Someone Else - Laura Kneidl - E-Book

Someone Else E-Book

Laura Kneidl

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Beschreibung

Ist ein Moment des Glücks wirklich den Preis unserer Freundschaft wert?

Eigentlich könnten Cassie und Auri das perfekte Paar sein: Sie sind beste Freunde, wohnen zusammen und teilen ihr größtes Hobby - die Fantasyliteratur. Und obwohl Cassie das Gefühl hat, dass niemand auf der Welt sie besser kennt als Auri, scheinen die beiden manchmal Welten zu trennen. Während Auri Football spielt, viele Bekanntschaften hat und gern unter Menschen geht, zieht Cassie sich lieber von der Außenwelt zurück und pflegt einen kleinen, aber engen Freundeskreis. Doch je mehr Zeit vergeht und je stärker ihre Gefühle für Auri werden, desto größer ist ihre Angst, dass das, was sie und Auri verbindet, vielleicht nicht so stark ist wie das, was sie trennt ...

"Ein so wichtiges, ehrliches und authentisches Buch, das ich am liebsten jedem ans Herz legen würde." FOXY BOOKS über SOMEONE NEW

Die SOMEONE-Reihe von Platz-1-SPIEGEL-Bestseller-Autorin Laura Kneidl:

1. Someone New

2. Someone Else

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Seitenzahl: 519

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Motto

Playlist

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

Epilog

Danksagung

Leseprobe

Die Autorin

Weitere Romane der Autorin bei LYX

Impressum

LAURA KNEIDL

Someone Else

Roman

Zu diesem Buch

Wenn Cassie sich einer Sache sicher ist, dann der, dass sie Maurice Remington liebt, wie sie noch nie zuvor einen Menschen in ihrem Leben geliebt hat. Er ist nicht nur ihr bester Freund und Mitbewohner, sondern er teilt auch ihre Leidenschaft für Fantasyliteratur, LARP und Cosplays. Doch Cassie weiß, dass es keine Garantie dafür gibt, dass ihre Freundschaft für immer hält – egal, wie tief sie auch reichen mag. Denn die Gemeinsamkeiten, die sie und Auri verbinden, sind so zahlreich wie die Unterschiede, die sie trennen: Während Auri ein Footballstar an der Uni ist, gern auf Partys geht und viele Bekanntschaften hat, zieht Cassie sich lieber von der Außenwelt zurück und pflegt einen kleinen, dafür aber engen Freundeskreis. Auri ist offen für neue Dinge und möchte die Welt sehen – Cassie ist zufrieden damit, ihre Abende mit ihrer Lieblingsserie auf der Couch zu verbringen. Und trotzdem ist Cassie machtlos gegen die Art und Weise, wie ihr Herz schneller schlägt, wenn sie in Auris Nähe ist. Und je intensiver ihre Gefühle werden, desto mehr muss sie sich fragen, ob sie bereit ist, den entscheidenden Schritt zu gehen und ihre Freundschaft aufs Spiel zu setzen …

Für alle, die dabei sind, sich selbst zu finden.

»Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben.«

Anabelle Stehl

Playlist

Aftertheparty – Someone Else

Billie Eilish – wish you were gay

Queen – Somebody To Love

Matt Maeson – Cringe (Stripped)

Jess Glynne – I’ll Be There

Billie Eilish feat. Khalid – lovely

Melanie Martinez – Too Close

Florence + The Machine – Big God

Taylor Swift – Afterglow

Lukas Graham – Love Someone

Halsey – Bad At Love

Marcin Przybyłowicz und Percival – The Song Of The Sword-Dancer

Hozier – Say My Name

Lizzo – Cuz I Love You

ZAYN – PILLOWTALK

Halsey – Without Me

Aaliyah – Miss You

Selena Gomez – Lose You To Love Me

Billie Eilish – when the party’s over

Camila Cabello – Something’s Gotta Give

Sleeping At Last – Neptune

Hozier – Almost (Sweet Music)

Adele – Make You Feel My Love

Taylor Swift – Lover

1. Kapitel

Liebe Cassandra,

wirfreuenuns,dassduTeilderdiesjährigenSciFaConseinwirst.EswartenspannendePanels,interessanteVorträgeundabenteuerlicheWorkshopsaufdich.DeinTicketfindestduimAnhang.Vergissnicht,esauszudruckenundmitzubringen.BeiFragenhilftdirunserTeamjederzeitgerneweiter!

Ich stieß ein Quietschen aus und zappelte aufgeregt in meinem Bett herum – meine Version eines Freudentanzes. Seit dem gestrigen Abend hatte ich die Bestätigungsmail zu meinem Ticketkauf mindestens zehnmal gelesen, und jedes einzelne Mal schlug mein Magen vor Freude Purzelbäume.

Ich konnte es immer noch nicht glauben. Endlich würde ich eine SciFaCon besuchen! Seit ich denken konnte, wollte ich auf die Convention gehen, bei der sich alles um das fantastische Genre dreht, egal ob in Film, Serie, Buch, Game oder Spiel. Doch in der Vergangenheit hatte es nie geklappt. Entweder hatte es mir an Zeit, Geld oder Freunden gefehlt, die mich begleiten wollten. Und das eine Mal vor zwei Jahren, als ich tatsächlich hatte gehen wollen, hatte mir das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Dieses Jahr aber würde es klappen. Schon in wenigen Wochen würde ich gemeinsam mit Auri, meiner besten Freundin Micah und ihrem Freund Julian einen Ausflug nach Seattle unternehmen. Und das bedeutete, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb, um mein neues Cosplay zu schneidern.

Eilig schloss ich das Mail-Programm auf meinem Handy und wechselte in die Twitch-App. Der Stream von TRGame war inzwischen geladen.

TR war meine Lieblings-Gamerin, und nachdem Auri und ich beschlossen hatten, gemeinsam ein Hexer-Cosplay zu machen, musste ich mir ihr Let’s Play von TheWitcher3:WildHunt einfach anschauen. Auri würde als Geralt von Riva gehen, ich als Ciri. Allerdings war ich mir noch nicht sicher, ob ich mein Kostüm der Game-Ciri oder der Buch-Ciri anpassen wollte. Auri hatte sich ganz klar für den animierten Geralt entschieden, vermutlich weil dieser meist nicht nur eines, sondern zwei Schwerter auf dem Rücken trug. Ich hatte dagegen nichts einzuwenden, denn ich konnte mir weitaus Schlimmeres vorstellen als Auri in einer hautengen Ledermontur.

Noch mehr als auf seinen Anblick freute ich mich allerdings auf die gemeinsame Zeit mit ihm. Vom ersten Schnittmuster über das Nähen bis hin zur Fertigstellung unserer Kostüme konnten hundert oder mehr Stunden vergehen. Zwar verbrachten wir auch im Alltag viel Zeit miteinander, da wir uns nicht nur eine Wohnung teilten, sondern auch beste Freunde waren, aber das war etwas anderes. Gemeinsam auf der Couch zu lümmeln und dabei die zehnte Wiederholung von Buffy – Im Bann der Dämonen zu schauen, war nicht das Gleiche, wie zusammen an einem Projekt zu arbeiten, für das wir beide Feuer und Flamme waren.

Am liebsten hätte ich direkt losgelegt und den nächsten Stoffladen gestürmt, aber solch aufwendige Kostüme mussten gut durchdacht sein. Anderenfalls würden Auri und ich Unmengen an teurem Stoff kaufen, den wir am Ende überhaupt nicht brauchten. Zwar wurden wir beide finanziell von unseren Familien unterstützt, und Auri besaß zudem ein Football-Stipendium, dennoch war Geld – wie vermutlich bei den meisten Studenten – immer ein Thema, vor allem nun, da Julian ausgezogen war und bei Micah wohnte.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf das Let’s Play von TRGame, die gerade für eine Spielfrequenz in Ciris Körper geschlüpft war. Immer wieder drückte ich auf Pause, studierte ihr Outfit und glich es mit den Bildern aus dem Internet ab, die ich mir zur Vorlage ausgedruckt hatte. Parallel machte ich mir Notizen und überlegte bereits, wie ich die einzelnen Elemente ihres Kostüms kostengünstig nachstellen könnte.

Ich war ganz in meine Arbeit vertieft, als mich ein Klopfen aus meinen Gedanken riss.

Benommen blickte ich auf, als die Tür zu meinem Zimmer bereits geöffnet wurde. Das machte Auri immer. Er kündigte sich mit einem Klopfen an, wartete aber nie darauf, hereingebeten zu werden. Was er nicht aus Ungeduld oder Respektlosigkeit tat, sondern weil er mich kannte und wusste, dass er immer willkommen war. Wenn ich wirklich ungestört sein wollte, schloss ich meine Tür ab.

»Hey.« Ich richtete mich in meinem Bett auf.

Wie jedes Mal, wenn mein Blick auf Maurice Remington fiel, machte mein Herz einen verräterischen Satz. Doch mittlerweile war ich geübt darin, die Gefühle, die ich für meinen besten Freund hegte, zu ignorieren. Sie waren wie das Rauschen der Autos, die nachts unter meinem Schlafzimmerfenster vorbeifuhren. Ich konnte sie hören, aber solange ich das Fenster geschlossen hielt, war es mir dennoch möglich, friedlich zu schlafen.

