Sodom - Egmont Colerus - E-Book

Sodom E-Book

Egmont Colerus

0,0

Beschreibung

Die Steinmassen Sodoms brodelten vor Hitze, und mancher Fußgänger spähte forschend zur schwindelnden Höhe der Dächer, als ob er dort irgendeinen kalten Stern entdecken könnte: Doch nichts zeigte sich, nur das Pflaster krachte klirrend unter seinen Füßen und schien springen und bersten, zu wollen. Keine menschliche Rede war laut; Sodom lag nach dem Jauchzen des Nachmittages wieder im großen Schweigen der Menschen. Plötzlich schrillte in einem Nebengässchen, wo Krämer ihre Waren vor den Türen ausgebreitet hatten, eine kreischende Weiberstimme. Und wieder und wieder tönte überjappend der Name Marduk.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 258

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sodom

 

von

 

Egmont Colerus

 

 

 

Verlag Heliakon

 

Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon

Titelbild: Pixabay (Marisa04)

 

2023© Verlag Heliakon, München

www.verlag-heliakon.de

[email protected]

 

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

 

 

 

Meinem toten Freunde

dem reinen Menschen

Kurt Richter

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Buch Marduk

Buch Ramman

Buch Paschkirian

Buch der Priester

Feuerbuch

Buch Marduk

 

 

 

Als sich weich und schwer, wie eine ungezückte Löwenpranke, die ansteigende Hitze auf Sodom senkte, da trockneten die Lachen und Tümpel ein. Ihr Schlammgrund zersprang in blatt dünne Sechsecke, deren scharfe Ränder sich aufwärts wölbten und blassgrau von eingesprengtem Kieselstaube schimmerten. Darunter lag weicher weißer Sand, quoll raschelnd unter jedem Hauche der Luft aus den Spalten hervor und huschte rieselnd über die sechseckigen Teller.

Am Morgen hatte für kurze Weile der Gott des männlichen Grauens vom Himmel aus unendlicher Höhe herabgestarrt. Gott, der als unerbittlich feuriges Auge, körperlos von Aufgang nach Niedergang wandelt. Gott, unter dessen sengendem Blicke die Erde in Fieber sich schüttelt. Gott, von dem alles befruchtet wird und der den Schoß der Welt zum Platzen bringt, sodass unzählige Geburten hervorschießen; der nicht einmal kurzen Schlaf des Werdens duldet und von den Gliedern ihr den weißen Schleier zieht, auf dass sie kreiße.

Gott, der schrecklichste Mann, hatte Sodom gesehen, wie es da lag: Noch klebten Nebelfetzen an den Bergen, fern gegen Aufgang, wo der Rand der Ebene an ihren Wall stieß. Und der Nabel der Ebene war Sodom.

Doch Sodom hatten die Nebel verlassen und es schimmerte. Gott blickte schräg über die Ebene und suchte prüfend, ob das Werden den gewollten Gang einschlüge:

Von den Randbergen liefen verästelnd und im flacheren Lande durch ein verwirrendes Netz von Kanälen verbunden, zahlreiche Silberfäden; dazwischen wechselte saftiges Grün weicher Baumwipfel mit sattem Gelb reifender Felder. Und bläuliches Grün derbblättriger Sträucher und gelbliches Grün, betupft mit weißen und schwarzen Flecken weidenden Viehs, erstreckte sich zwischen verstreuten Häusern. Weit nach Niedergang reichte das nämliche Bild; bis endlich, nahe dem Himmelssaume, ein zitternd weißer Strich auf eine Gegend deutete, wo Gott den Boden sieden lässt, ohne etwas hervorzutreiben als rückschlagenden heißen Brodem. Wüste stieg dort an, Wüste, die verlechzte Geliebte des unerbittlich starrenden Auges.

Wie auf dem Gliede, das die Viper mit stechendem Gift durchsetzte, ein steifer Strang heraus schwillt, so querte gewunden von Mitternacht nach Mittag der Strom die Ebene, dem alle Silberfäden zustrebten und der den stützenden Strick im Netze der Kanäle bildete. Breit und rot war der Strom, geschwängert mit ausgelaugtem Gesteine blutroter Berge irgendwo in Mitternacht, zu denen der schräge Blick Gottes noch nicht reichte.

Das ummauerte Viereck Sodoms umfasste, die von allen Seiten strahlenförmig herbeieilenden Straßen verschluckend, als steinerne Zange den Strom.

So sah Gott Sodom im Morgenflimmern, klein und ferne, doch weiß und duftig; und sah, winzig wie Brettsteine, aneinandergeschobene Paläste und die ragende Höhe der Stufenpyramide.

Doch es war nur ein Augenblick: Denn Dämpfe stiegen aus Strom, Flüssen und Kanälen, und ein dicker, flaumiger Dunst deckte bald alles; sodass an dem Tage, an dem die Schicksale der Götter und Menschen bestimmt wurden, Gott Sodom nicht mehr sah.

Da zürnte er und starrte noch grimmiger. Und die weite Ebene stöhnte. Und stets aufs neue trockneten Tümpel und Lachen und der Schlamm zersprang in wölbende Sechsecke.

