. »Wir haben es hier ja nicht mit der Mafia zu tun. Die Autofritzen hätten dich nicht zappelnd und schreiend nach draußen geschleift und dir ins Knie geschossen.«

»Nein, aber du vielleicht«, erwiderte Richard. Er meinte es ernst. Ich lachte. »Von wegen. Ich hätte abgewartet, bis wir zu Hause sind.«

Richard wirkte kurz irritiert. Dann gelangte er zu dem Schluss, dass es ein Witz sein sollte. »Egal, inzwischen bin ich keine Spur mehr nervös. Die Gefahr ist nur noch, dass ich aus purer Langeweile Mist baue, weil es sich so stumpfsinnig wiederholt.«

»Ich hoffe, dass es nicht mehr allzu oft nötig sein wird«, sagte ich und brauste die Auffahrt zur Schnellstraße entlang. Der kleine Peugeot, den ich selbst ausgesucht habe, verfügt über einen 1,9-Liter-Motor, doch seit ich den Händler überredet hatte, die Kubikangaben abzumontieren, sieht er so harmlos aus wie der Einkaufswagen einer Hausfrau. Ich bedauerte es, mich von ihm trennen zu müssen, aber sobald ich diesen Auftrag erledigt hatte, stand mir ein funkelnagelneuer flotter Leo-Fünftürer zu. Gratis.

»Schade eigentlich. Ich gebe es nicht gerne zu, Brannigan, aber es hat mir Spaß gemacht, mit dir zusammenzuarbeiten.«

Keine zehn Pferde hätten mich dazu gebracht, es über die Lippen zu bringen, aber mir hatte es auch Spaß gemacht. In den zwei Jahren unserer Beziehung hatte ich Richard immer gern als Resonanzboden für meine Theorien zu den laufenden Ermittlungen benutzt. Mit seiner abgedrehten Logik liefert er so manche aufschlussreiche Einsicht in die Fälle von Wirtschaftskriminalität, die das Gros der Aufträge ausmachen, die ich zusammen mit meinem Geschäftspartner Bill Mortensen übernehme. Doch die Gelegenheit für eine aktivere Rolle hatte sich für Richard vor diesem Auftrag nie ergeben. Und ich hatte mich auf Bills Vorschlag, ihn einzuspannen, auch nur deshalb eingelassen, weil ich hundertprozentig sicher war, dass kein Risiko bestand. Denn wie konnte ich einen Mann der Gefahr aussetzen, der Diskretion für eine Duftnote von Calvin Klein hält?

Dieser Auftrag war, was wir in unserer Branche eine Zielgerade nennen. Die einzige Unregelmäßigkeit bestand darin, wie wir ihn an Land gezogen hatten. Eine zweiköpfige Agentur in Manchester ist nicht unbedingt die erste Wahl für einen internationalen Autoriesen wie die Leo Motor Company. Wir machten das Rennen, weil der neue Obermufti von Accredited Leo Finance (ALF) der Schwager von Clive Abercrombie, einem vornehmen Juwelier aus Manchester, war. Und wir hatten nicht nur Abercrombies Sicherheitssystem installiert, wir hatten auch einen Fälscherring ausgehoben, der den Chef-Uhrmachern der Nation schlimme Kopfschmerzen bereitet hatte. In Clives Augen waren Mortensen & Brannigan daraufhin die Experten für einen kniffligen, diskreten Auftrag.

Als Tochter eines Multis konnte ALF sich natürlich nicht so weit herablassen, selbst an unsere Tür zu klopfen und uns direkt anzuheuern. Alles hatte auf einem Empfang begonnen, der vom Konsortium für die Bewerbung zur Ausrichtung der Olympischen Spiele in Manchester veranstaltet wurde. Erinnern Sie sich an das Konsortium? Es wollte sämtlichen ortsansässigen Firmen Geld zur Finanzierung des glorreichen Vorhabens abknöpfen, den Einstand in das neue Jahrtausend durch Abhaltung der Spiele in der Regenstadt zu feiern. Bill und ich operieren in solch kleinem Maßstab, dass wir ein wenig verwundert waren, als man auch uns einlud, aber ich habe eine Schwäche für Gratis-Räucherlachs, und außerdem schätzte ich, es könne nicht schaden, einige potenzielle neue Auftraggeber mit meinem Lächeln zu beglücken. Daher ging ich hin, um das Banner von Mortensen & Brannigan zu schwenken.

Ich hatte gerade mein erstes Glas australischen Schampus (ein überzeugender Grund, die Olympischen Spiele an Sydney zu vergeben) zur Hälfte ausgetrunken, als Clive übertrieben süßlich lächelnd mit einem Mann neben mir auftauchte. »Kate«, tönte er, »welch entzückende Überraschung.«

Ich war sogleich auf der Hut. Clive und ich sind uns nicht ganz grün, wohl weil ich mich nicht überwinden kann, sozialen Aufsteigern gegenüber mehr als professionelle Höflichkeit an den Tag zu legen. Daher wusste ich auf Anhieb, dass etwas im Busch war, als der Edmund Hillary der Cheshire-Schickeria so freudestrahlend das Wort an mich richtete. Ich lächelte, schüttelte ihm die Hand, zählte meine Finger und sagte: »Schön, Sie zu sehen, Clive.«

»Kate, darf ich meinen Schwager vorstellen, Andrew Broderick? Andrew, das ist Kate Brannigan, Teilhaberin der vorzüglichsten Sicherheitsberatung von Manchester. Kate, Andrew ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied von ALF.« Ich muss ein verständnisloses Gesicht gemacht haben, denn Clive fügte eilig hinzu: »Sie wissen doch, Kate: Accredited Leo Finance. Die Kreditabteilung der Leo Motor Company.«

»Danke, Tonto«, sagte ich.