Auri musterte mich stirnrunzelnd. »Du bist ja noch gar nicht umgezogen.«

Ich sah an mir herab und stellte fest, dass ich mich zwar aus meinem Schlafanzug geschält hatte, stattdessen aber nur mein übliches Zuhause-Outfit trug: eine gemütliche Yogahose und ein übergroßes T-Shirt, das früher Auri gehört hatte. Es war schwarz mit verwaschenem Printmotiv auf der Brust, welches das Logo einer Footballmannschaft zeigte. Ich hatte es vorne verknotet, damit es mir nicht um die Beine schlackerte.

»Micah und Julian warten bestimmt schon auf uns.«

Ich zog die Augenbrauen zusammen und durchforstete mein Gedächtnis nach der Verabredung, die ich anscheinend vergessen hatte. Allerdings war ich mir nicht einmal sicher, welchen Wochentag wir hatten. Die Semesterferien hatten begonnen, und ich hatte mich dazu entschieden, keine Sommerkurse zu belegen. Was bedeutete, dass ich freihatte und mit meiner Zeit anstellen konnte, was ich wollte. Es warteten weder Abgabetermine noch Seminare auf mich. Ich war frei von akademischen Verpflichtungen, und das war herrlich. Auch wenn es zur Folge hatte, dass ich jegliches Zeitgefühl verlor.

Mein Blick zuckte zu dem Wecker neben meinem Bett.

Auri seufzte, wirkte dabei jedoch nicht genervt, sondern vielmehr von meiner Planlosigkeit belustigt. Anders als meine Tage waren seine akribisch durchgetaktet – vom frühmorgendlichen Footballtraining bis hin zum abendlichen Work-out. Und in der Zeit dazwischen besuchte er Kurse, um Credits zu sammeln.

»Wir wollten auf den Flohmarkt im Park.«

Ich verzog die Lippen zu einem entschuldigenden Lächeln. Nun erinnerte ich mich. Micah und Julian wollten nach Sachen für ihre gemeinsame Wohnung stöbern und hatten gefragt, ob wir mitkommen wollten, um ihnen wenn nötig beim Tragen helfen zu können.

»Gib mir zehn Minuten.«

»Mhm«, brummte Auri, als würde er meine Zeitangabe für vollkommen utopisch halten, und schloss die Tür hinter sich.

Ich sprang aus dem Bett. Eilig huschte ich ins Badezimmer. Für eine ausgiebige Dusche blieb zwar keine Zeit mehr, aber ich wollte mich dennoch kurz abbrausen. Dieser Sommer war verdammt heiß, und ich schwitzte bereits nur vom Herumliegen. Meine Haare, die im nassen Zustand mehr braun als rot schimmerten, steckte ich mit einer Klammer hoch; anschließend putzte ich mir die Zähne, da ich mir nicht sicher war, ob ich es am Morgen bereits gemacht hatte. Auf Make-up verzichtete ich, da es eh nur eine Frage der Zeit war, bis der Schweiß es mir vom Gesicht schwemmen würde.

In ein übergroßes Handtuch gehüllt, flitzte ich an Auri vorbei zurück in mein Zimmer. Hastig trocknete ich mich ab und schlüpfte in frische Unterwäsche, ehe ich meinen Kleiderschrank mit der schiefen Tür öffnete. Auri und ich hatten ihn vor zwei Jahren gemeinsam aufgestellt und vermutlich irgendwo eine Schraube falsch befestigt. Wir hatten uns nie die Mühe gemacht, den Schönheitsfehler zu korrigieren.

Ich entschied mich für ein geblümtes Kleid aus Leinen mit halblangen Ärmeln, die bis über die zwei kleinen weißen Geräte reichten, die an meinen Oberarmen festgeklebt waren. Ich liebte die Teile heiß und innig, da sie mich mit Insulin versorgten und meinen Blutzucker maßen, ohne dass ich mich selbst mehrfach täglich mit einer Nadel stechen musste wie in den ersten Jahren nach meiner Diabetes-Typ-1-Diagnose. Aber sie sahen nicht gerade hübsch aus und luden die Leute dazu ein, mich anzustarren oder mir unangemessene Fragen zu stellen.

Nachdem ich mich angezogen hatte, packte ich meine Tasche und kontrollierte sie auf das Wichtigste: Geldbeutel, Schlüssel, Handy, das mir auch als Messgerät diente, die Pumpe, die mein Insulin steuerte, Traubenzucker und das manuelle Notfallset, sollte die Technik versagen. Die vollgestopfte Tasche über der Schulter, ging ich ins Wohnzimmer.

Auri saß auf der Couch und sah gebannt auf sein Handy, ohne meine Anwesenheit zu bemerken. Er hatte die Augenbrauen in tiefer Konzentration zusammengezogen und seine Unterlippe nachdenklich vorgeschoben.

Sein Gesicht war so vielseitig wie er selbst, denn in seinen Zügen spiegelten sich seine beiden Seiten wider. Der markante Kiefer, die breite Nase und die kurz geschorenen schwarzen Haare symbolisierten den muskulösen Sportler, der auf dem Spielfeld keine Gnade kannte und schonungslos auf seine Gegner losging. Seine vollen Lippen und sanften braunen Augen zeigten hingegen seine zärtliche Seite, die uns zu Freunden machte und mit der er sich in mein Herz geschlichen hatte. Kombiniert bildeten diese Seiten einen aufregenden Kontrast, der es mir stets schwer machte, den Blick von Auri abzuwenden.

Ich tat es dennoch, bevor er mich beim Starren ertappen konnte, und entdeckte, dass er sich gerade ein Bild von Geralt auf dem Handy anschaute. Unweigerlich musste ich schmunzeln. Offenbar war ich nicht die Einzige, die es kaum erwarten konnte, mit ihrem Kostüm loszulegen.

»Fertig!«, verkündete ich, um Auri auf mich aufmerksam zu machen.

Er hob den Kopf und musterte mich. »Ist das Kleid neu?«

»Ja, und es hat Taschen«, antwortete ich begeistert und schob demonstrativ meine Hände hinein, glücklich darüber, dass ich dieses Schmuckstück im Laden gegenüber von meinem Diabetologen entdeckt hatte. An der Schaufensterpuppe hatte der Rock für meinen Geschmack etwas zu kurz ausgesehen. Aber da ich die eins fünfundfünfzig nur mit lang gerecktem Hals erreichte, fiel es an mir etwas größer aus.

»Es steht dir gut«, sagte Auri mit einem Lächeln, bei dem mir so warm wurde, dass die Versuchung, das geschlossene Fenster, das meine Gefühle für ihn draußen hielt, zu öffnen, ziemlich groß wurde.

»Danke«, erwiderte ich. Hoffentlich schob er die Röte meiner Wangen auf die Hitzewelle, die Mayfield bereits seit Tagen plagte.

Auri stand von der Couch auf, und gemeinsam traten wir in den Hausflur.

Da Micah und Julian noch nicht auf uns warteten, klopfte ich an die benachbarte Wohnungstür.

Ich war froh, dass Micah das Apartment nach dem großen Streit und dem Bruch mit ihren Eltern nicht aufgegeben hatte. Ich hätte es vermisst, nicht mehr neben ihr zu wohnen. Sie war innerhalb kürzester Zeit zu meiner besten Freundin geworden. Es fühlte sich an, als würden wir uns nicht erst seit zehn Monaten, sondern bereits seit zehn Jahren kennen. Mir war noch nie ein herzlicherer Mensch begegnet als sie, und es war schön, sie jederzeit spontan besuchen zu können, ohne dafür einen langen Weg auf sich nehmen zu müssen.

Schritte erklangen hinter der Tür, die kurz darauf von Julian geöffnet wurde. »Hey.«

»Sorry, wir sind spät dran«, sagte ich.

»Kein Stress, Micah ist auch noch nicht fertig.« Er warf einen flüchtigen Blick über seine Schulter in Richtung Arbeitszimmer, das ich vor einigen Wochen gemeinsam mit Micah eingerichtet hatte. »Kommt rein. Es kann sich nur noch um Stunden handeln. Sie hatte eine Idee für die Albtraumlady.«

Ich wandte mich an Auri. »Siehst du, ich hätte mich gar nicht so beeilen müssen.«

»Dafür bist du jetzt fertig und kannst entspannt mit auf Micah warten«, erwiderte er und legte mir eine Hand auf den Rücken, um mich sanft in die Wohnung zu schieben.

Die Berührung war kaum zu spüren, dennoch brachte sie meinen gesamten Körper zum Kribbeln. Es war ein angenehmes und dennoch verhasstes Gefühl. Ich hätte beinahe alles gegeben, um es loszuwerden. Schon dutzende Male hatte ich mir all die Dinge aufgezählt, die zwischen Auri und mir standen und dagegensprachen, unsere Freundschaft gegen eine andere Art von Beziehung einzutauschen. Doch mein verfluchtes Herz wollte nicht hören.

Erleichtert atmete ich auf, als Auri seine Hand von meinem Rücken nahm, um Laurence, Julians Kater, zu begrüßen. Er hatte das Tier vor rund einem Jahr aus einem Müllcontainer gerettet, und aus dem kleinen Flauschball war inzwischen ein großer Kater mit struppigem Fell geworden. Schnurrend drückte er sich gegen Auris Beine, während er sich von ihm den Kopf kraulen ließ.

