Mord im Seniorenstift - Johannes Heidrich - E-Book

Mord im Seniorenstift E-Book

Johannes Heidrich

0,0

Beschreibung

Auf dem Großgartacher Friedhof wird eine, vor Weihnachten verstorbene Dame, unter Aufsicht der Heilbronner Mordkommission exhumiert. Die Vermutung ihres Sohnes, sie wäre ermordet worden, bestätigte sich nicht. Aber Wochen danach, werden bei einem nächtlichen Unwetter, im nahegelegenen Seniorenstift Neckarwasser vier Heimbewohner tot aufgefunden. Schnell stellt sich heraus, dass hier ein Mörder sein Unwesen treibt. Nachdem Hauptkommissar Franz Büchele die Ermittlungen vorantreibt, wird kurze Zeit später, in einem Pub in Güglingen, ein weiterer Toter aufgefunden. Hängen die Fälle zusammen? Auf nichts ist Verlass. Nur auf die perfide, gleichgültige Art des Mörders, kann sich Hauptkommissar Franz Büchele verlassen. Wie ein präzises Uhrwerk spult der Mörder sein Vorgehen ab. Die Lage spitzt sich zu. Das Ermittlerteam bekommt eine mysteriöse Drohung zugespielt: Et Nos Ludere

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 290

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so ist dies rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Wenn du stirbst, bleibt nichts mehr übrig von dir.

Es sei denn, du schreibst ein Buch.

Geschrieben Zeilen überdauern die Zeit in unseren versteckten Gedanken.

©Johannes Heidrich

Inhaltsverzeichnis

FUNDSTÜCK

LEHRSTUNDE

AUGENWISCHEREI

TODESSEHNSUCHT

SONDIERUNG

STÜRMISCHE NACHT

FALSCH GEDACHT

PROBLEMBERG

CHANCE NICHT GENUTZT

DER MAULWURF

Das Abstellgleis

Die Fügung

Hilfestellung

EPILOG

FUNDSTÜCK

Hedwig und Sabine besserten sich seit Jahren mit dieser Putzstelle ihre kleine Rente auf. Es war nicht viel, aber immerhin waren sie zu dieser frühen Stunde nicht von nörgelnden Vorgesetzten umgeben. Ihre Aufgabe bestand nur darin, alles wieder in den Urzustand zu versetzen. Sabine war jedoch seit zwei Wochen abwesend, da ihr Bruder sie zu sich, in die Lüneburger Heide eingeladen hatte. Nächste Woche wollte Sabine wieder da sein.

Hedwig konnte diese Aufgabe auch ohne sie erledigen. Mülleimer leeren, Tische und Boden wischen, Toiletten reinigen und auch das Auffüllen der Getränkeautomaten hatte man ihr aufgetragen. Carina, ihre junge Arbeitgeberin, war sehr zufrieden mit ihr.

Zugegeben, die Toiletten sahen oft widerlich aus. Aber nur dann, wenn mancher Gast vom vielen Alkoholkonsum die Kloschüssel verfehlte.

Nachdem sie ihr Auto in sternenklarer Nacht vor ihrer Arbeitsstätte parkte, stieg sie aus. Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte ihr, dass sie gut in der Zeit lag. Hedwig begann zu grinsen, was aber eh keiner bemerkte. Es war halb fünf. Gemütlich umrundete sie ihren kleinen weißen Flitzer, blieb am Kofferraum stehen und schloss ihn auf. Sie griff sich die mitgebrachten Putzutensilien, streifte sich ihre Schürze glatt, griff in die Tasche und zog einen abgegriffenen Schlüssel hervor.

Ohne große Anstrengung überwand sie die Treppenstufen zur Eingangstüre. Sie drückte den Lichtschalter. Eine spärliche Beleuchtung ging an. Schon immer hatte sie die Beleuchtung für unzureichend empfunden. Aber beklagen konnte sie sich trotzdem nicht. Sie zauberte ein kleines Radio aus dem Putzeimer und stellte es auf den Tresen.

Es roch nach Schweiß. Aus der Küche drang ein unverkennbarer Fettgeruch, der auf den Verzehr von Pommes hinwies. Für die Putzfrau war dies morgendlicher Arbeitsalltag. Sie war eine ehrliche Seele. Nach etwa zwei Stunden Arbeit, Hedwig wischte gerade die Tische ab, viel ihr auf dem Boden etwas auf. Unter dem Tisch, nahe einem Stuhlbein, lag ein Handy. Gewissenhaft wie sie war, hob sie es auf, wischte mit dem Putztuch drüber und verfrachtete es in eine kleine Schale, die neben der Kaffeemaschine stand. Geldstücke, eine Brosche, ein Ehering mit Gravur, Visitenkarten und vieles mehr befanden sich darin. Viele der Besucher bemerkten oftmals nicht, wenn ihnen ein zehn Euroschein oder ähnliches auf den dunklen Boden fiel. Ihre junge Chefin Carina, die gemeinsam mit ihrem Mann Stefan diesen Pub führte, hatte beschlossen, stets alle Fundstücke zu sammeln. Sollte sich dann ein Besitzer melden, konnte sie es zurückgeben. Hedwig erschrak, als das Telefon kurz zu läuten begann, aber nach drei Klingelzeichen wieder verstummte. Schulterzuckend sah Hedwig sich um. Sie starrte durchs Fenster nach draußen. Hier, so abgeschieden im hintersten Teil des Industriegebietes, konnte einem so ganz allein, schon mal etwas gruselig werden.

Es war nicht mehr viel zu erledigen. Nur noch das kleine, eher stinkende Raucherabteil war noch zu reinigen und zu desinfizieren.

Zwei mickrige Tische und sechs Stühle bildeten in diesem kleinen Raum ein bescheidenes Assemblee. Hierher zog es diejenigen, die nicht in die Kälte raus wollten und nicht ohne Glimmstängel auskamen. Der Raum war daher nie hell erleuchtet, nur zwei UV-Leuchten gaben dem Raum etwas an Helligkeit.

