Splitter aus Silber und Eis - Laura Cardea - E-Book + Hörbuch

Splitter aus Silber und Eis Hörbuch

Laura Cardea

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Beschreibung

**Wie weit wirst du gehen, um das Eis in den Herzen zum Schmelzen zu bringen?** Veris ist die Prinzessin des Ewigen Frühlings – und die Schönste im ganzen Reich. Doch als solche trägt sie eine schwere Last: Sie allein soll ihr Volk vor dem Prinzen des Winters schützen, der mit eisigen Splittern die Herzen der Menschen vergiftet. Der Preis aber ist hoch. Als Auserwählte muss sie in den Palast der Winter-Fae, aus dem keines der geopferten Mädchen je zurückgekehrt ist. Dort trifft sie auf den grausamen Prinzen. Und trotz der unendlichen Kälte, die er ausstrahlt, fragt sie sich, ob tief in seinem Inneren nicht doch ein warmes Herz schlägt. Leseempfehlung der Buchhandlung Hugendubel in München:  »Oft lese ich die Bücher ja doch nicht ganz, vieles ähnelt sich gerade in der Fantasy. Aber hier ist es ja geradezu ein Vergnügen diese köstlichen Dialoge zu lesen - ein bischen Screwball, dann mittendrin plötzlich wieder die Wendung - hab ich mich so in Veris getäuscht? - Ich kann nicht aufhören zu lesen und nein, es reicht nicht, nur das Ende zu lesen (hab ich natürlich gemacht), aber ich muss echt jede Zeile lesen, ich kann gar nicht anders! Dazu dieser herrlich schöne Sprachstil, voller Witz und Ironie, diese gegen den Strich gebürstete Heldin - klasse, die piekfeine Prinzessin mit der Kodderschnauze ... und und und ... ich bin einfach nur begeistert! Sagenhaft!« (E. Schröter, Bereich Kinder- und Jugendbuch bei Hugendubel im OEZ) Weitere Leserstimmen zum Buch: »Was für ein Meisterwerk« »Einfach nur Klasse!!« »Eine zauberhafte, unvergleichliche Romantasy-Geschichte« »Absolute Leseempfehlung« »Meisterliches Juwel« //Hol dir auch die wunderschön veredelte Print-Ausgabe als Schmuckstück für dein Bücherregal!// //»Splitter aus Silber und Eis« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// 

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Zeit:14 Std. 24 min

Sprecher:Julia Preuß

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Laura Cardea

Splitter aus Silber und Eis

**Wie weit wirst du gehen, um das Eis in den Herzen zum Schmelzen zu bringen?**Veris ist die Prinzessin des Ewigen Frühlings – und die Schönste im ganzen Reich. Doch als solche trägt sie eine schwere Last: Sie allein soll ihr Volk vor dem Prinzen des Winters schützen, der mit eisigen Splittern die Herzen der Menschen vergiftet. Der Preis aber ist hoch. Als Auserwählte muss sie in den Palast der Winter-Fae, aus dem keines der geopferten Mädchen je zurückgekehrt ist. Dort trifft sie auf den grausamen Prinzen. Und trotz der unendlichen Kälte, die er ausstrahlt, fragt sie sich, ob tief in seinem Inneren nicht doch ein warmes Herz schlägt.

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© privat

Laura Cardea wurde seit ihrer Kindheit dazu ermahnt, nicht so viel zu träumen. Statt darauf zu hören, tauchte sie immer wieder in neue Bücherwelten ein. Irgendwann reichte ihr das Lesen nicht mehr und sie erträumte sich eigene Welten. Das Schreiben von Geschichten zieht sich seitdem durch ihr Leben. Neben dem Schreiben studiert sie Medien- und Kulturwissenschaften und arbeitet als freiberufliche Mediendesignerin sowie Bloggerin.

Für meine Eltern, die mich auf meinem ungewöhnlichen Weg unterstützen

Krokusse und Opfergabe

24. Tag des Julmondes

Veris

Am Morgen vor dem Tag des Julfestes wache ich auf, gebettet in Seidendecken und Kissen mit den sanftesten Daunenfedern. Alles, was ich höre, ist Stille. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn so früh am Morgen dringen nur wenige Stadtgeräusche aus Salweide in mein Turmzimmer. Die Stille ist anders als sonst, aber vielleicht bilde ich mir den Unterschied nur ein. Schließlich ändert sich heute mein Leben.

Ich schiebe die Decke zur Seite und hülle mich in meinen Morgenmantel. Unsere Hofschneiderin hat ihn mit Pflanzenextrakten in zartem Lindgrün eingefärbt und mit Goldfäden bestickt. Die Farben unseres Königreiches Aurum, ein Zeichen der Fruchtbarkeit und des Gedeihens. Es sind Farben, die ich gleichermaßen liebe, wie ich mich an ihnen sattgesehen habe. Während ich den Morgenmantel zubinde, lehne ich mich aus dem geöffneten Fenster. Ich weiß nicht, wer lauter schreien würde, aber sowohl meine Zofe als auch meine Mutter wären außer sich, wenn sie das sehen würden. Doch ich will einen Blick hinauswerfen, ohne dass die Mauern mein Sichtfeld einschränken.

Obwohl die Morgensonne schon so strahlt, wie es sich für den ewigen Frühling gehört, weht mir hier oben kühle Luft über das Gesicht und ich schließe kurz die Augen. Den Ausblick sehe ich selbst mit geschlossenen Lidern. Die wehenden Seidenbanner, geschmückt mit der Goldlerche, Aurums Wappentier, dann Sandsteinterrassen, spitze Giebeldächer und Innenhöfe, in denen ich als Kind inmitten von Krokussen gespielt habe. An die Burgmauer und an alle Seiten des Berges, auf dem Burg Goldwacht steht, schmiegen sich die Fachwerkhäuser mit ihren alten Ziegeldächern und Balkonen voller Blumenkästen. Schmale Gassen schlängeln sich durch Salweide, doch die Häuser stehen so dicht, dass ich die einzelnen Gebäude nicht ausmachen kann. Früher habe ich mir immer gewünscht, frei durch diese Gassen spazieren zu können – heute würde ich alles dafür geben, die Stadt für immer von meinem Turm aus beobachten zu können.

Die Tür zu meinem Zimmer knarzt und ich weiche vom Fenster zurück. Meine Finger greifen automatisch nach dem Griff des Dolches, der an meinem Oberschenkel befestigt ist. Zu dieser Vorsicht wurde ich von Kindertagen an erzogen, so wie jedes Mädchen in unserem Reich.

Doch nur meine Zofe Isobela tritt herein. »Es ist so weit, Prinzessin Veris.« Sie spricht mich sonst nie so förmlich an. Und ihr Haar ist unter der lindgrünen Kappe der Bediensteten verborgen. Obwohl die Kopfbedeckung Pflicht ist, zwängt sie ihre braunen Locken normalerweise nicht darunter. Meine Erlaubnis reicht aus, damit sie nicht von der Hausvorsteherin bestraft wird. Heute allerdings hält sie sich an die Regeln. Heute tut das jeder.

»Das Kleid ist fertig?«, frage ich mit bebender Stimme.

Eine jüngere Zofe tritt herein und legt eine gigantische Schachtel auf mein Bett. Isobela scheucht sie sofort wieder hinaus und schiebt mich zu meinem Frisiertisch. Ich beobachte im Spiegel, wie ihre geschickten Finger meine blonden Locken aus dem hüftlangen Zopf lösen. Vergeblich suche ich nach ihrem breiten Lächeln. Ich bin die Prinzessin des Frühlingsreiches, doch üblicherweise ist es ihr Lächeln, das mit dem Strahlen der Frühlingssonne konkurriert. Vielleicht kann ich ebenso lächeln, nachdem ich mein Schicksal erfüllt habe. Entweder das – oder ich sterbe bei dem Versuch. Und aller Voraussicht nach sterbe ich, so wie all die Sakrale vor mir. Das ist der Grund, warum meine Stimme zittert und Isobela heute nicht lächelt.

Denn Aurum, das Reich des Ewigen Frühlings, hat einst eine Übereinkunft mit unserem Nachbarvolk, den Winterfae, geschlossen. Mit ihrem grausamen Herrscher, dem Prinzen des Winters. Jedes Jahr zum Julfest schicken wir ein Sakral, das schönste zwanzigjährige Mädchen, in sein Reich. Im Gegenzug verschont er unsere Ländereien vor seinem winterlichen Zorn. Falls aber die magische Übereinkunft gebrochen wird, kann er in Aurum eindringen und die Herrschaft über unser Reich an sich reißen.

Einen Vorgeschmack darauf, was seine Herrschaft bedeuten würde, haben wir bereits. Zwar lässt die magische Grenze zwischen unseren Reichen nichts durch, keine Menschen, keine Fae, keine Tiere, doch eine Sache ist davon ausgenommen: seine Eissplitter, die Herzen gefrieren und Augen nur noch Schlechtes sehen lassen. Sie säen im Frühlingsreich Missgunst, Hass und Bosheit.