Clive war verwirrt, doch Andrew Broderick lachte. »Wenn ich der ›Lone Ranger‹ mit der Silbermine bin, müssen Sie Tonto sein. Alter Witz«, erklärte er. Clive begriff dennoch nicht. Broderick und ich gaben uns die Hand und musterten einander. Er war nicht viel größer als ich mit meinen eins siebenundfünfzig, sah jedoch aus wie ein Mann, der auf dem Rugbyfeld kämpfen gelernt hat, nicht im Konferenzzimmer. Nur gut, dass er es sich leisten konnte, seine Anzüge nach Maß anfertigen zu lassen; von der Stange gab es diesen Brustumfang nicht. Seine Nase war mehr als einmal gebrochen, und seine Ohren passten etwa so gut zueinander wie Danny DeVito und Arnold Schwarzenegger. Seinen scharfen grauen Augen entging allerdings nichts. Während der zehn Sekunden, in denen er mich taxierte, schien er alles Wesentliche an mir zu registrieren.

Das Gespräch begann ganz harmlos, wir diskutierten über die Olympischen Spiele. Wie nebenbei erkundigte er sich dann, was für einen Geschäftswagen ich fuhr. Ich erzählte ihm von Bills neuem Saab Cabrio, von unserem Arbeitspferd, dem Little-Rascal-Transporter, den wir für Überwachungen benutzen, und dem um ein Haar tödlichen Unfall, bei dem mein Nova draufgegangen war. Ich wunderte mich über mich selbst. Normalerweise spreche ich nicht mit Leuten, die ich nicht kenne.

»Noch nie einen Leo gefahren?«, fragte er mit einem feinen Lächeln.

»Noch nie«, bestätigte ich. »Aber ich lasse mich gern überzeugen.«

Broderick nahm mich am Arm, entließ Clive mit einem Lächeln und lotste mich in einen ruhigen Winkel hinter dem Büfett. »Ich habe ein Problem«, erklärte er. »Dazu brauche ich einen Spezialisten, und ich habe mir sagen lassen, dass Ihre Firma mir helfen könnte. Interessiert?«

Auch wenn Sie mich für ein Flittchen halten – wenn’s ums Geschäft geht, kann ich Angeboten kaum widerstehen. »Ja, interessiert«, erwiderte ich. »Hat das Zeit, oder wollen Sie es gleich loswerden?«

Es stellte sich heraus, dass Geduld nicht zu Andrew Brodericks Stärken gehörte. Fünf Minuten später saßen wir im Salon des Ramada und hatten Drinks bestellt. »Was wissen Sie über Autofinanzierung?«, fragte er.

»Kostet am Ende immer mehr, als man denkt«, sagte ich bedauernd.

»Das ist alles, ja?«, entgegnete er. »Na schön. Ich erklär’s Ihnen. ALF, meine Firma, ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Leo Motor Company. Unsere Aufgabe besteht darin, Darlehen bereitzustellen für Leute, die Autos von Leo kaufen wollen und nicht über ausreichend Bargeld verfügen. Aber die Leo-Autohändler sind nicht verpflichtet, alle ihre Kunden an uns zu verweisen, deshalb müssen wir Mittel und Wege finden, uns für die Händler attraktiv zu machen. Eines dieser Mittel besteht darin, ihnen besonders günstige Kredite anzubieten.«

Ich nickte, bis dahin konnte ich ihm folgen. »Und diese Niedrigzinskredite sind wofür genau?«

»Die Händler müssen bei Abnahme der Lieferung eines Wagens von Leo bezahlen. ALF gewährt ihnen neunzig Tage lang einen zinsgünstigen Kredit, um den Großhandelspreis des Wagens zu decken. Danach erhöht sich der Zinssatz wöchentlich. Sobald der Wagen verkauft ist, soll der zinsgünstige Kredit zurückgezahlt werden. Das steht im Vertrag.

Aber wenn ein Händler mit uns Kredite für Wagen vereinbart, die er bereits mit Hilfe einer anderen Finanzierungsfirma an den Mann gebracht hat, wissen weder ALF noch Leo, dass das Auto verkauft wurde. Der Händler kann das Geld für den Rest der neunzig Tage auf ein Hochzinskonto legen und einen ordentlichen Zinsgewinn einstecken, bevor der Kredit zurückgezahlt werden muss.« Die Getränke wurden gebracht, wie aufs Stichwort für eine kleine Pause, damit ich seine Worte verarbeiten konnte.

Ich goss die kleine Flasche Grapefruitsaft in meinen Wodka und ließ die Eiswürfel im Glas kreisen, um den Drink zu mixen. »Und Ihnen missfällt das, weil Sie Ihre eigene Gewinnspanne beschneiden, um die Niedrigzinskredite bereitstellen zu können, und keinen Nutzen daraus ziehen?«

Broderick nickte und trank einen kräftigen Schluck von seinem Wein mit Soda. »Die Firma Leo ist auch nicht erbaut davon, weil auf diese Weise die Berechnung des Marktanteils verzerrt wird, insbesondere in Monaten mit hohen Umsätzen wie August«, fügte er hinzu.

»Und wo komme ich ins Spiel?«, fragte ich.

»Ich habe mir ein alternatives Vertriebssystem ausgedacht«, verkündete er.

Also, alles, was ich über das Autogeschäft weiß, habe ich von meinem Dad gelernt, einem Vorarbeiter am Fließband bei Rover in Oxford. Aber selbst das wenige reichte, um zu kapieren, dass Andrew Brodericks Vorhaben so etwa der Ankündigung des Premierministers entsprach, er wolle den öffentlichen Dienst abschaffen.

