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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. »Aufstehen, Dési, die Schule wartet nicht auf dich!« Schon zum zweiten Mal an diesem Morgen steckte Felicitas Norden den Kopf durch die Zimmertür ihrer jüngsten Tochter. »Wenn du dich nicht beeilst, bekommst du außerdem nichts mehr von Tatjanas Quarkzopf ab«, schickte sie eine Drohung hinterher in der Hoffnung, sie würde ihrer Tochter damit den nötigen Auftrieb verschaffen. Doch Désis Antwort gab Anlass zur Sorge. »Egal. Ich hab eh keinen Hunger«, ertönte es ungewöhnlich matt aus der anderen Ecke des Zimmers. Diese Worte alarmierten Fee, und sie trat ans Bett ihrer Tochter. »Was ist mit dir, mein Schatz? Geht's dir nicht gut?« »Ich bin so müde. Außerdem hab ich Halsweh.« Dési räusperte sich und hustete ein bisschen. Fee schob die Hand unter die Bettdecke und legte sie auf den Bauch des Mädchens. »Kein Wunder. Du hast auch Fieber«, erkannte sie sofort und setzte sich auf die Bettkante. Sie legte die Hände an Désis Hals und tastete ihn ab. »Die Lymphknoten sind geschwollen.
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Seitenzahl: 111
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»Aufstehen, Dési, die Schule wartet nicht auf dich!« Schon zum zweiten Mal an diesem Morgen steckte Felicitas Norden den Kopf durch die Zimmertür ihrer jüngsten Tochter. »Wenn du dich nicht beeilst, bekommst du außerdem nichts mehr von Tatjanas Quarkzopf ab«, schickte sie eine Drohung hinterher in der Hoffnung, sie würde ihrer Tochter damit den nötigen Auftrieb verschaffen.
Doch Désis Antwort gab Anlass zur Sorge.
»Egal. Ich hab eh keinen Hunger«, ertönte es ungewöhnlich matt aus der anderen Ecke des Zimmers.
Diese Worte alarmierten Fee, und sie trat ans Bett ihrer Tochter.
»Was ist mit dir, mein Schatz? Geht’s dir nicht gut?«
»Ich bin so müde. Außerdem hab ich Halsweh.« Dési räusperte sich und hustete ein bisschen.
Fee schob die Hand unter die Bettdecke und legte sie auf den Bauch des Mädchens.
»Kein Wunder. Du hast auch Fieber«, erkannte sie sofort und setzte sich auf die Bettkante. Sie legte die Hände an Désis Hals und tastete ihn ab. »Die Lymphknoten sind geschwollen. Sieht ganz danach aus, als ob du dir eine Grippe eingefangen hast.« Die Ärztin, die an der Behnisch-Klinik als stellvertretende Chefin der Kinderstation arbeitete, dachte kurz nach. »So kannst du auf keinen Fall in die Schule gehen. Am besten, du bleibst daheim. Wenn es heute Nachmittag nicht besser und Felix von der Arbeit wieder da ist, soll er dich zu Papi in die Praxis fahren«, machte sie einen Vorschlag. »So lange bleibst du einfach im Bett und ruhst dich aus.« Zärtlich streichelte Fee über die Fieberstirn ihrer Tochter. »Ich sage Lenni, dass sie dir Tee kochen und Grießbrei bringen soll.«
»Danke, Mami!« Wie immer, wenn es den Norden-Kindern nicht gut ging, verfiel auch Dési wieder in die Kindersprache. »Ich glaub, ich will einfach nur schlafen.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, gähnte sie und schloss die Augen.
Trotz der Ansteckungsgefahr konnte Felicitas Norden nicht anders. Sie beugte sich über ihre Tochter und hauchte einen Kuss rechts und links auf die Glühwürmchenwangen. Dann machte sie sich auf den Weg nach unten, wo ihre Familie bereits am Frühstückstisch saß.
»Dési hat Grippe. Sie geht heute nicht in die Schule«, berichtete Felicitas. Sie setzte sich an den Tisch und dankte ihrem Mann, der ihr Kaffee einschenkte. »Ich schreib noch schnell eine Entschuldigung. Gibst du sie bitte in der Schule ab, Janni?«, fragte sie und sah auf die Uhr. Um ein Haar hätte sie sich an ihrem Kaffee verschluckt, so eilig hatte sie es.
