Sommer im Restaurant am Hafen - Johanna Paul - E-Book

Sommer im Restaurant am Hafen E-Book

Johanna Paul

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Beschreibung

Eine junge Frau und ein schicksalhaftes Familiengeheimnis an der ostfriesischen Küste Eigentlich möchte Noa nichts lieber, als nach dem Studium ihren neuen Job in Frankfurt zu beginnen. Aber ihre Großmutter Ani braucht nach einem Unfall Hilfe in ihrem kleinen Restaurant in Carolinensiel. Noa macht sich auf den Weg an die Nordsee, um Ani bei der Suche nach einem Koch zu unterstützen. Dort lernt sie den sympathischen Jannis kennen und darf ihn schließlich einstellen – auch wenn Ani sich zunächst scheinbar grundlos dagegen sträubt. Als wäre eine störrische Oma nicht schon genug, geht Noa auch noch deren häuslicher Pfleger Dan mit seinem Sarkasmus ziemlich auf die Nerven. Doch als sie erfährt, welches Geheimnis Ani vor ihr verbirgt, muss sie sich mit Dan zusammentun, um das Restaurant zu retten.

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Sommer im Restaurant am Hafen

Die Autorin

Johanna M. Paul, Jahrgang 1998, ist in Bremen geboren und aufgewachsen. Nach ihrem Abschluss in Angewandter Physik zog sie für ein weiterführendes Studium nach Hannover. Familie und Freundschaften verbinden sie mit Ostfriesland und der Nordseeküste. Neben Naturwissenschaften sind seit ihrer Kindheit Lesen und Schreiben ihre Leidenschaft.

Das Buch

Eine junge Frau und ein schicksalhaftes Familiengeheimnis an der ostfriesischen KüsteEigentlich möchte Noa nichts lieber, als nach dem Studium ihren neuen Job in Frankfurt zu beginnen. Aber ihre Großmutter Ani braucht nach einem Unfall Hilfe in ihrem kleinen Restaurant in Carolinensiel. Noa macht sich auf den Weg an die Nordsee, um Ani bei der Suche nach einem Koch zu unterstützen. Dort lernt sie den sympathischen Jannis kennen und darf ihn schließlich einstellen – auch wenn Ani sich zunächst scheinbar grundlos dagegen sträubt. Als wäre eine störrische Oma nicht schon genug, geht Noa auch noch deren häuslicher Pfleger Dan mit seinem Sarkasmus ziemlich auf die Nerven. Doch als sie erfährt, welches Geheimnis Ani vor ihr verbirgt, muss sie sich mit Dan zusammentun, um das Restaurant zu retten.

Johanna Paul

Sommer im Restaurant am Hafen

Ein Nordsee-Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2022 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat E-Book powered by pepyrusISBN 978-3-95818-688-0

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1

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Danksagung

Leseprobe: Das kleine Friesenhaus am Meer

Empfehlungen

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1

Widmung

Für meine Oma Toni

1

Frustriert pustete Noa eine blaue Haarsträhne aus ihrem Gesicht, während sie ihre Reisetasche aus dem Bus hinaus in den strömenden Regen hievte. Ihr Nacken knackte nach sieben Stunden abwechselndem Sitzen und Warten. Den letzten Abschnitt von Wittmund hierher hätte sie lieber mit dem Taxi zurückgelegt, aber noch hatte sie das Budget einer Studentin. Bald.

Der Bus brauste davon, und sie blieb auf dem nassen Gehweg an der Hauptstraße von Carolinensiel zurück, blickte sich um, den Kopf eingezogen. Ihre Regenjacke war natürlich irgendwo tief in ihrer Tasche vergraben. Am Wetter lag es sicher nicht, dass sie die Gegend kaum wiedererkannte – das war normal für Juli in Norddeutschland. Wahrscheinlich eher daran, dass sie sonst immer zusammen mit ihren Eltern im Auto hier angekommen war. Und dass sie überhaupt ziemlich lange nicht hier gewesen war.

Sie zückte ihr Handy, schirmte es mit der Hand gegen die Tropfen ab und verschaffte sich auf Google Maps einen Überblick. Dort vorne war die Apotheke. Dann müsste da hinten, auf der anderen Straßenseite …

»Starr woanders auf dein Handy.« Ein breiter Typ rempelte sie an. Als sie ihm nachsah, drehte er sich mit einem frechen Grinsen noch mal zu ihr um.

Noa rollte mit den Augen. Sie schulterte ihre Reisetasche, überquerte die Straße und tauchte in das Wohngebiet auf der gegenüberliegenden Seite ein. Neue und alte Häuser, mit säuberlichen Einfahrten und Vorgärten, teilweise mit einem kitschigen Holzschild, das den Namen eines Ferienhauses verkündete und sich dabei irgendeiner abgenutzten Assoziation mit Meer bediente. Zwei Straßen von ihrem Ziel entfernt kam ihr ihre Umgebung schließlich wieder bekannt vor – das Haus mit den vielen Blumen, der blaue Gartenzaun dort drüben, die Parkplätze. Wahrscheinlich waren sie mit dem Auto sonst immer von einer anderen Seite gekommen.

Ihre Schultern und ihr Nacken schmerzten unerträglich, und sie hätte gedacht, nach all den Stunden Fahrt erleichtert zu sein, jetzt, wo sie fast am Ziel war, aber Küstenwind und Regen verhalfen ihrer Laune nicht gerade zur Besserung. Sie versuchte, optimistisch zu sein. Wenigstens war es hier nicht so drückend heiß wie in Wiesbaden. Und die Luft roch anders. Salziger. Frischer.

Sie folgte einer weiteren Straße und bog dann nach links in eine Nebengasse ein. Und dort war es, auf der rechten Seite. Ein Wohnhaus aus Ziegelsteinen mit vier Parteien, jede mit einem eigenen Eingang. Der letzte davon gehörte zu der Erdgeschosswohnung, in der Noa schon unzählige Stunden ihres Lebens verbracht hatte. Das Beet im Vorgarten könnte mal wieder gepflegt werden, fiel ihr auf, als sie sich näherte und dem Weg neben der Einfahrt auf die Haustür zu folgte. Die Gardine vor dem Küchenfenster war zugezogen.

Katō stand an Briefkasten und Klingelschild. Sie klingelte.

Nichts rührte sich. Stattdessen bewegte sich die Gardine in der anderen Erdgeschosswohnung, der von Regina. Als Noa gerade die Hand hob, um ein zweites Mal zu klingeln, ging die Tür der Nachbarwohnung auf, und Regina erschien, eine schmale Frau um die sechzig, die sich seit ihrer letzten Begegnung kaum verändert zu haben schien. Auch die rote Brille war noch dieselbe.

Noa stellte die Tasche ab und grüßte. »Guten Tag.«

Regina musterte Noas klatschnasse Kleidung, selbst darauf bedacht, sich nicht zu weit aus der Tür herauszuwagen. »Du bist Anis Enkelin, richtig?«

Wer sonst? »Ja.«

»Ani hat mir gestern einen Schlüssel gegeben, als ich kurz bei ihr war. Damit du reinkannst. Hier.« Sie wedelte mit einem Schlüsselbund.

Noa kam um das Vorgartenbeet herum zu ihr rüber und nahm ihn entgegen. »Ist sie denn nicht zu Hause?«

Regina bedachte sie mit einem seltsamen Blick. »Doch. Natürlich.«

Was sollte das nun heißen?

Unter den Adleraugen von Regina schloss Noa die Haustür auf. Der Flur war dunkel und roch leicht muffig. Sie stellte ihre Tasche auf die Fliesen unter der Garderobe, nickte Regina zu und verschwand rasch selbst nach drinnen.

