So gelingt Handlungskompetenzorientierung (E-Book) - Martin Schönbächler - E-Book

So gelingt Handlungskompetenzorientierung (E-Book) E-Book

Martin Schönbächler

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Wie bringt man Lernende zum Wollen und zur Selbstständigkeit? Gefragt sind handlungsorientierte Konzepte. Das Buch liefert Bausteine und leitet zum Einrichten von Arbeitssituationen an. Anhand des Log-Modells verzahnt es die Dimension des Könnens mit Wissen und Wollen. Daran entfalten sich innere Treiber, das Portfolio und ein reges Pingpong unter den Lernorten. Resultat: praxistaugliche Konzepte zur Erlangung der Selbstständigkeit!

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Seitenzahl: 180

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Martin Schönbächler / Lukas Pem

So gelingt Handlungskompetenzorientierung

Ein didaktisches Konzept für die Berufsbildung

 

ISBN Print: 978-3-0355-2178-8

ISBN E-Book: 978-3-0355-2179-5

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 hep Verlag AG, Bern

 

hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Didaktischer Wandel

Träges Wissen in einer nichtlinearen Welt

Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit als Erfolgsfaktoren in einer brüchigen Welt

Zum Aufbau dieser Publikation

1 Kompetenz, Qualifikation und Ressourcen

Begriffliches, Abgrenzung Kompetenz und Qualifikation

Kompetenzdiskurs in der Wirtschafts- und Berufspädagogik

Handlungskompetenz in der Schweizer Verbundpartnerschaft

Prinzipien des handlungsorientierten Unterrichts

Vermittlung von Grundlagen: der optimale Zeitpunkt

Exkurs: QV-Konzepte handlungsorientierten Prüfens

Die Wichtigkeit von Wissensstrukturen

2 Motivierende, lernweggerechte Lehr- und Lernarrangements

Wie können die bisherigen Ausführungen beim Arrangieren von lebensnahem, vernetztem Unterricht behilflich sein?

Motivation: Die existenzielle Kraft der Kompetenzausprägung Wollen

Wollen erfordert Reflexion

3 Lebenslanges Lernen, Lerndokumentation und Portfolio

Anrechenbarkeit von Bildungsleistungen

4 Das Log

Wohin mit den erledigten Arbeitsaufträgen? Alternativen zu «Datenfriedhöfen»

Leuchttürme als Orientierungshilfen der Reflexion

Weshalb Log?

5 Simpel ist nicht «easy»

Ressourcenmanagement einfach gemacht

Sechs Funktionen eines nachhaltigen Ressourcenmanagements

6 Baustein Lerngelände als Begründungsrahmen der Sachanalyse

Handlungskompetenzen für den Unterricht und die betriebliche Ausbildung nutzbar machen

Guter handlungskompetenzorientierter Unterricht führt über Sachanalysen

Vorgehen bei der Formulierung des Lerngeländes

Standortbestimmungen regelmäßig durchführen

Ist Wissen doch eine Kompetenz?

Das Verhältnis von Können und Wissen

Wie kommt das Wissen in die Handlung?

Der Baustein Lernjob (Sicht Konzeption)

Der Baustein Lernjob (Sicht Lernende)

Reflektieren (Selbst- und Fremdeinschätzung)

Der Baustein Lernpfad

Exkurs: Sind Schulen Orte des Einübens praktischer Fertigkeiten?

Von der Handlungssituation zur Ressourcensystematik: Wie lässt sich in der Situation gefordertes, praktisches Können mit benötigtem Wissen koordinieren?

7 Baustein Arbeitssituationen einrichten

Handlungsorientierte betriebliche Arbeitssituation

8 Baustein Tasks formulieren

Vorgehen

Den Baustein Task einrichten

Lernjob «Kompetenzentwicklung durch Recherche, Fachdiskussion und Ergebniskontrolle»

Aus Leistungszielen Kriterien ableiten

9 Baustein Lernkarte als Planungswerkzeug eigenständigen Lernens nutzen

Das Unterbringen von Wissensinseln im Lerngelände

Coaching von Lernenden

Vier Stufen zur Selbstständigkeit

10 Gestapelte Handlungskompetenz – Briketts entzünden

Das Album

Der Frachtraum

Der Tresor

Lassen sich Handlungskompetenzen auf Vorrat stapeln?