Ich schluckte. »Wir machen keinen Personenschutz.«

Er lachte, was mich zum ersten Mal an seinem Geisteszustand zweifeln ließ. »Es ist so einfach«, sagte er. »Anstatt die Ausstellungsräume mit Autos vollzustellen, die sie dann umgehend verkaufen müssen, sollen die Händler nur noch ein Exemplar eines Modells führen. Der Kunde soll Farbe, Motorleistung, Benzin oder Diesel, Sonderzubehör und so weiter selbst bestimmen. Anschließend wird die Bestellung an eines von mehreren regionalen Lieferzentren gefaxt, in dem das gewünschte Leo-Modell vorrätig ist.«

»Sagen Sie nichts, lassen Sie mich raten. Leo wehrt sich mit Zähnen und Klauen dagegen, weil damit erhebliche Investitionen für den Ausbau der regionalen Lieferzentren anfallen«, mutmaßte ich resigniert.

»Und an diesem Punkt kommen Sie ins Spiel, Miss Brannigan. Ich will Leo beweisen, dass mein System für uns beide von größtem finanziellem Nutzen wäre. Wenn ich beweisen kann, dass mindestens eine unserer größeren Handelsketten auf dieser Betrugsmasche reitet, dann kann ich den Betonköpfen in der Firma vielleicht einhämmern, dass eine enorme Summe, die eigentlich in unser Geschäft fließen sollte, auf diese Weise abgeschöpft wird. Und dann werden sie vielleicht, nur vielleicht, erkennen, dass ein modernisierter Vertrieb jeden zunächst anfallenden Penny wert ist.«

Und so kam es, dass Richard und ich in den Ausstellungsräumen Englands das traute frischvermählte Paar mimten. Zunächst schien es eine gute Idee zu sein. Drei Wochen später schien es immer noch eine gute Idee zu sein. Was nur wieder einmal zeigt, wie selbst ich mich irren kann.

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2. Kapitel

Am folgenden Nachmittag war ich im Büro und legte letzte Hand an den Routinebericht zu einer Schadenersatzforderung nach vorgetäuschtem Privatunfall, zu der ich im Auftrag einer örtlichen Versicherungsgesellschaft recherchiert hatte. Als ich fertig war, schaute ich auf die Uhr. Fünf nach halb drei. Wunder über Wunder, Richard verspätete sich. Ich speicherte den Bericht auf Diskette ab, dann schaltete ich meinen Computer aus. Die Diskette brachte ich ins Vorzimmer, wo Shelley Carmichael gerade einen Bestellschein für Bürobedarf ausfüllte. Wenn es Ehrungen für gute Büroorganisation gäbe, müsste Shelley in den Adelsstand erhoben werden. Es ist die Frage, vor wem ich größeren Respekt habe – vor Shelley oder dem Rottweiler des nahen Pubs.

Sie sah auf, als ich hereinkam. »Er ist wieder mal spät dran, wie?«, fragte sie. Ich nickte. »Soll ich einen Weckruf starten?«

»Ich glaube nicht, dass er zu Hause ist«, erwiderte ich. »Heute Morgen hat er in seinen Bart gemurmelt, er wolle zu einem Bistro in Oldham, wo mittags Rockabilly live gespielt wird. Es klang so unwahrscheinlich, dass es stimmen muss. Hast du schon überprüft, ob die Bank den Scheck heute ausgestellt hat?«

Shelley nickte. Saublöde Frage. »Er liegt in der Zweigstelle King Street«, antwortete sie.

»Dann geh ich ihn mal eben abholen. Wenn der Wunderknabe auftaucht, sag ihm, er soll hier auf mich warten. Nichts von wegen ›Ich geh kurz rüber zum Tante-Emma-Laden und guck mir die neue Auslage an‹.«

Ich verschmähte den Fahrstuhl und lief zu Fuß nach unten. Dergleichen Übungen erhalten mir die Illusion, dass ich fit bin. Als ich die Oxford Street hochtrabte, war ich mit der Welt versöhnt. Es war ein heller, sonniger Tag, wenn auch kühl, wie im Mai nicht anders zu erwarten. Es ist ein Gerücht, dass es in Manchester immerzu regnet – das erfinden wir nur, um die Kotzbrocken im Süden mit ihrem Verbot von Rasensprengern zu ärgern. Ich hörte das ferne Fauchen von Straßenbahnen. Die Straßen waren weniger verstopft als sonst, und manch einer meiner Fußgängerkollegen lächelte sogar. Aber vor allem war der ALF-Job reibungslos über die Bühne gegangen, und mit ein wenig Glück war dies der letzte Bankscheck, den ich abholen musste. Seit Bill und ich beschlossen hatten, Richard hinzuzuziehen, um den Autokäufen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, war es geradezu ein Kinderspiel gewesen. Wahrscheinlich war es das erste Mal in seinem Leben, dass man Richard bezichtigte, glaubwürdigkeitssteigernd zu wirken. Unser Hauptzielobjekt war eine Handelskette mit fünfzehn über den ganzen Norden verteilten Filialen. Richard und ich waren bei acht davon vorstellig geworden, von Stafford bis York, außerdem bei vier unabhängigen Händlern, die Andrew in Verdacht hatte, an der Schiebung beteiligt zu sein.

Unsere Methode war völlig unkompliziert. Richard und ich tanzten als angebliches Ehepaar bei den Autohändlern an und erstanden an Ort und Stelle einen Wagen aus dem Angebot im Ausstellungsraum. Broderick hatte einige Gefälligkeiten von Freunden in Kreditbüros eingefordert, deren Dienste Darlehensgeber in Anspruch nahmen, um ihre Opfer zu überprüfen. Daher erfuhren die Autoverkäufer, wenn sie von den Finanzierungsfirmen die von Richard angegebenen Namen und Adressen überprüfen ließen, dass er über ein ausgezeichnetes Kreditverhalten verfügte, ein Bündel Kreditkarten hatte und bis auf seine Hypothek keine Außenstände. Die Bewilligung des Darlehens war dann nur noch Formsache. Der einzige Stolperstein war, dass Richard im Kopf behalten musste, wie sein jeweiliger Falschname und die Adresse lauteten.

