Speeddating mit Todesfolge - Johannes Heidrich - E-Book

Speeddating mit Todesfolge E-Book

Johannes Heidrich

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit frischem Elan kommt Kommissar Büchele aus der Kur und dann gleich diese Hiobsbotschaft: Sein Schulfreund Albert ist verschwunden. Das lässt ihm keine Ruhe. Als dessen Leiche gefunden wird, schwört sich Büchele den Mörder zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt rechnet er noch nicht damit, dass dieser Fall ihn tief in das zwielichtige und scheinheilige Geschäft der käuflichen Liebe führen wird. Zu allem Übel tauchen dann auch noch ein nicht identifizierbarer Torso sowie die Fingerabdrücke eines vor Jahren verstorbenen Mannes auf. Als Büchele letztlich alle Hintergründe aufdeckt und dem Mörder gegenüber steht, wird es gefährlich - lebensgefährlich. Der Täter hat ihn im Visier und zielt auf ihn. Schuss!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Schluss mit lustig

Auge um Auge

Auszeit

Bauerntrumpf

Obstkuchen

Eichbottsee

Sumpflandschaft

Agentur Sunshine

Spiel mit mir

Wegwerfgesellschaft

Vergangene Tage

Falsche Kombination

Sterben müssen wir alle

Wechselbalg

Florence in Colorado

Schluss mit lustig

Kriminalhauptkommissar Franz Büchele hatte sich seinen Kuraufenthalt in Bad Teinach anders vorgestellt. Die Kur wurde schnell genehmigt und er fuhr eine Woche später in das abgeschiedene Kurdomizil. Das kleine Zimmer mit Aussicht auf den Schwarzwald war für ihn die Beruhigung, die er sich schon immer gewünscht hatte. Keine Kollegen, keine Entscheidungen fällen müssen, nichts von der alltäglichen Last der Arbeitswelt lag auf seinen Schultern. Neben Gymnastikübungen und Trinkkuren stand Wassertreten auf seinem täglichen Programm.

Ausgedehnte Spaziergänge und Unterhaltungen mit Kurgästen trugen das übrige zu Bücheles Entspannung bei. Keine Frage, seine Magenbeschwerden verschwanden und das Rückenleiden wurde durch seine täglichen Übungen erträglicher, aber an das Wasser trinken hatte er sich nicht gewöhnt. Sein morgendliches Gemecker in der Schwarzwälder Trinkhalle war bekannt.

››Pfui Teufel, im Wasser poppen Fisch und des soll i dringe? Ich glaub mein Muli briemelt‹‹, war seine ständige und aufrichtige Aussage. Jetzt, am letzten Tag seines Aufenthaltes, war er froh, alles hinter sich zu haben. Lässig schlug er sein letztes Frühstücksei am Tisch seiner Gruppe auf. Mit seinem geblümten kurzärmligen Hemd und dem Strohhut auf dem Kopf machte er den Eindruck eines zufriedenen Kurgastes.

Beneidenswert saß er zurückgelehnt im Stuhl und genoss das letzte Frühstück hier im Schwarzwald, während die Führungskraft der Frühstückshalle, Frau Riemann, von hinten auf ihn zusteuerte.

››Herr Büchele?‹‹

Franz erkannte die resolute Stimme und drehte sich langsam zu ihr um.

››Frau Riemann, was kann ich für Sie an so einem sonnigen Freitagmorgen tun? Haben Sie einen besonderen Wunsch oder möchten Sie sich an meinem Entlassungstag zu uns setzen?‹‹

Er erhob sich vom Stuhl und überragte Frau Riemann um einen ganzen Kopf. Das hielt Frau Riemann nicht davon ab, ihm ihr Anliegen klar und unmissverständlich mitzuteilen. Sie stand mit ihrem pummeligen Körper direkt vor ihm und sah nach oben.

››Herr Büchele, könnten Sie bitte diese Mütze vom Schädel nehmen oder was soll die Maskerade?‹‹

Lässig sah Franz auf sie herab. Mit seinem schwäbischen Slang musste er nicht lange in seinem Vokabular kramen, bevor er antwortete.

››Erschtens, isch des koi Mütz, sondern en Strohhut.

Zwoitens, isch mei Kopf koin Schädel und Drittens, isch des hier mei letschter Dag den i verbring wie i möcht. Und rege se me net uff, ich han e schwachs Herz, hat de Quacksalber gmoind! Hosch me verstande, Mädle? Oder du nemmsch Platz und setzsch dich uff dei vier Buchstabe an de Disch und stopfsch dir e Weckle in die Kauleischt.‹‹

Perplex über solch eine mutige Aussage wandte sie sich von ihm ab und verschwand in Richtung Küche.

Alle Anwesenden begannen zu klatschen. Bis jetzt hatte sich noch niemand erdreistet, sich über das Personal hinwegzusetzen. Büchele zog seinen Hut und bedankte sich für das Klatschkonzert mit einem Diener. Keine zwei Stunden später saß er wieder in seinem alten, geliebten 200er Audi auf dem Fahrersitz und verließ schnellstens die Kurstätte in Richtung Heimat.

Am frühen Nachmittag rollte sein Gefährt eher langsam und bedächtig auf das Anwesen Fischer zu. Am äußeren Tor öffnete er die Verriegelung, blickte nach oben und las: ››Weinvilla Fischer.‹‹ Zufrieden brummelte er vor sich hin.

››Endlich dohoim, do ischs doch am schenschte.‹‹

Er hatte keinem gesagt, an welchem Tag er ankommen würde. Brimborium um seine Person konnte er nicht leiden. So war es verständlich, dass ihn, seiner Meinung nach, niemand erwartete und freudestrahlend in die Arme schließen würde.

Es war ruhig auf dem Hof und niemand war zu sehen.

Worüber Franz sich keine Gedanken machte.

Aber welch ein Gebrüll ging los, als er die Haustüre mit seinem Schlüssel öffnete. Ein donnerndes ››Herzlich willkommen Franz!‹‹, schlug ihm aus zahlreichen Kehlen entgegen. Gisela, die Verwalterin des Fischer Anwesens hatte alle informiert und eingeladen. Alle waren gekommen. John, Polly, Lilly Hansen und sein Chef.

Selbst Staatsanwalt Krümmbusch, den er lieber von hinten, als von vorne sah war anwesend. Eine Menschentraube hatte sich um ihn gebildet und weit hinten winkten ihm Max, sein Freund und Partner, sowie Brigitte Kohlmarx vom Ländle TV zu. Gisela hatte in der großen Scheune kulinarisch angerichtet und Franz musste alles berichten, was er in den vier Wochen erlebt hatte. Aber das Erste, wonach Franz der Sinn stand, bekräftigte er sofort.

››Gisela bring mir bitte eu Weißweinschorle. I hed so en Dorschd. I han die ganz Zeit Fischwasser trinke misse.‹‹

Alle lachten. Die lustige Runde schwatzte noch ewige Zeiten, bis Brigitte sich für eine Laudatio von ihrem Sitzplatz erhob, sich einen Suppenlöffel nahm und damit lautstark gegen eine Milchkanne schlug.