Briketts entzünden

11 Glaubwürdigkeit von Portfolios

Brauchen wachsende Kompetenzprofile eine Zuordnung von Ressourcenausprägungen nach Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz?

12 Der Bildungsbericht

Das «Wesen» Bildungsbericht

Aufbau des Berichts

Den Dreiklang anstimmen: Reflektieren, Maßnahmen festlegen und Ziele vereinbaren

Wie lassen sich Jugendliche zur Führung einer Lerndokumentation motivieren?

Die «Lerndoku» als Werkzeug zur Standortbestimmung nutzen

Gliederung von Handlungskompetenzen in Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz

Schwächen des Formulars Bildungsbericht

Lösungsansätze einer förderlichen Feedbackkultur

Berufsbildende administrativ entlasten

Ziele formulieren

13 Lernergebnisse mit ECVET-Leistungspunkten versehen

Epilog

Begriffliches – verwendete Definitionen (Auswahl)

Abbildungen

Tabellen

Literatur

Autoren

Prolog

Lernen strengt an und löst Irritation aus. Die vernetzte Welt und ihre Phänomene bieten uns dabei täglich die Stirn. Unser Handeln und noch mehr unsere Kompetenzen sind herausgefordert. Dies gilt ganz besonders für die Berufsbildung.

Die Berufsbildung ist kein Warteraum auf das Leben. Sie ist das Leben – eben das Berufsleben! Es warten Kunden und Gäste. Versprochene Dienstleistungen müssen erbracht und Produkte hergestellt werden. Mittendrin stehen die Lernenden, Ausbildenden und Lehrenden. Gebildet oder ungebildet. Vielleicht auch mehr oder weniger gebildet.

Bildung hört nie auf. Wir alle erhalten sie lebenslänglich: bewusst oder unbewusst und mit Sicherheit «nonlinear». Berufsbildung führt Sachverhalte des beruflichen Lernens ins Praxisfeld und zeigt Vorgehensweisen für das Entwickeln und Erweitern von Ressourcen auf. Ihr Aufbau erfolgt nichtlinear, jedoch wiederholend. Wiederholungen werden als gewollte Redundanzen platziert, denn zunächst Unverständliches entpuppt sich in der Handlung oft als sinnvoll. In der Handlung liegt viel Wissen, besonders dann, wenn sie zu Übungszwecken wiederholend angelegt wird. Aus Handlung entsteht Können.

Wer es wagt, den Warteraum des Wissens ins echte Leben zu verlegen, gewinnt wegweisende Erkenntnisse im Lerngelände. Dieses scheinbar unorthodoxe Vorgehen hat einen Namen: Handlungskompetenzorientierung. Wissen baut sich über Handeln auf: Beim Lernen und im Praxisfeld. In der Konsequenz erweitern sich Wissen und Können über Diskurse des Handelns. Genau da setzt unsere Publikation an. Sie nutzt scheinbar Widersprüchliches und Wiederholungen als gewollte Redundanz. Sie codiert Verstandenes.

Teilweise wird Widersprüchliches angeführt und nicht weiter ausgelegt. Das Erscheinen solcher Widersprüche geht oft mit Diskursen einher. Sie widerspiegeln unterschiedliche Auffassungen und Lehrmeinungen. Widersprüchliches und von der Norm Abweichendes sollen die Leserschaft zur Einnahme von eigenen Positionen animieren.

Unsere Publikation ist ein didaktischer Doppeldecker – ein Buch für Berufsbildende, Ausbildende, Personalentwickelnde und Lehrende. Es richtet sich an einen breiten Kreis von Verantwortlichen im Feld der Berufsentwicklung und enthält zahlreiche Bausteine handlungswirksamen Lernens:

Lerngelände;

Arbeitssituation;

Lernkarte;

Lernpfad;

Lernjob;

Task;

Kompetenzprofil;

Ressourcen;

Bewertungskategorie;

Bewertungsskala;

K-Stufe.

