Sommer in Lesmona - Marga Berck - E-Book

Sommer in Lesmona E-Book

Marga Berck

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Beschreibung

Was sich wie ein gleichermaßen fesselnder und poetischer Roman in Briefen liest, ist in Wahrheit das Kunstwerk eines Lebens. Es handelt sich hier um authentische Briefe, die um die Jahrhundertwende ein junges Mädchen aus reichem Hanseatenhausean eine Freundin schrieb- eine Beichte unter vier Augen -, die erst nach langem Zögern und mit verändertem Namen der Öffentlichkeit übergeben wurden. Fast ein halbes Jahrhundert hütete Marga ihre Briefe in verschnürten Päckchen, ehe sie den Mut fand, sie wieder zu öffnen und und der Öffentlichkeit übergeben wurden. Diese Briefe sind mit scharfem Blick und treffendem Witz verfasst. Im Mittelpunkt dieser Selbstdarstellung steht der Verzicht auf die große Liebe, ertragen mit großer Noblesse, die an die Haltung Fontanescher Frauengestalten erinnert.Ein menschlich wie kulturgeschichtlich faszinierendes Dokument, von dem Thomas Mann bekannte, dass er es an "mehreren Abenden mit zunehmender Rührung" gelesen habe.

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Seitenzahl: 275

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Marga Berck

Sommer in Lesmona

Mädchenbriefe

LangenMüller

Mit einem Nachwort von Hans Harder Biermann-Ratjen

Besuchen Sie uns im Internet

unter www.langen-mueller-verlag.de

© für das eBook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© 1977 nymphenburger in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© 1951 Christian Wegner Verlag, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel unter Verwendung des Motivs Edouard Vuillard, »Jardin de Vaucresson« (AKG, Berlin)

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8253-8

Le livre de la vie est le livre suprême

Qu’on ne peut ni relire, ni fermer à son choix.

Le fatal feuillet se tourne de lui-même

Et le passage adoré ne se lit pas deux fois.

Lamartine

An

Fräulein Bertha Elking

Rittergut Darneelen b. Gerdshagen i. M.

Freitag, den 30. Juni 1893

Bremen

Liebe einzige Bertha!

Was ist alles passiert, seit wir uns heute früh um 8 Uhr am Bahnhof in Lübeck trennten! Das Letzte, was ich von Dir sah, war, wie Du zwischen Tante The und Tante Martha auf den anderen Bahnsteig geführt wurdest. Du drehtest Dich noch einmal zu mir um und zucktest die Achseln zum Zeichen, daß Du Hans nicht entdeckt hättest. Ich sah bis zuletzt aus dem Fenster, ob er noch irgendwo stände, denn er hatte doch versprochen, mich noch wegfahren zu sehen.

Als der Zug abfuhr und ich gerade den Kopf wieder hereinziehen will, winkt er aus dem Nachbar-Coupéfenster. Du kannst Dir meinen Schreck denken. Natürlich wußte ich sofort, daß irgend etwas passieren würde. An der ersten Station, wo der Zug hielt, kam der Schaffner mit einem Rosenstrauß und fragte, ob der Herr von nebenan wohl hereinkommen dürfe, dann würde er dies Schild »Frauen« in »Nichtraucher« umklappen. Natürlich sagte ich, er möchte nur hereinkommen, und schon war er da. Er sah wirklich ganz glänzend aus. Ich war aber so wahnsinnig verlegen, daß ich gar nicht sprechen konnte. Zuerst sagte er, er wollte mir nun beichten, daß Edda von K. ihm von unserem Aufenthalt in Lübeck geschrieben hätte, deshalb sei er sofort am ersten Nachmittag bei uns vorbeigeritten. Seine Eltern hätten uns auch an dem Nachmittag in Travemünde gesehen und würden uns gern begrüßt haben, aber Du und ich wären ja wie zwei Gefangene zwischen den Tanten nach der anderen Seite abgeführt worden. Dann fragte er, ob die Tanten Rösner was davon gemerkt hätten, daß wir beide mit ihm in der Konditorei gewesen wären, und solche Sachen mehr. Dann redete er von Carly. Eigentlich schwieg ich immer, weil ich solche Angst hatte. Er saß mir gegenüber. Plötzlich setzte er sich zu mir und sagte: »Wissen Sie auch, daß ich mich vor einem Jahr schon in Sie verliebte, als ich, mit Strahlendorff von Carly eingeladen, bei Ihnen in Bremen wohnte? Sie waren da ja so süß und so frech, und ich dachte, daß ich keine andere Frau heiraten möchte.«

Liebe, liebe Bertha, ich dachte immer, wenn Du doch nur da wärest und mir helfen könntest! Seine Augen waren sehr blau, aber sonst weiß ich wenig von seinem Gesicht. Natürlich merkte er, wie furchtbar verlegen ich war. Da sagte er, ich sollte doch keine Angst vor ihm haben, wir hätten uns doch in Bremen so gut verstanden, und ob es mir denn ein schrecklicher Gedanke sein würde, wenn er mich fragte, ob ich seine Frau werden wollte. Ich sagte: »Herr W., ich bin siebzehn Jahre, ich glaube, mein Vater wird furchtbar böse.« Er sagte, das sollte ich nur ihm überlassen, und das wollte er schon alles über Carly machen. Da sagte ich, das sei ganz verkehrt, denn Carly wollte nichts davon wissen, daß ich mich verlobte. Da meinte er lachend: »Also an sich sind Sie einverstanden und weisen mich nicht ab?« Ich sagte: »Ich weiß es nicht, ich habe es mir noch gar nicht überlegt.« Dann zog er meine langen gelben Handschuhe aus und fing an, die innere Hand und den Arm zu küssen. Denke Dir, das mochte ich nicht, und ich zog die Hand rasch weg.