››Ruhe meine Herrschaften, ich habe was zu verkünden. Jeder der hier Anwesenden weiß, wie notwendig die Kur für unseren Franz war. Und wir wünschen ihm ein langes, gesundes und sorgenfreies Leben. Lieber Franz, wir haben uns folgendes als Überraschung ausgedacht.‹‹

Kleine, unwichtige Gedanken huschten in diesem Moment durch sein Unterbewusstsein. Vier Wochen lang musste er auf ihren Intellekt und auf die Konversationen mit ihr verzichten. Jetzt schien alles im grünen Bereich zu sein.

Er lächelte zurück und erhob sein Glas Weißweinschorle. Sie unterbrach seine Gedankengänge, als sie weiter ausführte.

››Wir haben uns bei der Kurverwaltung heimlich über dein tägliches Wohlbefinden erkundigt. Und was noch wichtiger ist, wir haben uns erkundigt, was wir in Zukunft tun können, damit es dir noch besser geht als zuvor.‹‹

Donnernder Applaus begleitete ihre Rede. Sie ging jetzt mit ihrem Löffel in der Hand nach vorn, bestieg eine bereitgestellte Bierkiste und baute sich vor allen Gästen demonstrativ auf.

››Komm bitte mal nach vorne, Franz!‹‹

Franz schälte sich aus seiner Sitzposition heraus und begab sich langsam nach vorn. Brigitte drehte sich ihm zu, zwinkerte ihn kurz an und wandte sich, wieder dem begeisterten Publikum zu.

››Meine Herrschaften, einige von euch haben an ihren Chef, Freund oder Kollegen gedacht und mitgeholfen dies hier zu bewerkstelligen.‹‹

Franz spitzte seine schwäbischen Ohren und erwartete Großes. Bekomme ich ein Geschenk? Eine Schiffs- oder Urlaubsreise vielleicht?, dachte er. Brigitte Kohlmarx wandte sich ihm zu.

››Franz, wir alle hier möchten, dass es dir gut geht und haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um dir ein angemessenes Geschenk zu unterbreiten. Auch unser treuer Staatsdiener, dein Chef Herr Kastfeld, hat etwas dazu beigesteuert. Für diese Sache spendiert er dir, aus besonderem Grund versteht sich, noch eine Woche Sonderurlaub.‹‹

Büchele lächelte übertrieben stark. Franz dachte an den großen Urlaub, als Brigitte ihn geistig auf den Boden der Scheune zurückholte.

››Wir, lieber Franz, haben an deine Gesundheit gedacht.‹‹

Beim Wort Gesundheit wurde das Lächeln von Herrn Kriminalhauptkommissar Büchele zaghafter.

››Wir wissen, dass Großes ansteht.‹‹

Sie sah ihn an.

››Übernächste Woche beginnt die Tour de Ländle.

Und dazu, zum Radeln also, haben wir dich angemeldet.

Aber damit du nicht allein auf weiter Flur in die Pedale trittst, habe ich Urlaub genommen und fahre mit.‹‹

Urplötzlich war Bücheles Lachen wie ausradiert. Er fühlte sich buchstäblich überradelt. Und Radfahren war eh nicht sein Ding, da schmerzten ihm immer seine vier Buchstaben. Ein absolutes No-Go für ihn. Vor etlichen Jahren hatte er einen Drahtesel bestiegen und diese Fahrt endete in einem Maisfeld. Böse Erinnerungen kamen in ihm auf. Wie sollte er aus dieser Situation herauskommen? Jetzt fiel ihm die absolut beste Lösung ein. Mit einem gespielten Lächeln wandte er sich an die Gesellschaft und Brigitte, deren französischer Vorname für ihn immer noch wie ein deutsches Brigitte klang, ohne dass er deren französische Sprech- und Schreibweise je verstanden hatte. Er musste zugeben es sprach sich weicher als der deutsche Name Brigitte. Aber er hatte jetzt ein ganz anderes Problem. Wie konnte er seinen Freunden klarmachen, dass Fahrradfahren absolut nicht sein Ding sei? Er versuchte es mit einer taktischen schwäbischen List.

››Liebe Freunde und Brigitte, liebend gerne würde ich mit dir die Tour radeln. Es sind ja täglich, so viel ich noch vom letzten Jahr aus der Presse weiß, 80 Kilometer und das jeden Tag, eine ganze Woche lang.

Ein Klacks für einen wie mich. Aber ich habe ein kleines Problem.‹‹

Scheinbar ahnungslos, dennoch vorbereitet auf Bücheles Ausflüchte, wandte Brigitte sich ihm zu.

››Und welches Problem hast du damit, Franz?‹‹

Schauspielreif sah er ihr in die Augen und meinte lapidar mit einem rührseligen Ton: ››Ich besitze keinen Drahtesel.‹‹

››Lieber Franz, so was haben wir geahnt und deshalb haben wir alle zusammengelegt und uns beiden neue Fahrräder gekauft. Ist doch toll, nicht wahr?‹‹

In diesem Augenblick schoben John und Polly hinter ihm zwei nagelneue Räder aus der Scheune und stellten sie an Brigittes und Bücheles Seite ab. Seine gespielte Freude konnte es nicht verbergen. Bei Franz verrutschte augenblicklich die Kinnlade eine Etage tiefer. Sein Plan war nicht aufgegangen und er ergab sich in sein Schicksal. Eine Klatscheinlage aller Versammelten und die Aufforderung eine Runde zu drehen, ließen keine Zweifel aufkommen, da musste der Kommissar durch.

Mit einem aufgesetzten Lächeln und mit nur einer Hand hielt er das Damenrad, sodass Brigitte aufsitzen konnte.

Er seinerseits schwang sich, wie er es gewohnt war, auf sein eigenes Rad. Schon bei der ersten Runde im Hof spürte er seine Waden und was schlimmer war, seinen Bobbes. Wackelnd umrundete er mit Brigitte an seiner Seite das Anwesen. Außer Atem kamen beide nach kurzer Ausflugstour zurück. Hechelnd stieg Büchele ab.

››Eins brauche ich noch‹‹, warf er mit lauten Worten in die wartende Menge. Brigitte, die ebenfalls neben ihm zum Halten kam sah ihn an. Büchele tätschelte mit der Hand den Fahrradsitz, bevor er es laut verkündigte.

››Da muss ein Gelsattel her, sonst werde ich am Ärschle wund.‹‹

Alle begannen über so viel Witz zu lachen, den Büchele in dieser Situation noch aufbrachte.

Die folgenden, wenigen freien Tage mit Brigitte, fühlten sich an als wäre Franz Büchele im siebten Himmel angekommen. Selbst die Tour de Ländle, an der beide fröhlich teilgenommen hatten, bereiteten ihm und seinem Bobbes unerwartet weniger Schwierigkeiten als er zuerst befürchtet hatte. Das entspannte Beisammensein mit ihr, ohne Stress und Hektik saugte er in sich auf als wären das die letzten Tropfen eines warmen Sommerregens. Ein ausgiebiges Abendessen in einer täglich wechselnden Umgebung, sowie die abendliche Konversation mit Brigitte, rundete sein wohliges Gefühl der Zufriedenheit vollkommen ab.

Sein Sonderurlaub, den er mit einer wundervollen Fahrradtour verbrachte, ging viel zu schnell vorüber und der Polizeialltag holte ihn mit schnellen Schritten in die Welt des normalen Arbeitsalltags zurück. Keine Frage, Franz liebte seine Arbeit und so war es nicht weiter verwunderlich, dass er seinen ersten Arbeitstag weit vor der regulären Dienstzeit begann.