Die Bausteine verbinden unser Können mit Wissen und Wollen. Können, Wissen und Wollen sind in uns angelegte ureigene persönliche Ressourcen. In unserer Publikation werden sie zu wachsenden Ressourcenwürfeln – im sogenannten Log – zusammengeführt. Die Entwicklung der Lernenden – und auch der Ausbildenden – wird über den Dreiklang Ziele, Reflexion und Maßnahmen in die Partitur der persönlichen Berufs- und Lebensgestaltung transponiert.

Wer dieses Buch liest, erfährt, wie Handlungskompetenzorientierung gelingt, für sich selbst und für andere. Lehrpersonen und Ausbildende werden dabei unterstützt, ihre neue Rollenvielfalt motivierend einzubringen. Es leitet an, im Lerngelände anhand von Arbeits- und Lebenssituationen stufengerechte Lernjobs und Tasks einzurichten.

Darüber hinaus kommt eine konsequente Methodik zur Erfassung, Bewertung und Reflexion aufgebauter Kompetenz zur Anwendung. Kompetenz wird als im Innern angelegtes Dispositiv an Ressourcen wie Kenntnissen, Fertigkeiten und Haltungen verstanden. Das präsentierte Log-Modell und das ihm zugrunde liegende didaktische Konzept eignen sich für eine digitale Umsetzung.

Unser Log unterstützt Jugendliche und Erwachsene beim strukturierten Aufbau von Ressourcen. Sein hauptsächliches Anwendungsfeld ist die Praxis des eigenständigen/selbstständigen Lernens im Rahmen verschiedener Bildungsmaßnahmen während des gesamten Lebens. Lebenslanges Lernen lautet die Mission.

«… und falls Sie mal nicht mehr weiterwissen, hören Sie Lea und Ben zu, wie sie über ihren Dialog scheinbar Widersprüchliches und Unwägbarkeiten im Lerngelände meistern.»

Didaktischer Wandel

Der Druck auf die Kompetenzausprägung Wissen, Lernprozesse zum Aufbau von Ressourcen eigenständig/selbstständig in Gang zu bringen, wurde durch Faktoren wie die digitale Transformation oder das Überschießen von komplexen Systemen und dem damit verbundenen Informations-Overload regelrecht befeuert. Das durch anhaltende Phasen der COVID-19-Pandemie ausgelöste Distance-Learning wirkte zudem als Katalysator, Eigenständigkeit zu nutzen, und trug auf allen Bildungsstufen zu einem didaktischen Wandel bei.

Die in verschiedenen Szenarien von Zukunftsforschenden prophezeite Selbstbestimmung über Ort und Zeit der zu verrichtenden Arbeit scheint in der Gegenwart angekommen zu sein. Neben Ort und Zeit werden aufgrund von technologischen Entwicklungen, nicht zuletzt durch die Digitalisierung, auch Inhalte berührt.

Träges Wissen in einer nichtlinearen Welt

Die Schnelllebigkeit und die Halbwertszeit trägen Wissens haben sich erneut verkürzt. Aus berufsdidaktischer Sicht stellt diese Ausgangslage einen Wendepunkt dar, der die Protagonistinnen und Protagonisten vor emotionale, soziale, methodische und qualifikatorische Herausforderungen stellt. Der Übergang von der VUCA[1]- zur BANI[2]-Welt ist Tatsache. Er lässt sich wie folgt umschreiben:

Unsere Welt ist spröde geworden. Wir leben in Feedbackschlaufen mit trägen, zeitlich verzögerten Rückkoppelungen. Das Geschehen ist mit schwankenden Aktienkursen vergleichbar. Ein ständiges, unverständliches Auf und Ab begleitet uns von den frühen Morgenstunden bis zum Schlafengehen.

Während wir ängstlich in Passivität verharren, purzelt die Welt munter weiter. Wir sind mit Brüchigkeit konfrontiert. Lineares wird durch nichtlineares Denken ergänzt. Prognosen im komplexen Ökosystem werden zunehmend fehleranfällig und aufgrund der Unzuverlässigkeit nutzlos. Wir suchen im Heuhaufen der Unverständlichkeit intuitiv nach der Stecknadel der fehlenden Transparenz.