Obwohl Auri stets betonte, ein Hundemensch zu sein, hatte er einen guten Draht zu Laurence, und der Kater liebte ihn. Anders als mich. In den ersten Wochen hatte er immer einen großen Bogen um mich gemacht. Irgendwann war es besser geworden, und er ließ sich von mir streicheln, aber wenn der Kater die Wahl zwischen Julian, Micah, Auri und mir hatte, kam ich immer an letzter Stelle. Ich versuchte, das nicht persönlich zu nehmen. Es war mein Geruch, der manche Tiere verunsicherte, eine Nebenwirkung meiner Erkrankung und des Insulins. Menschen konnten diesen Duft nicht wahrnehmen, aber gerade Katzen reagierten oft empfindlich darauf.

»Möchtet ihr was trinken?«, fragte Julian, der bereits am Kühlschrank stand.

»Ein Wasser wäre lieb.«

»Für mich nichts«, antwortete Auri, der sich auf den Boden gesetzt hatte, um mit dem Kater zu spielen. Er hatte eine Katzenangel gefunden, die er wild über den Boden zucken ließ, während Laurence aufgeregt versuchte, das plüschige Ende zu fangen.

»Sucht ihr auf dem Flohmarkt nach etwas Bestimmtem?«

»Nein, wir wollen uns einfach inspirieren lassen«, antwortete Julian. Er reichte mir ein gekühltes Wasser und lehnte sich gegen den Küchentresen. Das braune Haar fiel ihm in dichten Wellen in die Stirn. »Ein paar Ecken in der Wohnung sind noch ziemlich leer, und es wäre auch schön, wenn wir vielleicht ein paar Bilder finden würden, die uns beiden gefallen, anstatt mit diesem Kompromiss leben zu müssen.«

Ich nickte verständnisvoll. Die Wände in der Wohnung sahen aus, als wären sie gemeinsam von einem Zehn- und einem Achtzigjährigen dekoriert worden. Elegante Schwarz-Weiß-Fotografien von Hochhäusern in ihrer Entstehungsphase und raffinierte Aufnahmen von Städten aus der Vogelperspektive wechselten sich ab mit Plakaten von Deadpool und zahlreichen anderen Superhelden, die einen mit entschlossenem Blick betrachteten. »Falls ich etwas entdecke, das euch gefallen könnte, gebe ich Bescheid.«

»Danke«, sagte Julian mit einem Lächeln, das seine Grübchen zum Vorschein brachte.

Dies war noch immer ein ungewohnter Anblick. Im ersten Jahr nach unserem Kennenlernen hatte ich ihn nie lächeln sehen, und wenn doch, hatte es bitter gewirkt. Inzwischen hatte sich das geändert. In den vergangenen Monaten hatte Julian hart an sich gearbeitet und daran, die Dämonen zu vertreiben, die ihn plagten, seitdem er von seiner Familie und seinen Freunden in Idaho verstoßen worden war.

Lange Zeit hatten Auri und ich nicht gewusst, was es mit Julians Distanziertheit auf sich hatte. Wir hatten angenommen, dass er uns einfach nicht mochte – bis er uns in einem Brief alles erklärt hatte. Seit diesem Tag hatte sich viel verändert, und aus unserer Bekanntschaft zu Julian war eine echte Freundschaft entstanden.

Ich setzte mich Julian gegenüber auf die Anrichte. »Wie läuft das Praktikum?«

»Gut, aber es gibt viel zu tun. Wir arbeiten gerade auf eine große Deadline für ein Einkaufszentrum hin. Diese Woche war ich jeden Tag zwölf oder dreizehn Stunden im Büro, und trotzdem habe ich mir fürs Wochenende noch Arbeit heimgebracht.« Er deutete auf einen Stapel Ordner, die auf dem Couchtisch lagen. Zahlreiche Klebezettel und Notizen ragten zwischen den Seiten hervor.

»Du arbeitest zu viel.«

Er seufzte. »Ich weiß, aber vermutlich wird es eher mehr, bevor es weniger wird.«

»Bitte sag mir, dass du zumindest mit Ricky geredet hast.«

Julians Seufzen wurde von einem Schnauben abgelöst. »Du klingst schon wie Micah.«

Abwartend sah ich ihn an, denn er hatte nicht das gesagt, was ich von ihm hören wollte. Er hatte schon immer viel gearbeitet, zu Höchstzeiten in drei Jobs gleichzeitig, und das neben dem Studium. Ich hätte niemals geglaubt, dass eine Zeit kommen würde, in der er noch mehr schuftete. Kein Mensch war für Achtzigstundenwochen gemacht.

»Ja, ich habe mit Ricky geredet«, sagte Julian schließlich. Er lehnte sich zurück und streckte die Arme über dem Kopf aus, als wären seine Muskeln steif von den vielen Stunden, die er im Büro gesessen hatte. »Er war nicht gerade glücklich zu hören, dass ich für ein paar Wochen ausfalle, zumal er so kurzfristig keinen Ersatz für mich bekommt. Falls du für den Sommer also noch einen Aushilfsjob suchst, ich schlage dich gerne vor. Ricky wird sich freuen, wenn ich ihm eine fähige Aushilfe auf dem Silbertablett serviere.«

»Woher weißt du, dass ich fähig bin?«

»Kannst du ›Hallo‹ sagen und weißt, wie ein Telefon funktioniert?«

Ich zog die Stirn kraus. »Ja.«

»Siehst du: fähig. Es ist nur ein Job am Empfang, du musst die Leute nicht tätowieren.«

»Ich weiß nicht …«

»Komm schon!« Flehentlich sah Julian mich an.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Du willst mir den Job nur andrehen, um dein Gewissen zu erleichtern.«

»Na und? Ich erleichtere mein Gewissen, du stockst deine Cosplay-Kasse auf. Win-win.«

Ich stutzte. Der Gedanke war mir noch gar nicht gekommen. Ich hatte kein Problem damit zu arbeiten. Meine gesamte Schulzeit über hatte ich in einem Laden für Bastelbedarf gejobbt. Aber meine Eltern hatten darauf bestanden, die Kosten für mein Studium und alles, was dazugehörte, zu tragen. Sie wollten, dass ich mich voll und ganz auf meine Kurse konzentrierte und das Beste aus dieser Erfahrung und meinen Noten machte. Allerdings hatte ich in den nächsten Wochen keine Seminare oder Vorlesungen, und der Job bei Crooked Ink wäre zeitlich begrenzt bis zum Ende von Julians Praktikum. Außerdem dienten die SciFaCon und das dazugehörige Cosplay alleine meinem Vergnügen, dafür sollten meine Eltern nicht aufkommen müssen, auch wenn sie das, ohne mit der Wimper zu zucken, getan hätten.

»Okay, wenn Ricky einverstanden ist, übernehme ich deine Schichten, bis du zurückkommst.«

»Großartig! Ich schreib ihm gleich«, sagte Julian begeistert und zog sein Handy aus der Hosentasche.

»Was ist großartig?«, erkundigte sich Micah, die in diesem Moment das Wohnzimmer betrat.

»Cassie übernimmt meine Schicht bei Crooked Ink«, antwortete Julian, ohne aufzublicken.

Micahs Augenbrauen schossen in die Höhe, als wollten sie die Fransen ihres kurz geschnittenen Ponys berühren. »Ernsthaft? Du im Tattoostudio?«

»Du klingst überrascht. Traust du mir das etwa nicht zu?«

»Natürlich trau ich dir das zu«, erwiderte Micah und stellte sich zu Julian und mir. »Ich bin nur erstaunt, dass du das machen willst. Dir ist schon klar, dass du dort mit Fremden reden musst?«

Ich nickte und versuchte mich von Micahs Worten nicht verunsichern zu lassen. Sie meinte es nicht böse, sondern machte sich Sorgen. Immerhin wusste sie nur allzu gut, wie unwohl ich mich fühlte, wenn ich mit Fremden reden musste. Meine Eltern sagten immer scherzhaft, dass ich so sehr in meinen fantastischen Welten mit all den fiktiven Charakteren gefangen war, dass ich nicht mehr wusste, wie ich mit realen Menschen umgehen sollte. Small Talk fiel mir schwer, wenn ich nicht über irgendwelche Fantasybücher oder Science-Fiction-Serien reden konnte. Andererseits kamen die Leute nicht ins Crooked Ink, um sich mit mir zu unterhalten, sondern um sich einen Termin geben oder ein Tattoo stechen zu lassen. Dazu kam, dass ich weder eine Karriere in einem Tattoostudio noch als Empfangsdame anstrebte. Und ich würde nur für einige Wochen dort jobben, daher war es nicht wichtig, ob Ricky und all die anderen mich sympathisch fanden oder nicht. Solange ich den Kalender pflegte und alle Einwilligungserklärungen unterschreiben ließ, sollte ich auf der sicheren Seite sein. Und falls ich dem Ansturm doch nicht gewachsen war, konnte ich jederzeit meine Tasche packen und gehen.

»Ich bin mir sicher, Cassie wird das fabelhaft machen«, warf Auri ein. Er war vom Boden aufgestanden und neben mich getreten. Völlig selbstverständlich legte er einen Arm um meine Schulter. Sofort stieg mir der vertraute Geruch seines Aftershaves in die Nase. Es war ein Duft, den ich für ihn ausgesucht hatte: dunkler Regenwald.

Ich sah zu ihm auf. Obwohl ich auf der Anrichte saß, musste ich dabei den Kopf in den Nacken legen. Auri war nicht einfach nur groß. Er war riesig.

