Space-Thriller 2: Eine Welt für Mörder - Peter Terrid - E-Book

Space-Thriller 2: Eine Welt für Mörder E-Book

Peter Terrid

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Beschreibung

Die Erde im 49. Jahrhundert: Eine reiche Frau wird von einem offensichtlich geisteskranken Mörder auf brutale Weise umgebracht. Der Killer überlebt seine Tat nicht lange. Die Beamten, die den Fall untersuchen, fallen am Tatort einem heimtückischen Anschlag zum Opfer. Und dann folgen weitere Morde nach ähnlich grausigem Schema. Shona Mentzow, eine terranische Kriminalistin, wird auf die Fälle angesetzt. Zu ähnlich sind sie sich in ihren Auswirkungen, auch wenn sich keine direkten Spuren finden. Denn die Tatorte waren jeweils extrem gegen die Außenwelt abgesicherte Wohnungen. Die Spur führt nach Folsom, einer merkwürdigen Welt, die es eigentlich gar nicht geben dürfte – es ist die Welt für Mörder ...

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Rückentext

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Impressum

Die Erde im 49. Jahrhundert: Eine reiche Frau wird von einem offensichtlich geisteskranken Mörder auf brutale Weise umgebracht. Der Killer überlebt seine Tat nicht lange. Die Beamten, die den Fall untersuchen, fallen am Tatort einem heimtückischen Anschlag zum Opfer. Und dann folgen weitere Morde nach ähnlich grausigem Schema.

Eine Welt für Mörder

von Peter Terrid

1.

Terra, 13. Oktober 1288 NGZ:

Der Mörder kam von Hawaii. Er betrat die Wohnung über die Terrasse, und als er nach Frankreich ins Esszimmer kam, hing noch der schwüle Duft tropischer Blumen in seinen Haaren und in seiner Kleidung.

Ishnee Tzaganvili saß beim Essen, und das Scharren ihres Messers auf dem Teller übertönte die vom Teppich gedämpften Schrittgeräusche des Mörders. Sie wurde seiner erst gewahr, als der Schatten seines Körpers auf ihre Mahlzeit fiel. Im gleichen Augenblick packte die Furcht mit kaltem Griff ihr Herz.

Es durfte nicht sein, es konnte nicht sein. Niemandem war es möglich, ungefragt und ungesehen in ihre Wohnung einzudringen; mit allen Mitteln moderner Technik war sie gegen Eindringlinge gesichert.

Und doch war es geschehen.

Die Frau hielt den Atem an. Sie wagte nicht aufzusehen. Vielleicht verschwand der Eindringling ja wieder ... Nur ein Traum, eine Halluzination. Sie hatte viel gearbeitet in den letzten Wochen, sehr viel, und sie hatte kaum Schlaf gehabt. Ihre Nerven waren überreizt, und sie ...

Als die Finger des Eindringlings ihren Kopf schmerzhaft an den Haaren in den Nacken rissen, wusste sie, dass sie nicht halluzinierte. Der Eindringling war echt, sie konnte ihn spüren, hören und riechen. Sein Atem ging schnell und stoßweise. Auf eine andere Art und Weise war er ebenso erregt wie sie selbst.

»Überraschung!«, sagte der Fremde und lachte höhnisch. »Damit hast du nicht gerechnet, was?«

»Bitte ...!«

Ishnee Tzaganvili war eine harte Frau, die ebenso gut einstecken konnte wie sie auszuteilen verstand; ohne diese Härte hätte sie es niemals fertiggebracht, aus einem kleinen Unternehmen einen riesigen Konzern zu zimmern, dessen Umsätze 50 Milliarden Galax pro Jahr überstiegen. Ihr privates Vermögen war ebenfalls zehnstellig, und all dies hatte sie in den ersten sechzig Jahren ihres Lebens geschafft, durch Disziplin, Fleiß und nicht zuletzt durch Härte und Durchsetzungsvermögen. Aber in diesem Augenblick war sie kraft- und wehrlos, brachte nichts hervor außer diesem einen kläglichen Wort.

»Bitte ...!«

Er riss rücksichtslos an ihren Haaren, warf sie mitsamt dem Stuhl um. Hart schlug sie mit dem Rücken auf den Boden, und auch die teuren Teppiche waren nicht imstande, den Aufprall zu dämpfen, der ihr die Luft aus den Lungen trieb und ihren Atem stillstehen ließ.

Die schrille Stimme des Eindringlings gellte in ihren Ohren.

»Bevor ich dich alle mache, werden wir noch ein bisschen Spaß miteinander haben!«, hörte sie ihn sagen, und sie spürte, wie er mit der freien Hand ihre linke Brust packte und schmerzhaft presste. Einen Augenblick später platzten schnalzend die Knöpfe von ihrer Bluse, und sie wusste, dass der Eindringling seine Worte ernst gemeint hatte.

Ishnee bäumte sich auf, strampelte mit den Beinen und versuchte, sich auf dem Boden windend, dem Fremden zu entkommen. Den Schmerz in ihrer Kopfhaut nahm sie kaum wahr. Viel deutlicher spürte sie die gierige Hand auf ihrer Haut, die sich ihrem Hosenbund näherte.

Ishnee schlug mit den Händen um sich. Ratschend fuhren ihre Fingernägel über den Hals des Angreifers, der mit diesem Widerstand nicht gerechnet hatte. Er stieß einen Schrei der Wut aus, mit Schmerz durchsetzt, dann riss er ihren Kopf erst hoch und hieb ihn dann auf den Boden zurück.

Es war nicht so gewesen, wie er es sich vorgestellt hatte. Nicht so befriedigend, und vor allem war es viel zu schnell gegangen. Er richtete sich auf, betrachtete den reglosen Körper der Frau und spuckte in die klaffende Bauchwunde hinein, die er ihr zugefügt hatte. Beim nächsten Mal, nahm er sich vor, würde er es besser machen, nicht so schnell, mit mehr Genuss.

Er wandte den Kopf. Auf dem Tisch stand noch das Essen der Frau. Es war kalt geworden inzwischen, aber der Geruch hing noch verlockend in der Luft. Seit langem, seit Jahrzehnten, hatte er nicht mehr etwas so Angenehmes gerochen. Es war richtiges Essen, wahrscheinlich aus einer der besten Küchen der Stadt, nicht so ein elender Fraß, wie er ihn gewohnt war.

