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Brigitte Janson

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Beschreibung

Märchenhochzeit mit dem Schah von Persien  Es ist Liebe auf den ersten Blick, als die achtzehnjährige Soraya 1950 auf den Schah von Persien trifft. Seinetwegen zieht die Tochter einer Deutschen und eines persischen Fürsten von Berlin nach Teheran. Die opulente Märchenhochzeit im Marmorpalast, bei der die Braut ein Traumkleid geschmückt mit Diamanten und Marabufedern trägt, ist ein Weltereignis. Das Paar wird bejubelt, und die junge Prinzessin mit den smaragdgrünen Augen gilt als schönste Frau ihrer Zeit. Doch schon bald liegt ein Schatten auf der Ehe: Die Geburt eines Thronfolgers bleibt aus, und die große Liebe von Soraya und Schah Mohammad Reza nimmt eine dramatische Wendung ... 

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Seitenzahl: 353

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Soraya

Die Autorin

BRIGITTE JANSON heißt eigentlich Brigitte Kanitz und stammt ursprünglich aus Lübeck. Viele Jahre war Hamburg ihre Wahlheimat, wo sie als Journalistin arbeitete. Heute lebt sie als freie Autorin in den italienischen Marken.

Das Buch

Märchenhochzeit mit dem Schah von Persien 

Es ist Liebe auf den ersten Blick, als die achtzehnjährige Soraya 1950 auf den Schah von Persien trifft. Seinetwegen zieht die Tochter einer Deutschen und eines persischen Fürsten von Berlin nach Teheran. Die opulente Märchenhochzeit im Marmorpalast, bei der die Braut ein Traumkleid geschmückt mit Diamanten und Marabufedern trägt, ist ein Weltereignis. Das Paar wird bejubelt, und die junge Prinzessin mit den smaragdgrünen Augen gilt als schönste Frau ihrer Zeit. Doch schon bald liegt ein Schatten auf der Ehe: Die Geburt eines Thronfolgers bleibt aus, und die große Liebe von Soraya und Schah Mohammad Reza nimmt eine dramatische Wendung ... 

Brigitte Janson

Soraya

Prinzessin auf dem Pfauenthron

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Februar 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: Arcangel Images / © Ilina Simeonova (Frau); © www.buerosued.de Autorenfoto: © Michaela PhilipzenE-Book Konvertierung powered by pepyrusAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-8437-2841-6

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Prolog

Teil I

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

Teil II

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Teil III

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Teil IV

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

Epilog

Anhang

Nachwort

Quellen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Disclaimer

Auch wenn dieser Roman auf wahren Begebenheiten basiert, handelt es sich um eine fiktionale Erzählung von Soraya Esfandiary-Bakhtiarys Geschichte. Nicht alle Szenen, die geschildert werden, sind auch so passiert. Manche Ereignisse sind in der Realität anders verlaufen oder wurden von der Autorin dem Roman zuliebe angepasst. Ebenso sind die Dialoge weitgehend erfunden.

Widmung

Gewidmet all jenen Frauen, deren Kinderwunsch sich nie erfüllt hat

Motto

Ehe ich dir begegnete,Wusste ich nichts vom Glück,Doch nun, da ich mit dir bin,Fühle ich nur noch Freude.(Saadi, persischer Dichter)

Prolog

Rāmsar, Kaspisches Meer, Oktober 1950

»Komm«, bat Mohammad Reza und streckte die Hand nach ihr aus. Soraya zögerte kurz, aber dann überließ sie ihm ihre Hand und folgte ihm nach draußen in den Orangengarten.

»Ist dir kalt?«, fragte er besorgt.

Es war Mitte Oktober, und so nah am Elburs-Gebirge konnte es abends bereits empfindlich kalt werden. Aber Soraya schüttelte den Kopf. Sie trug eine Strickjacke über einem einfachen Kleid, und es war ihr fast zu warm. Das lag jedoch eher an der Nähe dieses aufregenden Mannes, der seit zwei Wochen ihr Verlobter war.

Sie schloss kurz die Augen, und als sie sie wieder öffnete, befand sie sich immer noch in Persien und sollte schon in ein paar Monaten den Schah heiraten.

Es war kein Traum – und doch glaubte sie oft, sie würde im nächsten Moment aufwachen und sich in ihrem Bett im Schweizer Internat oder in Berlin bei ihrem Großvater wiederfinden.

Soraya warf einen schnellen Blick über die Schulter auf den einstöckigen marmorweißen Sommerpalast der Pahlavi-Dynastie. Er war nicht ganz so riesig und einschüchternd wie die Paläste in Teheran, und sie hatte sich gleich wohlgefühlt, als sie am Nachmittag hier angekommen waren. Wertvolle Perserteppiche und Gemälde europäischer Meister sorgten für eine gemütliche Atmosphäre, die Möbel waren eher schlicht, aber praktisch.

Wie hatten sie gelacht, als sie angekommen waren! Wie zwei Kinder, die die Schule geschwänzt hatten. Viel zu selten hatten Mohammad Reza und Soraya einmal ein paar Stunden für sich allein. Stets wurden sie von einem seiner zahlreichen Familienmitglieder begleitet – schließlich musste der Anstand gewahrt werden.

Aber am frühen Nachmittag war Mohammad Reza mit einem abenteuerlichen Funkeln in den Augen bei Soraya aufgetaucht und hatte sie entführt – wobei sie äußerst freudig mitgegangen war. Sie waren zum Flughafen gefahren und hatten kurz darauf mit seiner zweisitzigen Maschine abgehoben.