»Wenn du dort arbeitest, komm ich vorbei.«

»Nicht so übereifrig, erst muss Ricky mir die Stelle geben.«

Auri bedachte mich mit einem warmen Blick, in dem ich einen Funken Stolz zu entdecken glaubte. »Das tut er sicher, und dann kannst du deine Terminvergabe-Skills an mir üben.«

»Du willst dir wirklich ein neues Tattoo stechen lassen?«, fragte ich verwundert. So vergesslich ich manchmal sein konnte, ich war mir sicher, dass Auri mir gegenüber bisher nichts in dieser Richtung erwähnt hatte.

Er nickte. »Ich will schon lange ein neues. Vielleicht motiviert mich ein Termin dazu, mich endlich für ein Motiv zu entscheiden. Und wenn nicht, kannst du eines für mich aussuchen.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ja, warum nicht?«

Fassungslos starrte ich Auri an. »Du weißt, dass Tattoos permanent sind?«

»Na und? Du kennst mich, und ich vertraue dir.«

Er konnte das unmöglich ernst meinen, wir redeten hier schließlich nicht von einem Abziehtattoo. Er würde das Motiv den Rest seines Lebens tragen. Gewiss könnte ich etwas aussuchen, das ihm gefiel. Doch allein die Tatsache, dass ich diese Entscheidung an seiner Stelle traf, würde ihn für immer an mich binden. Jedes Mal, wenn er das Tattoo ansah, würde er sich an mich erinnern. Ein Gedanke, der seinen Reiz hatte, mir aber zugleich eine Heidenangst einjagte. So tief unsere Freundschaft auch reichte, es gab keine Garantie dafür, dass sie für immer hielt. Denn die Gemeinsamkeiten, die Auri und mich verbanden, waren so zahlreich wie die Unterschiede, die uns trennten.

2. Kapitel

Das Gras war verbrannt. Braun und dörr knirschte es unter meinen Füßen, als ich mich gemeinsam mit Auri, Julian und Micah dem Flohmarkt im Park näherte. Es hatte seit Tagen nicht geregnet, und die Bäume spendeten nicht genügend Schatten, um den Rasen vor den starken Sonnenstrahlen zu schützen, die auch in diesem Moment auf unsere Köpfe niederbrannten. Ich bereute es, keinen Hut mitgenommen zu haben, aber zum Glück hatte ich wenigstens daran gedacht, mich mit einer starken Sonnencreme einzureiben. Anderenfalls wäre meine Haut vermutlich bereits nach fünf Minuten rot gewesen.

»Adrian und Keith haben gerade abgesagt«, verkündete Micah, die mit Julian hinter Auri und mir lief.

Ich sah über meine Schulter. »Oh nein, wieso?«

»Keith ist krank, und mein Bruder möchte ihn nicht alleine lassen.«

»Schade. Richte ihm gute Besserung von mir aus.«

»Von mir auch«, sagte Auri.

»Ich schicke ihm einfach gute Besserungswünsche von uns allen.«

Wir blieben kurz stehen, damit Micah in Ruhe eine Antwort tippen konnte, ehe wir unseren Weg fortsetzten.

Bereits aus der Ferne hatten wir das Treiben hören können, das auf dem Flohmarkt herrschte, nun konnten wir es auch sehen. Die Stände waren in dichten Reihen angeordnet. Manche bestanden lediglich aus Bierbänken und Hockern, während andere umfunktionierte Camper waren, die einen schon beinahe professionellen Eindruck erweckten. Überall waren Sonnenschirme aufgespannt, und zwischen einigen Ständen hingen Tücher, um den Marktbesuchern, die sich auf der Suche nach den besten Schnäppchen um die zahlreichen Auslagen drängten, Schatten zu spenden.

Mir wurde etwas flau im Magen. Ich hatte nicht erwartet, dass es bei diesen Temperaturen so voll sein würde.

Auri beugt sich leicht zu mir runter. »Keine Angst, wenn das Gedränge zu groß wird, nehme ich dich einfach huckepack.«

Ich lachte. »Danke. Ich hätte nicht gedacht, dass so viel los sein wird.« Warum waren die Leute nicht im Schwimmbad oder an einem Badesee?

»Ich wette, auf dem Markt verläuft sich das.«

Auri irrte sich. Doch obwohl das Gedränge groß war und gefühlt jeder Mensch auf diesem Planeten größer als ich, erhaschte ich immer wieder einen Blick auf die Auslagen, die so bunt und vielseitig waren wie die Besucher des Marktes. Was immer man suchte, hier würde man bestimmt fündig werden. Von Trockenobst und Schneidebrettern über altes Spielzeug bis hin zu Schallplatten, Kosmetik, Secondhandkleidung und Vintage-Möbeln war alles geboten. Man wusste überhaupt nicht, wohin man zuerst schauen sollte.

Nach einer Weile beschlossen Micah und Julian, dass es besser wäre, wenn wir uns aufteilten, da es bei dem Gewühl ohnehin unmöglich war, als Vierergruppe zusammenzubleiben, ohne sich ständig nach einem von uns umzusehen. Und so blieb Auri und mir genügend Zeit, auch die Stände zu erkunden, die nur uns interessierten.

»Wir melden uns, wenn was ist«, sagte Micah, die bereits nach wenigen Minuten einen ganzen Beutel mit alten Comics erstanden hatte. »Solltet ihr nichts von uns hören, treffen wir uns am besten in der Pizzeria. Ihr kennt den Weg?«

Auri nickte und klopfte auf seine Hosentasche. »Ich hab die Adresse im Handy.«

Das Restaurant hatte erst kürzlich eröffnet, und Micah und ich hatten Aliza versprochen, gemeinsam mit ihr dort essen zu gehen. So konnte sie mehrere Gerichte gleichzeitig probieren und besser einschätzen, ob die Pizzeria eine Empfehlung auf ihrem Blog wert war oder nicht.

»Super, dann bis später!«, rief Micah und winkte uns zum Abschied, bevor sie schnell nach Julians Hand griff, um ihn im Getümmel nicht zu verlieren. Bereits einen Moment später wurden die beiden von den Menschenmassen verschluckt.

Auri sah mich an. »Wohin möchtest du zuerst?«

»Keine Ahnung.« Ich blickte mich um. »Lass uns einfach da langgehen.« Ich deutete in die Gasse, die mir am wenigsten überfüllt erschien. Hier gab es viele Stände mit selbst gegossenen Kerzen und Seifen. Nette Geschenke, aber überteuert und für diese Jahreszeit nicht wirklich zu gebrauchen. Einige der Kerzen hatten in der Sommerhitze zu schmelzen begonnen.

»Hast du dir inzwischen überlegt, was wir mit Julians altem Zimmer machen wollen?«, fragte Auri unvermittelt.

Ich wich seinem Blick aus. Seit Julian uns mitgeteilt hatte, dass er zu Micah ziehen würde, drückte ich mich vor diesem Gespräch.

Zuerst war ich von den Neuigkeiten überrascht gewesen, immerhin waren die beiden erst gut ein halbes Jahr zusammen. Trotzdem konnte ich ihre Entscheidung verstehen, denn sie passten auf eine Art und Weise zusammen, die sich nur schwer in Worte fassen ließ. Sie ergänzten einander und brachten das Beste im jeweils anderen zum Vorschein. Micah war alles andere als selbstständig gewesen und hatte sich selbst unglücklich gemacht, indem sie den Träumen ihrer Eltern hinterhergejagt war. Das hatte sich geändert, seit Julian in ihr Leben getreten war. Nun stand sie auf eigenen Beinen und würde im nächsten Semester trotz Gegenwind ihrer Eltern ein Kunststudium beginnen. Julian war vor Micah unterkühlt und verschlossen gewesen, er hatte sich von allem und jedem distanziert. Heute war er aufgeschlossener und fröhlicher, wozu Micah einen großen Teil beigetragen hatte. Durch sie hatte er gelernt, mehr er selbst zu sein. Er hatte sich immer zurückgehalten aus Angst, gehasst und verstoßen zu werden. Micah hatte ihm geholfen, selbstbewusster zu werden, und ich gönnte den beiden alles Glück der Welt. Allerdings ließ ihr Beschluss, zukünftig zusammenzuwohnen, Auri und mich mit einem leeren Zimmer und unendlich vielen Möglichkeiten zurück.

Das Schlimmste daran war, dass ich mir bereits im Klaren darüber war, was ich mir wünschte. Ich wollte alleine mit Auri wohnen. Er war mein bester Freund, und ich konnte mir kaum etwas Schöneres vorstellen. Er kannte mich. In seiner Gegenwart musste ich nicht versuchen, jemand zu sein, der ich nicht war. Ein neuer Mitbewohner hätte das geändert.

Doch ich hielt meinen Wunsch zurück. Was, wenn Auri nicht dasselbe wollte? Oder unsere Freundschaft ohne eine dritte Person als Puffer zerbrach? Oder wir auf die leichtsinnige Idee kamen, die Grenzen unserer Beziehung auszureizen wie schon einmal vor einigen Monaten? Die Sache damals war gerade noch mal gut ausgegangen, aber ich war nicht bereit, ein solches Risiko ein zweites Mal einzugehen.