Er aß mit den Fingern. Das Fleisch war lauwarm, es war zart und schmeckte nach feinen Gewürzen, nach Wein und einem Hauch Knoblauch. Er hätte vier dieser Portionen essen können, aber mehr war nicht da. Den Salat ließ er stehen, von Grünzeug hatte er genug, selbst wenn es ein Spitzenkoch zubereitet haben mochte; dafür leckte er den Teller ab. Den Wein, eine Köstlichkeit, wie es ihn nicht einmal in seiner Erinnerung gab, trank er aus der Flasche.

Die Lady hatte gesittet gegessen, aber sie hatte auch nicht mittlere Ewigkeiten mit Gesindel verbringen müssen. Sich in dieser Umgebung danebenzubenehmen, machte einen zusätzlichen Spaß. Wäre sie noch am Leben gewesen, hätte sie sich bestimmt darüber entsetzt. So wie über das andere. Sie hatte nicht geschrien, während er sich an ihrem Körper bedient hatte, nur die Augen geschlossen, als könnte sie damit aus der Wirklichkeit des Geschehens heraustreten. Geschrien und gewimmert hatte sie erst nachher, als er sie bearbeitet hatte. Leider war sie sehr schnell vor Schmerz bewusstlos geworden; er hätte ihr Winseln gern noch etwas länger gehört.

Er wischte die Hände, verschmiert von Blut und Sauce, an seiner Kleidung ab. Erst jetzt nahm er sich die Zeit, sich in der Wohnung umzusehen. Nicht sein Geschmack, viel zu vornehm, aber dafür teuer. Der Teppich, auf dem sie jetzt lag, die Beine noch immer gespreizt, das rechte in einem unnatürlichen Winkel abgeknickt, hatte sicher ein Vermögen gekostet. Jetzt war er ruiniert von dem Blut, in dem die Tote lag. Der Killer konnte in seinem Mund den Geschmack von Eisen wahrnehmen, den er so gut kannte; das Aroma frisch vergossenen Blutes. Er liebte diese Empfindung, sie gab ihm das Gefühl, zu leben und das Leben in seiner Hand zu halten.

Er wollte gerade den Raum verlassen, als er hinter sich den leisen Ton vernahm, mit dem die Wohnungstür das Eintreten eines Besuchers meldete, der offenbar Zutrittsberechtigung hatte.

Hastig blickte der Killer sich um. Sein Blick fiel auf eine moderne Skulptur aus Metall, die ihm zwar nicht gefiel – Kunst war seine Sache nicht, schon gar nicht die moderne –, die aber gut in der Hand lag, nachdem er sie gegriffen hatte. Er zog sich in den Nachbarraum zurück.

»Chérie! Ich bin zurück ...!«

Eine helle und klare Stimme, die eines jungen Mannes, entweder der Sohn der Frau oder ihr Liebhaber. Wahrscheinlich der Liebhaber, denn ein Sohn hätte wohl ein anderes Wort benutzt. Es klang danach, als würde der Besucher sich freuen, die Wohnung zu betreten und Ishnee Tzaganvili zu treffen. Der Killer wog die Skulptur in der Hand; die Statuette war schwer und hart, mit vielen scharfen Kanten; genau das richtige für seinen Zweck.

Der Killer lauschte. Er hatte ein ausgezeichnetes Gehör, und so nahm er die Schrittgeräusche wahr, obwohl sie durch die Teppiche stark gedämpft wurden. Flur, Wohnzimmer ...

»Ishnee ...!«

Die Stimme erstarb, ein ersticktes Keuchen war zu hören. Wahrscheinlich hatte er jetzt die Leiche gefunden. Der Killer trat ins Esszimmer. Er sah einen männlichen Rücken, gekrümmt, weil der Mann sich gerade über die Leiche beugte. Helle, sanft gelockte Haare. Der Killer machte einen Schritt und schwang den rechten Arm. Es klang wie das Knacken eines Zweiges, als die Skulptur den Schädel des Mannes traf und einschlug. Er stöhnte auf, schwankte nach rechts. Ein zweiter Schlag, diesmal dumpfer, weil er nur noch zertrümmerte Knochen und das Gehirn des Opfers traf. Blut spritzte auf und benetzte den Killer, der die Waffe fallen ließ, während der junge Mann zur Seite kippte und halb über der Leiche der Frau liegenblieb.

»Zu spät gekommen, Freundchen«, sagte der Killer und kicherte schrill. »Was du haben wolltest, habe ich mir schon geholt! Pech gehabt!«

Wenn Ishnee Tzaganvili ihren Liebhaber erwartet hatte, war mit weiteren Besuchern wohl nicht mehr zu rechnen. Der Killer hatte also Zeit und Muße, die Wohnung zu durchstöbern und nach einträglicher Beute Ausschau zu halten. Er nahm den beiden ab, was er gebrauchen konnte, ein bisschen Bargeld, Geldkarten für die Bank, Ausweise – für ihn selbst unbrauchbar, aber er würde schon jemanden finden, der mit den Dokumenten etwas anzufangen wusste. Der Killer kannte viele Leute, die außerhalb des Gesetzes standen; im Grunde kannte er kaum andere.

Im Schlafzimmer fand er den Schmuck der Frau. Sie hatte ein Faible für Juwelen gehabt; die Sammlung war reichhaltig und exquisit. Die Halskette mit Medaillon, gefertigt aus Dhahrun-Kristallen, stellte allein ein Vermögen dar, schwer abzusetzen, aber in jedem Fall einträglich.

Die Kunst hätte man wahrscheinlich ebenfalls zu Geld machen können, aber der Killer hatte keine Lust, die schweren Gemälde zu schleppen. In der Küche fand er einen Tragebeutel, den er mit seiner Beute füllte, dann trat er in den Flur.

»Verdammt!«

Er stieß einen Fluch aus. Die Tür ließ sich von innen nicht öffnen, jedenfalls nicht von ihm. Damit hatte er nicht gerechnet. In Terrania wäre es ihm leichter gefallen unterzutauchen als in jeder anderen Stadt. Dann musste er eben den Umweg über die Terrasse nehmen ...