Haarsträhnen klebten ihr unangenehm im Gesicht, und sie schlüpfte schnell aus den durchweichten Schuhen. Die Türen zur Küche, zum Bad, zum Gästezimmer und zum Schlafzimmer waren geschlossen, nur die hinten rechts zum Wohnzimmer stand einen Spaltbreit offen.

»Oma?«

Irgendwo fiel klappernd etwas herunter. Noa folgte dem Geräusch.

Auch im Wohnzimmer und rechter Hand im Essbereich entdeckte sie zunächst niemanden, bis sie weiter vortrat und um die Ecke sehen konnte, wo eine Terrassentür nach hinten in den Garten führte. Ein Rollstuhl stand dort, zum Fenster gewandt, von Noa weg. Eine erschreckend zusammengefallene Gestalt mit schwarzgrauen Haaren saß darin. Faltige Hände streckten sich Richtung Boden, wo eine Deko-Holzfigur lag.

Noa trat näher. »Hallo, Oma.« Sie bückte sich, um die Figur aufzuheben und zurück auf die Fensterbank zu stellen.

Sie erhielt einen Klaps auf die Hand. »Ich mache das selbst.«

Noa hob ergeben die Hände und wandte den Kopf, um ihrer Oma in die Augen zu sehen. »Okay. Schon gut.« Dabei sah es nicht so aus, als würde ihre Oma in der Lage dazu sein. Und sie machte auch keine Anstalten, es erneut zu versuchen.

Anzu Katō, den meisten nur als Ani bekannt, war gealtert. Ihr Gesicht war faltig geworden, ihre Körperhaltung eingesunken, als wäre all ihre Energie verbraucht. Der Ausdruck in ihren Augen war mürrisch, und ihre stets elegante Kleidung gegen einen Jogginganzug eingetauscht, unter dem der Gips an ihrem Bein hervorlugte.

»Starr mich nicht so an.« Ihre Stimme war noch dieselbe. Einschüchternd wie eh und je.

Hastig wandte Noa den Blick ab. »Wie geht’s dir?«

»Na, wie wohl? Es dauert noch Wochen, bis ich wieder laufen kann, sagt die Ärztin. Und so lange stecke ich in diesem Ding fest.« Sie deutete auf den Rollstuhl. »Ich wollte mich für einen Mittagsschlaf aufs Sofa legen, aber ich schaff es hier nicht alleine raus. Ich kann nicht einmal die Haustür öffnen, weil mein hochgelegtes Bein im Weg ist.«

»Hm. Ja, das stimmt wohl.« Noa hatte bloß höflich sein wollen.

»Mir reicht es schon, dass ich nun morgens und abends von Pflegern betüdelt werde. Und jetzt kommst du auch noch und willst mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.«

»Ich will dir … was?«

»Ist doch wahr. Deshalb bist du hier.«

Noa runzelte die Stirn und trat einen Schritt von ihrer Oma zurück. Das hier ging ihr auf die eh schon angespannten Nerven. »Meine Eltern sagten, ich soll dir dabei helfen, eine Unterstützung für dein Restaurant zu finden. Nichts weiter.«

»Ich brauche keine Hilfe.«

»Ach ja? Dann hast du also schon jemanden gefunden?«

»Ich brauche keine Hilfe, sagte ich.«

Noa setzte zu einer bissigen Bemerkung an, die sie sich gerade noch verkneifen konnte. Das ging ja gut los. »Ich bringe mal meine Sachen ins Gästezimmer.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und ließ ihre Oma im Wohnzimmer zurück.

Das Gästezimmer befand sich gegenüber vom Wohnzimmer, links daneben lag das Bad und rechts, am Ende des Flurs, Anis Schlafzimmer. Als Noa die Tür aufstieß und ihre Reisetasche hineinschob, hielt sie allerdings Gerümpelkammer für die treffendere Bezeichnung. Hinter zwei Wäscheständern, Bügelbrett, Staubsauger, Besen und Bergen von Wäsche war das Schlafsofa kaum zu erahnen. Seufzend bahnte sie sich einen Weg und ließ sich erst mal auf das Möbelstück fallen.

Warum bloß hatte sie in das hier eingewilligt? Hätte sie die vier Wochen bis zu Beginn ihres Jobs nicht lieber noch mit ihren Freunden in Singapur verbringen können?

Aber sie hatte es ihren Eltern versprochen, weil die wegen ihrer blöden Anwaltskanzlei natürlich selbst keine Zeit hatten. Und je eher sie damit anfing, ihrer Oma zu helfen, desto eher war sie diese Aufgabe vielleicht auch wieder los. Sie schrieb ihrer Mutter eine WhatsApp-Nachricht, dass sie gut angekommen war. Dann stand sie wieder auf, begann, das Nötigste aus dem Weg zu räumen, das Schlafsofa mit Bettwäsche zu beziehen und ihre Sachen in den Kleiderschrank einzusortieren. Nach einem Abstecher ins Bad nahm sie die Küche in Augenschein, die ähnlich verstaubt war wie der Rest der Wohnung. Als Erstes würde sie putzen und waschen müssen. Und ein Blick in den Kühlschrank offenbarte ihr, dass auch ein Einkauf dringend zu erledigen war. Vor allem vegane Lebensmittel waren hier Mangelware.

Ihr Blick fiel auf einen Stapel Mappen ganz in der Ecke der Küchenzeile. Eine versilberte Schrift blitzte auf, und sie trat näher, als sie das Wort Bewerbung las. Dann hatten also doch schon Leute auf die Stellenanzeige reagiert. Neugierig schlug sie die oberste Mappe auf und blätterte vom Anschreiben zum Lebenslauf.

Ein dunkelhaariger junger Mann lächelte ihr von einem Foto entgegen. Jannis Makino. Er hatte eine Koch-Ausbildung und sogar Erfahrung in der japanischen Küche, auch in der Zubereitung von Sushi. Noa pfiff leise durch die Zähne, nahm den Stapel Mappen in die Hände und marschierte damit zurück zu ihrer Oma ins Wohnzimmer.

»Du hast ja schon eine ganze Reihe von Bewerbern.«

Ani schnaubte, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. »Hohlköpfe. Alles.«

Noa ließ die Unterlagen auf den Wohnzimmertisch fallen. »Gib’s zu, du hast sie dir nicht einmal angesehen.«

»Weil ich niemanden brauche.«

»Aha. Dann läuft dein Restaurant also zurzeit gut? Ich kann ja nachher mal vorbeigehen und Sushi mitbringen.«

Ani kniff die Lippen zusammen. »Es hat geschlossen.«

Das hatte Noa bereits gewusst. Ani betrieb das Restaurant weitgehend selbst, mit nur einigen Teilzeit-Servicekräften als Unterstützung, und seit ihrem Unfall hatte sie nicht mehr arbeiten können. Deshalb hatten Noas Eltern die Stellenanzeige ins Internet gesetzt. »Und wie lange soll es noch geschlossen bleiben?«

»Nur, bis ich wieder laufen kann.«

»Du hast selbst eben gesagt, dass das noch Wochen dauern wird. Und auch im Anschluss kann es doch sicher nicht schaden, wenn du so langsam mal eine andere Person in deine Sushi-Künste einweihst. Die nächste Generation.«

Ani antwortete nicht. Auf ihrer Stirn zeigte sich eine Zornesfalte.

»Hier.« Noa schlug die oberste Mappe noch einmal auf. » … habe mehrere Jahre Erfahrung in der Gastronomie und Kenntnisse in der Zubereitung japanischer Fischgerichte. Eine Tätigkeit als Koch eines Sushi-Restaurants an der Nordsee würde mich sehr reizen, und ich könnte jederzeit anfangen. Besser geht’s doch nicht.«

Ihre Oma schwieg weiterhin.