Sie hatte nicht gefragt, wohin es ging. Solange sie nur bei ihm sein konnte, war ihr alles andere egal. Mit großer Geste hatte er auf das Land unter ihnen gezeigt – auf die Wüste, auf die Berge, auf die Felder und Dörfer. Er sagte etwas, das Soraya über den Motorenlärm hinweg nicht hören konnte, aber sie verstand ihn auch ohne Worte. Bald würden sie gemeinsam über Persien und die Perser herrschen.

Der Gedanke machte ihr Angst. Sie war doch nur eine junge Frau, die sich rettungslos in einen attraktiven und liebenswerten Mann verliebt hatte.

Aber sie ließ sich nichts anmerken – auch jetzt nicht, als sie Seite an Seite an den Orangenbäumen entlanggingen. Um ihr den Weg freizumachen, bog der Schah die Äste zur Seite. Dann blieb er stehen und schaute sie im Licht der untergehenden Sonne zärtlich an.

»Dein Name passt nicht zu dir«, murmelte er.

Verwirrt runzelte sie die Stirn. »Mein Name? Warum nicht?«

»Es ist zu wenig.«

Sie begriff immer noch nicht.

Da legte er ihr zärtlich zwei Finger an die Wange. »In deinen smaragdgrünen Augen finde ich nicht nur das Siebengestirn, denn dies bedeutet Soraya.«

»Ich weiß«, erwiderte sie. Dachte er etwa, dass sie die Herkunft ihres eigenen Namens nicht kannte?

»Sieben sind zu wenig«, sagte er. »Ich sehe in deinen Augen das gesamte Sternenzelt.«

Die Knie wurden ihr weich, und sie hielt sich an ihm fest.

Mohammad Reza senkte den Kopf und küsste sie zart auf die Lippen. Der Duft der reifen Orangen mischte sich mit dem salzigen Geruch des Meeres, und während Soraya seinen Kuss erwiderte, fragte sie sich wieder einmal, wie bloß alles so weit hatte kommen können. Noch zu Beginn dieses Jahres war sie eine junge Schülerin in der Schweiz gewesen, und nun würde sie bald den Schah von Persien heiraten.

Wieder schloss Soraya die Lider. Und als sie sie erneut öffnete, stand sie noch immer im Orangengarten und küsste den Mann, der die Liebe ihres Lebens werden sollte.

Teil I

Neue Wege

1. Kapitel

Berlin, Februar 1950

Soraya kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und drückte das Kinn gegen die Brust. Gegen den feinen Wüstensand konnte sie trotzdem nichts ausrichten. Er kroch unter ihr luftiges Leinenkleid, setzte sich unter dem Strohhut in ihren Haaren fest, fand Schlupflöcher im weißen Seidenschal, den sie ums Gesicht geschlungen hatte, und sammelte sich in ihren Ohren.

Die Sonne schien hoch und heiß vom Firmament, Sorayas Mund war staubtrocken, der Durst beinahe übermächtig. Aber sie juchzte vor Freude und presste die nackten Beine fester an die Flanken ihres weißen Araberhengstes. Der Schimmel flog über die Wüste und schien kaum noch den Boden zu berühren. Gemeinsam waren sie frei, und aller Kummer blieb hinter ihnen zurück.

Ein durchdringender Pfiff ertönte, aber Soraya hörte nicht hin. Dann gab es einen plötzlichen Ruck – so als wäre der Hengst aus vollem Galopp schlagartig stehen geblieben. Was unmöglich war.

Noch ein Ruck, und auf einmal verschwand die Hitze der Wüste, und die Kälte einer europäischen Februardämmerung kroch ihr in die Glieder.

Soraya rieb sich über die Augen.

Wo bin ich?, fragte sie sich verwirrt.

Die Handschuhe aus grober Wolle reizten ihre empfindliche Haut, und sie spürte die Berührung wie einen schmerzhaften Schlag. Schnell ließ sie die Hände sinken, öffnete die Lider und seufzte verhalten.

Warum hatte der Zug plötzlich gehalten? Sie wäre so gern noch eine Weile weitergeritten. Die nächste Düne hinauf und wieder hinab, mit dem Wind um die Wette. Oder bis zu einer Oase, wo Dattelpalmen erholsamen Schatten spendeten, wo ein Bach kühles Wasser führte, wo Fladenbrot auf heißen Steinen gebacken und zusammen mit gewürztem Joghurt gereicht wurde.

Sie hätte nicht so erbärmlich gefroren, und ihr Magen hätte nicht so laut geknurrt.

»Mannomann! Hörst dich an wie ein Bär nach dem Winterschlaf.«

Soraya fuhr zusammen und riss die Augen auf. Sie blickte direkt in das spitze Gesicht eines etwa gleichaltrigen Mädchens. Es hatte blondes Haar, eine kleine Stupsnase und einen herzförmigen Mund, der sich jetzt zu einem breiten Grinsen verzog.

»Keine Angst. Ich fresse dich schon nicht.«

Das Mädchen griff in die Tasche seines riesigen Männermantels und brachte ein Päckchen zutage. Im Abteil roch es auf einmal verführerisch nach Leberwurst.

Rasch schaute Soraya sich um. Sie waren allein, nur draußen am Gang gingen träge ein paar Leute vorbei.