Am nächsten Tag gingen wir dann zur Bank und holten den Bankscheck ab, den Broderick uns beschafft hatte. Von da ging’s weiter zum Händler, wo Richard die restlichen Papiere unterschrieb, damit wir den Wagen gleich mitnehmen konnten. Irgendwann im Laufe der nächsten zwei Tage erschien ein kleiner Mann von ALF und nahm den Wagen wieder mit, vermutlich wurde er dann als Vorführmodell verkauft. Interessanterweise hatte Andrew Broderick voll ins Schwarze getroffen. Nicht einer der Händler, bei denen wir ein Auto gekauft hatten, bot uns eine Finanzierung durch ALF an. Die Kette hatte alle unsere Käufe über Richmond Credit Finance abgewickelt, während die unabhängigen Händler sich an verschiedene Darlehensgeber wandten. Jetzt, mit einem Dutzend hieb- und stichfester Fälle in der Hand, konnte Broderick Druck machen, bis die Händler zugeben mussten, dass sie in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten. Dann war die große Abrechnung in den Autohäusern fällig.

Während ich in der Bank Schlange gestanden hatte, hatte das Wetter wieder mal verrückt gespielt. Plötzlich war Wind aufgekommen, der mir auf dem Rückweg ins Büro nadelspitze Regentropfen ins Gesicht trieb. Zum Glück trug ich Stiefeletten mit flachen Absätzen und Jodhpurhosen, so konnte ich zum Büro joggen, ohne ernsthaften Schaden für meine Gelenke wie für meine persönliche Würde befürchten zu müssen. Mein erster Fehler an diesem Tag. Nichts bereitet Richard größeres Vergnügen als der Anblick einer durch Wind und Wetter ramponierten Brannigan. Nicht, weil es ihn etwa antörnt, nein, sondern weil es ihm den seltenen Genuss verschafft, mir um eine Nasenlänge voraus zu sein.

Als ich im Büro eintrudelte, nass, mit hochrotem Gesicht, außer Atem und mit strähnigen Haaren, saß Richard bequem in einem Sessel, schlürfte ein Glas von Shelleys Kräutertee und sah geradezu mustergültig aus in der italienischen Lederjacke, die ich ihm am letzten Tag unseres Winterurlaubs in Florenz gekauft hatte. Mit seinen haselnussbraunen Augen blickte er mich über den Rand seiner Brille hinweg an und war dabei, den Kampf gegen ein Grinsen zu verlieren.

»Sag ja nichts«, warnte ich ihn. »Es sei denn, du legst es darauf an, dass dein erster Ausflug in deinem funkelnagelneuen Turbo Coupé ins Krankenhaus führt.«

Er grinste immer noch. »Mir ist schleierhaft, wie du mit dieser puren Aggression klarkommst, Shelley«, sagte er.

»Wenn du erst begriffen hast, dass Kate so ihr schwach ausgebildetes Selbstwertgefühl kompensiert, dann ist es keine große Kunst mehr.« Shelley hat einen Abendkurs in Psychologie belegt. Ich bin bloß froh, dass sie das Fach nicht noch studiert hat.

Ich achtete nicht weiter auf die beiden und marschierte durch mein Büro geradewegs in den Wandschrank, der eine Doppelfunktion als Dunkelkammer und Damenklo erfüllt. Ich rubbelte mein Haar leidlich trocken, dann trug ich eine übertrieben dicke Schicht Wimperntusche, Lidschatten, Rouge und Lippenstift auf, wie die Rolle von Mrs. Barclay es verlangte. Ich starrte die Fremde im Spiegel kritisch an. Undenkbar für mich, das ganze Leben hinter solch einer Tarnmaske zu verbringen. Aber ich war ja auch nie darauf aus, unwiderstehlich auf Autoverkäufer zu wirken.

Wir langten kurz nach vier beim Autohaus an. Das glänzende, nachtblaue Gemini Turbo Super Coupé stand einsam auf dem Betonstreifen seitlich des Autohauses. Darryl war ganz aus dem Häuschen vor Freude, als er die Zahlungsanweisung der Bank in der Hand hielt. Der Kraftfahrzeughandel steckt dieser Tage derart in der Krise, dass zahlender Kundschaft mehr Verehrung entgegengebracht wird als der Queen Mum, allen voran solcher Kundschaft, die keinen dreitägigen Zermürbungskrieg führt, um den Preis noch um fünfhundert Pfund zu drücken. Er war so glücklich, dass er sich nicht einmal die Mühe machte, uns etwas vorzuschwindeln. »Ich bin entzückt, Sie in diesem wunderschönen Wagen wegfahren sehen zu können«, gestand er, hielt den Bankscheck mit beiden Händen umfasst und verschlang ihn mit Blicken. Dann fing er sich wieder und schenkte uns sein schmieriges Lächeln. »Es freut uns selbstverständlich, wenn Sie zufrieden sind.«

Richard hielt mir die Beifahrertür auf, und ich stieg strahlend ein. »Welch ein Luxus«, rang ich mir um Darryls willen ab und streichelte das schwarzgraue Leder. Er sollte mich für hundertprozentig unterbelichtet halten.

