Sophia, der Tod und ich - Thees Uhlmann - E-Book
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Sophia, der Tod und ich E-Book

Thees Uhlmann

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Beschreibung

Das E-Book zur Verfilmung von Charly Hübner mit Dimitrij Schaad, Anna Maria Mühe und Marc Hosemann. Im Debütroman des Musikers Thees Uhlmann geht es ums Ganze. Der Tod klingelt an der Tür. Aber statt den Erzähler ex und hopp ins Jenseits zu befördern, gibt es ein rasantes Nachspiel. Ein temporeicher, hochkomischer, berührender Roman über all das, was im Leben wirklich zählt. Zwischen Tod und Erzähler entspinnt sich ein hinreißendes Wortgefecht, in dem es um Liebe, Freundschaft und Glauben, um den Lakritzgeschmack von Asphalt und das depressive Jobprofil des Todes geht. Zu seiner Verwunderung gelingt es dem Tod nicht, den Erzähler sterben zu lassen. Ein spektakulärer Roadtrip beginnt. Gemeinsam mit seiner ruppigen Exfreundin Sophia und dem Tod macht sich der Erzähler auf den Weg zu seiner Mutter und zu seinem sieben Jahre alten Sohn, den er seit Ewigkeiten nicht gesehen hat, dem er aber Tag für Tag eine Postkarte schreibt.»Sophia, der Tod und ich« ist ein irrsinnig lustiger, anrührender Roman, druck- und kraftvoll in jeder Zeile. »Eine Hymne auf das Leben und die Liebe« Christine Westermann, Frau TV.

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Seitenzahl: 301

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Inhalt

TitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39DanksagungImpressum

1

Es klingelte an der Tür, und im Treppenhaus roch es nach frisch gebrühtem Kaffee.

Das tat es eigentlich gar nicht, aber ein Freund von mir meinte einmal, wenn er einen Roman schreiben würde, würde er genau mit diesem Satz anfangen: »Im Treppenhaus roch es nach frisch gebrühtem Kaffee.« Weil irgendeine Jury den besten Romananfang aller Zeiten prämiert hatte, der da lautete: »Ilsebill salzte nach.«

Er meinte, wenn das stimmen würde, wäre er mit »Im Treppenhaus roch es nach frisch gebrühtem Kaffee« so weit vorne, dass der Rest des Romans fast egal wäre. Es klingelte an der Tür, und ich wusste noch gar nicht, wie es im Treppenhaus roch, denn das riecht man erst, wenn man die Tür geöffnet hat.

Dass ich die Tür öffnete, kam eh eigentlich nie vor. Das lag erstens daran, dass bei mir fast nie jemand klingelte. Und zweitens daran, dass ich nach dem Klingeln erst mal darüber nachdachte, wer warum ausgerechnet bei mir klingeln könnte, und ich dann deswegen die Tür nicht öffnete.

Es gab mehrere Möglichkeiten, warum man bei mir klingeln könnte:

a)

Ein Freund kam überraschend vorbei. Analyse: Kein Mensch über achtunddreißig kommt einfach so überraschend vorbei. »Die Wohnung sieht zwar aus wie nach einer Hausdurchsuchung, aber wir haben uns echt lange nicht mehr gesehen. Schön, dass du zufällig in der Gegend bist. Klar, komm doch rein!«, sagt kein Mensch.

b)

»Guten Tag, wir würden gerne Ihren Zähler ablesen.«Analyse: Ich habe alles auf meinen Konten so eingerichtet, dass eigentlich niemand mehr vorbeikommen muss. Ich ÜBERWEISE. Und wenn es zu viel ist, ist es mir egal, denn ... Hauptsache, es klingelt keiner.

Es klingelte, und in der Hoffnung, es könne im Treppenhaus nach frisch gebrühtem Kaffee riechen, ging ich zur Tür, freute mich darüber, dass ich gleich die Tür öffnen würde, freute mich über diese Freude, drehte den Schlüssel im Schloss und erinnerte mich daran, dass man früher Familienmitglieder anhand des Schlüsselgeklappers auseinanderhalten konnte. Erinnerte mich daran, wie mein Vater nach der Trockenrasur den Rasierkopf im Waschbecken sauber ausschlug, dreimal »tack tack tack«, was ich im Kinderbett hörte und was nur das Startsignal dafür war, dass gleich mein Vater kommen würde, um mich an der Hand ins Bad zu führen, während ich vergeblich sechs Jahre lang versuchte, meine Morgenlatte zu verstecken. Nach sechs Jahren ging ich schließlich alleine ins Bad, ohne von meinem Vater auch nur irgendwann einmal ein norddeutsches »Issnormal« gehört zu haben, was mir Dutzende von Monaten der Scham genommen hätte.

Ich dachte daran, dass früher Türklingeln so schön wie Orchester waren und es heute nur noch zwei Arten von Türklingeln gab. »Düdüdüü« und »düdüdüd«. Und dachte einfach den normalen Scheiß, den man denkt, wenn man eine Tür öffnet.

2

Es klingelte an der Tür. Ich drehte den Schlüssel im Schloss, und die Tür quietschte beim Öffnen, und ich erinnerte mich daran, wie einmal wirklich Zeugen Jehovas an meiner Tür geklingelt hatten. Sie waren zu dritt und unter achtundzwanzig und waren ungeschminkt und gutaussehend und weiblich.

Die: »Guten Tag. Wir gehen durch die Nachbarschaft und suchen Menschen, die an Gott glauben.«

Ich: »An welchen?«

Die: »Na ja, an Jesus und an Gott!«

Die Einschränkung war relativ wichtig, wegen der Tatsache, dass ich in einer Gegend wohnte, in der die Menschen entweder an Allah glaubten oder gar nicht glaubten, weil sie nach 1971 geboren worden waren.