»Nun nimm schon«, sagte das Mädchen. »Ich habe genug zu essen.«

So sieht sie eigentlich nicht aus, dachte Soraya, aber sie konnte nicht widerstehen.

Mit spitzen Fingern nahm sie dankbar das Brot entgegen, wickelte es aus dem Wachspapier und biss hinein. Es schmeckte köstlich. Sie wusste nicht viel vom Hunger in Deutschland nach dem Krieg, aber sie ahnte, dass dies hier etwas Besonderes war. Gleichzeitig schämte sie sich entsetzlich.

Warum hatte sie sich bloß nicht etwas Proviant mitgenommen? Sie hatte doch gewusst, dass die Zugfahrt von Zürich über München bis Berlin mindestens eine Nacht und einen ganzen Tag in Anspruch nehmen würde. Aber als sie gestern Abend die Reise angetreten hatte, war ihr nicht in den Sinn gekommen, an ihr leibliches Wohl zu denken.

War sie so weltfremd, dass sie die einfachsten Dinge vergaß?

Als sie vorhin den Schaffner nach einem Speisewagen gefragt hatte, war der Mann nur in Gelächter ausgebrochen. Dies sei ein Interzonenzug und kein schickes Restaurant. Aber sie könne sich ja an den Bahnhöfen bis zur Grenze ans Fenster stellen und hoffen, dass ein paar geschäftstüchtige Leute belegte Semmeln verkauften. Das Mädchen hatte zu der Zeit fest geschlafen.

Als der Zug dann tatsächlich ein paarmal gehalten hatte, war Soraya zu scheu gewesen, um sich wie andere Fahrgäste aus dem Fenster zu lehnen und laut nach Essen und Trinken zu rufen.

»Ist es gut?«

Soraya nickte mit vollem Mund. Tatsächlich brachte der Geschmack dieser groben Leberwurst eine Flut von Erinnerungen mit sich. Sie sah sich am Esstisch bei ihrem Großvater im Grunewald sitzen, ein kleines Kind mit dunklem, welligem Haar und riesengroßen smaragdgrünen Augen. Die Brote, die die Zugehfrau geschmiert hatte, schmeckten fremd und zugleich lecker, und ihre Mutter, die schöne blonde Eva, ermunterte sie, noch mehr zu probieren: »So etwas Feines bekommst du in Persien nicht.«

»Persien?«, fragte das Mädchen ihr gegenüber. »Wo ist das denn?«

Soraya erschrak. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie laut geredet hatte.

»Ich … habe mich nur an einen Film erinnert, den ich mal gesehen habe.«

»Sag bloß. In deinem Film muss es aber mächtig viel zu futtern gegeben haben, so, wie du gelächelt hast. Ich bin übrigens Lieselotte Reinecke. Aber alle nennen mich Lotte.«

Sie reichte Soraya eine schmale, zerbrechliche Hand.

»Sonja Karl.«

Warum log sie? Warum nannte sie den Mädchennamen ihrer Mutter und verriet auch nicht ihren richtigen Vornamen?

Weil ich mich sonst vor Fragen nicht retten könnte, gab sie sich selbst die Antwort. Und sie wollte nicht gestehen, wer sie wirklich war: die Tochter eines persischen Fürsten, die seit bald achtzehn Jahren ein privilegiertes Leben führte. Sie hatte weder den Krieg erlebt noch jemals Hunger gelitten. Vielmehr war sie stets gut beschützt worden in ihrem großen goldenen Käfig in Isfahan.

Ja, Käfig, dachte Soraya und biss ein weiteres Stück von dem Brot ab. Ein goldener zwar, aber immer noch ein Käfig.

Sie lebte teils in Deutschland, teils in Persien und zuletzt im Mädchenpensionat in der Schweiz – doch stets wurde jeder ihrer Schritte überwacht. Und nirgends war sie jemals wirklich heimisch. Den Deutschen war sie zu fremdartig, den Persern zu europäisch.

Ihre deutsche Mutter Eva drängte stets darauf, dass Soraya und ihr fünf Jahre jüngerer Bruder Bijan die westliche Lebensweise kennenlernten. Ihr Vater, Fürst Khalil Esfandiary-Bakhtiary, wollte sie beide zu guten Iranern erziehen, die die traditionsreiche Geschichte der Familie ehrten und fortführten. So besuchten sie auch in Isfahan eine deutsche Schule – zusammen mit den Kindern von Technikern und Ingenieuren, die der Iran zur Modernisierung seiner Fabriken ins Land geholt hatte. Nachmittags wurden sie dann in Farsi unterrichtet, der Sprache ihres Vaters.

Das Gefühl der Zerrissenheit begleitete Soraya schon ihr ganzes Leben lang, und oftmals fragte sie sich, ob das für immer so bleiben würde.

Sie schaute nach draußen.

Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, lehnte sie sich gegen ihre Familie auf, und sie hatte keine Ahnung, wie das enden würde.

Nicht besonders gut, wahrscheinlich. Sie war ja offensichtlich noch nicht mal in der Lage, für sich selbst zu sorgen.

Erneut ging ein kräftiger Ruck durch den Zug. Soraya verschluckte sich an ihrem Bissen Brot und musste husten.

Lotte kam auf ihre Seite des Abteils gehüpft und schlug ihr kräftig zwischen die Schulterblätter.

»Geht’s wieder?«, fragte sie dann.