Richard stieg an der anderen Seite ein und knallte die Tür zu. Er drehte den Schlüssel im Zündschloss und ließ mit einem Knopfdruck sein Fenster herunter. »Danke, Darryl«, sagte er. »Es war mir ein Vergnügen, dieses Geschäft mit Ihnen abzuschließen.«

»Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Mr. Barclay«, schleimte Darryl und wich fast mit einem Kratzfuß zur Seite aus, als Richard den Gang einlegte und das Auto anrollte. »Und denken Sie an mich, wenn Mrs. Barclay der Sinn nach einem neuen fahrbaren Untersatz steht!«

Statt einer Antwort gab Richard Gas. Zehn Sekunden später war Darryl Day nur noch eine böse Erinnerung. »Wow«, rief er, als er im dichten Verkehr auf der Bolton die Gänge durchprobierte. »Ein heißes Gefährt! Elektrische Seitenspiegel, elektrisches Schiebedach, elektrische Sitzverstellung …«

»Bald haben wir auch noch den elektrischen Fahrer«, witzelte ich.

Bis wir zu Hause ankamen, war Richard bis über beide Ohren verliebt. Wenn das Gemini Coupé auch der zwölfte Wagen von Leo war, den wir »gekauft« hatten, dies war unser erstes Exemplar des frisch lancierten sportlichen Superstars. Wir hatten uns jedes Mal auf das beschränken müssen, was gerade vorrätig war, und gewöhnlich die behäbigen Luxuslimousinen verlangt, durch die Leo zu einem der Hauptlieferanten von Firmenwagen in Großbritannien geworden war. Als wir vor dem Doppelbungalow hielten, in dem wir wohnen, erging Richard sich immer noch in Schwärmereien über den Gemini.

»Ein Traum«, begeisterte er sich und drückte auf den Knopf der Fernbedienung, durch den der Wagen verriegelt und die Alarmanlage eingeschaltet wurde.

»Das sagtest du bereits«, grummelte ich, während ich Kurs auf mein Haus nahm. »Zweimal.«

»Nein, im Ernst, Kate, so einen Schlitten hab ich noch nie gefahren.« Richard ging rückwärts neben mir.

»Das ist kaum verwunderlich«, sagte ich, »wenn man bedenkt, dass du noch gar nichts gefahren hast, was nach Porsches Erfindung des Käfers im Jahre 1936 konstruiert wurde. Seit der Zeit hat sich die Kraftfahrzeugtechnik ein gutes Stück weiterentwickelt.«

Er folgte mir ins Haus. »Brannigan, bis zu diesem Schlitten hatte ich auch nie das Verlangen danach.«

»Kann ich daraus entnehmen, dass ich Andrew Broderick überreden soll, dir den Gemini zu einem Sonderpreis zu verkaufen?«, fragte ich und öffnete den Kühlschrank. Ich gab Richard ein kaltes Jupiler-Bier und holte noch eine Flasche frisch gepressten rosaroten Grapefruitsaft heraus.

Er zog die Schublade auf, in der der Flaschenöffner lag, und entfernte den Bierverschluss mit untröstlicher Miene. »Nein danke. Kann ich mir nicht leisten, Brannigan.«

Mir fiel nicht im Traum ein, einen Mann umstimmen zu wollen, der eine Ex-Frau und einen Sohn zu unterhalten hatte. Ich stecke meine Nase nie in Richards finanzielle Angelegenheiten, und umgekehrt wäre Neugier auf meinen Kontostand das Allerletzte, was jemals die kurze Reise durch seinen Kopf antreten würde. Dank dieser und anderer Lebensmaximen brauchen wir nie über Geld zu streiten. Wir wohnen in angrenzenden Häusern, verbunden durch einen Wintergarten, der hinten entlang beider angebaut ist. Insofern verfügen wir über sämtliche Vorteile des Zusammenlebens, unter Ausschaltung fast aller Nachteile.

Ich öffnete das Eisfach und holte eine Flasche polnischen Wodka heraus. Er war so kalt, dass die Bläschen an der Innenseite der Flasche sämig waren wie Sirup. Ich goss zwei Fingerbreit in ein Longdrinkglas und füllte es mit Saft auf. Es schmeckte wie Nektar. Ich stellte mein Glas ab und umarmte Richard. Er rieb sein Kinn zärtlich an meinem Kopf und massierte sacht meinen Nacken.

»Mmm«, machte ich. »Irgendwas vor heute Abend?«

»Leider ja. In der Stadt steigt eine Benefizveranstaltung für die Freundin des Typs, der vorigen Monat in Moss Side über den Haufen geschossen wurde. Erinnerst du dich? Der unbeteiligte Zuschauer, der in die Drogenschießerei draußen vor einem Café geraten ist? Tja, sie ist im vierten Monat schwanger, darum haben sich die hiesigen Bands zusammengetan, um ein kleines Konzert zu geben. Ich kann mich nicht drücken, tut mir leid.«

»Aber jetzt musst du doch noch nicht weg, oder?«, fragte ich und fuhr mit den Fingern über seine Schulterblätter, auf eine Art, die ihn erfahrungsgemäß von solchen Nebensächlichkeiten wie Arbeit ablenkt.

»Noch lange nicht«, erwiderte er und knabberte wie geplant an meinem Nacken. Ein Hoch auf die männlichen Schwächen! Allerdings war ich nicht die Einzige, die die Gunst der Stunde nutzte. Als ich meinen Drink nahm und wir seitwärts in Richtung Schlafzimmer tänzelten, murmelte Richard: »Kann ich heute Abend eventuell den Gemini nehmen?«

 

Ich wachte mit einem Ruck auf, erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen, die typische Reaktion, wenn man noch nicht lange geschlafen hat. Das Licht brannte, und mir tat der Arm weh, als ich ihn von dem Hochglanzmagazin über Computerspiele löste, über dessen Lektüre ich eingeschlafen war. Ich griff nach dem schrillenden Telefon und fauchte »Brannigan« in den Hörer, gleichzeitig sah ich auf den Wecker – 00:43.

»Hab ich dich geweckt?«, fragte Richard.

»Na, was glaubst du?«

»Sorry. Das beantwortet dann wohl die Frage«, erwiderte er ominös.