Hedwig wischte eben noch den Tresen ab, als abermals das Klingeln des Telefons die Stille unterbrach. Sie zuckte zusammen.

Hedwig konnte sich keinen Reim darauf machen. Wer sollte um diese Zeit in einem Lokal anrufen? Verschüchtert sah sie aufs Display. „Carina Home“ stand da geschrieben. Sie hob ab. ››Carina? Hedwig am Apparat‹‹, flüsterte sie schon ängstlich in den Hörer.

››Ja Carina, alles ok, muss nur noch die Raucherzone reinigen, dann bin ich fertig.‹‹

Wieder lauschte sie in den Hörer.

››Nein, nichts Außergewöhnliches, ach doch …‹‹, begann sie zu stottern.

››… ich habe ein Handy gefunden und es wie immer in die Schale gelegt.‹‹

Nickend hielt sie sich weiterhin den Hörer ans Ohr.

››Ja, mache ich. Kein Problem, Carina. Dir auch noch einen schönen Tag.‹‹

Hedwig wunderte sich noch über den Anruf ihrer Chefin. Niemals zuvor hatte sie angerufen. Weshalb heute? Schnell schob sie diesen Gedanken beiseite. Mit Putzlappen, einem Eimer und einer Folie für den Mülleimer bewaffnet, ging sie im Halbdunkel durch den Raum. Sie hasste das ultraviolette Licht der Raucherzone aber die jungen Leute standen wohl darauf. Beherzt griff sie mit der Hand nach dem Türgriff. Sie zog daran, machte einen Schritt ins Dunkel und verlor sofort auf etwas Glitschigem den Halt. Sie landete auf ihren Knien. Ihr erster Gedanke galt verschüttetem Bier und Pommes, das auf dem Boden eine ekelhafte Schmiere verursachte. Nichts von alledem sollte es sein. Ihre Knie und ihre Gummihandschuhe klebten förmlich am Boden.

››Igitt! So eine Scheiße‹‹, entfuhr es ihr. Mit einer Hand hielt sie sich an einem Tisch und zog sich nach oben. Wegen der spärlichen Beleuchtung konnte Hedwig kaum was sehen. So bemerkte sie auch nicht, worin sie gelandet war. Wütend zog sie ihre Gummihandschuhe aus und griff nach ihrem eigenen Handy in ihrer Tasche. Irgendjemand saß in der Ecke am Tisch. Hatte ein Gast hier seinen Rausch ausgeschlafen? Sie lauschte während ihre Handybeleuchtung anging.

Ein Mann mit Hut saß am Tisch. Die Augen und Mund weit aufgerissen. Aber das schrecklichste sah Hedwig erst jetzt. Beide Arme lagen vor ihm auf dem Tisch. An seiner rechten Hand fehlten zwei Finger. Hedwig schluckte.

Vor ihm stand ein Glas, dessen Inhalt sie nicht ausmachen konnte. Aber eines erkannte sie, die fehlenden Gliedmaßen, Ringfinger und Kleiner Finger, hatte jemand ins Glas geworfen. Die Telefonlampe schweifte zurück auf den Fremden, ihm war die Kehle durchtrennt worden. Das Blut war auf den Boden gelaufen, was diese eklige Schmiere verursachte.

Hedwig kam langsam aus ihrer Schockstarre. Kreischend ließ sie ihr Telefon fallen und flüchtete nach draußen. Unaufhörlich schrie sie auf der Straße nach der Polizei.

LEHRSTUNDE

Es schien für Kommissar Büchele der perfekte Tag zu sein. Dieser Sonntag, der 28. Juli 2019, würde ihm noch ewig in Erinnerung bleiben. Die Sonne strahlte vom Himmel und er stand pünktlich um neun Uhr, mit geliehenen Golfschuhen und sonstigem Equipment, auf dem satten Grün der Golfoase Dullinger Hof.

Er hatte von Brigitte und Gisela zu Weihnachten einen Entspannungsgutschein bekommen. Büchele schien spinnefeind mit dem Wort „Entspannung“ umzugehen und rümpfte die Nase als er am Weihnachtsabend die Aufschrift des Umschlages las. Aber als er bemerkte, wohin diese Entspannung ihn bringen würde, konnte er nicht anders als zu lächeln. Es war ein Gutschein für einen Golf-Einführungskurs. Steigen Sie ein in der Königsklasse der Entspannung, genießen Sie die Landschaft, die Gesellschaft von Freunden und seien Sie unser Gast auf der Golfoase Dullinger Hof. So stand es zumindest auf dem beigelegten Prospekt.

Golf wollte er schon immer lernen, nur hat er dazu nicht die nötige Zeit und das entsprechende Kleingeld. Manchmal fragte er sich, woher der Pathologe Fröschle sie nahm, wenn er dann und wann von seinen Golffreunden und dem satten Grün schwärmte. Aber jetzt stand er selbst auf der Driving Range. Der Golflehrer Jürgen Notöhrlein schüttelte nur unverständlich mit dem Kopf, als er sah wie Büchele mit jedem Schwung den Golfball zu treffen versuchte. Dabei verschwand sein Schläger viel zu oft mit voller Wucht im Grasteppich. Dabei wollte er den kleinen weißen Ball eigentlich nach vorne aufs Feld befördern. Brigitte, die schon länger auf der Golfoase spielte, war mitgekommen. Sie lächelte, während sie mit korrekter Körperhaltung ihren Ball gezielt nach einem gelungenen Abschlag in die Nähe des Loches beförderte.

Endlich hatte sie etwas, womit sie Büchele anscheinend überlegen war. Selbst sein Hausarzt Dr. Hugo Steinäcker, der unweit stand, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und lief zu Büchele hinüber. Büchele schob sich seinen Strohhut in den Nacken, während er von einem Bein auf das andere tippelnd Hin und Her schwang.