Soraya nickte, räusperte sich umständlich und lächelte schließlich. »Vielen Dank, das war außerordentlich freundlich von Ihnen.«

»Immer gern, Fräulein Hochgestochen«, erwiderte Lotte und kehrte kichernd zu ihrem Platz zurück. Aus den Tiefen eines Pappkoffers zauberte sie eine blecherne Thermoskanne hervor. Sie goss etwas dunkle Flüssigkeit in den Becher und reichte ihn Soraya.

»Das … kann ich nicht annehmen.«

»Klar kannste. Siehst so durchgefroren aus wie ’n Ferkel inner Schneewehe.«

Soraya war noch nie mit einem Ferkel verglichen worden, und sie überlegte, ob sie beleidigt sein sollte. Dann entschied sie sich dagegen. Dieses junge Mädchen hier war ihre Lebensretterin. Mit ihr wollte sie es sich lieber nicht verscherzen. Außerdem war der Vergleich lustig, genau wie vorhin der mit dem Bären.

Also lachte sie zögernd, nahm den dampfenden Becher, trank etwas von der Flüssigkeit, die wie Kaffee aussah, und hätte sie fast wieder ausgespuckt.

»Der beste Muckefuck von ganz Bayern, kannste mir glauben«, sagte Lotte mit Stolz in der Stimme. »Den habe ich nämlich höchstpersönlich aus geröstetem Roggen gekocht.«

Soraya hatte noch nie Ersatzkaffee getrunken, und einen Moment lang sehnte sie sich nach dem köstlichen persischen Kaffee, an den sie gewöhnt war. In einer Mokkakanne wurde Wasser mit Zucker aufgekocht, dann kamen Kaffee und Kardamom hinzu. Das Ganze musste zehn Minuten köcheln, und fertig war das belebende Heißgetränk.

»Schmeckt dir wohl nicht?«, fragte das Mädchen mit gerunzelter Stirn.

»Ähm … doch. Er wärmt schön.«

Warum duzte diese Lotte sie bloß die ganze Zeit? Soraya war ein solches Verhalten fremd und auch ein wenig unheimlich.

»Gut lügen kannste nicht. Aber macht nix. Ich bin da nich’ so empfindlich. Bist eben was Besseres. Kommste aus der schicken Schweiz?«

Soraya nickte langsam. »Sieht man mir das an?«

Lotte kicherte schon wieder. Sie schien eine Frohnatur zu sein. »Ist ’n piekfeiner Mantel, den du da anhast.«

Soraya schluckte. Sie hatte sich extra für den einfachsten Wollmantel entschieden, den sie besaß, aber es hatte offenbar nicht viel genutzt.

»Und dein Hut ist aus echtem Pelz, möchte ich wetten«, fuhr Lotte fort. »Sieht kuschelig warm aus.«

Am liebsten hätte Soraya sich selbst geohrfeigt. Auf die herrliche Nerzmütze hatte sie nicht verzichten wollen. Schön dumm.

»Pass bloß gut auf die auf«, riet ihr Lotte. »Sonst ist die schneller von deinem edlen Haupt verschwunden, als du bis drei zählen kannst.«

Soraya erschrak, ließ sich aber nichts anmerken. »Möchten Sie … möchten Sie sie vielleicht haben?«

Die Frage kostete sie einige Überwindung, aber sie fand, sie war dem Mädchen etwas schuldig.

Lotte hob abwehrend die Hände. »Ich? Nee! Viel zu gefährlich.«

»Gefährlich?«, fragte Soraya. Nun wurde ihr wirklich mulmig zumute.

»Na, am Ende schneidet mir noch einer den Kopf ab, bloß, um die schöne Mütze zu kriegen.«

Offenbar war sie kreidebleich geworden, denn Lotte sagte schnell: »Mensch, ich mach doch bloß Spaß. Warum sollte jemand gleich den ganzen Kopf abschneiden? Der wäre ja schön blöd. Es reicht doch, wenn er sich bloß die Mütze schnappt.«

Sonderlich beruhigt war Soraya nicht, aber sie lächelte schwach.

»Deine Haare sind gepflegt«, fuhr Lotte fort. »Ich wette, du gehst regelmäßig zum Friseur. Und so schön kurz sind sie! Ganz modern! Ich will meine auch abschneiden lassen. Oh ja! Das mache ich als Erstes, wenn ich wieder in Berlin bin.«

Unwillig zog sie an ihren langen Zöpfen, die zu Affenschaukeln hochgebunden waren. Dann fuhr sie mit der Begutachtung ihrer Reisegefährtin fort: »Und die Nägel lässt du dir auch machen. Außerdem sind deine Hände so zart. Schon mal Holz gehackt?«

»Nein«, gab Soraya zu.

Lotte nickte zufrieden. »Ich ja. Und ich bin ziemlich gut darin. Habe nämlich fast ein Jahr bei meinem Onkel aufm Bauernhof geschuftet. Ich kann auch melken, den Stall ausmisten und Obst einwecken. Aber jetzt fahre ich endlich heim nach Berlin.«

»Haben Sie Familie dort?«, fragte Soraya in der Hoffnung, von sich selbst abzulenken.

»Meine Mutti. Vati ist in Stalingrad geblieben, und meine kleine Schwester Lenchen ist im Hungerwinter eingegangen wie ’ne Primel.«

Soraya hatte damals davon gelesen. Der Winter nach dem Krieg war der bis dahin kälteste in Deutschland im 20. Jahrhundert gewesen, und viele Menschen waren elendig verhungert oder erfroren.