Als die Göttin des weiblichen Grauens durch violette Abendnebel mit ihren zwei klammernden Armen sichtbar war, wie sie die unschuldigen Sterne in namenlosen Gelüsten aussog, um sie dann zerwühlt als verpuffende Schnuppen auf die Erde zu schleudern, da war in den breiten Straßen Sodoms wenig Volk; doch gab es desto mehr Überreste verrauschten Brausens.

Zweige und Blumen bedeckten allenthalben die Fliesen, und Staub, vermischt mit betäuben den Aromen, hing in der Luft; sodass man kaum das Ende der langen Zeilen erblickte und die Giebel der massigen Paläste bereits in leichten Schleiern verträumt aneinander lehnten, bis sie, kleiner werdend, mit dem unsichtbaren Ende der Straße verschwammen.

Einige Landleute hieben auf zottige Büffel, dass die plumpen Karren aufkreischten. Und blickten blöde auf die, ihnen unverständliche, Größe der Gebäude. Ein Reiter jagte daher, die Schulter mit Pardelfell überworfen: Das tackende Geklapper seines Rosses verwehte bald. Wanderer, Männer und Frauen, tauchten auf, beugten sich scherzend nach den Blumen, hielten sie an die Nasen und ließen sie wieder fallen: Alle zogen nach einer Richtung, nach Niedergang, wo die violetten Streifen des Himmels in brennendes Rot übergingen.

Die Steinmassen Sodoms brodelten vor Hitze, und mancher Fußgänger spähte forschend zur schwindelnden Höhe der Dächer, als ob er dort irgendeinen kalten Stern entdecken könnte: Doch nichts zeigte sich, nur das Pflaster krachte klirrend unter seinen Füßen und schien springen und bersten, zu wollen.

Keine menschliche Rede war laut; Sodom lag nach dem Jauchzen des Nachmittages wieder im großen Schweigen der Menschen. Plötzlich schrillte in einem Nebengässchen, wo Krämer ihre Waren vor den Türen ausgebreitet hatten, eine kreischende Weiberstimme. Und wieder und wieder tönte überjappend der Name Marduk.

Ein hageres, widerliches Weib prügelte auf einen sonderbaren Knaben los und suchte ihm einen lebendigen Fisch zu entreißen, den er, bereits kauend, zwischen den Zähnen hielt. Plötzlich zuckte der Knabe aus seiner gebückten Haltung auf, dass zwischen den Lumpen seine nackten Rückenmuskeln spielten, und schleuderte dem Weib mit aller Kraft den Fisch gegen den keifenden, zahnlosen Mund. Doch das Tier schnellte im Todesschmerz seinen Körper und streifte bloß den Kopf des Weibes, worauf es, aus der Richtung gebracht, zufällig in die Wanne purzelte, in der die anderen Fische, einander stoßend, schwammen. Wie Wolken breitete sich sein Blut im Wasser der Wanne aus.

Unbewegt richtete der, vielleicht zwölfjährige, bärenstarke Knabe seinen vierkantigen Kopf mit dem etwas flach gedrückten, breitnasigen Antlitze gegen die Tiere. Seine farblos blonden Haare, die sich drahtsteif auf dem Kopf krausten, waren von Blut befleckt.

Da fuhr das Weib wütend mit ihren Krallen gegen seine grünen Augen; doch zog sie sofort, wild kreischend, ihre Hände zurück, über die Blut tropfte: Marduk hatte blitzschnell ihre Rechte erfasst und kräftig zugebissen.

Es entstand ein Tumult: Männer und Frauen liefen aus benachbarten Läden herbei und glotzten auf die hässliche Szene; bis sich schließlich ein Mann vordrängte, höckrig und langnasig, und, die Stimme des Weibes überschreiend, Marduk anherrschte:

»Was treibst du da, Raubtier ohnegleichen?«

Marduk kauerte bereits auf dem Boden und rührte sich nicht im Mindesten.

Da war der Höckrige vor Wut ganz fahl im Antlitz, trat mit dem Fuße nach dem Knaben und schrie fort und fort:

»Was treibst du da?« Marduk brummte.

»Was, wie? Was sagst du zu deiner Entschuldigung? Sind wir vielleicht dazu geboren, unsere Ruhe durch dich stets stören zu lassen? Raubtier, dir wird man noch beikommen!«

»Sie ist nicht meine Mutter, sie ist ein Scheusal!« jubelte plötzlich der Knabe, doch sank er sofort wieder in seine Teilnahmslosigkeit zurück.

Der Höckrige pflanzte sich breitspurig vor ihm auf und ließ den Kopf schief auf die eingefallene Brust sinken, dass sein zerzauster Bart sich an seinem Gewande sträubte. Dann stieß er überlegen hervor:

»Wenn ein Sohn zu seiner Mutter spricht: Du bist nicht meine Mutter! so schert man ihm sein Stirnhaar, führt ihn zum öffentlichen Ergötzen durch die Stadt und jagt ihn aus dem Hause. So sagt das Gesetz. Komm nur, mein Söhnchen, wir wollen dir dein Stirnhaar scheren!«

Alle Umstehenden griffen mit tierischen Gesichtern nach dem Knaben und das alte Weib lachte voll Schadenfreude.