Nun redete er wieder anderes Zeug, und ich sollte mich erst mal beruhigen und von Dir erzählen. Darüber war ich sehr erleichtert und erzählte, daß ich jetzt fünf Wochen bei Euch in Darneelen war, nun drei Tage in Bremen bliebe, dann die Eltern in Wildungen abholen würde und mit ihnen nach Kreuth reisen. Er ließ sich die Adressen in Wildungen und Kreuth sagen und schrieb sie auf. Nun sah ich nach der Uhr und sagte: »Wir haben jetzt noch 20 Minuten bis Hamburg, in Hamburg steht Frau Georgi und holt mich ab, sie bringt mich dann auf den anderen Bahnhof, und Sie dürfen nicht mit mir dort aussteigen.« Er sagte: »Wo soll ich denn bleiben, ich kann doch nicht aus dem Fenster springen?« Ich sagte: »Nein, Sie müssen einfach kurz vorher ins Closett gehen, Frau Georgi darf Sie nicht sehen. Ich habe schreckliche Angst vor meinem Vater.« Nun fing er wieder von Verloben an. Ich sei ja noch sehr jung, aber wir könnten ja ein Jahr warten. »Nein«, rief ich, »das will ich nicht, denn ich weiß gar nicht, ob ich Sie in einem Jahr noch mag.« Da sagte er: »Also, Marga, heute mögen Sie mich?« Mir wurde ganz übel, und ich sagte: »Ja, ich mag Sie sehr gern, und in Lübeck fand ich das alles sehr schön mit dem Treffen und so, aber mein Vater wird es nicht erlauben, daß wir uns verloben.« Da fing er wieder an, mit meiner Hand zu spielen. Dann sagte er: »Ich muß als anständiger Mann bei Ihrem Vater um Sie anhalten, nachdem ich Sie hier jetzt sozusagen mit meinem Antrag überfallen habe.« Ich war so hilflos und dachte immer: »Wenn er doch nur erst im Closett wäre!« Diese Dringlichkeit konnte ich gar nicht ausstehen. Er fand mein blaues Kleid so hübsch, und daß es mir so gut stände. Plötzlich fiel mir dabei ein, wie böse Du warst, als ich heute früh um 6 die Kleider anprobierte, um zu sehen, welches mir besser stände, und wie ich mich für ihn schönmachen wollte. Als ich das dachte, mußte ich lachen, und er fragte: »Warum lachen Sie denn, bitte, bitte, sagen Sie es mir doch.« Da habe ich es ihm erzählt, und er sagte ganz selig: »Sehen Sie, das ist doch ein Zeichen, daß Sie mich gern haben, wenn Sie sich für mich hübsch machen wollten, also ich schreibe doch Ihrem Vater.« »Um Gottes willen«, rief ich, »wir sind gleich in Hamburg, gehen Sie bloß ins Closett!« Er war sichtlich geknickt, küßte meine beiden Hände und verschwand im Clo. Er war aber viel zu früh hineingegangen, und ich überlegte immer, ob ich ihn nicht wieder rausholen sollte, aber das mochte ich auch nicht.

Endlich, endlich waren wir in Hamburg, und Frau Georgi stand direkt vor meinem Coupé. In Bremen war Wilhelm auf dem Perron und sagte, es wäre noch eine Überraschung im Wagen. Da dachte ich’s mir schon und sah auch sofort beim Herauskommen Prinz und Pieter mit den Vorderpfoten über dem heruntergeschlagenen Verdeck des Wagens liegen, mit gespitzten Ohren und wahnsinnig aufgeregt ausspähend, wer von uns nun wohl kommen würde. Ich pfiff einmal unseren Pfiff, und sofort fing das Geschrei an. Als ich in den Wagen stieg, saßen mir beide am Halse. Ich konnte sie kaum beruhigen.