Ihr Magen revoltierte auf einmal. Angesichts eines solchen Elends, vorgetragen mit dem Gleichmut eines tapferen Mädchens, fühlte sie sich schrecklich verwöhnt und nutzlos.

»Wehe, du spuckst mein schönes Brot wieder aus!«, rief Lotte. »Das verzeihe ich dir nie!«

Schnell presste Soraya eine Hand vor den Mund. Auf einmal kam ihr ihre strenge Erziehung zugute. Haltung bewahren in jeder Lebenslage. Sie drückte den Rücken durch, hob das Kinn, nahm die Hand herunter und lächelte schwach.

»Schon besser«, sagte Lotte zufrieden. »Bist ganz in Ordnung. So, und jetzt verrate mir mal, warum du mich vorhin angelogen hast.«

»Ich verstehe nicht …«

»Dein Name. Du heißt nicht Sonja Karl.«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Kannste mal mit dem blöden Gesieze aufhören? Wir sind hier nicht beim Nachmittagstee bei Familie von und zu Großkotz.«

»Verzeihung.«

»Schon gut. Also, du hast dabei gezögert, das habe ich genau gemerkt.«

Diesem Mädchen konnte sie nichts vormachen, erkannte Soraya. Es war hundertmal aufgeweckter als sie selbst. Also verriet sie ihren richtigen Namen und wunderte sich, weil Lotte bloß mit den mageren Schultern unter dem dicken Männermantel zuckte.

Im nächsten Moment hätte sie am liebsten über sich selbst gelacht. Klar, in gewissen Kreisen war ihre Familie bekannt, aber ihre Reisegefährtin hier im Zweite-Klasse-Abteil hatte offensichtlich noch nie von dem persischen Fürsten und seiner Familie gehört.

Lotte interessierte sich für ganz andere Dinge. »Hast du einen Freund?«

Soraya schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, ich werde erst im Juni achtzehn.«

»Na und? Ich bin sechzehn. Mir sagen alle, ich sehe jünger aus. Schert mich aber nicht. Dem Josef habe ich immerhin das Herz gebrochen.« Sie strahlte dabei nur so vor lauter Stolz.

»Josef?«

»Der Junge vom Nachbarhof. Er hat nicht fassen können, dass ich wirklich wieder wegwollte und ihn deshalb verlassen musste.«

Lotte seufzte tief und dramatisch. »Aber ich habe ihm verklickert, dass ich mehr vom Leben will als bloß Schweineställe ausmisten und Kühe melken. Das hat er nicht verstanden. Er meinte, ich würde als Bäuerin immer satt werden. Na ja, da wäre ich fast schwach geworden. Aber dann bin ich doch los.«

Sie stand auf, trat ans Abteilfenster und blickte in den nebligen frühen Februarmorgen. »Wieso dauert das so lange?«

Soraya sah, dass sie einen alten umgefärbten Militärmantel trug. Lotte schien darin regelrecht zu verschwinden. Trotzdem strahlte sie Stärke und Zuversicht aus.

»Wo sind wir?«, fragte Soraya.

Lotte setzte sich wieder. »Ludwigsstadt. Hier ist die Grenze zur DDR. Auf der anderen Seite ist Probstzella. Da werden die Kontrollen noch mal ewig und drei Tage dauern.«

Soraya erschrak. Was, wenn sie hier wirklich auf unbestimmte Zeit festsaßen? Wie sollte sie zurechtkommen? Auf keinen Fall würde sie von Lotte noch mehr Brote annehmen.

Das Mädchen grinste schon wieder. »Fährst wohl das erste Mal mitm Interzonenzug?«

»Ja«, gestand Soraya. »Ich wusste nicht, dass es so kompliziert ist.«

»Ist es nicht. Dauert bloß. Hauptsache, die Russen machen nicht wieder alles dicht. Aber dann würden die Amis bestimmt wieder den Berlinern helfen.«

Soraya nickte. Zwei Jahre zuvor, im Juni 1948, hatte die sowjetische Besatzungsmacht sämtliche Verbindungen nach Westberlin gekappt. Dazu hatte sie die Währungsreform in der Bundesrepublik zum Anlass genommen, die auch in Westberlin durchgeführt werden sollte. Der gesamte Güter- und Personenverkehr auf Straßen, Schienen und auf dem Wasser wurde unterbrochen. Keine Lebensmittel, kein Heizmaterial, keine Medikamente – nichts konnte mehr geliefert werden.

Die Westalliierten richteten eine Luftbrücke ein, die Berlin fast ein Jahr lang versorgte. Im Minutentakt brachten die »Rosinenbomber« alles Lebensnotwendige in die Stadt, bis die Sowjets die Blockade schließlich aufgaben.

»Warst du damals in Berlin?«, fragte sie Lotte.

»Ja. Und gleich danach hat Mutti mich weggeschickt. Sie wollte nicht auch noch ihr zweites Kind verlieren, hat sie gesagt. Berlin wär einfach viel zu unsicher in diesen Zeiten. Und viel mehr zu essen würde ich bei dem Onkel auch kriegen.«

»Das war bestimmt schwer«, sagte Soraya und erinnerte sich daran, wie ihre eigene Mutter um den Großvater gebangt hatte. »Ich weiß nicht, ob er zurechtkommt«, hatte Eva damals immer wieder gesagt. Seine Frau Alma war schon 1920 gestorben. Seitdem musste Franz Karl allein sein Leben meistern. Nur seine Zugehfrau half ihm zweimal in der Woche mit dem Nötigsten.

