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Beschreibung

Wir vererben unseren Kindern weit mehr als nur Teile unserer Gene. Denn seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, dass sich Erfahrungen auf unser Erbgut auswirken und es nachhaltig verändern. So nachhaltig, dass manche dieser Umbauarbeiten im Genom an die nächste und sogar noch weitere Generationen weitergegeben werden - weshalb beispielsweise Mäusekinder ähnlich ängstlich auf bestimmte Gerüche reagieren, mit denen ihre Großeltern schlechte Erfahrungen machten. Darin findet sich auch eine Erklärung, warum Kriegskinder später selbst eher kleine Kinder zur Welt brachten, obwohl längst kein Mangel mehr herrschte. Der Fachbegriff dafür lautet Epigenetik - ein ganz besonderes Tool aus der Trickkiste des Lebens. Anhand verschiedener Beispiele aus der aktuellen Forschung stellen wir Ihnen diesen übergeordneten Regulationsmechanismus vor.

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INHALT

 

 

KURZ ERKLÄRT

Epigenetik

EPIGENETISCHE MECHANISMEN

Vaters Erbsünde

TRAUMATA

Ins Erbgut eingebrannt

Traumatische Kindheitserfahrungen schlagen sich in epigenetischen Veränderungen nieder

ÜBER GENERATIONEN HINWEG

Mäusekinder erben Erfahrungen der Großeltern

Die Furcht vor einem bestimmten Geruch beeinflusst den Nachwuchs noch in der dritten Generation

KOMMENTAR

Schiebt es nicht auf die Mütter!

Die Geschlechtsforscherin Sarah S. Richardson warnt vor unkritischen Diskussionen über Ergebnisse der Epigenetik

VERERBUNG

Angst im Genom

Wie sich der Krieg ins Erbgut schreibt – eine Spurensuche

 

SCHWANGERSCHAFT

Rauchen verändert die DNA von Kindern im Mutterleib

GEBURTEN

Verändert Kaiserschnitt die Epigenetik?

Art der Geburt beeinflusst wichtige Gene

HIRNFORSCHUNG

Die Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen

EPIGENETISCHE UHR

Auf ein paar Monate genau

 

 

Herausgeber:Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbHChefredakteur: Prof. Dr. phil. Dipl. Phys. Carsten Koenneker M.A.Verantwortliche Redakteurin: Antje FindekleeSlevogtstr. 3-5, 69126 Heidelbergwww.spektrum.de

EDITORIAL

Antje FindekleeE-Mail: [email protected]

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir vererben unseren Kindern weit mehr als nur unsere Gene. Denn seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, dass sich Erfahrungen auf unser Erbgut auswirken und es nachhaltig verändern. So nachhaltig, dass manche dieser Umbauarbeiten im Genom an die nächste und sogar noch mehr Generationen weitergegeben werden – weshalb beispielsweise Mäusekinder ähnlich ängstlich auf bestimmte Gerüche reagieren, mit denen ihre Großeltern schlechte Erfahrungen machten. Die Epigenetik, so der Fachbegriff für dieses ganz besondere Tool aus der Trickkiste des Lebens, liefert auch eine Erklärung, warum Kriegskinder später selbst eher kleine Kinder zur Welt brachten, obwohl längst kein Mangel mehr herrschte – und wie sich traumatische Erlebnisse im Erbgut festsetzen.

Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen

P.S.: Ich würde mich freuen, wenn Sie an einer kleinen Umfrage zu unseren Kompakt und Ratgebern teilnehmen – damit wir diese Serie in Ihrem Interesse weiter entwickeln und verbessern können!

 

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KURZ ERKLÄRT

Epigenetik

Sie ist ein ganz besonderes Tool aus der Trickkiste des Lebens: die Epigenetik. Dahinter steckt ein übergeordneter Regulationsmechanismus, mit dem Zellen steuern, wie viele und welche Proteine wann gebildet werden.

Epigenetik umschreibt die Metaebene genetischer Regulation: Einen lange von der Forschung übersehenen Mechanismus mit vielschichtigen Konsequenzen. Denn per Epigenetik gelingt es dem Zellkern unter dem Einfluss äußerer Faktoren zu regulieren, wann und in welchem Ausmaß welche Gene ein- und ausgeschaltet werden. Somit erhöhen epigenetische Mechanismen die Flexibilität des immer gleichen Erbguts der unterschiedlichsten Zellen: Wie Haut-, Herz- oder Darmwandzellen ihre identischen DNA-Sequenzen einsetzen, kann unter epigenetischer Regulation auch von Umweltfaktoren abhängen.

Biochemische Details: Methylgruppen auf dem Erbgut

Im biochemischen Detail beeinflussen epigenetische Regulatoren dabei unter anderem, wie eng verpackt – und damit zugänglich – einzelne Genombereiche vorliegen. Geregelt wird der Zugriff zunächst durch das Anheften oder Ablösen kleiner chemischer Gruppen. Das so modifizierbare Markierungsmuster des Genoms wird dann von Spezialenzymen gelesen, die weitere Schritte einleiten und zum Beispiel Gene an- oder eben ausschalten.