››Leicht schwingen, Franz‹‹, rief ihm Dr. Steinäcker zu, als er ihn fast erreicht hatte. Franz Büchele versuchte sich zu konzentrieren. Ging leicht in die Knie, fixierte die Fahne an und drehte sich wie es sein Golflehrer ihm schon tausendmal gezeigt hatte. Büchele holte zum Schlag aus.

Wuchtig traf der Golfschläger den Ball, der blitzartig vom kleinen „Tee“ gehoben wurde. Er flog in hohem Bogen in Richtung Fahne. Selbst Kommissar Büchele konnte es nicht glauben. Er bemerkte, wie jeder der Anwesenden, dem durch die Luft sausenden Ball mit den Augen folgte.

Hart schlug er zwei, drei Meter vor der Flagge auf und holperte über den frisch gemähten Rasen. Verwundert sahen alle Büchele an. Keiner hatte von dem sonst so ungehaltenen Beamten so einen Schlag erwartet. Mit einem verschmitzten Lächeln sah er zu Brigitte. Erst dann strahlte er seinen Hausarzt Dr. Steinäcker, mit dem er schon Jahre persönlich bekannt war, an. Aber Büchele wäre nicht Büchele, wenn er noch schulterzuckend seinen schwäbischen Senf dazugab.

››Ha no, glernt isch ebe glernt.‹‹

Irritiert über so viel Glück sah selbst Bücheles Golflehrer zu ihm herüber als sein neues Handy in seiner Tasche zu klingeln begann. Missmutig nahm Büchele es aus der Tasche, drückte eine Taste und hielt sich das kleine Gerät ans Ohr. Er holte tief Luft. Murrend kam nur ein: ››Büchele‹‹ von ihm, während jeder um ihn herum nur stumm in seine Richtung blickte.

››Wie, Mord?‹‹, kam es von ihm.

››Ja Max, aber des hat doch no Zeit bis Montag. Die Person isch doch scho lang dod, oder?‹‹

Franz hörte seinem Kollegen am anderen Ende genau zu.

››Ja, besorg die Papiere vom Seniorenstift und ruf unsern Staatsanwalt Krümmbusch an, ob der scho was vorliege hat, dann hen mir was am Montag und kenne ohfange uf’em Friedhof zu grabe. Nein, ich bin net beim Esse, ich bin mit Brigitte und em Hugo uf’em Golfplatz. Noi, Bruno Fröschle isch net do. Ja, ok. Bis morgen.‹‹

Kommissar Büchele schob das Gerät wieder in die Tasche zurück, als er die Ruhe bemerkte, die ihn umgab. Keiner sagte ein Wort. Büchele versuchte dieses Rätsel mit einem kurzen: ››Des war die Dienschtstell, aber nix was ned bis Montag warte kann. Kenne mir weiterspiele?‹‹, zu entwirren.

Brigitte, die stets auf ein mit französischem Akzent ausgesprochenem und eher schwäbisch klingendem „Brischitt“ bestand, ergriff den Beamten am Ärmel und zog ihn näher an sich heran. In leisem Ton flüsterte sie ihm etwas ins Ohr. Büchele zeigte sich wenig erfreut darüber. Sofort gab er ihr unumwunden seine Meinung, zu dem von ihrem angeführten Punkt, zu verstehen.

››Brigitte, jetzt isch aber gnug. Nur weil irgend so ein missmutiger Griffelspitzer koi schwäbisch kann, werd i zumindest in meiner Freizeit so schwätze wie mir die Gosche gwachse isch. Verstehsch mi?‹‹

Beruhigend versuchte Brigitte Kohlmarx auf ihn einzuwirken, indem sie mit ihrer Hand liebevoll über seinen Arm streichelte.

Selbst Dr. Hugo Steinäcker rückte sich unruhig seine kleine Nickelbrille zurecht, ehe er zu sprechen begann.

››Franz, ist ein Mord geschehen, kann ich helfen?‹‹

Desinteressiert über so viel Aufmerksamkeit nur wegen eines Telefonates winkte Büchele ab.

››Kein Plan, Hugo. Irgendeine Frau Kressmann aus dem Seniorenstift Neckarwasser ist vor Weihnachten gestorben. Da anscheinend die arme Frau mit 86 Jahren noch topfit aussah, glaubt einer der Angehörigen an Mord. Mehr kann ich auch nicht sagen. Die Exhumierung nächste Woche wird mehr ergeben. Kanntest du die Dame? Du machst doch auch die Betreuung im Seniorenstift?‹‹

››Ja‹‹, entgegnete ihm sein Hausarzt etwas trocken.

››Ich habe hunderte von Patienten, da kenne ich nicht jeden einzelnen näher. Und was den Totenschein betrifft muss ich auch passen. Von Ende November bis Heilige Drei Könige war ich in Norwegen. Aber wenn es dir hilft mache ich mich über den Arzt, der den Totenschein ausgestellt hat, kundig. Vielleicht war es einer der ansässigen Kollegen oder eine Aushilfe aus Heilbronn. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich Ergebnisse habe, ok?‹‹ Büchele nickte zufrieden.

Der junge Golflehrer, der sich aus der Diskussion herausgehalten hatte, sah auf seine Uhr.

››Können wir weiterspielen oder machen wir Feierabend für heute?‹‹

Büchele wollte natürlich das Geschenkangebot von seinen Freunden voll auskosten und gab nur ein Kurzes: ››Herr Notöhrlein, wir spielen weiter‹‹, als Antwort auf seine Frage an den Golflehrer zurück. Die ersten zaghaften Versuche, das Golfspiel zu erlernen, hatten Spaß gemacht. Es war, wie ihnen der Besitzer der Golfoase prophezeite, ein entspannender Tag. Büchele sah sich um. Hier übten selbst Kinder schon ihre ersten Abschläge und wurden so dem Golfsport ein Stück nähergebracht.