Aber dann hatten sie Nachricht von ihm erhalten. Es gehe ihm gut, er werde versorgt. Nur einsam sei er, und er vermisse seine Lieblingsenkelin Soraya.

»Na ja, ist jetzt Gott sei Dank alles vorbei«, sagte Lotte seufzend. Ihre Augen leuchteten auf. »Ich fahre wirklich nach Hause! Muss mich ständig kneifen, weil ich’s nicht glauben kann. Da, guck! Habe schon blaue Flecke. Und genützt hat das fette Essen beim Onkel nüscht. Ich bin und bleibe ein mageres Huhn.«

Soraya nickte ihr freundschaftlich zu. »Du bist sehr hübsch.«

»Quatsch mit Soße. Interessiert mich auch nicht. Ich will sowieso nie heiraten. Dem Herrn und Gebieter die dreckige Wäsche waschen? Nee, ist nüscht für mich. Weißt du, dass ich schon eine Arbeit habe? Inner Strumpffabrik. Mutti ist da auch, und zusammen werden wir genug verdienen, um uns ein prima Leben zu leisten. Ich sehe uns schon übern Ku’damm bummeln und später zwei riesige Stücke Sahnetorte verdrücken.«

»Das klingt … schön«, erwiderte Soraya.

»Und du? Was machst du?«

Soraya überlegte, ob sie sich diesem fremden Mädchen wirklich anvertrauen sollte.

Ach, dachte sie. Warum eigentlich nicht? Was kann es schon schaden?

»Ich möchte sehr gern Schauspielerin werden«, gestand sie.

»Oh, toll. Du bist so schön mit deinen dunklen Haaren und den grünen Augen. Bestimmt wirst du riesigen Erfolg haben. Und wenn du dann berühmt bist, wirst du die kleine Lotte schnell vergessen haben.«

»Das glaube ich kaum«, erwiderte Soraya schmunzelnd. »Ich habe dich gerade erst kennengelernt, aber du bist etwas Besonderes. Lass uns in Verbindung bleiben. Bitte.«

Lotte hob kurz die Schultern. »Gerne, aber du wirst schon sehen, eines Tages kommst du wieder nach Berlin, und ich werde bloß in der Menschenmenge stehen, die dir zujubelt.«

»So ein Unsinn«, erwiderte Soraya. »Mein Vater erlaubt mir sowieso kein Schauspielstudium. Es ist nur ein dummer Traum von mir.«

»Berühmt wirst du trotzdem«, beharrte Lotte. »Darauf verwette ich glatt die beiden Mettwürste in meinem Pappkoffer.«

Soraya zeigte ihr einen Vogel, und auf einmal vergaßen sie alle Standesunterschiede und lachten miteinander wie zwei Freundinnen, die sich seit Jahren kannten.

Lotte kramte in einer der Manteltaschen und brachte ein weiteres duftendes Päckchen zum Vorschein. »Hier. Geräucherter Speck. Willste etwas?«

Soraya schüttelte den Kopf. Ihre Familie war nicht allzu streng muslimisch, aber Schweinefleisch wurde dennoch eher verschmäht. Der Leberwurst hatte sie nicht widerstehen können, doch die verband sie ja auch mit einer schönen Kindheitserinnerung, und sie hoffte, das wäre schon in Ordnung. »Bestimmt bringst du die leckeren Sachen deiner Mutter mit.«

»Ach was, ein klitzekleines Scheibchen wird gar nicht auffallen.«

»Nein, lieber nicht. Nimm du dir etwas.«

»Nee, igitt. Ich kann mein Leben lang nüscht Geräuchertes mehr essen. Beim Onkel bekam ich immer die Stücke von ganz unten aus dem Räucherfass. Die rochen schon sauer.« Lotte schüttelte sich und verzog angeekelt das Gesicht. »Ich halt mich lieber an die zweite Leberwurststulle. Und hör mal, bevor jetzt die DDR-Grenzer durch den Zug kommen: Heb du mal lieber die Sachen auf. Mir werden sie nur weggenommen.«

Also verbarg Soraya Würste und Speck unter ihrem Wollmantel und in ihrem kleinen Lederkoffer und setzte eine hochmütige Miene auf, als ihr Abteil kontrolliert wurde. Lottes Koffer wurde gründlich durchsucht, und die Männer schnupperten in die Luft, aber an Soraya traute sich niemand heran.

Als sie fort waren, lachten die beiden Mädchen über ihren gelungenen Streich und freuten sich, als der Interzonenzug endlich wieder anfuhr.

2. Kapitel

Planmäßige Ankunft am Bahnhof Zoo wäre um acht Uhr abends gewesen. Soraya hätte sich ein Taxi nehmen und raus nach Spandau fahren können, wo ihr Großvater seit Kriegsende wohnte. So weit hatte sie bei ihrem überstürzten Aufbruch immerhin gedacht. Zum Glück hatte sie auch genügend Geld mitgenommen, und in Zürich hatte sie ihre Schweizer Franken noch in D-Mark umgetauscht.

Als der Zug jedoch endlich einfuhr, war es zwei Uhr nachts. Um diese Zeit konnte sie ihren Großvater unmöglich aus dem Bett klingeln.