Wie ist Lernen unter Berücksichtigung dieser neuen Anforderungen an den Lern- und Bildungsorten zu arrangieren und zu bewerten? Wie kann mit den bis vor Kurzem noch in der Zukunft liegenden Anforderungen an Lernkompetenz und auf einen eigenständigen Aufbau von Ressourcen reagiert werden? Wie ist dies zu stemmen?

Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit als Erfolgsfaktoren in einer brüchigen Welt

Entscheidende Erfolgsfaktoren von Zukunftsfähigkeit sind Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit. Salopp ausgedrückt, geht es in der modernen Bildung darum, selbsttätig Selbstständigkeit zu erlangen.

Selbsttätig oder auch eigenständig meint, dass die Lernenden ihre Lernprozesse aktiv gestalten, sich also nicht nur passiv-rezipierend verhalten, sodass sie eigene Erfahrungen aus ihrem geistigen und manuellen Tun gewinnen und ihr Lernen zunehmend eigenverantwortlich mitgestalten (Heymann, 2015).

Unter Selbstständigkeit ist das angestrebte Ziel zu verstehen. Die Selbsttätigkeit oder Eigentätigkeit hingegen ist als didaktisches, unterrichtliches Mittel zu sehen, das sich einsetzen lässt, um diesem Ziel näher zu kommen (z.B. Asselmeier, 1989, zitiert nach Heymann, 2015). «Selbsttätigkeit bezeichnet dann vor allem das konkrete Tun der [Schülerinnen und] Schüler im Unterricht; im ungünstigsten Falle kann dieses in äußerlichen Aktivismus und inhaltlichen Leerlauf ausarten, was der angestrebten Selbstständigkeit sicher nicht dient» (Heymann, 2015).

Eigenständig selbstständiges Lernen zu erlangen, ist ein Prozess, der auf Instruktion und Begleitung durch Lehrende angewiesen ist. Eigenständigkeit baut sich als Eigenschaft auf. Sie ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu gehören soziale Milieus, innere Treiber, Drang zur Selbstverwirklichung, Vertrauen und viele andere. Für Lehrpersonen bedeutet das, Lernenden mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Eine wirksame Form, die Eigenschaft Eigenständigkeit aufzubauen, ist der Dialog. Werden Lernende an Diskussionen herangeführt, baut sich Vertrauen zu sich selbst und zum Gegenüber auf. Voraussetzung dafür ist eine förderliche Lernkultur.

Die Konstruktion von Einsichten durch die Lernenden hängt entscheidend vom Zustand der persönlichen Entwicklung in Bereichen wie Vorwissen, vorhandene, ausgereifte Fertigkeiten und in der Berufsbildung vom vorhandenen, handwerklichen Geschick ab.

Heymann empfiehlt den Lehrenden, einen guten Blick dafür zu entwickeln, wo Lernende in ihrer persönlichen Entwicklung stehen, und mit ihnen das Gespräch zu suchen, um dann zu entscheiden, welche Anstöße zum Selbstständigerwerden und welche Freiräume für ihr Lernen sie weiterbringen könnten (ebd.).

Zum Aufbau dieser Publikation

Vielleicht ist die Lektüre etwas starker Tobak – genau wie die Ausbildung von Lernenden. Sich selbst oder andere bei der Ausbildung und beim Lernen zu unterstützen, ist ein weites Feld. Schnell ist man verloren. Beim Lernen passiert vieles gleichzeitig – oft unbemerkt. Wer den Wollknäuel des Lernmaterials in die Hand nimmt, spult womöglich seinen Lebensfaden ab. An ihm hängen zahlreiche Erfahrungen sowie Wissen und Können.

Wir haben uns entschieden, den zugegeben dichten Wollknäuel kompakt zu halten und nicht weiter zu strukturieren. Es wäre kaum zu erklären, weshalb eine Publikation zum Thema Handlungskompetenzorientierung linear vom Kleinen zum großen Ganzen oder umgekehrt aufgebaut werden sollte.