Gekipptes Dogma der Genregulation

In der Konsequenz stößt die Epigenetik ein lang gehegtes Dogma der Biologie um: die Idee, dass die Eigenschaften eines Organismus durch das bei der Geburt vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt wird. Tatsächlich erlaubt die Epigenetik selbst subtilen Umweltveränderungen den Zugriff auf unser Erbgut – neue Forschung zeigt, das die Entstehung von Krankheiten oder die Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen epigenetisch beeinflusst sein können (Siehe Grafik).

AXS BIOMEDICAL ANIMATION STUDIO

EPIGENETIKEpigenetische chemische Markierungen bestimmen die Verpackungsdichte des Chromatins: der geordnet geknäulten Verpackungsform aus Histonproteinen und darumgewickelter DNA, in der unser Erbgut im Zellkern vorliegt. Die Modifizierungen bilden dabei Markierungsmuster, die ein Gen aktivieren oder stilllegen, wobei die im Gen enthaltenen Informationen stets unverändert bleiben. Methylgruppen binden dabei zum Beispiel an bestimmte Stellen des DNA-Moleküls und hemmen die Aktivität des Genabschnitts; Acetylgruppen docken dagegen an Ausleger der Histonproteine an und steigern die Aktivität der Gene, indem sie die Verpackungsdichte senken und dem Ableseapparat Zugang verschaffen.

EPIGENETISCHE MECHANISMEN

Vaters Erbsünde

von Virginia Hughes

Für die Vererbung ist wahrscheinlich nicht allein das Genom entscheidend. Bislang weiß allerdings niemand so genau, welche Mechanismen noch eine Rolle spielen.

Exklusive Übersetzung aus nature

Brian Dias wurde im Oktober 2013 Vater und war sich, wie wohl jeder andere in seiner Situation, seiner enormen Verantwortung bewusst. Ab sofort würden sich all seine Entscheidungen auf die körperliche und psychische Entwicklung seines neu geborenen Sohnes auswirken. Anders als die meisten anderen jungen Eltern wusste Dias zudem, dass auch seine eigenen Lebenserfahrungen Einfluss haben werden – und die seiner Eltern, seiner Großeltern und der Generationen davor.

Klar, wo unsere Vorfahren gelebt haben, oder wie bildungsaffin sie waren, kann Folgen auch über Generationen hinweg haben. Aber würde sich auch die persönliche Gesundheit der Ahnen vererben? Macht es einen Unterschied, ob sie rauchten, hungerten oder in den Krieg ziehen mussten?

Als Postdoc im Labor von Kerry Ressler an der Emory University in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ging Dias gut zwei Jahre vor der Geburt seines Sohnes genau solchen Fragen nach – mit Hilfe von Mäusen. Er untersuchte die Wirkung von Angst auf die Tiere: Hat es Folgen, wenn Furcht mit einem bestimmten Geruch verbunden wird, und finden sich davon Spuren auch noch im Gehirn der Nachkommen der konditionierten Nager?

Im Experiment von Diaz schnüffelten männlichen Mäuse deshalb an Acetophenon – einer Chemikalie mit süßem, mandelähnlichen Geruch – und erhielten direkt anschließend einen schwachen Stromschlag an den Pfoten. Diese Prozedur durchliefen die Tiere drei Tage lang jeweils fünfmal pro Tag. Schließlich erstarrten die Mäuse regelmäßig vor Angst, sobald sie Acetophenon rochen; und dies auch, wenn sie gar keinen Stromschlag bekamen.

Zehn Tage später durften sich die Mäuse mit nicht konditionierten Weibchen paaren. Viele der heranwachsenden Nachkommen reagierten nun tatsächlich empfindlicher auf Acetophenon als auf andere Gerüche. Zudem erschraken diese Tiere eher vor einem unerwarteten Geräusch, während sie dem Duftstoff ausgesetzt waren. Und auch ihr Nachwuchs – also die »Enkel« der zuerst konditionierten Mäuse – verhielt sich nervöser, sobald Acetophenon in der Luft lag. Interessanterweise wiesen alle drei Generationen vergrößerte so genannte »M71-Glomeruli« auf. In diesen anatomischen Strukturen kommen die acetophenonempfindlichen Nervenzellen aus der Nase mit den Neuronen des Riechkolbens zusammen.

Dias und Ressler stellten in einem Beitrag in »Nature Neuroscience« ihre Hypothese vor, nach der die umweltabhängige Vererbung von Informationen auf einem epigenetischen Prozess beruht – also auf einer chemischen Modifikation des Genoms, die zwar Verpackung und Expression der DNA beeinflusst, nicht aber deren Sequenz verändert [1].