Zu Hause vor der Tür standen Linsche, Johanne und Anna, und ich fühlte mich so geborgen nach dieser furchtbaren Reise mit Hans. Und nun, ehe ich’s vergesse: Kutscher Heinrich sagte, daß unser eines Pferd krank sei und Euer eines ebenso – der Tierarzt weiß noch nicht, was es ist. Aber da sie im selben Stall stehen, scheint es eine Infektion zu sein. Franck hat nun Heinrich für die paar Tage, die ich hier bin, Euer gesundes Pferd zur Verfügung gestellt. Hoffentlich ist das Deinem Vater recht? Ich reise ja nun schon gleich wieder ab, aber sage es ihm jedenfalls. Linsche und ich aßen schon um 12 Uhr zu Mittag, weil ich so hungrig war. Die gute Johanne hatte Hammelkoteletten gemacht, damit ich den Hunden gleich die Knochen geben könnte. Eure rührende Frieda hatte Prinz herübergebracht und mir sagen lassen, daß ich ihn bis zu meiner Abreise behalten dürfte. Nach Tisch packte ich mit Linsche aus und ein, und ich erzählte ihr alles mit Hans. Sie sagte dauernd: »O Gottogott, was wird Herr Konsul sagen, Du armes Kind, aber Du hast ja eigentlich nichts Böses getan!«

Um 4 ging ich zu Onkel Herbert ins Kontor und meldete mich zurück. Die Hunde hatte ich draußen angebunden.

Nun soll dieser Brief erst mal weg, damit Du alles von Hans erfährst. Ich war erst noch bei Eurer Frieda und gab ihr das Geld von Deiner Mutter. Deinen Eltern schreibe ich später, ich bin heute zu aufgeregt.

Eigentlich wollte ich ja gar nicht, daß Hans an Papa schreibt, aber es war alles so verworren. Ich weiß selbst gar nicht, ob ich ihn will oder nicht, und ich kenne ihn ja kaum. Schreibe mir nun sofort nach München, Hotel Vierjahreszeiten, weil ich ja nur zwei Tage in Wildungen bleibe.

In inniger Liebe

Deine Matti

Bremen, den 1. Juli 93

Liebe einzige Bertha!

Heute früh war ich bei Dr. F., und er plombierte mir drei Zähne. Immer, wenn ich schrie, sagte er: »Ja, ja, Sie sind mein Mäusekönig, mein lieber kleiner Mäusekönig.« Das fand ich frech, denn ich bin durchaus nicht sein Mäusekönig. Aber er hat wieder so viel betäubt, daß wir uns alles von ihm gefallen lassen müssen. Dann fuhr ich mit unserem Wagen mit Prinz und Pieter nach Lesmona. Du glaubst nicht, wie die beiden Hunde draußen mit Mohr auf dem Rasen getobt haben. Um 5 Uhr fuhr ich zurück. Onkel Herbert und Fräulein Kaiser waren rührend zu mir. Die Hunde haben beide Nächte in meinem Zimmer geschlafen, und morgens kamen sie auf mein Bett.

Nun wird in Wildungen die Bombe platzen. Linsche weint schon jetzt vor Angst! Denke an mich und schreibe bald.

In inniger Liebe

Deine Matti

Bad Wildungen, den 4. Juli 93

Bade-Logierhaus

Liebe einzige Bertha!

Also Anna und ich fuhren gestern nach Wildungen, und ich erzählte Anna alles von Hans. Sie sagte, es wäre ganz entsetzlich, und Papa würde furchtbar toben. Sie ist nun auch schon zehn Jahre bei uns, und ich kann ihr ruhig alles anvertrauen.

In Wildungen war keiner an der Bahn. Wir fuhren sofort ins Bade-Logierhaus. Ein Kellner brachte uns zu den Eltern ins Wohnzimmer. Mama schickte Anna gleich mit meinem Gepäck in mein Zimmer und sagte, sie sollte schon auspacken. Weder sie noch Papa gaben mir die Hand. Dann legte Papa los: »Ich habe heute morgen einen Brief bekommen von einem Herrn H. W. aus Lübeck, der um Deine Hand anhält, er hätte Dich in der Bahn getroffen. Das ist doch gar nicht möglich, Tante Martha und Tante The haben Dich doch in ein Frauen-Coupé gesetzt, wie verabredet war. Antworte!« brüllte er mich an. Ich: »Er kam trotzdem an der ersten Station herein.« Papa: »Du bist 17 Jahre, Du bist wohl verrückt, es ist ja eine Schande, daß dieser Mensch Dich da so überfällt und sich das alles hintenherum von Edda sagen läßt. Jetzt antworte die Wahrheit, hat er gewagt, Dich zu küssen?« Ich: »Das hat er nicht getan.« Das schien ihn irgendwie zu beruhigen, aber er wetterte sicher noch eine Viertelstunde weiter. »Du mußt ihm aber doch Hoffnung gemacht haben, denn sonst hätte er mir doch nicht geschrieben. Antworte!« Ich sagte, ich hätte es mir ganz schön gedacht, mich mit ihm zu verloben. Dann fragte er, wie oft und wo wir ihn sonst noch getroffen hätten, und ich log, nur einmal in der Stadt. Zum Schluß sagte er, er hätte ihm einen Brief geschrieben, den er wohl nicht gern zweimal lesen würde, und es wäre eine Gemeinheit, ein siebzehnjähriges Mädchen zu überfallen. Dann kam die entsetzliche Frage, wo er denn geblieben wäre, als Frau Georgi mich empfangen hätte. Ich sagte, für den Augenblick wäre er ins Closett gegangen. Als ich das sagte, drehte Mama sich rasch um und sah aus dem Fenster, und ich merkte, daß sie lachte. »So«, sagte er, »jetzt gehst Du zu Bett, und wir wollen Dich heute nicht mehr sehen, und Du bekommst kein Abendbrot.«

Ich war froh, als ich mit Anna in meinem Schlafzimmer war. Mama schickte mir ein Glas Milch, und Anna gab mir die herrlichen Schinken- und Wurstbrote aus unserem Reisekorb. In Richtung der Tür steckte ich oft die Zunge heraus. Ich schlief wunderbar, und am anderen Morgen wurde ich von Anna geweckt, die gleich mit meinem Frühstück hereinkam: Herr Konsul ließe sagen, ich sollte heute auf dem Zimmer frühstücken und nachher ins Wohnzimmer kommen.

