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Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Wer darf Sie heute ins Krankenhaus begleiten?«, fragte Schwester Regine. Mit einem Päckchen in der Hand kam sie eben in das büroähnliche Empfangszimmer. Denise von Schoenecker sah hoch und lächelte der Kinder- und Krankenschwester zu. Sie verstand sich mit der jungen Frau, die schon lange im Kinderheim Sophienlust tätig war, sehr gut. Da sie bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes das Kinderheim Sophienlust verwaltete, war sie fast täglich hier. »Es war ausgemacht, dass ich bei jedem Besuch drei der Kinder mitnehme«, sagte sie. »Heute sind Heidi, Vicky und Fabian an der Reihe. Ich glaube, sie sind schon im Park. Sie wollen der Huber-Mutter Vergissmeinnicht mitbringen.« »Ich habe auch etwas für die Huber-Mutter. Können Sie das bitte noch mitnehmen?« Schwester Regine stellte das Päckchen vor Denise von Schoenecker hin. »Es ist von Magda. Sie ließ es sich nicht nehmen, für die Huber-Mutter einen Kuchen zu backen.« Denise musste lächeln. Sie dachte an die Greisin, die sie im Maibacher Krankenhaus besuchen wollte. »Wie die Oberschwester erzählte, wollte die Huber-Mutter gleich, nachdem sie aus der Narkose erwacht war, aufstehen und das Krankenhaus verlassen.« »Typisch Huber-Mutter.« Schwester Regine, die hübsche junge Frau, lachte herzlich. »Der Blinddarm ist auch das Einzige, wogegen sie machtlos ist. Wie sie immer erzählt, war sie in ihrem Leben nie in einem Krankenhaus, hatte nie etwas mit Ärzten zu tun.« Denise nickte. Für die Huber-Mutter war diese Operation wirklich ein Schock gewesen. Sie verbrachte ihren Lebensabend in Sophienlust und war besonders bei den Kindern wegen ihrer seherischen Fähigkeiten sehr beliebt. Sie verstand es auch, wunderschöne Geschichten zu
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Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2018
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»Wer darf Sie heute ins Krankenhaus begleiten?«, fragte Schwester Regine. Mit einem Päckchen in der Hand kam sie eben in das büroähnliche Empfangszimmer.
Denise von Schoenecker sah hoch und lächelte der Kinder- und Krankenschwester zu. Sie verstand sich mit der jungen Frau, die schon lange im Kinderheim Sophienlust tätig war, sehr gut. Da sie bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes das Kinderheim Sophienlust verwaltete, war sie fast täglich hier.
»Es war ausgemacht, dass ich bei jedem Besuch drei der Kinder mitnehme«, sagte sie. »Heute sind Heidi, Vicky und Fabian an der Reihe. Ich glaube, sie sind schon im Park. Sie wollen der Huber-Mutter Vergissmeinnicht mitbringen.«
»Ich habe auch etwas für die Huber-Mutter. Können Sie das bitte noch mitnehmen?« Schwester Regine stellte das Päckchen vor Denise von Schoenecker hin. »Es ist von Magda. Sie ließ es sich nicht nehmen, für die Huber-Mutter einen Kuchen zu backen.«
Denise musste lächeln. Sie dachte an die Greisin, die sie im Maibacher Krankenhaus besuchen wollte. »Wie die Oberschwester erzählte, wollte die Huber-Mutter gleich, nachdem sie aus der Narkose erwacht war, aufstehen und das Krankenhaus verlassen.«
»Typisch Huber-Mutter.« Schwester Regine, die hübsche junge Frau, lachte herzlich. »Der Blinddarm ist auch das Einzige, wogegen sie machtlos ist. Wie sie immer erzählt, war sie in ihrem Leben nie in einem Krankenhaus, hatte nie etwas mit Ärzten zu tun.«
Denise nickte. Für die Huber-Mutter war diese Operation wirklich ein Schock gewesen. Sie verbrachte ihren Lebensabend in Sophienlust und war besonders bei den Kindern wegen ihrer seherischen Fähigkeiten sehr beliebt. Sie verstand es auch, wunderschöne Geschichten zu erzählen, und sammelte alle möglichen Kräuter. Diese verkaufte sie oder bereitete Tränklein zum Gesundwerden daraus. Alle nannten die Greisin nur die Huber-Mutter und waren bemüht, ihr den Lebensabend schön zu machen.