»Nein, nicht wirklich«, flunkerte ich mit schlechtem Gewissen. »Und du?«

Auri blieb unter der Markise eines Standes stehen. Das Sonnenlicht strahlte durch den Stoff und zeichnete bunte Flecken auf seine dunkle Haut. »Dito, aber wir sollten uns langsam entscheiden. Wenn wir einen neuen Mitbewohner wollen, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, das Zimmer zu inserieren. Gerade sind die ganzen Erstsemester auf der Suche nach einer Bleibe.«

Etwas in mir zog sich zusammen. »Das klingt, als würdest du einen neuen Mitbewohner wollen.«

Auri strich sich mit der flachen Hand über das kurze schwarze Haar. »Das wollte ich damit nicht sagen. Aber wenn wir uns dafür entscheiden sollten, wäre jetzt der beste Zeitpunkt. Das ist alles.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Unweigerlich stiegen in mir die Selbstzweifel auf, die mich bereits seit Jahren plagten.

Er will nicht mit dir alleine sein. Kein Wunder, ihr passt einfach nicht zusammen. Er langweilt sich mit dir. Sicherlich werden er und euer neuer Mitbewohner beste Freunde, und dann bist du mal wieder das dritte Rad am Wagen. Es wäre nicht das erste Mal …

Meine Gedanken rissen jäh ab, als mich ein Mann grob von der Seite anrempelte. Ich verlor das Gleichgewicht, und im selben Moment fuhr ein reißender Schmerz durch meinen rechten Oberarm. Ich schrie auf und umklammerte meinen Arm.

Auri packte mich, um mich festzuhalten.

Der Kerl murmelte eine undeutliche Entschuldigung, bevor er sich eilig aus dem Staub machte.

Ich blinzelte, um die Tränen loszuwerden, die mir der Schmerz in die Augen getrieben hatte. In meinem Oberarm pochte es.

»Alles in Ordnung?« Auri hatte sich zu mir heruntergebeugt. Beunruhigt sah er mich an. Die Wärme in seinen Augen war erloschen und aufrichtiger Sorge gewichen.

»Ja, der Typ ist nur gegen mein Messgerät gestoßen.«

Vorsichtig schob ich den Ärmel meines Kleides hoch. Ich hatte Glück, das Gerät hatte sich nicht gelöst, aber vermutlich würde das mal wieder einen blauen Fleck geben – die bekam ich von den Dingern wahnsinnig schnell.

»Funktioniert es noch?«

Ich nickte und lächelte, um die Sorge aus Auris Gesicht zu vertreiben.

Seine Augenbrauen zuckten, bevor seine Gesichtszüge weicher wurden.

Ich rückte den Riemen meiner Tasche zurecht. »Lass uns weitergehen.«

Auri erhob keine Einwände, und wir mischten uns wieder unter die Leute.

Nebeneinander spazierten wir durch die Reihen an Ständen. Vergessen war das Gespräch über einen möglichen Mitbewohner, und keiner von uns griff das Thema wieder auf.

Ich versuchte, nicht länger an Auris Worte und meine Selbstzweifel zu denken. Selbst wenn er einen neuen Mitbewohner wollte, musste das nicht unbedingt etwas mit mir zu tun haben. Womöglich wollte er nur Miete sparen.

An einem Stand kaufte ich einen Küchenmagneten in der Form eines Fuchses für meine Mom. Sie liebte Füchse wegen ihres Fells, das so rot schimmerte wie unsere Haare, und immer wenn ich irgendetwas mit Fuchsmotiv entdeckte, wurde mir sofort warm ums Herz, weil ich an sie denken musste.

Ich liebte meine Familie, und sie für das Studium in Mayfield zu verlassen, war mir schwergefallen. Aber es war die richtige Entscheidung gewesen. Ich hatte lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen, und ich hatte die Distanz zu Eugene gebraucht. Unsere Trennung war nicht hässlich verlaufen, aber nach drei Jahren Beziehung hatte ich dennoch dringend etwas Abstand nötig gehabt.

»Warte mal kurz.« Auri berührte mich an der Schulter, damit ich stehen blieb, bevor er den Stand rechts von uns ansteuerte, der aus drei u-förmig angeordneten Bierbänken bestand. Dahinter saß eine Frau mit schwarzem, lockigem Haar, das an den Schläfen bereits grau wurde. Mit einer Zeitschrift fächerte sie sich Luft zu. Als wir uns näherten, begrüßte sie uns mit einem Nicken.

Auf den Tischen lagen die verschiedensten Sachen, die aussahen, als wären sie die letzten dreißig Jahre auf einem Dachboden oder in der Garage gelagert worden.

Auri interessierte sich für einen Schuhkarton, in dem etliche Football-Sammelkarten lagen.

»Wie viel kosten die?«

»Zwei Dollar das Stück. Zehn für sechs«, antwortete die Frau mit einem Lächeln.

Ein begeistertes Funkeln trat in Auris Augen, und er begann, den Karton zu durchwühlen.

Ich sah mir in der Zwischenzeit all die anderen Sachen an. Doch für mich war nichts dabei.

Nach fünf Minuten war Auri noch immer nicht fertig. Offensichtlich war eine Karte interessanter als die nächste, und ich fragte mich, wieso er nicht gleich die ganze Kiste kaufte.

»Ich bin mal dort drüben«, sagte ich und deutete auf einen Stand ein paar Meter weiter.

Auri hob kurz den Blick. »Ich komm gleich nach.«

Ich lief zu dem Stand, an dem vor allem DVDs und Bücher angeboten wurden. Der Besitzer, ein älterer Mann mit blasser Haut und löchrigem Bartwuchs, murmelte ein knappes »Hallo«, bevor er sich wieder seinem Sudokuheftchen widmete.

In den Kartons lagen alte, meist zerfledderte Bücher. Es waren auch einige fremdsprachige Ausgaben dabei, und ich fragte mich, woher der Mann sie hatte. Jedenfalls war es eine bunte Mischung. Ich fand eine deutsche Ausgabe von Eragon und ein italienisches Exemplar von Cassandra Clare, aus dem sich bereits Seiten lösten. Als ich das Buch zurücklegte, fiel mein Blick auf ein illustriertes Cover.

Ich schnappte nach Luft. Das konnte nicht sein …

Hastig griff ich nach dem Buch und betrachtete die Illustration von John Howe, der zahlreiche Bilder für die Werke von Tolkien angefertigt hatte. Obwohl ich die Sprache nicht beherrschte, erkannte ich, dass es sich um die indonesische HerrderRinge-Ausgabe aus dem Jahr 2002 handelte, die so garantiert nicht mehr gedruckt wurde. Sie wäre perfekt für Auris und meine Sammlung.

Auri hatte bereits vor Monaten vorgeschlagen, gemeinsam eine Sammlung mit HerrderRinge-Ausgaben anzulegen, nachdem ich ihm zu seinem Geburtstag eine Sonderedition geschenkt hatte. Ich war sofort Feuer und Flamme für die Idee gewesen. Schließlich war unsere Freundschaft aus unserer Verehrung für Tolkien heraus entstanden, und ohnehin liebte ich alles, was ich gemeinsam mit Auri unternehmen konnte. Inzwischen besaßen wir fünfundzwanzig Exemplare, und für mich fühlte es sich so an, als würde mit jedem weiteren Buch nicht nur unsere Sammlung, sondern auch unsere Freundschaft wachsen.

»Entschuldigung!« Ich beugte mich über den Tisch. »Wie viel wollen Sie dafür?«

Der Verkäufer hob den Blick von seinem Sudokuheft. Nachdenklich betrachtete er das Buch in meinen Händen und hob das Basecap auf seinem Kopf an, um sich den Schweiß mit dem Unterarm von der Stirn zu wischen.

»Zwanzig Dollar.«

»Ich geb ihnen zehn«, sagte ich entschlossen und forscher als für mich üblich. Ich war in einem Dorf aufgewachsen und hatte mit meiner Großmutter früher viele Flohmärkte besucht. Daher wusste ich, dass Handeln zum guten Ton gehörte.

»Achtzehn.«

»Zwölf.«

»Siebzehn.«

»Fünfzehn.«

Die Mundwinkel des Mannes zuckten. »Einverstanden.«

Ich holte meinen Geldbeutel hervor, wobei mein Arm von dem Zusammenstoß mit dem Mann noch immer etwas schmerzte, und bezahlte. Anschließend wünschte ich dem Händler noch einen erfolgreichen Tag, bevor ich mich nach Auri umsah.

Wie erwartet stand er noch immer bei den Sammelkarten.

Mit ausgestreckten Ellenbogen kämpfte ich mich zu ihm durch. Als ich bei ihm ankam, reichte er der Verkäuferin gerade dreißig Dollar im Austausch gegen eine Tüte mit seinen Karten.

»Viel Glück beim nächsten Spiel«, sagte die Frau mit einem Lächeln, das feine Fältchen um ihre Augen zauberte.

»Danke. Und Ihrer Tochter viel Erfolg beim nächsten Turnier.« Auri wandte sich ab, um zu gehen, stockte jedoch abrupt in der Bewegung, als er bemerkte, dass ich direkt hinter ihm stand. »Huch! Ich dachte, du wolltest zu einem anderen Stand gehen?«

Ich hielt das Buch hinter meinem Rücken versteckt. »Da war ich schon.«

»Sorry, dass ich so lange gebraucht habe.«

»Kein Problem.« Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Rate mal, was ich gekauft habe!«

»Fuchs-Kochhandschuhe?«

»Nein.«

»Eine Fuchs-Tasse?«

»Nein, viel besser.« Ich zog das Buch hinter meinem Rücken hervor und präsentierte ihm stolz das Cover, das mich nach Luft hatte schnappen lassen. »Ta-daaaa!«

Auris Augen wurden groß. »Ist das …?«

»Ja!«, unterbrach ich ihn mit einem breiten Grinsen.