Montagmorgen, 5:30 Uhr. Büchele sah auf das Ziffernblatt seiner alten Uhr, während er vor seinem Dienstzimmer stand und langsam den Türgriff nach unten drückte. Mit einem leisen Quietschen, entgegen seiner lieb gewonnenen Gewohnheit sie aufzureißen, öffnete er die Tür des Dienstraumes und schloss sie leise hinter sich und drückte den Lichtschalter. Für einen Moment genoss er die Stille.

Kein Faxgerät ratterte, kein Telefon klingelte, nicht mal das nervende Blubbergeräusch des Wasserautomaten war zu hören. Büchele schritt auf seinen Arbeitsplatz zu. Frische Blumen strahlten ihn an. Er begann zu grinsen. Auf seinem Tisch hatte jemand auf ein Blatt Papier ein Herz aufgemalt und darunter in Großbuchstaben folgende Worte aufgebracht:

WIR SIND FROH, DASS DU ZURÜCK BIST.

FRANZ, DU HAST UNS GEFEHLT!

Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, schob seinen Strohhut nach hinten und fuhr mit der Handfläche über das Stück Papier. Er hatte das Gefühl, die Gedanken aller, die ihn liebten, fühlen zu können, als er vorsichtig mit seinen Fingern darüberstrich. Er stieß einen unüberhörbaren Seufzer aus und schmunzelte.

Dicke Kullertränen rannen ihm über sein Gesicht. Er hatte Freunde, die er nie gegen irgendetwas eintauschen würde: Seine Freunde. Er nahm einen Stift, versah das Blatt Papier mit einem Datum und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden.

Sekunden später wurde mit einem Ruck die Tür aufgerissen und Max Krüger, der den Raum betreten hatte, schlug sie hinter sich zu. Donnernd fiel sie ins Schloss.

Büchele wischte sich schnell die Reste seiner Freudentränen aus dem Gesicht. Mit einem Fluchen überspielte er seine Gefühle.

››Du Hutsimpel, kosch du die Tür au normal zumache?‹‹

Max schritt auf ihn zu und gab ihm die Hand.

››Erstens, guten Morgen Franz. Zweitens, schlägst du selbst die Tür jeden Tag zwanzigmal so zu. Da habe ich doch auch mal das Recht, sie lauter zu schließen, oder nicht?‹‹

Franz sah überrascht zu seinem Freund auf, als der vor seinem gegenüberliegenden Arbeitsplatz stehen blieb und Platz nahm. Max stellte seinen Sportrucksack neben sich ab, fischte die Vesperdose heraus und verstaute sie in einer der seitlichen Schubladen seines Schreibtisches. Erst jetzt sah er ihm ins Gesicht.

››Was ist los? Du blickst mich an wie eine Katze, wenn es donnert.‹‹

Büchele atmete tief durch.

››Du hast ja recht, entschuldige, dass ich dich angefahren habe‹‹, dabei begann er zum Schein in seinen Schubladen zu kramen. Es war ihm nicht leicht gefallen sich zu entschuldigen. Max bemerkte das sofort und sah ihn an.

››Franz!‹‹

››Was isch?‹‹

››Isch alles bei dir paletti, gohts dir au gut? Du dusch so hinter deim Schreibtisch, wie wenn en Dalai Lama Kurs im Urlaub gmacht hätsch. Bisch wirklich scho do?‹‹

››Keine blöden Sprüche, Max, klar bin ich hier. Wo sollte ich sonst sein? Daheim im warmen Bett?‹‹

Max kramte unter seinen vielen Papieren ein Memo hervor.

››Hier Franz, eine gewisse Heike Pfoh hat gestern zehnmal angerufen und nach dir verlangt. Sagt dir der Name was?‹‹

Er reichte ihm den kleinen Zettel mit der Adresse über den Tisch. Lange betrachtet Franz den Zettel, auf dem ››Heike Pfoh wohnhaft Ochsenburg-Aussiedlerhöfe Schritzklinge‹‹ stand. Lange überlegte er, bevor er sich an Max wandte und ihm in tadellosem hochdeutsch antwortete.

››Ich kenne keine Heike Pfoh, wer soll das sein?‹‹

Max tat wie er.

››Ich kenne den Namen auch nicht. Sie sagte…‹‹

Er kramte sein Notizbüchlein hervor.

››Hier, am Freitag hatte sie angerufen und wollte dich sprechen. Sie würde ihren Vater vermissen. Aber sie wolle keine Vermisstenanzeige aufgegeben, bevor du nicht mit ihr gesprochen hast.‹‹

Büchele schüttelte ratlos den Kopf.

Nach und nach trafen die Kollegen ein, um ihn mit einem Handschlag, sowie einem ››Guten Morgen Chef‹‹

zu begrüßen. Teilweise abwesend schüttelte er jedem die Hand. John Weirich aus Kiel, der offiziell vom Polizeichef Dirk Kastfeld, mit einer Planstelle ausgestattet, in Heilbronn eingesetzt wurde, trat vor Bücheles Tisch.

››Wieso hast du mich nicht geweckt und mit zur Arbeit genommen, Franz?‹‹, kam die entrüstete Frage.

››John hätte ich, aber so früh? Noch vor den Hühnern wärst du doch nicht aus den Federn gekrochen. Ich habe dir lediglich eine Stunde mehr mit deiner Polly gegönnt. War das etwa falsch?‹‹

John lächelte und druckste ein leises ››Danke‹‹ hervor, bevor er sich zu Rainer Kaufmann an den Arbeitsplatz begab.

Büchele wedelte mit der kleinen Notiz vor Krügers Gesicht herum.

››Max, mir sagt der Name Pfoh absolut nichts. Kein Schimmer, wer das sein soll. Und aus Ochsenburg kenne ich noch weniger Leute als du.‹‹

Max blieb locker und entspannt.

››Das ist mir klar und die gewisse Heike kennst du bestimmt nicht. Der Stimme nach könnte sie deine Tochter sein.‹‹

Verdutzt sah Franz seinen Freund an.

››Vielleicht kennst du ihren Vater, Albert Pfoh.‹‹

Büchele hatte ein entscheidendes Wort gehört und sprang wie vom Blitz getroffen auf.

››Heiligsblechle, jetzt fällt bei mir der Taler. Max, Albert Pfoh war am Gymnasium in meiner Klasse. Wir nannten ihn den Schweigsamen. Irgendwann, so hörte ich, soll er ein Mädchen aus dem Hohenlohe-Kreis geheiratet haben. Danach sah ich ihn nur noch rein zufällig zweimal auf dem Friedhof, beim Blumengießen.

Aber mehr weiß ich auch nicht.‹‹

Max zuckte neben ihm ratlos mit den Schultern.

Büchele erhob sich von seinem Platz und rief zu John hinüber.

››John, kannst du uns…‹‹

Er sah auf seine Uhr die halb Neun Uhr anzeigte.

››…sagen wir für Neun Uhr einen Dienstwagen besorgen? Wir müssen nach Ochsenburg. Dienstwaffe und alles Übliche mitnehmen. Rainer, du übernimmst hier die Koordination, solange Lilly nicht da ist, ok?‹‹

Max sah Franz an. So kannte er ihn, seinen Partner und Freund Kriminalhauptkommissar Franz Büchele, spontan, zielstrebig und energisch.