»Bestellen Sie bitte von uns allen Grüße«, sagte Schwester Regine. »Soll ich nach den Kindern sehen?«
Das war nicht mehr nötig. Allen voran kam das jüngste Dauerkind von Sophienlust, Heidi Holsten, ins Zimmer gestürmt. »Sieh nur, Tante Isi, habe ich nicht viele blaue Blumen gefunden? Die Huber-Mutter wird sich freuen.« Eifrig streckte sie Denise von Schoenecker, die von allen Kindern nur Tante Isi genannt wurde, die Vergissmeinnicht entgegen.
Heidi hatte wirklich einen so großen Strauß in der Hand, dass sie ihn nur mühsam mit ihren Händen umklammern konnte. Einige der blauen Blumensterne sahen schon sehr zerdrückt aus und ließen die Köpfe hängen. Doch Heidi bemerkte das nicht. Triumphierend hielt sie Denise den Strauß noch dichter unter die Nase.
»Wisst ihr was?«, schlug Schwester Regine vor, »wir geben alle Blumen in einen Korb. Dann könnt ihr sie leichter tragen.«
»Aber dann weiß ja die Huber-Mutter nicht, welche ich gepflückt habe.« Enttäuscht blickte Heidi die Kinderschwester an. Ihre Augen waren fast so blau wie die Vergissmeinnichtblüten.
»Ist das nicht egal?« Denise fuhr der Fünfjährigen über das blonde Haar, das zu zwei Rattenschwänzen zusammengebunden war. »Hauptsache ist doch, dass die Huber-Mutter sich über die Blumen und unseren Besuch freut.«
Heidis Stirn runzelte sich. Sie dachte nach. Sie war ein lebhaftes, aber auch besonders anschmiegsames Kind. Schließlich nickte sie ernst. »Die Huber-Mutter soll sich freuen. Wir geben alle Blumen zusammen. Ich kann ihr ja sagen, dass ich sehr, sehr viele gepflückt ha-
be.«
»Na ja, wenn du willst«, meldete sich nun Vicky zu Wort. Eigentlich hieß sie Viktoria und war eines der Langenbach-Geschwister. Sie war älter und vernünftiger als Heidi. Fragend sah sie auf Fabian, den elfjährigen, etwas schmächtigen Jungen. Wie immer sagte dieser nicht viel. Er nickte Heidi nur gutmütig zu.
Die Kleine senkte plötzlich ihr Köpfchen. »Es stimmt nicht«, gestand sie. »Ich habe von Fabian Blumen abbekommen. Ich wollte nämlich die meisten haben.«
Denise unterdrückte ein Lächeln. »Die Huber-Mutter freut sich sicher«, meinte sie.
Heidis Köpfchen hob sich wieder. »Und ich freue mich auf die Huber-Mutter«, beteuerte die Kleine eifrig.
»Aber vergesst nicht, dass ihr leise sein müsst. Vor allem dürft ihr die Huber-Mutter nicht mit Fragen bedrängen.« Die Worte galten hauptsächlich Heidi, und diese nickte auch artig.
Wenig später verließ Denise das große Gebäude, in dem das Kinderheim Sophienlust untergebracht war. Es war früher ein herrschaftlicher Besitz gewesen, der Sophie von Wellentin gehört hatte. Sie hatte das damalige Gut ihrem Urenkel, Dominik von Wellentin-Schoenecker, mit der Auflage hinterlassen, aus dem alten Herrenhaus ein Heim für elternlose oder Geborgenheit suchende Kinder zu machen.