Doch Marduk hatte schon einige Zeit mit den Händen im dicken Staub der Straße gewühlt. Jetzt sprang er auf, spie dem Nächsten ins Gesicht und hieb allen, die ihn an der Flucht verhindern wollten, blitzschnell aus nächster Nähe den beißenden Staub in die Augen. Wüstes Geschrei erhob sich. Die Betroffenen bogen sich vor Schmerz und versuchten, mit den Handrücken ihre Augen vom Staube zu befreien; doch ihre Hände waren von Arbeit schmutzig und die Reinigung gelang nur mühsam.

Inzwischen war der Knabe, ohne dass ein einziger im ersten Augenblicke der Überraschung, an Verfolgung gedacht hätte, kreuz und quer durch Nebengässchen rennend, zur breiten Straße gelangt, auf der noch immer einzelne Menschen gegen die erlöschende Röte des Unterganges zogen. Er drückte sich bettelnd an ein schönes, üppiges Weib: Mit geschminkten Wangen und toten, übersättigten Augen sah sie ihn verständnislos an und schritt gemächlich weiter. Nach einigen Schritten lief er ihr nach, warf sich vor ihr auf die Kniee, umfasste ihre Schenkel und drückte seinen Kopf in ihren Schoß. Als er aufsah, lächelte sie widerlich, kraute ihm mit der Hand in den Haaren, dann schüttelte sie ihn ab und ging schweigend ihres Weges.

Nach einigen weiteren, trotz aller List fehlgeschlagenen Versuchen, gab Marduk den Gedanken an das Betteln auf und schlich, suchend wie ein Spürhund, auf der Straße umher: Denn sonderbar wäre es gewesen, wenn sich nach den Ereignissen des Nachmittages, für einen Geduldigen zwischen Zweigen und Blüten nichts Wertvolles vorgefunden hätte. Er täuschte sich auch nicht. Nach kurzer Zeit fand er eine Silbermünze und bald darauf sogar ein gleißendes Goldstück. Sorgfältig wickelte er diese Schätze in den Zipfel seines Hemdes und sicherte das Versteck durch einen Knoten.

Dann zog auch Marduk gegen Untergang.

Er musste lange wandern, bis er an den Strom kam, über den, in wuchtigem Riesenbogen, die steinerne Brücke zum anderen Ufer sich wölbte. Langsam schritt er über das Pflaster, doch reizte ihn nach wenigen Schritten das Verlangen, auf eine der breiten Brüstungsmauern der Brücke zu klettern und sich der schon vorgeschrittenen Dämmerung hinzugeben. So schwang er sich lautlos auf die, gegen Mittag blickende Mauer und hockte sich auf ihr bequem nieder; war sie doch gut zwei Fuß breit. Er hatte anfänglich gehofft, von der Fläche des Stromes würde Wasserkühle heraufwehen; doch fand er sich bald in dieser Hoffnung getäuscht, denn nach wie vor atmete Sodom sengenden Gluthauch und die Schweißperlen auf der Stirne blieben stehen, da kein Abendwind sie trocknete.

Soweit das Auge reichte, zog der Strom, eingefasst von kunstvoll gemauerten Böschungen, schnurgerade. Zu seiner Linken senkten sich ab und zu Treppen und schräge, in die Mauern geschnittene Zufahrten bis zum Stromspiegel hinab, wo plumpe Schiffe, mit Waren bis zum Rande gefüllt, vertäut lagen und ihre, an langen Spieren befestigten, buntfarbigen Segel schlaft herabhängen ließen. Stille herrschte allenthalben an Bord; nur senkrechte Rauchsäulchen wirbelten in die Höhe und rochen von Öl und Fischen; und auf einem der Schiffe stolperte ein kleiner Köter an den Rand und bellte ins Wasser.

Zur Rechten, also gegen Niedergang, war dagegen das Bild ein wesentlich anderes: Dort führten mächtige Freitreppen zum Strome hinab, auf dem prunkvolle, schlanke Segelbarken mit golddurchwirkten Segeln ruhten. Und ober den Freitreppen ragte, viele tausend Schritte stromabwärts, ein Wald von ungeheuren Bäumen und Palmen, zwischen denen die königlichen Paläste ehrfurchtgebietend hervorlugten.

Marduk beobachtete mit gespannten Blicken, wie in den Gärten Fackeln entflammt wurden und ein Fenster nach dem anderen in den Palästen sich strahlend erhellte. Dann wandte er sich ab und sah gegen Mitternacht.

Gegen den letzten Tagesschimmer, am blassvioletten und gelben Himmel als scharfer Schattenriss, stand am Ufer der Königspaläste die unausdenkbar hohe Stufenpyramide: Aufeinandergestellte Würfel, die nach oben stets kleiner werden und um deren Seitenflächen säulengetragene Wandelgänge herumlaufen.

Auf der Spitze der Pyramide glühte versonnen eine Feuerzunge, sodass rote Streifen den schwarzen Schattenriss querten.