Beim Abspulen des Lebensfadens gibt es keine Richtung und keine vorgegebenen Destinationen außer jener unseres biologischen Endes. Bei einer ganzheitlichen Herangehensweise landen unsere Gedanken womöglich zwischendurch in Katakomben. Beim Lernen muss man manchmal tief hinabsteigen, um den Blick fürs weite Feld zu öffnen.

Reflexion katapultiert uns an viele Destinationen. Dagegen ist auch die Leserschaft nicht gefeit. Dennoch finden sich Pfade, Routen und Orientierungen. Struktur ist vorhanden. Wer sich dennoch im Didaktischen verfängt, angesichts der Fachbegriffe ins Stottern gerät, hat Bausteine zur Hand. Ein zentraler ist das Lerngelände. Er steht für das weite Feld. Daher ist ihm in unserer Publikation viel Raum gewidmet.

Im Lerngelände befinden sich weitere Bausteine. Wir überlassen es den Lesenden, selbst Bausteine zu suchen und die von uns angebotenen mit anderen zu verbinden. Am Ende baut jeder für sich sein eigenes Gebäude (und nimmt Maß). Unsere Publikation liefert dafür ein solides Fundament. Zu guter Letzt helfen die Leuchttürme.

1Kompetenz, Qualifikation und Ressourcen

Der didaktische Wandel innerhalb der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist derzeit in aller Munde. Dabei wird auf Konzepte wie jene der Handlungs- und Kompetenzorientierung verwiesen, die verbreitet auch zusammengefasst als Handlungskompetenzorientierung oder handlungskompetenzorientierter Unterricht bezeichnet werden. Ob sie sich ausschließlich auf den schulischen Unterricht oder auch auf die Bildung in beruflicher Praxis beziehen, bleibt oft ungeklärt.

Eine Orientierung an etwas ist stets theoretisch, idealistisch motiviert. Wird das Ideal erreicht, entfällt die Orientierung, da sich diese im Praxisfeld beziehungsweise im Handeln des (Berufs-)Lebens erfüllt. Im Rahmen des schulischen Unterrichts bezieht sich die Orientierung auf Handlungen während des Lernens.

Lernende werden aktiv an Lernprodukten und Lernprozessen beteiligt. Mit Handlungen sind primär Planungen, Aktivitäten in Form von Beiträgen (Teilnahme an Diskussionen oder Schreibanlässen, Herstellen von Präsentationen, Gestalten von Flipcharts usw.) oder auch Reflexionen zum Ressourcenaufbau der Ausprägungen Wissen, Können und Wollen gemeint.

Wird beim Lernen auf didaktisierte Situationen aus der beruflichen Praxis Bezug genommen, orientiert sich das Lernen zusätzlich am Handwerk. Dort, an der konkreten Situation, setzt die sogenannte Situationsdidaktik an (siehe Kapitel 2).

Handlungskompetenzorientierter Unterricht ist demnach ein Unterricht, der die Lernenden aktiv beteiligt und zielgerichtet Kompetenzen aufbaut. Wird Kompetenz im Handlungsfeld der beruflichen Praxis oder während des Unterrichts unter Beweis gestellt, kann sie situativ bestätigt werden, obschon diese Bestätigung Unschärfen unterliegt. Kompetenz ist stets eine Form von Zuschreibung, die auf einem Urteil des Beobachters beruht (Erpenbeck, Grote & Sauter, 2017, S. XVI). Ihre Beobachtung beziehungsweise ihr vermutetes Vorhandensein ist mit der Spitze des Eisbergs vergleichbar, die über die Wasseroberfläche hinausragt. Darunter (im Innern) befinden sich eine Vielzahl von prinzipiell unbegrenzten individuellen Handlungsdispositionen oder auch Selbstorganisationsfähigkeiten (vgl. Arnold in Erpenbeck, Grote & Sauter, 2017, S. XVII), die sich auf andere Situationen übertragen lassen (oder auch nicht).