»Ich finde, du solltest diesen netten jungen Mann zu einem Bewerbungsgespräch einladen. Möchtest du das selbst machen?«

»Nein!«

»Dann macht es dir wohl nichts aus, wenn ich das für dich übernehme.«

»Ich …«

»Oder hast du vor, dein Restaurant aufzugeben?«

»Natürlich nicht.«

»Na also. Ich gehe jetzt einkaufen. Wünsche? Und anschließend kannst du mir gerne eine Formulierung für die Antwort-E-Mail vorschlagen.«

Grummelnd trug Ani ihr auf, zwei Packungen Toffifee nicht zu vergessen. Noa nickte halbwegs befriedigt, verließ das Wohnzimmer und schnappte sich Portemonnaie und Einkaufstaschen. Dickköpfig sein konnte nicht nur ihre Oma.

Noas Schultern schmerzten von der langen Reise noch immer, und das machten die beiden schweren Einkaufstaschen nicht gerade besser.

Sie war zu dem Supermarkt auf der anderen Seite des kleinen Hafens von Carolinensiel gelaufen und machte sich nun auf den Rückweg, ein Stück an der Straße entlang und über die breite Brücke, die das Flüsschen namens Harle vom Hafen trennte. Immerhin hatte es aufgehört zu regnen. Das Restaurant lag nicht weit von hier. Ob es noch gut in Schuss war? Den Abstecher würde sie noch schaffen.

Sie bog von der Brücke auf den Weg am Hafenbecken ab, folgte ihm entlang und wich einer Familie aus, die sich beim Eisessen in die Haare gekriegt hatte. Der Hafen war schon lange nicht mehr in Betrieb, lag zu weit landeinwärts und war zu klein für die Fischkutter und Fähren, die ihren Anleger weiter draußen im Küstenort Harlesiel hatten. Deshalb hatte man ein paar alte Segelschiffe hier abgestellt und ihn in »Museumshafen« umgetauft, was Noa etwas übertrieben fand. Aber er bildete das Herzstück von Carolinensiel, einen Treffpunkt mit einem recht angenehmen Ambiente für Restaurants und Cafés. Am Ende des Hafens verengte sich die Hafenmauer wieder zu einer Flussumrandung. Wer genügend Ausdauer hatte, konnte von hier an der Harle entlang direkt bis zum Strand in Harlesiel spazieren.

Noa erreichte die Westseite des Hafens, beobachtete die Gäste, die trotz des Wetters draußen vor den Cafés an ihren Getränken schlürften, und bog nach einigen Metern nach links in eine Nebengasse ein, die vom Hafen wegführte. Sie passierte die Rückseite eines der Hafencafés, dann öffnete sich der Blick auf ein kleines Ziegelsteinhaus, dessen Erdgeschoss großflächig verglast war und über dessen Eingang der Schriftzug Sushi & Nordsee prangte. By Ani, stand in einer kleineren roten Schrift darunter, die hinzugefügt worden war, als das Restaurant in der Region immer mehr Bekanntheit erlangt hatte.

Im Inneren war alles dunkel. Noa näherte sich über den Parkplatz und bemerkte das Schild am Eingang, das darauf hinwies, dass sie vorübergehend geschlossen hatten. Durch die gläserne Eingangstür konnte sie gut hineinsehen. Alles genau so, wie sie es in Erinnerung hatte: Tische und Stühle aus Holz, an denen insgesamt ungefähr vierzig Leute Platz fanden, hinten in der Mitte die Tür, die in die Küche führte. Aber die Leute fehlten nun. Die Einrichtung war unordentlich und verdreckt zurückgelassen worden, offensichtlich hatte nach Anis Sturz niemand mehr ans Aufräumen gedacht.

Bisher war es Noa eigentlich egal gewesen. Aber traurig war dieser Anblick schon. All die Arbeit, die ihre Oma hier hineingesteckt hatte. Seit Jahren, seit Jahrzehnten. Anis Sushi gab es, seit Noa denken konnte.

Sie wusste nicht viel über die Entstehungsgeschichte des Restaurants, überlegte Noa, während sie von der Scheibe zurücktrat und der Straße weiterfolgte, um ins Wohngebiet zurückzukehren. Ani Katō war als junge Frau aus Japan hergekommen, zusammen mit ihrem Mann. Der Mann war gegangen, und Ani war mit ihrer kleinen Tochter, Noas Mutter, an die Nordsee gezogen, wo sie sich nach und nach eine Existenz als Sushi-Köchin aufgebaut hatte. Das hatte ihre Mutter ihr erzählt. Ani selbst hatte noch nie mit Noa darüber gesprochen.

Zurück in der Wohnung ihrer Oma, räumte Noa die Einkäufe ein, bevor sie sich erneut ins Wohnzimmer wagte, mit einer Schachtel Toffifee bewaffnet. Die Bewerbungsmappen lagen unangetastet auf dem Wohnzimmertisch. Ani hatte den Fernseher eingeschaltet, der leise vor sich hin murmelte, starrte aber raus in den Garten. Noa ging an ihr vorbei, öffnete die Terrassentür, um Luft hereinzulassen, und drückte ihrer Oma dann die Toffifee-Packung in die Hand.

Diese würdigte das mit einem leichten Nicken.

Noa seufzte. »Willst du nicht einmal wissen, wer der Bewerber ist, dem wir jetzt eine Antwort schicken?«

»Ich schicke niemandem eine Antwort.«

»Na schön: Dem ich nun eine Antwort schicke.«

Sie erntete einen bösen Blick.

»Wenigstens dem einen. Die anderen sollten wir auch noch genauer anschauen, aber wir können erst den einen abwarten, wenn es dir lieber ist.«

»Mir egal.«

»Oma …«

»Mach doch einfach. Weißt ja anscheinend, was das Beste für mich ist.« Sie schob schmollend die Unterlippe vor. Ein störrisches Kind im Körper einer alten Frau.

Noa zuckte mit den Achseln. »Bitte. Dann schreibe ich allen zurück, die mir gefallen. Aber beschwer dich bloß hinterher nicht.«

Ani kniff wieder die Lippen zusammen. Noa starrte sie noch einen Moment lang an, dann schnappte sie sich die Mappen und ließ sich damit aufs Sofa fallen.

Es waren fünf Stück. Die Bewerbung von Jannis Makino war mit Abstand am passendsten, aber zwei der anderen waren auch vielversprechend. Sie zückte ihr Handy, loggte sich in den E-Mail-Account des Restaurants ein, dessen Daten ihre Eltern ihr gegeben hatten, und begann, Antwortschreiben zu formulieren. Zuerst eines an Herrn Makino.

Bitte entschuldigen Sie die späte Rückmeldung. Ihre Bewerbung hat uns sehr zugesagt und wir würden Sie gerne so bald wie möglich zu einem persönlichen Gespräch einladen.

Sie schlug ihm einen Termin Ende der Woche vor, fügte die Adresse des Restaurants hinzu und feilte noch ein wenig an ihren Worten. Mit einem trotzigen Blick zu ihrer Oma hinüber drückte sie auf Senden.

2

Ani ließ es Noa den ganzen Abend lang spüren, dass sie hier nicht willkommen war, und Noa konnte sich nicht dagegen wehren, dass ihre ohnehin mäßige Stimmung immer weiter kippte. Das hier war zum Verzweifeln. Selbst die Frau vom Pflegedienst, die gegen neun vorbeikam und Ani ins Bett brachte, beeilte sich, wieder nach draußen zu ihrem Auto zu gelangen, um der frostigen Atmosphäre zu entgehen.