Der Schmerz traf ihn mit einer Wucht, als hätte ihn ein Ertruser mit voller Kraft in den Magen geboxt. Explosionsartig breitete sich der Schmerz in seinen Eingeweiden aus, krampfte seine Muskeln zusammen und ließ ihn taumeln. Er verlor die Beute, schwankte hin und her; das Atmen fiel ihm schwer, außer einem verzweifelten Keuchen brachte er keinen Laut zustande.

Seine Miene verzog sich zu einer Grimasse aus Schmerz, Entsetzen und Wut. Kurz bevor seine Knie nachgaben und er vornüber auf den Boden fiel, wurde ihm bewusst, dass er hereingelegt worden war. Und dass er starb ...

Terra, 18. Oktober 1288 NGZ:

»Sieht eigentlich gar nicht nach einem Milliardär aus«, stellte Jorn Kaltashi fest und blickte um sich. »Eine ganz normale Wohngegend ...«

Sein neuer Kollege, Sengu N'dabo, grinste breit.

»Lass dich überraschen«, schlug er vor und legte seine rechte Hand auf die Abtastfläche für das Impulsschloss. Es wurde nicht nur sein Handlinienmuster mit den eingespeicherten Werten der Zutrittsberechtigten verglichen; auch die fälschungssicheren Individualmuster wurden von der hauseigenen Syntronik überprüft. Und wenn alles ordnungsgemäß gelaufen war, musste die Haussyntronik inzwischen wissen, dass Kaltashi und N'dabo eine richterliche Erlaubnis besaßen, die Wohnung auch ohne Zustimmung der Eigentümerin zu betreten.

Seit fünf Tagen gab es von Ishnee Tzaganvili kein Lebenszeichen mehr. Das hatte ihre Tochter Gerola Twern – aus Ishnees erstem Ehevertrag – alarmiert, die sonst nahezu täglich Kontakt mit ihrer Mutter hatte, meistens per Trivid. Da ihr die Anreise aus dem Lurpht-System zu umständlich gewesen war, hatte sie die Behörden auf Terra alarmiert. Von dort aus war NATHAN abgefragt worden, und die Syntronik auf dem Mond hatte bestätigt, dass Ishnee Tzaganvili seit fünf Tagen keinerlei Aktivität mehr entfaltet hatte. Sie war nicht in ihrer Firma erschienen, hatte keine Post abgeschickt oder empfangen, keine Bankgeschäfte getätigt – nicht eine der zahlreichen Tätigkeiten, wie sie zum Alltag eines Terraners im Jahr 1288 Neuer Galaktischer Zeitrechnung gehörten, war vermerkt worden. Abgesehen von notorischen Eigenbrötlern und Sonderlingen gab es fast keinen Menschen, der nicht an jedem Tag seines Lebens als Erwachsener irgendetwas tat, das automatisch von einer der zahllosen Syntroniken registriert wurde.

»Zutritt gestattet!«

Die Syntronik hatte eine auffallend geschlechtsneutrale Stimme, fiel Jorn Kaltashi auf; seine eigene Anlage hatte er mit der eigenen Stimme versehen und ihr einen betont freundlichen und charmanten Ton verliehen – jedenfalls war das sein Eindruck. Kollegen hatten gelästert, er habe der Syntronik die Stimme eines reichlich schleimigen Charmeurs verpasst.

Die Tür öffnete sich selbsttätig, und eine Zehntelsekunde später wussten die beiden Männer, dass sie einen Tatort betraten. Der Geruch war zwar nur in Ansätzen zu erkennen, weil die Belüftung ihr Bestes tat, den Gestank zu bekämpfen, aber gänzlich entfernt hatte sie ihn nicht.

»Blut!«, stieß Sengu N'dabo hervor und verzog das Gesicht.

Jorn Kaltashis Miene war erstarrt.

»Altes Blut«, verbesserte er mit leicht rauer Stimme. »Syntron, alarmiere sofort unsere Dienststelle und die Spurensicherung! Die ersten Anzeichen sprechen für eine Straftat!«

»Mord?«, fragte N'dabo leise.

»Wenigstens eine Körperverletzung«, antwortete Kaltashi rau. N'dabo war ein Neuling, erst ein Jahr bei der Truppe, und bisher hatte er noch keinen Mordfall zu bearbeiten gehabt. Kaltashi hatte annähernd vierzig Dienstjahre auf dem Buckel, und er hatte mehr als eine Leiche gesehen. Noch drei Monate, dann war diese Phase seines Lebens abgeschlossen. Dann war er siebzig, und er hatte sich vorgenommen, die nächsten dreißig Jahre auf einem weniger dicht besiedelten Planeten zu verbringen, Biologie oder dergleichen zu studieren und einen entsprechenden Beruf auszuüben. Über das, was er danach machen würde, hatte er sich keine Gedanken gemacht; dafür blieb ihm noch Zeit genug – bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung eines Terraners von rund zweihundert Jahren standen ihm noch viele Möglichkeiten offen.

Er ging voran und durchquerte den Flur, dann betrat er den ersten größeren Raum, offenbar ein Wohnzimmer, dessen Einrichtung sowohl von einem geschulten guten Geschmack als auch von immensem Reichtum zeugte.

»Donnerwetter!«, stieß N'dabo hervor. »Ich hätte nicht gedacht, dass diese Wohnung so groß sein würde!«

»Dezentralisiert, Junge«, erklärte Kaltashi. »Der Flur ist in Terrania, und wo dieser Wohnraum liegt, weiß ich nicht. Vielleicht irgendwo tief unter der Erde, weil es hier keine Fenster gibt. In jede der inneren Türen ist ein kleiner Transmitter eingebaut, der dich von einem Ort zum anderen befördert, wo immer der auch liegen mag. Kann sein, dass der nächste Raum in Asien liegt oder in Afrika, vielleicht auch auf einem der Monde im Sonnensystem.«

N'dabo stieß einen halblauten Pfiff aus.