Denise wurde nicht nur von den Kindern, die nach Maibach mitfahren durften, bis zum Wagen begleitet, auch Angelina Dommin, genannt Pünktchen, und Irmela Groote folgten ihr. Die beiden Mädchen gehörten zu den älteren Kindern des Heims und gingen Frau Rennert, der Heimleiterin, sowie Schwester Regine und Denise von Schoenecker schon hilfreich zur Hand. Besonders Pünktchen kümmerte sich stets liebevoll um die kleineren und neuen Kinder. Sie genoss eine gewisse Vorzugsstellung und nannte Alexander von Schoenecker als einziges Heimkind Onkel.
Dicht trat Pünktchen an den Wagen heran und reichte Denise, die bereits hinter dem Steuer Platz genommen hatte, das Kuchenpaket für die Huber-Mutter.
Denise lächelte Pünktchen dankend zu. »Morgen darfst du mich zusammen mit Nick begleiten. Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag nach der Huber-Mutter zu sehen. So wird ihr der Aufenthalt im Krankenhaus leichter fallen.«
Ein strahlendes Lächeln erschien auf Pünktchens Gesicht. Selbst ihre Sommersprossen, denen sie ihren Spitznamen zu verdanken hatte, begannen zu leuchten. Die Aussicht, am nächsten Tag mit Dominik, den alle nur Nick nannten, nach Maibach fahren zu dürfen, ließ ihr Herz höher schlagen. Nick, damals selbst noch ein Kind, war es gewesen, der sie vor vielen Jahren gefunden und nach Sophienlust gebracht hatte. Seither hing Pünktchen ganz besonders an ihm und träumte davon, einmal seine Frau zu werden. Denise, die davon wusste, hatte nichts gegen die Freundschaft ihres Sohnes mit diesem lebhaften, gescheiten Mädchen einzuwenden.
Heidi dauerte das Warten bereits zu lange. Sachte zupfte sie ihre Tante Isi von hinten. »Wann fahren wir denn? Die Huber-Mutter soll doch nicht so lange auf uns warten müssen.«
»Es geht schon los.« Denise hob nochmals grüßend die Hand, dann fuhr sie mit den drei Kindern auf dem Rücksitz die Auffahrt entlang, durch das große schmiedeeiserne Tor und hinaus auf die Landstraße.
Es war nicht allzu weit bis zur Kreisstadt Maibach, und da Heidis Plappermäulchen keine Sekunde stillstand, verging die Fahrt sehr schnell.
»Wir sind schon da?«, rief die Fünfjährige aufgeregt, als Denise auf dem Parkplatz des Krankenhauses hielt. Sie wollte die Tür öffnen, aber gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass Tante Isi das streng verboten hatte. Es fiel ihr schwer, aber sie wartete, ungeduldig zappelnd, bis Denise ausgestiegen und die Tür von außen geöffnet hatte.
Denise sah die Kleine an, und Heidi nickte. »Ich werde ganz brav sein. Ich weiß, die Leute sind krank und dürfen nicht gestört werden.« Sie streckte Denise ihre Hand hin und ging von nun an gesittet an Denises Seite. Die langen weiß gestrichenen Gänge beeindruckten sie so sehr, dass sie sogar den Mund hielt. Aber ihre Augen blickten sich lebhaft um. Sie sah einem Wagen nach, der von einem Mann in einem weißen Anzug geschoben wurde, um gleich darauf einigen jungen Lernschwestern nachzublicken. Fest presste sie dabei Denise von Schoeneckers Hand.
Denise, die sich im Maibacher Krankenhaus gut auskannte und wusste, wo die Huber-Mutter untergebracht war, führte die Kinder in den ersten Stock hinauf. Vor einer der weiß lackierten Türen hielt sie an und klopfte.
»Herein«, rief eine etwas heisere Stimme.
Heidi, die die Stimme der Huber-Mutter erkannt hatte, riss sich von Denises Hand los und stürmte ins Zimmer. »Huber-Mutter, Huber-Mutter, sieh nur, wer da kommt! Wir haben dir auch eine Menge mitgebracht. Alle, alle lassen dich grüßen.« Heidi versuchte alles auf einmal loszuwerden, wurde aber schließlich von Vicky beiseitegedrängt.