››Büchele is back, das ist unser alter Chef.‹‹

››Hast du was gesagt, Max?‹‹ Max schüttelte den Kopf.

››Was ist mit mir? Soll ich Däumchen hier drehen oder kann ich mit?‹‹ Büchele nickte.

Franz stand auf schob sich seinen Hut gerade und wandte sich ihm zu.

››Der Pfoh, ich mein, der Albert Pfoh, war ein ruhiger Typ. Besonnen und ebenso normal wie der Rest von uns, nie auf Stress aus. Wieso sollte ein Mensch einfach abtauchen und sich nicht mehr bei seiner Tochter melden? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Und außerdem brauche ich meinen ersten Arbeitstag nicht unbedingt hier in der warmen Bude verbringen. Wir machen einen Ausflug, nichts Dienstliches, und sehen dabei einfach nach dem Rechten. Du bist natürlich dabei. Hat was Max, oder?‹‹

››Wenn du es so siehst, wird es wohl so sein.‹‹

Büchele schnappte sich seinen Hut. Zwei Treppen runter, Tür auf und sie standen im Hof des Dezernats.

Ein Blick nach links verriet ihnen, dass der Wagen mit John schon da war.

››Sind die Herrschaften auch endlich mal unten angekommen?‹‹

Büchele öffnete die Beifahrertür und Max machte es sich im Fond des Dienstfahrzeuges bequem.

››Wohin geht die Reise?‹‹

››Nach Ochsenburg, bitte.‹‹

John sah nach hinten zu Max. Der streckte beide Hände hilflos in die Höhe. John war klar, eine Nachfrage bei Franz wäre zwecklos gewesen. Er gab den Namen in das Navigationsgerät ein. Sekunden später tönte die weibliche Stimme aus dem Lautsprecher: ››Die Route wird berechnet.‹‹

Büchele sah John gereizt an. Büchele wusste, wie er ohne Navi zu fahren hatte. Hier im Ländle war ein Norddeutscher am Steuer auf diesen Technikkram, wie er es nannte, angewiesen. Die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher meldete sich wieder.

››Der Straße folgen, in 500 Meter nach links abbiegen, auf die Oststraße.‹‹

John, der das Fahrzeug zum Tor bugsiert hatte, folgte den Anweisungen der Stimme und die Fahrt nach Ochsenburg begann entspannt.

Auge um Auge

Verwirrt und nackt, mit einem Knebel, genauer gesagt mit einer Trense zwischen den Zähnen, kam Thorsten Bundschuh zu Bewusstsein. Angekettet und fixiert mit ausgebreiteten Armen und Beinen, mit Leinenschnüren an eingelassenen Stahlringen befestigt, stand er zwischen zwei mächtigen Steinsäulen in einer verlassenen, zugigen und abgetakelten Werkhalle.

Aufgeregt hüpften seine Augäpfel hinter den geschlossenen Augenlidern auf und ab. Langsam begriff sein Verstand seine derzeitige Lage. Angst und Panik kamen in ihm auf. Er nahm unterbewusst und langsam die Warnung seiner geistigen Schaltzentrale wahr.

Thorsten bemühte sich, die schweren Lider anzuheben und seine Augen zumindest ein stückweit zu öffnen.

Unendlich lange und ergebnislose Versuche gingen voraus, bevor es ihm gelang, sie für wenige Sekunden zu öffnen. Zwischen der Trense und dem leicht geöffneten Mund, lief ihm der Speichel aus seinem Mundwinkel.

Das Adrenalin peitschte durch seinen Körper, um die eigene Willenskraft zu mobilisieren. Bei jedem weiteren Versuch die Augen zu öffnen, empfand er es als eine unsagbare Last, sie für längere Zeit offen zu halten.

Aufwachen, aufwachen, schrie ihn sein Unterbewusstsein an. Er unternahm einen Versuch den Kopf zu heben.

Es schien sinnlos zu sein. Drogen, man muss mir Drogen verabreicht haben, sauste der einzig zu erhaschende Gedanke, plausibel und logisch durch seinen Schädel.

Sein Atem ging stoßweise. Ruhig bleiben, ruhig bleiben, sagte ihm sein Verstand, der ihn langsam in die Realität zurückholte. Er versuchte unter großer Anstrengung langsamer zu atmen. Sein Herzschlag begann, sich von wild hämmernd auf normal einzupendeln.

Seine Anstrengungen trugen Früchte, als hätte jemand den Schalter umgelegt. Ruckartig öffneten sich seine Augenlider und sein gesenkter Kopf, der auf seiner Brust verweilte, schoss in die Senkrechte. Scheinbar wurden alle seine Sinne aktiviert. Durch riesige, zum Teil geborstene Glasscheiben fiel Sonnenschein in den schier endlos wirkenden Raum. Er sah nach oben, nach links und rechts. Nein, kein Wohnraum, kein Keller. Es war eine alte Maschinenhalle.

Jetzt erst bemerkte er, wie sich die schleichende Kälte des Bodens, von seinen nackten Füßen aus, in seinen Körper verteilte. Die Stricke an seinen Arm- und Fußgelenken ließen nichts Gutes erahnen. Was war passiert? Hektisch zerrte er an den Leinenstricken, die am Ende mit Gummibändern verstärkt waren. Eingelassene Eisenringe in den Steinsäulen taten ihr Übriges.

Sein Puls beschleunigte.

Panisch zerrte er erneut daran, wie ein gefangenes Tier.

Riesige Schweißperlen liefen über seinen Körper, die aufgerissenen Augen und sein hektischer Atem ließen Angst erkennen, Todesangst.

Er unternahm einen erbärmlichen Versuch nach Hilfe zu schreien. Durch seine Mundtrense klang es jedoch mehr wie ein röchelndes Geräusch als ein Schrei. Aber wer sollte ihn in dieser leeren Werkhalle hören? Seine mageren Laute waren viel zu leise und durch den Knebel unverständlich, um von jemandem außerhalb dieser Halle gehört zu werden. Kaum hörbar, gab er unter Schluchzen sein mickriges Unterfangen zehn Minuten später auf. Er versuchte sich zu erinnern.

Was war passiert? Bin ich entführt worden?

Seine Züchterkollegen hatten mit ihm ausgelassen gefeiert. So viel stand fest. Und dann? Er kramte weiter in seiner Erinnerung. Sie zogen von Kneipe zu Kneipe.

Und später schlug er vor, die leichten Damen des örtlichen Gewerbes zu besuchen. So oder so wäre er dort öfters, und prahlte vor seinen Freunden mit seiner Standfestigkeit als Stammgast. Nicht ohne auf den guten Preis hinzuweisen, den er oftmals aushandeln konnte.

Und wenn nicht, so beschrieb er es seinen Freunden, verlieh er seinem Wunsch den gewissen Nachdruck.

Dabei zeigte er ihnen sein Messer.

So viel war klar. Aber was kam dann? Seine Erinnerungslücke blieb bestehen. Langsam tropfte es von oben herab. Trotz strahlendem Sonnenschein entlud sich gerade ein leicht kühlendes Sommergewitter. Kleine Regentropfen fielen in ihren schimmernden Regenbogenfarben vom Himmel herab.