»Ich denke, Transmittersprünge tun ein bisschen weh, im Nacken ... Entzerrungsschmerz oder so.«

»Nicht, wenn die Anlage entsprechend gedämpft ist«, klärte Kaltashi ihn auf. »Der Energieverbrauch ist natürlich gigantisch. Aber alles nur eine Frage des Geldes, Junge, ein schlichter Millionär kann sich so etwas natürlich nicht leisten.«

Er schritt weiter, und nach dem Schritt ins Esszimmer hatte er den Tatort erreicht. In diesem Raum war der Gestank nach Blut und Verwesung kaum zu ertragen. Kaltashi holte ein Tuch aus der Tasche und hielt es sich vor Mund und Nase, ein zweites Taschentuch gab er an N'dabo weiter, der reichlich käsig im Gesicht geworden war.

»Pass auf, wo du hintrittst«, warnte Kaltashi. »Wegen der Spuren ...«

»Mann!«, stieß N'dabo hervor, in dem Versuch, seine Gefühle in eine andere Bahn zu lenken. »Wenn ich das meiner Braut erzähle ... Ein richtiger Mord.«

»Braut?«

»Nächste Woche machen wir den Vertrag perfekt«, berichtete N'dabo mit sichtlichem Stolz. »Laufzeit, bis unser drittes Kind erwachsen ist, also mindestens fünfundzwanzig Jahre.«

»Viel Glück!«, wünschte Kaltashi und näherte sich vorsichtig den Leichen. Eine Szene wie diese hatte er in seiner Dienstzeit noch nicht erlebt.

Eine Frau und ein junger Mann. Dem Mann hatte jemand, wohl ein Wahnsinniger, den Schädel zertrümmert; man konnte das Gehirn durch die klaffende Kopfwunde sehen. Die mutmaßliche Tatwaffe, irgendein modernes Kunstwerk aus Metall, lag blutbeschmiert neben dem Toten. Dessen Gesicht, soweit man es erkennen konnte, war eine einzige Grimasse der Qual.

Die Frau – sie musste zu Lebzeiten sehr attraktiv gewesen sein – war augenscheinlich einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen. Sie lag auf dem Rücken, der Unterleib entblößt, die Beine gespreizt in einer obszönen Haltung, das rechte Bein offenbar gebrochen. Kaltashi versuchte die Eindrücke mit Professionalität zu erfassen, aber er spürte, wie es in seinen Eingeweiden rumorte.

N'dabo deutete auf die Tote.

»Vergewaltigung?«

Kaltashi nickte kurz.

»Nicht nur das«, sagte er, während N'dabo ein Würgen zu unterdrücken versuchte. »Es ist dem Täter nicht oder nicht nur um Sex gegangen. Es war ein Lustmord, begangen aus der Gier zu quälen und zu töten. Sie ist verstümmelt worden; er hat ihr fast den ganzen Leib aufgeschlitzt. Ich vermute, dass der junge Mann später gekommen ist und den Täter überrascht hat. Oder von ihm überrascht worden ist.«

N'dabo wandte sich ab; das Würgen wurde immer lauter, und auch Kaltashi hatte Mühe, seine Ekelgefühle zu bekämpfen.

Es war ziemlich warm in dem Zimmer, und die Leichen waren teilweise schon in Verwesung übergegangen.

»Ich sehe mich in der Wohnung weiter um«, verkündete N'dabo und verließ den Raum. Kaltashi konnte hören, wie er offenbar den Hygieneraum aufsuchte und sich erbrach, hoffentlich, ohne dabei Spuren zu verwischen.

Der Täter hatte sich allem Anschein nach keine Mühe gegeben, Spuren zu entfernen oder zu verwischen. Es musste eine große Menge Blut vergossen worden sein; das meiste hatte sich auf dem Teppich ausgebreitet, war geronnen und verbreitete jetzt den penetranten, ekelerregenden Gestank. Aber auch der Täter musste einiges abbekommen haben. Seine Kleidung, sein Gesicht, Hände und Füße. An vielen Stellen im Raum waren bräunliche Flecken zu sehen.

Die Spurensicherung und kriminaltechnische Auswertung würden zeigen, um was für Spuren es sich dabei handelte. Das Blut konnte während der Tat verspritzt worden sein, es konnte von den Händen des Täters herabgetropft sein, er konnte mit blutigen Händen etwas angefasst haben. Anhand von Vergleichsmustern konnten die Kriminaltechniker feststellen, wie all diese Blutspuren entstanden waren.

»Jorn!«

N'dabos Stimme klang aufgeregt und schaudernd. Kaltashi verließ das Esszimmer und suchte nach seinem Kollegen. Er fand ihn in einem Raum, der in eine große, wundervoll gelegene Terrasse mündete. Der Ausblick war hinreißend: ein Vulkan in der Ferne, der Rauchwolken ausstieß, tropischer Dschungel in sattem Grün und in der Nähe ein menschenleerer Strand mit schneeweißem Sand, gegen den eine kräftige Brandung gischtete.

»Hawaii, vermutlich«, sagte Kaltashi und nickte anerkennend. Ja, das war eine Art zu leben. Tagsüber in Terrania arbeiten, nachmittags Entspannung an der Küste Hawaiis, abends ein Essen aus einer exquisiten Küche, vielleicht in Italien oder in der Karibik ...

»Sieh dir das an ...!«

N'dabos Vorfahren hatten einmal in Afrika gelebt; seine Haut war ein wenig dunkler getönt, aber jetzt wirkte sie fahl und fleckig. Er hielt noch immer das Taschentuch vor Mund und Nase und deutete mit einer Ekelgebärde auf den Boden vor der Terrassentür.

»Was, bei allen Sternengeistern, ist das?«

Jorn Kaltashi blickte auf den Boden. Dort hatte sich eine rötliche Suppe ausgebreitet, halb eingetrocknet, halb feucht, ein undefinierbares Zeug, das außerdem fürchterlich stank.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, antwortete Kaltashi. Als er zu Sengu N'dabo trat, konnte er den an billigen, geriebenen Parmesan erinnernden Geruch nach Erbrochenem wahrnehmen. »Das sollen die Spezialisten klären!«

Es war ziemlich schwer, nicht in die Lache hineinzutreten; es mussten mehrere Liter von dem Zeug vergossen worden sein, fast zwei Drittel des Bodens waren damit bedeckt.