»Mir ist auch schon ganz heiß!«, nahm Désis Zwillingsbruder die günstige Gelegenheit wahr und legte die flache Hand auf die Stirn. »Ich hab bestimmt Fieber.« Er schielte hinüber zu seinem Vater, um dann seine Mutter mit einem Engelslächeln zu becircen. »Ist das nicht praktisch? Dann musst du nur eine Entschuldigung für uns beide schreiben.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, lehnte Dr. Daniel Norden entschieden ab. »Sei froh, dass du gesund bist!«
»Ich bin auch froh, dass er gesund ist«, mischte sich Anneka in das Gespräch ein und schickte ihrem jüngeren Bruder ein Grinsen. »Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass ein und dasselbe Virus bei Frauen einen Schnupfen, bei Männern aber eine mitunter tödlich verlaufende Krankheit hervorrufen kann«, spottete sie und erntete prompt Widerspruch von ihrem Bruder Felix.
»Du hast ja keine Ahnung, wie schrecklich so eine Grippe für uns Männer ist.«
»Nein, das habe ich glücklicherweise wirklich nicht«, lächelte Anneka und erhob sich. Es wurde Zeit für sie, in die Schule zu gehen. Das Abitur rückte unerbittlich näher, und es gab noch viel zu tun. »Wiedersehen, Ihr Lieben!«, verabschiedete sie sich von ihrer Familie. Mutter und Vater bekamen einen Kuss. »Sagt bitte Dési liebe Grüße und gute Besserung von mir.« Sie winkte und schlüpfte gleich darauf durch die Tür.
Auch Fee stand auf.
»Ich muss auch los.« Sie beugte sich zu Daniel und küsste ihn zärtlich, bevor sie sich von den beiden Söhnen verabschiedete. »Felix, kannst du Dési heute Nachmittag in die Praxis bringen, falls es ihr dann immer noch schlecht geht? Wendy oder Janine können dann gleich einen Abstrich im Labor machen.«
»Wird erledigt, Chefin!«, erwiderte Felix und lächelte seine Mutter so unschuldig an, dass sie sofort misstrauisch wurde.
»Was willst du dafür haben?«, fragte sie.
»Oh, wenn du mich so fragst … Mein Auto braucht mal wieder Benzin, und ich habe zufällig kein Geld zur Hand …«
Fee sah ihren Mann vielsagend an, dann zückte sie ihren Geldbeutel und entnahm ihm einen Zwanzig-Euro-Schein.
»Hier. Aber darüber unterhalten wir uns heute Abend noch mal. Du kannst uns nicht ständig anpumpen, nur weil du keine Zeit hast, zur Bank zu gehen.«
»Du hast meine Kontovollmacht und kannst dir jederzeit alles zurückholen«, behauptete Felix und steckte das Geld ein.
Doch das war nicht das Ziel von Fees Erziehungsversuchen.
»Darum geht es nicht. Es geht darum, dass du lernen musst, vorausschauend zu wirtschaften und deine Schulden selbsttätig zurückzuzahlen«, war es Daniel, der seinen Sohn über die Tatsachen aufklärte.
Felix machte ein betretenes Gesicht. Doch am Blitzen in seinen Augen war zu erkennen, dass er nicht halb so geknickt war, wie er vorgab.
»Ich gelobe Besserung!«, versprach er und brachte seine Eltern mit seinem Hundeblick wieder einmal zum Lachen, bevor sich die Runde endgültig auflöste und sich jeder an die Arbeit machte.
*
Wie fast jeden Morgen war Annemarie Wendel, von allen nur liebevoll Wendy genannt, als erste in der Praxis. Sie liebte die Ruhe vor Beginn der Sprechstunde, wenn sie alle Zeit der Welt hatte, um Blumen zu gießen, die Zeitschriften im Wartezimmer zu ordnen, Wasserflaschen für die Patienten bereit zu stellen und die Bonbons im Glas aufzufüllen, das auf dem Tresen stand und den Kranken die Wartezeit versüßen sollte. Doch als sie an diesem Morgen in die Praxis kam, kochte sie noch nicht einmal Kaffee. Hastig zog sie ihren Mantel aus und fand kaum Zeit, ihn an den Haken zu hängen, ehe sie in die kleine Küche eilte und einen Topf mit Wasser auf den Ofen stellte. Ungeduldig und mit einem Brief in der Hand wartete sie darauf, dass es zu kochen begann.
Über den Topf gebeugt fand sie ihre Freundin und Kollegin Janine, die das Team der Praxis Dr. Norden seit dem Einstieg des ältesten Sohnes Danny tatkräftig unterstützte. Einen Moment lang beobachtete sie Wendy dabei, wie sie den Brief über den Wasserdampf hielt.