Biologen beobachteten eine derartige »transgenerationale epigenetische Vererbung« zunächst in Pflanzen. Tomaten geben beispielsweise chemische Marker weiter, die ein wichtiges Reifungsgen steuern [2]. In den vergangenen Jahren häuften sich die Hinweise, dass dieses Phänomen auch bei Nagern und Menschen auftritt. Das Thema bleibt allerdings umstritten, nicht zuletzt, weil es eine fragwürdige Theorie von Jean-Baptiste Lamarck in Erinnerung ruft. Der französische Biologe behauptete im 19. Jahrhundert, dass Organismen erworbene Eigenschaften an zukünftige Generationen weitergeben. Für viele heutige Biologen hört sich das »unheimlich« an, sagt Oliver Rando. Die Arbeiten des Molekularbiologen von der Medical School der University of Massachusetts in Worcester legen nahe, dass eine solche Vererbung tatsächlich bei Tieren auftritt [3]. Falls dem so sei, fügt er hinzu, »warum ist das all den brillanten Genetikern der vergangenen 100 Jahre nicht ins Auge gesprungen?«.

Der Mechanismus hinter dieser Form der Vererbung ist bislang schleierhaft – wohl ein Hauptgrund für die Skepsis vieler. Um ihn aufzuklären, muss man tief in die Reproduktionsbiologie einsteigen. Denn nur so ließe sich herausfinden, wie die entscheidenden Signale in der Keimbahn – den Zellen, die sich zu Spermien und Eiern entwickeln und zumindest das genetische Erbe einer Person weiterreichen – entstehen könnten.

Eine Mutter überträgt die von ihr erfahrenen Umwelteinwirkungen womöglich während der Schwangerschaft auf den Fötus. Um das Phänomen der transgenerationalen Epigenetik also wissenschaftlich sauber zu erforschen, konzentrieren sich Biologen auf die Väter: Sie untersuchten, wie Spermien epigenetische Marker erhalten und verlieren. »In den vergangenen zwei bis drei Jahren gab es viele neue Erkenntnisse«, sagt Michelle Lane von der University of Adelaide in Australien. Ideen, wie das alles funktionieren könnte, sind allerdings selbst noch unausgereift. »Wir haben es mit einer riesigen Black Box zu tun«, so die Reproduktionsbiologin.

Monsterpflanzen und übergewichtige Kinder

Die Geschichte der Epigenetik begann in der frühen 2000er-Jahren: Wissenschaftler berichteten damals erstmals, dass äußere Umstände im Leben eines Menschen – von mangelnder mütterlicher Zuwendung und Kindesmissbrauch bis hin zu fettreicher Ernährung und Luftverschmutzung – das Anfügen oder Entfernen von chemischen Markern auf der DNA beeinflussen können, die Gene an- und ausschalten. Die Vorstellung eines Genoms, das auf seine Umwelt reagiert, sorgt noch immer für Diskussionen. Noch provokanter wirkt aber der Gedanke, dass epigenetische Marker über Generationen hinweg weitergegeben werden. Als einer der Ersten erkannte der schwedische Botaniker Carl von Linné auf diesem Phänomen beruhende Abweichungen. In den 1740er Jahren erhielt er eine Pflanzenprobe, die dem Echten Leinkraut (Linaria vulgaris) sehr ähnlich sah, doch völlig andere Blüten aufwies. Linné war schockiert – stellte das Exemplar doch seine Theorie in Frage, der zufolge sich Pflanzenarten anhand ihrer Blüten kategorisieren lassen. »Dies ist sicherlich nicht weniger bemerkenswert«, schrieb er, »als wenn eine Kuh ein Kalb mit einem Wolfskopf gebiert.« Er nannte die Pflanze Peloria, nach dem griechischen Wort für »Monster«.

In den 1990er Jahren fand der Pflanzenbiologe Enrico Coen vom John Innes Centre im englischen Norwich heraus, dass Methylgruppen in einem am Blütenbau beteiligten Gen der Monsterpflanzen ihr Unwesen treiben. Dabei wird dieses Gen namens Lcyc völlig ausgeschaltet (ein typischer Vorgang: Die Methylierung eines Gens legt es im Allgemeinen auch still). Das Team um Coen belegte zudem, dass dieses Methylmarkermuster über die Samen auch an folgende Generationen weitergegeben wird [4]. Die Öffentlichkeit nahm erst Mitte der 2000er Jahre Notiz davon, nachdem umfangreiche epidemiologische Untersuchungen in Europa generationsübergreifende Effekte beim Menschen nachgewiesen hatten. Historische Aufzeichnungen aus Schweden deuteten darauf hin, dass die Enkel von Männern, die vor ihrer Pubertät eine Hungersnot durchlebt hatten, nicht so häufig an Herzerkrankungen oder Diabetes leiden wie die Enkel von Männern, die reichlich zu essen hatten [5]. Eine ähnliche Studie mit Kindern in Großbritannien aus dem Jahr 2005 betrachtete Väter, die noch vor dem elften Lebensjahr mit dem Rauchen begonnen hatten. Demzufolge besteht bei diesen Männern ein erhöhtes Risiko, dass der männliche Nachwuchs mehr als der Durchschnitt wiegt [6].