Thorsten verspürte Durst. Gierig versuchte er mit seinem spärlich geöffneten Mund, einige der Wassertropfen zu erhaschen. Jeden Tropfen, der ihm in den Mund fiel, löste ein unbeschreibliches Wohlgefühl in ihm aus. Er wusste nicht wieso. War es die Dankbarkeit? Die ungestillte Gier nach mehr, die in Thorstens Leben vorherrschte? Ein Reflex? Er versuchte seine Umgebung genauer wahrzunehmen. Alte, verrostete Maschinen standen in der Halle. Blätter, die durch die offenen Fenster ihren Einlass fanden, lagen verstreut am Boden. Kleine Glassplitter, die aus den oberen Deckenfenstern stammten, lagen vor seinen Füßen. Könnte er sich womöglich mit ihnen aus diesem Albtraum befreien? Nur wie?

Krächzend kamen durch die offenen Lichtschächte zwei Rabenvögel hereingeflogen und steuerten zielstrebig auf einen von der Decke herabhängenden Ausleger eines Lastkrans zu. Hier hatten sie sich, ungestört von Menschen, einen beachtlichen Horst eingerichtet. Unter Protest über den ungebetenen Gast, standen sie am Rand ihres Nestes und krächzten ihren lauten Unmut zu ihm herunter.

Er war keine fünfzig Schritte entfernt angekettet und schätzte seine Möglichkeiten auf Rettung ab. Die Glasfenster waren in einer geschätzten Höhe von drei Meter angebracht. Zu hoch für ihn, um von außen bemerkt zu werden. Aus dieser Richtung konnte er sich keine Rettung erhoffen. Ein ehemaliger Ausgang war mit alten Ziegelsteinen vermauert. Wie zufällig lag ein Berg Müll davor. Weshalb? Stand hinter dieser Aktion eine Absicht? War der Eigentümer dieser verlassenen Werkhalle darauf bedacht, unauffällig zu bleiben? Lag deswegen der Müll am vermauerten Eingang? Er blickte in die andere Richtung. Da, im linken Teil des Raumes war eine große Flügeltür aus Stahl. Er lauschte, ohne sich zu bewegen. Das Krächzen der Raben und das monotone Geräusch des Regens auf dem Dach unterbrach die Stille. Hatte er was gehört? Thorsten begann hektisch an den Seilen zu ziehen. Kurz verhielt er sich still, als ein undefinierbares Geräusch hinter der geschlossen Tür zu ihm herüberdrang. Wiederholt sah er sich um. Mit einem: Verdammt, ich sehe nicht was hinter mir geschieht. Ist da ein Ausgang? Meine Rettung? Wild warf er seinen Kopf zur Seite, um zumindest einen kleinen Blick nach hinten erhaschen zu können. Es war zwecklos.

Wie komme ich in diese Halle, in dieses verlassene Drecksloch? Er konnte sich nicht daran erinnern, dass die Feier hier seinen Abschluss gefunden hatte.

Thorsten begann zu schwitzen. Konnte er hier auf Rettung hoffen, wenn er sich nicht bemerkbar, geschweige von seinen Fesseln befreien konnte? Kraftlos ließ er den Kopf niedersinken und begann zu schluchzen. Die Füße schmerzten vom langen Stehen und die Muskeln begannen unkontrolliert zu zittern.

Ihre Anspannung gab nach, er sackte in sich zusammen und wurde ohnmächtig.

Jetzt hing er wie ein Stück Vieh, bereit zum Ausnehmen, oder zur Schlachtung, zwischen den mächtigen Steinsäulen. Stunden vergingen, ohne dass etwas geschah.

Sein Verstand vernahm Geräusche, unbekannte Geräusche und Stimmengewirr. Thorsten rappelte sich auf, seine Beine wollten ihm nicht gehorchen und rutschten auf dem nassen Boden, beim ersten Versuch auf ihnen zu stehen zur Seite. Doch dann, nach einigen Versuchen hatten seine nackten und nassen Fußsohlen vollen Kontakt mit dem kalten Steinboden. Er verzeichnete es als Erfolg. Kurz danach wurde hörbar ein Schlüssel ins Schloss geschoben und herumgedreht.

Er hob seinen Kopf. Eine Tür öffnete sich mit einem lauten Quietschen. Seine Rettung?

Er versuchte mit hektischen Bewegungen auf sich aufmerksam zu machen, was jedoch nicht nötig gewesen wäre. Er war das Ziel derjenigen, die durch das Eingangstor kamen. Thorsten glaubte zu fantasieren.

Nein, unmöglich, sagte ihm sein Verstand zu dem, was er zu erkennen glaubte. Drei Frauen. Nein, drei Grazien kamen auf ihn zu. Träumte oder fantasierte er? Er begann unwillkürlich in sich hineinzulächeln. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Unbeeindruckt von seiner Situation, stolzierten drei Frauen mit High Heels oder Overknees-Stiefel an den Füßen schmunzelnd auf ihn zu. Jede trug eine andere Kleiderfarbe und schob einen kleinen, aus Edelstahl gefertigten Rollwagen vor sich her, der mit einem weißen Tuch abgedeckt war. Er spürte, wie ihn seine unsichtbare Gier nach dem weiblichen Geschlecht ergriff. Sollte so seine Rettung aussehen? Er hätte nach all dem hier, seinen Freunden sicher viel zu berichten, die ihm vermutlich diese Geschichte nie geglaubt hätten.

Aber es sollte etwas anders ablaufen, als er es erwartete.

Als die Damen unweit vor ihm zum Stehen kamen, verstummte das Geräusch ihrer kleinen Absätze. Vor jeder der Grazien stand, abgedeckt, der kleine Stahlwagen. Thorsten versuchte sie zu taxieren. Wollten sie ihn retten, hätten sie ihn aus seiner misslichen Lage schon längst befreit. Leger und ungeniert legten sie ihre Hände auf die Hüften, um ihn eindringlich zu betrachten. Wortlos, stumm, ohne jegliche Emotion sahen sie ihn an.

Thorsten verstand die Situation total falsch. Mit ihren Blicken tasteten sie ihn ab. Die Blicke der Frauen verweilten kurz an seiner kleinen, geschrumpelten und für ihn hoch geschätzten nackten Männlichkeit. Thorsten Bundschuh versuchte die Damen nacheinander anzusehen. Alles an weiblichem Reiz, was seine männliche Gier auslöste, war vorhanden. Die große schlanke Dame links von ihm, trug einen nach oben geschlossenen schwarzen Lack- oder Lederdress, der nur ihre blonde lange Mähne und ein Stück ihres üppig gefüllten Dekolletés freigab. Ihr rundliches Gesicht gab bei einem kurzen Lächeln ihre strahlend weißen Zähne preis. Diejenige, die in der Mitte des Trios stand, hatte einen strengeren Blick. Sie trug einen feuerroten, für das Milieu üblichen kurzen ledernen Rock, eine gleichfarbige Jacke und dazu rote Handschuhe. Ihr schwarzes Haar war zur Pagenfrisur geschnitten. Ihre dunklen Augen blickten ihn ohne ein Mienenspiel an.