Doch das Schicksal hat uns einen Ausweg geschenkt. Den Kuss der Daphne. So giftig wie der in Aurum purpurrot blühende Seidelbast. Er ist nach Daphne benannt, die sich in die giftige Pflanze verwandelte, um einem göttlichen Verfolger zu entkommen. Der Kuss der Daphne ist unsere einzige Chance gegen den Winterprinzen. In jedem Jahrzehnt wird irgendwann ein Mädchen geboren, dessen Lippen jeden töten, den es küsst. In ihrem zwanzigsten Jahr schicken wir sie anstelle des schönsten Mädchens zum Prinzen des Winters. Sie ist die Einzige, die uns befreien kann – indem sie ihn tötet. Und jede Verfluchte hat bereits jemanden getötet: die erste Person, deren Lippen die ihren berührten. Nur einen Kuss von ihr, mehr braucht es nicht, um das Menschenreich vom Prinzen des Winters zu befreien. Es klingt so leicht. Doch wie soll ihm ein einfaches Menschenmädchen nah genug kommen, um ihre giftigen Lippen auf seine eisigen zu legen? Zwar werden alle Mädchen in Aurum seit Generationen in der Kunst des Kampfes unterrichtet, in der Hoffnung, dass sie den Winterprinzen mit einem Dolch statt einem Kuss töten – oder mit beidem zusammen. Doch keine ist je siegreich zurückgekehrt. Keine ist überhaupt jemals zurückgekehrt. Weder eine Verfluchte mit ihren tödlichen Lippen noch ein normales Sakral, das mit einem mickrigen Dolch ausgestattet aus Aurum verstoßen wurde.

Ein Piksen an meinem Hinterkopf holt mich aus meinen Gedanken.

»Bitte entschuldige, Veris.« Isobela, die viel steifer spricht als sonst, hält eine mit getrockneten Malven besetzte Haarnadel in der Hand. Ihre Finger zittern so wie meine Stimme zuvor.

Ich lege meine Hand auf ihre. »Ist schon in Ordnung.«

Ohne mir in die Augen zu blicken, dreht sie die letzten Strähnen aus meinem Gesicht und steckt sie im aufwendig geflochtenen Haarknoten fest, der schwer auf meinem Nacken liegt. Manchmal wünschte ich, ich könnte mir eine Schere nehmen und die Haare einfach abschneiden. Aber meine langen, üppigen Haare sind einer meiner vielen Vorzüge und sollen mich begehrenswert machen. Das ist alles, worauf mein Leben ausgerichtet war. Ein begehrenswertes, wenn auch gut trainiertes Geschenk für den Prinzen des Winters zu werden, der mich – nach allem, was wir wissen – tötet, sobald ich über die Grenze trete, und meinen herausgeputzten Kadaver an seine Hunde verfüttert.

Isobela öffnet die Schachtel auf meinem Bett, in der in Seidenpapier eingewickelt mein Kleid liegt. Sie hilft mir in die Lagen von Organza und Chiffon, über und über bestickt mit echten Malven, Knospen und Perlen. Es ist die unpassendste Wahl, um durch ein Winterreich zu wandern, aber die passendste, um sich dem Prinzen dieses Landes als Opfer darzubieten.

***

Wir verlassen Burg Goldwacht zur Mittagsstunde in einer reich verzierten offenen Kutsche. Meine Eltern, die Regenten des Frühlingsreiches, begleiten mich ebenso wie Isobela. Je zwei Soldaten reiten vor und hinter der Kutsche auf den lichtbraunen Arabern meines Vaters, deren Mähnen so kunstvoll frisiert sind wie meine Haare. Inklusive Blumenschmuck. Meine Mutter drückt meine Hand, während wir das Burgtor passieren, und für einen Atemzug erwäge ich, den Druck nicht zu erwidern. Doch auch wenn sie mich in den sicheren Tod schickt, sie kann nichts dafür. Sie tut das Richtige für Aurum. Und ich habe schon lange beschlossen, ihrem Beispiel zu folgen. Also drücke ich kurz ihre Hand, bevor die Jubelrufe der Menge meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ich meine Hände zurück in den Schoß nehme. Ich zeige keine Angst. Ich bin für mein Volk da.

»Unser Segen für das Sakral!«, rufen uns die Leute vom Straßenrand und von den schmalen Balkonen zu. Sie strecken uns Krokusse entgegen. Das gelbe Blumenmeer verschwimmt vor meinen Augen, während unsere Kutsche durch die schmalen Gassen rattert. An besonders steilen Stellen muss ich meine Füße in den Boden stemmen, um nicht vom Sitz zu rutschen. In tiefen Zügen atme ich die Stadtluft von Salweide ein. Frisch gebackenes Brot, diese warme Mischung aus Heu und Pferden und über allem der süße, zarte, blumige Duft nach Heimat. Zum letzten Mal kann ich die Frühlingsluft riechen und versuche sie in einer Erinnerung zu verewigen. Meine Augenwinkel brennen und ich starre unentwegt auf einen der wippenden Pferdeschweife. Dann wappne ich mich, setze das Lächeln auf, das mein Volk liebt, und winke ihm zu.

Meine Mutter kann sich eine Träne nicht verkneifen, doch niemand wird es ihr verdenken. Die Träne rollt über ihre rosige Wange und vorbei an ihren vollen Lippen. Obwohl mein Vater ein gut aussehender Mann ist, sagt jeder, ich käme nach ihr. Zu einer anderen Zeit war dies Grund zur Freude, doch nun ist Schönheit kein Segen, sondern ein Fluch. Es ist ein Wunder, dass meine Mutter in ihrem zwanzigsten Lebensjahr nicht in das Winterreich musste. Doch meine Großeltern, die damals noch regierten, und die anderen Mitglieder im Rat des Frühlings – Adlige, Händler, aber auch Abgesandte der Bauern und Handwerker – mussten damals nicht das schönste Mädchen bestimmen. Es war das Jahr, in dem eine Verfluchte geschickt wurde.

»Lang lebe das Sakral!« Ein letztes Mal höre ich die Rufe, dann passieren wir das Stadttor und nur noch dumpfe Laute dringen an mein Ohr.

»Wir fahren etwa bis Sonnenuntergang«, erklärt mein Vater, obwohl wir das alle wissen. Er schaut grimmig, auch wenn ich den verkniffenen Mund nur schwer hinter seinem Bart ausmachen kann. Seit wann blickt er so drein? Ist es, seit ich vor sieben Monden offiziell vom Rat zum Sakral ernannt wurde?

Jetzt erlaube ich mir, Isobelas Hände zu ergreifen. Wir fahren an weiten Weizenfeldern vorbei, durch den Sonnenwald, entlang an Krokuswiesen und Bauernhöfen. Nach mehreren Stunden halten wir abends an einem der größeren Höfe, wo wir die Nacht verbringen werden. Das Bauernpaar versorgt uns höflich, aber wortkarg mit warmer Ziegenmilch, frischen Fladen und süßem Rhabarberkompott. Ich zwinge mir ein wenig Kompott hinunter, auch wenn er an meinem trockenen Gaumen kleben bleibt. Der Zucker gibt mir hoffentlich Kraft für den nächsten Tag.

***

25. Tag des Julmondes

Das Klirren von Metall auf Metall weckt mich. Jemand kämpft. Meine Hand geht zu meinem Dolch, doch Isobela stellt sich zwischen mich und die undeutlichen Silhouetten. Sie will mich abschirmen, ebenso wie einer der Ritter unserer Garde. Ich bekomme dennoch mit, wie der Bauer mit keifender Stimme, hässlichen Worten und völlig entseelten Augen auf den anderen Ritter einschlägt. Seine Frau versucht sich aus dem Griff des Kutschers zu befreien.

»Was ist los?«, keuche ich, plötzlich vollkommen wach.

»Ein Eissplitter. Wir wissen nicht, ob die beiden gerade erst getroffen wurden oder ob sie bis zur Nacht gewartet haben, um uns zu überfallen«, presst Isobela hervor, so leise, dass meine Eltern es nicht hören. Sie wollten immer verhindern, dass ich die von Splittern getroffenen Menschen sehe, doch Isobela war und ist in allen Belangen ehrlich zu mir.

Die Frau reißt sich los und prescht auf mich zu, ihre gierigen Blicke auf mein Malvenkleid gerichtet. Sie ist bereit, mich zu töten. Für ein Kleid. Mein Herz setzt aus, doch bevor ich aufspringen kann, schlägt der Ritter sie nieder. Schnell erlangen die beiden Ritter und der Kutscher die Oberhand über das Bauernpaar, fesseln sie und führen sie ab. Sie können nicht geheilt werden, wenn die Splitter sich in ihnen eingenistet haben. Es ist nicht ihre Schuld, all die Missgunst, der Hass, die Gier. Doch Aurum bleibt nichts anderes übrig, als die Getroffenen einzusperren, damit alle anderen geschützt werden. Auch für sie gehe ich ins Winterreich, um dem Ganzen ein Ende zu machen.

Niemand von uns kann mehr schlafen und so richtet Isobela notdürftig mein Haar und versucht die Knitterfalten in meinem Kleid zu glätten. Wir besteigen die Kutsche und fahren schweigend, bis die Sonne hoch über uns steht. Vater hat die besten Pferde gewählt, doch mit jedem Schritt, den wir uns der Grenze nähern, werden sie zögerlicher. Als wüssten sie, was auf uns wartet. Wir fahren über einen grasbewachsenen Hügel, hinter dem unerwartet eine kahle, eisige Landschaft auftaucht, im Hintergrund die scharfkantigen Berge, die ich von Schloss Goldwacht aus sehen konnte. Alles sieht so anders aus als unsere Ländereien, dass mir der Atem wegbleibt. Die Kutsche hält an und klirrend kalte Luft, die aus dem Winterreich herüberwehen muss, schlägt mir entgegen. Mein Blick wandert über den Kontrast zwischen schneebedecktem Ödland und den dunklen Bergen, die sich in der Ferne bis in den Himmel erstrecken. Vor ihnen liegt der Tannenwald, den ich durchqueren muss.

