Stürmische Zeiten am Bodensee - Carolin Weißbacher - E-Book

Stürmische Zeiten am Bodensee E-Book

Carolin Weißbacher

0,0

Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Papi, wie lange dauert es denn noch, bis wir endlich da sind? Wir sind schon mindestens eine halbe Ewigkeit unterwegs, wenn nicht eine ganze. Dabei hast du vor unserer Abfahrt gesagt, dass es von Gut Schoeneich an den Bodensee nicht weit ist.« Der elfjährige Henrik zog ein missmutiges Gesicht, während er aus dem heruntergekurbelten Seitenfenster von Alexander von Schoeneckers Wagen auf die Wiesen, Obstplantagen und Hopfengärten schaute, die zu beiden Seiten der Straße vorbeihuschten. »Wie heißt gleich wieder der Ort, zu dem wir fahren?« »Taubenberg«, antwortete Denise, die auf dem Beifahrersitz saß, anstelle ihres Mannes. »Taubenberg. Komischer Name. Gibt es da besonders viele Tauben? Oder warum heißt der Ort so?«, wollte Henrik wissen. »Keine Ahnung. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es dort Tauben gibt«, antwortete Nick, der neben seinem Halbbruder auf der Rückbank des Wagens saß, mit einem breiten Grinsen. »Und Seeadler. Und Flamingos. Und Flugsaurier. Und extra für dich gibt es als Dreingabe sogar noch ein paar gruselige Vampire.« »Blödmann«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 139

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust - Die nächste Generation – 86 –

Stürmische Zeiten am Bodensee

Unveröffentlichter Roman

Carolin Weißbacher

»Papi, wie lange dauert es denn noch, bis wir endlich da sind? Wir sind schon mindestens eine halbe Ewigkeit unterwegs, wenn nicht eine ganze. Dabei hast du vor unserer Abfahrt gesagt, dass es von Gut Schoeneich an den Bodensee nicht weit ist.« Der elfjährige Henrik zog ein missmutiges Gesicht, während er aus dem heruntergekurbelten Seitenfenster von Alexander von Schoeneckers Wagen auf die Wiesen, Obstplantagen und Hopfengärten schaute, die zu beiden Seiten der Straße vorbeihuschten. »Wie heißt gleich wieder der Ort, zu dem wir fahren?«

»Taubenberg«, antwortete Denise, die auf dem Beifahrersitz saß, anstelle ihres Mannes.

»Taubenberg. Komischer Name. Gibt es da besonders viele Tauben? Oder warum heißt der Ort so?«, wollte Henrik wissen.

»Keine Ahnung. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es dort Tauben gibt«, antwortete Nick, der neben seinem Halbbruder auf der Rückbank des Wagens saß, mit einem breiten Grinsen. »Und Seeadler. Und Flamingos. Und Flugsaurier. Und extra für dich gibt es als Dreingabe sogar noch ein paar gruselige Vampire.«

»Blödmann«, schimpfte Henrik und knuffte Nick mit dem Ellbogen in die Seite.

»Sei nicht so garstig, Henrik«, mahnte Denise lachend. »Nick hat doch nur Spaß gemacht.« Im nächsten Augenblick wies sie mit dem Zeigefinger nach vorn. »Schaut, da sieht man schon den Bodensee!«

»Wow«, meinte Nick anerkennend, »tolles Panorama! Gehören die hohen Berge am jenseitigen Ufer eigentlich zur Schweiz oder zu Österreich?«

»Teil, teils«, antwortete Alexander von Schoenecker. »Der Säntis – das ist der, der alle anderen Berge überragt – befindet sich auf Schweizer Gebiet. Die Mittagsspitze und der Hohe Freschen ein Stück links davon gehören schon zu Österreich. Wenn ihr wollt, können wir im Laufe des Sommers gerne einmal nach Österreich oder in die Schweiz fahren, und eine Bergtour machen. Es muss ja nicht gleich ein Klettersteig sein.«