Mein Kopf war dieser nächtlichen Denksportaufgabe nicht gewachsen. »Welche Frage, Richard?«, wollte ich wissen. »Welche Frage ist so überaus wichtig, dass sie nicht Zeit hat bis morgen früh?«

»Ich hab mich bloß gefragt, ob du noch arbeitest. Anscheinend nicht, deshalb komme ich wohl besser nach Hause und rufe von dort die Cops an.«

Ich war noch genauso schlau wie zuvor. Mit der freien Hand massierte ich meine Stirn, doch bevor ich ihm mehr entlocken konnte, ertönte das Freizeichen. Ich erwog kurz, wieder schlafen zu gehen, sah jedoch ein, dass das ein frommer Wunsch war. Man wird nicht Privatdetektivin, weil es einem an Neugier hinsichtlich der Umtriebe seiner Mitmenschen fehlt. Vor allem nicht, wenn sie so unberechenbar sind wie mein geschätzter männlicher Nachbar. Was Richard auch im Schilde führen mochte, mich hatte er jetzt mit hineingezogen. Seufzend stieg ich aus dem Bett und quälte mich in meinen Morgenmantel. Ich ging in mein Wohnzimmer, sperrte die Terrassentür auf und ging weiter durch den Wintergarten in Richards Haus.

Wie gewöhnlich sah es in seinem Wohnzimmer aus, wie ein Teenager sich das Paradies vorstellt. Eine Nintendo-Konsole lag oben auf einem Haufen alter Zeitungen neben dem Sofa. CD-Stapel türmten sich auf jeder verfügbaren Fläche, die nicht von leeren Bierflaschen und benutzten Kaffeebechern in Beschlag genommen war. Neben dem Fernseher stapelten sich Rockvideos. Über einem Sessel lagen kunterbunt durcheinander Promotion-T-Shirts und –Sweatshirts von Rockbands, und auf dem Couchtisch thronte auf einem Tabakpäckchen Silk Cut neben einem Paket Rizlas ein Klumpen Hasch. Sollten einmal Vandalen über die Wohnung herfallen, wird Richard es wahrscheinlich erst nach zwei Wochen bemerken. Zu Anfang unserer Beziehung hatte ich noch hier aufgeräumt. Inzwischen habe ich mir antrainiert, das Chaos zu übersehen.

Nach zwei Schritten in den Flur wusste ich bereits, was mir in der Küche blühte. Alle paar Wochen gelangt Richard zu der Einsicht, dass seine Küche ein Gesundheitsrisiko darstellt, und setzt seine Vorstellungen von einem Frühjahrsputz in die Tat um. Dazu gehört, dass er Geschirr, Besteck und Essstäbchen in die Spülmaschine steckt. Alles Übrige auf den Arbeitsflächen wandert in einen schwarzen Müllsack aus Plastik. Er kauft eine Flasche Bleichmittel, ein Paar Spülhandschuhe und eine Schachtel Topfkratzer und schrubbt Zentimeter für Zentimeter, das Innere der Mikrowelle eingeschlossen. Zwei Tage lang ist der Raum blitzsauber und riecht wie ein öffentliches Schwimmbad. Dann kommt er mit Essen vom Chinesen nach Hause, und alles ist wieder wie gehabt.

Ich öffnete die Spülmaschine und holte die Kanne der Kaffeemaschine heraus. Den Kaffee nahm ich aus dem Kühlschrank. Richards Kühlschrank enthält im Wesentlichen vier Sorten von Lebensmitteln: seine internationale Biermarkensammlung, Schokoriegel für den Heißhunger nach dem Marihuana-Genuss, gemahlenen Kaffee und Viertelliterpackungen Milch. Während ich wartete, bis der Kaffee durchgelaufen war, versuchte ich, nicht über den Grund dafür nachzudenken, dass Richard nach Hause kam, um die Polizei anzurufen.

Mein Alptraum wurde wahr, als ich draußen im Hof das Rumpeln eines Taxidieselmotors vernahm. Ich spähte durch die Jalousie. Tatsächlich – Richard bezahlte gerade den Fahrer. Mich beschlich die entsetzliche Vorahnung, dass der Grund, warum er in einem Taxi kam statt in dem Gemini, nicht die Alkoholmenge war, die er sich zu Gemüte geführt hatte.

»Heilige Scheiße«, grummelte ich, während ich einen zweiten Becher aus der Spülmaschine holte und ihn mit starkem Java-Kaffee vollgoss. Ich ging durch den Flur und hielt Richard den Kaffee hin, als er zur Haustür hereinkam.

»Du wirst es nicht glauben«, begann er und nahm den Becher. Er trank hastig einen großen Schluck. Zum Glück hat er einen Asbesthals. »Prost.«

»Sag nichts, lass mich raten.« Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er nach dem Telefon griff. »Als du aus dem Club kamst, war der Wagen verschwunden.«

Er nickte anerkennend. »Hast du schon mal daran gedacht, Detektivin zu werden, Brannigan? Man wählt nicht 999, um einen Autodiebstahl zu melden, oder?«

»Nur, wenn du dabei überfahren wurdest.«

»Als ich kapierte, dass der Wagen auf der Vermisstenliste steht, hab ich mir fast gewünscht, es wäre so«, seufzte er. »Ich dachte, wenn Brannigan mir nicht den Hals umdreht, dann die Typen von Leo. Hast du die Nummer der Bullen?«

Ich sagte die allseits bekannte Nummer der Polizeizentrale von Groß-Manchester auf. Entgegen dem weitverbreiteten Mythos über Privatdetektive unterhalten Bill und ich gute Arbeitsbeziehungen zur Polizei. Na ja, meistens. Sehen wir den Tatsachen ins Auge, die Cops sind heutzutage derart überlastet, dass sie eine geradezu peinliche Dankbarkeit an den Tag legen, wenn man ihnen einen Stapel Beweise in die Hand drückt, die es ihnen ermöglichen, Ermittlungen gegen einen Gauner einzuleiten und ihn auf absehbare Zeit aus dem Verkehr zu ziehen.