Viele Menschen haben die uralte Magie auf die Probe gestellt, welche die Grenze aufrecht hält – ohne Erfolg. Sobald ich das Winterreich betreten habe, kann ich nie wieder zurück. Ich schlucke. Doch wenn ich länger verharre, wird es mir noch schwerer fallen, mich aufzuraffen. Also atme ich tief ein und erhebe mich als Erste. Die Soldaten starren noch die Grenze an, die sich durch die Landschaft zieht, als hätte ein Riese sein Schwert durch den Boden gezogen. Saftiges Gras auf der einen Seite, unberührter Schnee auf der anderen. Ich springe allein die Stufen hinab, weil sie zu abgelenkt sind, um mir zu helfen. Isobela folgt mir hastig, in den Armen den dicken Pelzmantel, der extra für mich angefertigt wurde. Der einzige Pelzmantel im Königreich des Ewigen Frühlings. Während ich ihn mir überwerfe und mich an die Schwere auf meinen Schultern gewöhne, holt Isobela den kleinen Lederbeutel hervor, den sie mir gepackt hat. Ein Trinkschlauch mit Wasser, zwei dünne Fladenbrote und ein Fläschchen mit dunkelbrauner Flüssigkeit. Es ist Gift, falls ich in eine ausweglose Situation gelange und … Ich schüttle den Kopf. Darüber darf ich nicht nachdenken.

Meine Mutter zieht den Mantel etwas fester um mich. Nun strömen ihr die Tränen über die Wangen und auch ich weine. Sie umfasst mein Gesicht mit ihren Händen. »Egal was passiert, wir sind unendlich stolz auf dich.«

Mein Vater legt eine Hand auf meine Schulter. »Das furchtloseste Mädchen im ganzen Reich.«

Ich bringe kein Wort heraus, also schlinge ich die Arme erst um meine Eltern, dann um Isobela. Keinen von ihnen werde ich je wiedersehen. Entschieden wische ich mir über die Augen. »Ich werde euch nicht enttäuschen«, bringe ich hervor, auch wenn ich bereits weiß, dass in zwölf Monden die Nächste ins Winterreich geschickt wird. Vielleicht eine, die wirklich etwas ausrichten kann.

Denn ich bin keine Verfluchte, wie ich mir in den letzten Monaten wieder und wieder klarmachen musste. Ich bin nur eine normale Prinzessin, bereit zu sterben. Zu sterben für nichts und wieder nichts.

***

Ich schlage mich durch Schnee und schneidenden Wind. Seit Jahren weiß ich, dass niemand außer dem Sakral am Julfest die Grenze übertreten kann. Ich wusste, dass ich allein hier durchmuss. Doch ich wusste nicht, wie es ist, mich stundenlang durch den tiefen Schnee zu kämpfen, die Zehen taub in den Stiefeln, das Kleid bis zu den Oberschenkeln nass. Ich habe vor Ewigkeiten aufgehört, gegen meine klappernden Zähne anzukämpfen.

Alles schmerzt. Doch noch schlimmer ist, dass ich völlig von Furcht erfüllt bin. Jede Faser in mir schreit danach, umzukehren und nach Hause zu rennen. Ich hätte flüchten sollen, sobald ich als Sakral bestimmt wurde.

Endlich erreiche ich den Tannenwald, einen der wenigen Wegpunkte, die wir Menschen kennen, und finde nach kurzer Zeit den Waldpfad. Von den Tannen erwarte ich etwas Schutz vor der Kälte, doch der scharfe Wind tost durch die immergrünen Nadeln. Ab hier weiß ich nicht, wie es weitergeht. Wird mich jemand abholen? Liegt hinter dem Wald und jenseits der Berge das Schloss des Prinzen? Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, überhaupt so lange zu leben, dass ich mir diese Gedanken machen kann. Aus Ermangelung einer Alternative folge ich dem Weg, kämpfe gegen Windböen und tief hängende Äste. Meine Waden brennen, mein Atem geht stoßweise und meine Augen tränen vor Kälte, Schmerz und Einsamkeit. Ich bin sicher, an meiner Nasenspitze hängen Eiszapfen. Eventuell habe ich schon vor langer Zeit meine Ohren verloren. Zumindest fühle ich sie nicht mehr, auch nicht, wenn meine in dicke Handschuhe gepackten Finger nach ihnen tasten. Ein feines Geschenk gebe ich ab. Ich kann froh sein, wenn der Prinz des Winters mich von den zotteligen Kreaturen unterscheiden kann, die in seinem Reich wandeln.

Ich stürze über einen dicken Ast, den ich hätte sehen müssen, und schlage der Länge nach in den Schnee. Mein Schrei gellt durch den Wald und erst jetzt merke ich, wie unnatürlich ruhig es hier ist. Mein Schluchzen und das Knirschen des Schnees unter meinem Körper sind das Einzige, was ich höre. Minutenlang. Stundenlang. Alles an mir ist entweder taub oder schmerzt. Ich kann nicht weiter. Je länger ich hier liege, das Gesicht in meinen Händen vergraben, desto schwerer werden meine Glieder.

Irgendwann schüttle ich den Kopf. Das kann es nicht gewesen sein. Tot, noch bevor ich das Schloss erreicht habe. Ich wäre eine Schande für meine Familie, für mein Volk. Also drehe ich mich auf alle viere und drücke meinen Körper stöhnend hoch.

Durch die Dämmerung ziehe ich weiter. So viele Stunden, wie ich unterwegs bin, sollte ich längst da sein. Doch ich sehe kein Schloss, also schleppe ich mich weiter. Und weiter und weiter. Bis ich das Gefühl für Raum und Zeit verloren habe und nicht mehr weiß, wohin ich überhaupt gehe. Ich krame den Trinkschlauch aus meinem Beutel und versuche den Verschluss zu öffnen. Meine Finger rutschen immer wieder ab, bis ich die Handschuhe mit den Zähnen von meinen Händen abziehe. Ich ignoriere meine blauen Fingerspitzen und drehe den Verschluss auf, doch der Schlauch gleitet mir aus der Hand und das Wasser gluckert auf den Boden. Ich jaule auf, aber bücke mich nicht. Wenn ich erneut zu Boden gehe, komme ich nicht mehr hoch. Ich kann nur eins tun. Weitergehen.

Ich taumle zwischen den immer gleichen Bäumen hindurch. Trugbilder ergreifen mich, Erinnerungen an den Frühling, die Wärme. Ich sehe Monster vor mir, den Prinzen des Winters, dessen Gesicht ich nicht kenne. Er verschwimmt mit den Monstern.

Ich pralle gegen einen Baum und bleibe keuchend stehen, die Hände in die Baumrinde gekrallt. Wo ist mein zweiter Handschuh? Ich verenge die Augen. Wo sind meine Finger? Sie sind fort, dann blinzle ich und sie sind wieder da, die Spitzen fast schwarz. Ich blinzle erneut und statt Händen habe ich nun Pranken mit Krallen. Das Blut brodelt in meinen Adern. Erst seufze ich wohlig auf, weil ich endlich nicht mehr friere. Doch mir wird heiß, viel zu heiß. Während ich auf den Boden sinke, versuche ich den verdammten Pelzmantel von mir zu reißen. Doch er ist mit meiner Haut verschmolzen. Ich schaffe es nicht zu schreien. Statt zu kämpfen, entscheide ich mich, die Hitze zu genießen. Sie ist unangenehm, aber besser als die Kälte zuvor.

Ich höre Stimmen, die wie eine altbekannte Melodie klingen. Etwas bewegt mich und ich will mich wegen der Störung meines Deliriums beschweren, doch nichts als ein Krächzen kommt heraus. Ich sehe nur noch schieferschwarze Augen, dunkle Brauen, eine fein geschwungene Nase im hellsten Gesicht, umrahmt vom hellsten Haar, zwischen dessen Strähnen spitze Ohren hervorragen, dann ist alles schwarz und still.

Malven und Bestrafung

25. Tag des Julmondes

Nevan

»Sie sieht wenig beeindruckend aus«, bemerkt Rowan und beugt sich über das Menschenmädchen, dessen bedrohlichste Erfrierungen er geheilt hat. Um den Rest sollen sich die Magieheiler im Schloss kümmern.

Ich werfe ebenfalls einen Blick auf sie. »Solltest du als mein Untergebener so über das Sakral reden? Immerhin ist sie ein Geschenk an mich.« Ich bemühe mich nicht, die Abscheu in meiner Stimme zu verbergen.

Das Mädchen krallt eine Hand in ihren Pelzmantel und ich frage mich, wieso sie nur einen Handschuh trägt. Ich schüttle den Kopf. Muss eine dieser Menschenmoden sein, die kommen und gehen. Ich kann sie jetzt schon nicht leiden, bevor sie überhaupt den Mund oder die Augen geöffnet hat.

Rowan holt meine weiße Stute. »Ich bin dein Erster Ritter, da darf ich mir ein wenig Ehrlichkeit erlauben. Immerhin ist sie eine Schönheit, auch wenn sie dringend ein Bad braucht.« Er schlingt seine Arme unter Rücken und Kniekehlen des Mädchens und honigblonde Strähnen lösen sich aus ihrer Frisur.

»Für einen Menschen vielleicht. Aber das waren sie alle.«

Rowan schnaubt. »Fast alle.«

Ich erinnere mich an die wenigen Ausnahmen. Ein dummer Fehler der Menschen, immer die Schönste aus ihrem Land zu schicken – außer wenn eine der Anderen an der Reihe ist. Eine, die mir gefährlich werden kann. Jedes unansehnliche Mädchen schaffen wir sofort beiseite, doch ich werde nicht den Fehler machen, das neue Sakral zu unterschätzen.