Noa schlief schlecht und wachte schon um sieben Uhr wieder auf, weil ihr Rücken von dem blöden Schlafsofa schmerzte. Schläfrig tastete sie nach ihrem Handy und öffnete die Liste mit den WhatsApp-Chats. Ihre Mutter hatte ihr lediglich mit »Gut« geantwortet. Sie schrieb immer so knapp, hatte ihren Kopf voll mit anderen Dingen, aber eine kurze Nachfrage, wie es mit Ani stand, war doch nicht zu viel verlangt, oder?

Vielleicht war sie aber auch nur froh, Noa wieder los zu sein. In den vergangenen Tagen hatte Noa nach zwei Jahren Studium in Singapur wieder bei ihren Eltern zu Hause gewohnt, hatte sich darauf gefreut, sie wiederzusehen. Aber die beiden hatten kaum Zeit für sie gehabt, waren fast den ganzen Tag in der Kanzlei gewesen und hatten sich abends darüber beschwert, wenn Noa noch nicht den gesamten Haushalt geschmissen hatte.

Seufzend scrollte sie in den Chats weiter nach unten. Immer noch keine Nachricht von Claire. Dabei hatte ihre beste Freundin aus Singapur ihr jetzt schon so oft versprochen, dass sie sich endlich mal melden würde.

Resigniert schwang sie die Beine über die Sofakante, stand auf und bahnte sich einen Weg durch das Gerümpel zur Tür. Der Flur war noch dunkel. Selbst wenn ihre Oma schon wach war, konnte sie wegen ihres Bein- und Hüftbruchs noch immer nicht alleine aufstehen und sich anziehen, weshalb seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus vorübergehend morgens und abends ein Pflegedienst vorbeikam.

Nach einem Abstecher ins Bad ging Noa in die Küche und startete erst einmal die Kaffeemaschine. Sie begann zu röhren, und Kaffeeduft verbreitete sich im Raum. Schon etwas besser.

Vier Wochen. Sie würde das aushalten.

Während sie schon mal eine Tasse aus dem Küchenschrank nahm, öffnete sie das E-Mail-Postfach des Restaurants auf ihrem Handy. Eine neue Nachricht … Beinahe fiel ihr die Tasse aus der Hand. Sie stellte sie ungeschickt ab und starrte ungläubig auf die Zeilen.

Über die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch freue ich mich sehr. Gerne komme ich zu dem vorgeschlagenen Termin morgen um zehn Uhr dreißig vorbei.

Darunter leuchtete der Name Jannis Makino. Er hatte die E-Mail noch am vergangenen Abend abgeschickt. Er meinte doch nicht etwa heute?

Noas Gedankengang wurde von einem Klappern an der Haustür unterbrochen, und als sie die Gardine am Fenster zur Straße leicht anhob, sah sie am Straßenrand einen Wagen mit der Aufschrift Ambulanter Pflegedienst. Sicherlich die Pflegerin von gestern Abend, dachte sie leicht abwesend und ging aus der Küche die wenigen Schritte zur Haustür hinüber, um sie für sie zu öffnen. Sie riss sie auf und … blickte in ein Gesicht, das ihr bekannt vorkam.

Nicht die Pflegerin. Sondern der unfreundliche Typ, der sie gestern auf dem Gehweg angerempelt hatte. Er hatte dunkelblonde Haare und einen kurzen Bart, war mindestens eins neunzig groß und kräftig.

Sie brauchte einen Moment, bis sie sich gefasst hatte. »Was … willst du?«

Er musterte sie spöttisch, klimperte mit dem Schlüssel in seiner Hand und zeigte dann mit der anderen Hand auf das Schild an seinem Hemd. »Ich gehe auch wieder, wenn ich hier nicht gebraucht werde.«

Dan Behrens stand auf dem Schild, darunter der Name des Pflegedienstes. Na klar.

Verärgert über sich selbst und diesen arroganten Typen schüttelte Noa den Kopf. »Nein. Komm rein. Ich bin die Enkelin. Noa.«

Sie zog sich rasch wieder in den Eingang der Küche zurück, um ihn vorbeizulassen, und er ging den Flur hinunter auf Anis Schlafzimmer zu. Dabei drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Der Kaffeegeruch ist schon gemein.«

Der Kaffee war durchgelaufen, und Noa goss eine großzügige Menge aus der Kanne in ihre Tasse. Erwartete der Kerl jetzt, dass sie ihm auch einen Kaffee anbot?

Sie stellte die Kanne zurück und las die E-Mail von Jannis Makino noch einmal. Er wollte tatsächlich schon heute kommen. Aber sie hatte ihm doch einen Termin für Freitag vorgeschlagen, weil sie Zeit für die Vorbereitung brauchte …

Nein, Moment. Als sie einen Blick in ihren Handykalender warf, bemerkte sie ihren Fehler. Aus Versehen hatte sie beim Schreiben der E-Mail nach den Wochentagen im August statt im Juli geschaut, und damit war das vereinbarte Datum nicht an einem Freitag, sondern an einem Dienstag. Heute.

Zehn Uhr dreißig, das war in etwas mehr als drei Stunden. Sie dachte an den Anblick des unaufgeräumten Restaurants und fluchte leise. Jetzt noch abzusagen wäre wirklich unverschämt, also hatte sie keine Wahl.

Die Tasse war sowieso noch viel zu heiß, also ließ sie sie stehen, eilte ins Gästezimmer und suchte aus ihren Sachen im Kleiderschrank etwas Angemessenes zum Anziehen heraus. Nachdem sie in die schwarze Hose geschlüpft war und ihr Schlaf-T-Shirt gerade ausgezogen hatte, stellte sie fest, dass die Bluse völlig zerknittert war. Zur Hölle.

Nun hatte es zumindest einen Vorteil, dass das Bügelbrett im Gästezimmer stand. Sie schloss eilig das Bügeleisen an, wartete ungeduldig, bis es heiß war, und bügelte so schnell wie möglich ihre Bluse. Der Stoff war noch fast heiß, als sie sie überwarf, mit der Bürste rasch ihre Haare bändigte und zurück in die Küche rannte, um endlich ihren Kaffee zu trinken. Sie stürzte ihn so schnell herunter, dass sie sich verbrühte – natürlich. Hustend stand sie im Flur und nahm den Schlüsselbund für das Restaurant vom Schlüsselbrett.

Zu ihrem Pech ging genau in diesem Moment die Schlafzimmertür auf, und Dan schob Noas Oma heraus und auf die Badezimmertür zu. Er warf ihr einen Blick zu, und schon wieder zuckte es spöttisch um seine Mundwinkel. »Willst du so los?«

Sie starrte ihn finster an. »Entscheidest du jetzt darüber, wie ich rauszugehen habe?«

Er zuckte mit den Achseln. »Dachte bloß, du würdest deine Bluse richtig herum tragen wollen.« Damit verschwanden er und Ani im Bad. Ani würdigte weder Noa noch Dan eines Blickes.

Noa sah an sich herab und stöhnte. Die Naht war außen. Sie rauschte noch einmal in ihr Zimmer, drehte die Bluse auf rechts und verließ dann im Laufschritt das Haus.

Der Regen hatte sich offenbar verzogen, trübes Licht fiel durch die dichte Wolkendecke. In einem Vorgarten schräg gegenüber von Anis Wohnung rupfte ein kleiner älterer Mann Unkraut, genau wie gestern Nachmittag schon, als Noa vom Einkaufen zurückgekehrt war. Er starrte Noa voll unverhohlener Neugier an.

»Moin«, grüßte er.

Sie nickte ihm zu und beschleunigte ihren Schritt noch weiter.

»Bist die Enkelin von unserer Köchin, hm?«, fragte er trotzdem.

Ach ja, diese Schwätzereien auf dem Land. Sie verkniff sich ein Augenrollen und rief ihm ein knappes »Keine Zeit« zu.