Mittlerweile war ich wütend geworden, denn was hatte ich denn nun eigentlich getan! Ich ging also um ½ 10 herüber. Da sagte Papa ohne Guten Morgen: »Wir fahren heute mit dem Wagen des Grafen Pappenheim zur Eder und kommen erst gegen 6 wieder, Du kannst hier bei Anna bleiben. Es wäre ein Platz im Wagen für Dich frei gewesen, aber ich muß mich erst beruhigen und will Dich heute noch nicht sehen. Ich frage Dich nun heute noch einmal sehr ernsthaft, hat dieser Mensch Dich geküßt?« Da wurde ich plötzlich wild und sagte: »Leider nein.« Damit rannte ich aus der Tür und warf sie hinter mir zu. Dann lief ich rasch in mein Zimmer zu Anna und sagte: »Ich will Papa nicht mehr sehen. Ich laufe jetzt zum Kopfwaschen zum Friseur, und bis ich wieder da bin, sind sie ja wohl weggefahren.« Anna sagte, Mama hätte schon sehr besorgt gefragt, ob ich viel weinte, und ich beschwor Anna, von jetzt ab immer zu sagen, daß ich unentwegt schluchzte. Als ich vom Friseur wieder heraufkam, war der Wüterich noch nicht weg, und ich stürzte sofort zu den Bädern herunter und bestellte mir ein Fichtennadelbad. Nachher waren sie Gottseidank weg, und ich beschloß, mir einen guten Tag zu machen.

Zuerst lief ich zum Tennisplatz und sah zu, wie die Engländer und Holländer spielten. Da traf ich die zauberhafte Mrs. Goodridge aus London, die wir hier früher schon trafen und die Papa aus England kennt. Wir haben lange zusammen geredet. Ihr Mann ist englischer Marineoffizier. Dann ging ich in den Bazar und kaufte für Dich und für mich zwei rote Ledergürtel, todchic, die werden zu unseren weißen Kleidern gut aussehen. Ich schicke ihn morgen an Dich ab. Dann aß ich an der gräßlichen langen Table d’hôte mit lauter fremden Menschen zu Mittag. Ich hatte mir ausgedacht, nach Tisch mit Anna einen Einspänner zu nehmen und uns einen lustigen Tag zu machen. Von meinem Reisegeld hatte ich noch 23 Mark. Wir fragten den Kutscher, wo es den besten Kaffee gäbe. Da fuhr er einen herrlichen Weg zum Waldschlößchen, wo wir Kaffee tranken und Butterkuchen aßen. Es war ganz wunderbares Wetter.

Zwischendurch dachte ich oft an Hans und seine blauen Augen und daß es traurig wäre, ihn nicht wiederzusehen. Aber eigentlich fühlte ich innerlich, daß ich ihn gar nicht liebte.

Gottseidank geht es übermorgen nach München, und dann schreibe ich Dir aus Kreuth, wo ich hoffentlich einen Brief von Dir finde.

In inniger Liebe

Deine Matti

Bad Kreuth b. Tegernsee

den 10. Juli 93

Liebe einzige Bertha!

Wie froh war ich, einen so lieben Brief von Dir hier vorzufinden. Du hast ganz recht, es war von Hans nicht richtig, daß er mich so überrumpelt hat. Wir wollen nun froh sein, daß es mit der Sache zu Ende ist.

Nun sind wir wieder im geliebten Kreuth, das doch meine zweite Heimat ist. Immer wenn ich die Blauberge ansehe und ihre wunderbare Linie oben gegen den Himmel, dann werde ich ganz andächtig. Nirgends so wie hier kann ich an alles das denken, was Pastor Portig uns beiden beim Abschied gesagt hat. Ich ging auch sofort in die kleine Kapelle mit den weißen Holzbänken. Wenn man hinter den Altar geht, liegt da in einer Grotte, aus Wachs modelliert, Christus im Sarge. Es erschüttert mich immer wieder so, wie Du es Dir gar nicht vorstellen kannst.

Nun laß Dir aber zuerst noch für Deinen Brief nach München danken, der mir hierher nachgeschickt wurde. Es ist doch nicht zu blasen, daß Papa die Sache mit Hans Deinem Vater noch geschrieben hat und daß Du auch noch ins Verhör genommen wurdest. Es ist ja ein wahrer Segen, daß Du B. nicht getroffen hast!!