Die Frauen vor meiner Tür sahen irgendwie scharf aus beim Religiössein.

Ich: »Na ja, ich glaube nicht so richtig an Gott!«

Die: »Schade!«

Ich: »Ja, finde ich auch!«

Die: »Warum nicht?«

Ich: »Ich hab an Gott geglaubt nach meiner Konfirmation. Bekam ein Klassenkamerad von mir Krebs. Hab ich gebetet, dass er überlebt. Ist er gestorben. Hab ich nicht mehr geglaubt.«

Die: »Die, die Gott liebt, nimmt er als Erstes zu sich.«

Ich: »Dann liebt Gott die Sahelzone ja mal so richtig!«

Die: »Lesen Sie die Bibel?«

Ich: »Nur die brutalen Stellen und die Verwandtschaftsverhältnisse im Alten Testament. Zu welcher Kirche gehört ihr eigentlich?«

Die: »Zu den Zeugen Jehovas.«

Ich: »Krass, ihr seid die?«

Die: »Ja.«

Ich: »Find ich gut, dass ihr hier durch die Gegend geht. Anstrengend für euch, oder?«

Die: »Ja.«

Ich: »Ich bin leider nicht der richtige Ansprechpartner für euch, aber echt alles Gute. So hugenottisch gemeint. Gott liebt die, die den harten Acker pflügen.«

Die: »Wollen Sie uns verarschen?«

Ich: »Ich meine das ernst. Wenn selbst die Zeugen Jehovas an Ironie glauben, dann geht es wirklich mit der Welt zu Ende. Darf ich dann mit euch mit?«

Die: »Beten Sie denn ab und zu?«

Ich: »Nur wegen Fußball!«

Die: »Ich glaube, das reicht nicht.«

Ich: »Glauben, ne?«

Die: »Dürfen wir noch mal wiederkommen?«

Ich: »Ich glaube, das bringt nichts. Aber ich finde es toll, dass ihr das macht.«

Die: »Okay, dann bis bald!«

Ich: »Ja, dann bis bald!«

Ich schloss die Tür und freute mich über das erste ernsthafte Gespräch seit Wochen, hörte ihre Stimmen im Treppenhaus und hatte auf einmal extrem gute Laune.

3

Ich öffnete die Tür zu meinem Treppenhaus. Es roch nach frisch gebrühtem Kaffee. Vor mir stand ein Mann, der ähnlich groß war wie ich, ähnlich so alt zu sein schien wie ich und eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hatte. Das Schönste, was ich jemals über mein Aussehen gehört hatte, war, dass ich aussehen würde wie eine Mischung aus Brad Pitt, Hape Kerkeling und einem unterklassigen Fußballspieler.

Ich: »Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?«

Hinter mir lag kein Paket, das ich für die Mitmieter meines Hauses angenommen hatte.

Er: »Guten Tag. Eigentlich können Sie mir gar nicht helfen. Ich bin der Tod, und Sie müssen jetzt mitkommen.«

Ich: »Ja, dann warten Sie kurz. Ich pack nur noch schnell meine Sachen und komm dann!«

Der Mann verdrehte die Augen, schaute mich an und sagte: »Oh, einer der Humorvollen! Wundervoll. Noch nie gehört den Witz. Sie haben jetzt noch drei Minuten Zeit, um über alles nachzudenken. Wenn Sie jemanden anrufen oder schreien, sterben Sie sofort.«

Von allen abgedrehten Dingen, die ich je gehört und erlebt hatte, war das vermutlich eines der abgedrehtesten.

Andere abgedrehte Sachen, die ich gehört hatte:

1.

Ich kannte mal einen Mann, der hatte vor langer Zeit einen Ford Fiesta 1, und ein Kfz-ler hatte ihm ins Ohr geflüstert, dass jeder zehnte Fiesta eigentlich das gleiche Schloss habe. Deswegen hatte er immer ein Mixtape mit seinen Lieblingssongs dabei. Probierte bei allen Fiesta 1 aus, ob sein Schlüssel passte, und wenn, dann legte er sein Tape in den Wagen und schrieb auf die Klebeetiketten der Kassette »Timos Lieblingshits« und auf die andere Seite »Viel Spaß!«

2.

Ein anderer Freund von mir überfuhr auf seiner Jungfernfahrt nach Erwerb des Führerscheins eine Katze und konnte im Rückspiegel erkennen, nachdem es unter dem Auto gepoltert hatte, wie die Katze weiterrannte in Richtung eines Bauernhofes an der Straße. Er parkte, ging auf den Hof, sah die Katze schwer atmend auf dem Boden liegen, daneben stand der Bauer. Mein Freund sagte: »Es tut mir leid. Ich glaube, ich habe Ihre Katze gerade überfahren.«»Das macht nichts!«, sagte der Bauer. »Wir haben genug davon!« Er nahm einen Spaten und schlug mit der Kante zweimal auf das Genick der Katze.

3.

Ich stand in einer U-Bahn voller schlechter Laune und Menschen, und ich hatte einen leichten Schnupfen und musste hochziehen. Einfach nur ein akkurates Rinnsal, ungefähr so viel, dass man hoffen konnte, die anderen Fahrgäste würden nicht bemerken, wie das Ende des Nasenkanals glänzte. Ein Junkie reichte mir ein Taschentuch, lächelte mich an und sagte: »Gute Besserung.«

4

Wie die meisten anderen Menschen hatte ich eine angespannte Beziehung zum Tod. Aber fast noch angespannter war meine Beziehung zu Menschen, die versuchten, sich durch Negatives emotional unvergesslich zu machen. Ich war mal auf einer Hochzeit und eine Bekannte von mir sagte zur Braut: »Das Kleid steht dir wirklich überhaupt nicht!« Die Braut sah wundervoll aus, und außerdem ist es egal, wie man aussieht am Tag der Trauung. Es ist alles großartig auf einer Hochzeit. Das Essen, die Gäste, die Sitzordnung, die Geschenke, die Reden, die Spiele, ALLES. Das ist, wie wenn Fußball ist. Es ist erst mal großartig, dass Fußball ist. Der Rest kommt später.