»Wir sind auch noch da!« Vicky ergriff Fabians Hand und zog ihn näher an das Bett der Kranken heran. »Wir wollen dich auch begrüßen. Hast du noch Schmerzen?«, erkundigte sie sich dann mitfühlend.
Die Huber-Mutter wollte sich aufsetzen, aber da war Denise schon heran und drückte sie ins Kissen zurück. »Sie müssen liegen bleiben, sonst gehen wir gleich wieder.« Scherzend hob sie den Zeigefinger.
Die unzähligen Falten im Gesicht der Greisin verzogen sich zu einem lautlosen Lachen. Man sah ihr die Freude, die ihr dieser Besuch bereitete, an. Ihr Gesicht, das zuerst noch sehr blass gewesen war, bekam Farbe.
»Ihr habt mich nicht vergessen«, murmelte sie. »Die Huber-Mutter lässt sich nicht unterkriegen, auch nicht von den Ärzten. Sie können noch so viel an mir herumschneiden, ich komme schon wieder auf die Beine.«
»Das wollen wir hoffen«, sagte Denise.
»Eigentlich fühle ich mich schon wieder ganz wohl. Könnten Sie mich nicht gleich mitnehmen?« Die Augen der Alten bekamen einen bittenden Glanz.
Denise tat es leid verneinen zu müssen. Sie wusste, dass sich die Huber-Mutter hier eingesperrt vorkam, aber sie musste ablehnen. »Ein klein wenig müssen Sie schon Geduld haben«, tröstete sie und strich dabei über die abgearbeiteten Hände der alten Frau. »Der Oberarzt ist sehr zufrieden. Wider Erwarten verlief die Operation ohne Komplikationen.«
»Was weiß dieser Quacksalber schon«, murmelte die Alte. »Man hätte mich nur machen lassen sollen. Ich hätte schon noch einen Saft gefunden, der mir die Schmerzen genommen hätte.«
»Nein, Huber-Mutter«, sagte Denise ernst, »mit einem Tränklein wäre Ihnen diesmal sicher nicht zu helfen gewesen.« Sie wollte noch etwas sagen, kam aber nicht dazu, denn ungestüm wurde die Tür aufgerissen. Ein Mädchen in Heidis Alter schob sich herein. Als sie die vielen Personen im Krankenzimmer sah, wurde sie unsicher.
»Ich dachte, hier ist niemand«, stammelte sie verlegen.
Heidi lief auf sie zu. »Willst du auch die Huber-Mutter besuchen?«
»Nein! Bitte, mach die Tür zu. Er darf mich nicht finden.« Erschrocken sah sie zur Tür, während auf dem Gang Schritte zu hören waren.
Heidi kam dem Wunsch sofort nach. Neugierig betrachtete sie die Gleichaltrige, dann vergewisserte sie sich nochmals: »Du willst also der Huber-Mutter nicht guten Tag sagen?«
»Ich will meine Mutti besuchen, aber der Onkel wollte mich nicht mitnehmen. Ich musste im Stiegenhaus warten. Ich muss aber zu Mutti. Ich will doch wissen, wie es ihr und dem neuen Brüderchen geht. Onkel Henning erzählt mir sicher nicht alles.«
»Du bist also fortgelaufen«, stellte Heidi folgerichtig fest.
»Ich will mich nur vor dem Onkel verstecken. Ich weiß, in welchem Zimmer Mutti liegt.« Suchend ließ sie ihren Blick umherschweifen. »Kann ich mich nicht dort hinter dem Schrank verstecken? Da sieht der Onkel mich sicher nicht, wenn er hereinkommt.«
»Das wird nicht gehen.« Denise erhob sich. Freundlich trat sie auf das fremde Kind zu. »Der Onkel wird sich große Sorgen machen.«
»Der sicher nicht«, sagte die Kleine entschieden. »Weißt du, ich mag ihn nicht so recht. Ich bin nur neugierig, ob ihn das Brüderchen mag.« Treuherzig sah sie Denise an. Sie hätte ihr sicher noch einiges erzählt, kam aber nicht dazu, denn nach kurzem Anklopfen wurde die Tür aufgerissen, und ein großer breitschultriger Mann erschien im Zimmer.