Nach einem kurzen Imbiss im angrenzenden Bistro fühlte es sich an, als würde die Zeit für Minuten stehenbleiben. Büchele zog die frische Luft herzhaft in seine Lungen.

››Ah, tut das gut.‹‹

Brigitte lächelte ihn augenzwinkernd an.

Kommissar Büchele sah wortlos auf die Uhr. Es war an der Zeit seinen freien Tag abzubrechen und zur Dienststelle zu fahren. Vielleicht hatte ja Max inzwischen mehr erfahren. Aber wie schon so oft, sollte der Alltag sie in den nächsten Wochen und Monaten in ungeahnte Konflikte stürzen.

AUGENWISCHEREI

Brigitte setzte Büchele mit ihrem roten Cabrio, eine halbe Stunde später, am Eingang des Heilbronner Polizeipräsidiums ab. Sie fuhr lächelnd zu ihrem eigenen Arbeitsplatz bei Ländle TV, das nur wenige Kilometer entfernt lag.

In seinem Dezernat angekommen, sah er sich um. Das Büro war leer. Nur ein kleiner gelber Zettel lag auf seinem Schreibtisch.

-Obduktion wurde durch den Staatsanwalt für Montagmorgen angeordnet. Die Stadtverwaltung Abteilung Bauhof, wird unter Leitung von Herrn Udo Welsch den Sarg ausgraben. Wir sehen uns morgen früh. Gruß Max. PS: Wünsche dir noch einen schönen Sonntag. Max.-

Franz schüttelte den Kopf. Und wegen diesem Zettel war er ins Präsidium gefahren? Sicherlich, für Brigitte gab es einiges beim Sender zu tun, aber für ihn schien der Sonntag gelaufen zu sein. Er durchwühlte seine Taschen und fand was er suchte: Sein neues Handy. Freunde hatten es ihm geschenkt, um seinen schon nervigen Spruch ››Kann ich mal dein Handy haben, ich habe keines‹‹, zu umgehen. Sein Handy lag kurz in seiner Hand, bevor er es ausschaltete und grinsend in die unterste Schublade seines Schreibtisches beförderte.

Er drückte eine Kurzwahlnummer auf seinem Dienstapparat und bestellte sich ein Taxi, welches ihn nach Hause zum Anwesen Weinvilla Fischer chauffierte.

Der nächste Tag schien nicht besser oder schlechter zu werden als alle anderen davor. Franz kam etwas früher als gewohnt ins Präsidium und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Etwas unwillig trommelte er mit seinen Fingern auf seinem Schreibtisch herum. Jeder der Ankommenden bemerkte sofort Bücheles Anspannung und versuchte sich nach einem kurzen ››Guten Morgen Chef‹‹, sofort in eine andere Ecke des Dienstzimmers zu verziehen. Ein morgendlicher Kontakt mit einem angespannten Vorgesetzten hatte oftmals ungeahnte Konsequenzen. Nur einen störte es wenig wie Kommissar Büchele drauf war. Sein Freund und Kollege Max Krüger.

Als er auf Franz zusteuerte, hörte augenblicklich das laute Trommeln der Finger auf seinem Schreibtisch auf.

››Guten Morgen Franz‹‹, dabei streckte er ihm lächelnd seine Hand entgegen.

Ehe sich seine Lippen bewegten, schob auch dieser seine Hand nach vorn.

››Hallo, Max.‹‹

Krüger setzte sich wie gewohnt ihm gegenüber. Griff in die seitliche Schublade und holte einen Schreibblock, sowie andere Schreibutensilien hervor.

Franz, der immer noch entspannt vor ihm saß, hob den gelben Zettel vor sich auf. Stütze sich mit den Ellenbogen ab und begann ruhig und gelassen zu reden.

››Was soll dieser Zettel, sowie der Anruf von gestern bedeuten?‹‹

Max verschränkte die Arme vor seiner Brust und wippte auf seinem ausgeleierten Bürostuhl langsam vor und zurück.

››Du kannst doch lesen und alles andere Relevante hatte ich dir am Telefon berichtet. Franz, was ist daran so schwierig zu verstehen?‹‹

Büchele fuchtelte mit dem Zettel noch kurz vor ihm herum, bevor er seine Frage in Worte kleidete.

››Na ja, auf dem Friedhof eine alte Dame auszugraben, finde ich in diesem Fall ein bisschen übertrieben. Du nicht?‹‹

››Wir sind nicht die Angehörigen, Franz. Und der Staatsanwalt hat einem Verdacht, bzw. einer Anzeige wegen Mord stattgegeben. So einfach. Aber nun ja, ich muss dir Recht geben. Den Angehörigen geht es ums Geld nicht um die arme Frau. Denn jetzt wird es spannend, Franz. Die verstorbene Frau Kressmann hat vor ihrem Tod einiges an Geld einem Gnadenhof für Tiere vermacht.‹‹

Franz sah ihn an.

››Meinst du die Tiermafia steckt dahinter?‹‹

Krüger winkte ab.

››Ich denke die Verwandten sind nur scharf auf Omas Geld. Denen ist doch eigentlich egal, woran sie gestorben ist. Aber so haben sie einen Grund die Sache aufzurollen.‹‹

Zwischenzeitlich war auch Lilly Hansen an den Tisch ihres Chefs gekommen.

Franz sah sie an.