Sie rührt sich nicht, während Rowan sie auf das Pferd hebt. Natürlich hat er mit ihrem Gewicht keine Schwierigkeiten, doch die Lagen ihres lächerlichen Kleides kämpfen gegen ihn an. Und die Malven in ihrem Haar lassen ihn niesen. Haben sie absichtlich Blumen gewählt, die für uns giftig sind?

Ich schwinge mich auf mein Pferd, während er immer noch ihren Rock zu bändigen versucht. »Reiß ihr das verdammte Kleid einfach vom Leib.«

Rowan wirft einen kurzen Blick auf mich, um herauszufinden, wie ernst ich es meine. Er will nicht bestraft werden, weil er eine nachlässige Bemerkung von mir für einen Befehl hält. »Sie würde erfrieren, noch bevor wir den Wald durchquert haben.«

»Welch verlockende Aussicht«, murmle ich, doch warte auf Rowan. Wir brauchen das Mädchen lebend.

***

Veris

Mit einem Ruck erwache ich in einer Zelle. Was erleichternd ist – immerhin wache ich auf. Ich lebe. Sie haben mich nicht bei der ersten Gelegenheit auf einem Altar in Brand gesteckt. Oder vereist. Was auch immer sie hier tun.

Ich richte mich auf, doch die Bewegung löst Schwindel in mir aus, sodass ich benommen nach der Pritsche unter mir greife. Das harte Holz ist kratzig unter meinen Fingern, doch es gibt mir ein wenig Halt. Ich nehme tiefe Atemzüge. Dank der muffigen Luft ist mir sofort klar, wo ich mich befinde. In einem Kerker tief unter der Erde. Und sie haben mir meinen Mantel und meine Stiefel genommen.

Es gibt kein Fenster. Keine Möglichkeit herauszufinden, ob Tag oder Nacht ist. Ich stemme mich von der Pritsche hoch und stolpere barfuß zur Gittertür. Meine Hände umklammern das Metall, doch sofort zische ich und lasse die von hauchdünnem Eis bedeckten Stangen los. Über meine Handflächen ziehen sich rote Striemen. Ich ignoriere das Brennen und presse die Finger gegen meine Schläfen. Was soll ich jetzt machen? Mir war klar, dass der Prinz mich nicht mit Paraden und einem Bankett empfangen würde. Aber abgesehen davon weiß ich nichts. Ich weiß nicht, wer mich gefangen hält. Ich weiß nichts über diesen Ort. Ich weiß nicht einmal, ob jemals jemand hier herunterkommen wird.

Ich wage mich so nah an die Stangen, dass ich einen Blick auf den Gang werfen kann. Nirgends hängt eine Fackel, doch ein blaues Licht ohne Quelle taucht alles in einen unheimlichen Schein, der die Farbe meiner Haut auswäscht.

Stiefelschritte tönen durch den Gang, als wüsste jemand genau, dass ich soeben aufgewacht bin. Ich springe zurück, suche nach einer Waffe, irgendetwas, womit ich mich verteidigen kann. Nichts.

Der größte Mensch, den ich je gesehen habe, tritt vor meine Zelle. Nein, kein Mensch. Seine blasse Haut und die schlohweißen Haare, die bis zu den Schulterblättern reichen, enttarnen ihn als Winterfae. Durch die Gitterstäbe starrt er mich aus dunklen Schieferaugen an. Seine Gesichtszüge sind überzeichnet, als ob ein Bildhauer eine herrliche Statue schaffen wollte, aber bei allen Details übertrieben hat. Zu scharfe Wangenknochen, zu tiefe Augen, zu schöne Lippen.

Ich weiche zurück.

Kontrolliert faltet er seine langen Finger. »Ich erkläre dir, wie wir vorgehen. Du wirst mir erzählen, worin du unterrichtet wurdest. Du erzählst mir alles über deine Pläne. Und ich lasse dich vielleicht am Leben.«

Sobald ich seine Stimme höre – seidig und kultiviert, aber scharf wie zerberstendes Eis –, weiß ich, wer er ist. Der Prinz des Winters. Ich will etwas sagen, doch mir fehlen die Worte. Hat er das hier mit den anderen Sakralen auch gemacht? Hat irgendeine von ihnen trotz unseres Trainings geredet?

»Falls du nicht kooperieren möchtest, finden wir eine andere Möglichkeit, dich zu … überzeugen.« Er tritt näher und seine bedächtigen Bewegungen scheinen die Luft zu zerschneiden. »Verstehst du mich?«

Ich starre in seine leeren, pupillenlosen Augen. Das ist er. Der Prinz, den ich töten muss.

Er schnalzt mit der Zunge. »Ob du mich verstehst?«

Ich nicke mit zusammengebissenen Zähnen.

Er beugt sich zu mir hinunter und sein Haar gleitet über seine Schultern nach vorn. Er sieht aus, als hätte jemand sämtliche Farbe aus ihm gebleicht. »Also?«

»Ich habe verstanden«, presse ich hervor, »aber ich werde nicht reden.« Egal wie gering meine Chance ich werde mein Wissen über die Verfluchten und die normalen Sakrale nicht preisgeben. Ich verrate mein Volk nicht.

Ein Krug mit abgestandenem Wasser erscheint einige Stunden nach seinem Besuch vor meinen Füßen, begleitet von einem seltsamen Kribbeln in der Luft. Magie. Ich lasse alle Vernunft fahren und nehme gierige Schlucke, die mir den Rachen vereisen. Dann vergehen Tage – oder zumindest glaube ich, dass es Tage sind –, an denen niemand auftaucht. Mein unendlicher Durst lässt mich stundenlang den Krug anstarren, doch ich teile mir den Rest Wasser akribisch ein.

Gerade als ich beginne zu glauben, dass der Winterprinz nie hier war und ich verrückt geworden bin, steht ein Mann vor meiner Zelle. Zuerst denke ich, es sei der Prinz, denn sein Haar strahlt ebenso weiß. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass er kleiner ist, wenn auch immer noch größer als jeder Mensch. Das weiße Hemd steht an seinen muskulösen Schultern kurz vor dem Platzen. Obwohl sein Äußeres von der gleichen farblosen Nuance ist, scheint er ein wenig menschlicher.

»Ich werde nicht reden. Egal was Ihr tut.« Zumindest finde ich meine Worte schneller als beim Prinzen. Ich entdecke meinen Lederbeutel, der über seiner Schulter hängt.

Er bemerkt meinen Blick und verschränkt die Arme vor der Brust. »Darin werdet ihr Menschenmädchen unterrichtet, oder? Im Umgang mit Dolchen, hinterlistigen Giften und Tinkturen.« Ein garstiges Grinsen blitzt über sein Gesicht. »Und Widerstand gegen Folter.«

Sie wissen davon? Ich muss schlucken, denn unser Training ist ein wohlgehütetes Geheimnis – und die wichtigste Lektion ist, dass wir nicht ein Wort darüber verlieren. Was haben sie mit den Mädchen vor mir gemacht, um davon zu erfahren? Ich wende den Blick ab. »In keiner dieser Disziplinen bin ich besonders gut gewesen«, murmle ich. Es würde mir nur schaden, wenn ich etwas leugne, das sie bereits wissen.

Das Rattern von Metall auf Metall ertönt, weil er die Tür der Zelle öffnet. »Das hat jede vor dir auch behauptet.« Er ändert seine Stimme zu einem aufgesetzten Quietschen. »Ich bin nur ein schwaches Menschenmädchen. Ich stelle keine Gefahr dar. Bitte, bitte tut mir nichts.«

Kurz ziehe ich in Betracht, mich an ihm vorbeizudrängen. Aber das wäre töricht. Ich weiß nicht, was am Ende dieses Flures ist. Und ich würde vermutlich ohnehin keine zehn Schritte weit kommen.

»Doch früher oder später standen all deine Vorgängerinnen mit erhobenem Dolch hinter dem Prinzen. Mischten Gift in sein Essen.« Er zieht das Giftfläschchen aus meinem Lederbeutel und wirft es mir zu.

Das Fläschchen gleitet mir aus den Fingern und rollt klirrend über den Boden. Schnell falle ich auf meine Knie und greife danach, bevor er es unter seinem Absatz zerquetscht.

»Behalte es ruhig. Uns kann das Gift nichts anhaben.« Er betrachtet mich amüsiert, als wisse er ganz genau, dass ich das Gift nie für mich benutzen würde. »Ebenso wenig wie dein niedlicher Dolch.« Er reckt das Kinn in Richtung meines Oberschenkels.

Ich taste nach dem Dolch und tatsächlich: Unter dem Stoff spüre ich seine harten Konturen. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn mir wegzunehmen. Meine Ohren werden vor Zorn und Beschämung warm, weil ich daran denke, wie er den Dolch entdeckt haben muss. »Wenn ich Euch nicht gefährlich werden kann, wieso haltet Ihr mich dann gefangen?« Viel lieber würde ich fragen, wa­rum sie mich noch nicht in einer Vollmondnacht auf einem Blutaltar geopfert haben – aber ich möchte sie nicht auf Ideen bringen.

»Weil du uns sagen wirst, warum manche von euch anders sind. Wie sie dem Prinzen gefährlich werden können.« Er tritt so nah an mich heran, dass ich in seinem Schatten stehe. Also haben sie eine Ahnung, aber wissen noch nichts vom Kuss der Daphne. Ich muss zumindest dieses Geheimnis bewahren, damit die nächste Verfluchte ihre Chance nutzen kann.