»Rückzug«, ordnete Kaltashi an. »Das ist etwas für die Spezialisten ...!«

Erst jetzt nahm er den Beutel wahr, der neben dem Eingang zu diesem Raum auf dem Boden lag. Kaltashi runzelte die Stirn.

»Seltsam«, murmelte er. »Was soll das sein?«

Er kniete neben dem Beutel nieder. Behältnisse wie diese wurden normalerweise verwendet, wenn ein Terraner oder eine Terranerin Lebensmittel einkaufte, um für sich und/oder Freunde eine Mahlzeit zuzubereiten. Selbst zu kochen war eine außerordentlich beliebte und verbreitete Freizeitbeschäftigung. Durchaus möglich, dass auch Ishnee Tzaganvili diesem Hobby gefrönt hatte.

Kaltashi suchte nach der Küche, fand sie und stöberte darin herum. Sein Verdacht erhärtete sich. Ishnee Kaltashi schien auf diesem Gebiet sogar außergewöhnlich aktiv gewesen zu sein. In der Küche war nicht nur eine eindrucksvolle Sammlung von Lesespulen mit Rezepten zu finden; Kaltashi entdeckte außerdem eine reichhaltige Sammlung von exotischen Gewürzen aus allen Regionen der Milchstraße, dazu Küchengeräte in reicher Zahl: Steingut, Terrinen, Saucieren und Auflaufformen, erstklassige Messer mit extrem scharfen, bruchfesten Klingen aus Keramik und vieles mehr. Und er fand auch zwei weitere Beutel der gleichen Art, wie er sie im Terrassenzimmer entdeckt hatte.

Aber Ishnee Tzaganvili war auch eine ordnungsliebende Köchin gewesen. Jedes Teil hatte seinen Platz, alles war aufgeräumt und perfekt sauber. Solche Arbeiten wurden garantiert von einem Haushaltsroboter erledigt, aber das System selbst hatte wahrscheinlich die Eigentümerin höchstpersönlich entworfen und dem Robot eingetrichtert.

Einen gefüllten Beutel in einem Zimmer herumliegen zu lassen passte nicht ins Bild ...

»Schmuck«, sagte Sengu N'dabo in Kaltashis Rücken. »Ich habe im Schlafzimmer die Schmuckschatullen gefunden. Offensichtlich fehlt etwas darin.«

Kaltashi rieb sich unter der Nase.

»Passt irgendwie nicht zusammen«, sagte er. »Lustmörder, die ihre weiblichen Opfer derartig zurichten, vergewaltigen meistens nicht, sehr oft sind sie sogar impotent. Und sie stehlen auch normalerweise nicht – vielleicht ein persönliches Erinnerungsstück, quasi als Trophäe der Tat, aber Diebstahl aus Habgier ...?«

»Glaubst du wirklich, dass dieser Ausdruck passt?«

»Welcher?«

N'dabo deutete mit dem Daumen hinter sich, auf die Räume, in denen die beiden Opfer lagen.

»Normalerweise ... Bei so etwas?«

Kaltashi stieß einen Seufzer aus.

»Wenn du diesen Beruf erst einmal so lange ausübst wie ich, dann wirst du merken, dass in diesem Metier fast alles irgendwie normal ist und immer wieder vorkommt, selbst ein so scheußlicher Mord wie dieser.«

»Kann man sich daran gewöhnen, im Laufe der Zeit, meine ich?«

Kaltashi zögerte mit der Antwort.

»Der Täter vielleicht, wenn wir ihn nicht schnappen«, sagte er dann und blickte N'dabo in die Augen. »Ich nicht!«

Der Türsummer ertönte und kündigte die Ankunft der Spurensicherung an. Die Syntronik öffnete wie befohlen, und die beiden Kriminalisten begrüßten ihre Kollegen auf dem Flur.

»Es sieht ziemlich scheußlich aus«, klärte Kaltashi die Kriminaltechniker auf, eine ältere Frau um die hundertdreißig und zwei jüngere Männer in den Vierzigern. »Macht euch auf allerhand gefasst.«

»Worum geht es, vermutlich?«

»Sexualmord, Lustmord, Raubmord, was weiß ich? Es wird eure Sache sein, die Tatumstände aufzuklären. Es gibt zwei Opfer, und in einem der Räume schwappt eine sämige Masse auf dem Boden, deren Ursprung mir ein Rätsel ist. Aber das Zeug könnt ihr euch später ansehen ...«

Die Frau nickte. »Machen wir uns an die Arbeit«, sagte sie und verließ den Flur, zusammen mit ihren Begleitern.

»Weißt du, was ich glaube?«, fragte N'dabo.

»Lass hören ...!«

Jede Ablenkung von der Erinnerung an die beiden Leichen war Kaltashi hoch willkommen.

»Erstens: Der Täter ist vermutlich über die Terrasse eingedrungen. An der Türsyntronik wäre er nicht vorbeigekommen, weder mit Tricks noch mit Gewalt. Aber wenn das Opfer die Terrassentür hat offenstehen lassen, vielleicht wegen der tropischen Düfte, dann war es ein Kinderspiel.«

Kaltashi nickte, obwohl er diese These wenig überzeugend fand. Es wäre, unter Sicherheitsgesichtspunkten betrachtet, sehr inkonsequent gewesen, die Vordertür abzuriegeln und die Hintertür so bequem offenstehen zu lassen. Aber Menschen waren nun einmal inkonsequent, und das konsequent ...

»Und ich wette, dass in dem Beutel der gestohlene Schmuck ist, was sonst?«

Kaltashi grinste.

»Und warum hat der Täter den Beutel hier zurückgelassen? Weil ihn die Reue gepackt hat?«

»Du kannst dir deinen Sarkasmus sparen, Alter«, gab N'dabo zurück. Er kniff die Augen zusammen und legte die Stirn in Falten.

»Wird dir wieder übel?«, erkundigte sich Kaltashi.