››Wenn ich mich richtig erinnere, hast du doch letztes Jahr unentgeltlich in einem Pflegeheim ausgeholfen. War das nicht im Seniorenstift Neckarwasser?‹‹

››Ja Chef, war in meinen Urlaubstagen. Wieso fragst du?‹‹

››Dann kennst du dich doch dort aus, oder?‹‹

››Denke schon, wieso?‹‹

››Vielleicht sind deine Hintergrundinformationen noch hilfreich. Warten wir mal ab. Aber jetzt dürfte erst die Exhumierung und die Obduktion der alten Dame Vorrang haben. Max, wir beide fahren zum Friedhof und sehen wie weit die Herren dort sind, ok?‹‹ Angekommen, wunderten sich die Beamten. Kaum jemand war anwesend. Von weitem sah man ein ausgehobenes Grab. Keine zwanzig Meter davon entfernt stand ein Gemeindemitarbeiter und belud sein Fahrzeug mit Gerätschaften. Büchele sah Max an. Ohne ein Wort schritten sie zügig auf den in Orange gekleideten Mann zu. Der Arbeiter hatte sie nicht kommen hören, war er doch mit dem Beladen des Fahrzeuges beschäftigt und wandte ihnen dabei den Rücken zu. Die Beamten warteten etwas und machten sich mit einem Räuspern bemerkbar. Der Arbeiter hielt noch eine Schippe in der Hand und drehte sich erschrocken um. Büchele und Krüger traten wie Synchronschwimmer gleichzeitig einen Schritt zurück, ehe das Ende der Schaufel vor ihren Köpfen vorbeizischte. Selbst erschrocken, kam wie erwartet eine Entschuldigung von ihm.

››Heiliger Bimbam, haben Sie mich erschreckt.‹‹

Büchele lächelte unverhohlen und griff in seine Tasche, zog seinen Dienstausweis hervor und hielt ihn dem Gemeindearbeiter vor die Nase.

››Mein Name ist Franz Büchele von der Mordkommission aus Heilbronn. Und dies ist mein Kollege ….‹‹

Noch bevor Büchele zu Ende gesprochen hatte, begann der Arbeiter seinerseits zu grinsen und zeigte auf sein Namensschild. Wie er oftmals in James Bond Filmen es gesehen hatte fuhr er fort.

››Welsch, mein Name ist Welsch, Udo Welsch und ich arbeite bei der Gemeinde. Ich bin für die Blumen und noch einiges mehr verantwortlich. Was kann ich für Sie tun, Herr Geheimrat?‹‹, witzelte er herum. Kommissar Büchele, der solche Schlagfertigkeit schätzte, gab ihm die Hand.

››Herr Welsch, wir sind hier, um einer Exhumierung beizuwohnen.‹‹

Franz griff in seine Hosentasche und zog einen Zettel aus der Tasche.

››Genauer gesagt, die einer Frau Kressmann.‹‹

Herr Welsch hob seine Mütze an und kratzte sich kurz am Kopf.

››Herr Kommissar, da sind Sie zu spät dran.‹‹

››Zu spät?‹‹, kam es von Krüger, der bis dahin wortlos zugehört hatte.

››Zu spät, was soll das bedeuten?‹‹

››Na ja, zu spät eben. Wir hatten heute Morgen um acht alles vorbereitet. Kurz danach kamen der hiesige Bestatter und einige Polizeibeamten vorbei. Aber Herr Kommissar, wenn ich es noch gut im Gedächtnis abgespeichert habe, war auch noch ein Staatsanwalt dabei. Aber dessen Namen hatte ich nicht verstanden als er sich mit meinem Chef unterhielt. Na ja, …‹‹, dabei wies er auf die leere Grube.

››… jetzt haben sie den Sarg in die zuständige Pathologie gebracht. Wir sollten nur die Grabstätte sichern damit keiner reinfallen kann, mehr nicht.‹‹

Büchele stierte auf seinen gelben Zettel. Der Mann hatte Recht. Inzwischen war es fast elf. Sie hatten sich in der Zeit vertan.

››Macht nichts‹‹, bedankte er sich bei ihm. Gekonnt versuchte er seinen eigenen Fehler zu überspielen.

››Wir wollten nur sehen ob alles glatt läuft. Danke.‹‹

Zügig gingen sie zu ihrem Dienstwagen zurück als Krügers Telefon klingelte.

››Krüger‹‹, antwortete er schroff als er die grüne Taste drückte. ››Ist ok, wir sind unterwegs.‹‹

Als sie beim Auto angekommen waren sah Büchele ihn an.

››Auf dem Revier wartet der Sohn der Verstorbenen auf uns.‹‹

››Wieso?‹‹

››Weiß ich auch nicht. Rainer meinte nur am Telefon, der Sohn würde sich aufführen als ginge es um Leben und Tod!‹‹

Franz schnaufte kurz durch.

››Was kann so wichtig sein, dass man eine 86-Jährige ausgraben lässt? Fahr los, dies ist wichtiger als hier vor einem leeren Grab zu stehen. Hören wir uns an was der Sohn zu berichten hat.‹‹

Franz gab mit Handzeichen zu verstehen, dass Max nun endlich fahren sollte. Er nickte und startete den Wagen.

Bevor die beiden Beamten die Türe ihres Dezernates erreicht hatten, hörte man schon auf dem Flur eine laute, aufgeregte, männliche Stimme.

Franz öffnete die Tür und trat hinein. Dicht gefolgt von Max. Noch bevor er seinen Strohhut vom Kopf ziehen konnte, bemerkte er wie sofort Ruhe in den Raum einkehrte und alle Blicke sich ihm zuwendeten. Ohne zu zögern ging Franz unbeeindruckt zu seinem Schreibtisch und setzte sich.

Rainer Kaufmann, der letztes Jahr zum Kommissar befördert wurde, schien mit dem Fremden etwas gestresst zu sein und schob ihn in Richtung seines Vorgesetzten. Franz stand auf, umrundete seinen Schreibtisch und ging auf den Fremden zu. Ohne zu zögern griff er nach dessen Hand und schüttelte sie.

››Ich bin Hauptkommissar Büchele, und Sie?‹‹

Völlig überrascht sah ihn der Fremde an und drosselte seine laute Stimme. Jetzt schien er eher eingeschüchtert als aufgebracht zu sein. War es die stattliche Größe des Beamten die ihn innehalten ließ? Zumal der Fremde Franz kaum bis zum Kinn ging.