Ich schüttle den Kopf. »Ich bin nur ein Sakral, keine Verfluchte –«

»Verfluchte?« Seine Lippen verziehen sich. »So nennt ihr sie also?«

Mein Herz setzt aus. »Weil es ein Fluch ist, seit der Kindheit zu wissen, dass man hierhergeschickt wird«, rette ich meinen Ausrutscher hastig. »Aber ich weiß nicht, welche Kraft sie haben oder –«

Er umklammert meine Oberarme mit seinen Pranken und hebt mich hoch, bis meine Füße in der Luft schweben. Dann drängt er mich gegen die Wand, sodass die Luft aus meinen Lungen gepresst wird. Seine Augen, ebenfalls ohne Pupillen, aber meerblau statt schwarz, durchbohren mich. »Auch etwas, das jede von euch geschworen hat. Selbst diejenigen, die so unansehnlich waren, dass man sie niemals als Sakral erwählt hätte. Die Verfluchten, nicht wahr? Aber dann gibt es auch hübsche unter ihnen, die man nicht sofort erkennt. So wie du eine sein könntest.« Er lässt mich hinunter. »Du hast einen Tag, um darüber nachzudenken, was du mir erzählen willst.«

»Es gibt nichts, was ich erzählen könnte. Ich weiß nichts.«

Er tritt gegen den Krug und das Wasser versickert in den Fugen. »Mal schauen, ob du das morgen immer noch so siehst.«

Ich verbringe die nächsten Stunden zwischen unruhigem Schlaf und Auf-und-ab-Wandern in der kleinen Zelle. Wie eines der wilden Tiere, die meinem Vater geschenkt wurden und die immerwährend den gleichen Weg in ihren viel zu kleinen Käfigen abliefen. Ich habe nichts außer meinen Gedanken, um mich vom Durst abzulenken.

Als erneut Schritte ertönen, springe ich auf. Meine Kehle ist staubtrocken.

Wieder erscheint der muskulösere Fae vor den Gitterstäben. Ich bin erleichtert, dass es nicht der Prinz ist, auch wenn dieser Mann vermutlich keinen Deut mehr Mitgefühl für mich hegt.

Einen Moment lang schauen wir uns nur an. Dann reicht er mir meinen prall gefüllten Trinkschlauch. Ungläubig wiege ich das Gewicht in meinen Händen, bevor ich mit bebenden Fingern den Verschluss aufdrehe. Ich lege den Schlauch an meinen Mund und neige ihn so steil, dass mir beim Trinken das Wasser aus dem Mund läuft, über mein Kinn. Doch nach drei gierigen Schlucken würge ich und schmeiße den Trinkschlauch zur Seite.

Es ist Salzwasser.

Egal wie oft ich mir über den Mund wische, spucke, huste, der Geschmack verschwindet nicht. Als hätte mich jemand im Meer unter Wasser gehalten.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er grinst. »Wir sprechen uns morgen.«

Zweimal noch würge ich Salzwasser hoch. Die Pfützen aus Salzwasser und Galle sind erniedrigend und mein Durst hält an, hundertfach verstärkt durch diese Hinterlist.

Unruhig drehe ich mich auf meiner Pritsche hin und her, doch meine ausgedörrte Zunge und das Kratzen in meinem Rachen halten mich wach. Ich verspüre keinen Hunger. Ein schlechtes Zeichen. Ich werfe immer wieder sehnsüchtige Blicke auf den Trinkschlauch, der in einer Ecke liegt. Ein paar Tropfen Wasser müssten noch darin sein. Obwohl ich weiß, dass jeder weitere Schluck des salzigen Wassers tödlich sein könnte, gerate ich mit jeder Stunde mehr in Versuchung. Ich muss etwas trinken, kann an nichts anderes denken.

Doch ich darf nicht. Also sammle ich das letzte verbliebene bisschen Willenskraft, greife den Trinkschlauch und gieße das Wasser auf den Boden.

Und dann warte ich.

Moos und Folter

30. Tag des Julmondes

Nevan

Rowan kniet vor meinem Thron aus Eiskristallen. »Sie ist stur.«

»Also hast du sie noch nicht zum Reden gebracht?« Ich betrachte die Nähte meines Lederhandschuhs, um meine Unzufriedenheit im Zaum zu halten. Ich bin umgeben von Inkompetenz.

»Heute wird sie reden. Heute würde sie für einen Schluck Wasser nackt mit einem Goblin im Tausendsee tanzen.«

Ein leises Schnauben verlässt meinen Mund. Es gibt sonst niemanden im Hofstaat, der mich zu amüsieren vermag. Rowan ist der Einzige, den ich längere Zeit ertrage.

»Mein Prinz, wünscht Ihr, dass ich dem Mädchen eine Mahlzeit bringe?«

Rowan und ich drehen uns gleichzeitig um. Die demütige Stimme kann nur Sif gehören. Ihr Anblick ist wie immer mitleiderregend und das Gleiche gilt für ihre Stimme. Ich hasse ihre Scheu, wie sie leise wie eine Maus durch die Flure huscht, immer darauf bedacht, sich als nützlich zu erweisen. Außerdem hasse ich es, gestört zu werden.

»Habe ich dich herbestellt?« Meine Stimme schneidet durch den Thronsaal.

Sif verbeugt sich noch tiefer und ihr weißgoldenes Haar streift über den Boden. »Nein, mein Prinz, aber ich –«

Langsam stehe ich vom Thron auf, während Rowan aus der Schusslinie eilt. »Und habe ich befohlen, dass du dem Sakral etwas zu essen bringen sollst?« Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben, doch jeder meiner Muskeln ist angespannt.

»Ihr habt gesagt, ich solle in ein paar Tagen ein schlichtes Mahl aus Brot und –«

»Ich sagte, wenn sie redet.« Ein Unwetter baut sich in mir auf und ich merke Rowan an, wie unbehaglich ihm zumute ist. Normalerweise kann er vor dem Gespür anderer Fae verbergen, was er fühlt, doch manchmal vergisst er die Mauer aufrechtzuerhalten.

Sif kauert sich so sehr zusammen, dass sie wie ein Kind aussieht. »Ich dachte –«

»Falsch. Du hast nicht gedacht. Wenn du gedacht hättest, würdest du mich nicht unterbrechen. Du würdest nicht unangekündigt hier auftauchen. Du würdest nicht annehmen zu wissen, was dein Prinz möchte.« Mein Blick fällt auf ihr helles Haar, das sie immer so gewissenhaft pflegt. Vielleicht denkt sie, dass dieser eine Vorzug über all ihre Unzulänglichkeiten hinwegtäuscht. »Abschneiden«, befehle ich Rowan. »Vielleicht lernt sie dann, ihren Kopf zu etwas anderem als zum Frisieren zu benutzen.«

Mein Erster Ritter zögert nicht, den Befehl auszuführen. Befürchtet wohl, dass ich ihm sonst einen seiner liebsten Körperteile abschneide. Er zieht sein Schwert und sammelt Sifs Haar in der freien Hand. Sie hat kaum Zeit zu wimmern, da zieht er die Klinge durch die seidigen Längen, so nah wie möglich an ihrer Kopfhaut, ohne sie zu skalpieren. Die Haare gleiten zu Boden.

»Wenn du so erpicht darauf bist, dem Menschenmädchen zu dienen, stricke ihr Handschuhe aus deinem Haar. Das letzte Mal, als ich sie sah, schien ihr ein wenig kalt zu sein.« Ich wende mich von ihr ab.

Sif sammelt mit kaum unterdrücktem Schluchzen ihre Haare ein. Ich hoffe, sie ist weise genug, nicht eine einzelne Strähne liegen zu lassen.

***

30. Tag des Julmondes

Veris

Melodiöses Pfeifen dringt in meine Zelle. Jede Minute habe ich meine Kräfte für meinen Plan gesammelt. Sobald die fröhliche Melodie ganz nah ist, rapple ich mich auf und verbanne Schmerz, Furcht und Unsicherheit aus meinem Gesicht.

Sobald der Fae – nicht der Prinz, zum Glück – mich erblickt, vergeht ihm das Pfeifen.

Ich stehe mit durchgestreckter Wirbelsäule in der Mitte der Zelle und starre ihn an. Ich schwanke etwas, doch ich erkenne in seinem Blick, dass ich ihm imponiere. Das bestärkt mich. »Ich bin keine Verfluchte und habe keine Kräfte.« Meine Hände zittern und sein Blick fällt auf die Erfrierungen an meinen Fingern. »Meine Fähigkeiten in der Kampfkunst und der Giftmischerei kann man bestenfalls als mittelmäßig bezeichnen. Ich bin keine Gefahr für Euch, und wenn Ihr dennoch vorhabt mich zu töten, dann tut es jetzt.«

Er stößt einen Pfiff aus. »Bjernach.«

Ich verenge die Augen, ohne etwas zu sagen.

»Eine Bjernach ist eine stolze Frau. Zu stolz. Zu hochmütig, wenn du mich fragst.«

Ich tippe mir an die Brust, wo Flecken mein einst so schönes Kleid zieren. »Diese Bjernach hat auch einen Namen. Und einen Titel, falls Euch Fae das irgendetwas bedeutet.«

»Und der lautet?«

»Veris Arbor, Prinzessin von Burg Goldwacht in Aur–«, setze ich an.

Er schnaubt, vermutlich weil er weiß, was mein Name bedeutet. Frühling. So klischeehaft, dass ich mich frage, was meinen Eltern durch den Kopf ging. Sie hätten mich zumindest nach einer Frühlingsblume benennen können. Jetzt ist mein Name ein Grund mehr für seinen Hohn. »Und hast du, Veris, Durst?«

Die Sehnen in meinem Hals brennen, weil ich mit aller Kraft verhindern muss zu nicken. »Ihr könnt aufhören, mich zu drangsalieren. Es ist dumm, eine Unschuldige zu foltern in der Hoffnung, sie bekenne sich zu Taten, mit denen sie nichts zu tun hat. Oder sie verrate etwas, worüber sie nichts weiß.«

»Fein. Dann verrottest du hier unten.« Er dreht sich auf dem Absatz um.