»Nicht übel ...«, antwortete N'dabo mit leisem Stöhnen. »Mir ist, als würde mir jemand ein glühendes Eisen ...«

Er brachte den Satz nicht bis zum Ende. Nun laut aufstöhnend, sank er in die Knie und presste beide Hände gegen die Magengrube. Er krümmte sich.

Kaltashi wollte ihm aufhelfen, aber in diesem Augenblick setzte auch bei ihm der Schmerz ein. Er kam überfallartig und war so intensiv, dass auch Kaltashi ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Eine fürchterliche Ahnung stieg in ihm auf.

Während der Schmerz so stark wurde, dass er seinen Körper kaum noch unter Kontrolle hatte, raffte er sich zu einer letzten Maßnahme auf.

»Syntron!« Seine Stimme klang scharf und gepresst; nur mit Mühe brachte er die Worte verständlich heraus. »Riegle die ganze Wohnung ab. Niemand darf sie verlassen, niemand, auch wir nicht. Gib Seuchen- und Giftalarm und fordere den Einsatz von Spezial ...«

»Oohhh!«

Sengu N'dabo richtete sich ächzend auf.

»Du glaubst ...?«

Kaltashi nickte mit letzter Kraft.

2.

Terra, Sommer 1281 NGZ:

»Wie viel?«

Brendon Praack war blass vor Angst, und mehr als diese Frage brachte er nicht hervor. Die Frau auf dem Sitzplatz neben ihm war Anwältin und hatte ihn im Gericht vertreten; Praack fand, dass sie ihre Sache gut gemacht hatte. Sie hatte alles vorgebracht, was er zu seiner Rechtfertigung und als Erklärung gesagt hatte, nichts ausgelassen, und sie war entschieden redegewandter gewesen, als Brendon Praack es jemals hätte sein können.

Sie blickte ihn aus klaren Augen an. Eigentlich war sie genau der Typ Frau, vor dem sich Brendon Praack immer gefürchtet hatte. Sie hatte Selbstbewusstsein, man merkte es an jedem Wort, das sie sagte, auch an der Art, wie sie sich bewegte. Und sie sah verdammt gut aus, Klassefigur mit ordentlichen Titten, von denen sie allerdings nicht viel zeigte. Wahrscheinlich hatte sie schon eine ganze Reihe von Liebhabern gehabt und kannte sich im Bett bestens aus. Wenn er sich getraut hätte, hätte Brendon Praack gern in Erfahrung gebracht, wie gut sie war, wenn sie die Beine spreizte ...

»Mach dir keine Illusionen«, sagte die Anwältin ernst. »Du wirst die Erde für sehr lange Zeit nicht wieder sehen.«

»Aber ...?«, stammelte Brendon Praack entgeistert. »Du hast doch dem Richter alles erklärt ...?«

»Er wird dir gleich selbst sagen, was er davon hält. Ich habe vorgetragen, was du mich gebeten hast zu erzählen. Aber glaube nicht, dass du damit den Richter beeindruckt hast.«

»Ich habe gedacht, Robotrichter wären besonders fair und objektiv ...«, stieß Praack hervor.

»Sind sie auch«, antwortete die Frau sehr ruhig. »Vor einem mit Menschen besetzten Gericht würde die Strafe wahrscheinlich noch saftiger ausfallen ... Aha, wir sind dran ...!«

Sie zog Brendon Praack auf die Beine, fasste ihn am Ellenbogen und zerrte ihn mit sich in den Gerichtssaal. Es war ein nüchterner Raum mit einer halbwegs gemütlichen, zweckdienlichen Einrichtung; ähnliche Räume wurden sehr oft für Besprechungen und Konferenzen benutzt. Lediglich das eine Ewigkeit alte Symbol der Gerechtigkeit verriet, worum es sich bei diesem Raum handelte. Brendon Praack warf einen Blick auf die schlanke Frauengestalt mit den verbundenen Augen und der Pendelwaage in der rechten Hand; in der Linken hielt sie, auf den Boden gerichtet, ein Schwert.

Der Richter betrat den Raum. An diesem besonderen Typ von Roboter hatten die Experten lange gebastelt. Er sollte respekteinflößend sein, wie es seinem Amt zukam, auch würdevoll, zugleich aber freundlich und verständnisvoll. Er hatte Brendon Praack sehr eingehend befragt, und seine Antworten und Fragen hatten Brendon gezeigt, dass der Richter alles gehört und auch alles begriffen hatte, was Brendon und seine Anwältin vorgetragen hatten.

»Setz dich«, sagte der Richter freundlich und machte eine einladende Handbewegung. »Wir werden den Fall noch einmal sehr genau durchgehen, und ich werde dir sagen, an welchen Stellen du welche Fehler gemacht hast. Und dann wirst du hoffentlich begreifen, warum du bestraft werden musst und wie hoch.«

Brendon Praack schluckte.

Die Verhandlung vor dem Gericht war öffentlich gewesen. Die Eltern und die Freunde des Mädchens hatten hinter Brendon Praack gesessen, und es hatte ihn unglaublich geniert, alles das sagen zu müssen, was ihm vielleicht helfen konnte. Er hatte gestottert und gestammelt, wie immer, wenn er sehr aufgeregt war, und die Verachtung der Besucher hatte er ganz deutlich gespürt. Auch die Abscheu seiner eigenen Freunde; sie hatten keinerlei Mitgefühl mit ihm gezeigt, stattdessen, so war es Praack vorgekommen, hatten sie das ganze Verfahren genossen wie eine Live-Inszenierung eines spannenden Gerichtsfilms. Verdammte Bande. Sie hätten es verdient gehabt, dass er vor dem Richter geplaudert hätte über alles, was sie zusammen angestellt hatten, er immer vorneweg. Bloß hatten sie sich nie getraut, mit ihren Sprüchen jemals ernst zu machen. Er hatte, und dafür saß er jetzt in der Falle.

»Du bist jetzt dreiunddreißig Jahre alt«, begann der Richter. »Das ist wichtig, weil du damit erwachsen und voll verantwortlich bist für alles, was du tust oder lässt. Und du bist in vollem Maße straffähig, auch das ist wichtig. Tatsächlich spricht, wie du gleich begreifen wirst, dein Alter sogar gegen dich.«

Brendons Lippen begannen zu zittern. Zehn Jahre, dachte er, sie werden mich zu zehn Jahren verurteilen. Das stehe ich niemals durch ...!