»Nein, das wohl eher nicht«, meinte Nick und fügte mit einem Blick auf die zahlreichen Segelschiffe auf dem Bodensee hinzu: »Ein Segeltörn auf dem See wäre auch nicht übel. Ich bin noch nie gesegelt und würde es gerne einmal probieren. Wenn wir, statt eine Bergtour zu unternehmen, noch einmal hierher an den Bodensee fahren und uns ein Segelboot mieten …«

»Auf Segeln habe ich absolut keinen Bock«, fiel Henrik seinem Bruder ins Wort. »Das stelle ich mir langweilig vor. Immer nur Wasser, Wasser, Wasser.«

»Jetzt werden wir erst einmal weder Berg steigen noch segeln, sondern reiten«, erklärte Denise. »Wenn wir schon die Einladung von Alexanders Freund Heiner angenommen haben und ihn auf seinem Reiterhof besuchen, sind vor allem ausgiebige Ausritte angesagt. Darauf freue ich mich schon seit Wochen.«

»Wir uns auch«, kam es einträchtig von Nick und Henrik.

»Vielleicht hätten wir Pünktchen doch mitnehmen sollen«, meinte Nick nach einer Weile.

»Und die kleine Heidi«, ergänzte Henrik. »Sie wäre bestimmt richtig happy gewesen. Und Martin wäre garantiert auch gerne mitgekommen. Schon wegen der Pferde.«

Denise konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. »Und wenn wir statt mit dem Auto mit unserem roten Bus gefahren wären, hätten wir auch noch Vicki und Angelika und Kim und Fabian mitnehmen können. Und Tante Ma und Magda. Und Barri und Anglos. Und überhaupt ganz Sophienlust. Und vielleicht sogar noch Andrea mit Waldi und all den anderen Tierheimbewohnern.«

»Warum nicht?«, meinte Henrik. »Das wäre bestimmt megalustig geworden.«

»Ob Heiner das auch so gesehen hätte, wage ich zu bezweifeln«, warf Alexander von Schoenecker ein.

»Ich auch«, stimmte Denise ihrem Mann zu. Dann wandte sie sich wieder nach hinten zu Henrik und Nick. »Aber wenn ihr wollt, können wir Heiner und seine Kinder gerne zu einem Gegenbesuch nach Sophienlust einladen«, schlug sie vor.

»Au ja, das machen wir!« Henrik war sofort begeistert. »Das ist eine echt coole Idee.«

»Sind Heiners Kinder nicht Zwillinge?«, erkundigte sich Nick.

»Ja, ein Zwillingspärchen. Acht Jahre alt«, erwiderte Denise. »Der Junge heißt Bastian und das Mädchen Sandra.«

»Okay«, ergriff Henrik wieder das Wort. »Bastian und Sandra. Das kann man sich leicht merken. Und was für Tiere gibt es auf Heiners Reiterhof? Ich meine, außer den Pferden natürlich?«

»Einen Kater namens Rocco. Und eine Golden Retriever-Hündin, die Dascha heißt und der kleinen Sandra gehört«, gab Denise zurück.

»Super. Auf Rocco und Dascha bin ich genauso gespannt wie auf Sandra und Bastian. Die Zwillinge dürfen die beiden Tiere später bei ihrem Besuch in Sophienlust doch auch mitbringen, oder?«, hakte Henrik nach.

»Ja, natürlich dürfen sie das. Aber jetzt ist Ende der Fragestunde«, stellte Alexander klar. »Wir sind nämlich da.« Er bog von der Straße ab und in eine breite, geteerte Auffahrt ein, die zu einem weitläufigen Gutshaus empor führte. Es lag auf der Anhöhe eines sanft geschwungenen Hügelkamms. Auf der einen Seite erstreckten sich hügelabwärts Weinberge bis fast zum Bodensee, auf der anderen Seite lagen die Stallungen und die Pferdekoppel, die sich bis weit ins Hinterland ausdehnte.

