Tatort Katakomben - Johannes Heidrich - E-Book

Tatort Katakomben E-Book

Johannes Heidrich

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Beschreibung

Das kann es nicht gewesen sein, denkt sich Kommissar Büchele in seinem Krankenhausbett, wohin ihn sein letzter Fall gebracht hat. Sein ungutes Gefühl scheint sich zu bewahrheiten. Denn der Tod eines Bademeisters und das Auftauchen interessanter Indizien zeigen, dass die Spur des eigentlichen Täters noch warm ist. Eine rätselhafte Zunft bringt mit Mord und Totschlag Weinberge in ihren Besitz. Kann Professor Marius Gottselig Licht ins Dunkel bringen? Was bedeuten die Steinzeichen im Eiskeller und in den Katakomben? Als Kommissar Büchele dem Mörder zu nahe kommt, wird Birgitt Kohlmarx, Bücheles Freundin, entführt. Die dramatische Rettung führt den Kommissar tief hinunter in die Katakomben.

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Johannes Heidrich

ist gebürtiger Schwabe aus dem Raum Heilbronn. Wie sein Held Kommissar Büchele beobachtet er gerne seine Mitmenschen. Oft sitzt er bei einem zünftigen schwäbischen Rostbraten in einen Biergarten. Oder er setzt sich in ein Straßencafé und betrachtet das Gewusel der Menschen. In seinen Texten skizziert er Menschen wie du und ich.

»Tatort Katakomben« ist Johannes Heidrichs zweiter Kriminalroman mit dem charaktervollen Hauptkommissar Franz Büchele. Was in »Tatort Eiskeller« den ersten Fall des Kriminalisten ausmachte, setzt sich inhaltlich in gewisser Weise im »Tatort Katakomben« fort.

Johannes Heidrich

Tatort Katakomben

Ein Schwaben-Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2016

Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen

Alle Rechte vorbehalten.Titelbild: Markus Prygodda, Herne

Gestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, Reutlingen

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-88627-772-8

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Kommissar Max Krüger war früher als sonst zum Dienst erschienen. Langsam, fast schon andächtig öffnete er die Fenster des Dezernats, als er im gegenüberliegenden Park das Geschrei von Rabenvögeln vernahm.

Gespenstisch und doch majestätisch zog unweit einer Baumgruppe, in deren Mitte eine mächtige alte Eiche stand, eine Handvoll Raben ihre Runde. Immer wieder stießen sie krächzend ihre Rufe aus, bevor sie zwischen den Ästen im Inneren der Baumkrone verschwanden.

Krüger begann leicht zu frösteln. Ihm saß noch immer das unheimliche nächtliche Szenario mit den Kulthandlungen der Gothics und Emos vor vier Tagen in den Knochen. Auch er, der sich den Schreibtisch mit seinem Chef und Freund Hauptkommissar Franz Büchele teilte, machte sich im Nachhinein so seine Gedanken, als die ersten Berichte über den Tod von »Master Legne sed sedot«, wie er sich nannte, auf seinem Schreibtisch lagen. Lustlos blätterte er darin herum. Der forensische Bericht von Dr. Fröschle fehlte noch. Aber ihm war ja klar, wie der Mörder starb, war er doch ganz nah dabei gewesen. Max Krüger sah auf Bücheles leeren Platz und hing seinen Gedanken nach. Jetzt bleibt die ganze Schreibarbeit an mir hängen und Büchele schiebt eine ruhige Kugel im Krankenhaus.Minuten vergingen, wobei Krüger seine junge Kollegin Lilly Hansen nicht einmal bemerkt hatte, als diese plötzlich auf Bücheles Schreibtischseite ihm gegenüberstand. Kurz darauf ließ sich die frisch gebackene Kommissarin lustlos in den Schreibtischstuhl ihres Chefs fallen.

»Na Max, ist ja richtig ruhig und stressfrei, wenn unser Chef nicht auf seinem Sessel sitzt, oder?« Wie selbstverständlich streckte sie ihre jugendlich schlanken Beine aus und legte sie übereinandergeschlagen auf die Schreibfläche.

»Mit besten Grüßen von Gisela.« Flapsig warf sie Krüger in Zeitungspapier eingewickelte Kirschen zu.

»Nimm die Beine runter, oder tust du das auch Daheim bei Gisela? Aber danke für die Kirschen.«

Unwillig und ohne einen Kommentar zog Lilly die Beine vom Tisch, als Krügers Dienstapparat sich mit schrillem Geläut meldete. Max beugte sich ein Stück nach vorn und nahm den Hörer von der Gabel.

»Mordkommission Heilbronn, Kommissar Krüger am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«, kam es von ihm dienstbeflissen akkurat, wobei er sich kerzengerade in seinen Stuhl setzte und sich einen Bleistift schnappte. »Ja. Nein, Herr Kaiser, Kommissar Büchele ist abwesend … Nein, so schnell nicht … hm, ja ich kann die Fundstücke abholen und ihm übergeben? Wann? Um 15 Uhr, Freibad Großgartach. Ja, ich verstehe. Nur zu Ihnen, zu Timo Kaiser persönlich. Ja, selbstverständlich wird das vertraulich behandelt, Herr Kaiser. Ja, ich komme pünktlich. Ja doch, Sie müssen nicht wegen mir Ihre Arbeitsschicht verlängern. Ich verstehe Sie ja. Okay, Herr Kaiser, danke für Ihren Anruf, bis nachher. Ja, bis dann.«

Kommissar Krüger notierte sich kopfschüttelnd die Uhrzeit des Treffens in seinem Notizheftchen, noch während er eine Kirsche aus der Tüte zog, sie im Mund verschwinden ließ und Sekunden später den Kirschenstein mit einem: »Pfffhhh …« in den Papierkorb gespuckt hatte. Nachdem er aufgelegt hatte, sah er Lilly etwas verschmitzt in die Augen. Irgendwelche Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Lilly starrte ihr Gegenüber erwartungsvoll an.