››Mein Name ist Rüdiger Kressmann. Ich bin der Sohn der Verstorbenen, die Sie heute Morgen ausgegraben haben. Verstehen Sie? Ich fordere Genugtuung, Herr Kommissar. Meine arme Mutter wurde ermordet.‹‹

Jetzt erhob er wieder seine Stimme etwas lauter.

››Und der Dieb und Mörder läuft noch immer frei herum. Der treibt bestimmt im Pflegeheim noch immer sein Unwesen. Tun Sie was!‹‹

Franz vernahm einen leichten Unterton in der Stimme von Rüdiger Kressmann.

Er lotste ihn zu seinem Schreibtisch, zog den Stuhl etwas zurück und meinte nur gelassen: ››Jetzt setzen Sie sich bitte und erzählen Sie mal Herr Kressmann. Was liegt Ihnen auf der Seele und wieso denken Sie, dass Ihre Mutter umgebracht wurde? Und weshalb Dieb? Sie sagten doch eben Dieb, oder nicht?‹‹

Rainer schob Franz eine Akte auf den Tisch. Während der Besucher sich sammelte und in seinen Taschen kramte, überflog Franz die Akte, die nur wenige Seiten enthielt.

››Hier!‹‹

Barsch warf Rüdiger Kressmann den Brief eines Notars, Büchele auf den Tisch. Franz blickte ihm in die Augen, ehe er den Brief las. Immer wieder sah er, sofern er einige Zeilen gelesen hatte, zu ihm hoch.

››Wenn ich diesen Brief richtig deute, ist doch alles eindeutig. Aber ich bin ja kein Rechtsanwalt oder Notar. Hier steht, beim Ableben Ihrer Mutter, bekommen Sie die drei Häuser ihrer Mutter und alle sonstigen Grundstücke. Und eine gewisse Frau Ziegler, eine Lebensversicherung in Höhe von 30.000 Euro. Diese Summe muss Frau Ziegler, im Namen Ihrer Mutter, einem Gnadenhof für Tiere stiften. Was soll daran falsch sein? Vielleicht hätte sie es gleich testamentarisch dem Gnadenhof vermachen können. Ich weiß es nicht. Aber ist spenden für Tiere verboten, oder hat sich die Frau bereichert, Herr Kressmann? Schließlich hat Ihre Mutter Ihnen fast alles andere vermacht. Stellen Sie sich vor, Sie hätten nur die Lebensversicherung bekommen und der Gnadenhof die Häuser und Grundstücke? Und deshalb wird die arme Frau exhumiert? Schämen Sie sich!‹‹

Rüdiger Kressmann blieb kurz die Luft weg.

Aus seiner anderen Tasche zog er einen handgeschriebenen Zettel hervor, der den Briefkopf des Seniorenstiftes Neckarwasser trug. Kommissar Büchele sah, dass das kleine Blatt Papier mit Füller beschrieben worden war. Mit gut leserlicher Schrift standen da vier Wörter.

Mord ist seine Antwort.

Franz schüttelte den Kopf.

››Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass dieser Zettel beweiskräftig ist? Da warten wir doch besser die Autopsie ab.‹‹

Franz vermochte absichtlich, den Gedanken seines Gegenübers nicht zu folgen. Er bekam so einen bestimmenden Gesichtsausdruck und seine Stimme nahm etwas an Härte zu. Sofern man es so sagen konnte.

››Und Herr Kressmann. Wie der Totenschein besagt, so sei Ihre Mutter bis ins hohe Alter geistig agil gewesen und an Herzversagen gestorben. Dabei möchten wir es doch zu diesem Zeitpunkt auch belassen. Aber ok, wir gehen Ihren Vermutungen auf den Grund. Nur im Moment müssen wir dazu noch andere Spuren auswerten. Aber jetzt entschuldigen Sie uns höflichst, wir müssen auch unser Alltagsgeschäft erledigen. Sie hören von uns, auf Wiedersehen.‹‹

Angespannt sah er ihn an.

››Rainer, bring bitte den netten Herrn zur Pforte, danke.‹‹

Rainer wies mit einer Hand zur Tür, was Herr Kressmann unmissverständlich signalisierte, dass er unerwünscht sei. Wortlos folgte er dem Beamten zur Tür.

Mit einem Seufzer begab sich Franz zu seinem Schreibtisch.

Dabei hielt er noch immer das kleine Blatt in Händen, welches Rüdiger Kressmann so aufgeregt hatte. Zugegeben, der kleine Satz: „Mord ist seine Antwort“, klang nicht gerade aufmunternd. Aber woher kam der Zettel? Was hatte er zu bedeuten? War es eine Gesprächsnotiz, oder hatte die Verstorbene wissentlich die Zeilen aufgeschrieben, um jemanden zu warnen?

Franz stand auf und sah zu Lillys Arbeitstisch hinüber. Genau in diesem Moment blickte die zierliche Beamtin zu ihm herüber. Ohne Worte winkte er sie zu sich an den Tisch.

››Franz, was kann ich für dich tun?‹‹

Büchele verschaffte sich einige Sekunden Zeit, als er ein: ››Kommissar Kaufmann, zu mir bitte!‹‹, durch den Raum rief. Rainer, der eben an der Kaffeemaschine hantierte, fuhr zusammen. Schnell, doch ohne ängstlich zu wirken ging er raschen Schrittes zum Tisch seines Chefs.

››Chef, was liegt an?‹‹

Franz ignorierte Rainers Frage zunächst und wandte sich Lilly zu.

››Lilly, wir hatten doch darüber geredet.‹‹

Lilly unterbrach Franz abrupt.

››Franz, worüber haben wir geredet? Wir reden täglich viel. Geht es ein wenig präziser?‹‹

Franz überhörte förmlich Lillys kleine aufsässige Art, die je nach Tagesform unterschiedlich ausfiel.