»Da bist du ja!« Ärgerlich schüttelte er den Kopf. »Habe ich dir nicht gesagt, dass du im Gang warten sollst? Ich hätte dich lange suchen können, hätte eine Schwester nicht zufällig gesehen, in welches Zimmer du gelaufen bist.«
»Ich will zu Mutti«, sagte die Kleine störrisch und blickte vor sich auf den Boden.
»Morgen! Ich habe dir gesagt, dass du erst morgen zu Mami darfst«, sagte er ungeduldig. Dann fiel sein Blick auf Denise, die unwillkürlich näher getreten war.
»Entschuldigen Sie, aber Marisa ist etwas dickköpfig.« Plötzlich glitt ein Lächeln über sein Gesicht. »Wir haben gestern einen Sohn bekommen.«
»Meinen Glückwunsch«, sagte Denise. »Ich habe das Gefühl, dass Ihre Tochter sehr neugierig auf ihr Brüderchen ist.«
»Er ist nicht mein Papa«, stieß die Kleine heftig hervor und versteckte sich gleichzeitig hinter Denises Rücken. »Er ist nur der Mann meiner Mutti.«
»Da sehen Sie selbst!« Der Fremde zuckte die Achseln. »Es ist nicht leicht mit ihr.« Ärgerlich ergriff er Marisas Arm und zog das sich wehrende Kind zur Tür.
Marisa gelang es, sich loszureißen. Sie lief zu Denise zurück. »Du musst meine Mutti unbedingt kennenlernen«, stieß sie hastig hervor. »Sie ist viel lieber als er.« Mit dem Daumen wies sie auf ihren Stiefvater, der mit wütendem Gesicht an der Tür stand.
»Entschuldigen Sie«, sagte der Mann, an Denise gewandt. Dann fuhr er Marisa wütend an: »Komm sofort hierher, sonst darfst du morgen auch nicht zu Mami.«
Marisa hatte offensichtlich Angst. Nur zögernd kam sie hinter Denises Rücken hervor. »Ich werde brav sein«, sagte sie. Ehe sie zu ihrem Stiefvater ging, streckte sie Denise ihre Hand entgegen. »Entschuldige, ich wollte nicht böse sein.« Da Denise ihr zulächelte, lächelte sie zurück. »Bist du, sind Sie morgen auch wieder da? Darf ich hereinkommen?«
»Natürlich. Wenn du deine Mutti besucht hast, dann komm nur hierher.«
»Das werde ich tun. Lange kann ich sowieso nicht bei Mutti bleiben, und im Stiegenhaus zu warten ist fad.« Sie lief auf ihren Stiefvater zu und schlängelte sich blitzschnell an ihm vorbei.
Als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, meinte Heidi enttäuscht: »Sie hat sich nicht einmal von mir verabschiedet. Dabei fand ich sie sehr nett.«
Plötzlich stand die Huber-Mutter nicht mehr im Mittelpunkt. Das kleine Mädchen namens Marisa hatte das Interesse der Kinder erregt. Denise wurde mit Fragen bestürmt. Doch sie wusste darauf keine Antworten.
»Wenn sie morgen wiederkommt, dann werde ich mir von ihr erzählen lassen, warum sie sich verstecken wollte. Ja, auch nach ihrem Brüderchen und ihrer Mutti werde ich sie fragen«, versprach Denise.
»Und vergiss ja nicht, sie von mir zu grüßen«, meinte Heidi wichtigtuerisch. »Sag ihr, dass ich in Sophienlust wohne. Wenn sie sich langweilt, kann sie mich dort ja einmal besuchen.«
*
»Mutti, ich sitze vorn bei dir, dann störe ich Nick und Pünktchen nicht.« Da Nick sich schon zu seiner Freundin auf den Rücksitz des Wagens gesetzt hatte, wollte Henrik die Chance nützen und vorn bei der Mutter sitzen. Er hatte erreicht, dass er an diesem Tag ebenfalls zum Krankenhaus mitfahren durfte, um die Huber-Mutter zu besuchen.