»Was machst du denn da?«, machte sie sich schließlich mit deutlichem Tadel in der Stimme bemerkbar. »Öffnest du etwa heimlich Praxispost?«
Wie ertappt fuhr Wendy herum und versteckte den Brief hinter dem Rücken.
»Hast du mich jetzt erschreckt! Musst du dich so anschleichen?«, ging sie sofort in Verteidigungshaltung und erregte damit erst recht Verdacht.
»Ich habe mich überhaupt nicht angeschlichen«, gab Janine gereizt zurück. »Aber du warst so vertieft, dass du nichts gehört hast.«
Schon hatte Wendy eine patzige Antwort auf den Lippen, als sie sich gerade noch rechtzeitig zurückhielt. Auf keinen Fall wollte sie wegen dieser Geschichte Streit mit ihrer besten Freundin bekommen.
»Ich hab dir doch erzählt, dass meine Mutter auf Kreuzfahrt ist«, begann sie und drehte sich wieder um, um ihr Werk zu vollenden.
»Du kümmerst dich in der Zwischenzeit um ihre Wohnung«, erinnerte sich Janine und stellte sich neben Wendy, um ihr dabei zuzusehen, wie sie den Brief wieder in den Wasserdampf hielt.
»Genau. Ich sehe auch nach ihrer Post und habe heute Morgen das hier aus dem Briefkasten gezogen.« Sie hielt den Brief in die Luft, bevor sie vorsichtig an der Klappe zupfte. Der Wasserdampf hatte seine Wirkung getan, und der Kleber löste sich auf. »Der hier ist von meinem Bruder Gunnar.« Wendy legte den Umschlag zur Seite und faltete das Blatt Papier auseinander. Sie überflog die handgeschriebenen Zeilen und schnappte nach Luft.
»Genau das, was ich vermutet habe!«, schnaubte sie und hielt Janine den Brief hin.
»…unverschuldet in finanzieller Not…keine Lösung mehr…wirklich unangenehm…bitte ich dich um einen Vorschuss von 100.000 Euro auf mein Erbe…hoffe, dass du mich nicht im Stich lässt…Dein Sohn Gunnar«, las Janine halblaut das vor, was dort geschrieben stand.
»Und? Was sagst du jetzt?«, fragte Wendy immer noch empört.
Nachdenklich ließ ihre Freundin den Brief sinken.
»Hat er das schon öfter gemacht?«, erkundigte sie sich.
Wendy schnaubte und winkte ab. Sie nahm den Topf vom Herd und klappte den Deckel der Kaffeemaschine auf. Aus dem Hängeschrank über der Spüle nahm sie einen Papierfilter und Kaffeepulver. Sie zählte die Löffel ab, ließ Wasser in den Behälter laufen und schaltete die Kaffeemaschine ein.
»Gunnar war schon immer der Liebling meiner Mutter. Ihm wurden sämtliche Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Er hat immer alles bekommen, was er haben wollte. Wenn es Probleme in der Schule gab, wurden die Lehrer dafür verantwortlich gemacht. Im schlimmsten Fall hat er halt mal wieder die Schule gewechselt. Sein Abitur hat er mit Ach und Krach geschafft, zu einer Ausbildung hat es dann aber nicht mehr gereicht. Alles, was er damals angefangen hat, hat er auch wieder abgebrochen. Er ist notorisch pleite, aber das sieht man ihm nicht an. Gunnar gönnt sich alles, was er haben will. Leider immer auf Kosten anderer«, brach all der Zorn aus Wendy heraus, der sich über die Jahre angestaut hatte.
»Warum machen die Leute das Spiel mit?«, erkundigte sich Janine interessiert. Sie hatte zwar gewusst, dass Wendy einen Bruder hatte, mehr aber auch nicht. Gunnar lebte nicht weit entfernt in Augsburg, doch die Geschwister hatten so gut wie keinen Kontakt. Das war das, was ihr ihre Freundin erzählt hatte. »Sie sind doch selbst schuld, wenn sie es ihm so leicht machen.«
»Du müsstest ihn kennenlernen. Er ist ein Charmebolzen erster Güte. Außerdem sieht er aus wie George Clooney. Schon allein das wäre Grund genug gewesen, neidisch auf ihn zu sein.« Als Wendy bemerkte, wie Janines Augen aufblitzten, hob sie sofort abwehrend die Hände. »Oh nein, du wirst schön die Finger von ihm lassen.«
Janine lächelte schelmisch. Sie hatte inzwischen alle anfallenden Arbeiten erledigt, so dass die Patienten ruhig kommen konnten.