Als sich Marduk auch an diesem Schauspiel sattgesehen hatte, wie das Wunderbauwerk auf das Meer von Dächern herablächelt, legte er sich flach auf den Bauch und begann auf die Geräusche des Stromes zu horchen. Ein leises knirschendes Schieben tönte da vom flussgrunde und dazu das Verrieseln der an den Pfeilern aufgebauschten Wogen. Er starrte in den Fluss. Rötlich floss er dahin, doch merkte Marduk bald, dass die Wassermenge, die er mit sich führte, weit geringer sei als sonst; kündeten davon doch auch die fußbreiten Schmutzbänder, die sich um die Pfeiler zogen und den früheren Stand des Wassers augenfällig bewiesen.

Plötzlich verspürte Marduk einen leichten Ruck und, während er noch auf die kreisförmigen Beulen der Wasserfläche blickte, stand der Fluss still; dagegen begann sich die Brücke mit ihm langsam stromaufwärts zu bewegen. Weit davon, sich zu verwundern, gab sich der Knabe willig der Sinnestäuschung hin und träumte von einer Fahrt gegen den Ursprung des Stromes, wo sich vielleicht eine in ihm liegende dumpfe Sehnsucht erfüllen würde.

Da jedoch die Schatten der Nacht herabträuften, litt es den Knaben nicht mehr länger auf der Brücke. Er gewann bald das jenseitige Ufer des Stromes und wanderte der Haupt Straße entlang, bis sie in einen großen runden Platz mündete, von dem wieder gegen Mitternacht eine breite Zeile bis an die Tempelgärten führte; in deren Mitte erhob sich die Stufenpyramide, während gegen Mittag die Zufahrtsstraße zu den Königspalästen lief.

Staunend blieb Marduk stehen: Denn der große Platz, der sonst in seiner unübersehbaren Rundung wie ein Seespiegel dalag, war erfüllt von dicht gedrängtem Volke und glich einem Heerlager. Er erfasste sofort den Zusammenhang: Hier hatte der wilde Siegeszug haltgemacht, der am Nachmittage, als die Geschicke der Götter und Menschen bestimmt wurden, durch die Straßen Sodoms gebraust war. Hier lagerte das Kriegsheer, nachdem es in siebenmaligem Ansturme die mitternächtige Erbfeindin überrannt und deren Steine und Gebäude durcheinandergerüttelt hatte, dass bloß ein Trümmerfeld und rauchende Asche zurückblieb; nachdem es in gefesselten, viele Sechstausend zählenden Scharen die verknechtete Bevölkerung zur Heimat getrieben hatte mit Herden und Vorräten; nachdem es auf weiten Tragbahren das Allerheiligste jener gehassten Feinde unter dem Hohngelächter der Bürger Sodoms zur Stufenpyramide als Opfer geschleppt hatte.

Feuer brannten auf dem weiten Platze, und die bekränzten Krieger brieten Ochsen und Ziegen auf Spießen, in mächtigen Kesseln brodelte Mais und Hirsebrei, und bauchige Tonkrüge, voll aus Schläuchen abgezogenen Dattelweines, kreisten und ergossen glucksend ihren Inhalt hinter die pechschwarzen Bärte der Krieger. Dazwischen wandelten blumengeschmückte Mädchen in grellen Gewändern und gewährten ohne Scheu den gefeierten Helden jede Gunst, sodass an den Stellen, die vom flammenscheine unberührt, im Schatten der Nacht lagen, manches safrangelbe oder rosenrote Kleid stöhnend auf eilig hingebreiteten Fellen in den muskelstarrenden Armen eines Kriegsmannes lag.

Es war nicht das erste Mal, dass Sodom einen solchen Tag der Freude erlebte; zudem fanden jeden Vollmond Volksfeste statt, bei denen es ähnlich herging. Nur unterschieden sich diese Feste dadurch von heute, dass es diesmal, dem besonderen Anlass zuliebe, erlaubt worden war, lustwandelnd einen Teil der, sonst unzugänglichen, verschlossenen Tempel- und Königsgärten zu betreten; wie denn auch ein breiter Menschenstrom, dichten, im Scheine der Fackeln durchglühten Staub aufwirbelnd, sich drängend durch beide Zufahrtsstraßen schob.

Wenn auch die ungedämpfte Siedehitze und der reichliche Genuss berauschender Getränke das Volk zu immer ausgelasseneren Leidenschaften anstachelte, so herrschte, abgesehen von wilden Seufzern und kurzen brünstigen Aufschreien, kein nennenswerter Lärm. Musikanten spielten mit verbissenen Zähnen sanfte Saiteninstrumente, andre bliesen gurgelnde flöten und dunkel gestimmte Hörner, und die ganze Musik durchzitterte in ihrer leisen Wollüstigkeit entnervend alle Sinne und mischte sich mit den tausenderlei schwülsten Düften zu einer Symphonie unstillbarer Sinnlichkeit.

Sodom war uralt: Darum schwieg Sodom, denn es hatte nicht mehr zu sprechen; es handelte und lebte den übersättigten Rest seiner Kraft zügellos und ohne Schranken. Gegen alles hatte Sodom grausame Gesetze, nur nicht gegen seine Wollust: denn die selbst war Sodoms grausamstes Gesetz.