Der Unterschied zwischen Kompetenz und Handlung kommt in der Performanz zum Tragen, wobei sich durch Beobachtung von angestrebten, ausgeführten Handlungen auf das Vorhandensein von Kompetenzen schließen lässt. Kompetenz und Handlung können als zwei Seiten derselben Medaille gesehen werden: Kompetenz als ein im Innern angelegtes Dispositiv an Ressourcen wie Kenntnissen, Fertigkeiten und Haltungen, und Handlung als Feld der beobachtbaren Tätigkeit beziehungsweise der Umsetzung.

Die Ausrichtung unterrichtlichen Wirkens an Handlung und Kompetenz ist in einer komplexer werdenden Arbeitswelt zu begrüßen. Das Handlungsfeld besteht stets aus einem Gemenge an diversen Komponenten. Ihre Herkunft kann nicht in jedem Fall eruiert werden, da sich Komponenten im Gemenge verbinden und sich daraus neue Eigenschaften entwickeln.

Damit ist das Phänomen der Emergenz angesprochen. Es geht auf Aristoteles zurück: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

«Das, was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet – nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe –, das ist offenbar mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute: ‹ba› ist nicht dasselbe wie ‹b› plus ‹a›, und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde.»[3]

Ein weiteres Beispiel von Emergenz liefert der Physiker Fritjof Capra:

«Was macht Zucker süß? Zucker ist eine Struktur aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Aber das Süße ist in keinem der drei Bestandteile, sondern entsteht durch die spezielle Art der Beziehungen dieser Moleküle. Viel stärker ist das noch bei lebenden Systemen: Die typischen Eigenschaften, die wesentlichen Merkmale eines lebenden Systems leiten sich immer aus den Beziehungen der Komponenten ab. Deshalb ist Systemdenken ein Denken in Beziehungen, in Zusammenhängen, in Mustern. Das ist ganz wichtig. Das Netzwerk ist das Muster des Lebens schlechthin.» (Capra, 1996)

Eine Orientierung an komplexen Berufs- und Lebenssituationen ist aus berufsdidaktischer Sicht ein naheliegendes Unterfangen. Damit wird der Lebens- und Handlungsfähigkeit in anforderungsreichen Situationen entsprochen.

In Bildungsplänen und Curricula werden vermehrt Arbeitssituationen als didaktisierte Lebenssituationen herangezogen. Aufzubauende Ressourcen treten an die Stelle von isolierten, in sich abgegrenzten Fächern. Ressourcen sind dabei als ein Dispositiv an Mitteln zu sehen, das (Berufs-)Leben erfolgreich und in einer befriedigenden Weise souverän zu meistern.

Befürworterinnen und Befürworter fachwissenschaftlichen Denkens und des Vermittelns von disziplinären Grundlagen sind angesichts des drohenden Verlusts schulischer Fächer herausgefordert, ihre Passion und Überzeugungen beim Aufbau von fachwissenschaftlichen Strukturen neu zu denken. Darin sowie im Postulat des eigenständigen Lernens, welches die Vermittlung von Wissensgrundlagen zunehmend digitalisierten Tools und der Verantwortung der Lernenden überlässt, gründet der didaktische Wandel.

Didaktischer Wandel führt zu unterschiedlichen subjektiven Einschätzungen. Die einen sehen darin einen Fortschritt und sind motiviert, Lehr- und Lernarrangements angemessen anzupassen oder zu kreieren. Andere erkennen einen Zerfall der Profession des Lehrens und des Lehrberufs.

Für beide Positionen gibt es gute Argumente – jedoch auch Gegenargumente. Einem didaktischen Wandel, wenn man ihn so bezeichnen mag, mit einer ablehnenden oder befürwortenden Haltung gegenüberzustehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sie sind mit dem Sich-Einlassen der Lernenden auf eine mehrjährige berufliche Grundbildung vergleichbar. Für beide, Lehrende und Lernende, gilt es, Neuland zu betreten.