»Nein, mein Sohn, du musst nach hinten. Kinder unter zwölf Jahren…«
»Schon gut, schon gut.« Henrik, Denise von Schoeneckers jüngster Sprössling, grinste. »Ich wollte doch die beiden nicht stören.«
»Henrik stört uns nicht«, versicherte der sechzehnjährige Nick hastig. Errötend schnitt er seinem um sieben Jahre jüngeren Bruder eine Grimasse. »Er wird ganz schön frech, der Kleine«, sagte er dann und wandte sich wieder Pünktchen zu.
»Das hat man davon, dass man rücksichtsvoll sein will.« Hörbar stieß Henrik die Luft aus. »Nun ist Schluss damit, macht Platz. Ich setze mich zwischen euch.« Er kletterte über die Knie seines Bruders hinweg. Plumps, ließ er sich zwischen Nick und Pünktchen fallen, die beide schnell etwas zur Seite gerückt waren.
Auch diese Fahrt verlief lustig. Nick und Henrik verstanden sich im Grunde sehr gut. Henrik gönnte seinem Halbbruder Pünktchens Freundschaft von ganzem Herzen, nur um dessen Freiheit beneidete er ihn. Er selbst war und blieb eben stets der Kleinere. So wie Nick war auch er viel in Sophienlust und aß dort zu Mittag, oder er beteiligte sich an den Ausflügen der Kinder. Schoeneich, der Stammsitz der Familie von Schoenecker, war mit einer breiten Straße, die durch den Wald führte, mit dem Kinderheim verbunden. Vor allem mit dem Fahrrad war es für die Kinder kein allzu weiter Weg.
Die Huber-Mutter sah an diesem Tag schon viel munterer aus. Ihre Augen funkelten belustigt, als sie ihrem Besuch erzählte, dass sie der Oberschwester das Rezept eines Tränkleins verraten habe. »Zuerst wollte sie mir nicht glauben, aber jetzt ist ihr Sodbrennen verschwunden. Ich glaube, jetzt haben alle begriffen, dass sich die Huber-Mutter nichts vormachen lässt.«
Denise atmete auf. Sie war froh, dass sich die Alte mit ihrem Krankenhausaufenthalt abzufinden begann.
Trotzdem lauschte die Huber-Mutter dann sehnsüchtig, als Pünktchen und Nick die Neuigkeiten von Sophienlust erzählten. Auch Denise hörte lächelnd zu. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie viel an einem Tag geschah.
Nur Henrik wurde es bald langweilig. »Ich muss mal«, verkündete er laut und verdrückte sich.
Lange stand Henrik am Fenster im Flur, aber gerade jetzt wollte kein Wagen mit Blaulicht kommen. Nur Besucher, die Gesichter hinter Blumensträußen verborgen, hasteten über den Platz und betraten das Krankenhaus. Henrik beschloss zurückzugehen. Vor der Zimmertür stieß er mit einem Mädchen zusammen. »Wohin willst du denn?«, fragte er hilfsbereit.
Die Kleine zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, dieses Zimmer war es. Es war so eine nette Dame darin.«
»Du musst dich irren.« Entschieden schüttelte Henrik den Kopf. »Da drinnen liegt die Huber-Mutter. Sie ist zwar nett, aber sie ist schon sehr, sehr alt.«
»Genau, da hinein will ich. Ich meine auch nicht die kranke alte Frau, sondern die nette Schwarzhaarige.«
»Das ist meine Mutti.« Jetzt strahlte Henrik über das ganze Gesicht. Stolz streckte er seine Brust heraus. »Sie ist wirklich hübsch und nett, und dazu ist sie auch noch sehr lieb«, sagte er mit Überzeugung.