»Ein schönes Fleckchen Erde hat Heiner sich da ausgesucht«, meinte Denise anerkennend.

Alexander von Schoenecker nickte. »Das finde ich auch. Heiner hat das Geld aus seiner Erbschaft wirklich gut angelegt.« Er parkte den Wagen nach kurzem Zögern vor dem Restaurant, das in einem Anbau des Gutshauses untergebracht war. »Western-Saloon« stand, links und rechts von einem gemalten Cowboy auf einem Pferd flankiert, in großen roten Buchstaben über dem Eingang der Gastwirtschaft.

»Irre«, meinte Henrik. »Wird in dem Saloon auch geschossen? Ich hab da nämlich mal auf Netzkino einen total coolen Film gestreamt …«

Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür des Gutshauses und Heiner Gaschler, Alexanders Reiterfreund aus früheren Tagen, trat heraus.

Alexander von Schoenecker sprang bei Heiners Anblick sofort aus dem Wagen, und wenige Sekunden später lagen sich die beiden Freunde in den Armen und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Dann wurde Denise, die ihrem Mann in einigem Abstand gefolgt war, von Heiner in aller Herzlichkeit begrüßt. Nick und Henrik machten sich erst einmal mit den Zwillingen bekannt, die mit Dascha im Schlepptau hinter ihrem Vater aus der Tür gestürmt waren.

Zu guter Letzt breitete Heiner Gaschler die Arme aus, als wollte er alle seine Gäste an sich ziehen. »Ich freue mich riesig, dass ihr meiner Einladung so rasch Folge geleistet habt. Ich habe schon befürchtet, dass es Jahre dauern wird, bis ihr euch von Gut Schoeneich und von Sophienlust loseisen und mein neues Domizil in Augenschein nehmen könnt.«

»Das habe ich anfangs auch befürchtet«, lachte Alexander von Schoenecker. »Aber die Neugier hat uns keine Ruhe gelassen, bis wir uns auf den Weg zu dir gemacht haben. Züchtest du hier auch Pferde?«

Heiner schüttelte den Kopf. »Vorerst leider noch nicht, aber ich möchte natürlich so bald wie möglich eine erfolgreiche Zucht aufbauen. Du siehst also, lieber Alexander, dass meine Einladung nicht ganz uneigennützig war. Ich hoffe, ich darf mich in nächster Zeit, wenn ich mit der Zucht beginne, hin und wieder an dich wenden, um deinen Rat einzuholen.«

»Das versteht sich von selbst«, versicherte Alexander von Schoenecker. »Soweit ich dazu in der Lage bin, werde ich dir gerne alle deine Fragen beantworten, Heiner.« Er ließ seinen Blick über das Gutshaus und über das Western-Restaurant schweifen und fügte dann hinzu: »Beeindruckend, wirklich. Beim Herfahren habe ich die Stallungen und die Pferdekoppel gesehen. Ich kann es kaum erwarten, bis du uns überall herumführst. Die Pferde haben schon aus der Ferne sehr vielversprechend ausgesehen. Es sind wunderschöne Tiere.«

»Das sind sie in der Tat«, bestätigte Heiner Gaschler. »Aber ich denke, ehe wir die Stallungen und die Pferdekoppel in Augenschein nehmen, zeige ich euch eure Gästezimmer im Gutshaus. Dann könnt ihr, ehe wir zum fachmännischen Teil der Besichtigung übergehen, schon einmal eure Sachen hochbringen und euch häuslich einrichten. Wenn ihr mögt, machen wir nach der Besichtigung der Pferde einen kleinen Ausritt. Und zu guter Letzt treffen wir uns im ›Western-Saloon‹, um auf euren Besuch in meiner neuen Heimat hier auf Gut und Gestüt Taubenberg anzustoßen. Der Saloon hat im Übrigen heute Ruhetag, sodass wir vollkommen ungestört sind.«