»Lust auf eine Freibadtour heute Nachmittag?«, kam es mit weicher Stimme von dem Beamten. Lillys Augen begannen zu strahlen. »Dein Ernst, Max?« Krüger nickte.

»Aber nur, wenn wir vorher am Anwesen Fischer vorbeifahren, um meinen Bikini abzuholen und ich ins Wasser darf.«

Wieder nickte Krüger nur, ehe er in etwas schärferem Ton entgegnete: »Abfahrt um 14 Uhr unten im Hof, okay?« Lilly begann zu schmunzeln, bevor sie an ihren Schreibtisch zurückging, um PKA Kaufmann die Neuigkeit zu berichten, dessen Platz sich genau gegenüber des ihren befand. Diese Abwechslung kam für Lilly wie gerufen.

Pünktlich fuhr das Dienstfahrzeug der Beamten vom Präsidiumshof. Schnell war das Fahrziel Freibad Großgartach erreicht. Sie reihten sich brav und geduldig in der wartenden Menschenschlange am Eingangsbereich vor dem kleinen Kassenhäuschen ein. Als sie an der Reihe waren, sah die etwas füllige Kassiererin sie nur kurz taxierend an: »Macht für Erwachsene dreifuffzig bittschee.«

Krüger sah sie an und zückte seinen Dienstausweis.

»Herrschaftszeiten aber, ha no, kommet ihr Kriminaler des efteren zum Bade? Vor Kurzem war schonemole ein alder Seggel do.«

Krüger sah sie verblüfft an.

»Meine Dame«, fing er in makellosem Hochdeutsch an, »dieser alde Seggel, wie Sie ihn nennen, war mein Chef Hauptkommissar Büchele, wenn es recht ist. Wir beide wollen nur zum Bademeister Timo Kaiser.« Mit einer schnellen Bewegung zog er seinen Dienstausweis zurück und blickte sich zu Lilly um, die lächelnd schon in ihrer Badetasche herumkramte.

»Herr Krüger, Kommissar Krüger?«, kam es unweit ihres Standorts aus dem DLRG-Anbau daneben. Jemand winkte ihm zu. Aus einiger Entfernung hatte Lilly die Person in kurzen Hosen und kurzem Hemd für sich schon identifiziert.

»Bademeister Kaiser, vermute ich«, sagte Lilly leise, während sie sich unmerklich Krüger zuwandte.

»Kann ich ins Wasser, Max?«

Krüger nickte.

»Um halb vier hier bei der Kasse, verstanden? Ich möchte nicht wegen dir von unserem Chef gemaßregelt werden, kapiert?«

Lilly nickte stumm und verschwand leise in Richtung der Umkleidekabine. Max ging jetzt zielstrebig auf den leicht untersetzten Schnurrbartträger zu, dessen graues, etwas längeres aber kräftiges Haar, straff nach hinten gekämmt war. Nochmals versicherte er sich, dass er dem richtigen Ansprechpartner gegenüberstand.

»Bademeister Timo Kaiser?«

»Kommissar Max Krüger aus Heilbronn?«

Krüger nickte still dem lächelnden Bademeister zu.

»Herr Kommissar, kommen Sie herein. Ich möchte Ihnen was zeigen.« Beide betraten den DLRG-Raum und schlossen die Türe hinter sich. Sofort ging der Geräuschpegel drastisch nach unten.

»Wie ich es schon am Telefon angedeutet hatte, mache ich mir manchmal meine eigenen Gedanken und dann kann ich nicht anders, es muss raus. Bei seinem letzten Besuch hat Ihr Chef, der Hauptkommissar Büchele, wie ich mich erinnere, diese klimpernde Kralle mitgenommen. Jetzt habe ich was viel Besseres.«

Der Beamte sah sich in dem unordentlichen DLRG-Raum etwas um. Sein Blick viel auf verschlissene Wasserballmützen, zerknüllte Belege und abgerissene Tageskalenderblätter, ehe er sich wieder dem Bademeister zuwandte, der ihm noch immer den Rücken zukehrte und nach etwas suchte.

Er wühlte sich durch das Regal und hielt Krüger kurz darauf etwas vor die Brust.

»Ist vermutlich ein Faschingskostüm, so meine Vermutung, aber selbst so was vergessen die Leute hier. Wir sind ein Bad und kein Sammellager, verstehen Sie? Ein Faschingskostüm, das aussieht, wie ein schwarzes Mönchskostüm, im Freibad, unglaublich? So was ist doch irre, oder etwa nicht. Was meinen Sie dazu, Herr Kommissar, ist dies nicht ungeheuerlich?«

Krüger versuchte, den Bademeister in seiner Verwirrung zu beruhigen. Er nahm das seltsame Kleidungsstück an sich und ließ es durch seine schlanken Finger gleiten. Der Stoff fühlte sich schon von der Machart her nicht wie ein Kostüm an. Es war aus einem dicken Wollstoff gefertigt. Es fühlte sich eher wie ein Lodenmantel an.

»Den Mantel hat jemand zwei Wochen nach den Morden an den Jugendlichen im Gebüsch gefunden. Ich dachte mir nichts dabei. Erst als ich den Fernsehbericht von Ländle TV sah. Sie wissen schon, die Sache mit diesem Gothictypen. Einige aus dieser Szene hatten auch so was an, stimmt’s? Und hier ist noch was!«

Kaiser griff abermals ins Regal und reichte ihm einen langen schwarzen, in sich gedrehten Strick.

»Wissen Sie, was das ist, Herr Kommissar?« Krüger nahm es gewissenhaft in seine Hände. Prüfend glitt das Material durch seine Handflächen. Was war das? Nur ein weggeworfenes dickes Stück Schnur? Krüger erinnerte sich an seine Jugend. Vor langer Zeit hatte er so etwas schon einmal gesehen. Richtig, auf einem Ausflug der Ministranten zum Katholikentag.