Sie sagte: »Das Kleid steht dir gar nicht!«, und das nannte sie dann »Ich bin doch nur ehrlich!« – die überschätzteste aller Tugenden –, wollte sich aber nur einen Moment der Ewigkeit im Leben der anderen sichern und ergötzte sich an dem Wissen, dass die Eheleute, so es denn sein sollte, noch in fünfzig Jahren zueinander sagen würden: »Weißt du noch, was sie damals über mein Kleid gesagt hat!?«

Ich schloss die Tür und ließ das Schwein, das mir auf die Nerven gehen wollte, stehen, wo es nach frisch gebrühtem Kaffee roch, ging ins Bad, um zu pinkeln, öffnete die Hose und dachte an die Hochzeit und die fundamentale Traurigkeit, die die Braut befallen haben musste wegen diesem Satz über das Kleid, und daran, wie kaputt man sein musste, um bei fremden Menschen zu klingeln und ihnen mitzuteilen, dass man der Tod ist.

»Jetzt nicht erschrecken!«, sagte der Mann, der eben noch vor meiner Tür gestanden hatte und nun auf dem Rand meiner Wanne saß, während ich gerade pinkeln wollte.

Wenn man etwas erlebt, was wirklich seltsam ist, bleibt man seltsam ruhig. Am Anfang meiner Karriere im Altenpflegebereich war ich einmal für ein halbes Jahr zur Finanzierung meines unaufwendigen Lebensstils mobiler Altenpfleger und sah dort zum ersten Mal eine tote Frau. Sie war, als sie noch lebte, sehr nett und blind und rauchte 100er Zigaretten von Lidl, die sie aufgrund von fortgeschrittenem Parkinson und schwindender Sehkraft am Filter oder in der Mitte anzündete.

Der Teppich ihrer Wohnung war so von Brandflecken übersät, als ob der Vesuv in der Nähe ausgebrochen wäre, und irgendwann kam ich in die Wohnung und diese Frau war tot. Ich war nicht erschrocken. Ich war nicht verängstigt. Ich war einfach nur als Erster in einer Wohnung, über der eine fundamentale Ruhe lag. Es war wie ein Date, zu dem man ein wenig zu spät gekommen ist. Man war traurig, dass der andere schon gegangen war, aber man hatte wenigstens ein Date gehabt.

Ich zog den Reißverschluss wieder zu und schaute den Mann an, der eben noch vor der Tür gestanden hatte.

Er: »Schön haben Sie es hier.«

Ich: »Oh, der Tod hat Humor. Das wusste ich auch noch nicht.«

Er: »Sie verstehen das nicht.«

Ich: »Der Tod siezt mich. Das wird wirklich immer besser. Einer der Chefs des Universums siezt mich.«

Er: »Nur wer sich siezt, kann sich später duzen.«

Ich: »Der Tod hat Humor. Okay, okay, wenn man darüber nachdenkt, hätte man fast selber draufkommen können. Und was soll jetzt schön sein an meiner Wohnung?«

Er: »Die Fülle der Gedanken. Die dunklen und die hellen.«

Ich: »Ich denke nicht! Ich habe schon seit Jahren nicht mehr gedacht!«

Er: »Das denken Sie.«

Ich: »Der Tod hat Humor, siezt mich und weiß mehr über mein Gehirn als ich. Wenn ich jetzt, in DIESEM Moment, wo ich das erleben darf, Lotto spielen würde, hätte ich sechs Richtige.«

Er: »Ja, hätten Sie. Aber das wäre auch egal, weil Sie ja in drei Minuten gehen müssen. Wir befinden uns im Endeffekt gerade in einem Alles-Egal-Areal.«

Ich: »Ein Alles-Egal-Areal? Jetzt habt ihr auch noch Marketingausdrücke!?«

Er: »Ja, hab ich mir einfallen lassen. Gut, ne? Sonst verstehen die Leute das ja nicht. Wenn sich jemand just vor seinem Ableben etwas wünscht, dessen Erfüllungswahrscheinlichkeit sich sonst im niedrigen Prozentbereich bewegt, dann klappt das jetzt. Hat ja auch keinen Veränderungswert für die Welt. Wir sind ja in drei Minuten tot.«

Ich: »WIR sind in drei Minuten tot?«

Er: »Na ja, ich bin es ja die ganze Zeit, und du kommst mit!«

Ich: »Okay, ich will eine Million.«

Der Tod verdrehte schon wieder die Augen.

Er: »Es gibt so viele schöne Dinge auf der Welt wie Moleküle, und jeder vierte Trottel wünscht sich eine Million.«

Ich: »Ja nu!«

Er: »Was, ja nu?«

Ich: »Ja nu, was soll man sich auch sonst wünschen?«

Er: »Ach, dieses Nachgedenke über die letzten Wünsche, die man sowieso nicht teilen kann mit den anderen. Das macht mich ganz depressiv. Das macht mich noch depressiver als diese ganze Abholerei.«

Ich: »Charmant, sarkastisch, humorvoll, ironisch, depressiv und sieht fast so aus wie ich. Was der Tod nicht alles ist. Man muss sich wundern.«

»Moooment, das mit dem Aussehen kann ich nicht steuern! Ich sehe immer ein wenig so aus wie die Leute, die ich abhole. So, was wollen wir jetzt tun?«, fragte mich der Tod.