»Dein Problem ist, so hast du selbst zu erklären versucht, dass du schüchtern bist, vor allem im Umgang mit Frauen.«

Brendon Praack senkte langsam den Kopf. Er wusste, dass die Anwältin neben ihm saß; er konnte ihr Parfüm riechen, ein Duft, der ihn zugleich anlockte und ihm Furcht einflößte.

»Deine sexuellen Erfahrungen beschränken sich auf einige flüchtige Abenteuer für eine Nacht, meist in Zusammenhang mit ziemlich viel Alkohol. Und diese Abenteuer waren für dich weniger befriedigend als vielmehr peinlich.«

Es war eine Qual, sich das anhören zu müssen, vor allem, wenn diese Frau im Raum war. Wahrscheinlich verachtete sie ihn ebenfalls und hatte ihn nur deshalb vor Gericht vertreten, weil er dafür ordentlich gezahlt hatte. Verdammt, wenn sie für ihn sprach, obwohl sie ihn gar nicht mochte ... Für das Geld hätte sie sich von ihm auch ficken lassen können, dann hätte er jetzt nicht in diesem Raum sitzen und schwitzen müssen. Seine Hände waren feucht, sein Rücken und seine Stirn waren klatschnass. Immer wenn er aufgeregt war, schwitzte er derartig; es war einfach grässlich.

»All das ist dir seit langem bekannt«, fuhr der Richter mit gelassener Stimme fort; der Blick, mit dem er Brendon Praack betrachtete, war immer noch freundlich, aber es war auch eine gewisse Distanziertheit zu erkennen.

Wirklich erstaunlich, was die Hersteller von Robotern heutzutage alles fertigbekommen, dachte Brendon Praack. Der Kerl sieht verdammt echt aus. Wenn man nicht wüsste, dass es sich um einen Roboter handelt, könnte man glatt auf den hereinfallen. Hmm, ob sie ihm wohl auch einen Schwanz verpasst haben? Vielleicht treibt er's ja ...

Er schrak auf, als sich irgendetwas änderte, dann sah er leise Missbilligung in den Augen seines Gegenübers aufscheinen.

»Ja?«, entfuhr es Brendon Praack.

»Du hast zugehört?«, fragte der Richter.

»Klar doch«, stieß Brendon Praack hervor. »Alles mitgekriegt, alles.« Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, wovon zuletzt die Rede gewesen war. »Ja, sicher habe ich das gewusst, Richter. Bin doch nicht blöde ...«

Sekundenlang schwieg der Richter, seine Miene wirkte jetzt ausdruckslos. Brendon Praack setzte sich auf seinem Platz auf. Er hatte keine Lust mehr, sich vorführen und demütigen zu lassen. Was bildeten sich die beiden eigentlich ein, wer oder was sie wären ...?

»Punkt eins«, sagte der Richter dann. Seine Stimme hatte sich verändert. Der warme, verständnisvolle Tonfall war verschwunden, an seine Stelle war ein kalter, sehr beherrschter Klang getreten, der sofort eisige Angstschauder über Brendons Rücken laufen ließ.

»Du bist erwachsen. Punkt zwei: Du weißt, dass du ein emotionales oder seelisches Problem hast«, sagte der Richter laut und deutlich. »Punkt drei: Deine Erziehung ist nicht schlecht gewesen, das bedeutet, dass du auch darüber informiert bist, dass es Spezialisten zur Behebung von emotionalen oder seelischen Problemen gibt.«

Brendon starrte den Richter entgeistert an.

»Du meinst, ich hätte zu einem dieser verdammten Seelenklempner gehen sollen?«, fragte er. »Freiwillig? Ich? Als hätte ich einen Sprung in der Schüssel ...?«

Die Augen des Richters wurden kleiner und bedrohlicher.

Dieser Blechkerl beherrscht seine Gesichtszüge besser als jeder menschliche Schauspieler, durchfuhr es Brendon. Und jetzt ist er offenbar böse geworden. Soll er doch ...

»Du bist bereits zweimal wegen sexueller Belästigung angezeigt worden, einmal als Schüler von einer Mitschülerin, einmal als Erwachsener von einer Arbeitskollegin. Im ersten Fall bist du streng verwarnt, im zweiten Fall zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt worden. Dir ist dringend empfohlen worden, einen Psychologen, Psychotherapeuten, Seelenarzt, Psychiater, Neuroingenieur oder Psychohygieniker aufzusuchen; außerdem ist dir angekündigt worden, dass du bei einem neuen Delikt dieser Art sehr streng bestraft werden würdest.«

Brendon machte eine wegwerfende Geste; seine Angst war jetzt verschwunden, seine Hände fühlten sich wieder trocken an. Man durfte sich eben nicht selbst kleinmachen. Auf den Putz hauen, wenn es nötig war, sich nicht unterkriegen lassen, schon durch eine klare und deutliche Sprache vermitteln, dass man ein Kerl war – so musste man es machen.

»Vor einigen Tagen hast du versucht, ein Mädchen zu vergewaltigen. Als sie dich mit Drohungen verscheuchen wollte, sie würde es ihren Eltern sagen und den Behörden ...«

»Mir sind die Nerven durchgegangen«, stieß Brendon hervor. »Kann doch jedem passieren, oder? Du hast doch selbst gesagt, dass ich psychische Probleme habe ... nicht wahr? Stimmt doch?«

»Richtig«, antwortete der Richter. »Und vor einigen tausend Jahren, als es noch keine praktische Seelenkunde auf wissenschaftlicher Grundlage gegeben hat, hätte dieses Argument zu deinen Gunsten gesprochen. Heute aber, wo nahezu jedes Kleinkind weiß, dass man sich bei seelischen Problemen an geschulte und tüchtige Fachleute wenden kann, heute sticht dieses Argument nicht mehr. Hättest du fachmännische Hilfe in Anspruch genommen, wäre es niemals soweit gekommen. Du hast dieses Mädchen getötet, und du trägst die volle, uneingeschränkte Verantwortung dafür. Deswegen verurteile ich dich im Namen des Volkes der Liga Freier Terraner zu einer Haftstrafe von acht Jahren, sofern du dich einer Psychotherapie unterziehst, damit es nicht noch einmal zu einer solchen Straftat bei dir kommt.«

Brendon Praacks Rücken versteifte sich.