Er griff nach dem Buch und drehte es in den Händen. Andächtig strich er über das Cover und ließ die Finger vorsichtig um einen kleinen Riss am oberen Rand des Umschlags gleiten, als handelte es sich dabei um eine offene Wunde, die nicht berührt werden durfte. Dann klappte er das Buch auf und betrachtete die vergilbten Seiten mit den fremdartigen Wörtern. »Das ist der Hammer.«

Ich vollführte vor Begeisterung einen kleinen Hüpfer. »Ich wusste, dass es dir gefallen würde.«

»Das wird sich hervorragend in unserer Sammlung machen.« Ein letztes Mal strich Auri über den Einband, dann steckte er das Buch in die Tasche zu seinen Sammelkarten und sah wieder mich an. »Hast du Lust auf ein Eis?«

»Walnuss und Vanille«, sagte Auri, als wir endlich an der Reihe waren. Wir hatten eine gefühlte Ewigkeit nach einem Eiswagen suchen müssen, und der Schlange nach zu urteilen, war dies der einzige auf dem gesamten Flohmarkt.

Die Eisverkäuferin, eine junge Frau in meinem Alter, füllte zwei Kugeln in eine Waffel und reichte sie Auri, bevor sie sich an mich wandte. »Und für dich?«

Unentschlossen ließ ich den Blick über die Auslage wandern. Das Eis sah verdammt lecker aus, und die Auswahl war groß, aber mehr als eine Kugel zu nehmen, wäre unvernünftig gewesen. Nicht nur, weil das Eis ziemlich teuer war, sondern auch, weil heute Abend der Besuch in der Pizzeria anstand und all diese Kohlehydrate meinem Blutzucker so gar nicht guttaten.

»Für mich Erdbeere«, wählte ich kurz entschlossen.

Auri fischte einen Zehndollarschein aus seiner Hosentasche, den er der Frau reichte. Sie bedankte sich, und wir machten Platz für die Nächsten in der Schlage, die einfach nicht kürzer zu werden schien.

Der Eiswagen stand günstig neben ein paar Bäumen, in deren Schatten sich schon einige Leute zusammengefunden hatten. Doch Auri und ich entdeckten noch ein freies Fleckchen.

Ich hockte mich ins Gras. »Danke für die Einladung.«

»Klar, du hast immerhin das Buch bezahlt«, sagte Auri und setzte sich mir gegenüber. So dicht, dass ich mich nicht einmal hätte anstrengen müssen, um ihn zu berühren.

Ich reichte Auri mein Eis, damit er es kurz für mich halten konnte, während ich meine Zuckerwerte kontrollierte, die aufgrund der andauernden Hitzewelle doch stark schwankten und zum Unterzucker neigten. Doch es war alles in Ordnung, sodass ich mir nur etwas Insulin nachspritzte.

»Wie sieht dein Trainingsplan für nächste Woche aus?«, erkundigte ich mich bei Auri, nachdem ich meine Sachen weggepackt und mein Eis wieder an mich genommen hatte. »Wenn du etwas Zeit hast, könnten wir zu Laureen gehen und Stoffe für unsere Kostüme aussuchen.«

Auri leckte einmal um das Eis herum, das bereits nach wenigen Sekunden zu schmelzen begonnen hatte. »Das wird leider knapp. Der Coach will uns jeden Morgen um halb sieben auf dem Sportplatz sehen, und abends haben wir 7on7-Spiele. Außerdem hab ich zugesagt, ein paar alte Tapes mit den Frischlingen durchzugehen, die bereits in der Stadt sind.«

»Schade. Und dazwischen irgendwann?« Ich sah auf mein eigenes Eis und bemerkte ein rosafarbenes Rinnsal, das sich einen Weg über meine Hand bahnte. Schnell fing ich es mit der Zunge auf.

»Vielleicht, ich weiß es nicht«, sagte Auri, während er mich aufmerksam beobachtete. »Die Woche ist ziemlich voll. Ich hab ein Marketing-Gruppenprojekt, und in Grafikdesign sollen wir Animationen für eine Werbekampagne entwerfen. Aber vielleicht kann ich es irgendwo dazwischenquetschen.«

»Das musst du nicht, wir gehen einfach die Woche drauf«, erwiderte ich mit einem schwachen Lächeln, obwohl ich mich schon so auf den Besuch im Stoffladen gefreut hatte.

Ich besuchte Laureen gerne. Wir waren keine Freunde, aber für die Dauer meiner Besuche in ihrem Laden fühlte es sich so an. Sie bot mir immer eine Tasse Tee an, und wir tauschten uns über unsere Näh- und Bastelprojekte aus.

»Danke für dein Verständnis. Ich weiß, dass du am liebsten gestern losgelegt hättest.«

»Ja, aber vermutlich ist es so besser. So kann ich Ciris Kostüm noch etwas besser durchplanen.«

»Vielleicht könntest du dir auch Geralt mal anschauen?«

Ich lächelte. »Klar.«

Ich schneiderte bereits seit knapp zehn Jahren meine eigenen Kostüme. Angefangen hatte alles mit einem Outfit zu Halloween. Damals hatte mir meine Mom noch viel helfen müssen, aber ich war immer besser geworden, und inzwischen konnte ich ziemlich gut mit der Nähmaschine und der Heißklebepistole umgehen. Auri hingegen stand noch am Anfang. Er hatte bereits von Cosplay und LARP gehört, als wir uns kennenlernten, aber erst ich hatte ihn davon überzeugen können, wie viel Spaß es machen konnte, sich als fiktiver Charakter zu verkleiden. Er ging sehr in seinem neuen Hobby auf, aber hin und wieder musste ich ihm beim handwerklichen Aspekt noch unter die Arme greifen.

»Glaubst du, ich sollte mir für das Cosplay einen Bart stehen lassen?« Nachdenklich fuhr sich Auri über das Kinn.

Ich wusste, dass ich, wenn ich meine Hand ausstreckte und ihn berührte, nur glatte Haut spüren würde. »Der Game-Geralt ist natürlich für seinen Bart bekannt, aber du kannst ihn im Spiel auch rasieren, von daher wäre beides möglich.«

Auri schob sich den letzten Bissen seiner Eiswaffel in den Mund und zog die Wasserflasche hervor, die er bereits die ganze Zeit in einer Tasche seiner Cargoshorts spazieren trug. »Bei der Hitze und dem momentanen Trainingspensum wäre ein Bart wirklich unpraktisch. Außerdem hat Henry Cavill in der Serie auch keinen Bart.«

»Du musst dich ja nicht sofort entscheiden, ein bisschen Zeit hast du noch.«

Auri trank einen Schluck Wasser. »Stimmt.«

»Ich freu mich jedenfalls schon sehr auf unser Cosplay.«

»Ich mich auch«, erwiderte er und streckte mir mit fragend erhobenen Augenbrauen seine Wasserflasche hin.

Ich schüttelte den Kopf und reichte ihm stattdessen den Rest meiner Eiswaffel, die mir viel zu süß war.

Auri schob sie sich in einem Stück in den Mund, bevor er in einer fließenden Bewegung auf die Füße sprang und mir die Hand entgegenstreckte.

Ich ließ mir auf die Beine helfen und klopfte mir Erde und Gras von meinem Kleid. Anschließend verließen wir den Schutz der Bäume und mischten uns wieder unter die anderen Besucher.

Wir blieben noch ein paarmal stehen, und ich kaufte mir eine Teemischung, die ich in meine Handtasche steckte, damit Auri nicht alles herumtragen musste.

Inzwischen war es Mittag, und ich hatte das Gefühl, dass sich der Markt allmählich etwas lichtete. Nicht viel, aber es kam mir so vor, als müsste ich nicht mehr bei jedem Schritt irgendwelchen Menschen ausweichen.

»Hey, Remington!«, grölte plötzlich eine Stimme über die lärmenden Geräusche des Flohmarktes hinweg.

Ich blickte auf und entdeckte Colby, einen von Auris Teamkameraden, der mit seinen breiten Schultern kaum zu übersehen war.

Er kam auf uns zugeschlendert. Als er uns erreicht hatte, hob er eine Hand, um seine Knöchel zum Gruß gegen die von Auri zu schlagen. »Hey Mann, ich wusste gar nicht, dass du auf Flohmärkte stehst.«

Auri lachte. »Die sind auch nicht mein Ding, aber mein ehemaliger Mitbewohner und seine Freundin haben gefragt, ob ich mitkomme, um im Notfall beim Tragen zu helfen. Sie suchen Zeug für ihre gemeinsame Wohnung. Und was treibst du hier?«

»Meine Mom vertickt Krempel von meinen Schwestern und mir«, antwortete Colby. Er hatte blondes Haar und weiche Gesichtszüge, die ihm einen jungenhaften Charme verliehen. Doch seine Stimme war rauchig und tief. »Sie wollte nicht die ganze Zeit alleine rumsitzen, also hab ich sie begleitet.«

»Das ist aber nett von dir«, bemerkte ich.

Colbys Blick zuckte überrascht zu mir, als hätte er mich bisher gar nicht bemerkt. Seine gerunzelte Stirn verriet, dass er angestrengt versuchte, mich einzuordnen. Wir waren uns schon ein paarmal flüchtig begegnet, aber anscheinend hatte ich keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Einen Moment lang herrschte unbehagliches Schweigen, und ich verpasste den Augenblick, mich noch einmal vorzustellen.