»Darf ich später Nick und Henrik die Kunststücke zeigen, die ich Dascha beigebracht habe, Papi?«, mischte sich nun Sandra ins Gespräch. »Die müssen Nick und Henrik und auch Herr und Frau Schoenecker nämlich unbedingt sehen.«

»Kunststücke?«, erkundigte sich Henrik interessiert. »Wir haben in Sophienlust einen Hund, der auch ein paar Kunststücke drauf hat. Er heißt Anglos und ist eine Deutsche Dogge. Er kann ›Sitz‹ und ›Platz‹ und ›Toter Hund‹. Und er kann auf Kommando die rechte oder die linke Pfote geben. Wenn man ihm die entsprechende Hand hinhält, macht er es fast immer richtig.«

Auf Sandras Kindergesichtchen legte sich ein Zug von Überlegenheit, der sie für einen Moment sehr erwachsen wirken ließ. »Solche Sachen kann Dascha selbstverständlich auch«, sagte sie ein bisschen von oben herab. »Aber Dascha kann noch viel mehr. Sie kann viel schwerere Kunststücke. Dascha kann sogar tanzen.«

»Tanzen?« Henriks Augen wurden groß vor ungläubigem Staunen. »Dascha tanzt mit dir? So richtig? Ich meine, auf den Hinterbeinen? Walzer oder Tango oder wie die Tänze alle heißen?« Nach einem Augenblick des Nachdenkens schüttelte Henrik den Kopf. »Das ist nicht wahr, Sandra. Das kann einfach nicht stimmen. Du lügst. Oder zumindest übertreibst du.«

»Ich lüge überhaupt nicht«, verteidigte sich Sandra. »Natürlich tanzt Dascha nicht wie ein Mensch. Das ist doch sonnenklar. Aber Dascha kann trotzdem tanzen. Dascha und ich, wir tanzen eher eine Art … Hundeballett.«

»Hundeballett?«, hakte Henrik nach und verdrehte dabei die Augen. »So etwas gibt es doch gar nicht. Zumindest habe ich so etwas noch nie gesehen.«

Sandra gab Dascha einen dicken Kuss auf ihren Kopf, worauf Dascha ihr im Gegenzug quer übers ganze Gesicht leckte. »Und du glaubst natürlich, dass es alles, was du noch nicht gesehen hast, auch nicht gibt?«, wandte sie sich mit leicht spöttisch verzogenen Mundwinkeln wieder an Henrik.

Henrik wurde unsicher. »Ja. Also nein. Du … du kannst mir ja beweisen, dass das, was du sagst, stimmt«, meinte er schließlich. »Zum Beispiel, indem du mir dieses Hundeballett vorführst.«

»Gerade eben habe ich Papi um Erlaubnis gefragt. Hast du das nicht gehört?« Diesmal war Sandra es, die die Augen verdrehte. »Wir zeigen Henrik unseren Tanz, nicht wahr, Dascha? Wir tanzen nach der Musik von Cracker Jack.«

»Cracker Jack? Was ist das denn für ein komisches Musikstück?«, wollte Henrik wissen.

»Das ist ein Lied. Ein Lied, das von einem Hund handelt, der ein richtig guter Kumpel war. Tante Lou singt es oft im Saloon und spielt dazu Gitarre.«

Heiner Gaschler, der während seines Gesprächs mit Alexander und Denise Henrik und seiner Tochter mit halbem Ohr zugehört hatte, wurde ein wenig verlegen und rieb sich das Kinn. »Tante Lou – das ist Lou Parrot. Also … also mit bürgerlichem Namen heißt Lou Luise Prantl. Sie arbeitet bei mir im Saloon als Bedienung. Aber wenn der Abend schon fortgeschritten ist und sie nicht mehr so viel zu tun hat, nimmt sie des Öfteren ihre Gitarre zur Hand und singt dazu. Countrymusik natürlich. Sie ist richtig gut. Sie ist schon fast so etwas wie ein Profi.«