Ich: »Ich hab keine beschissene Ahnung!«

Er: »Weißt du, was das Gute ist an euch Menschen?«

Ich: »Ehrlich gesagt, habe ich in den letzten zehn Jahren genau darüber nachgedacht und bin nicht so richtig zu einem Ergebnis gekommen.«

Er: »Ich dachte, du denkst nicht ... Egal. Weißt du, was das Gute an euch ist? Dass ihr fluchen könnt.«

Ich: »Du kannst nicht fluchen? Kann doch jeder! Sind doch nur aneinandergereihte Wörter, die nicht im Duden stehen.«

Er: »Ja, aber es bedeutet mir nichts.«

Ich: »Kleinen Zeh im Dunkeln stoßen und dann fluchen?«

Er: »Nein.«

Ich: »Ausgleichstor in der 89. Minute?«

Er: »Nein.«

Ich: »Scheiße sagen, wenn man eine Frau zum ersten Mal nackt sieht und nicht glauben kann, wie hübsch sie ist?«

Er: »Mein Verhältnis zu Frauen und zu Menschen im Allgemeinen ist eher schwierig. Also, was sollen wir jetzt machen?«

Ich: »Mozarts Requiem hören? Das dauert wenigstens länger als drei Minuten.«

Er: »Oh, den kannte ich noch nicht. Aber ich höre keine klassische Musik. Klassische Musik macht mich traurig, und man muss sich Zeit dafür nehmen.«

Ich: »Und du hast ja immer nur so drei Minuten.«

Er: »Exakt!«

Ich: »Können wir eine grundsätzliche Frage klären?«

Er: »Ich liebe Grundsatzdiskussionen.«

Ich: »Was ist auf der anderen Seite?«

Er: »Oh, das weiß ich nicht.«

Ich: »Das weißt du nicht? Ist das dein Ernst? Das ist echt fast so gut wie die Antwort auf die Frage, die ich einmal einem Mädchen gestellt habe: ›Liebst du mich?‹ Und sie sagte darauf: ›Ich weiß es nicht.‹ Hallo, Herrgott, der Tod ist hier. Lässt fast mal eben eine Million auftauchen und behauptet, dass ich noch drei Minuten leben darf, aber er weiß nicht, was am anderen Ende auf einen wartet. Das Leben in der Mitte zwischen dem Hier und dem Danach ist wirklich noch nerviger als alles andere.«

Er: »Ich helfe nur beim Latschen. Ich bin wie ein Taxifahrer, der jemanden ins Bordell bringt. Und wenn du dann fragst: ›Was passiert hinter der Tür?‹, kann der Taxifahrer nichts sagen. Er kann hoffen oder vermuten, aber wissen tut er nichts.«

Ich: »Der Tod hört keine Klassik und bringt Bordell-Analogien. Dass ich das noch erleben darf.«

Er: »Dass du das noch ›erleben‹ darfst, ist ein wenig witzig in diesem unserem Zusammenhang und dem Zeitfenster, das wir noch haben. Was möchtest du jetzt noch machen?«

Ich: »Ich möchte nichts mehr machen. Ich möchte meine Ruhe. Ich möchte nur endlich meine Ruhe. Weißt du, meine Mutter hat mich neulich angerufen. Sie war auf dieser Insel, wo sie immer hinfährt. Wie heißt die noch? Juist. Und sie hat mich angerufen von Juist. Und immer, wenn sie von da anruft, steht sie gerade zum ersten Mal am Strand, und dann sagt sie: ›Naaaa, rate mal, wo ich bin?‹ Und ich habe dann immer einen Ohrwurm von ›I just can’t get enough‹, und ich denke, dass das echt ein guter Slogan wäre für Juist. Und dann möchte ich das denen vorschlagen und dann habe ich aber die Nummer nicht vom Juister Tourismusbüro. Und selbst wenn ich sie hätte, würde ich mit einem Typen telefonieren, der sagen würde: ›Nein, ich denke, dass der Slogan Juist, die große Perle in der Kette der ostfriesischen Inseln besser ist als I juist can’t get enough!‹!« Und dann werde ich beim Denken ärgerlich und ich weiß nicht warum, und darüber werde ich noch ärgerlicher und dann höre ich die Stimme meiner Mutter am Strand und sie hat diesen Tonfall drauf, der mir nichts anderes sagt als: ›Wenn du einmal Hunger im Leben hattest, dann reicht dir ein Telefon, um deinen Sohn anzurufen, und der Strand einer verdammten Insel, um Ruhe zu spüren.‹ Und ich habe nie gehungert und werde auch nie hungern, und dann bekomme ich Herzrasen. Und wenn ich Herzrasen habe, möchte ich Weißwein trinken, was mich unruhig macht, und dann trinke ich mehr, weil es Spaß macht, Weißwein zu trinken, wenn man Herzrasen hat, und dann rast das Herz noch mehr, weil man schneller denkt, über alles, das Gute und das Schlechte, und dann ist es wie bei dieser Frau mit der Waage, dieser Justitia, dass es sich in Sekundenbruchteilen entscheiden kann, ob man gut gelaunt ist oder schlecht gelaunt beim Weißweintrinken. Und dann boxen im Kopf beide Gedanken gegeneinander. Und dann denkt man, dass der gute Gedanke in den Pausen der Boxrunden auch Weißwein trinken sollte statt Wasser, und plötzlich steht man da, angezählt nach zwölf Runden, und weiß immer noch nicht, ob man gut oder schlecht gelaunt ist, sondern man ist einfach nur RUHIG, weil es summt, weil die Synapsen schütten, weil man Gedankengänge logisch findet, die man sonst nicht denkt, und vor allen Dingen, weil man überhaupt nichts denkt, und darüber nachdenkt. Und am nächsten Tag ist alles egal, weil man unruhig ist, weil man einen Kater hat und die Synapsen sich zur Ins-Moloch-Herunterziehmaschine zusammengeschlossen haben und dann ... ich rede zu viel. Woran sterbe ich eigentlich?«