»Ein Zingulum, es ist ein Zingulum!«, stotterte er aufgeregt. »Kommissar Büchele kann uns bestimmt mehr darüber sagen, er und seine Haushälterin Gisela sind schließlich treue Kirchgänger.«

Bademeister Kaiser verstand Krügers Freude über seinen Fund absolut nicht. Entgeistert sah er ihn an.

»Ein was? Ein Zingudingsbums?«

Krüger hielt es ihm vor die Nase.

»Ich habe so was als Kind gesehen. Es gehört zu einer geistlichen Soutane. Ein Zingulum ist einfach eine Gürtelschnur der Mönche. Aber der Name hierfür ist uralt, Zingulum eben. Aber eines wie dieses da habe ich noch nie gesehen. Normalerweise sind sie weiß. Aber dieses hier ist schwarz. Darf ich das alles mitnehmen zur Untersuchung? Da freut sich Kommissar Büchele bestimmt, wenn ich ihm von Ihrem Fund berichte. Zwar spät, aber immerhin, wir haben was. Obwohl der Täter … Nun ja, das ist eine andere Geschichte«, wiegelte Krüger die Neugier des Bademeisters mit einer leichten Handbewegung ab, der mit geneigtem Kopf den Beamten von der Seite aus aufmerksam ansah und schon hellhörig wurde. Der Bademeister reichte ihm sogar eine Tüte.

Krüger sah auf die Uhr. Wo war Lilly abgeblieben? Krüger verabschiedete sich dankend beim Bademeister, nicht ohne das Versprechen, in den kommenden Tagen nach Dienstschluss selbstverständlich noch einige Bahnen im wundervollen Schwimmbecken zu absolvieren. Beide Männer verließen den DLRG-Bereich und gingen nach draußen. Timo Kaiser verschwand in Richtung Becken. Krüger sah sich hilflos nach Lilly um. Wir hatten was ausgemacht und die Frau hält sich nicht daran, verdammt und zugenäht. Nirgends war die Profilerin zu sehen. Max durchschritt die Reihen des Umkleidekomplexes.

»Hallo, hier bin ich, Max«, ertönte es plötzlich hinter ihm. Er drehte sich um.

Schon umgezogen mit feuchten Haaren stand Lilly vor ihm.

»Wir können gehen, Max. War dein Gespräch denn erfolgreich?«

Max öffnete die Tüte und zog die Kutte ein Stück weit heraus.

»Hoppla, Franz hatte doch in Richtung Kirche oder Ordensgemeinschaft recherchiert, oder? Übrigens, kam damals was dabei raus?«

Max schüttelte den Kopf und schob das Gewand zurück in die Tüte.

»Nein Lilly, aber irgendetwas stimmt hier nicht. Ich kann es buchstäblich spüren. Sollen wir es Franz mitteilen oder warten, bis er aus dem Krankenhaus zurück ist?«

Lilly sah ihn an.

»Wenn Franz es zu spät erfährt, schickt er uns beide in die Wüste. Das zeigst du ihm lieber möglichst bald.«

Max sah sie an.

»Na toll, wieder ich. Möchtest du nicht mit mir einen Krankenbesuch machen?«

Lilly schüttelte nur den Kopf.

»Nein danke, Max, ich bin noch nicht so erwachsen wie du«, scherzte sie, »dir ist schon ein dickeres Fell als mir gewachsen. Setze mich bitte daheim ab, okay?«

Nach Dienstschluss machte sich Max Krüger auf den Weg zum Krankenhaus. Die Besuchszeiten waren schon lange vorbei und alles schien friedlich. Er öffnete die Tür und trat ein.

»Hallo mein Freund, wie geht es dir?«, begrüßte er seinen Chef. Büchele erwachte aus seinem leichten Dämmerschlaf, als er Krügers Stimme vernahm. Verschlafen sprach er ihn an.

»Du hier? Was ist passiert, ist was mit Gisela oder Birgitt?«

»Nein, wieso, was sollte sein? Ich wollte dich nur besuchen, ist das verboten?«

Franz sah seinen Kollegen von oben bis unten an.

»Wenn du zur späten Stunde kommst, bedeutet das nichts Gutes. Und was ist in der Tüte, die du so krampfhaft unter deinem Arm hältst?«

Mit einem Ruck platzierte Krüger die mitgebrachte Tüte auf Bücheles Bett.

»Für dich. Bademeister Kaiser hat angerufen. Sie haben noch etwas gefunden. Etliche Tage nach den Morden an den Jugendlichen.«

Büchele griff in die Tüte und zog das Gewand samt Gürtel heraus. Er wurde kreidebleich. Wütend schlug er mit der Faust auf die Bettkante.

»Verdammt, ich wusste es. Irgendetwas stimmte bei dem Masterfall nicht.«

»Moment, Moment«, wiegelte Krüger ab. »Franz, du kannst doch nicht ohne Weiteres behaupten, es stimme etwas nicht, wenn damals alle Indizien auf diesen komischen Gothic, Herrn Engel, wiesen. Die Spuren, die DNA, einfach alles ist von ihm. Und du kommst dann daher, siehst nun eine abgegriffene Kutte und meinst, es war alles umsonst? Wo sind denn da die Fakten, Franz?« Büchele holte Luft.

»Klar haben wir keine Fakten, Max, aber mein Gefühl sagt mir, er war nicht der eigentliche Drahtzieher der Morde. Okay, er war der Mörder, mag sein, aber nur die ausführende Kraft, verstehst du? Wir müssen alles neu aufrollen. Als Ersten nehmen wir uns noch mal den Sockenschorsch Pneu-Bachmaier vor. Danach alle anderen, verstanden?«

Max sah ihn an. »Franz, ich würde es einsehen, wenn es Spuren gäbe, aber es gibt in dieser Richtung keine Spur, glaube es mir.«

Büchele wiegelte kopfschüttelnd ab.