»Wow«, entfuhr es Alexander von Schoenecker. »Da werden wir hoffentlich bald einmal etwas von dieser Lou Parrot zu hören bekommen. Warum sollten wir uns diesen Kunstgenuss entgehen lassen? Nicht wahr, Denise?«

»Natürlich hören wir gerne zu«, erwiderte Denise. »Pferde, ein Saloon, Countrymusik – ich fühle mich schon fast wie im Wilden Westen.« Sie blinzelte Sandra zu. »Und wenn du und Dascha, wenn ihr beide dann auch noch tanzt, ist die Show vollkommen.«

Sandra strahlte. »Ich darf doch, Papi. Oder?«

»Klar darfst du«, versicherte Heiner Gaschler. »Aber jetzt zeige ich unseren Gästen erst einmal ihre Zimmer.«

»Ich hoffe, wir machen keine Umstände«, meinte Denise höflich, doch Heiner schüttelte sofort den Kopf.

»Nein, auf keinen Fall«, stellte er klar. »Ich will später hier ohnehin ›Ferien auf dem Reiterhof‹ anbieten. Ihr könnt die ersten fertigen Zimmer des Gästetrakts benutzen. Und sozusagen testen. Alexander und Denise, ihr bekommt ein geräumiges Doppelzimmer mit Blick auf den Bodensee und die Alpen. Für Nick und Henrik habe ich zwei Einzelzimmer hergerichtet. Natürlich sind alle Zimmer mit Bad und WC, TV und Internetanschluss.«

»Wirst du auch zurechtkommen so ganz allein in einem fremden Pensionszimmer, Henrik? Oder bist du dafür noch zu klein?«, frotzelte Nick übermütig und erntete dafür einen bitterbösen Blick seines Halbbruders.

»Ich bin elf«, zischte Henrik. »Also schon fast erwachsen. Doch du nimmst mich einfach nicht für voll, Nick, und das ist gemein. Die sieben Jahre Altersunterschied zwischen dir und mir sind … sind lächerlich. Und fallen überhaupt nicht ins Gewicht.«

»Natürlich. Du hast vollkommen recht«, entschuldigte sich Nick, weil ihn die dunklen Augen seiner Mutter warnend anblitzten. »Ich vergesse nur immer wieder, wie groß du schon bist, Henrik. Und wie selbstständig.«

»Dann merk es dir endlich«, gab Henrik, halb beleidigt und halb schon wieder versöhnt zurück, während er zusammen mit Nick den anderen in Richtung Gutshaus folgte.

*

»Der Ausritt war wunderbar«, schwärmte Denise, als sie zusammen mit Heiner Gaschler und ihrem Mann Alexander an einem gemütlichen Ecktisch im Western Saloon saß und genüsslich mit Käse überbackene Nachos und ein gegrilltes Steak aß.

»Dem kann ich nur zustimmen«, pflichtete Alexander von Schoenecker Denise bei. »Und was dich betrifft, Heiner«, fuhr er fort, »möchte ich dir zu deinen Pferden und zu dem Entschluss, Gut Taubenberg zu kaufen, aufs Herzlichste gratulieren. Du hast alles richtig gemacht.«

Heiner Gaschler nickte. »Das sehe ich genauso«, erwiderte er. »Meinen ungeliebten Beruf als Steuerberater an den Nagel zu hängen und mir stattdessen hier am Bodensee meinen Lebens- und Kindheitstraum zu erfüllen, war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Ich fühle mich seitdem um Jahre verjüngt. Auch die andauernden gesundheitlichen Beschwerden, die mich früher oft schwer geplagt haben, sind mit einem Mal wie weggeblasen. Keine Magengeschwüre mehr und kein Sodbrennen. Keine Rückenschmerzen mehr und keine Knieprobleme, obwohl ich mich hier auf dem Gut viel mehr bewege und meine Gelenke viel stärker beanspruche als zuvor in meinem Steuerberaterbüro vor dem Computer. Du wirst es nicht glauben, Alexander, aber sogar meine Sehkraft hat sich wieder verbessert, seit ich meine Augen nicht mehr jeden Tag stundenlang auf den Bildschirm heften muss.« Heiner nahm ein gerahmtes Foto von der holzvertäfelten Wand seitlich des Tisches, auf dem das Gesicht einer freundlich lächelnden, gepflegten älteren Dame zu sehen war. Er hielt es eine Weile nachdenklich in der Hand und betrachtete es liebevoll. »Das ist Tante Gunhild, die mir durch ihr Vermächtnis das alles hier geschenkt hat.«