Er: »Irgendwas mit Herz.«

Ich: »Ich bin neulich noch gejoggt!«

Er: »Das war vor einem halben Jahr.«

Ich: »Ich weiß.«

Er: »Unentdeckter Herzfehler, Ader platzt, das war’s!«

Ich: »Wie bei meinem Vater?«

Er: »Wie bei deinem Vater.«

Ich: »Alter, ist das scheiße traurig.«

Er: »Moment, der unentdeckte Herzfehler ist eine der besten Todesursachen. Er schont die Verwandten und Freunde. Es ist die Unauslöschlichkeit des Zufalls im Tode. Ein Auto hat jeder gesehen. Und dann diese Gedankenspiele. ›Wäre er nur zehn Sekunden später aus dem Haus gegangen.‹«

Ich: »Alter, ist das scheiße traurig.«

Er: »Dann frag mal, wie ich meinen Job finde. Alle hassen den Boten, aber niemand hasst den König.«

Ich: »Wer ist denn der König?«

Er: »Der auf der anderen Seite der Pufftür.«

Ich: »Ach ja!«

Er: »Können wir jetzt so langsam?«

Ich: »Ich muss wohl keine Sachen packen.«

Er: »Nein.«

Ich: »Was zu trinken mitnehmen?«

Er: »Nein. Können wir jetzt?«

5

Ich weiß nicht, wie es bei anderen ist, bei mir war das Sterben so: Es fing an zu vibrieren. So als ob zwei Stockwerke über einem eine Waschmaschine schleudert und das ganze Haus anfängt zu wackeln und im unhörbaren Frequenzbereich so vibriert, dass einem ganz leicht schlecht wird.

Und es fühlte sich an, als ob man in die Länge gezogen wird, wobei die Füße den Boden nicht verlassen. Und es tut nicht weh, weil man keine Knochen im Körper hat, aber man weiß, dass man sich verabschieden muss, weil man noch nie gesehen hat, dass die Füße so weit von einem entfernt sind. Und es fühlte sich an, als ob es vor den Augen knistert. Was seltsam ist, da es vor den Augen nicht knistern kann, sondern nur in den Ohren. Als ob man hundert Stecker in hundert Steckdosen steckt und es diese kleinen Blitze in der Steckdose gibt und jemand Schlaues dann aus dem Off sagt: »Das ist aber nicht gut für das Gerät.« Und es fühlte sich an, als würde es klingeln. Und als würde es noch mal klingeln. Und als würde es noch mal klingeln.

Und dann war ich auf einmal ganz klar.

Der Tod sagte: »Es hat geklingelt.«

Ich: »Ich weiß. Ich hab’s gehört.«

Er: »Niemand klingelt, wenn ich bei der Arbeit bin.«

Ich: »Soll ich ihn wegschicken? Ganz schön unhöflich.«

Er: »Niemand KANN klingeln, wenn ich arbeite. Das ist sozusagen ... nicht vorgesehen!«

Ich: »Nicht vorgesehen. Nicht vorgesehen ... herrlich. Der Tod hat etwas sehr angenehm Deutsches an sich.«

Er: »Was machen wir jetzt?«

Ich: »Der Tod fragt mich, was wir jetzt machen? Wahnsinn. Wir fragen, ob der da vor der Tür Skat spielen kann. Schließlich sind wir dann zu dritt. Kannst du Skat?«

Er: »Nein.«

Ich: »Ich auch nicht.«

Es klingelte wieder. Und zwar lange. Und zwar dringlich. Es ist komisch, das zu sagen, aber in mir regten sich Lebensgeister.

Ich: »Wir machen jetzt die Tür einfach auf.«

Er: »Das geht nicht. So was geht nie. So was passiert nicht. Ich töte dich gerade.«

Ich: »Du wolltest mich gerade getötet haben. So viel Konjunktiv der Vergangenheit aktiv muss sein.«

Er: »Weißt du was? Wir machen jetzt die Tür auf. Endlich mal Leben in der Bude. Ich hab schon viele Tode getroffen und davon gehört, aber ich hab noch nie einen Tod getroffen, dem das passiert ist. Wir gehen jetzt dahin und dann machen wir die Tür auf. Wouhou. So was ist seit Hunderten von Jahren nicht passiert, und jetzt passiert es genau mir. Ich weiß noch nicht, WIE schlecht das ist, dass es klingelt beim Sterben, aber das ziehen wir jetzt durch. Wir machen jetzt die Tür auf. ›Eh, Luzifer, alte Schwefellunge, kommst du auch mal wieder rum.‹ Oder: ›Erzengel Gabriel, top ondulierte Haare. Was machst du hier?‹ Los, wir machen jetzt die Tür auf. Das wird geil!«

Ich ging zur Tür und öffnete. Davor stand Sophia, starrte mich an und sagte: »Du hast nicht wirklich vergessen, dass du heute zu deiner Mutter wolltest und mich zwei Monate lang angefleht hast mitzukommen? Alter, du bist wirklich der kaputteste Typ, den ich kenne. Wer ist er eigentlich?«