Thorsten begann zu hecheln. Er schien nichts Gutes zu ahnen. Die letzte Lady der drei Amazonen zupfte nervös an ihrer weißen Kleidertracht. Ihr rotes Haar versteckte sie unter einer kleinen weißen Schwesternhaube, die mit einem aufgeklebten kleinen roten Kreuz liebevoll verziert war. Große rote Locken fielen über ihre Schultern. Aufgeregt, wie ein Teenager, zupfte sie an ihrem keck wirkenden, weißen Minirock herum, der aus gefärbtem Latex bestand. Sie schenkte ihm mit einem aufgesetzten Wimpernschlag ein kleines Lächeln.

Nach einem kurzen Moment der Stille schien Bewegung in das Grüppchen zu kommen. Graziös verließ die Blondine in schwarz ihren Platz hinter ihrem Tischchen. Sie stolzierte langsam auf ihn zu, nicht ohne den zuvor entstandenen Blickkontakt mit Thorsten zu verlieren. Überlegen sah sie ihm ins Gesicht. Sie blieb mit gespreizten Beinen vor ihm stehen, sah ihm in die Augen und dann an ihm hinab. Thorsten zappelte, ohne großen Spielraum, wie ein Fisch an der Leine.

Unverständliche Worte entluden sich hinter seinem Knebel, denen die Blondine keine Beachtung schenkte.

Sie sah ihm in die Augen und strich ihm mit ihren schwarzen Handschuhen fürsorglich an seinen festgezurrten Armen von oben in Richtung seines Halses. Spielerisch griff sie in sein Haar und riss seinen Kopf nach hinten.

Angewidert ließ sie urplötzlich wieder los, starrte ihn an und umrundete ihn. Thorsten versuchte sich zu erinnern. Kannte er die Damen? Wenn ja, woher? Nochmals blieb die Blondine nach einer Umrundung vor ihm stehen, griff in ihre Tasche und zündete sich eine Zigarette an. Sie inhalierte tief und blies ihm den Rauch ins Gesicht. Angewidert von ihm, verzog sie ihr Gesicht und starrte ihn weiter an, als sie die Zigarette zu Boden fallen ließ. Sie sah nach unten und trat den angerauchten Glimmstängel mit ihren spitzen Lackschuhen aus. In diesem Moment, als sie sich nach vorne beugte, erkannte Thorsten auf ihrer linken Brust ein Tattoo, das zuvor von ihrer Kleidung verdeckt wurde. Eine rote Rose. Das Blut raste durch seine Adern. Zweifel ausgeschlossen? Sollte es tatsächlich Françoise, die Wirtschafterin aus dem Privatclub sein? Es gab keinen Zweifel, die Rose auf ihrer Brust gab es in ihrer Schönheit kaum mehrmals. Gedanken überschlugen sich. Er versuchte die Erinnerungsfetzen an die letzten Tage hervorzukramen. Nochmals sah die Dame in schwarz ihn an. Scheinbar mitleidig, tätschelte sie seine Wange, während er hinter seiner Trense versuchte ihren Namen keuchend auszusprechen.

Langsam drehte sie sich um und ging mit weiblich wippendem Schritt zurück zu den anderen Girls. Hinter ihrem kleinen Wagen tippte sie aufgeregt mit den Fingern auf dem Griffstück herum. Nickend sah sie ihre Kollegin in dem roten Outfit an, die keine zwei Meter neben ihr stand. Wie auf Kommando, nicht ohne ein innerliches Vergnügen, schlenderte sie ihrerseits jetzt auf Thorsten zu. Als sie sich hinter ihm positioniert hatte, zog auch sie ihn an seinen Haaren ruckartig nach hinten und flüsterte ihm ernst und leise kichernd ins Ohr.

››Bist du bereit zu sterben?‹‹

Sie zog von hinten ruckartig an den beiden Schlaufen des Knebels in seinem Mund, der ihn am Sprechen hinderte. Als sie ihn löste, fiel die Trense wie ein Stein aus seinem Mund und kullerte vor ihm über den Boden.

Hechelnd, keuchend und hustend rang Thorsten nach Luft.

››Ihr, ihr verfluchten Huren, was habt ihr mit mir vor? Bindet mich sofort los. Wie komme ich hierher? Fahrt zur Hölle ihr Weiber.‹‹

Unterdessen rüttelte er wie besessen an seinen Stricken.

››Ihr Abschaum, wenn ich frei komme, rechne ich mit euch widerlichen Nutten ab‹‹, war der letzte Satz, bevor die Dame mit dem Pagenschnitt, durch ihren wutentbrannten Zorn, mit einem Faustschlag auf den Wagen vor sich, seinem Wortschwall Einhalt gebot.

››Halt die Schnauze und sieh dich lieber mal an. Wer bist du denn? Einer der vorgibt jemand zu sein, der er nicht ist? Oder wieso glaubst du, bist du hier?‹‹

Langsam begriff Thorsten seine ausweglose Situation.

Er versuchte es mit der Mitleidstour.

››Wollt ihr Geld? Ich hab genug. Ich gebe es euch, aber bitte befreit mich aus dieser schamlosen Lage.‹‹

Alle drei Damen sahen sich an, bevor die Lady im roten Rock das Wort ergriff.

››So wie du hier rumhängst, nackt und ängstlich mit deiner kleinen Männlichkeit, so möchten wir dich haben.‹‹

Entsetzt blickte er die Frauen an.

››Helft mir bitte, ich habe nichts getan, ich schwöre es, großes Ehrenwort.‹‹

Schallendes Gelächter unter den Frauen brach aus, das mehr Verwirrung als Aufklärung in Thorsten Bundschuhs Verstand brachte. Er kam sich vor, wie ein angehefteter Schmetterling in einer Ausstellungsvitrine.

Er versuchte sich wiederholt von den Stricken zu befreien. Zwecklos. Nach einigen Sekunden meldete sich die blonde Dame in Schwarz, die sich als Wortführerin des Trios erwies, zu Wort.

››Erst zu den üblichen Formalitäten.‹‹

Mit einer schnellen Bewegung entfernte sie das weiße Laken, welches über ihrem Rollwagen lag. Zum Vorschein kamen, aufgereiht und fein säuberlich gefaltet, die Kleidungsstücke und Habseligkeiten von Thorsten. Neugierig starrte er auf das Tischchen, das keine vier Meter von ihm entfernt stand. Dahinter, wie bei einer Präsentation, standen ruhig und gelassen die Damen in Hostessenmanie. Er glaubte den Verstand zu verlieren. Die Blonde fuhr fort, als sie zwischen dem ganzen Berg von Habseligkeiten nach seiner Brieftasche griff. Sie holte eine EC-Karte und einen Führerschein hervor. Mit kurzen Schritten ging sie auf ihn zu und verglich die Fotos mit seinem Konterfei. Beruhigt zeigte sie einige Utensilien ihren Kolleginnen.

››Meine Damen, er könnte es sein.‹‹

Mit wippendem Schritt ging sie zurück auf ihre Position hinter das Tischchen. Mit klarem und bestimmendem Tonfall wandte sie sich mit einem Lächeln an Thorsten.

››Sind Sie Thorsten Bundschuh, wohnhaft in Heilbronn Birkenweg zwölf?‹‹

Thorsten, der keinen Plan hatte weshalb und weswegen diese Frage kam, wurde wütend.