Ratlos und müde rieb sich Soraya über das Gesicht. Die Nacht hatte sie Arm in Arm mit Lotte verbracht. Ihnen beiden war so kalt geworden, dass sie sich auf Sorayas Seite eng aneinandergekuschelt hatten. Trotzdem hatten sie um die Wette mit den Zähnen geklappert.

Lotte streckte sich und gähnte ausgiebig. »Mensch, bin ich müde! Zu Hause werde ich wohl erst mal ins Bett hüpfen. Zum Glück ist morgen Sonntag. Oder nee, warte mal. Ist ja schon heute. Na, egal. Mit der Arbeit fange ich erst am Montag an. Ich kann mich also einen ganzen Tag lang ausruhen.«

»Wunderbar«, erwiderte Soraya schwach. Ihr Magen knurrte wieder, aber sie hoffte, ihre Reisegefährtin würde es überhören. Auf keinen Fall wollte sie diesem tapferen Mädchen noch mehr wegessen.

Außerdem sehnte sie sich nach einer Dusche, oder, besser noch: nach einem Schaumbad. Und anschließend ein reichhaltiges Frühstück mit starkem Kaffee, kleinen Küchlein und vielleicht sogar etwas Halva aus Sesam und Honig, ihrer geliebten Süßigkeit.

Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, und sie dachte lieber schnell an etwas anderes.

»Holt deine Mutter dich ab?«, fragte sie Lotte.

»Biste verrückt? Nee, ich habe ihr mit Absicht nicht verraten, welchen Zug ich nehme. Die soll sich nicht aufm kalten Bahnsteig die Beine in den Bauch stehen. Sie denkt, ich komme erst morgen.« Sie legte den Kopf schief. »Und du? Wie willste zu deinem Opa? Wo wohnt er überhaupt?«

»In Spandau«, gab Soraya bereitwillig Auskunft. »Ihm gehört da ein Häuschen und sogar ein kleiner Garten. Es hat den Krieg unbeschadet überstanden. Das war sein Glück.«

Sie erzählte nichts von der Villa im Grunewald. Die war den Bomben der Alliierten zum Opfer gefallen – aber im Gegensatz zu Millionen anderer Menschen war Franz Karl nicht obdachlos geworden. Seine Laube bot ihm Schutz und war sogar beheizbar. Soraya bewunderte ihren Großvater sehr. In Russland war er ein wichtiger Handelsvertreter für deutsche Chemie- und Elektronikwerke gewesen. Als die Familie im Ersten Weltkrieg nach Sibirien verbannt wurde, schaffte er es, für sich, seine Frau und seine Kinder die Flucht zu organisieren. In Berlin baute er sich dann eine neue Existenz als Handelsvertreter auf und wurde damit sehr erfolgreich. Sorayas Mutter Eva hatte einmal erzählt, dass der kluge Franz noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein Bankkonto in der Schweiz eröffnet hatte. Schließlich hatte er schon einmal erlebt, was es bedeutete, alles zu verlieren.

Lotte riss sie aus ihren Gedanken: »Fein. Aber Spandau ist ziemlich weit draußen. Wie kommste um diese Zeit dahin?«

Soraya begriff, dass sie möglicherweise in Schwierigkeiten steckte. Sie war einfach davon ausgegangen, dass der Interzonenzug pünktlich sein würde. »Soll das heißen, dass nachts keine Taxis fahren?«

»Taxis?« Lottes Augen waren groß geworden. »Du musst ja im Geld schwimmen.«

Soraya senkte den Blick. Beinahe schämte sie sich für den Reichtum ihrer Familie. Sie und Lotte kamen wirklich aus zwei verschiedenen Welten.

»Ich denke, ich warte sowieso lieber bis zum Morgen«, fügte sie schnell hinzu, um ihre neue Freundin von dem Thema abzulenken. »Sonst bekommt mein Großvater einen Schrecken.«

»Der fällt schon nicht gleich tot um«, meinte Lotte trocken, korrigierte sich dann jedoch: »Hast recht. Die älteren Leutchen kriegen es leicht mit der Angst zu tun. Kein Wunder, nach den ganzen Bomben.«

Soraya nickte nur.

»Aber sag mal, wo willste denn warten? Etwa hier am Bahnhof? Keine gute Idee. Hier treibt sich viel Gesindel rum.«

Soraya erschrak. »Es wird doch bestimmt einen Wartesaal für Damen geben.«

»Glaube ich nicht.« Der Zug hielt jetzt, und Lotte stand auf. »Du kommst einfach mit zu uns.«

»Das kann ich nicht annehmen.«

»Klar kannste. Wir fahren mit der U-Bahn. Mutti wohnt in Kreuzberg. Unser Haus hat nicht ganz so viel Glück gehabt, aber zwei Zimmer unserer Wohnung sind noch tipptopp.«

Weil Soraya absolut kein anderer Ausweg einfallen wollte, fügte sie sich und folgte Lotte zur U-Bahn-Station. Sie mussten lange auf dem eisigen Bahnsteig warten, aber dann fuhr zu ihrer großen Freude doch noch eine U-Bahn ein und brachte sie nach Kreuzberg. Am Kottbusser Tor stiegen sie aus und gingen die Reichenberger Straße entlang.

Als sie um die Ecke bogen, sagte Lotte: »Es sieht schlimmer aus, als es ist.«

Soraya blieb stehen. Selbst im trüben Licht der Lampen sah die Straße verwundet aus. Die einstmals zwar nicht schönen, aber doch stolzen und soliden Mietshäuser waren an manchen Stellen vollkommen verschwunden, an anderen wie in der Mitte durchgeschnitten. Es lagen keine Schuttberge mehr herum, doch von einem Wiederaufbau konnte hier noch lange keine Rede sein.