»Willst du nicht wissen«, sagte ich, »das willst du echt nicht wissen!«

Sie: »Jetzt pack deine scheiß Sachen, hast du ja bestimmt noch nicht, oder? Dann bekommen wir vielleicht noch den Zug.«

Ich drehte mich zum Tod um und fragte ihn: »Was machen wir jetzt?«

Er: »Was hängst du hier noch rum? Zieh endlich deine Schuhe an. Hast doch gehört, was Sophia gesagt hat: Pack deine scheiß Sachen. Dann bekommen wir vielleicht noch den Zug.«

Sie: »Woher kennt der meinen Namen?«

Ich: »Haben gerade über dich geredet.«

Sie: »Du hast doch schon seit Monaten nicht mehr über mich geredet und WENN, hättest du vielleicht mal mit MIR über mich reden sollen.«

Der Tod: »Punkt geht an sie.«

Ich: »Oh, Mann!«

6

Ich zog meine Schuhe an, packte meine Sachen, und wir rannten zu dritt, Sophia, der Tod und ich, die Straße hinunter. Der Tod lachte leise und gut gelaunt beim Rennen.

Ich: »Hör auf zu lachen!«

Er: »Ich kann nicht anders.«

Ich: »Das ist ernst!«

Er: »Ich weiß. Aber weißt du noch was?«

Ich: »Was?«

Er: »Du bist mir gerade von der Schippe gesprungen!«

Ich: »Ich weiß!«

Wir rannten die Straße hinunter, und ich erinnerte mich daran, dass man früher gerannt ist, ohne die Anstrengung des Rennens zu spüren. Man rannte, weil man rennen konnte, man ist gerannt und hat dabei gelacht und hat versucht, sich zu überholen, manchmal hat man sich überrannt, und man kann sich an das Gefühl der leichten Panik erinnern, wenn man schon drei Sekunden zuvor spürte, dass man gleich auf die Fresse fallen würde. Und wenn man als Kind hingefallen ist, war das immer ein wenig so, als wäre man gegen Gottes Mauer gelaufen: »Nicht so schnell, mein kleiner Freund«. Und wenn man Erwachsene laufen, rennen, joggen sieht, denkt man immer nur daran, dass entweder etwas Schlimmes passiert ist oder dass Urchristen sich offenbar zum Marathonlaufen berufen fühlen, wenn sie mit gekräuselten Haaren, die halb ihren Kopf bedecken, und Nickelbrille im Park an einem vorbeijoggen. Der gestandene Marathon ist dem Urchristen das, was dem Moslem das Mekka ist, oder, ach, was weiß ich. Ich dachte über Rennen und Erwachsensein nach und neben mir lief der Tod.

Der Tod sah gut aus beim Laufen. Er hatte ein freudiges Lächeln auf den Lippen. Es war das Lächeln, das man hat, wenn man eine Sache tut, die man nur ganz selten tut. Fast das Lächeln eines Kindes, wenn es ein Geschenk auspackt und ahnt, was unter dem Papier sein wird. Dieser zärtliche Moment der Freude vor der Gewissheit des Schönen.

Und dann fiel mir auf, dass ich mit meiner Ex und dem Tod auf dem Weg zu meiner Mutter war. Und dass das für alle Beteiligten womöglich zu viel war. Aber am meisten für mich.

Ich hörte auf zu rennen. Sophia bemerkte das und schnauzte mich an: »Was machst du denn jetzt?«

Ich: »Guck mal auf die Uhr. Hast du mal geguckt, wie spät es ist? Wir schaffen das nicht mehr zum letzten Zug, mit der Straßenbahn und so.«

Sie: »Du hast doch überhaupt keine Uhr!«

Ich: »Wir sind an einer vorbeigelaufen. Ich kann auch einfach nicht mehr.«

Sie: »Ich dachte, du joggst jetzt wieder?«

Der Tod: »Der ist vor einem halben Jahr das letzte Mal gejoggt.«

Ich: »Ich ruf nachher meine Mutter an und sage, dass ich morgen komme.«

Sie: »Beim kleinsten Widerstand, beim kleinsten Problem knickst du ein. Du bist so wahnsinnig bequem. Du würdest wirklich beim Aufstand im Ghetto sagen: ›Bitte etwas leiser und können wir erst ab zehn anfangen? Vorher muss ich noch den Sportteil studieren!‹ Weißt du, ich mochte dich mal. Früher warst du anders und schlechter gelaunt als die anderen. Heute bist du einfach nur noch ...«, Sophia überlegte pumpend, »wie eine hässliche Zeichnung, für die das Kind aber doch gelobt wird. ›Hassfeiiiiingemacht. Hassfeiiiiingemacht!‹, nur weil man nicht jeden Hang zur Kreativität sofort im Keim ersticken will. Oder wie ein Hund, den man nicht schlägt, weil er etwas Falsches apportiert hat, weil man schon froh ist, dass er überhaupt etwas gebracht hat!«

Der Tod hakte begeistert nach: »Du bist wie eine Mischung aus Hund und Kind?«

Sophia schaute ihn an und runzelte die Stirn.

Und ich gab mich der Opferrolle hin. Weil ich wusste, dass man bei Sophia in solchen Situationen mit Diskutieren überhaupt nichts erreichte, und weil die Diskussion nur eins garantieren würde: dass mir die ganze Situation vollends aus der Hand glitt. Und weil sie so unglaublich heiß aussah, wenn sie böse auf mich war.