Marduk schlich am Rande des Platzes zur Linken entlang. Sein Blut war durch die Masse der Lust, die auf ihn eindrang, erregt, doch waren seine Gedanken zu verworren, als dass sie sich zu bestimmten Wünschen hätten formen können. Nur eines wusste er in unwandelbarer Gewissheit: In das Nebengässchen, zum alten Weibe, die vor kaum einer Stunde mit ihren Krallen nach seinen Augen gegriffen hatte, würde er nicht mehr zurückkehren; bei der er seine Jahre verlebt hatte, solange er sich rückwärts, in seine Kindheit hinein, entsinnen konnte. Doch was war früher, bevor er zu dem Weibe kam, für ihn die Welt gewesen? Dass er nicht immer bei der Wanne mit den widerlichen fischen im Straßenstaube gespielt hatte, wurde ihm stets deutlicher, je mehr er sein Gehirn anstrengte. Bald aber sanken seine Bemühungen zusammen, denn was er zu haschen geglaubt, zerfiel bei näherem Zusehen in verworrene, haltlose Bruchstücke.

So schüttelte er die, ihm ungewohnte und daher unangenehme, Beschäftigung des Grübelns leichthin ab. Jetzt würde er sich einmal die Gärten des Königs besehen dürfen, die geheimnisvollen Gärten, vor deren flügeltoren er oft gekauert war, um einen lüsternen Blick hineinzuwerfen, wenn sie sich vor den ratternden Streitwagen der Palastwache gähnend öffneten. Waren sie doch, wie alles Verschlossene, auch wenn das Nichts in eigener Person darin enthalten wäre, ein willkommener Angelpunkt für das Blühen der Einbildungskraft. Und Marduk, der triebhafte, der wie ein feuchter Wurzelstamm aus der dampfenden Erde Sodoms ragte, Marduk, der sich selbst noch nicht von der Umwelt abgelöst hatte, weil seine Sinne bisher nur nach außen sahen und die Einheit des Ichs bewusst nicht hervorbrachten, hatte in diesem Augenblicke eine Ahnung: Das Rätsel jener Zeit, vor der Verkettung mit den fischen und dem Weibe, würde in jenen Königsgärten zur Lösung reifen. Da hielt er sich, stützend, mit der Linken an der glasierten Ziegelwand eines Hauses, und, obwohl auch hier die Steine nur Schwüle schwitzten, lief durch seinen Leib eine jähe Kälte. Ein großer lohgelber Hund, mit dickem Halse und zugespitzter Schnauze, bellte ihn an. Er schrak furchtbar zusammen und rannte geraume Zeit, bis er keuchend an dem Punkte haltmachte, wo die Zufahrtsstraße vom Platze gegen die Königspaläste abströmte.

Willenlos ließ er sich von der erhitzten, halb betäubten Masse vorwärtsschieben. Vor ihm drängte sich ein hoher, reich gekleideter Mann, mit einem Wehrgehänge umgürtet, an dem ein Schwert und einige zierliche Dolche hingen. Marduk folgte ihm, kaum fußbreit entfernt, wohl sechshundert Schritte weit. Da stieß ein ungefüger Bauer, im Willen, alle anderen zu überholen, etwas unsanft an den Vornehmen. Marduk starrte unverwandt auf das Wehrgehänge. Und während der Träger dieses Schatzes sich scheltend zum Bauer wandte und an seinen Schwertknauf griff, zog der Knabe, unendlich langsam und behutsam, einen Dolch aus der Scheide, barg ihn desto rascher an seiner Brust und ließ sich nachgiebig von der Menge zur gegenüberliegenden Seite der Straße drücken. Dann schlängelte er sich hastig und lautlos auf seinen nackten Sohlen zwischen den Menschen vorwärts.

Vor dem, von beiden Seiten durch märchenhaft wuchtige, geflügelte Untiere aus dunklem Steine flankierten, ehernen Doppeltore staute sich die Menge. Und es geschah, dass Hunderte, die ungeduldig vorwärts wollten, wieder viele Schritte zurückgeschlagen wurden. Zudem ragten aus den Massen Reiter der Palastwache, die auf trotzigen, sich im Kreisel bäumenden Rossen, geißelschwingend, Ordnung zu erzielen sich bemühten; was ihnen auch in der nächsten Umgebung, der Reichweite ihres sausenden Werkzeuges, halbwegs gelang.

Marduk scherte sich nicht um das Pressen; denn, eingekeilt zwischen jungen Weibern, lag sein Kopf am üppigen Busen der einen, während seine Glieder die weich schwellenden Schenkel der anderen durch dünne Gewänder verspürten wodurch sein Gehirn in eine Art Starre verfiel, und sein Denken, einem zitternden Schwingen aller Sinne Raum lassend, erlosch. Einmal fuhr er auf, als bei einer hastigen Bewegung der Masse sich der Dolch stechend an seine Brust spießte, doch verfiel er, den Störenfried zurechtrückend, sofort wieder in seinen früheren Zustand.

Jedes Gefühl für Zeit war ihm abhandengekommen und so war er fast unwillig, als sich, nach Durchschieben des Tores, die Menge wie ein, zwischen Felsen ins Flachland herausschießender Strom, fächerförmig sich voneinander lösend, in das Innere der königlichen Palastgärten ergoss.