Als wir ankamen, standen alle Freunde vorm Eingang und winkten. Das Zimmer voller Alpenrosen. Am meisten bin ich wieder mit Tina Valckenberg zusammen, wir treffen uns nun schon seit zehn Jahren. Die Eltern sind rührend zu mir, als wollten sie wieder etwas gutmachen.

Was Du mir von Mühlenbruchs erzählst und alles das hat mich sehr gefreut. Es war doch für Dich eine Abwechslung.

Es küßt Dich in Liebe

Deine Matti

Bad Kreuth b. Tegernsee

den 17. Juli 93

Liebe einzige Bertha!

Leider sind Lindequists wieder abgereist. Aber statt dessen ist die Gräfin P. mit ihrem 26jährigen Sohn Egon eingetroffen. Er war krank und soll sich hier erholen. Er ist Oberleutnant in einem bayerischen Garderegiment und sieht sehr rassig und vornehm aus, sehr mager und brünett. Zuerst nannte er mich gnädiges Fräulein, nach drei Tagen Fräulein Berck, dann Fräulein Marga und jetzt Marga. Seine Eltern sind sehr reich. Die Mutter hat ein Gut in der Pfalz, und in München haben sie ein sehr schönes Haus. Sicher wäre Papa selig über eine solche Partie. Aber ich bin ganz unbeteiligt, obwohl ich ihn reizend finde. Er und ich haben die Eltern mit ihrem Anschluß »die Alte Garde« getauft, was sie aber nicht wissen dürfen. Wenn »die Alte Garde« spazierengeht, gehen Egon und ich ein Stück hinterher, aber nie ganz allein. Er ist irgendwie sonderbar, manchmal würde ich denken, ein bißchen verrückt. Übrigens hat er sein ganz entzückendes Pferd mit hier und reitet jeden Morgen. Das Pferd heißt Stella. Seit er weiß, daß ich jeden Morgen mit Anna nach den Sieben Hütten gehe, um dort ein Glas Ziegenmilch zu trinken, reitet er den unteren Weg hin. Dann bringe ich Stella Zucker, und wir reden 5 Minuten zusammen. Gestern sagte er: »Können Sie denn das Frauenzimmer, die Anna, die Sie immer bewacht, nicht zu Hause lassen? Dann könnten Sie doch den unteren Weg zurückgehen, und ich würde nebenherreiten.« »Nein«, sagte ich, »das würden meine Eltern nicht erlauben.«

Wir sind nun fortwährend zusammen, und die Freundschaft wächst. Er hat eine ebenso große Tierliebe wie ich, und wir sind täglich morgens bei der rührenden Eselin Flora, auf der ich schon als Kind geritten bin. Sie kennt mich ganz genau. Denke Dir, dann nimmt er immer das Eselsohr, wenn ich bei ihr anbucke, und streicht mir mit dem Ohr durchs Gesicht. Als er das gestern so intensiv tat, sagte ich: »Warum wischen Sie mir eigentlich immer mit dem Eselsohr das Gesicht ab?« Da antwortete er: »Verstehen Sie das denn nicht? Können Sie das denn wirklich nicht verstehen?« »Nein«, sagte ich, »das kann ich nicht verstehen.« Er darauf: »Aber Marga, ich kann Sie doch nicht streicheln, also tue ich es mit dem Ohr dieses guten Tieres. Was gibt es wohl Weicheres und Wärmeres als dieses Ohr?« Ich sagte: »Ach, so meinen Sie das, aber etwas sonderbar ist es doch wohl, denn wenn ich denke, Sie würden Mélanie Bredlin damit durchs Gesicht wischen, dann wäre es doch überhaupt undenkbar.« Da sagte er ganz ärgerlich: »Wie können Sie denn Mélanie Bredlin mit sich vergleichen?« – Diese Mélanie ist ein bildhübsches, sehr elegantes Mädchen, die ich aber nicht ausstehen kann. Sie ist sehr affig und eingebildet.

Ich sehne mich sehr nach einem Brief von Dir und bin in Liebe

Deine Matti

Bad Kreuth, den 20. Juli 93

Liebe liebste Bertha!

Tausend Dank für Deinen lieben Brief! Ich habe alles verschlungen, was Du schreibst. Natürlich finde ich es ganz richtig, daß Du zu Deinem Bruder und zu der armen Frau hältst. Wie hart ist Dein Vater, und wie schwer ist es für Dich, dazwischen zu stehen!