Darauf antwortete er nicht mehr. Verdammt, vermutlich hatte das ziemlich patzig geklungen. Sie war schlecht in so was.

Sie joggte durch das Ferienwohngebiet, überquerte die Kirchstraße in der Nähe der Harle-Brücke und näherte sich dem Restaurant von hinten. Es gab einen Seiteneingang, und Noa probierte die Schlüssel am Schlüsselbund durch, bis sie den fand, der in das Schloss der gedrungenen Tür passte.

Der Geruch, der ihr entgegenschlug, als sie die Tür aufstieß, war alles andere als angenehm. Sie stand direkt in der Küche. Die war halbwegs aufgeräumt, aber der beim Kochen anfallende Dreck von vor zwei Wochen war zu klebrigen Flecken geworden, und die Mülleimer in der Ecke stanken schon von Weitem. Noa rümpfte die Nase und riss rasch die zwei kleinen Fenster auf. Gestern Abend hatte sie bereits die halbe Wohnung ihrer Oma geputzt, und nun musste sie hier schon wieder klar Schiff machen. Dabei hasste sie Haushaltsarbeiten, fühlte sich dabei irgendwie verhöhnt, von ihrer bevorstehenden Karriere und von den erfolgreichen Frauen in ihrer Familie.

Sie schleppte die Mülltüten an die Straße, obwohl sie keine Ahnung hatte, wann der Müll hier abgeholt wurde, was ihr auch egal war, und machte sich mit Lappen und Eimer bewaffnet an die Arbeit. Die Arbeitsflächen in der Küche, der große Gasherd, die Schränke. Eine Tür führte von der Küche in den Gastraum des Restaurants, und sie schrubbte Tische, fegte mit angeekeltem Gesicht zwei Wochen alte Essensreste auf und rückte Stühle und Einrichtung zurecht. Anschließend wischte sie den gesamten Boden. Als sie den Bodenwischer zurück in die Abstellkammer in der Küche brachte, war es kurz vor halb elf, und unter den Ärmeln ihrer Bluse zeichneten sich gut sichtbare Schweißflecken ab. Ihr Magen knurrte, aber für etwas zu essen war jetzt nicht mehr genügend Zeit.

Im Bad vor dem Spiegel verschnaufte sie für einen Moment. Schwarze Haarsträhnen mit blau gefärbten Spitzen hingen ihr wirr ins Gesicht, und sie fasste sie mit der Hand im Nacken zusammen, wozu sie gerade lang genug waren. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht. Die beiden Bäder mussten eigentlich auch geputzt werden, inklusive der Toiletten. Aber dazu würde sie sich nun wirklich nicht herablassen. Der Bewerber würde schon drüber hinwegkommen.

Der Bewerber. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie noch nicht die Gelegenheit gehabt hatte, sich Fragen für das Gespräch zurechtzulegen. Sie hatte im Studium viel über Unternehmensführung und diese Dinge gelernt, aber ein echtes Bewerbungsgespräch hatte sie noch nie geführt, und sie sollte zumindest …

Ein Klopfen erklang und hinderte sie daran, weitere Vorbereitungen zu treffen. Rasch strich Noa ihre Bluse glatt, verließ das Bad und eilte nach vorne in den Gastraum, die Arme dicht an ihrem Körper, um die Schweißflecken zu verbergen. Ein schwarzhaariger Typ stand draußen vor der gläsernen Eingangstür und spähte nach drinnen. Noa fummelte den Schlüssel aus ihrer Hosentasche, brauchte wieder zwei Anläufe, bis sie den richtigen fand, und zog schließlich die Tür auf.

»Kommen Sie rein.«

Der Typ trat über die Schwelle und streckte ihr die Hand entgegen. »Vielen Dank. Jannis Makino.«

Noa hielt die Tür auf, bis er ganz hindurchgegangen war, ließ sie dann ins Schloss fallen und erwiderte die Begrüßung. »Noa Tatsumi.«

Jannis Makino sah in echt mindestens genauso gut aus wie auf dem Bewerbungsbild. Er trug ein weißes Hemd (ohne Schweißflecken), hatte seine Haare mit Schwung in eine Richtung gegelt und lächelte Noa breit an, wobei sich Grübchen in seinen Wangen bildeten. Bei genauerer Betrachtung war das Lächeln ein wenig nervös. »Ah. Dann haben Sie mir die E-Mail geschrieben.«

»Genau. Ich wurde von meiner … ich wurde dazu beauftragt, die Bewerbungsgespräche durchzuführen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen erst mal alles, danach können wir uns unterhalten.«

Er sah aus, als hätte er noch etwas sagen wollen, nickte dann aber und folgte ihr. Damit hatte Noa das Gespräch in ihrer Hand, führte ihn erst durch den Gastraum des Restaurants, dann in die Küche und versuchte nebenbei in Gedanken fieberhaft, einen sinnvollen Fragenkatalog zusammenzukratzen. Dass sie auch nervös war, schien er bei seiner eigenen Nervosität zum Glück nicht zu bemerken. Er knetete seine Hände, während er ihren Ausführungen lauschte, musterte die Kücheneinrichtung und fragte nur hin und wieder etwas nach.

»Es tut mir leid, dass Frau Katō nicht selbst anwesend sein kann«, sagte Noa schließlich, als sie an der großen Industriespülmaschine angekommen waren.

Jannis Makino setzte plötzlich eine betroffene Miene auf. »Ja, das ist … wie soll man sagen … verständlich.«

Noa runzelte die Stirn. Von dem Unfall hatte sicher nichts in der Stellenanzeige gestanden. »Aber in zwei bis drei Wochen ist sie sicher wieder so fit, dass sie sich mit Ihnen persönlich unterhalten kann.«

Seine Augen wurden groß. »Wie …« Dann brach er ab, Erkenntnis leuchtete in seinem Blick auf, und wenn Noa sich nicht täuschte, färbten seine Wangen sich leicht rot. »Oh.«

Dachte er etwa …?

Er sah weg und bestätigte damit ihre Vermutung.

Sie versuchte es, gab sich wirklich Mühe, aber das Lachen bahnte sich trotzdem seinen Weg. »Sie dachten, sie wäre gestorben!«

Jetzt war da tatsächlich Schamesröte in seinem Gesicht. »Na ja, sie war … sie ist ja schon recht alt, oder nicht?«

»Vierundsiebzig«, sagte Noa, bemüht, die Beherrschung über ihre Stimme wiederzuerlangen. »In ihrem besten Alter sozusagen. Na, vielleicht ist sie noch ein wenig störrischer geworden, aber sonst …« Der verzweifelte Versuch, ernst zu bleiben, machte das Lachen nur schlimmer. Sie wandte sich ab, hielt sich die Hand vor den Mund und täuschte einen Hustenanfall vor. Verdammt, sie hatte gedacht, sie wäre professioneller.

»Dann hoffe ich natürlich, dass ich sie bald kennenlernen kann«, sagte er, und als sie sich wieder zu ihm wandte, lächelte er verlegen.

Sie konnte nicht anders, als ihn zu mögen.