››Steht alles in meinem Personalausweis oder kannst du Hexe nicht lesen? Oder sollte ich dich lieber Liebesluder Françoise nennen?‹‹

Giftig, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, sah sie über die Tatsache hinweg, dass Thorsten sie erkannt hatte. Es war hier nicht von Wichtigkeit. Wichtig war der Moment, der über Recht und Unrecht entscheidet, gestand sie sich heimlich ein. Sie hob seine Hose, Schuhe und das dunkelblaue Hemd nacheinander in die Höhe.

››Gehören diese Kleidungsstücke Ihnen, Herr Bundschuh? Ja oder nein?‹‹

Abwertend spuckte Thorsten vor Françoise auf den Boden.

››Was soll die dumme Fragerei, klar sind das meine Klamotten. Solch teure Wäsche kannst du dir nicht leisten du Flittchen.‹‹

››Nun Herr Bundschuh, ihre Kleidung ist maßgeschneidert und nicht von der Stange. Aber natürlich nicht so teuer, wie eines Ihrer Pferde. Sie haben doch ein Gestüt Herr Bundschuh, richtig?‹‹

Thorsten hörte Pferde und witterte seine Chance, um vielleicht so, aus der misslichen Lage zu kommen.

››Ja, ich habe ein Gestüt mit sagenhaften schönen Pferden, wenn du mich befreist, schenke ich jeder von euch eines. Ist das ein Angebot?‹‹

Lautes Gelächter schallte durch den Raum. Françoise sprach ihn jetzt leise an.

››Bekommen wir wirklich ein Pferd von Ihnen, Herr Bundschuh?‹‹

Thorsten begann zu schwitzen.

››Natürlich, eine schöne Zuchtstute oder einen prächtigen Hengst. Sucht es euch einfach aus.‹‹

Er versuchte sie davon zu überzeugen ihn loszubinden.

Die bis dahin nicht in Erscheinung getretene, rothaarige Dame in weißer Schwesterntracht, hielt sich vor Lachen die Hände vor den Mund, bevor sie ihn anzischte.

››So ein lausiger Hengst wie du es bist, du Versager?‹‹

Françoise beendete diese kurze Debatte.

››Schluss mit dieser fadenscheinigen Plänkelei, meine Damen‹‹, dabei sah sie ihre beiden Freundinnen kurz an.

››Erinnern wir uns daran, weshalb wir unseren Gast Herrn Bundschuh hierher eingeladen haben!‹‹

Thorsten blickte sich eingeschüchtert um. Eine Einladung sah für ihn anders aus. Er stand schließlich angekettet, nackt und ausgeliefert vor drei entschlossenen Damen. So hatte er sich ein Treffen mit dem weiblichen Geschlecht kaum vorgestellt. Entschlossen trat Françoise einen Schritt zurück, legte das weiße Laken über die Kleidungsstücke und verließ mit ihrem Rollwagen den Raum.

Minutenlang standen die beiden zurückgelassenen Damen, in ihrer roten und weißen Kleidung vor ihren abgedeckten Wagen, den Blick auf Thorsten Bundschuh gerichtet, ohne eine sichtliche Regung erkennen zu lassen. Vereinzelt keimte ein kleines Lächeln in den Gesichtern der beiden bestens geschminkten Damen auf, mehr nicht. Wie angewurzelt standen sie da und beobachten die panischen, aussichtslosen Versuche von Thorsten zu entkommen. Ohne Erfolg bombardierte er jetzt die beiden mit derben Beschimpfungen. Er bettelte, er flehte und fluchte. Nichts dergleichen hatte den gewünschten Erfolg. Als von nebenan Geräusche in die Halle drangen, begann Thorsten zu schreien.

››Hilfe, Hilfe, hier bin ich, die irren Weiber haben mich gefangen genommen. Hier her, hier in der Halle bin ich!‹‹, schrie er unablässig. Nichts geschah. Thorsten senkte den Kopf. War da nicht wieder ein Geräusch, da, wo Françoise verschwunden war. Er lauschte nochmals.

Tatsächlich es klang wie….

Mit lautem Quietschen öffnete sich die Tür. Françoise stiefelte mit graziösem Schritt, flankiert von zwei Dobermänner auf die kleine Gruppe zu.

Keine Leine. Mit Worten dirigierte sie die Hunde.

Gehorsam schritten die Tiere neben ihr her. An ihrem Platz angekommen kam ein kurzes Kommando von ihr:

››Mars, Pluto sitz!‹‹

Brav folgten die Tiere ihrem Befehl. Sie sah zu Thorsten. Sekunden bevor ein: ››Mars und Pluto, sagt Herr Bundschuh brav guten Tag‹‹, von einem Bellen und Knurren, angsteinflößend in Thorsten Bundschuhs Richtung zu hören war. Unsichtbare Leinen hielten die Tiere zurück und hinderten sie, ihm nicht an die Gurgel zu springen. Unablässig signalisierten sie ihm, dass sie bei entsprechendem Kommando, in ihm Beute sahen.

Nach einem lauten: ››Back Boys!‹‹, verstummten die Hunde. Sie hatten Respekt und waren von ihrer Herrin gut erzogen worden. Als sie mit ihrem Zeigefinger vor dem Mund ihnen ein stilles Zeichen gab, legten sich die Vierbeiner entspannt links und rechts von ihr hin und bestätigten Gelassenheit.

››Machen wir jetzt bitte weiter, meine Damen und lassen den Herrn nicht warten. Mary, du bist dran.‹‹

Die Dame in der Mitte, die jüngste des Trios, hatte lange auf ihren Auftritt gewartet.

Mary?

Thorsten kramte in seinen Gedanken und sah sich die Schwarzhaarige mit dem Pagenschnitt in ihrem roten Etwas von oben nach unten genauestens an. Nein, er erkannte sie nicht. Wie denn auch, solch resolute Weiber waren ihm ein Gräuel. Er bevorzugte eher den schüchternen Typ von Frau, mit dem er spielen konnte.

Seine Spiele, wie er es nannte. Mary wandte sich dem männlichen Gast zu.

››Herr Bundschuh, Sie gehen gerne in den Privatclub, zur Eisenbahn, richtig?‹‹

Er begann dreckig zu grinsen.

››Sie haben letzte Woche, ihren Freunden wiederholt vorgeführt, wie man ihrer Meinung nach mit einer Dame umgeht, richtig?‹‹

Thorsten sah sie an.

››Ich bezahle mehr wie üblich für die Schlampen, dann habe ich das Recht mit ihnen zu spielen!‹‹, schrie er sie an.

››Spielen ja. Aber Sie haben nicht das Recht Sie zu demütigen, zu schlagen oder…‹‹

Sie unterbrach ihre Rede und schlug mit einem Ruck das Laken auf dem Tisch zurück.

››Ihr körperlich Pein oder Schmerzen zuzufügen‹‹,

führte sie weiter aus.

››Schlimmer noch. Sie zwangen mich bei Ihrem letzten Besuch dazu, zuzusehen wie Sie meine Kollegin verstümmelten. Und Sie zwangen mich dazu, dabei absonderliche Aufnahmen zu machen. Schon vergessen? Sie sind ein widerliches Schwein.‹‹

Sie zeigte auf übergroße Bildabzüge, die vor ihr auf dem Tischchen zum Vorschein kamen.