››Lilly, du bist doch freiwillig an einigen Tagen im Jahr im Seniorenstift. Gibt es da was wo dir auffiel. Oder sagen wir mal so: Viel dir da etwas Ungewöhnliches auf? Etwas wo du sagen würdest das geht gar nicht?‹‹

››Chef, es gibt im Seniorenstift erhebliche Unterschiede was die Pflege und Unterbringung anbelangt.‹‹

Franz horchte auf.

››Es ist nicht wie du es dir vorstellst. Nein, die Einrichtungen, besser gesagt Häuser, haben die Form eines L. Ein Haus ist betreutes Wohnen und das andere das Pflegeheim. Beide zusammen ergeben das Seniorenstift Neckarwasser. Als Betreutes Wohnen werden dort wie überall Wohnformen bezeichnet, in denen Menschen Unterstützung finden, die je nach Lebenssituation unterschiedliche benötigen. Sofern sie können, dürfen sie sich selbst versorgen, zum Einkaufen gehen etc. Und das Pflegeheim daneben, ist eine Einrichtung, in der pflegebedürftige Menschen ganztägig oder nur tagsüber oder nur nachts untergebracht und unter der Verantwortung professioneller Pflegekräfte gepflegt und versorgt werden. Darüber hinaus gibt es natürlich auch noch die Altenpflegeheime wie im Seniorenstift Neckarwasser. Hier darf niemand der alten Herrschaften ohne Einwilligung raus. Zumal sie oftmals gehbehindert oder Demenz sind und wirklich Pflege rund um die Uhr benötigen. Alles verstanden Franz? Was aber deine Frage betrifft, so kann ich nichts Auffälliges darüber berichten. Nur …‹‹

Lilly machte eine kurze Pause bevor sie weiterredete.

››… viele Leute kaufen sich eine Wohnung im betreuten Wohnen. Was meiner Meinung nach nicht das Wahre ist. Solltest du nämlich pflegebedürftig werden, bist du dort völlig falsch und musst ins Altenpflegeheim. Schon deshalb bieten die Einrichtung eine, sozusagen –Probeliegewoche- an. Da kannst du schon in deinem Alter entscheiden ob es dir gefällt.‹‹

Franz winkte überfordert ab. Das Thema -älter werden-und dann auch noch ein Pflegefall sein, bescherte ihm ein unbehagliches Gefühl. Schnell wische er den Gedanken daran aus seinem Gedächtnis.

››Alles klar‹‹, wiegelte er kurz ab und wandte sich Rainer zu, der stumm neben Lilly stand.

››Rainer, gehen wir es mal so an. Du versuchst bei unserem guten Pathologen Dr. Fröschle was zu erfahren. Ich glaube zwar nicht, dass es so schnell geht, aber häng dich trotzdem mal ans Telefon. Und sammle Informationen über die Verstorbene und deren Sohn. Und du Lilly …!‹‹, dabei wandte er sich ihr kurz zu.

››… Lilly, du versuchst bitte, etwas über Frau Ziegler zu erfahren. Mach dich doch auch beim Notar schlau. Sollten wir etwas Amtliches benötigen rufen wir beim Staatsanwalt Krümmbusch an, ok?‹‹

Rainer und Lilly nickten und verschwanden von Bücheles Schreibtisch. Nur Kollege und Freund Max Krüger sagte kein Wort und sah Franz an.

Franz kannte den Blick seines Freundes.

››Jetzt spuck’s scho aus.‹‹

››Na ja, ich würde mal abwarten was geschieht. Wenn ich bis dato alle kümmerlichen Argumente so sehe, haben wir nichts was für einen Mord spricht. Eher für einen Mordversuch. Wenn überhaupt. Nur in diesem Fall gab es nicht den Funken eines Anhaltspunktes, der dafür sprach, dass die arme Dame gewaltsam ums Leben gekommen ist.‹‹

Max hob beide Arme in die Höhe.

››Die Behauptung, dass ein Gnadenhof für Tiere eine kleine Summe ihres Vermögens bekommt, ist nun wirklich kein Grund sie zu ermorden. Eher sieht es für mich so aus, als würde der Sohn alles an sich reißen was Geld bedeutet. Habe ich nicht Recht?‹‹

Franz nickte.

››Du hosch Recht, aber der Zipfel von Sohn hat oi Ozeig gmacht und die isch beim Staatsanwalt glandet. Muss ich mehr dazu sage?‹‹

Franz schien auch über diesen Zustand etwas missmutig zu sein und kramte in seinen Unterlagen herum.

››Aber wir warten den pathologischen Bericht ab. Weiterhin werde ich auch noch einen gesonderten toxikologischen Bericht anfordern. Aber wie ich unseren Bruno Fröschle kenne, wird der ihn ohnehin zur Dienststelle einreichen. Somit …‹‹

Franz schnaufte kurz aus bevor er mit einem Rums die Schublade seines Schreibtisches zuschob.

››… somit können wir nur abwarten.‹‹

Wie erwartet lag das Ergebnis der Recherche erst nach einigen Tagen vor. Nur der pathologische Bericht ließ auf sich warten. Franz sah auf die Uhr. Ungehalten ging er die vorliegenden Details an der Pinnwand mit seinen Dokumenten, die er in Händen hielt, durch. Max, der hinter ihm stand zeigte auf ein Detail was jemand an die Pinnwand gekritzelt hatte.

-Mehrere Spender-, stand in Großbuchstaben auf einem angeheftetem Blatt Papier. Max erkannte die Handschrift. Der Jungkommissar Rainer Kaufmann stand eben noch ganz relaxt am Drucker als sein Name laut und deutlich durch das Büro hallte. Max, der gute zehn Meter entfernt von ihm stand, winkte ihm.

››Rainer, hättest du kurz Zeit für uns?‹‹

Sofort spannte sich sein Körper an. Hatte er einen Fehler begangen, etwas vergessen? Zügig eilte er, ohne zu zögern auf Max und Franz zu, die immer noch auf die Pinnwand starrten und diskutierten. Sekunden später, genau in diesem Moment, als Rainer an sie herantrat verstummte die Diskussion. Max nahm ihn beim Arm und zeigte auf das beschriebene Blatt.