»Nichts werde ich unversucht lassen, mein Freund. Ich finde die Beweise, du wirst sehen. Ich finde irgendwo das passende Puzzlestück. Da draußen läuft noch immer ein Irrer durch die Gegend. Für mich ist der ein Mörder, auch wenn er nicht persönlich getötet hat, noch nicht, mein Freund, noch nicht. Zumindest den Auftrag hat er dazu erteilt, basta. Und jetzt mach dich aus meinem Krankenzimmer, ich will schlafen. Gute Nacht Kollege.«

Wütend deckte sich Franz Büchele zu und nahm keine Notiz mehr von Krüger, der wie ein begossener Pudel im Raum stand. Wortlos und wütend über so viel Sturheit seines Freundes, verließ Krüger mit einer Tüte Beweismittel unter dem Arm Bücheles Krankenzimmer. Er wollte die Beweisstücke sofort zur Spurensicherung bringen.

Entspannung

Irgendwann am nächsten Morgen wachte Büchele völlig entkräftet auf. Die Kopfwunde schmerzte ihn nicht so sehr, wie die daraus resultierenden Kopfschmerzen. Er hätte, wenn es nach ihm gegangen wäre, schon lange dieses Etablissement verlassen. Aber jeder Protest war zwecklos und wurde im Keim erstickt.

Zur Beobachtung behielt man ihn trotz seines ständigen Protestes noch einige Tage da. Man hatte ihm bei seiner Einlieferung ein für Krankenhäuser typisches Krankenhauslaible verpasst, das keine Knöpfe besaß und nur hinten mit einer dünnen Schnur gehalten wurde.

Langsam kam er wieder zu Bewusstsein. Immer noch liegend, drehte er den Kopf nach rechts und sah sich im Raum um. Büchele stutzte. Seine linke Hand fühlte sich sehr warm an. Er sah nach links und zuckte kurz zusammen. Jetzt erst konnte er den Grund erkennen. Seine Hand hielt niemand Geringeres als Birgitt Kohlmarx. Sie strich ihm über den Handrücken und strahlte ihn gerade mit einem Lächeln an, als Max Krüger, der ihn ja schon am Vorabend mit dienstlichen Neuigkeiten versorgt hatte, ohne anzuklopfen, mit einem Blumentopf voller blühender Veilchen in der Hand das Zimmer betrat. Genau in diesem Augenblick begann Birgitt Kohlmarx mit Büchele zu schimpfen.

»Franz, du machst auch immer so einen Blödsinn. Du gehst einfach ohne deinen Kollegen und mich aufs Ganze. Schlimmer noch, du denkst, du kannst wie ein Vogel fliegen.«

Büchele sah etwas irritiert, ja schon mit suchendem Blick zu Krüger, der immer noch den Blumentopf mit Veilchen in Händen hielt.

»Wo soll ich sie abstellen?«, versuchte der jetzt seinerseits die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Birgitt erhob sich und meinte nur: »Ich versorge die Blumen. Geben Sie mir das Veilchen.«

Eine Erklärung für das Geschehen gab es offensichtlich nicht. War etwa die Bewusstlosigkeit zu lang? Sein junger Mitarbeiter PKA Kaufmann mutmaßte sogar im Präsidium, dass sein Chef einen Aussetzer durch die Bewusstlosigkeit hatte. Andere vermuteten eine Herzattacke. Weit gefehlt, wie die Untersuchungen, die sofort nach seiner Einlieferung gemacht worden waren, gezeigten hatten.

Als Birgitt Kohlmarx die Veilchen mit Wasser versorgt hatte, setzte sie sich wieder zu Kommissar Büchele ans Bett. Verstohlen und fragend zugleich blickte Franz in Birgitts Augen. Ohne eine sichtliche Regung versuchte er, in ihnen eine Erklärung für das Abscheuliche der letzten Tage zu finden. Warm und herzlich blickte sie ihn an. Sie griff wieder nach seiner Hand und begann sie zu streicheln.

»Alles wird gut, Franz. Sei ganz beruhigt. Die Ärzte machen einen gründlichen Check bei dir, danach wissen wir mehr. Erzähl mal, was ist eigentlich genau geschehen? Erzähl, woran kannst du dich noch erinnern? Du bist bei dem harten Aufprall auf der Baumwurzel ohnmächtig geworden und dann?«, dabei streichelte sie immer wieder seine Hand und seine Wange. Es klopfte jemand an die Türe und trat ein.

Gisela in ihrer ganzen Fülle verdeckte Kommissar John Weirich förmlich, der, sozusagen in ihrem Windschatten, mit einer Reisetasche in der Hand hinterherkam. Auch Lilly folgte ihnen mit einem kleinen Rollcontainer an der Hand. Verdutzt sahen alle Anwesenden im Zimmer auf die drei Ankömmlinge, die soeben den Raum betreten hatten. Ungestüm trat Gisela an das Bett von Franz heran. Sie sah ihn mütterlich an und strich ihm dabei übers lichte Haar und meinte nur:

»Die Schwestern wollten mich nicht zu dir lassen. Sie meinten, du benötigst Ruhe. So ein Blödsinn, du brauchst etwas zur Stärkung. Du möchtest doch so schnell es geht dieses Hotel hier verlassen und wieder zu uns zurück oder etwa nicht?«

Gisela wartete seine Antwort erst gar nicht ab. Er sah sie entgeistert an. Aber Widerspruch, so hatte er in den letzten Jahren gelernt, war zwecklos. Dahinter meldete sich kleinlaut winkend John zu Wort:

»Hi, Franz, ich durfte sie fahren, war doch okay so, oder nicht?«

Winkend meldete sich Lilly hinter ihnen: »Hey old Man, habe gehört du bist Batman, stimmt das? Ich habe auch was für dich zum Anziehen eingepackt, damit du die nächsten Wochen ordentlich gekleidet den Schwestern den Kopf verdrehen kannst«, sagte sie und zwinkerte ihm frech zu.