»Um ehrlich zu sein, geht mir dieser Flohmarktscheiß ziemlich auf den Sack«, ergriff Colby erneut das Wort. »Aber ich kann meiner Mom einfach keinen Wunsch abschlagen. Das ist ihre Superkraft.«

Auri schnaubte. »Ich glaube, diese Superkraft besitzen alle Mütter.«

»Immerhin hab ich ein Paar Ohrringe für meine Schwester gefunden. Sie wird nächste Woche sechzehn.« Colby hob eine kleine Tragetasche an, auf der ein goldener Schwan abgebildet war. »Und was hast du dir gekauft?« Er deutete auf die Tüte in Auris Hand.

»Nur ein paar Football-Sammelkarten.«

Bei dem Wort »Football« begannen Colbys Augen zu funkeln. »Cool, zeig mal.«

Auri holte die Karten aus der Tasche, und keine Sekunde später fachsimpelten die beiden über irgendwelche ehemaligen Footballspieler.

Ich hatte zu dem Gespräch nichts beizutragen. Zwar kamen mir die meisten Namen aus Auris Erzählungen bekannt vor. Es war mir wichtig, ihm zuzuhören, auch wenn es mich nicht interessierte, wer in den Achtzigern einen geschichtsträchtigen Touchdown auf die Reihe bekommen hatte. Doch Auri lag Football am Herzen, und mir wiederum lag Auri am Herzen, also kniff ich bei diesen Unterhaltungen die Arschbacken zusammen und versuchte, seinen Erzählungen so gut wie möglich zu folgen.

»Und was ist das?«, fragte Colby, als Auri die Sammelkarten zurücksteckte. Ungefragt griff Colby in die Tasche und zog die indonesische HerrderRinge-Ausgabe daraus hervor. Seine Augenbrauen zuckten in die Höhe, als hätte er noch nie in seinem Leben ein Buch gesehen. »Herr derRinge, ernsthaft?«

Auri wollte ihm das Buch wegnehmen, aber da schlug Colby es bereits auf. Ein Geräusch, halb Lachen, halb Schnauben, kam über seine Lippen. »Alter, ist das auf Elbisch verfasst? Ich wusste gar nicht, dass du so auf diesen Nerd-Scheiß abfährst. Mein zwölfjähriger Bruder steht da auch voll drauf.«

Ich verdrehte die Augen. Was für ein Idiot. Ich hatte angenommen, Trottel wie ihn in der Highschool hinter mir gelassen zu haben. Und zu gerne hätte ich ihn aufgeklärt, dass dieser »Nerd-Scheiß« nicht nur was für Kinder war, aber wenn ich eines nicht war, dann schlagfertig. Garantiert würden mir heute Nacht, wenn ich wach in meinem Bett lag, Dutzende clevere Erwiderungen einfallen, aber im Moment war da nichts. Mein Kopf war wie leer gefegt.

»Das Buch gehört Cassie«, gab Auri zurück.

Ich versteifte mich. Hatte er das gerade wirklich gesagt?

Ungläubig sah ich zu Auri, doch er wich meinem Blick aus. Mir war egal, ob Colby mich für den größten Nerd aller Zeiten hielt, aber ich konnte nicht glauben, dass Auri so schamlos wegen des Buchs log, über das er sich noch vor einer Stunde unglaublich gefreut hatte.

»Verstehe«, sagte Colby mit einem Nicken, als wäre es nur logisch, dass die Ausgabe mir gehörte. Er klappte es zu und gab es Auri zurück. »Ich muss jetzt los, meine Mom wartet sicherlich schon auf mich. Bis morgen, Remington!« Die beiden stießen wieder ihre Fäuste gegeneinander, dann ging Colby, ohne ein weiteres Wort an mich zu richten.

Ich sah, wie er in der Menge verschwand. Dankbar dafür, ihn los zu sein. Doch leider nahm er die Enttäuschung, die sich in meiner Brust eingenistet hatte, nicht mit. Sie rutschte tiefer und legte sich schwer wie ein Stein in meinen Magen.

Neben mir hörte ich Auri geräuschvoll ausatmen. Ich konnte förmlich spüren, wie sein Verstand arbeitete, um mir eine möglichst akzeptable Entschuldigung für seine Lüge aufzutischen. Doch wenn ich ehrlich war, wollte ich sie nicht hören. Schließlich hatte er nicht irgendein Buch geleugnet, sondern das, auf dessen Fundament unsere Freundschaft erbaut war.

3. Kapitel

Zwei Jahre zuvor …

Vielleicht war ich gerade dabei, den schlimmsten und letzten Fehler meines Lebens zu begehen, sollte sich herausstellen, dass Julian Brook ein Mörder war und die freie Wohnung nur ein Lockmittel für naive Opfer. Ich hatte an diesem Morgen seinen Aushang am Schwarzen Brett des Mayfield College entdeckt. Er war auf der Suche nach zwei Mitbewohnern, um eine neue WG zu gründen. Ich hatte ihn sofort angerufen, um einer weiteren Nacht im Hostel zu entgehen.

Eigentlich hätte ich bereits bei einem Mädchen namens Cordelia wohnen sollen, aber sie hatte vor fünf Wochen einen Kerl kennengelernt und kurzfristig beschlossen, lieber mit ihm zusammenziehen zu wollen. Was mich ohne Dach über dem Kopf zurückgelassen hatte. Die erste Monatsmiete hatte ich stattdessen in ein Hostelzimmer investiert, aber langfristig war das keine Lösung.

Julian hatte mir am Telefon vom Fleck weg angeboten einzuziehen. Er meinte, er würde viel arbeiten und wäre so selten zu Hause, dass es ihm gleichgültig sei, mit wem er sich eine Wohnung teile. In meiner Verzweiflung hatte ich zugesagt. Nun fragte ich mich allerdings, ob ich womöglich zerstückelt in einer Gefriertruhe enden würde.

Doch jetzt war es zu spät für einen Rückzieher, denn ich zerrte meinen Trolley bereits die Stufen zu meiner neuen Wohnung hoch. Es gab keinen Aufzug. Nur ein schmales Treppenhaus, das erfüllt war vom chemischen Duft frischer Farbe, als wäre erst kürzlich renoviert worden.

Im dritten Stock angekommen, war ich vollkommen außer Atem. Japsend lehnte ich mich an die Wand und sah mich um.

Auf jeder Etage lagen zwei Wohnungen. An der einen Wohnungstür war ein Schild mit der Aufschrift Silvermanns befestigt, die andere stand sperrangelweit offen, dahinter war ein leeres Apartment zu erkennen.

Ich trat an die offene Tür heran und spähte in die Wohnung, die ich in diesem Augenblick zum ersten Mal sah. Die Wände schienen frisch gestrichen, was den Geruch von Farbe erklärte, und der Bodenbelag sah ordentlich, wenn auch etwas abgelaufen aus. Allerdings gab es keinen Hinweis darauf, dass hier irgendjemand lebte. Die Wohnküche mit der Kochinsel wirkte unbenutzt, der Kühlschrank war ausgeschaltet, und nirgendwo standen Kartons, die darauf warteten, ausgepackt zu werden. Nicht einmal ein Name klebte an der Klingel neben der Tür.

»Hallo?«, rief ich verunsichert in den leeren Raum.

Niemand antwortete mir, und das ungute Gefühl in meinem Magen verstärkte sich.

»Julian?«

Wieder blieb eine Antwort aus.

Ich spürte, wie ich die Finger unwillkürlich noch fester um den Griff meines Trolleys schloss. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ein Teil von mir wollte umkehren und in das Hostel zurückgehen, aus dem ich gekommen war. Doch das war etwas, das die alte Cassie tun würde, nicht die neue. Die neue Cassie war Studentin. Erwachsen. Sie rannte nicht vor jedem noch so kleinen Hindernis davon.

»Julian? Bist du da?«

Als mich wieder nur Schweigen begrüßte, nahm ich all meinen Mut zusammen und betrat die Wohnung. Dabei fühlte ich mich wie ein Eindringling, aber wenn Julian am Telefon die Wahrheit gesagt hatte und kein Betrüger war, war dies jetzt schließlich auch meine Wohnung. Und hinter einer der drei verschlossenen Türen, die vom Wohnzimmer abgingen, lag mein neues Zimmer.

Ich trat vor die mittlere Tür und wollte gerade klopfen, als sie plötzlich aufschwang. Erschrocken machte ich einen Satz zurück und ließ dabei meinen Trolley los, der mit einem lauten Knall zu Boden fiel, was mich direkt noch einmal zusammenzucken ließ.

»Fuck!«

»Alles in Ordnung?«, fragte eine raue Stimme, die so unglaublich angenehm und warm klang, dass sie ebenso gut aus einem Kinotrailer hätte stammen können.

Ich hob den Kopf. Als ich den Kerl erblickte, zu dem besagte Stimme gehörte, blieb mir förmlich die Luft weg. Er war … wow. Ein besseres Wort wollte meinem Gehirn nicht einfallen, während mir gleichzeitig ein eigenartiger Laut von der Zunge rutschte – der allerdings nicht ausschließlich von Entzücken zeugte, sondern mindestens genauso sehr von Erstaunen.