Richard kam fast sofort durch. Während er am Telefon die näheren Umstände schilderte, überlegte ich, ob ich Andrew Broderick anrufen und ihm die Hiobsbotschaft verkünden sollte. Ich entschied mich dagegen. Es ist schlimm genug, eine Ware im Wert von zwanzig Riesen einzubüßen, ohne auch noch um den Nachtschlaf gebracht zu werden. Das muss ich Richard gelegentlich mal verklickern.

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3. Kapitel

Zwei Nächte darauf passierte es wieder. Ich wollte gerade Kevin Costner in einem Fantasy-Turnier den Garaus machen, als ein elektronisches Piepsen unseren Zweikampf störte. Costner löste sich in bläulichem Dunst auf, ich kämpfte mich aus dem Traum frei und tastete blind nach dem Telefon. Mein Arm fühlte sich so schwer an, als steckte ich tatsächlich in einer wuchtigen mittelalterlichen Ritterrüstung. Das kommt davon, wenn man vor dem Schlafengehen am Computer spielt. »Brannigan«, ächzte ich ins Telefon.

»Kate? Entschuldige, dass ich dich aufwecke.« Die Stimme war mir bekannt, aber so aus dem Schlaf geschreckt, brauchte ich einen Augenblick, um sie zuzuordnen. Die Stimme und ich lieferten gleichzeitig die Antwort. »Ruth Hunter!«

Ich stützte mich auf einen Ellbogen und schaltete die Nachttischlampe ein. »Ruth. Warte mal kurz, ja?« Ich legte den Hörer hin und suchte nach meiner Tasche. Ich holte Block und Stift heraus und notierte mir die Uhrzeit. 2:13. Wenn mich um diese Zeit eine Strafverteidigerin anrief, musste es um etwas Ernstes gehen. Welcher der Klienten von Mortensen & Brannigan auch entschieden haben mochte, dass mein Schönheitsschlaf unwichtiger sei als seine Bedürfnisse, würde dafür teuer bezahlen müssen. Ich würde ihm jede einzelne Sekunde in Rechnung stellen. Ich nahm den Hörer wieder auf und sagte: »Gut. Du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Was ist passiert, das keinen Aufschub duldet?«

»Kate, ich kann es dir nicht auf schonende Weise sagen. Tut mir leid. Ich habe gerade mit dem diensthabenden Sergeant des Polizeireviers Longsight gesprochen. Sie haben Richard festgenommen.« Ruths Stimme klang schuldbewusst, aber sie hatte recht. Diese Nachricht konnte man einem nicht schonend beibringen.

»Was hat er angestellt? Hat er zu viel getrunken und sich in eine Schlägerei eingemischt?«, fragte ich und wusste zugleich, dass ich maßlos optimistisch war. Wenn es nur das wäre, dann hätte Richard sich lieber in einer Zelle aufs Ohr gehauen, als Ruth von den Cops rufen zu lassen.

»Leider nicht, Kate. Es geht um Drogen.«

»Ist das alles?« Ich lachte fast los. »Wir leben in den Neunzigern, Ruth. Wie viel können sie ihm schon für einen Klumpen Hasch aufbrummen? Er trägt nie mehr bei sich als die Menge, die er braucht, um sich ein, zwei Joints zu drehen.«

»Kate, es geht nicht um Cannabis.« Ruth sprach in dem Tonfall, den Schauspieler in einer Krankenhausserie anschlagen, wenn sie jemandem mitteilen, dass einer seiner Lieben möglicherweise nicht durchkommt. »Glaub mir, wenn es nur Cannabis wäre, dann hätte ich dich bestimmt nicht extra angerufen.«

Ich hörte zwar ihre Worte, konnte mir jedoch keinen Reim darauf machen. Die einzige Droge, die Richard jemals konsumiert, ist Hasch. In den zwei Jahren unserer Beziehung hat er meines Wissens nicht eine einzige Ecstasy-Pille eingeworfen, trotz der großen Zahl an Feten und Gigs, die er regelmäßig besucht. »Dann muss man es ihm untergeschoben haben«, sagte ich zuversichtlich. »Jemand hat ihn auf dem Kieker und ihm was in die Tasche geschmuggelt.«

»Das glaube ich nicht, Kate. Es geht um zwei Kilo Crack.«

Crack. Das extrem suchtfördernde, potenziell tödliche Kokainderivat verursacht jedem in der Rauschmittelprävention Tätigen eine Gänsehaut. Im ersten Augenblick konnte ich es nicht fassen. Ich weiß zwar, dass zwei Kilo Crack nicht gerade wuchtig sind, aber man würde es auf jeden Fall bemerken, wenn es am Körper getragen wird. »Er ist mit zwei Kilo Crack in den Taschen herumgelaufen? Das kann nicht stimmen, Ruth«, stieß ich hervor.

»Nicht herumgelaufen. Gefahren. Ich habe noch keine Einzelheiten, aber er wurde von zwei Jungs von der Verkehrsstreife aufgegriffen. Ich fürchte, es kommt noch schlimmer, Kate. Anscheinend war der Wagen, den er fuhr, gestohlen.«

Ich war aus dem Bett gesprungen und riss Slips und Strumpfhosen aus der obersten Schublade der Kommode. »Und mit wem war er zusammen? Er kann nicht gewusst haben, dass er in einem heißen Auto saß!«

Mir wurde flau im Magen, als Ruth erwiderte: »Er war allein. Ohne Mitfahrer.«

»Das ist ja ein Alptraum«, stöhnte ich. »Du kennst ihn doch. Kannst du dir Richard als gewieften Autodieb und Drogendealer vorstellen? Wo bist du jetzt, Ruth?«, fragte ich.