Nur drei Wimpernschläge muss er warten, dann gebe ich nach. »Bitte«, wimmere ich und hasse mich selbst. »Gebt mir zumindest etwas Wasser. Eine Decke, wenn Ihr nur halb so großherzig wie mächtig seid.«

Er dreht sich zu mir um. In seinen Augen wird deutlich, wie armselig er mich findet, weil ich so schnell meinen Stolz vergesse und zur Speichelleckerin mutiere. Er hebt eine Hand. »Wasser sollst du bekommen.«

Mit offenem Mund beobachte ich, wie Eisschichten auf den Kerkerwänden wachsen. Er tut das. Dann verlässt er den Kerker. Das Eis breitet sich auf dem Boden aus und ich hechte zur Pritsche, damit meine Fußsohlen nicht festfrieren. Das gefrorene Moos auf dem Boden zerbricht unter meinen Schritten. Meine Füße sind bereits tiefrot.

Ich spreche mir Mut zu, bete, dass das Eis nicht auch die Pritsche belegt, obwohl das nicht mehr viel ausmachen würde. Die Luft ist starr vor Kälte. Und das Brennen und Jucken in meinen Zehen verstärkt sich. Sie färben sich von Blau zu dunklem Violett. Jedes Mal, wenn ich irgendwo anstoße, zische ich vor Schmerz. Ich beiße die Zähne aufeinander, denn ich will stark sein, ich muss stark sein, doch sobald meine Zähne so sehr klappern, dass ich meinen Mund nicht mehr geschlossen halten kann, breche ich in Tränen aus. Ich versuche sie zu stoppen. Vergebens.

***

31. Tag des Julmondes

Nevan

»Heute wird sie reden, mein Prinz!«, erklärt Rowan.

»Das hast du gestern schon behauptet«, zische ich. Nun habe ich endgültig genug. Sie hätte längst einknicken müssen. Vielleicht ist sie eine der Verführerinnen und er hat sich von ihr erweichen lassen. Er unterliegt viel zu oft dem Charme von Frauen, die sich ihm an den Hals werfen. Was es auch ist, ich bin nicht bereit, noch länger zu warten. »Ich werde dafür sorgen, dass sie redet.«

Rowan folgt mir die Wendeltreppe in den Kerker hinab. Er redet auf mich ein, doch ich blende sein Genöle aus. Er hatte seine Chance.

Das Mädchen hockt leblos in der Ecke, so zusammengekauert, dass ich sie zuerst nicht entdecke und einen kurzen Moment denke, sie wäre geflohen. Ihre Arme und Beine ragen blau gefroren aus den verschmutzten Fetzen ihres Kleides heraus.

»Du solltest sie zum Reden bringen, nicht töten.« Zorn wirbelt in meinem Brustkorb auf, weil ein weiteres Jahr vergehen wird, in dem ich nichts erfahre.

Rowan öffnet die Zelle und beugt sich herunter, um sie aufzurichten. »Sie atmet noch.«

Das Mädchen erwacht zum Leben, als wolle es sich mit letzter Kraft verteidigen. Ihre Bernsteinaugen leuchten auf seltsame Weise. Die Augen einer Irren. »Ich bin keine Verfluchte. Ich habe keine Kräfte. Bitte. Bitte!« Sie wehrt sich gegen Rowans Griff, obwohl sie, selbst wenn sie bei Kräften wäre, nichts gegen ihn ausrichten könnte. Ihr Blick findet meinen. »Es gibt nichts, was ich gestehen könnte!« Ihre Lider flattern und nur noch ein Röcheln folgt ihren Worten, dann fällt sie in Ohnmacht.

»Ich denke, sie sagt die Wahrheit«, erklärt Rowan langsam. »Sie hat nicht versucht zu fliehen oder zu kämpfen. Hat nicht daran gedacht, die Malvenblüten ihrer Haarnadeln gegen uns einzusetzen. Ich spüre, dass von ihr keine Gefahr ausgeht.«

Ich trete näher an sie heran. »Sie ist halb tot, natürlich spürst du keine Gefahr.«

»Genauso wenig habe ich es gespürt, als sie bei Kräften war. Oder erging es Euch anders?«

Ich betrachte das Mädchen. Er hat recht. Bei allen Mädchen konnte ich förmlich riechen, was sie vorhatten. Die metallische Nuance im Rachen bei denen, die geschickt mit Waffen sind. Die Bitterkeit bei denen, die mich vergiften wollten. Das ekelhaft süßliche Kleben bei den Verführerinnen.

»Sie ist nur eine verweichlichte Prinzessin, die nichts weiß, was uns nützen könnte«, wiederholt Rowan.

Als Prinzessin des Menschenreiches wurde sie von ihren Eltern wohl mehr behütet, als ihr guttat. Sie machten sie schwach. Doch ich lasse meine Vorsicht nicht fahren. »Das werden wir sehen«, murmle ich und bedeute Rowan, das Mädchen mitzunehmen.

Flieder und Veränderung

1. Tag des Eismondes

Veris

Isobelas Hand streicht über meine Stirn, so wie in meiner Kindheit. Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und holen mich langsam aus dem Schlaf. Einige Atemzüge lang blinzle ich, da mich das Licht blendet. Ich bin zurück in meinem Turmzimmer, zurück auf Burg Goldwacht. Alles war nur ein Albtraum.

Doch sobald ich mich an das grelle Licht gewöhne, begreife ich, dass ich mich irre. Ich befinde mich tatsächlich in einem Turmzimmer – doch hinter dem Fenster liegt eine endlose Schneelandschaft. Ich springe aus dem Bett, dessen Baldachin aus versilberten Ästen und Seide gefertigt ist, und meine Füße – gesund, rosig, definitiv nicht von Frostbeulen übersät – klatschen auf den Marmorboden. Ein Morgenmantel aus zartem Stoff schmiegt sich an mich. Er schützt mich nicht gegen die Kälte dieser Gemäuer, doch ich habe andere Probleme. Wie bin ich hier hergekommen? Und warum?

Die hohen Marmorwände mit den fein gearbeiteten Schnitzereien von Sternschnuppen und Eisblumen locken mich, sie zu bewundern, aber ich mache mich auf die Suche nach einer Waffe. Und Schuhen. Der Boden ist nichts gegen die Steine des Kerkers, doch ich spüre die Kälte an meinen Fußsohlen wie eine Erinnerung an die Tage dort unten.

Ich finde meinen Dolch zusammen mit dem Oberschenkelhalfter auf einem kristallenen Frisiertisch an einer der Wände. Efeuranken aus Silber schlängeln sich um den Spiegel und ich betrachte mein ausgezehrtes Gesicht. Meine verfilzten Haare. Ich sehe aus wie eine der wilden Kriegerprinzessinnen in Isobelas Geschichten. Nur bruchstückhaft kehren die Erinnerungen zurück. Ich glaube, ich wollte den Fae alles beichten, doch als sie wieder kamen … Ich presse meine Finger an meine dumpf pochenden Schläfen. Ich habe nichts preisgegeben, oder? Darüber sollte ich froh sein, doch ich bin enttäuscht von mir. Das Einzige, was mich davon abhielt, mein Volk zu verraten, war meine Ohnmacht.

Aber jetzt fühle ich mich kerngesund, als wäre ich nie im Kerker gewesen. Das kann ich mir nicht erklären, doch ich sollte es ausnutzen, bevor die Fae weitermachen, wo sie aufgehört haben. Also schnalle ich mir den Dolch um meinen Oberschenkel und husche zu einer der zwei Türen. Hinter ihr liegt ein großzügiges Badezimmer, dem ich keinen zweiten Blick gönne.

Sobald ich mich zur anderen Tür drehe, steht eine hochgewachsene junge Frau vor mir. Ich weiche zurück, bis ich gegen einen Kleiderschrank pralle, dessen metallener Knauf in meinen Rücken sticht. Dann löse ich den Dolch aus seiner Halterung und strecke ihn mit beiden Händen vor mich.

Die Fae tritt auf mich zu.

»Keinen Schritt weiter!« Ich recke den Dolch in ihre Richtung.

»Ich werde Euch nichts tun. Mein Name ist Sif und ich soll mich um Euch kümmern.«

»Wie der andere Fae? Der mich gefoltert hat?«, speie ich aus.

Sif hält den kleinen Holzeimer mit Seifen und Tüchern in ihren Händen hoch. »Nur ein Bad.«

»In einer Schlangengrube?«, murmle ich, doch nehme den Dolch herunter. Sie sieht harmlos genug aus. Vielleicht muss ich ihnen Vertrauen entgegenbringen, damit sie mir vertrauen. Es muss einen Grund geben, warum ich nicht mehr im Kerker hocke – und ich werde ihn herausfinden.

Sifs helle Augenbrauen kräuseln sich, als würde sie an meinem Verstand zweifeln. »Es gibt keine Schlangen in Rhîgos«, erklärt sie langsam. »Mein Befehl lautet, Euch beim Baden und Ankleiden zu helfen.«

Die Aussicht auf ein Bad reißt all meine Mauern ein. Ich betrachte die Fae vor mir und frage mich, ob sie alle gleich aussehen. Sif ist offensichtlich eine Frau, auch wenn ihr weißblondes Haar kurz geschoren ist, während die Männer lange Haare tragen. Das wäre im Menschenreich ein Skandal, aber der anstößige Haarschnitt mindert ihre unsterbliche Schönheit nicht. Im Gegenteil, so lenkt nichts von ihren fein geschwungenen Wangenknochen ab. Sanfter als die der beiden Fae-Männer, aber nicht weniger eindrucksvoll. Ich deute auf ihren Kopf. »Trägt man das in Rhîgos so?« Der Name des Reiches fühlt sich fremdartig auf meiner Zunge an.