Nun schreibst Du, Du brennst, zu wissen, wie es hier weitergeht. Also ich will Dir alles erzählen. Er ist dauernd mit mir zusammen, und die Eltern sind selig. Wie gern würden sie mich als Gräfin P. sehen, aber ich fürchte, daß ich ihnen die Freude nicht machen werde. Nun mußt ich Dir etwas Rührendes von der Mari erzählen, das ist die etwa 40jährige Sennerin an den Sieben Hütten, die wir alle lieben. Neulich, als Egon weggeritten war und ich die Milch noch bei ihr trank, sagte sie: »Na, na, Marga, da sei’n S’ nur a bisserl vorsichtig, daß Sie Ihr Herz net verliern, denn er ist doch schon ganz nârisch.« Ich lachte und sagte, ich wäre gar nicht nârisch, und ob sie dächte, daß er der Richtige für mich wäre? Da sagte sie: »Offen geschtand nei – er ist so a gütiger Mensch, er würd Ihnen kein Haar net krümmen, aber irgendwo is er halt doch a Sonderling. Ich denk, die Marga müßt a bisserl an Schtabiler’n hab’n.«

Also nun sind hier die zwei Bänke zu je zehn Plätzen, die rechts und links von der Glasveranda stehen, von ganz besonderem Interesse für die Stammgäste. Wehe dem Fremden, der sich ahnungslos nachmittags auf diese Bänke setzen würde! Die eine Bank wird von unserer Alten Garde besessen und die andere von Valckenbergs und deren Freunden. Wir haben dort jeden Tag 4-Uhr-Tee – nur bei Regen in der Wandelhalle. Gestern saßen Vincentis und die Gräfin P. schon unten mit den Eltern, während ich noch oben war. Diese Bank ist direkt unter unserem Wohnzimmer. Mit einem Male höre ich unten so ganz unterdrückt, aber ganz furchtbares Lachen. Ich bleibe hinter der Gardine stehen, weil ich meinen Namen zu hören glaubte. Richtig! Nochmal »Marga« und plötzlich »Hans W.« und »Closett«. Die Gräfin hielt sich den Bauch vor Lachen. Mama hatte ihnen alles erzählt, und das war doch schändlich. Ich schrie sofort nach Anna und sagte, sie möchte Mama bestellen, ich wäre nach Dorf Kreuth gegangen und tränke heute keinen Tee. Das ist an sich etwas Undenkbares, daß ich allein wegbüchse, aber ich war zu wütend.

Ich ging hinten raus, und als ich über den Hof gehe, ruft Egon aus dem Parterrezimmer, dessen Fenster nach hinten ist: »Ja, Marga, wo laufen S’ denn hin?« Ich: »Ich will nicht mit der Alten Garde zusammen sein, ich bin wütend und gehe allein weg.« Mit einem Satz sprang er durchs Fenster und war neben mir. »Nana, allein gehn S’ net, ich geh natürlich mit.« Also flüchteten wir hintenrum vom Plateau weg, und er sagte, wir wollten nun gerade nicht nach Dorf Kreuth, weil die Alte Garde dorthin mir nachgehen würde. So bogen wir rechts ab in die Langenau, und es war wunderbar so ohne Begleitung. Da flog mir eine Fliege ins Auge, und ich wühlte mir fast das Auge heraus. Egon wurde ganz böse und sagte, jetzt wollte er es machen. Er schob vorsichtig mit dem Finger die Fliege heraus. Als er so dicht vor meinem Gesicht herumwurschtelte, wurde mir etwas schummerig. Dann sagte er: »Das war eben sehr schwierig für mich.« Ich sagte: »Wieso, Sie haben die Fliege doch ganz schnell und geschickt herausgemacht.« Da sagte er: »Ach, Sie Kind, Sie verstehen das nicht, mal kann es ja auch mit der Zurückhaltung zuviel werden.«

Die Eltern haben den Grund zu meiner Flucht richtig erkannt und haben nachher nichts gesagt.

Für heute Schluß, meine liebe gute Bertha, und immer in Liebe

Deine Matti

Bad Kreuth, den 23. Juli 93

Meine liebste liebe Bertha!

Tausend Dank für einen Brief und zwei Karten. Du willst nun möglichst täglich wissen, was sich hier ereignet, aber es ist eigentlich gar nicht so sehr interessant, weil ich innerlich unbeteiligt bin.

Abends nach dem Abendessen gehen wir immer noch einmal ums Plateau, und wenn die Sterne da sind, erklärt Egon sie mir. Ich kann den Großen und den Kleinen Bär, die Cassio Peja, den Jupiter und viele andere finden. Gestern war Mélanie Bredlin mit uns. Plötzlich geht eine Sternschnuppe herunter. Sie schreit: »Schnell was wünschen!« Ja, das tat ich. »Na«, fragte Egon, »Fräulein Bredlin, was haben Sie sich denn eben gewünscht?« Sie sagte: »Eine Nähmaschine.« Ich fand das ganz furchtbar dumm. Wie kann man sich wohl von den Sternen eine Nähmaschine wünschen! Als er mich fragte, sagte ich, den Wunsch dürfe man nicht verraten, sonst würde er nicht erfüllt. Am anderen Morgen, als ich bei den Sieben Hütten seinem Pferde Zucker gab, fragte er sofort ganz furchtbar dringlich nach meinem Wunsch. Ich kann ja schwer jemand etwas abschlagen und sagte dann sehr verlegen: »Wenn Sie es durchaus wissen wollen, ich habe mir gewünscht, daß endlich mal die Liebe zu mir kommt, ich kann nämlich mit dem besten Willen nicht lieben!« Er sah mich einen Augenblick ganz verstört an, und dann sagte er: »Sie sind doch ein ganz furchtbar süßes, rührendes kleines Mädchen.«