Noa atmete durch, führte ihn wieder rüber zu den Tischen und bat ihn, an einem davon Platz zu nehmen. Sie setzte sich ihm gegenüber, klappte die Speisekarte auf und stellte sie ihm ausführlich vor, tat, als wären ihr die Gerichte nur allzu vertraut. Dabei war es Jahre her, dass sie hier gegessen hatte. Ani bot diverse Sushi-Spezialitäten an, Maki, Nigiri und Gunkan, außerdem die japanischen Fischgerichte Kabayaki und Sashimi – ein bedeutender Anteil davon zubereitet mit Fisch, Krabben und Krebsfleisch aus der Nordsee. Ihr Markenzeichen. Verärgert stellte Noa fest, dass es nur zwei vegane Sushi-Rollen gab. Na, wenn sie sich mit dem künftigen Koch gut stellte, ließ sich das ja vielleicht ändern. Jannis Makino hingegen schien alles einfach nur wunderbar zu finden und hatte weder Kritik noch ergänzende Ideen. Gut, dass er definitiv noch ungeübter in Bewerbungsgesprächen war als sie. Und je länger Noa redete, desto mehr fand sie sich in ihre Rolle ein. Vielleicht hatte sie sogar ein klein wenig Spaß daran, so zu tun, als wäre sie eine fachkundige Personalmanagerin.

Es gelang ihr sogar, zu überspielen, dass sie seine Bewerbungsmappe in der Eile bei Ani liegen gelassen hatte und sich nur noch daran erinnern konnte, dass er irgendwo in der Nähe von Dortmund als Koch in einem vornehmen Restaurant arbeitete. »So«, sagte sie, lehnte sich zurück und musterte ihn mit einem, wie sie hoffte, abschätzigen Blick. »Kommen wir zu Ihnen. Sie haben sich auf eine Stelle ganz schön weit im Norden beworben. Warum?«

»Ich liebe die Nordsee«, sagte er. »Ich will schon seit Jahren hierherziehen. Daher kam mir das Stellenangebot vor wie ein Schicksalsruf.«

»Frau Katōs Restaurant ist das einzige in der Gegend, das eine Stelle ausgeschrieben hat?«

»Also …«

»Das würde mich wundern. Oder wurden Sie bisher nirgendwo angenommen?«

»Nein, ich meine …«, beeilte er sich zu sagen. »Dieses Stellenangebot ist einzigartig. Ein wunderschönes Restaurant, genau die richtige Größe und der richtige Stil.« Er sah sich anerkennend um. »Und außerdem möchte ich gerne wieder in der japanischen Küche arbeiten. Immerhin liegen in Japan meine Wurzeln väterlicherseits, und denen sollte man doch treu bleiben, finde ich.«

Das sah Noa anders, zumindest mittlerweile. Ihr Blick schnellte zu dem Tattoo an ihrem Handgelenk – das, das sie bereute, auch wenn es neben den beiden anderen Tätowierungen an ihrem Unterarm mittlerweile nicht mehr so auffiel. »Finden Sie nicht, dass Sie sich damit sehr einschränken?«

»Nein! Oder meinen Sie … Mir gefällt die japanische Küche eben.«

Okay, nun war sie ein wenig zu hart mit ihm, zu sehr in ihrer Rolle aufgegangen. Mit einem leicht schlechten Gewissen fuhr sie milder fort: »Welche Erfahrungen haben Sie denn in der japanischen Küche?«

Er erzählte, dass er nach seiner Ausbildung für ein Jahr in einer Sushi-Bar gearbeitet hatte, bevor er zu einem noblen Restaurant gewechselt war. Wegen dessen bevorstehender Schließung war er nun auf Jobsuche und würde sofort anfangen können. Je mehr Fragen Noa ihm stellte, desto sicherer wurde er, antwortete ausführlich, vielleicht einen Hauch zu eifrig. Offenbar wollte er die Stelle unbedingt. Als Noa ihm einen Gehaltsvorschlag machte (den sie bisher nur mit ihren Eltern, nicht aber mit Ani abgesprochen hatte), nickte er nur selig. Anfängerfehler. Auch die Befristung auf ein halbes Jahr schien ihm nichts auszumachen. Dabei konnte sie sich kaum vorstellen, dass er bei seinen Referenzen keine Stellen mit besseren Konditionen angeboten bekam.

»Haben Sie noch Fragen?«, erkundigte Noa sich schließlich.

Er zögerte, druckste ein wenig herum. »Ja. Arbeitest du … ich meine, arbeiten Sie …« Er brach ab und starrte sie entgeistert an.

Schon wieder musste sie sich zurückhalten, um nicht loszuprusten. Erst wollte sie seinen Ausrutscher einfach übergehen, mit ausdruckslosem Gesicht darauf warten, dass er seine Frage wiederholte. Aber diese Schauspielerei wurde langsam anstrengend, und sie hatte ihn unabsichtlich verunsichert. Sie mochte das ganze Gesieze nicht einmal, vor allem, weil er nicht nur sympathisch, sondern auch im gleichen Alter wie sie war.

Daher ließ sie ihre Maske fallen und schenkte ihm ein Lächeln. »Schon okay, lass uns uns duzen. Ich bin Noa. Also?«

Er atmete aus. »Okay … Noa. Arbeitest du auch hier?«

Sie grinste. »Nein. Ich wurde nur von Frau Katō mit dem Bewerbungsverfahren beauftragt.«

Er nickte.

»Aber ich werde auch das Probearbeiten begleiten.«

»Ah. Okay.«

Er verstand anscheinend nicht. »Du bist eingeladen«, fügte sie daher hinzu.

»Zum Probearbeiten?«, fragte Jannis ungläubig.

Der Arme. Anscheinend hatte sie es echt übertrieben. »Natürlich. Du bist doch super qualifiziert.«

»Oh. Das freut mich. Sehr.« Wieder zeigten sich Grübchen in seinen Wangen, als er lächelte.

»Wenn du also demnächst Zeit hast, dann sag gerne …«

»Also, meinetwegen geht es gleich sofort.«

Etwas überrumpelt von seinem Eifer kniff sie die Augen zusammen. »Ich muss vorher noch ein paar Dinge abklären. Sagen wir, übermorgen?«

»Ja, ja, natürlich. Donnerstag also.«

Noa nannte ihm eine Zeit, sie klärten noch ein paar Details, und als Jannis immer noch keine weiteren Fragen hatte, schob sie ihren Stuhl zurück und erhob sich. Unauffällig kreiste sie die Schultern, war angespannter gewesen, als sie gedacht hatte.

Jannis schüttelte ihr die Hand und bedankte sich viel zu überschwänglich für das Gespräch, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte. Durch die Scheibe hindurch erschien der wolkenbedeckte Himmel dahinter weiß.

»Warte«, hielt Noa ihn zurück.

Er blieb stehen, drehte sich um und sah sie erwartungsvoll an.

»Warum bemühst du dich so sehr um diesen Job?«

Sein Kopf senkte sich schuldbewusst. »Oh. Merkt man das so stark?«

»Schon.«

»Na wie ich schon sagte.« Jannis fuhr sich mit einer Hand durch die dunklen Haare, und seine Augen begannen zu glänzen. »Japanisches Essen, Fisch, Nordsee … Mein Traumjob.«

Es klang ehrlich. Er musste echt Sorge haben, nicht genommen zu werden. Was irgendwie süß war. »Verstehe.«

»Wirklich?«

»Für meinen Traumjob habe ich mich auch ins Zeug gelegt.«

Er zögerte kurz, vielleicht unsicher, ob es angemessen war, die Rolle des Bewerbers zu verlassen. »Wo arbeitest du denn?«

Und sie konnte es sich nicht verkneifen, ihm davon zu erzählen. Eine einflussreiche Unternehmensberatung in Frankfurt, direkt am Main, mit hohem Einstiegsgehalt und der Aussicht auf Karriere. Ab August. Viele ihrer Mitabsolventen hatten sie darum beneidet.

»In Frankfurt«, sagte Jannis anerkennend. »Klingt spitze.«

Sie lächelte. »Finde ich auch.« Dafür hatten sich ihre Bestnoten in ihrem Economics Masterstudium sicherlich gelohnt.