Begriffliches, Abgrenzung Kompetenz und Qualifikation

Der Kompetenzbegriff hat im deutschen, angloamerikanischen und im romanischen Kulturbereich in den letzten drei Jahrzehnten eine bewegte und vielfältige Geschichte erlebt (Ghisla & Kolb, 2001, S. 10). Besondere Beachtung wird der Frage nach Verfahren und Verfahrenskombinationen geschenkt, die in der Lage sind, Kompetenzen als Fähigkeiten zu selbstorganisiertem Handeln, als Selbstorganisationsdispositionen, abzubilden (Erpenbeck, Grote & Sauter, 2017, S. X). Erpenbeck, Grote und Sauter stützen sich auf die folgende Definition des Begriffs der Disposition:

«Disposition ist die Gesamtheit der bis zu einem bestimmten Handlungszeitpunkt entwickelten inneren Voraussetzungen zur psychischen Regulation der Tätigkeit.» (Ebd.)

Wie bereits erwähnt, ist Kompetenz nach Erpenbeck et al. (2017) stets eine Form von Zuschreibung aufgrund eines Urteils des Beobachters (vgl. ebd.). Zudem ist Kompetenz von Qualifikation zu unterscheiden. Kompetenzen (Regeln, Werte, Normen) schließen Qualifikationen, Wissen im engeren Sinn und Fertigkeiten ein.

Abbildung 1: Einschließungsverhältnis Kompetenzen (Erpenbeck, Grote & Sauter, 2017, S. XVII)

Qualifikation

Kompetenz

ist immer auf die Erfüllung vorgegebener Zwecke gerichtet, also fremdorganisiert

umfasst Selbstorganisationsfähigkeit

beschränkt sich auf die Erfüllung konkreter Nachfragen bzw. Anforderungen, ist also objektbezogen

ist subjektbezogen

ist auf unmittelbare tätigkeitsbezogene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten gerichtet

bezieht sich auf die ganze Person, verfolgt also einen ganzheitlichen Anspruch

ist auf die Elemente individueller Fähigkeiten bezogen, die rechtsförmig zitiert werden können

umfasst die Vielzahl der prinzipiell unbegrenzten individuellen Handlungsdispositionen; Lernen öffnet das sachverhaltszentrierte Lernen gegenüber den Notwendigkeiten einer Wertevermittlung

rückt mit seiner Ausrichtung auf verwertbare Fähigkeiten und Fertigkeiten vom klassischen Bildungsideal (Humboldts «proportionierlicher Ausbildung aller Kräfte») ab

nähert sich dem klassischen Bildungsideal auf eine neue, zeitgemäße Weise

Tabelle 1: Unterschiede Qualifikation und Kompetenz (Arnold, 2000, zitiert nach Erpenbeck, Grote & Sauter, 2017, S. XVII)

Es lohnt sich, beim Kompetenzdiskurs die Darstellungen zum damaligen RLP-BM (2001) von Ghisla und Kolb für weiterführende Überlegungen einzubringen. Für das Autorenteam sind

«Kompetenzen die Fähigkeiten, verfügbare Ressourcen kreativ und funktional miteinander zu kombinieren, um Problemsituationen adäquat und erfolgreich zu meistern. Ressourcen sind

Kenntnisse (im Sinne von deklarativem Wissen und von Informationen, vgl. das französische ‹savoirs› und das englische ‹know that›)

Fertigkeiten (im Sinne von prozeduralem Wissen, d.h. von allgemein kognitiven, kommunikativen und sozialen Fertigkeiten, komplexen Handlungsschemata usw., vgl. das französische ‹savoir-faire› und das englische ‹know how›)

Haltungen (im Sinne von Einstellungen und Verhaltensformen im intellektuellen, persönlichen und sozialen Bereich, vgl. das französische ‹savoir-être›).» (Ghisla & Kolb, 2001, S. 11)

Ghisla und Kolb (ebd.) referieren auf Le Boterf und sein Schema (1998; 1999):

Abbildung 2: Ressourcen nach Le Boterf (1998; 1999) in Ghisla & Kolb, 2001, S. 12

Somit ist der Begriff Ressourcen als aktuelles Vehikel, im Sinne eines Denkkonstrukts oder Orientierungsrahmens, eines kompetenzbasierten didaktischen Denkens und Handelns eingeführt. Bemerkenswert an der Darstellung von Ghisla und Kolb ist die Beschreibung von Kompetenz als Fähigkeit. Kompetenz ist analog den Werten bei Arnold im Innern angelegt.