Sie versuchte, ihre Bestürzung zu verbergen, aber es gelang ihr nicht.

Lotte klopfte ihr aufmunternd auf die Schultern. »Krieg dich man wieder ein. War schon mal alles viel schlimmer. Guck mal, da vorn sind sogarn paar junge Bäume gepflanzt worden.«

»Aber wäre es nicht wichtiger, die Häuser wieder herzurichten?«

»Klar. Aber andere Bezirke von Berlin sind wichtiger. Hier wohnen ja nur die kleinen Leute. So, und jetzt komm weiter. Wir sind gleich da.«

Sie erreichten ein vierstöckiges Wohnhaus, das offenbar einen schweren Treffer abbekommen hatte und wie durch ein Wunder noch stand.

Das oberste Stockwerk war abrasiert, das Treppenhaus lag im Freien, und die Wohnungen zur Linken waren ebenfalls zerstört. Rechts jedoch standen die Außenmauern noch. Die beiden unteren Wohnungen hatten neue Fensterschreiben bekommen, in der oberen waren die Rahmen nur mit dicker Pappe und durchsichtigen Planen abgedeckt.

»Das ist unsere«, erklärte Lotte. Sie wirkte auf einmal beschämt und wollte nicht weitergehen. »Hoffentlich ist es dir gut genug. Von meinem ersten Gehalt werde ich Glasscheiben kaufen.«

Soraya lächelte, obwohl sie sich ein wenig fürchtete. Die Treppe sah alles andere als stabil aus, überhaupt wirkte das halbe Haus wenig vertrauenerweckend.

»Ich bin dir wirklich sehr dankbar«, sagte sie freundlich. »Hauptsache, ich habe für heute Nacht ein Dach über dem Kopf.«

»Durch das es aber manchmal reinregnet«, entgegnete Lotte prompt.

Soraya schaute angestrengt hoch zum Nachthimmel. »Ich kann die Sterne sehen, also wird das wohl nicht passieren.«

Sie entdeckte das Sternbild des Kleinen Wagens. An seinem äußeren Ende leuchtete der Polarstern – jener Stern, der die Liebenden und die Nomaden leitete. Ihre iranischen Vorfahren waren einst ein stolzes Wandervolk gewesen. Sie hielt es für ein gutes Zeichen. Als würden ihr die Ahnen Mut zusprechen.

Lotte zögerte immer noch, aber schließlich gab sie sich einen Ruck und ging voran. »Nicht am Geländer festhalten. Das ist brüchig.«

Im dritten Stock angekommen, dankte Soraya ihrem Schöpfer, dass sie es heil hinaufgeschafft hatte.

Lotte fischte einen Schlüssel aus einer offen liegenden Mauerritze, steckte ihn ins Schloss und öffnete die Wohnungstür.

»Das Zimmer hinten raus können wir nicht benutzen. Hat keine Wand mehr. Aber Wohnzimmer und Küche sind in Ordnung. Dann ist da noch eine winzige Kammer, in der Lenchen geschlafen hat. Die … benutzen wir aber nicht mehr.«

Soraya sah, dass Lotte auf einmal Tränen in den Augen hatte. Sie stellte sich vor, ihr geliebter jüngerer Bruder wäre eines Tages nicht mehr da, und musste selbst hart schlucken.

»Und wo schlaft ihr?«, fragte sie schnell.

»Natürlich im Wohnzimmer, du Dummchen. Oder glaubst du, wir könnten uns einen Salon nur für besondere Anlässe leisten?«

»Entschuldigung.«

»Kannst ja nichts dafür. Im Winter schleppen wir unsere Matratzen am liebsten in die Küche. Da steht der Kohleherd, und es ist schön warm.«

»Und … wo ist das Bad?«

Lotte hatte ihre Verlegenheit vergessen und grinste schon wieder. »Das Klo ist auf halber Treppe, und waschen tun wir uns am Spülstein in der Küche.«

»Ach so.«

Sie hatten im Flüsterton gesprochen, aber trotzdem flammte plötzlich eine einzelne Birne im kurzen Flur auf, und eine Frau erschien.

Sie hielt einen schweren Gegenstand über dem Kopf. Soraya brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es sich um eine gusseiserne Bratpfanne handelte.

»Wer zum Teufel … Lotte!«

Die Frau ließ die Bratpfanne sinken und stürzte auf ihre Tochter zu. »Um Himmels willen! Wie kannst du mich bloß so erschrecken! Ich dachte schon, ich hätte Einbrecher im Haus!«

Lotte kicherte. »Ach, Mutti. Was sollen die wohl bei uns klauen?«

Daraufhin brach die Frau in Gelächter aus. »Recht haste, mein Kind!«

Die beiden umarmten sich innig, und Soraya verspürte auf einmal eine unbändige Sehnsucht nach ihrer eigenen Mutter. Seit Monaten hatten sie sich nicht mehr gesehen, und sie fehlte ihr schrecklich.

»Mutti, das istne Freundin von mir. Soraya. Sie weiß nicht, wohin.«

Da erst löste sich die Frau von ihrer Tochter, wandte sich um und streckte ihre Hand aus. »Herzlich willkommen. Ich bin Elfriede Reinecke.«