»Ich kenne ihn ja noch nicht einmal.«
»Oh, das wird sich bald ändern«, versprach Wendy. Der Kaffee war inzwischen durchgelaufen. Sie stellte eine Tasse auf Janines Schreibtisch und setzte sich mit ihrer an ihren Arbeitsplatz. »Ich muss unbedingt mit ihm sprechen.«
»Am Telefon?« Entgeistert sah Janine ihrer Freundin und Kollegin dabei zu, wie sie den Hörer hob und eine Nummer wählte.
»Nein«, erwiderte Wendy, während sie auf ein Freizeichen wartete. »Er soll so schnell wie möglich nach München kommen. Das will ich schon persönlich mit ihm besprechen.«
*
»Na, wie geht’s unserer Prinzessin denn?«, erkundigte sich Felix Norden nach der Arbeit fürsorglich bei seiner Schwester. »Hast du doch zufällig den tödlichen Männerschnupfenvirus aufgeschnappt?«
Im Normalfall hatte Dési viel Spaß mit ihrem großen Bruder und liebte sein vorlautes Mundwerk. Doch diesmal konnte sie nicht über seinen Scherz lachen.
»Das nächste Mal, wenn du krank bist, mach ich mich auch über dich lustig«, murrte sie und nippte an dem heißen Tee, den Lenni ihr kurz zuvor gebracht hatte.
»Aber ich mach mir wirklich Sorgen um dich«, beteuerte Felix. »Warum nimmt mich nur nie jemand ernst?«
»Weil du immer den Clown spielst«, ließ die Antwort nicht lange auf sich warten.
Vorsichtig stellte Dési die Teetasse zurück auf den Nachttisch und schlug die Decke zurück.
»Was hast du vor?«, erkundigte sich ihr Bruder verwundert. »Bin ich so schlimm, dass du die Flucht vor mir ergreifst?«
Dési verdrehte die rot geränderten Augen.
»Kannst du eigentlich auch mal ernst sein?«, fragte sie sichtlich genervt. »Die Frau, die es mal mit dir aushalten muss, tut mir jetzt schon leid.«
»Oh, dir scheint es ja wirklich schlecht zu gehen.« Felix sah seiner Schwester dabei zu, wie sie in Jeans und Pullover schlüpfte.
»Stimmt auffallend. Deshalb musst du mich jetzt auch zu Papi in die Praxis fahren«, teilte sie ihm ihre Wünsche mit.
Gerade rechtzeitig konnte sich Felix eine kleine Verbeugung und einen dummen Spruch dazu verkneifen.
»Gut. Dann fahren wir. Vorsichtshalber hab ich Henriette schon mal vollgetankt.« Als er sah, wie Dési schwankte, nahm er sie fürsorglich am Arm und führte sie die Treppe hinunter. »Sie beschwert sich übrigens nie drüber, dass ich gut drauf bin.«
»Felix!«, stöhnte Dési auf. »Henriette ist ein Auto.«
»Ist ja schon gut.«
Die beiden verabschiedeten sich von Lenni, die besorgt den Kopf zur Tür heraussteckte, und machten sich auf den Weg in die Praxis. Um diese Uhrzeit herrschte noch nicht viel Verkehr, und sie kamen schnell voran und schon bald parkte Felix sein Auto vor der Praxis.
»Das war echt lieb von dir«, bedankte sich seine Schwester und stieg aus.
Durch die Bewegung war ihr Kreislauf wieder etwas in Schwung gekommen, und sie wirkte nicht mehr ganz so angeschlagen wie noch vor einer halben Stunde.
»Ruf mich an, wenn ich dich wieder holen soll«, sagte Felix und sah Dési nach, wie sie bedächtig über den Gartenweg zur Praxis ging. Erst als sie hinter der Tür verschwunden war, wendete er den Wagen und fuhr davon.
Unterdessen trat die jüngste Tochter der Familie Norden an den Tresen.
»Ach, Dési, du Ärmste«, begrüßte Janine sie freundlich. »Dein Vater hat schon angekündigt, dass du heute kommst. Hoffentlich geht’s dir nicht allzu schlecht.«
»Geht schon«, wiegelte Dési ab. Sie war nicht wehleidig und wollte kein Mitleid. »Was uns nicht umbringt, macht uns härter. Das sagt Lenni immer.«
Janine lachte.
»Manchmal tut ein bisschen Mitgefühl aber auch ganz gut, oder?«