Büchele verstand nichts mehr. Er dachte nur noch über die Möglichkeit nach, wie er sich aus diesem Dilemma befreien konnte. Oder war das Ganze hier doch nur ein Traum, mehr noch ein Albtraum? Alle sahen ihn in diesem Moment mitleidig an. Jetzt bemerkte er den Schmerz über seinem rechten Auge. Mit der Hand versuchte er, die Stelle zu ertasten. Ein Pflaster bedeckte die Wunde. Ebenso wie knapp zehn Zentimeter höher ein weiteres, zweites Pflaster an seinem Kopf klebte. Gisela kramte in der mitgebrachten Reisetasche herum. Zog einen Plastikbehälter hervor und überreichte ihn mit eindringlichem Blick Bücheles Kollegen Krüger.

»Max, du suchst einen Herd. Nun ja, den wird es hier nicht geben, aber eine Mikrowelle, du machst das Essen für Franz warm, verstanden?«

»Und wo bitteschön, soll ich im Krankenhaus eine Mikrowelle auftreiben?«

Jetzt wurde Gisela etwas ungehalten.

»Max, ich denke, deine Helga würde dir jetzt für diese blöde Frage eine an die Backe geben«, sagte sie mit spitzfindiger schwäbischer Frauenpower.

»Stell dich nicht dümmer an, als du bist. Beweg deinen Hintern ins Schwesternzimmer oder in den Pausenraum, ist mir egal wie, aber tue es. Und wenn die Damen dort protestieren, machst du das Ganze bei ihnen im Pausenraum zur Ermittlungssache. Oder glaubst du, die leben hier von kalten Speisen? Ihr Männer stellt euch an.« Gisela schüttelte ungläubig den Kopf.

»Jetzt raus! Franz wartet nicht ewig auf seine Maultaschen in der Brühe.«

Max verließ seinen Platz an Bücheles Bett in Richtung Schwesternzimmer. Bücheles Augen begannen bei der Erwähnung der Speise zu funkeln.

»Gisela weiß eben, wie man einen Mann verwöhnt«, meinte er seufzend. Lilly warf den kleinen Rollcontainer, ungeachtet der langen Beine von Franz, einfach aufs Bett und begann, Hemden und Hosen auszupacken.

»He, was soll das hier, Lilly? Ich möchte nicht hierbleiben, ich will heim.« Lilly ignorierte seinen Protest einfach und hängte währenddessen alles ordentlich in den Schrank.

»Franz, ich lege den Schlafanzug, die Unterwäsche und die Socken oben rein. So findest du sie besser«, sagte sie nur.

Jetzt erst wurde es für Büchele real. Alle versuchten mit aller Macht ihn in dieser Einrichtung zu halten. Ein sofortiger Befreiungsschlag aus dieser unsichtbaren Umklammerung war notwendig.

»Was machen die Ermittlungen im Dezernat? Wie weit ist unser Gerichtsmediziner?« Er sah John Weirich auffordernd und zugleich Hilfe suchend an.

»Eile mit Weile, Franz, eines nach dem anderen. Im Augenblick ermitteln wir in alle Richtungen. Aber ich dachte, diesen Fall hast du abgeschlossen? Grimmig sah Franz seinen jungen Kollegen an. Sein Blick suchte Max, der mit Giselas Behälter in Richtung Schwesternzimmer verschwunden war. Er war derjenige, der mit ihm vor Ort, bei Sockenschorsch Pneu-Bachmaier gewesen war. Einen kurzen Moment später, betrat Max grinsend mit der Plastikschüssel den Raum. Er versuchte sie schnell auf den Tisch abzustellen.

»Mahlzeit, Franz. Setz dich hier her, oder möchtest du sie eher püriert aus der Schnabeltasse?«, flachste er.

Gisela kramte in der Reisetasche auf der Suche nach den mitgebrachten Tellern und dem Besteck.

»Hier isch alles, hock de no, Franz, es macht dich bestimmt kräftig so e Süpple«, forderte sie ihn auf, am vorbereiteten Tisch Platz zu nehmen. Widerwillig schlug er die Bettdecke zurück und trottete auf den Stuhl am Ecktisch zu. Durch sein Laible, das hinten offen war, sah man teilweise sein Gesäß hervorblitzen.

»Hosch aber noch zwoi geile Arschbäckle, Batman!«, witzelte Gisela, als sich ein leises Gelächter unter den Anwesenden breitmachte. Franz nahm etwas missvergnügt am Tisch Platz und löffelte brav die von Gisela selbst zubereitete Maultaschensuppe.

Lilly durchstöberte indessen den offenen Kleiderschrank von Kommissar Büchele. Schwestern hatten einen Schrank lieblos mit Heftpflaster markiert, worauf mit blauem Filzstift Büchele gekritzelt war. Seine Hose, die Schuhe, das blutverschmierte Hemd, die Lederjacke und den verdrückten Strohhut raffte sie einfach zusammen. Schnell hatten Lilly jetzt mit Giselas Hilfe alles einfach in eine große Plastiktüte geworfen. Selbst seine Slipper, die alles andere, als in tadellosem Zustand waren, wurden von ihnen eingetütet. Franz schenkte alledem keine Beachtung. Er konzentrierte sich nur auf sein Süpple.

Max, der jetzt schon eine Weile in der Ecke des Zimmers stand, beobachtete unbeeindruckt das rege Treiben. Wenig später verabschiedete er sich von seinem Kollegen mit der Erklärung, er müsse noch für Helga nach Maulbronn an den Aalkistensee, Fische abholen. Er bot Lilly und Gisela an, sie mit nach Hause zu nehmen. Das Weingut lag ja auf seiner Route. Seine Erklärung, dass es die nächste Woche im Besen auch Fisch zu essen gab, fand bei Franz keine starke Befürwortung. Der wiederum bei dem Wort Fisch, sich aus Schreck einen halben Löffel der köstlichen Maultaschensuppe über sein Krankenhauslaible kleckerte.