Erpenbeck et al. (2017) gehen in dieselbe Richtung, wenn sie von zu einem bestimmten Handlungszeitpunkt entwickelten inneren Voraussetzungen zur psychischen Regulation der Tätigkeit sprechen.

An das bis jetzt Gesagte lassen sich weitere Ausführungen von Ghisla und Kolb anschließen.

«Kompetenzen sind nicht statische, z.B. in der Person verankerte und ein für allemal fixierte Phänomene. Vielmehr sind sie dynamisch und variieren von Situation zu Situation. Ihre Beobachtbarkeit beschränkt sich auf erbrachte Leistungen, und folglich ist ihre Beurteilung und somit die Beurteilung kompetenten Handelns in bestimmten (Problem-)Situationen nur über Kriterien und Indikatoren möglich. Wegen ihrer Situations- und Kontextbezogenheit haben Kompetenzen weitgehend interdisziplinären Charakter. Sie bilden sich auf verschiedenen Kompetenzniveaus aus.» (Ghisla & Kolb, 2001, S. 12)

Kompetenzdiskurs in der Wirtschafts- und Berufspädagogik

Bezogen auf die Wirtschafts- und Berufspädagogik ent- und verschärft sich der Kompetenzdiskurs. Entschärfend wirkt der Handlungsdruck in der Bildung in beruflicher Praxis. Implizite Wissensbestände werden durch das Handeln regelrecht «performiert». Verschärfend kommt die Kritik hinzu, Rückschlüsse von Performanz (sichtbarer, bewertbarer Handlung) auf Berufskompetenzen zu ziehen.

Ein entscheidender Treiber von Berufskompetenz liegt am anderen unsichtbaren Ende der Performanz, im Wurzelbereich der existenziellen Motivation, welche die Berufsidentität begründet. Berufsidentität, die andernorts der Ressource Haltung zugeordnet ist, greift tief in den motivationalen Aspekt wirksamen Lernens ein. Beim dispositionalen Kompetenzmodell von Schubiger findet sich daher eine eigene Kompetenzausprägung, jene des Wollens (Schubiger, 2016, S. 25).

Das Bildungswesen der Kaufleute ist traditionell computerbasiert, was nicht für sämtliche Berufe gilt. Bei vielen Berufen steht das Handwerk an erster Stelle. Dies ist beispielsweise bei den beruflichen Grundbildungen des Küchenbereichs wie Köchin EFZ/Koch EFZ der Fall.

Wenn eine Köchin oder ein Koch am Herd steht und eine Speise vor- und zubereitet, liegt Handeln vor. Es wäre künstlich, bei diesem Setting von Handlungs- oder Kompetenzorientierung zu sprechen. Beim täglichen Kochen kann an ausgeführten Prozessschritten via Performanz sowie anhand von Aspekten, Kriterien und Indikatoren auf Kompetenz geschlossen und im entsprechenden Rahmen auch bewertet und beurteilt werden. Praktische Tätigkeit ist im schulischen Bereich kaum möglich, es sei denn, es stehen Schulküchen zur Verfügung.

Berufliche Handlungsorientierung endet bei der Handlung selbst. Eine Orientierung an einer Handlung oder Kompetenz zielt in diesem Kontext auf etwas nicht vollständig Praktisches ab. Salopp ausgedrückt, sind handwerkliche Grundbildungen im Praxisfeld handlungskomplett. Dort, wo diese Handlungsperformanz nicht vollständig stattfindet, zum Beispiel während des Unterrichts, beschränkt sich das Anwendungsfeld auf Handlungs- oder Kompetenzorientierung.

Handlungsorientierter und kompetenzorientierter Unterricht sind somit aus berufspraktischer Sicht bis zu einem gewissen Grad theoretisch motiviert.