»Ich bin auf dem Weg zur Tür. Je eher ich bei ihm bin, umso schneller können wir die Sache aufklären. Du hast völlig recht. Richard ist kein Verbrecher«, sagte sie beschwichtigend.

»Wohl wahr. Danke, Ruth, dass du mir Bescheid gesagt hast. Das ist lieb von dir.« Ich hakte meinen BH zu und ging zum Kleiderschrank.

»Ich halte dich auf dem Laufenden«, versprach sie. »Bis bald.«

Bald ist eher, als du glaubst, sagte ich mir, während ich einen cremefarbenen Rollkragenpullover aus Baumwolle überstreifte. Ich schnappte mir meinen Lieblingshosenanzug, eine leichte Kreation aus einem Wollgewebe in Grau und Moosgrün. Da ich mich im Laufen anzog, verfingen sich meine Füße natürlich in den Hosenbeinen, als ich in den Flur stürmte. Ich landete der Länge nach auf dem Fußboden und krachte mit dem Gesicht gegen die Fußleiste, wobei ich zwangsweise feststellen musste, dass seit dem letzten Hausputz zu viel Zeit ins Land gegangen war. Unter einem konstanten Schwall aussagekräftiger Flüche arbeitete ich mich zur Terrassentür vor und fischte ein Paar flache Halbschuhe aus dem Schuhschrank. Auf dem Weg nach draußen fiel mir wieder ein, welchen Plan ich gefasst hatte, und ich hetzte zurück ins Wohnzimmer, wo ich die schmale schwarze Ledermappe aufhob, die ich dazu benutze, etwaige Kunden mit meiner Geschäftstüchtigkeit zu beeindrucken.

Als ich meinen Wagen anließ, stellte ich fest, dass Richards Käfer nicht an seinem gewohnten Platz stand. Was in Gottes Namen ging hier vor? Wenn er in seinem eigenen Wagen weggefahren war, wieso kurvte er dann mitten in der Nacht in einem gestohlenen Fahrzeug und mit einem Paket harter Drogen durch die Straßen? Noch wichtiger war, wusste der Besitzer des Stoffs, wer mit seiner Ware das Weite gesucht hatte? Falls ja, rechnete ich Richard keine großen Chancen aus, seinen nächsten Geburtstag zu erleben.

 

Wenig später hielt ich auf dem Besucherparkplatz des Polizeireviers Longsight. So spät in der Nacht herrschte hier kein großer Andrang. Ich wusste, dass ich mindestens noch eine Viertelstunde totzuschlagen hatte, da Ruth die ganze Strecke von ihrem Haus in Hale zurücklegen musste. Gewöhnlich fällt es mir nicht schwer, mich während einer Observierung zu beschäftigen. Vielleicht liegt es daran, dass ich bei der Art von Aufträgen, auf die Mortensen & Brannigan spezialisiert ist, nicht allzu oft in diese Situation komme. Viele Privatdetekteien sind darauf angewiesen, ein Gros ihrer Einkünfte mit stumpfsinniger Beschattungsarbeit zu verdienen, bei der nicht nur die Hirnzellen, sondern auch der Hintern abstirbt. Aber da wir überwiegend mit Computerkriminalität und Wirtschaftsbetrug befasst sind, leisten wir einen weit größeren Teil unserer Plackerei in den Büros anderer Leute ab als draußen vor ihren Häusern. Heute kamen mir die siebzehn Minuten, die ich damit zubrachte, auf die schmutzig roten Backsteine und die hohen, unpersönlichen Fenster des weitläufigen Polizeireviers in pseudogotischem Stil zu starren, allerdings wie Stunden vor. Ich nehme an, ich war besorgt. Auf meine alten Tage werde ich wohl mürbe.

Ich erkannte Ruths Auto gleich, als sie auf den Parkplatz einbog. Ihr Mann ist in der Textilbranche und fährt einen weißen Bentley Mulsanne Turbo. Wenn man Ruth mitten in der Nacht aus dem Bett holt, nimmt sie gern den Bentley. Die Cops sind dann nur halb so nervig. Ihre Stammkunden lieben ihn heiß und innig. Als die grellen Scheinwerfer in meinem Rückspiegel erloschen, war ich im Handumdrehen draußen und winkte Ruth zu.

Mit einem fast unhörbaren Summen ging das Fenster an der Fahrerseite herunter. Sie steckte den Kopf nicht nach draußen; sie wartete, bis ich bei ihr war. Ich lächelte. Ruth nicht. »Du wirst dich auf eine lange Wartezeit gefasst machen müssen, Kate«, warnte sie mich.

Ich ging nicht darauf ein. »Ruth, wir wissen beide, dass du die beste Strafverteidigerin in der Stadt bist. Und wir wissen beide ebenfalls, dass es eine ganze Palette von Handlungsoptionen gibt, an die du als zugelassene Anwältin nicht einmal denken darfst. Bei dem Riesenärger, den Richard sich allem Anschein nach eingehandelt hat, braucht er jemanden, der sich auf die Hinterbeine stellt und alles tut, was nötig ist, um die Informationen zu beschaffen, durch die er seinen Kopf aus der Schlinge der Cops und der Drogenhändler ziehen kann. Dieser Jemand bin ich, und es ist sinnvoll, wenn ich an eurer Besprechung und der Vernehmung durch die Polizei teilnehme.«

Das muss man ihr lassen, Ruth unterbrach mich nicht. Sie zählte sogar bis fünf, um den Eindruck zu erwecken, dass sie über meinen Vorschlag nachdachte. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Kommt nicht in Frage, Kate. Du kennst doch die Bestimmungen des PACE ebenso gut wie ich.«

Ich lächelte bedauernd. Der Police and Criminal Evidence Act,