»Kommst du von dort?«

»Mehr oder weniger. Aus Wiesbaden.«

Jannis stellte weitere Fragen, klang ehrlich interessiert, also schwang Noa sich auf einen der Tische, baumelte mit den Beinen und erzählte von ihrem Studium, von ihren Karriereplänen, ihrer Hoffnung, es als Frau bis ganz an die Spitze zu schaffen. Er lehnte sich gegen die Eingangstür, die Hände in den Taschen seiner Jeans. Als Noa ihm ebenfalls eine persönlichere Frage stellte, beantwortete er sie nur kurz angebunden. Anscheinend war er mehr an seiner Gesprächspartnerin interessiert als daran, möglichst alles über sich zu erzählen.

Schließlich driftete das Gespräch zu allgemeineren Themen, er fragte sie nach ihren Hobbys und ihrem Musikgeschmack, und sie zählte ihm ihre Lieblingsserien auf und zu welcher Musik sie im Club am liebsten tanzte. Nach einer Weile bemerkte sie, dass die Anspannung in ihrem Nacken verschwunden war. Mit einer Person zu plaudern, die nett zu ihr war, war eine angenehme Abwechslung nach den Begegnungen mit Ani und Dan.

Ein Blick auf die Uhr ließ sie schließlich feststellen, dass es Zeit wurde, ihre Vorbereitungen für das Probearbeiten in Angriff zu nehmen. Sie lächelte Jannis entschuldigend an. »Wir sehen uns am Donnerstag.«

Er nickte. »Ich bin auf jeden Fall pünktlich.«

»Dabei hast du doch einen ziemlich weiten Anfahrtsweg.«

»Ich übernachte heute sowieso in einem Hotel, das werde ich einfach verlängern.«

Noa staunte schon wieder über seinen Ehrgeiz. »Na dann.« Sie ging auf ihn und die Tür zu. »Vielen Dank für das Gespräch, Jannis, hat mich sehr gefreut.«

»Danke gleichfalls. Mich auch.« Sein Lächeln war echt ansteckend.

Sie traten nebeneinander nach draußen auf den Parkplatz. Ein Sportwagen stand dort mit einem Dortmunder Kennzeichen. Allzu schlecht konnte Jannis in seinem bisherigen Job nicht verdient haben. Noa schloss die Tür von außen ab, während Jannis neben ihr stehen blieb.

»Einen schönen Tag dir noch«, wünschte sie ihm, um ihn endgültig zu entlassen.

Er blieb weiterhin stehen. »Kennst du … ein gutes Restaurant in der Nähe, wo ich zu Mittag essen kann?«

Sie ließ den Schlüssel in ihre Hosentasche gleiten und überlegte. »Ich war fast immer nur hier.« Sie deutete durch die Tür nach drinnen. »Aber ein Stück die Harle runter ist ein anderes Fischrestaurant, das gut sein soll. Nicht vergleichbar natürlich.«

»Natürlich nicht.« Er grinste, setzte dann erneut eine fragende Miene auf. »Hast du … nein, schon gut.« Mit einer abwinkenden Handbewegung entfernte er sich von ihr und ging auf sein Auto zu.

»Dann bis übermorgen.«

Er lächelte, sie lächelte zurück, und während seine Autotür zufiel, ging sie um die Straßenecke und folgte dem Gehweg zurück in Richtung Anis Wohnung. Und bekam das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht. Hatte er sie gerade fragen wollen, ob sie mit ihm essen wollte? Vielleicht nicht. Aber so oder so war Jannis Makino der erste Lichtblick in dieser misslichen Lage.

3

Am folgenden Morgen wachte Noa wieder viel zu früh und mit schmerzendem Rücken auf. Eigentlich wollte sie nur kurz ins Bad huschen, um sich frisch zu machen, aber auf dem Rückweg in ihr Zimmer blieb ihr eine weitere Begegnung mit Dan Behrens nicht erspart. Natürlich.

»Na, immer noch hier?« Sein sarkastisches Lächeln sah nicht so aus, als ob er sich wirklich darüber freute, sie zu sehen.

Sie bedachte ihn mit einem bösen Blick und verschränkte die Arme vor der Brust, um in ihrem dünnen Schlaf-T-Shirt nicht so verletzlich auszusehen. »Ein Problem damit?«

»Sah gestern so aus, als müsstest du sehr dringend irgendwohin. Oder …« Er warf einen Blick zu Anis geschlossener Schlafzimmertür. » … dringend weg.«

»Geht dich sicher nichts an, wohin ich musste.«

Er verdrehte die Augen. »Wow, entspann dich. Wollte bloß Small Talk betreiben.« Damit verschwand er in Anis Zimmer.

Dan war wirklich eingebildet. Genervt ließ Noa ihre Zimmertür hinter sich zufallen und warf sich wieder aufs Schlafsofa. Autsch. Gut gefedert war etwas anderes.

Bereits gestern Nachmittag hatte sie begonnen, ein paar Dinge für das Probearbeiten vorzubereiten, und noch immer hatte sie alle Hände voll zu tun. Die Angestellten mussten angerufen und aus dem Urlaub zurückgeholt werden, Einkäufe mussten getätigt werden, und im Restaurant musste ein Aushang darüber informieren, dass es morgen ausnahmsweise geöffnet hatte. Aber sie brauchte erst einen Kaffee. Um sich die Zeit zu vertreiben, bis Dan weg war, da sie ihm ganz sicher nicht noch einmal begegnen wollte, sah sie auf ihr Handy. Immer noch nichts von Claire. Dafür hatte sich nun auch einer der beiden anderen Bewerber, denen sie geantwortet hatte, zurückgemeldet, und wollte wissen, ob er am nächsten Tag zum Bewerbungsgespräch vorbeikommen könne, weil er zufällig in der Gegend sei. Unmöglich, dass er besser auf die Stelle passen würde als Jannis Makino. Sie ertappte sich selbst bei dem Gedanken, den anderen Bewerber hinzuhalten, bis die Sache mit Jannis geregelt war. Aber nein, sie musste jedem eine faire Chance geben.

Während sie eine Antwort zu formulieren begann, hörte sie Dan und Ani in den Flur rumpeln. Ani grummelte irgendetwas vor sich hin, und Dan entschuldigte sich bei ihr. Weniger sarkastisch, als er zu Noa gewesen war, aber sie meinte, eine leichte Gereiztheit aus seinem Ton herauszuhören. Was sie ihm schlecht übel nehmen konnte.

Als Dan endlich gegangen war, tapste sie in die Küche rüber, wo sie Ani vorfand, die in ihrem Rollstuhl am Küchentisch saß und ein Stück Apfel vor sich auf dem Teller hin- und herschob. Das Brot in dem Korb neben ihr war unangetastet.

Noa setzte ein möglichst unverkrampftes Lächeln auf, während sie den Filter in der Kaffeemaschine tauschte. »Auch Kaffee?«

»Dringend«, sagte Ani.

Immerhin. Noa stellte die Kaffeemaschine an, schenkte Ani und sich anschließend ein und brachte die dampfenden Tassen zum Küchentisch hinüber, wo sie sich ihrer Oma gegenüber niederließ. Ihr Magen knurrte bei dem leckeren Geruch des Brotes. Sie nahm sich eine Scheibe und schmierte den Agavendicksaft darauf, den sie vorgestern gekauft hatte.

»Hast du keinen Hunger?«

Ihre Oma hob die schmalen Schultern. »Die Umgewöhnung an Brot ist schwierig, wenn man sich sonst von morgens bis abends von Sushi ernährt hat.«

»Von morgens bis abends?«

Fast sah es so aus, als würde Ani lächeln. »Na, ich war eben immer im Restaurant. Und zu Hause gab es Reste.«

»Ich kann dir morgen welches mitbringen.« Sie hatte Ani am vergangenen Nachmittag von dem Bewerbungsgespräch und dem Probearbeiten berichtet, wovon diese natürlich alles andere als begeistert gewesen war.