Der Tod fragte: »Und was machen wir jetzt?«

Ich antwortete, nach Luft schnappend: »Du musst ein wenig darauf achten, dass du das Timbre deiner Aussprache der jeweiligen Situation anpasst, in der du dich gerade befindest.«

Er sagte: »Was meinst du?«

Ich: »Wenn man davon ausgeht, dass einen die Nachricht, man sei in drei Minuten tot, in einen emotionalen Ausnahmezustand versetzt, passt es nicht, freudig wie nach der Arbeit auszurufen ›SO, UND WAS MACHEN WIR JETZT?‹«

Sophia: »Was redest du eigentlich mit dem?«

Ich: »Das erkläre ich dir später.«

Sie: »Das hast du vorhin auch schon gesagt!«

Ich: »Könnt ihr nicht einfach aufhören, auf meinen Nerven rumzuspringen?«

Sie: »Können wir nicht einfach aufhören, auf seinen Nerven rumzuspringen?« Nachäffen ist immer noch die hinterlistigste Waffe, ein Gespräch eskalieren zu lassen.

Der Tod: »Können wir nicht einfach aufhören, auf seinen Nerven rumzuspringen?«

Ich: »Was bist du eigentlich so gut drauf, häh?«

»Warum ich gut drauf bin?«, fragte der Tod und wiederholte diesen Satz noch mal in einer höheren Tonlage: »Warum ich gut drauf bin? Weißt du, warum ich gut drauf bin? Mich gibt es schon so lange, dass ich noch nicht mal weiß, was ein Jahr ist. Ich bin auf so komische Weise hier auf deiner Welt, dass ich noch nicht mal weiß, was Zeit bedeutet – jenseits von drei Minuten. Alles, was ich normalerweise sehe, sind Menschen, die Angst haben, die nicht glauben können, was passiert, die bereuen, verfluchen, fliehen, schreien, weinen, resignieren, panisch werden, beten, verzweifeln, flehen. Menschen, die in – wie du eben so schön gesagt hast – emotionale Ausnahmezustände geraten, weil ich sie ABHOLE, weil sie STERBEN, weil ich etwas beende, was ihnen eigentlich ganz gut gefällt. Auch wenn sie sich das zu Lebzeiten nicht wirklich klarmachen. Ich bin der Schlachter. Ich bin der Beender. Ich bin das Ende des Lachens. Ich bin der Rasenmäher der Endlichkeit, der Auspuster der Kerze, die drei Minuten bis zur Geisterstunde. Ich, das unbeliebteste Wesen auf der ganzen Welt. Und weißt du, was jetzt hier gerade los ist?«

Ich: »Was?!«

Der Tod: »Nichts! Ich stehe hier, und es ist nichts los. Ich bin in der Welt. Ich bin auf der Welt. Ich bin an der Welt. Guck mal hier, ich fasse diese Mauer an. Oh, kalt, nass, Moos. Toll. Ich bin jetzt hier und das schon länger als drei Minuten. Ich bin gerade auf Urlaub und das zum allerersten Mal. Ich weiß alles über den Job, aber ich führe ihn nicht mehr aus. Der Ohrfeiger der Seelen hat frei, und er weiß das. Das ist hier los.«

Der Tod beendete seinen Monolog, den er für Sophia unhörbar wie das leiseste Maschinengewehr der Welt in mein Ohr geflüstert hatte, und Sophia schaute uns an wie etwas, das die Katze nach dem Saubermachen auf den Teppich gewürgt hat.

Sie: »Oh, Mann, ey, redende Männer. REDENDE MÄNNER!!! Da kann man sich gleich verabschieden. Da weiß man sofort, was dabei rauskommt. Nichts! Und davon noch das Schlechte. Weißt du was? Ich hätte dir echt gerne geholfen mit deinem Kram. Aber weißt du noch was? Scheiß drauf. Das Schöne an dir war mal, dass du keine Geheimnisse hattest. Wer simpel ist, braucht keine Geheimnisse. Das ist klar. Geschenkt. Und plötzlich ist da dieser Typ bei dir, der aussieht, als würdet ihr beim Lookalike-Contest der Dummen antreten. Soll er doch den Scheiß machen. Soll er auf diesen kruden Mist, den du dein Leben nennst, aufpassen. Ich hau jetzt ab hier!«

Ich: »Ich erkläre dir das wirklich später.«

Sophia: »Ich will nichts mehr erklärt bekommen. Hast du mich nicht verstanden? Ich hau jetzt ab hier!«

Der Tod vergriff sich zielsicher im Ton und fragte: »Darf ich mitkommen?«

Sophia zu mir: »Ist der behindert, oder was?«

Ich: »Behindert ist kein Schimpfwort!«

Sophia bebte. »Nein, du darfst nicht mitkommen.«

»Warum nicht?«, fragte der Tod.

»Weil ich dich nicht kenne, weil du dich benimmst wie ein Kind und weil ich jetzt da hingehe, wo Kinder nicht hindürfen. Ich gehe jetzt zu ›Johnny‹. Ich halte das einfach nicht mehr aus. Ich will jetzt Bier!«

»Oh!«, sagte der Tod traurig.

»Johnny«. Ein Name voller Magie für mich. »Bei Johnny« war meine Stammkneipe, in der das Einzige, was sich änderte, die Frage war, ob der Dartautomat gerade kaputt oder heil war.

Meistens war er kaputt.

»Herrgott, dann komm mit! Aber quatsch mich nicht voll.«

Ich hatte das beklemmende Gefühl, dass es keine gute Idee war, den Tod mit meiner Exfreundin ziehen zu lassen.