Der Typ, der vor mir stand, war ein Koloss. Ich war es gewohnt, zu den meisten Menschen aufblicken zu müssen, aber selten hatte ich mich so klein und zerbrechlich gefühlt wie in diesem Moment. Der Kerl musste um die zwei Meter groß sein. Er hatte breite Schultern und harte Muskeln, was kaum zu übersehen war, da er kein Shirt trug. Seine Haut war von einem tiefen Braun, und an seinem rechten Brustmuskel waren die Ansätze einer Tätowierung zu erkennen, die allerdings noch nicht fertig zu sein schien.

»Bist du Julian?«, krächzte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte. Die Stimme am Telefon hatte sich vollkommen anders angehört – nicht so gänsehauterzeugend.

»Nein, Maurice. Julian ist arbeiten. Du bist sicherlich Cassandra?«

»Cassie«, korrigierte ich ihn. Niemand nannte mich »Cassandra«, nicht einmal meine Großmutter.

Ein Lächeln trat auf Maurice’ Lippen. »Cool. Wie es aussieht, wohnen wir ab jetzt zusammen.«

»Cool«, echote ich, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich diese Entwicklung wirklich »cool« fand. Ich hatte nicht geplant, mit einem Mann zusammenzuwohnen – und schon gar nicht mit zwei. Wenn mein Vater davon erfuhr, würde er ausrasten. Er war weder übertrieben konservativ noch naiv. Ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich mit meinem Ex-Freund Eugene geschlafen hatte, immerhin waren wir drei Jahre lang ein Paar gewesen. Doch er sah in mir noch immer sein kleines Mädchen, das beschützt werden musste.

»Ist das alles, was du dabeihast?«, fragte Maurice und riss mich damit aus meinen Gedanken.

Ich blinzelte und sah auf meinen umgestürzten Trolley hinab. »Ja, der Rest wird erst noch geliefert.«

Maurice nickte und deutete hinter sich. Eine Schweißperle bahnte sich ihren Weg von seiner Stirn über seinen Hals seine Brust hinab. »Wenn du willst, kannst du mit in meinem Zimmer abhängen.«

Ich zögerte, da ich nicht unbedingt geschickt im Umgang mit neuen Bekanntschaften war. Ich wusste nie, was ich sagen sollte, und das machte mich nervös. Und wenn ich doch den Mund öffnete, neigte ich zum Oversharing und erzählte Dinge, die niemand über jemanden wissen wollte, den er kaum kannte.

Du magst die Farbe Rot? Als ich mit vierzehn das erste Mal meine Periode bekommen habe, hatte ich eine weiße Hose an. Danach war sie rot.

Das war typisch ich. Sozial unbedarft und ziemlich peinlich. Dennoch nahm ich Maurice’ Einladung an, schließlich waren wir von nun an Mitbewohner, und ich konnte meine merkwürdige Art nicht für immer vor ihm verbergen. Besser, ich brachte es so schnell wie möglich hinter mich.

Maurice trat beiseite und ließ mich in sein Zimmer. Er steckte selbst noch mitten im Umzug, aber es war deutlich zu erkennen, dass er nicht erst seit ein paar Minuten hier war. Sein Bett war aufgestellt, und ein Regalbrett, das mit allerlei Pokalen bestückt war, hing an der Wand. Gegenüber war ein Poster angebracht worden, das einen Footballspieler in heroischer Pose zeigte, als hätte er soeben das wichtigste Spiel seines Lebens gewonnen. Es standen auch noch einige unausgepackte Kartons herum, und Maurice war anscheinend gerade dabei gewesen, einen Kleiderschrank aufzubauen.

Als er sich wieder daranmachte, weitere Schrauben in das Holz zu drehen, konnte ich gar nicht anders, als das Spiel der Muskeln an seinem Rücken und in seinen Armen zu beobachten. Es sah mir nicht ähnlich, irgendwelche Kerle anzustarren. Doch Maurice’ Körper hatte etwas an sich, das es mir unmöglich machte, den Blick abzuwenden. Seine Stärke hatte etwas Hypnotisierendes. Er war garantiert Sportler am MFC, und den Postern und Pokalen nach zu urteilen, spielte er für das Footballteam.

»Was für Kurse belegst du?«, fragte ich in die Stille zwischen zwei Hammerschlägen hinein. Es erschien mir wie eine unverfängliche Frage mit wenig Peinlichkeitspotenzial.

Maurice sah zu mir. Seine Augen waren von einem dunklen Braun. »Viele verschiedene. Ich will mich ein bisschen ausprobieren, bevor ich mich festlege, aber Grafikdesign finde ich sehr spannend. Außerdem habe ich ein Football-Stipendium. Und du?«

»Meine Kurse haben alle was mit Literatur zu tun«, antwortete ich. Ich wusste bereits seit Jahren, dass ich in der Buch- oder Filmbranche arbeiten wollte. Seminare zu Letzterem hatte das MFC jedoch leider kaum im Angebot, es sei denn, ich wollte selbst vor der Kamera stehen.

»Dann hätten wir ja um ein Haar dieselben Kurse besucht«, sagte Maurice und lehnte das Brett, dass er gerade noch mit dem Hammer bearbeitet hatte, gegen die Wand. »Ich habe lange hin und her überlegt, mich dann aber gegen etwas Literarisches entschieden, um nicht all meine Hobbys zum Beruf zu machen. Aber ich liebe Bücher.«

Ich spürte, wie meine rechte Augenbraue ungewollt in die Höhe wanderte. »Tatsächlich?« Es gelang mir nicht, die Skepsis aus meiner Stimme herauszuhalten. Ich wusste, dass anerzogene Klischees und Vorurteile aus mir sprachen, aber ich war wirklich noch nie einem Profisportler begegnet, der gleichzeitig ein begeisterter Leser war. Nicht, dass ich überhaupt viele Sportler kannte. Es sei denn, man zählte Schach zu Sport.

»Ja.« Maurice deutete auf den Umzugskarton, der mir am nächsten war.

Ich interpretierte die Geste als Aufforderung und Erlaubnis, die Kiste zu öffnen, und entfaltete den zusammengesteckten Deckel – und schnappte nach Luft. Der Karton war voller Bücher! Und nicht einfach irgendwelche Bücher, einige meiner absoluten Lieblingstitel waren darunter. Das Rad der Zeit. Die Gilde der Schwarzen Magier. Die Avalon-Saga. Der Name des Windes. Der Hobbit und Herr der Ringe. Ich griff nach einer ziemlich zerfledderten Ausgabe von Die zwei Türme.

»Hast du das gelesen?«, fragte ich, obwohl die unzähligen Leserillen im Einband das eigentlich deutlich machten.

»So ungefähr zwanzigmal«, antwortete Maurice. Er kam auf mich zu und setzte sich vor mir auf den Boden. Nun war ich diejenige, die auf ihn herabblickte. »Ich liebe Tolkien. Hast du den Hobbit gelesen?«

»Gelesen?« Ich schnaubte. »Inhaliert trifft es wohl eher.«

Maurice grinste mich an, als hätte ich keine bessere Antwort geben können. »Die meisten Leute, die ich kenne, haben wenn überhaupt nur die Verfilmungen gesehen und meistens nicht mal alle.«

»Dann haben sie etwas verpasst, die sind nämlich ziemlich gut«, erwiderte ich und fügte nach kurzem Überlegen hinzu: »Natürlich nicht so gut wie die Bücher.«

»Natürlich nicht«, echote Maurice. »Aber wenn dir die Filme gefallen haben, wird dich das hier umhauen.« Er beugte sich über die Kiste und begann sie zu durchwühlen.

Dabei entdeckte ich immer mehr Ausgaben, die sich auch in meiner Sammlung befanden. Es war, als hätten meine Eltern den Karton geradewegs aus meinem alten Zimmer zu Maurice geschickt. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er all diese Bücher besaß und sie offensichtlich so sehr ins Herz geschlossen hatte, dass er sie mit ans College nahm. Zwar hatte es an meiner alten Highschool Mitschüler gegeben, die dem Fantasygenre nicht abgeneigt gewesen waren, vor allem nach den ganzen Verfilmungen der letzten Jahre. Aber die Klassiker hatten meines Wissens nur wenige von ihnen gelesen. Eugene hatte auf meinen Wunsch angefangen, DieGefährten zu lesen, aber nach hundert Seiten abgebrochen. Das Buch sei langweilig, die Sprache unerträglich und die Charaktere absolut unglaubwürdig – seine Worte, nicht meine.

»Ah, das ist es!«, rief Maurice und zog ein Exemplar des Hobbit hervor, dass er mir reichte.

Ich nahm es entgegen. Auf den ersten Blick war nichts Ungewöhnliches an dem Buch zu erkennen – bis ich es aufschlug und die Signatur entdeckte. Nicht von Tolkien persönlich, solche Exemplare kosteten Zehntausende Dollar, aber von Martin Freeman.

»Wow, du hast ihn getroffen?«

»Leider nicht. Mein Onkel hat mir das Buch zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Ich war erst skeptisch, aber nach ein paar Seiten konnte ich einfach nicht mehr aufhören.«

Ich fühlte Maurice’ Worte. Meine Liebe zur Fantasy und allem Übernatürlichen hatte sich schon früh entwickelt, aber erst später, durch die Werke von Tolkien, war sie richtig gefestigt worden. Für mich gab es nichts Schöneres, als in fremde Welten einzutauchen und Abenteuer zu erleben, die sich mir in Wirklichkeit nie stellen würden. Und vielleicht hatte ich in Maurice endlich jemanden gefunden, mit dem ich diese Welten bereisen konnte.

4. Kapitel

»Darf ich euch schon e