»Pfui Teufel, Fisch! Aber ja, dann geh doch, nimm bitte die zwei Hennen mit. Die Gisela nervte schon, obwohl sie kaum was sagt. Geht mit Gott, aber geht. Ich bin ja bald daheim, vielleicht heute Abend schon, wer weiß?«

Nach kurzer Verabschiedung und mit zwei Tüten getragener Kleidung in den Händen, verließen sie das Krankenlager und fuhren zurück in Richtung Zaberfeld. Nur John und Birgitt blieben bei Franz zurück.

Eine Stationsschwester trat ein. Sie hielt einen Geschenkkorb gefüllt mit heimischen Trauben in ihren Händen.

»Ist eben für Herrn Büchele abgegeben worden«, meinte sie und stellte den Präsentkorb auf den Tisch.

»Eine Karte ist auch dabei, Herr Büchele, ich leg sie oben auf, ist es so okay für Sie?«, fragte die Schwester, bevor sie sich verabschiedete.

»Danke Schwester«, konnte Büchele ihr nur noch nachrufen.

John zeigte mit dem Finger auf den Präsentkorb und meinte etwas spaßig: »Hast du jetzt neue Verehrerinnen, von denen ich noch nichts weiß, du schlimmer Finger?«

»Vielleicht so junges Gemüse aus der Schreibstube im Präsidium, wer weiß das schon, was unser schwäbischer Kommissar so treibt«, setzte Birgitt noch eins drauf.

Franz, der auch nicht so recht wusste, wie er zu dieser Freundlichkeit kam, zog sich die Bettdecke zurecht.

»John hast du schon mehr über die Konten von Bachmaier erfahren oder ist Lilly noch nicht so weit?«

John, der die letzten beiden Tage mehr mit seiner eigenen Ahnenforschung und der Ankunft seiner Frau Polly beschäftigt gewesen war, als mit den Recherchen über Bachmaier, konnte nur mit einem knappen: »Du, ich glaube, es geht voran«, antworten.

Birgitt tippelte aufgewühlt und hibbelig um Bücheles Krankenlager herum. Ihm entging nicht ihre zapplige Art.

»Ich sehe es deiner weiblichen Intuition an, Birgitt.«

Erschrocken fühlte sie sich ertappt und meinte nur: »Was ist jetzt wieder? Habe ich was falsch gemacht?«, versuchte sie abzuwiegeln. Franz lächelte und gab ihr ein freundliches, verschmitztes: »Du bist neugieriger als eine Katze, wie jede Frau, gib es zu. Geh einfach zum Tisch und bring uns die Trauben her und vergiss die Karte nicht«, zur Antwort.

Eventuell waren alle Frauen mit dem Gen der Neugierde und dem Instinkt für weibliche Konkurrenz ausgestattet, wer wusste dies schon, wenn das weibliche Geschlecht sich in ihrem Element befanden. Büchele atmete tief durch.

»Jetzt aber, öffne das Briefkuvert und lese uns die Karte vor. Du platzt ja gleich vor Neugier. Vielleicht ist sie ja nur von einem alten Kollegen.« Birgitt ließ sich nicht zweimal bitten. Mit ihren schmalen langen Fingernägeln schnippte sie gekonnt das Kuvert auf. Sie schlug die Karte auf und hielt für einen Moment inne, während sie den Text überflog. Die Journalistin von Ländle TV begann zu schlucken. Nicht ganz unbemerkt blieb dabei ihr Wanken, als sie sich dabei mit einer Hand an Bücheles Schulter festhielt.

»Birgitt, meine Liebe geht’s dir gut? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. John, hol ihr den Stuhl her, schnell.«

John Weirich gehorchte. Birgitt war kreidebleich, als sie sich langsam setzte.

»Birgitt, soll ich dir ein Glas Wasser bringen? Geht es wieder?«, bemerkte John.

»Geht schon, danke. Ist vermutlich der Kreislauf, geht bestimmt gleich wieder.«

Sie nippte an einem Wasserglas, das ihr John eingeschenkt hatte. Als sie getrunken hatte, stellte sie das Glas auf die Ablage zurück. Sie ergriff entschlossen mit beiden Händen die Karte und versuchte sich zu fassen. Keiner sollte die für sie ungewöhnliche Ängstlichkeit bemerken. Sie begann, vorzulesen:

Die süße Lust am Stock der Reben,

ist jedem Winzer doch gegeben.

Genieße fein den Rebensaft,

er gibt dir neue Lebenskraft.

Doch schont das Geld, die Gier, die Macht,

greif niemals nach dem Beerensaft,

sonst wird blutrot die Traube hier

und keiner stillt die Wissensgier.

Gute Besserung Herr Büchele, liebe Grüße, die Zunft.

Ihre Hände zitterten, als sie den Text vorlas. Büchele und sein Kollege John sahen sich erstaunt an, während Birgitt den Kartentext vorlas. Beide kannten die Zunft noch aus ihrem Tag im Großgartacher Eiskeller.

»John, wer zum Henker ist nun diese dubiose Zunft? Konntet ihr während meiner Abwesenheit etwas darüber herausfinden. Oder ist das alles hier ein Rätsel?«

John war auch ganz schön perplex und benötigte Sekunden länger, als gewohnt, für eine Antwort.