››Die Krönung war, Sie hielten nicht inne und ließen von einem ihrer Freunde, mit dessen Handy noch einen kleinen Film anfertigen. Der, wie Sie es damals nannten, eine Trophäe sei. Er sollte den Film ins Netz stellen, richtig? Wir verhinderten dies, zu Ihrem Leidwesen.‹‹

Thorsten rang nach Worte.

››War alles nur Spaß, lasst mich gehen und ich verspreche euch, nichts zu erzählen. Ihr bekommt Geld oder was immer ihr möchtet.‹‹

Mary hob mit einem Seufzer die Fotos in die Höhe.

››Und da sind wir an einem elitären Punkt angelangt.

Wir bekommen, was wir möchten und Sie bekommen, was Ihnen zusteht. Alle Fotos hier sind Beweisstücke.

Unsere Freundin liegt verletzt, übersät mit unzähligen Messerstichen im Krankenhaus. Dort, lieber Herr Bundschuh, landen Sie auch, aber nur mit viel Glück.

Haben Sie Pech, landen Sie auf dem Friedhof. Es liegt an Ihnen.‹‹

Thorsten schluckte. Das war nicht sein Plan, auf solch eine Art und Weise diesen Tag, geschweige sein Leben zu beenden. Fluchend und schreiend attackierte er die Damen wiederholt mit wüsten Beschimpfungen.

››Hier, Herr Bundschuh‹‹, sie hielt dabei das Handy seines Freundes in die Höhe.

››Hier ist alles drauf, möchten Sie es sich ansehen? Sie ließen meine Freundin halbtot liegen. Und mich schlugen Sie danach als Dank mit der Faust ins Gesicht.

Auch ich fiel zu Boden und wurde bewusstlos. Erst als Françoise mich bei ihrem Rundgang durch das Haus fand, konnten wir für meine Freundin einen Rettungswagen rufen. Sie, Herr Bundschuh sind in meinen Augen weder ein Freier, noch ein Kunde. Sie sind ein Tier. Und jetzt bezahlen Sie Ihre Schuld.‹‹

Thorsten begann zu wimmern und zu weinen.

››So etwas könnt ihr nicht tun. Es tut mir leid und kommt nicht mehr vor. Lasst mich bitte frei. Bitte, bitte‹‹, kam es reumütig von ihm. Thorsten winselte um sein Leben. Er wusste, wenn die Damen ihr geplantes Vorhaben umsetzen, wäre das der schwärzeste Tag in seinem Leben. Mary legte alles fein säuberlich auf den Rollwagen zurück und bedeckte es mit dem Laken.

Minutenlang blieb die Dame in der weißen Schwesterntracht stumm, bevor sie das Wort ergriff.

››Thorsten Bundschuh, hier wird gezahlt. Auge um Auge wird das geschehen. Unsere Freundin ist von ihrem Krankenlager aus nicht in der Lage dies zu tun.

Deshalb sorgen wir für eine schnelle Gerechtigkeit.‹‹

Während sie erzählte, bewegte sich Françoise, die ihren Platz verlassen hatte, mit der Geldbörse und einem Schuh von ihm nach vorne. Sie legte beides vor ihm ab und ging zurück. Er beobachtet verwirrt ihre Aktion.

An ihrem Ausgangspunkt angekommen, stellte sie sich breitbeinig in Position, stemmte die Hände in ihre Seiten und sah ihre Hunde Mars und Pluto an. Die beiden schien das wenig zu interessieren, sie lagen eher gelangweilt neben ihrer Herrin. Sie ergriff das Wort.

››Herr Bundschuh. Meine Freundin Sylviana, sieht sie in ihrem weißen Kleidchen nicht sexy aus? Dazu kommt noch der Umstand, dass sie den Beruf der Krankenschwester wirklich erlernt hat, ist das nicht toll?‹‹

Thorsten wusste nicht, auf was Françoise in diesem Moment hinaus wollte und lauschte.

››Sie wird es sein, die Ihnen die gleichen Wunden zufügt, wie Sie es bei dem Mädchen in unserem Etablissement taten. Vielleicht ein bisschen mehr, vielleicht ein bisschen weniger. Wenn Sie gut drauf ist, benutzt sie kleine Backsteine, um Sie von Ihrer Männlichkeit zu befreien. Wer weiß? Vielleicht auch nicht, ich überlasse es ihr, wie sie mit Ihnen in diesem Punkt umgeht.

Unsere liebe Sylviana wird sie danach auch fachmännisch verarzten, versprochen. Aber nun wird sie Ihnen ein Mittel spritzen, dass Ihr Kurzzeitgedächtnis außer Funktion setzt, wie bei einer OP. Und sofern später, meine nette Kollegin in Stimmung ist, wird sie einen Rettungswagen rufen. Zuvor werfen wir Sie verdreckt und nackt wie Gott Sie schuf auf die Straße.

Wir sind ziemlich sicher, dass Sie uns nicht an die Polizei verraten. Denn sonst, Herr Bundschuh, geschieht Folgendes.‹‹

Während sie plauderte, zog Sylviana mit ihren weißen Gummihandschuhen das Laken von ihrem Tischchen.

Zum Vorschein kam das Messer, mit dem das Freudenmädchen verletzt wurde, zwei kleine Backsteine, Mullbinden, Verbandsmaterial und eine aufgezogene Spritze.

Thorsten stierte wie ein hypnotisiertes Kaninchen die Utensilien auf dem Rollwagen an.

››Nun mein Herr, zeige ich Ihnen, was geschieht, wenn Sie doch zur Polizei gehen. Erstens gehen alle Beweise postwendend zur Kriminalpolizei. Zweitens kommen wir bei Ihnen vorbei und…‹‹

Sie blickte ihre Hunde an und gab ihnen den Befehl.

››Mars, Pluto, da vorne gibt es Essen.‹‹

Wie von Furien getrieben schnellten ihre Leiber nach vorne in die Richtung, wo Thorsten hing. Er sah sich bereits als Fleischmahlzeit der Hunde. Beide Tiere verbissen sich in seinem Schuh und in der vor ihm liegenden Geldbörse. Das Knurren und Bellen der Dobermänner erschallte durch den Raum. Panik überfiel ihn. Mit dem Kommando: ››Mars, Pluto zurück‹‹, rief Françoise die beiden Hunde an ihre Seite.

››Haben Sie mich jetzt verstanden, Herr Bundschuh?‹‹

Thorsten Bundschuh ergab sich mit einem Nicken in sein Schicksal, als Sylviana gelassen auf ihn zulief. In der einen Hand die Spritze, in der anderen das Messer, sein Messer. An mehr konnte Thorsten Bundschuh sich nicht erinnern.

Im Krankenhaus fehlten ihm zwei Tage seiner Erinnerung. Wodurch die Amnesie hervorgerufen wurde, blieb den Ärzten ein Rätsel. Aber die tiefen Schnittwunden in seinem Gesicht und auf seinem Körper behielt er sein Leben lang.

Sechs Monate später.

Als er wieder einmal den Privatclub besuchte und an Françoise freundlich grüßend vorbeischlendert, konnte er sich nicht an sie erinnern.

Würde er nochmals so mit einer Frau umgehen, oder würde schlimmeres geschehen?

Eines war sicher, mit seinem, mit Narben überzogenen und verunstalteten Körper hatte er einen hohen Preis für seine Arroganz bezahlt.