››Ist doch deine Handschrift, oder?‹‹

Zögerlich nickte Rainer. ››Ja wieso?‹‹ Max lächelte ihn an. ››Dann erkläre uns doch was -Mehrere Spenderbedeutet.‹‹ Rainer sah aus den Augenwinkeln heraus, wie nicht nur Max auf seine Antwort wartete, sondern auch Franz Büchele sein Vorgesetzter ihn stumm, aber mit leicht zusammengekniffenen Augen ansah.

››Na ja. Ich war beim Notar und der bestätigte mir, dass einige Heimbewohner, die entweder alleinstehend oder mit ihren Verwandten nicht klarkamen, spendeten. Und dies betraf nicht nur Neckarwasser. Er habe jährlich mit unzähligen Überschreibungen oder Spenden dieser Art zu tun. Näheres durfte er mir als vereidigter Notar natürlich nicht anvertrauen. Nur so viel: Lebensversicherungen, Geldbeträge oder selbst Häuser, sind schon des Öfteren dabei gewesen. Ob Kirchen, Clubs oder gemeinnützige Institutionen alles sei rein rechtlich erlaubt.‹‹

Franz ergriff das Wort.

››Schön und gut, aber welcher Mensch vererbt jemandem was, zumal dieser es dann spenden muss?‹‹

››Auf diese Ungereimtheit hatte ich ihn auch angesprochen, Franz. Es gibt einen plausiblen Grund, den er mir auch erläutert hat. Ein Testament kann man anfechten sofern es einen selbst betrifft. Ist aber laut Gesetz eine weitere Person nur eine Zwischenstation, so kann das Testament im Falle einer Spende oder Schenkung nicht angefochten werden. Franz, frage mich aber bitte nicht nach dem wieso und warum. Ich bin kein Rechtsanwalt oder Notar. Nur Polizist.‹‹

››Leuchtet ein‹‹, kam es unverhohlen zurück.

››Chef, noch was solltest du wissen. In den letzten fünf Jahren kam dies viermal vor und immer war ein Geldbetrag oder eine Lebensversicherung auf die Frau Ziegler ausgestellt, die postwendend den Betrag weitergeleitet hat. Nach meinen Recherchen waren dies insgesamt 350.000 Euro. Aber, wie hast du gesagt: Spenden ist nicht strafbar.‹‹

Krüger und Büchele holten Luft.

››Eine stattliche Summe. Auch ohne Befund der Rechtsmedizin sollten wir der Dame und dem Gnadenhof einige Fragen stellen‹‹, dabei zeigte er auf Max und sich selbst.

››Wir nehmen uns den Bauernhof, oder besser gesagt den Gnadenhof vor. Rainer, du und Lilly ihr besucht mal die Frau Ziegler. Mal sehen was dabei rauskommt.‹‹

Franz schien etwas unruhig zu sein, während er vom Beifahrersitz aus versuchte dem Weg zu folgen, den Max hinter dem Steuer gewählt hatte. Es dauerte und dauerte. Endlich, ein kleines Schild mit dem Hinweis auf einen Gnadenhof für Tiere, erschien am Wegesrand. Max nickte seinem Kollegen zu. Gesäumt von einer kleinen Baumreihe zog sich der Weg hin. Plötzlich erschien eine offene, weiträumige Landschaft, mit einem Bauernhof in deren Mitte. Es sah aus wie gemalt. Ein Haupthaus sowie weitere Stallungen und Weiden konnte man auf den ersten Blick erspähen. Es schien im Vergleich zu einem konventionellen Betrieb nichts anders zu sein.

Max stoppte den Wagen gut 100 Meter vor einem Schlagbaum, der wohl das Gelände zur Weide abgrenzte. Franz sah aus dem Fenster. Mit einem Muhen kamen zwei etwas ältere Kühe auf den abgrenzenden Zaun zu. Franz rührte sich nicht vom Sitz. Hatte er doch schon einmal vor langer Zeit Bekanntschaft mit einem Bullen gemacht. Und dieser Eindruck blieb alles andere als positiv in seinen Gedanken hängen. Stumm blickte er zu Max, der ihn angrinste. Ihm fiel die unheimliche Begegnung Bücheles mit dem Bullen wieder ein. Vorne schien sich auch was zu bewegen. Jemand winkte ihnen zu. Man hörte zwar nicht was die Person ihnen zurief, aber es schien positiv gemeint zu sein. Max stieg aus. Er ging auf die Schranke zu, die eher Pro-Forma verschlossen war. Kein Schloss, kein Riegel, einfach eine Schranke, die einem Schlagbaum glich. Aufmerksam registrierte Büchele vom Fahrzeuginneren aus, die an einem Pflock angebrachten Briefkästen. „Gnadenhof Tierwohl“ konnte er gerade noch entziffern, als Max den Schlagbaum anhob und zurückkam.

››Der Besitzer winkt uns. I hab zwar net verstande was er moint, awer der scheint freindlich zu sei.‹‹

Franz nickte nur. Sekunden später rollte ihr Wagen auf den Hof und blieb neben dem fremden Mann in Gummistiefel stehen.

Franz schälte sich aus seinem Sitz und griff sich an den Rücken als der Fremde auf ihn zukam. Er hatte Bücheles Dilemma bemerkt als er ihm die Hand reichte.

Es war eine außerordentlich freundliche Begrüßung.

››Willkommen auf dem Gnadenhof Tierwohl, dem Land von Bauer Christian Bommbel.‹‹ Dabei zeigte er auf sich selbst.

Franz beruhigte diese offene und doch ehrliche Art. Indes er zum Reden ansetzte, um sich vorzustellen, aber nicht dazu kam. Bauer Bommbel hatte wohl etwas anderes erwartet und zeigte auf Bücheles Rücken, den der Beamte noch immer mit seinem Handrücken massierte.