Jetzt sah Marduk erst die lange, in der Schau immer enger zusammenrückende Doppelreihe von lodernden Fackeln, die in unsichtiger Ferne verlief und nach rechts und links breite Lichtbänder in das fürchterliche Dunkel zwischen den hohen schwarzen Baumriesen sandte, während die gepflasterte breite Mittelstraße in grellrotem Glaste wie ein Blutstrom floss. finstere Schlagschatten, mit Rändern abgestufter Schwärze, lagen kreuz und quer auf unbestimmt hervorleuchtenden flächen, Beeten und Zweigstraßen und rührten von hohen Bildsäulen, ehernen Masten und massigen Steintafeln her. Höher oben schimmerten die, der Straße zugekehrten, flächen der Baumkronen in körnigem, von dunklen flecken unterbrochenem Rot, und ganz oben am Himmel lugte eine kraftlose Mondsichel verschwommen durch dicke Nebel.

Marduk war plötzlich, vielleicht das erste Mal im Leben, vom Gefühle der Verlassenheit beschlichen. Der nie betretene Boden unausgedachter Kinderwünsche, in dem sich zwar die Einbildungskraft, nicht jedoch die Wirklichkeit heimisch fühlen konnte und das unvermittelte Losreißen aus dem wohligen Versinken in bebendem Frauenfleisch, hatte diese Regung in ihm erzeugt. Ein ekles Gefühl zog durch seine Eingeweide und seine Kniee begannen zu zittern. Dumpfer Traurigkeit voll, hätte er am liebsten einen der vielen Teilnahmslosen beim Zipfel des Gewandes gefasst, sich an ihn geklammert und, mit ihm zusammen, den weiteren Weg vollendet. Doch legte sich bald mit bleischwerer Hand das tiefe Schweigen Sodoms auf seinen Willen und trieb ihn abseits an den Rand der Straße.

Niemand beachtete ihn. Er hatte zwar eben von einem Reiter der Palastwache gehört, dass die Menschen entlang der Straße wandern, hierauf nach rechts biegen und schließlich beim Tore, das gegen Niedergang lag, die Gärten wieder verlassen müssten, wenn anders sie nicht fürchterliche Strafe auf sich nehmen wollten, indem sie dann behandelt würden wie die gefangenen Feinde. Er hatte auch gesehen, dass man zwei Männer, die, ungeachtet des Verbotes, gegen die Paläste vordringen wollten, gefesselt fortschleppte und dass es ihnen nichts nützte, wenn sie sich stumm unter den Stricken bäumten. Doch er war Marduk, und das Unglück ging bloß andere an: Diese Erfahrung hatte er schon einige Male gemacht.

Deshalb beschloss er, sich das zu besehen, was auch in den offenen Gärten verschlossen lag und tauchte gleitend in das Dunkel, gegen Aufgang zu, in die Richtung, wo der Strom sein musste. Finsternis war ihm stets ein freundlicher Gespiele; darum gewann er schnell Boden und stand nach kurzer Zeit an einem grauenhaften Teiche, der, halb ausgetrocknet, in schlammiger Schwärze starrte und in dessen Wassern sich zitternd der fahle Mond als grünlich weißer Fetzen spiegelte. Um den Teich standen, in unnatürlich regelmäßigen Abständen, kreisförmig, hohe Bäume.

Marduk keuchte unterdrückt vom schleichenden Laufe. Er wollte sich erfrischen. Deshalb rutschte er behutsam zum Wasserspiegel hinab und tauchte seine Hände in die Flut: Doch sie fanden keine Kühlung, im Gegenteil, heiß und schwarz befleckt vom Schlamme, zog er sie heraus.

Da presste er seine wogende Brust ins dampfende Gras und rieb seine Hände an großen Blättern rein, obwohl deren Oberfläche mit brennenden Borsten bedeckt war.

Als er so dalag, blinzelte, gegen den Strom zu, ein Lichtschimmer für kurze Zeit zwischen den Bäumen hindurch; sollte der von den Palästen herrühren? Jedenfalls hatte der Knabe jetzt ein Ziel für seine weitere Wanderung.

Er stand also auf und ging zuerst um den Teich herum, in dem jetzt, mit gurgelndem Geplätscher, ein Fisch ins Mondlicht schnellte und für einen Augenblick als silberner Fleck in all der Schwärze hing. Dann musste er sich durch dornige Gebüsche zwängen, wo sich ein mächtiger Bluthund aus lauernder Stellung erhob, ihn beschnupperte und seinen Kopf dann sonderbarerweise wieder, zufrieden brummend, mit heraushängender Zunge auf die Vorderpranken legte.

Marduk nahm dieses Erlebnis als Zeichen und war kühner. Zudem merkte er, dass die sehnigen und sicheren Tritte seiner nackten Sohlen, auch bei aufrechtem Schreiten, keinerlei Geräusch verursachten. So näherte er sich, stets rascher vordringend, dem Lichtscheine.