»Ich habe keine Erklärung für die Karte aus dem Präsent, du vielleicht, Birgitt?«, er blickte sie fragend an. Birgitt holte tief Luft. Sie berichtete, dass die verwendete Gedichtform ihr nicht unbekannt war. Im Jahr 2010, so ihre Schilderung, durfte sie über einen bekannten Winzer aus der nördlichen Landesregion berichten. Als sie dort angekommen war, hatten gerade etliche Protestkundgebungen gegen den Verkauf mehrerer heimischer Kelterbetriebe begonnen. Einige Winzer wurden genötigt, erpresst und zum Verkauf gedrängt. Jedes Mal, wenn so ein Gedicht bei einem Winzer einging, passierten schreckliche Dinge. Zum einen wurde der schon zur Auslieferung bereitstehende Wein entweder gestohlen oder vernichtet. Zum anderen wurde die Familie bedroht. Es ging sogar so weit, dass einem Familienmitglied der kleine Finger abgeschnitten wurde. Danach verkaufte der besagte Unternehmer selbstredend sein Anwesen zu einem Spottpreis an dubiose Unternehmensgruppen, sie nannten sich irgendwas mit Anstalten. Büchele horchte auf.

»John, auf den Zettel im Eiskeller, da stand doch auch was mit Anstalten, oder irre ich mich da?«

John Weirich überlegte kurz.

»Ja stimmt, da stand, das Unterland bleibt sauber, kein Jäger des schwarzen Goldes und der Anstalten wird das Monopol auf unsere Reben erhalten auch nicht Bachmaier. Genau so stand es drauf. Vielleicht hat der Verkauf von Weingütern im Norden etwas mit Sockenschorsch Pneu-Bachmaier zu tun. Und jetzt treibt derjenige sein Spiel hier bei uns in Baden-Württemberg, genauer gesagt hier im Unterland. Aber ein Reifenhändler mit Weinambitionen? Und was zur Hölle sind die erwähnten Anstalten?«

Büchele kam ins Grübeln.

»Wenn die von der sogenannten Zunft, dem Sockenschorsch, wie sie ihn im Unterland alle nennen, auf die Schliche gekommen sind, sie aber nichts Schlagkräftiges in der Hand haben, weisen sie uns, die Polizei mit den Zetteln auf die Anstalten hin. Aber im Umkehrschluss würde der Verdacht leider auf sie zurückfallen. Deshalb haben sie mich auch damals mit der Nase und hartem körperlichem Einsatz darauf gestoßen.«

Dabei fuhr sich Kommissar Büchele mit der Hand über seine noch nicht ganz verheilten Schürfwunden. Dann nahm er die Hand der Journalistin in seine und rieb sie freundschaftlich liebevoll.

»Du brauchst keine Angst zu haben, die Zunft übt in der Regel keine Gewalt aus. Das alles ist möglicherweise jemand aus den sogenannten Anstalten, nicht aus der Zunft. John, ich hab’s begriffen. Wer auch immer dahinter steckt, wir kriegen es raus.«

Keine Frage, überlegte Büchele, es musste ein schlagkräftiger Beweis her, der Bachmaier mit den Anstalten in Verbindung brachte. Aber war es überhaupt ein Fall? Und wenn dem so wäre, hätte Büchele einen Fehler begangen und war der falschen Spur gefolgt?

»Wie weit ist Dr. Fröschle mit der Leiche des Italieners?«, wollte er von John wissen.

»Der Bericht lag, wie ich sah, erst heute auf deinem Schreibtisch. Soll ich ihn dir morgen mitbringen?«

»Ne, ne nicht nötig, aber hole mich bitte übermorgen nach dem Frühstück hier ab. Und jetzt nimm die junge Frau mit, ist schon fast Zeit für Abendbrot. Lade sie bei der Zeitung oder im Sender ab, mir egal, aber mach es, mein Junge.«

Birgitt verabschiedete sich herzlich und begab sich mit John zur Ausgangstüre als John Weirich noch was einfiel.

»Ach Franz, was ich noch sagen wollte und fast vergessen hätte: Polly kommt übermorgen für vier Monate nach Hause, ist das nicht toll? Ihr werdet sie mögen, meine Supermaus«, freute er sich und schob Birgitt dabei vor sich her.

Als John und Brigitt Bücheles Krankenzimmer verlassen hatten, kehrte endlich wieder Ruhe ein. Eine Schwester betrat leise den Raum. Fragte noch nach Bücheles Wohlbefinden und gab ihm eine neue Infusion eines Aufbaupräparates. Sie hängte den Beutel an den dafür vorgesehenen Ständer neben Bücheles Bett und verabschiedete sich mit dem Versprechen, später nochmals nach ihm zu sehen. Seine Anamnese war immer noch vorhanden. Beim Gehen verwies sie für alle Fälle auf die Notklingel, die sich am Kopfende des Bettes befand.

Kommissar Büchele lehnte sich entspannt zurück und zog sich die Bettdecke bis unter die Achseln. Er atmete jetzt ruhig und zufrieden durch. Erst jetzt bemerkte er, dass er zu frösteln begann. Kein Wunder. Sein Blick wanderte zum Fußende, die Beine waren entweder zu lang oder die Decke zu kurz. Er entschied für sich, dass es wohl an den kurzen Decken des üblichen Krankenhausstandards liegen musste. Amüsant beobachtete er jede Bewegung seiner Zehen und lächelte dabei in sich hinein.

Selbst eine drei viertel Stunde später, als die Nacht schon längst hereingebrochen war, fand Büchele noch immer nicht in den Schlaf. Nur die Leuchte am Kopfende des Bettes, die ihr spärliches Licht in den Raum ergoss, erhellte in diesen Minuten das spärlich ausgestattete Einzelzimmer.

Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und betrachtete durch das Fenster das fahle Mondlicht, als es an der Tür klopfte. Ohne ein Herein abzuwarten, betrat Birgitt Kohlmarx das Zimmer. Verdutzt, ohne einen vernünftigen Satz formulieren zu können, stotterte Franz nur: »Birgitt du schon wieder? Weißt du überhaupt, wie spät es ist? Es ist fast zehn Uhr. Ich habe angenommen, du musst morgen früh raus?« Er sah sie entgeistert an, während er in seinem Nachtschränkchen krampfhaft nach seiner Brille suchte. Birgitt ging jetzt beherzt näher an Bücheles Bett heran. Sie ergriff zittrig seine Hand. Ein Überraschtes: »Heidenei Birgitt, du hast ja ganz kalte Hände. Ist was passiert?«, kam etwas erschreckt von ihn. Birgitt Kohlmarx stutzte. Sofort versuchte die Journalistin ihre sonst so übliche Fassung wieder zu gewinnen. Sie ließ die gewohnte steife journalistische Arroganz durchblicken, die in diesem Job wohl wichtig war. Durch seine Brille erkannte Büchele aber dennoch die Unsicherheit in ihren Augen. Sie versuchte krampfhaft Hilfe suchend sich an Bücheles Händen festzuhalten um irgendwie ihr spätabendliches Erscheinen zu rechtfertigen. Nur ein winzig kleines, schon zitternd gehauchtes: »Verdammt Franz, ich habe Angst« kam ihr über die Lippen, als sie immer mehr versuchte ihre Hände, in den seinen zu vergraben.

Franz beobachtete sie angestrengt von der Seite aus, den sich verändernden Gesichtsausdruck der Journalistin, welchen er so bei ihr nicht kannte. Wie ein verängstigtes Kind, welches ein Unheil kommen sieht, versuchte sie sich Büchele anzuvertrauen.

Er selbst, kannte die Situation, oftmals stand er schon diesem übermächtigen Untätigkeitsgefühl, wie er es nannte ziemlich unbeholfen gegenüber. Man hatte dann ein Gefühl, was einer Vorahnung glich. Man wusste, es kommt was auf einen zu. Gleichgültig ob gut oder böse. Wie wenn ein Komet, der aus der Tiefe des Raumes auftauchen würde, und es nur noch eine Frage der Zeit war, wann und wo es stattfinden würde. Gefolgt von der Ungewissheit, welchen Schaden das kommende Ereignis wohl anrichten würde.

»Birgitt, ich hatte dir doch gesagt, es kann nichts passieren. Sieh mal«, versuchte er, beruhigend auf sie einzugehen. »Die Zunft muss aus meiner Sicht, eine Institution oder eine Person sein, die alles beim Alten belassen möchte, so wie es war.« Birgitt setzte sich langsam aufrecht an seine Seite aufs Bett. Sie sah ihn jetzt schon entspannter an. Ja es sah in dieser Sekunde sogar so aus, als würde sie ein klein wenig Lächeln. Vermutlich irrte sich Franz, als er sie so ansah, um ihr Weiteres zu erklären:

»Die Zunft möchte uns bestimmt auf irgendwelche Missstände hinweisen. Weiß der Teufel auf was, aber wir finden es heraus.« Er ließ ihre Hand los um selbst entspannt seine Arme verschränkt vor sich abzulegen. Es irritierte ihn wohl doch zu sehr, wenn eine Person, in diesem Falle auch noch eine Frau, ihm näher sein wollte, als ihm lieb war.

»Mir sind nur die Begriffe wie Anstalten und Kartell ein Dorn im Auge. Ich finde noch keinen Bezug dazu«, maulte er herum. Als er sie so ansah, fiel ihm doch noch einiges mehr dazu ein. »Aber doch nicht so!«, dabei fuhr er wütend mit den Fingern über seine Platzwunden im Gesicht und am Kopf. »So brutal hätte man mit mir wirklich nicht reden müssen. Ich bin zwar in manchen Dingen begriffsstutzig, aber so unterbelichtet bin ich ja doch nicht oder Birgitt? Aber egal, irgendwie habe ich es trotzdem nicht verstanden.« Birgitt Kohlmarx sah ihn nur verwundert an, während Büchele Luft holte, um genauestens auszuführen.

»Mit Zettelchen um sich werfen, wie kleine Kinder, kann jeder. Vielleicht waren sie es ja, die damals bei Morgenstern die Reben geklaut haben. Oder was haben die Toten mit der Zunft zu tun? So objektiv betrachtet nichts. Sie wollen uns bestimmt auf was hinweisen. Auf Bachmaier vielleicht? Kein Plan was da wirklich Masse ist, wie man so schön sagt. Vielleicht hast du ja eine Idee?« Dabei wandte er sich, so weit es in seinem Bett möglich war, Birgitt zu. Völlig überrascht über die Frage, zupfte sie nervös an seiner Bettdecke herum:

»Ich kann mir auch keinen Reim darauf machen, Franz. Was habt ihr eigentlich damals in dem ominösen Eiskeller gefunden?« Unschlüssig seufzend tat Franz fast so, als habe er diese Frage nicht ganz verstanden, um doch ein diplomatisches: »Du weißt doch, aus ermittlungstechnischen Gründen darf ich dir nichts sagen. Ist ebenso«, noch zum Besten zu geben. Enttäuscht begann Birgitt schmollend für einige Sekunden auf ihrer Unterlippe herumzubeißen, als sie den Schritt nach vorn wagte. Mit: »Eine klitzekleine Andeutung, Herr Kommissar, darüber wäre ich sehr dankbar«, versuchte sie ihre momentane Unterlegenheit in puncto Wissensstand aufzubessern. Wieder eine mehr untypische verhaltene, als aussagekräftige Antwort kam von Kommissar Büchele.

»Wir haben nicht viel gefunden. Weinfässer, alten Müll und etwas Geld. Na ja, auch ein paar skurrile Dinge. Und nebenbei eine Leiche, die an den Beinen aufgehängt war. Aber weshalb fragst du? Das bleibt alles hier im Raum! Keine Veröffentlichung! Ich habe es nur dir gesagt. Kann ich mich auf dein Stillschweigen verlassen, Birgitt?«, dabei sah er sie prüfend an. Lächelnd legte sie sich ihre Hand an den Ausschnitt ihres Blazers, um leise mit einem sanften Lächeln »Großes Indianerehrenwort, Franz« seine Anweisung zu bestätigen.