»Nein danke. Das schmeckt sicher scheußlich.«

»Das kannst du natürlich besser beurteilen als ich. Gerade deshalb solltest du es probieren. Um zu sehen, ob der Bewerber etwas draufhat.«

»Du entscheidest doch eh über meinen Kopf hinweg.«

Für einen Moment traf Anis Blick Noa direkt. Die leichte Belustigung von eben war verschwunden, falls Noa sie sich nicht nur eingebildet hatte. Jetzt war da nur Trotz. Und Verletzlichkeit.

Noa zögerte. Sie hatte Ani wirklich schon viel aufgebürdet. »Wir … wir könnten einen Deal machen. Am Ende musst du den Vertrag unterschreiben, auch wenn Mama und ich dich mit allen Mitteln dazu überreden werden. Aber wir könnten es vom Sushi abhängig machen.«

»Wenn es mir nicht schmeckt, muss ich nicht unterschreiben?«

»Genau. Aber du musst ehrlich sein.«

Ihre Oma starrte sie aus schmalen Augen an. »Abgemacht.«

Das weitere Frühstück verlief schweigsam. Ob das wirklich eine gute Idee gewesen war? Für den Fall, dass Ani vorhatte, den Deal auszunutzen, musste Noa vorbereitet sein. Beziehungsweise Jannis.

Sie benötigte mehrere Versuche, um ihre Mutter zu erreichen, nachdem sie in ihr Zimmer zurückgekehrt war. Endlich nahm auf der anderen Seite jemand ab.

»Noa?« Maria Tatsumis Tonfall war wie immer hektisch, und Noa konnte sich nur allzu gut die Stressflecken auf ihren Wangen vorstellen. »Ich muss gleich los in die Kanzlei. Was gibt’s?«

»Hi, Mama. Ich brauche Rezepte für alle Speisen in Omas Restaurant.«

Irgendetwas klapperte, Absätze vielleicht. »Willst du jetzt etwa selbst kochen? Nimm’s mir nicht übel, aber das solltest du Leuten überlassen, die es können.«

»Natürlich nicht. Ich habe einen Bewerber.«

»Oh, das ging aber schnell. Freut mich, Schatz. Dann frag doch Ani nach ihren Rezepten.«

Das hatte sie gestern Abend erfolglos versucht. Aber wenn Jannis eine Chance haben sollte, dann musste sie Anis Zubereitungsgeheimnisse auf anderem Wege herausfinden. »Sie will sie nicht rausrücken.«

Seufzen. »War klar. Es ist ewig her, dass ich im Restaurant ausgeholfen hab, Noa. Da warst du gerade erst geboren.«

»Du bist die Einzige, die ich fragen kann.«

»Ich schreib dir heute Abend alles auf, was mir einfällt.«

»Das ist zu spät, ich muss heute noch einkaufen.«

Wieder klapperte etwas, und ihre Mutter antwortete für ein paar Sekunden nicht. Dann entschuldigte sie sich und sagte, dass sie es in ihrer Mittagspause versuchen werde. Noa erinnerte sie noch mal daran, dass es wichtig war, und Maria versprach es ziemlich abwesend und legte dann ohne weitere Nachfragen auf. Noa seufzte in sich hinein. Sie hätte ja wenigstens mal fragen können, wie die ersten zwei Tage bei Ani gelaufen waren.

Grässlich. Obwohl, wenn man das Gespräch mit Jannis hinzunahm, eigentlich ganz okay.

Die Vorfreude darauf, ihn morgen schon wiederzusehen, brachte sie schließlich dazu, sich anzuziehen und ihre Pläne für den Tag in Angriff zu nehmen. Zuerst führte sie ein paar Telefonate. Einer der Angestellten war verreist, zwei hatten offenbar ihre Kündigung eingereicht. Typisch, dass Ani davon nichts gesagt hatte. Die zwei übrigen Angestellten, eine Kellnerin und ein Kellner, sagten widerwillig zu, für das Probearbeiten anwesend zu sein. Aber erst, nachdem Noa ihnen einen Bonus versprochen hatte. Gegen Mittag, nachdem Noa ihrer Mutter noch einmal eine WhatsApp-Nachricht geschrieben hatte, schickte die ihr schließlich drei abfotografierte handschriftliche Seiten mit Zutatenlisten und Zubereitungshinweisen. Noa lieh sich Anis Auto und fuhr rüber in die kleine Stadt Wittmund, wo es einen Großhandel gab. Nicht alles fand sie, da Ani sonst vieles im Voraus bestellte, aber nachdem sie auch noch ein paar Zutaten im Supermarkt ergattert hatte, musste es für das Probearbeiten reichen. Den Fisch bestellte sie in einem Fischhandel am Hafen in Harlesiel, um ihn am Morgen frisch abholen zu können.

Zurück in Carolinensiel brachte Noa die Einkäufe ins Restaurant, besah sich noch einmal alles und ließ sich schließlich doch dazu herab, die Toiletten zu putzen. Es half ja nichts.

Zu Hause beschloss sie, sich den Wein zu gönnen, den sie beim Einkaufen mitgenommen hatte. Ani wollte auch ein Glas. Wenigstens bei der Wahl von Getränken waren sie anscheinend einer Meinung.

Eigentlich hatte Noa am Donnerstagmorgen vor dem Probearbeiten den zweiten Bewerber interviewen wollen, aber er sagte kurzfristig ab. Warum war sie darüber so verdammt erleichtert? Sie hatte eigentlich gelernt, ihre Sympathien vom Geschäftlichen zu trennen.

Bis Jannis beim Restaurant aufkreuzte, war also noch Zeit. Nachdem Noa mit Anis Auto den Fisch abgeholt und zum Restaurant gebracht hatte, fand sie, dass ihr ein wenig sportliche Aktivität nicht schaden konnte. Beim Abstellen des Autos entdeckte sie ein altes Hollandrad in der Einfahrt von Anis Nachbarin Regina, und weil diese gerade aus der Haustür kam, fragte Noa sie rasch, ob sie es sich ausborgen könne. Regina sah nicht begeistert aus, willigte aber ein.

Als Noa das Rad zur Straße schob und sich draufschwang, bedachte der Nachbar von schräg gegenüber sie mit einem missmutigen Blick. Er hatte ihr ihre Unhöflichkeit gestern wohl noch nicht verziehen. Sie versuchte es mit einem entschuldigenden Lächeln, aber es schien nicht sonderlich zu helfen.

Auf den Reifen war kaum noch Luft, das Rad hatte vermutlich eine Ewigkeit unbenutzt in Reginas Einfahrt vor sich hin gerostet, und der Wind brachte sie zusätzlich ins Schwitzen. Sie folgte der Straße aus Carolinensiel raus, bog dann ab in einen weniger befahrenen Weg zwischen den Feldern und landete wie von selbst am Fuß des Deichs. Auf halbem Weg nach oben stieg sie keuchend ab und schob den Rest.

Vor ihr erstreckten sich die Deichwiesen, rechts lag der Campingplatz von Harlesiel. Suchend sah sie sich nach dem Meer um. Aber natürlich war Ebbe und vom Meer nur ein paar salzige Pfützen in einer weiten Schlammlandschaft verblieben, die irgendwo am Horizont fließend in den grauen Himmel überging. Das mit der Tide hatte sie nach all der Zeit in Singapur fast vergessen gehabt.

Sie wandte sich nach rechts und schob das Fahrrad auf dem Deich entlang. Zu Fuß konnte sie leichter gegen den Wind ankämpfen. Sein beständiges Heulen vermischte sich mit dem Kreischen von Möwen.