Zu seiner Linken öffnete sich plötzlich ein Durchblick auf einen weiten, rot überglühten Platz, und in all ihrer wuchtigen Pracht lagen die riesigen Würfel der Paläste, zugänglich seiner gierigen Schau. Mächtige Wölbungen, klotzige Säulen, reich verzierte Zinnen türmten sich übereinander, und aus den Fenstern drang strahlendes Licht. Dahinter saß wohl Ramman der Gewaltige und schwelgte, angetan in edelsteinüberschüttete Gewänder, in den grenzenlosen Genüssen grenzenlosester Allherrschaft. Heute, an dem Tage, da an den mitternächtigen Grenzen seine Nebenbuhlerin schon in Schutt und Asche lag. Und um Ramman saßen alle die Großen und Günstlinge und blickten, kaum weniger prächtig als er, gespannt auf seine Mienen, in deren Zucken nunmehr das Schicksal der Welt lag. Und die Sprüche dieses Orakels rissen Sechstausenden die Eingeweide aus zerschlitzten Rümpfen.

Bald hatte sich Marduk an verbotenstem Anblicke satt gesehen. Wer ist Ramman? lachte und grinste es ohne Unterbrechung in seiner Brust. Wer ist Ramman? pochte sein ganzer Körper: Macht von Menschen, Staubes Ohnmacht, so fühlte er dumpf, er, der Knabe, doch Raubtier ohnegleichen.

Es zog ihn wieder gegen den Lichtschein, den er zuerst, vom Teiche her, wahrgenommen hatte. Das war dort kein Palast, dieses Feuer brannte vielmehr nahe der flachen Erde und beleuchtete irgendwas, von dem er sich umwälzende Erkenntnis versprach.

Er kehrte den Palästen den Rücken und schritt in die Richtung des Mittags. Wieder umschattete ihn ein Hain, doch waren es diesmal nicht mehr üppige Bäume, sondern Palmen mit siegelbedeckten narbigen Stämmen, zwischen deren Schäften mannshohe Farne ihre gefiederten Blätter in schlanken Bogen auseinanderwölbten. Tiefe Finsternis umfing ihn und tiefes Schweigen, bis plötzlich ein singendes Sausen durch die Luft schrillte und in dumpfem, prallenden Klatschen endete. Unwillkürlich griff er an den Dolch und umspannte pressend den Griff, dass ihm schmerzend das Blut aus der Hand wich. Dann gab er seinem Körper einen scharfen Ruck und teilte die letzten Farne, die ihn noch vom Lichte trennten.

Er stand neben einem ungeheuren Grünsteinblock, um dessen Seiten spiegelblanke Reliefs im Scheine von vielleicht zwanzig lodernden Fackeln erglänzten, die, an den Spitzen eherner Ständer, einen glatten viereckigen Raum umgaben. Knapp vor ihm streckten sich die Waden zahlreicher Bogenschützen und ließen das Muskelspiel säulendicker Kraftmassen zucken. Eiserne Arme hielten Bogen und Pfeil, und mit lautlosem Rucke straffte sich die Sehne und zog sich nach hinten in den rechten Winkel, während der Nacken den vorgebeugten Kopf zu verschlingen schien.

Wieder schrillte das singende Sausen, wieder klatschte es zischend irgendwo weit drüben, und eine wuchtige, grausig gegliederte Hand griff lässig in den Köcher, um die Federn eines neuen Pfeiles zu erfassen, wobei sich das Haupt, mit einem zwiebelförmigen Topfhelme bedeckt, leicht nach rückwärts neigte.

Soviel konnte Marduk sehen. Dann blendete ihn das entwöhnte Licht und er blickte, um seinen Augen Rast werden zu lassen, starr auf den Dioritblock. Doch nur kurze Zeit. Denn bald streckte er, wie abwehrend, die Hand gegen das Relief und verkrallte sich an den Stein, als seine Finger die Fläche erreichten.

Wie durch lautes Dröhnen, hörte er noch ab und zu das Singen und Prasseln der Pfeile, dann sank er schlaff in die Kniee, zurückgebeugten Kopfes, die hervorquellenden Augen stierend auf ein scheußliches Bild geheftet:

Hoch auf den Hinterbeinen aufgerichtet, schritt ein bauchiges Ungetüm mit fürchterlichen Krallen an den Pranken seiner steifen, von strotzenden Sehnen der Länge nach gestreiften Beine. Derbhäutige Flügel spannten sich an seinem Rücken zu einem gespreizten Fächer. Wie auf dem Rückzuge begriffen, ließ es die linke Vorderpranke nach unten hängen, während es mit der rechten zu einem schmetternden Schlage, über seine Achsel hinweg, ausholte; wie auch der Kopf – und der barg den Gipfel des Schrecklichen – über die Achsel nach rückwärts glotzte, mit grauenvoll runden, gläsernen Augen den Verfolger erwartete und den Rachen, im Ober- und Unterkiefer reißzahnbewehrt, aufsperrte, sodass man das tobende Fauchen des halb geschlagenen Unholdes fast hörte. Die Katzenohren, die wulstige Unterlippe und die vorspringenden Nüstern erhöhten noch all das Grässliche.

Und, hinter dem Fabelwesen her, jagte ein lichter Genius mit einem herrlichen Menschenantlitze.