Auch Denise betrachtete das Foto eingehend, bis ihr Blick auf ein ebenfalls gerahmtes Porträtfoto fiel, das in der Art eines Autogramms mit einer schwungvollen Unterschrift versehen war.

»Das ist Luise Prantl«, erklärte Heiner, dem die Aufmerksamkeit, die Denise dem Bild widmete, nicht entgangen war. »Meine musikbegabte Kellnerin.«

Neugierig erhob sich Alexander von Schoenecker, um die junge Frau auf dem Foto näher in Augenschein zu nehmen. Sie war keine Schönheit im klassischen Sinn, aber trotzdem auf ihre eigene Art hübsch. Ihr Gesicht wurde von langen, blonden Locken umrahmt und von tiefblauen, etwas zu weit auseinander stehenden Augen beherrscht, die den Betrachter aber unwillkürlich in ihren Bann zogen. Der Mund der jungen Frau war schön gezeichnet und auffällig rot geschminkt, doch das ein wenig zu markante Kinn strafte den Ausdruck verführerischer Weiblichkeit, der von den halb geöffneten Lippen ausging, Lügen und verriet stattdessen Willensstärke und Durchsetzungsvermögen.

»Eine attraktive Frau«, sagte Alexander mit einem leichten Schmunzeln. »Wie lange liegt deine Scheidung nun eigentlich schon zurück, Heiner?«

»Dreieinhalb Jahre, fast schon vier«, antwortete Heiner Gaschler. »Aber wenn du damit andeuten willst, dass es möglicherweise an der Zeit sein könnte, eine neue Beziehung ins Auge zu fassen, muss ich dich enttäuschen. Gebranntes Kind scheut das Feuer, sagt ein altes Sprichwort. Und ich war, was Liebe und Ehe betrifft, leider nie ein solcher Glückspilz wie du, Alexander.«

Alexander von Schoenecker lächelte und warf Denise einen verliebten Blick zu. »Ich bin in puncto Liebe wirklich ein Glückspilz. Da hast du vollkommen recht, Heiner. Ich habe mit meiner Denise das große Los gezogen«, sagte er und legte seine Hand dabei zärtlich auf Denises Arm.

Heiner seufzte. »Siehst du. Ich dagegen habe mittlerweile schon zum zweiten Mal Pech gehabt.«

»Sagt man nicht, dass alle guten Dinge drei sind?«, hakte Alexander schmunzelnd nach.

»Du willst also partout wissen, ob Lou und ich … ob wir ein Paar sind? Oder zumindest, ob wir eines werden könnten?«, antwortete Heiner mit einer Gegenfrage.

Alexander zuckte die Schultern, doch sein Lächeln wirkte nicht unsicher, sondern eher aufmunternd. »Offen gestanden – ja. Warum solltet ihr es nicht miteinander versuchen? Oder ist die musikbegabte junge Dame nicht mehr frei?«

»Wie man’s nimmt«, gab Heiner Gaschler zurück. »Es gibt zwar momentan keinen Mann in Lous Leben, aber ich fürchte, dass ihr Herz trotzdem schon lange vergeben ist. Es gehört einzig und allein der Musik und Lous Traum von einer großen Karriere. Ich glaube, Lou hat den festen Vorsatz gefasst, in Dolly Partons Fußstapfen zu treten.«