Die Fae blickt drein, als wolle sie sich den Holzbottich über ihren Kopf stülpen.

»Keine Sorge, ich finde es … äußerst erfrischend«, lenke ich schnell ein. Bloß nicht meine Entführer verärgern.

»Das meint Ihr nicht so!« Jetzt strahlt sie mich an, als hätte ich ihr einen Heiratsantrag gemacht. Täusche ich mich oder ist sie ein wenig einfältig? Und ich dachte, Fae seien uns Menschen in allen Belangen überlegen. Viele behaupten, sie können sogar unsere Gedanken lesen – dieses Exemplar scheint eher das Gegenteil zu beweisen. Aber Unschuld kann gespielt sein.

Ich lege den Kopf schief. »Doch, wirklich!« Ein wenig Anbiedern hat noch nie geschadet. Und mein Charme ist das Einzige, was ich habe. »Vielleicht sollte ich so eine Frisur auch in Erwägung ziehen.«

Sif stellt den Bottich auf dem Bett ab. »Oh, bitte nicht! Nicht Euer wunderschönes Haar!« Sie stürmt auf mich zu und statt mich in Verteidigungsposition zu bringen, lasse ich sie meine Haare berühren. Doch ihre Augenbrauen ziehen sich erneut zusammen. »Eine Schande, Euer Haar so vernachlässigt zu sehen.«

Ich schiebe sie von mir und starre zu ihr hinauf. »Die Auswahl an Seifen und Pflegetinkturen im Kerker lässt zu wünschen übrig.«

Sif neigt ihren Kopf. »Der Prinz bedauert, welche Behandlung Ihr durchleben musstet.«

Um sie nicht wegen ihrer Lüge anzufahren, gehe ich in das angrenzende Bad. »Was ist mit den anderen Sakralen? Mussten sie das Gleiche durchmachen?«, presse ich hervor.

Sif folgt mir. »Er wird Euch beim Abendessen alles erklären.«

Auf die Erklärung bin ich gespannt.

Ich beobachte Sif dabei, wie sie an goldenen Apparaturen dreht, aus denen Wasser in ein obszön großes Becken läuft. »Ist das Magie?«, hauche ich. Bei uns müssten fünf Bedienstete stundenlang Wasser zum Becken schleppen.

Sifs Augen werden groß. »Habt Ihr kein fließendes Wasser im Menschenreich?« Sie entleert Glasflakons mit zartrosa Flüssigkeit über der Wanne und erklärt mir etwas von einem Pumpensystem im Schloss, das Wasser über mehrere Etagen nach oben befördert.

Ich höre kaum zu, sondern halte meine Hand in das Wasser, welches den Geruch von Flieder verströmt. »Es ist heiß!«

Sif lacht. »Selbst wir baden nicht in Eis.«

Ich entledige mich des Morgenmantels und gleite in das Becken, auch wenn das Wasser meine Haut fast verbrüht. Sobald ich bis zu den Schultern eingetaucht bin, kann ich nicht anders, als zu stöhnen. Ich bin im Himmel.

Sif macht keine Anstalten, die übrig gebliebenen Haarnadeln zu entfernen, also zerre ich sie selbst aus meinem Haarknoten und lege sie auf den Wannenrand. Sif schiebt sie mit einem Seidentuch in ein Körbchen und achtet penibel darauf, die zarten Malvenblüten nicht zu berühren. Während sie an meinem Haar arbeitet, betrachte ich zum ersten Mal wirklich meine Umgebung. Als Prinzessin ist mir Prunk nicht unbekannt, dennoch kann ich mich nicht sattsehen an den schneeweißen Marmorwänden und der Gewölbedecke, in die winzige Edelsteine in einem Spiralmuster eingelassen sind. Doch mehr als die Edelsteine rauben mir die deckenhohen Spitzbogenfenster den Atem, die eine ganze Wand einnehmen. Nicht wegen ihrer fein gearbeiteten Steinfassung, die kein menschlicher Steinmetz zustande bringen würde. Nicht einmal wegen des Glases, das aussieht wie hauchdünne Eisscheiben. Es ist der Ausblick über die Schneelandschaft, welche sich bis zum Horizont erstreckt. Abendsonne glimmert auf dem unberührten Schnee, auf dem Eis eines riesigen, perfekt gerundeten Sees. Unter anderen Umständen würde ich mich dieser Schönheit länger hingeben.

Doch meine Gedanken holen mich abrupt zurück in die Realität. Schlimmer als die Folter, die hinter mir liegt, ist das Wissen, nichts zu wissen. Nicht zu wissen, was mich nun erwartet und was der Prinz vorhat. Wie jedes Mädchen in Aurum wurde ich ausgebildet. Kampf, Tränke, Diplomatie, alles, was mir hier helfen könnte. Doch alles hat mich nur auf Eventualitäten vorbereitet. Niemand wusste, was mich wirklich erwarten würde. Und ich habe zwar keine Ahnung, was sich der Prinz des Winters bei dieser gastfreundlichen Behandlung denkt – aber sie ist sicher nicht von Dauer.

Sif entwirrt meine verfilzten Strähnen mit einem grobzinkigen Kamm und ich beiße die Zähne aufeinander. »Ich bin nicht sicher, ob sie noch gerettet werden können.«

Sif massiert Öle und Seren in mein Haar, spült es wieder und wieder aus, bis das Wasser im Becken nur noch lauwarm ist und ich von Kopf bis Fuß nach Flieder dufte. Seufzend steige ich aus dem Becken und lasse mich in ein Baumwolltuch wickeln. Dann verlässt Sif das Badezimmer. Bevor ich mich fragen kann, ob sie mich halb nackt meinem Schicksal überlässt, tritt sie mit meinem Malvenkleid in den Armen herein. Es sieht so makellos aus, als hätte ich es nicht während meiner tagelangen Tortur getragen.

Ich stürme zu Sif und lasse den Stoff durch meine Hände gleiten. »Wie habt Ihr –?«

Sif kichert. »Wir haben eine sehr talentierte Magieweberin. Ich dachte, Ihr freut Euch über eine Erinnerung an Euer altes Leben.«

Ich lasse mir von ihr in das Kleid helfen. »Und wie wird mein neues Leben aussehen?«

»Ich wurde nur dazu bestimmt, Eure Kammerzofe zu sein.« Sie wendet den Blick von mir ab. »Mehr erfahrt Ihr vom Prinzen.«

Grimmig starre ich mein Spiegelbild an. Der rosige Hauch auf meinen Wangen fehlt, ebenso wie ein Diadem, stattdessen liegen tiefe Schatten unter meinen Augen. Zumindest bin ich sauber und bekleidet. Und ich bin immer noch eine Prinzessin, ob mit oder ohne Diadem. Vielleicht auch eine Bjernach. »Das werde ich.«

Sif führt mich ich durch die verlassenen Gänge des Schlosses. Wenn ich dachte, das Bad wäre an Prunk nicht zu übertreffen, habe ich mich geirrt. Jeder noch so unbedeutende Flur ist ein Kunstwerk aus weißem Marmor und klarem Eis, das zu Säulen und Verzierungen geformt ist. Durch weitere Eisfenster erhasche ich Blicke auf spitze Türme und riesige Kuppeln. Die Abendsonne bricht sich in den spiegelglatten Oberflächen, als wäre das gesamte Schloss aus reinsten Diamanten gefertigt. Das Licht, das durch das Eisglas fällt, taucht alles in einen eigenartigen Schein aus Indigo und Blassviolett. Ich versuche meinen Mund geschlossen zu halten. Sif soll nicht bemerken, wie sehr mich die Baukunst der Fae beeindruckt. Einschüchtert. Unsere Burg ist nichts gegen das hier.

Vor einer Doppeltür, die groß genug ist, um einem Riesen Einlass zu gewähren, bleiben wir stehen. Sif legt die Hand an den Türknauf. »Dies ist der liebste Speisesaal des Prinzen.«

Ich verkneife mir die Frage, wie viele Speisesäle der werte Prinz denn hat, und trete ein. Der riesige Raum muss aus einem gewaltigen Eisklotz ausgehöhlt worden sein. Denn jede Wand, jede gewundene Säule, die lange Tafel und die Stühle sind wie aus einem Guss gefertigt. Viel mehr noch, sie sehen aus, als hätte die Natur sie geformt. Die rohe Ästhetik ist anders als der restliche Prunk, doch nicht weniger beeindruckend. Im Gegenteil. Etwas an der rauen Schönheit berührt mich mehr als die zarte Perfektion meiner Gemächer.

Auf einem Stuhl mit geschnitzter Rückenlehne am Ende der Tafel sitzt der Prinz des Winters. Nein, er sitzt nicht, er lungert, als wäre er der Herrscher der Welt – einer, der viel zu jung zum König gekrönt wurde. Er ist aus dem gleichen Eis geschnitzt wie sein Schloss. Wunderschön und kalt. Etwas, das man tunlichst nicht berühren sollte, wenn man nicht daran festfrieren und sich bei der kleinsten Bewegung die Haut abreißen will. Auf seinem Kopf ruht eine Krone aus versilberten Mistelzweigen, die rund geschliffene, milchige Mondsteine statt weißer Beeren tragen.