Doch nicht das Dargestellte hatte Marduk so urgewaltig ergriffen; nein! Schleier begannen sich vor seinen Augen zu senken, nebelhafte Schleier, die nebelhafte Kindheit bisher verdeckt hatten. So zog der, bereits anderswo erlebte Anblick des Steinblockes, stetig klarere Bilder in sein Gedächtnis, bis endlich hell und eindeutig die Vergangenheit dastand:

Tagelang war wüster Lärm über der Stadt gelegen, die nicht wie Sodom, von weiten Ebenen umgeben, einen breiten, stillen Fluss umklammerte, sondern, nahe an hochragenden Bergen, sich steil hinaufschwang und an rauschenden Gebirgsströmen frische Lüfte und Waldatem trank. Wüster war das Lärmen geworden, gehört hatte er, wie Feuersbrünste prasselten und Balken stürzten, gesehen, wie Weiber und Kinder, mit Habseligkeiten beladen, in Scharen hinauf in die Berge flohen, während die Männer, blutige Schwerter in den Händen, zu den Wällen rannten. Dann jedoch war es still geworden, und Marduk hatte sich in tiefe unterirdische Gewölbe, wo feuchte Schwaden von den moosigen Wänden träuften, verkrochen.

Nach endlosen Stunden war er wieder hinaufgeschlichen. Finsternis lag überall, kein Laut regte sich. Er rannte durch wohlbekannte Straßen: Die Stadt war tot. An mancher Ecke glaubte er einen bleichen Mann, gehüllt in schwarze Gewänder, an der Wand lehnen zu sehen, aus manchem Fenster streckte eine stumme Gestalt magerste Arme in abgrundtiefer Verzweiflung. Doch als er näher kam, hatten sich stets die nächtlichen Kobolde in Nichts aufgelöst. Endlich, als seine kleinen Beine ihn schon fast nicht mehr weiterschleppen konnten, hatte er, matt erleuchtet, drei Bogentüren erblickt: größer die mittlere als die zwei, nahe gerückten, seitlichen.

Da begann er zu rennen und stieß wild die Türe auf, um im nächsten Augenblicke in Grauen zu erstarren. Denn im hellen Raume saß auf einem breiten Thronsessel, rechts und links mit flügellöwen als Lehnen, ein Mensch, größer als sonst Menschen sind, mit einem viereckigen Kopfe, an dem die Kiefer fletschend vorsprangen und zermalmende Reihen spitziger Zähne blinkten. Die Augen jedoch waren klein und stechend. Über und über war der Riese mit langen, lohgelben zottigen Haaren bedeckt, die von seinem vollends nackten Körper strähnig herabhingen. »Weile, mein süßer Marduk!« grinste das Scheusal.

»Weile ein wenig! Ich will dich ja bloß betrachten. Bist mir noch zu klein und zähe. Erst wenn eine stärkere Sonne deine Glieder schwellen machte, will ich dich verspeisen!«

Und so musste Marduk, gebannt von mitleidlosesten Augen, viele Stunden an seiner Stelle stehen und fühlen, wie der Riese ihm Muskel für Muskel in Gedanken von den Knochen löste.

Als endlich, erlösend, wieder Lärm zu toben begann, war der Behaarte im Hintergrunde des Raumes durch irgendeinen Gang verschwunden, bärtige Krieger hatten mit Beilen die splitternde Türe erbrochen, beim Anblicke des verlassenen Knäbleins wiehernd gelacht, es in Tücher gewickelt, gelabt und weit fortgeschleppt, weit – weit!

Dann erst war er zur Wanne mit den widerlichen fischen im Nebengässchen Sodoms, der brausenden, siedenden, schweigenden Stadt gekommen. –

Da löste Marduk seinen Blick vom glänzenden Grünsteinblöcke und sah wieder die starren Bogenschützen. Doch, an die Helligkeit gewöhnt, spähte er über sie hinweg bis dorthin, wo, dem Beschauer gegenüber, die Fackeln auf dem Hintergrunde einer schwarzen Baumwand lohten. Mit den Weichen auf spitze Pfähle gespießt, schlotterten dort, Arme und Beine schlaff baumelnd, die Köpfe zur Seite geneigt, unter den Treffern wohlgezielter Pfeile, entseelte Feindesleiber. Doch was war das? Was war jenes Ächzen aus der tiefer liegenden Schattenzone? Regte sich nicht dort noch lebendiges Fleisch? Waren dort nicht Menschenleiber an Pfähle gebunden, die den ersten zischenden Pfeil erst erwarteten?

Er musste sich Gewissheit verschaffen! Und jedes Mal, wenn wieder ein Pfeil in einen Gepfählten einschlug, machte er, dem Umkreise des Platzes folgend, einige Sprünge, bis er an einen weichen Körper stieß.

Er blickte auf: Zu Häuptern torkelten, gespickt von Pfeilen, die Gespießten, und an einem niedrigen Pflocke war, bestialisch angeschnürt, ein splitternacktes Weib ausgespannt, deren Brüste sich unter der Pressung der Stricke weit hinauswölbten. Ihr Kopf war an den Haaren nach rücklings gestrafft und ihr Mund geknebelt. Wie Seide glänzte ihre bräunliche, vom Fackelscheine gerötete Haut.