Ein anderes Mal gehen wir durch ein Kornfeld. Er schneidet mit dem Messer zehn Ähren ab und sagt: »Die schenke ich Ihnen nachher, wenn ich einen Faden drum gebunden habe, die halten sich länger als Rosen, und Sie können sie immer behalten, aber Sie müssen mir jetzt auch zehn Ähren abschneiden.«

Dann mußte ich ihm einmal auf der Hohlenstein-Alpe in die Hand versprechen, ihm immer die Wahrheit zu sagen. Er sagte: »Heute geht es nur darum, daß ich wissen will, ob Sie lieber mit Valckenbergs – (die mich eingeladen hatten) – nach Tegernsee wollen oder mit der Alten Garde und mir nach dem Achensee.« Ich wollte lieber mit Valckenbergs nach Tegernsee. Er war sehr enttäuscht, aber er sagte: »Ich weiß jetzt, daß Sie die Wahrheit sagen, und die müssen Sie mir auch sagen, wenn es um ernstere Fragen geht.« Solche Dinge häufen sich, aber ich bin innerlich ganz ruhig.

Bald mehr. Ich bin heute in Eile.

In Liebe

Deine Matti

Bad Kreuth, den 27. Juli 93

Liebe einzige Bertha!

Du fragst, was wir nur immer reden, wenn wir diese langen Stunden zusammen sind. Zuerst erzählte er viel aus seiner Kindheit und dann vom Militär, das ihn nicht glücklich macht. Ich erzählte auch aus unserer Kindheit und besonders von Dir. Seit einigen Tagen fängt er an, von Philosophie zu reden, das langweilt mich ganz entsetzlich, und ich hörte nie mehr zu. Plötzlich hat er mich wohl etwas gefragt, was ich überhört hatte und also deshalb schwieg. Da schwante ihm, daß ich gar nicht zuhörte. Er blieb stehen und sagte: »Marga, Sie hören ja überhaupt nicht zu! Sagen Sie mal ganz ehrlich, woran Sie eben gedacht haben.« Ich bat ihn, mich das nicht zu fragen, weil es mich furchtbar genierte. Aber nun fragt er gerade, und ich sage endlich: »Ich dachte, wie schrecklich es mich gefreut hat, daß Sie gestern so unhöflich waren zu Mélanie Bredlin, die mag ich nämlich gar nicht leiden.« Er lachte ganz furchtbar und sagte: »Der Fehler lag bei mir, wie kann ich einem 17jährigen Mädchen von Philosophie erzählen.«

Dann war der alte Graf plötzlich angekommen. Egon sagte zu mir: »Er kommt nur, weil er Sie gern kennenlernen will, und er wird heute nachmittag nicht mit der Alten Garde spazierengehen, sondern mit Ihnen. Sie müssen sehr nett zu ihm sein.« Ich war ganz entsetzt. Also richtig, der alte Mann geht um fünf mit mir los und die anderen alle hinterher. Dann kam eine Art von Examen. Er fing mit Französisch an, was ich ja aus der Schweiz sehr gut kann. Ich mußte nun aus der Pension und aus Vevey erzählen, und er berichtete aus seiner Familie, die aus der Französischen Schweiz stammt. Als er nun auch noch von Literatur anfing, hatte ich es aber satt, ich sagte zu ihm: »So, nun möchte ich aber wieder mit Ihrem Sohn spazierengehen, das sind wir so gewöhnt!« Er meinte, er wollte auch mal mit einem hübschen jungen Mädchen spazierengehen. Ich rief aber rasch zurück: »Graf Egon, kommen Sie mal schnell hierher.« Er kam heran, und der Vater sagte lachend: »Die Kleine gibt mir eben ganz einfach einen Korb und sagt, sie wolle lieber mit Dir gehen.«

Und nun muß ich Dir zum Schluß noch erzählen, daß Egon und ich zusammen in der Kapelle waren. Er wollte es so gern nach unserem Spaziergang um ½ 7, und er sagte, dann sei niemand mehr drin. Wir gehen hinein, und da wird ganz herrlich Orgel gespielt. Zuerst das Largo von Händel, dann ein wunderbares uns unbekanntes Lied und nachher ein Choral. Wir blieben noch eine Zeitlang sitzen, als es zu Ende war, und ich betete das Vaterunser. »Dein Wille geschehe«; das ist die Hauptsache, daß man alles in Gottes Hand legt.

In der Kirche vor der Tür sagte er: »Es ist so schön, daß wir uns so gut verstehen«, und gab mir die Hand.

Ja, diese Freundschaft ist auch sehr schön. Aber es ist doch nur ein schwacher Abglanz von dem, wie Du und ich uns verstehen.

In inniger Liebe

Deine Matti

Bad Kreuth, den 1. August 93

Liebste liebe Bertha!

Heute nur ein ganz kurzer Gruß. Die alte Gräfin ist heute nach München abgereist. Sie lud uns ein, bei unserer Rückkehr in München bei ihnen Tee zu trinken. Wir sind nun noch ca. acht Tage hier mit Egon zusammen. Ich schreibe eigentlich heute nur diesen Gruß, um Dich zu beruhigen, denn ich denke gar nicht daran, mich mit ihm zu verloben. Es ist ja ganz entsetzlich, daß ich keine Liebe aufbringen kann.