Ich schlucke meine Beklemmung herunter und stolziere durch den Speisesaal. Jeder meiner Schritte hallt hundertfach von den changierenden Eisplatten wider. Der Fae, der mich gefoltert hat, steht auf, sobald ich mich dem Tisch nähere. Ich will vor seine Füße spucken, doch reiße ich mich zusammen und würdige ihn keines Blickes, bis er sich wieder setzt. Stattdessen wende ich mich meinem wahren Peiniger zu. »Ich verlange auf der Stelle, darüber Kenntnis zu erhalten, was hier vor sich geht.«

»Wir speisen zu Abend.« Er deutet mit einer laschen Bewegung auf den reichlich gedeckten Tisch. »Und warten seit einer geschlagenen Ewigkeit auf Euch. Ist es so schwierig, ein Menschenmädchen halbwegs präsentabel herzurichten?«

Euch. Jetzt bringt er mir also ein Mindestmaß an Höflichkeit entgegen. Ich hebe mein Kinn. »Nachdem sie tagelang in einem Kerker vor sich hin rotten musste? Definitiv. Und ich vermute, es würde selbst Euch nicht anders ergehen, wenn man Euch in einen Kerker sperrt.«

Er verlagert sein Gewicht auf die andere Armlehne. »Ist das eine Drohung?«

»Nur die Spekulation eines unwissenden Mädchens«, entgegne ich zuckersüß. »Vielleicht möchtet Ihr dieses unwissende Mädchen ein wenig mit Eurer grenzenlosen Weisheit erleuchten und mir erklären, was der Sinneswandel soll? Oder zieht Ihr es vor, mich in Unkenntnis zu lassen? Ist das Eure neue Foltermethode?«

Er deutet auf den Stuhl zu seiner Rechten, gegenüber dem Folterer. »Ihr solltet etwas essen, bevor Ihr Fragen stellt.«

»Wo sind die anderen Sakrale?« Ich gehe auf den Stuhl zu.

Der Folterer springt erneut auf und setzt sich erst, als ich Platz genommen habe. »Ich bin Rowan, Erster Ritter des –«

Ich unterbreche ihn. »Und das interessiert mich, weil –?«

Er schweigt, während der Prinz schnaubt. »Sie hat wohl ihren Hochmut nicht im Kerker gelassen.«

Ich ignoriere beide. Ich sollte mich diplomatischer geben, um meine Position zu stärken. Doch nach den vergangenen Tagen ist mir meine übliche Diplomatie verloren gegangen.

»Esst«, befiehlt der Prinz und streicht sich eine seiner schlohweißen Haarsträhnen hinter die Schulter.

Skeptisch betrachte ich die Speisen vor mir. Blanchierte Artischocken und seidiges Kartoffelmus. Der Duft eines in Kräutern marinierten Fasans steigt mir in die Nase und schlagartig verspüre ich Appetit. Ein warmes Mahl wäre auch eine willkommene Abwechslung zu den Temperaturen im Schloss. Doch ich zögere. »Woher weiß ich, dass Ihr mich nicht vergiftet?«

Der Prinz lässt den Kopf genervt in den Nacken fallen und ich hoffe, seine Mistelzweigkrone rutscht ihm vom Kopf und zerbricht auf dem Boden. »Wenn wir Euch töten wollten, würdet Ihr nicht hier am Tisch sitzen.«

Widerwillig muss ich ihm recht geben, also nehme ich von allen Gerichten ein wenig. »Ich darf mich wohl glücklich schätzen, dass Ihr keine Eiszapfen serviert«, grummle ich, mehr zu mir als zu ihnen.

Rowan bricht in Gelächter aus und ich bin hin- und hergerissen zwischen Genugtuung und Verachtung.

Sobald ich fertig bin, legen die beiden ihr Besteck ab. Der Prinz schickt Rowan mit einem ruckartigen Wink seines Handgelenkes aus dem Raum, dann verschränkt er seine Finger vor dem filigran bestickten Mantel, den im Menschenreich eine Frau tragen würde. Zum höchsten Fest des Jahres. Dennoch sieht die feine Stickerei an ihm nicht lächerlich aus. Er blickt mich zum ersten Mal direkt an, doch seine pupillenlosen Augen wirken, als sähen sie durch mich hindurch. »Ich möchte mich für die Behandlung der ersten Tage entschuldigen.« Seine Worte sagen das eine, sein Ton das genaue Gegenteil. »Wir glauben Euch, dass Ihr nichts wisst. Ihr seid keine Gefangene mehr, sondern ein Gast. Und Euch soll es während Eures Aufenthaltes an nichts mangeln.«

Ich presse die Zähne aufeinander, denn ich glaube ihm kein Wort. »Und wann ist mein sogenannter Aufenthalt vorbei?«

»Ihr dürft Euch auf dem Schlossgelände frei bewegen. Sif wird sich um Eure Wünsche kümmern. Doch ich erwarte, dass Ihr Euch meinem Befehl unterwerft.«

»Vor einem Tag habt Ihr mich noch gefoltert. Was hat sich geändert?«

»Ich erwarte, dass Ihr an jeder Mahlzeit teilnehmt.«

»Was ist mit den anderen Sakralen passiert?«, wiederhole ich. Er blickt starr geradeaus und ich schüttle den Kopf. »Ich verlange Antworten auf meine Fragen!«

»Wenn Ihr Euch an meine Regeln haltet, soll es Euch an nichts fehlen.« Sein Blick ruht nun auf mir, wieder ohne mich wirklich anzusehen.

Meine Fäuste zittern und ich springe auf. »Ich werde gar nichts tun, solange Ihr mir keine Antworten gebt!«

Nun steht auch er auf, rasch und abstoßend elegant. »Ihr wagt es, so mit einem Prinzen zu sprechen?«

»Ihr seid nicht mein Prinz.« Ich funkle ihn an.

Seine Augen verengen sich und die Temperatur im Speisesaal sinkt, bis sich die feinen Härchen auf meinen Armen aufrichten. Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern. »Auch wenn ich der Prinz eines anderen Landes bin, solltet Ihr den mir gebührenden Respekt –«

»Und ich«, unterbreche ich ihn zischend und mindestens so kühl wie er, »bin eine Prinzessin.« Dann drehe ich mich auf dem Absatz um und stürme aus dem Speisesaal.

Kornblumen und Bestechung

5. Tag des Eismondes

Nevan

Natürlich ist sie eine Prinzessin. Das ist jedem, der kein völliger Schwachkopf ist, auf den ersten Blick klar. Und ein beispielhaftes Exemplar noch dazu. Sie hat noch nie auf etwas verzichten müssen, sie ist hochmütig und verwöhnt. Sie ist harmlos, aber wenn ich will, dass sie mir etwas verrät, muss ich sie bestechen. Auf die Folter war sie vorbereitet. Doch ein Mädchen wie sie, dessen Lebensinhalt Kleider, Perlen und Hoftratsch waren, lässt sich wohl einfacher mit positiver Bestärkung beeinflussen. Dennoch hätte mir klar sein müssen, dass ein hübsches Zimmer, ein heißes Bad und eine warme Mahlzeit eine Prinzessin wie sie nicht beeindrucken. Doch bei ihr werde ich endgültig herausfinden, wie mich die Verfluchten bezwingen können. Nicht ein weiteres Jahr werde ich verstreichen lassen, koste es, was es wolle.

Also ordere ich ein Kleid für sie und bringe es ihr in das Turmzimmer. Denn so ermüdend es auch ist, mich mit dem Sakral auseinanderzusetzen, mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr das Kleid persönlich zu bringen. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen, bevor ich anklopfe. Wenn ich sie für mich gewinnen will, sollte ich mit grundlegender Höflichkeit beginnen.

Hinter der Tür ertönt ein Poltern und ein ganz und gar nicht prinzessinnenhaftes Fluchen. Ich schnalze mit der Zunge, während ich auf ihr Herein warte. Stattdessen reißt sie die Tür auf und hält mir ihren erbärmlichen Dolch entgegen. »Was wollt Ihr?«

»Ihr haltet den Dolch, als wolltet Ihr ein Wildschwein ausnehmen«, merke ich mit einem Seitenblick auf ihre Waffe an, dann trete ich ein und lege die Silberschachtel mit dem Kleid auf ihr Bett.

Das Sakral lässt den Dolch sinken, doch behält mich im Auge. »Zufällig ist die Wildschweinjagd eine meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen.«

Ich glaube, das soll wie eine Drohung klingen. Deshalb werfe ich einen vielsagenden Blick auf ihre zarten Hände und ziehe die Augenbrauen hoch. »Ich bin sicher, das ist sie.« Ich deute auf die Schachtel.

Das Mädchen pirscht sich an sie heran und öffnet sie langsam. Ich trete näher, bis ich ihr Gesicht sehe. Ihre geweiteten Pupillen, als sie das Kleid vorsichtig heraushebt, lassen mich die Augen verdrehen. Eine Weile begutachtet sie das Werk, fährt mit sanften Fingern über die Stickereien. Ihr Entzücken ist offensichtlich. Doch sie schleudert das Kleid zurück in die Schachtel. »Ich nehme es nicht an.«

Sie schafft es tatsächlich, mich zu verblüffen. »Darf ich fragen, aus welchem Grund –?«

»Ihr habt mich gefoltert. Und Ihr verheimlicht, was mit den anderen Sakralen geschehen ist.« Sie baut sich vor mir auf wie meine Amme, als ich noch ein Kind war. »Wenn Ihr denkt, Ihr könnt mir ein Kleid schenken und damit ist alles vergessen, täuscht Ihr Euch.«

Ich begutachte meine Fingernägel. »Technisch gesehen habe nicht ich Euch gefoltert, sondern Rowan –«