Verdammt, acht Jahre! Gut, das ist weniger, als ich befürchtet habe, aber Seelenklempnerei? Ich soll zu den Bekloppten und Blöden, niemals ...!

Er schüttelte heftig den Kopf.

»Niemals«, sagte er. »Das lasse ich nicht mit mir machen, da könnt ihr machen, was ihr wollt. Nicht mit Brendon Praack.«

»Brendon«, zischte die Anwältin in sein Ohr. »Reiß dich zusammen! Du kannst nicht billiger wegkommen. Der Richter ist ohnehin erstaunlich großzügig.«

Brendons Kopf zuckte heftig hin und her, in einer krampfhaften Geste der Abwehr.

»Nein«, sagte er heftig. »Das lasse ich nicht mit mir machen. Niemals werde ich da mitmachen.« Er grinste breit und boshaft. »Außerdem, das weiß ich noch aus der Schule, ist eine Therapie gegen den Willen des Patienten gar nicht zu machen. Also versucht es gar nicht. Ich lasse mich doch nicht zum Ballaballa-Typen deklarieren. Und du ...« In letzter Sekunde riss er sich zusammen. Er funkelte die Anwältin wütend an, dann machte er eine wegwerfende Handbewegung.

Der Richter blieb völlig ruhig.

»Ist das dein letztes Wort in dieser Sache?«, fragte er gleichmütig und blickte Brendon gradlinig an. Er brauchte sich keine Aufzeichnungen zu machen. Alles, was er sagte, hörte oder optisch wahrnahm, wurde automatisch gespeichert und archiviert für die Ewigkeit. »Bedenke die Folgen, wenn du mein Angebot ablehnst.«

Brendon Praack zitterte am ganzen Leib. Er hatte Angst vor einer noch härteren Strafe, und er hatte Angst, als Schwächling zu erscheinen, dem man alles zumuten konnte, der sich alles gefallen ließ und vom Richter und seiner eigenen Anwältin hin und her geschubst wurde.

»Es ist mein letztes Wort, und ich weiß, was ich sage. Ich werde mich nicht in ein Irrenhaus sperren lassen.«

»Deine Ausdrücke beweisen, dass du keine Ahnung hast, Brendon!«, sagte die Anwältin heftig. »Dort wird man dir helfen, es sind erfahrene Leute, und ihre Wissenschaft ist Jahrhundertealt und erprobt. Du kommst entschieden billiger weg, wenn du diesen Weg gehst.«

Brendon Praacks Rücken schmerzte, da sich alle Muskeln verspannt hatten. Er wollte jetzt nicht einbrechen und sich geschlagen geben. Wenn er es tat, wie stand er dann vor seiner Gang da?

War diese dumme Ziege das wirklich wert gewesen? So toll hatte sie gar nicht ausgesehen, und als er ihr an die Wäsche gegangen war, hatte sie zuerst gar nicht begriffen, worum es ging. Aber dann hatte sie gekreischt und geheult und angefangen, ihm zu drohen. Garantiert hätte die dumme Kuh gequatscht und ihn fürchterlich blamiert, und als er nach ihr gepackt und ihr den Hals zugedrückt hatte, um sie endlich zum Schweigen zu bringen ... In diesem Augenblick hatte er geahnt, dass er dabei war, eine Riesendummheit zu machen. Wenn sie quatschte – vielleicht tat sie's ja auch nicht, weil die Sache für sie selbst blamabel sein konnte –, dann war das weitaus weniger schlimm, als wenn er sie jetzt auch noch würgte und womöglich ...

»Das ist mein letztes Wort!«, hörte Brendon Praack sich selbst sagen. Er fand, dass seine Stimme zu hoch und zu aufgeregt klang. Dann hörte er, wie die Anwältin neben ihm einen Seufzer ausstieß.

»In diesem Fall ... Sieh mich an, Brendon Praack ...!«

Praack, der dem Richter über die Schulter geblickt hatte, suchte nun dessen Augen. Sie blickten hart.

»In diesem Fall verurteile ich dich kraft meines Amtes zur Verbannung. Brendon Praack, du wirst hiermit ausgeschlossen aus jener Gesellschaft, deren Regeln zu befolgen du dich weigerst. Wir wollen nichts mehr mit dir zu tun haben, sowenig, wie du mit uns zu tun haben willst. Ich ordne außerdem an, dass du binnen kürzester Frist auf dem Planeten Folsom ausgesetzt und dort deinem Schicksal überlassen wirst.«

»Augenblick!«, schrie Brendon Praack auf. Schieres Entsetzen hatte nach ihm gegriffen. »Verbannung? Was heißt das? Wo bringt ihr mich hin? Und wie lange ... wie lange wird es dauern?«

Er war aufgesprungen und hatte den Richter an den Schultern gepackt. Der machte nur eine lässige Bewegung und befreite sich mühelos aus Brendons Griff. Seine Stimme klang leise, als er antwortete:

»Man wird dich gelegentlich während der Verbannung darauf prüfen, ob sich dein Charakter zum Besseren verändert hat. Ist dies geschehen, wirst du wieder freigelassen und zur Erde zurückgeschickt.«

»Und wenn nicht? Wie lange dauert es dann?«

Die Antwort des Richters kam zögernd.

3.

Folsom, Sommer 1281 NGZ:

»Willkommen«, sagte der Mann gut gelaunt, als Brendon Praack die Augen öffnete. »Du bist auf Folsom, und das hier ist deine neue Heimat ...«

Brendon zwinkerte und versuchte sich zu orientieren. Der Mann saß neben ihm auf dem hellen, feinkörnigen Sand. Genau voraus war die Dünung zu erkennen, ein grünblaues Meer, die Wellen von weißer Gischt gekrönt. Darüber ein wolkenloser Himmel. Es war angenehm warm, und in der Luft lagen seltsame, aber durchaus angenehme Gerüche.