Und nun tausend Grüße

von Deiner Matti

PS. Jeden Mittag nach dem Essen geht Papa mit Egon und mir in die Schießbude zum alten Moderegger. Mir soll dort Schießen beigebracht werden, was ich auch schon sehr gut lerne. Gestern hatte ich nun auf der Karte mitten in das rote Herz hineingetroffen. Ich war sehr stolz darauf und zeigte es nachher Egon nochmal, als wir allein waren. Da sagte er: »Ja, ja, Sie können es – so haben Sie es bei mir auch gemacht.«

München, den 16. August 93

Hotel Vierjahreszeiten

Liebste liebe Bertha!

In Kreuth kam ich nicht mehr zum Schreiben. Hier regnet es in Strömen, und ich schreibe Dir in Ruhe.

Also Egon war wirklich immer bei mir, und beim letzten Spaziergang in der Langenau sagte er: »So, jetzt bleiben wir zurück und setzen uns hier an den Wasserfall. Das habe ich mir so ausgedacht. Es wird mir sehr schwer, Ihnen etwas zu sagen, was ich vielleicht besser nicht sagen sollte. Sie sind so jung, und ich denke, es ist besser, Sie noch in Ruhe zu lassen. Sie wollen ja aber nun im nächsten Frühling nach Florenz und kommen dann durch München. Dann will ich Sie in München fragen, ob Sie noch an Kreuth und an mich denken. Ist Ihnen das so recht?« Ich war sehr erleichtert über das Hinausschieben und sagte hocherfreut: »Ja, das ist das Beste so.« Dann gab er mir fest die Hand und sah mich ernst und lange an.

Liebe, liebe Bertha, so etwas habe ich mir nun immer gewünscht, und nun, wo es da ist, bedrückt es mich. Ich kann sicher nicht lieben, denn sonst müßte ich doch wohl zum vierten Mal bei einem so wertvollen und so reizenden Menschen endlich Liebe fühlen.

Wir kamen um ½ 7 nach Haus. Eine Viertelstunde später klopft Babett an unserem Wohnzimmer an, wo ich mit den Eltern die Post durchlas. Babett fragt, ob der Herr Graf P. wohl in 10 Minuten heraufkommen könnte. »Jawohl, bitte«, sagt Papa. Ich hatte den Eltern keine Silbe von Egons Worten am Wasserfall erzählt. Sie waren furchtbar aufgeregt in Erwartung von Egons Besuch und berieten, ob ich hinaus sollte oder nicht. Da ich doch wußte, daß er keinen Antrag machen würde, sagte ich, ich bliebe natürlich drin. Als er hereinkam, rissen beide Eltern die Augen weit auf in Erwartung eines Antrages. Da sagte Egon: »Ich habe eine große Bitte, würden Sie wohl meinen Stock und meinen Schirm mit nach München nehmen, weil ich doch mit dem Pferd zurückreite?« Die Gesichter der Eltern wurden ganz schlaff und ellenlang. Ich mußte so wahnsinnig lachen, daß ich beinahe losplatzte.

Abends waren wir zuletzt bei den Sternen auf dem Plateau. Als er mir Gute Nacht sagte, drückte er meine Hand, was er noch nie getan hatte. Am anderen Morgen fuhren wir ab. – Halb Kreuth stand wie immer und winkte. Egon ritt bis Rottach nebenher. Er schenkte mir zum Abschied keine Rosen, sondern einen großen Busch Silberdisteln. Nachdem diese Disteln uns allen die Gesichter und Hände zerpiekst hatten, ließ ich sie am Bahnhof in Tegernsee liegen. Findest Du diese Disteln nicht etwas verrückt?

Mit tausend innigen Grüßen

Deine Matti

An

Fräulein Bertha Elking, Berlin,

Hotel du Nord, Unter den Linden

Bremen, den 23. Oktober 93

Liebe einzige Bertha!

Eure fluchtartige Abreise nach Berlin ist mir erst nachträglich klargeworden. Ich konnte ja leider keine Minute mehr mit Dir sprechen, nachdem Du so aufgeregt durchs Fenster schriest, ich sollte sofort herüberkommen. Als Ihr weg wart, fragte ich Eure Mädchen, wann eigentlich Eure Reise beschlossen wäre, und sie sagten, gestern abend hätten die Handkoffer plötzlich herunter müssen. Da Du ein so böses Gesicht machtest und mir noch zuflüstertest, es hinge mit Martin zusammen, fing es an, langsam in mir zu dämmern. Natürlich hatten Deine Eltern Angst, daß Martin Leutnant B. wieder mitbrächte, wie letztes Mal, als Martin bei Euch wohnte. Es ist ja nicht zu blasen!

Aber nun kommt Dein Triumph: Du kannst Deinen sonst so sparsamen Eltern mitteilen, daß sie das viele Reisegeld für drei Personen hätten sparen können, denn Martin ist heute mittag ohne