Ich log: »Dann komm ich auch mit. Ich hab keinen Bock alleine zu sein.«

Sophia: »Ich geh mit einem Kind und einem, den ich schon mal nackt gesehen habe, in eine Kneipe. In meinem Leben möchte ich auch nicht an der Seite stehen und zuschauen müssen.«

7

Wir gingen die Straße hinunter, und es war diese ganz bestimmte Luft im Herbst, in der man schon die Garstigkeit des Winters ahnen konnte, die meine Haut über den Fingerknöcheln aufspringen und die Gelenke schwellen ließ. Noch aber stand die Sonne am Himmel und spendete Wärme. Sie schien uns scharf in die Augen und strahlte die sich auftürmenden Regenwolken an. Dazwischen sah man einzeln die ersten Sterne blitzen, und der Mond sichelte sich langsam in Richtung hoher Himmel, und ich dachte: »Irgendwo hinter diesem Mond und diesen Sternen und der Sonne wohnt dieser Typ, der jetzt mit uns in die Kneipe geht.«

Sophia, der Tod und ich liefen in Richtung der Kneipe, in die Sophia und ich immer gingen. Früher gemeinsam – heute getrennt. Ich sagte: »Ich muss noch eine Postkarte einwerfen.«

Sophia: »Du immer mit deinen Postkarten. Du weißt doch gar nicht, ob sie ankommen.«

Ich: »Darum geht es nicht. Es geht darum, etwas zu tun, damit man sich sinnvoll fühlt im Meer des Unsinns.«

Sophia: »Du weißt doch überhaupt nicht, ob die Adresse noch stimmt.«

Ich: »Gott schütze die große Erfindung des Nachsendeantrags.«

Sophia: »So, wie ich die Mutter deines Kindes einschätze, ist sie die einzige Frau auf der ganzen Welt, die es schafft, vor ihrem Haus einen toten Briefkasten nur für deine Postkarten aufzustellen.«

Ich: »Lass es einfach. Ich schreibe meine Postkarten, und du hältst die Klappe!«

Sie: »Das ist so geil. Du denkst, du tust etwas für andere, und eigentlich tust du es nur für dich.«

Ich tat, als würde ich meine Nase mit der linken Hand in die Länge ziehen, und spielte mit drei Fingern meiner rechten Hand Lufttrompete und sagte: »Guck mal, ich spiel dein Lied. Immer dasselbe. Kannst du dir in deiner grauen tristen Welt, in der Beton das Farbenfrohste ist, vielleicht etwas vorstellen, das zwei Menschen gleichzeitig Spaß bringt, obwohl es nur von einem kommt?«

Sophia verdrehte die Augen und war offensichtlich nicht gewillt zu antworten, was in ihrer Welt aber nicht bedeutete, dass das Gegenüber das bessere Argument gehabt hatte, sondern nur, dass sie es für schwachsinnig hielt, auf das Gesagte eine Replik zu formulieren.

Der Tod: »Ich misch mich ja nur zu gerne ein. Worum geht es hier eigentlich?!«

Ich: »Darüber möchte ich nicht reden.«

Sophia: »Oh, darüber rede ich aber gerne. Schließlich haben wir ja kaum was anderes gemacht, als genau darüber zu reden, als wir noch zusammen waren.«

Ihr Wortwitz war wunderschön. Schnell und präzise. Und vernichtend, wenn er gegen einen selbst geführt wurde. Früher hatten wir über so was gescherzt. »Ich freu mich schon darauf, wenn wir uns nicht mehr verstehen, weil ich so viel über dich weiß, dass ich deine Seele und dein Sein innerhalb von Minuten in den Schwitzkasten nehmen kann.«

Das tat Sophia jetzt.

»Worüber redet ihr?«, fragte der Tod mit einer ein wenig zu gut gelaunten Stimme.

Sophia: »Wir reden über Folgendes: Der Experte da zu deiner Linken hat sich vor neun Jahren in eine Frau verliebt, bei der alle immer nur eines gesagt und gedacht haben: ›Beep beep beep beep‹.« Sophia imitierte das Geräusch, das Container-Ameisen im Hafen beim Rückwärtsfahren machen.

»Mann, was habe ich da für Geschichten gehört von Leuten, die ihn damals schon kannten. So was geht nie gut. Ihre Eltern Millionäre, er Altenpfleger. Sie Perlenohrringe, er Fußball-T-Shirt. Aber er wollte ja nicht hören. ›Die ist es! Ich bin der Einzige, der ihre Schönheit sehen kann‹, hat er offenbar immer gesagt. Dann hat er sie nach vier Monaten geschwängert. In dieser Zeit verwandelte sie sich von einer Schmeißfliege zur Furie. Da wurde mehr geschrien als geredet. Dass er nichts kann, dass er nichts ist. Dass er ihr nichts zu bieten hat. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist wie zum Asiaten gehen und sich dann wundern ›Wie, hier gibt’s keine Currywurst?‹«

»Vergleichst du mich gerade mit einer Currywurst?«, fragte ich Sophia, und sie warf mir einen so scharfen Blick zu, dass ich aus Angst schwieg.

Sie führte ihren Abgesang weiter fort: »Und dann ist sie nach einem halben Jahr wieder zu ihren Eltern in den Süden gezogen, in die schöne Millionärsvilla. Sie meinte, sie könne nicht in seiner Nähe leben, weil sie ihn nicht ertrage und weil das Kind sie an ihn erinnere. Was schon mal ein guter Satz ist, denn nach so einem Satz braucht man wenigstens keinen DNA-Test mehr, auch wenn er in seiner idiotischen Traurigkeit schon eine gewisse Wucht hat. Das muss man sich mal vorstellen. Ich kann nicht bei dir bleiben, weil dein Kind mich an dich erinnert. Das Kind kann ich nicht loswerden, dich aber schon.«

»Sie hatte postnatale Depressionen«, wandte ich ein.

»Sie hatte auch schon pränatale Dummheit!«, erwiderte Sophia.