The Secret of Ink (Chronica Arcana 2) - Laura Cardea - E-Book

The Secret of Ink (Chronica Arcana 2) E-Book

Laura Cardea

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Beschreibung

**Zwei magische Akademien, so gegensätzlich wie Licht und Schatten** Mit dem Start des neuen Semesters tauchen Mathea und Ellie noch tiefer in die verborgene Welt der Hellen und Dunklen Magie ein. Unterstützung erfahren sie dabei durch Atlas und Astra. Allerdings lässt die Nähe sie nicht nur mit verbotenen Gefühlen ringen – sondern auch mit gefährlichen Kräften. All das rückt in den Hintergrund, als die geheimnisvollen Wächter Jagd auf Mathea machen. Der seltsame Fluch war erst der Anfang – und die düsteren Absichten der Wächter stehen und fallen mit der magischen Verbindung zwischen Mathea und Ellie. Sollten sie das Netz aus Intrigen und den Geheimnissen der Vergangenheit nicht lösen, steht deutlich mehr auf dem Spiel als ihr Leben. Endlich Lesenachschub von Erfolgsautorin Laura Cardea! Bildgewaltig, atmosphärisch und ein Setting zum Verlieben! //Dies ist der zweite Band der mystisch-magischen Romantasy »Chronica Arcana«. Alle Romane der fesselnden Academy-Fantasy: -- Band 1: The Lesson of Curses -- Band 2: The Secret of Ink -- Band 3: The Book of Seals (erscheint im Herbst 2024)// 

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ImpressDie Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Laura Cardea

The Secret of Ink

Zwei magische Akademien, so gegensätzlich wie Licht und Schatten

Mit dem Start des neuen Semesters tauchen Mathea und Ellie noch tiefer in die verborgene Welt der Hellen und Dunklen Magie ein. Unterstützung erfahren sie dabei durch Atlas und Astra. Allerdings lässt die Nähe sie nicht nur mit verbotenen Gefühlen ringen – sondern auch mit gefährlichen Kräften. All das rückt in den Hintergrund, als die geheimnisvollen Wächter Jagd auf Mathea machen. Der seltsame Fluch war erst der Anfang – und die düsteren Absichten der Wächter stehen und fallen mit der magischen Verbindung zwischen Mathea und Ellie. Sollten sie das Netz aus Intrigen und den Geheimnissen der Vergangenheit nicht lösen, steht deutlich mehr auf dem Spiel als ihr Leben.

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Vita

© privat

Laura Cardea wurde seit ihrer Kindheit dazu ermahnt, nicht so viel zu träumen. Statt darauf zu hören, tauchte sie immer wieder in neue Bücherwelten ein. Irgendwann reichte ihr das Lesen nicht mehr und sie erträumte sich eigene Welten. Das Schreiben von Geschichten zieht sich seitdem durch ihr Leben. Neben dem Schreiben studiert sie Medien- und Kulturwissenschaften und arbeitet als freiberufliche Mediendesignerin sowie Bloggerin.

Für alle,

die so langsam feststellen, dass sie zu alt für eine magische Schule sind:

Für eine magische Universität seid ihr das nie.

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und / oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Laura und das Carlsen-Team

 

Hinweis:

Am Ende dieses Buches auf S. 424 ff. ist eine Übersicht der Figuren und wichtigsten Wesen aufgeführt.

Ich dachte, in einem Wirbelsturm aus glitzerndem Feenstaub und rosa Schmetterlingen zu sterben, wäre mein schlimmster Albtraum – doch da wusste ich noch nicht, wie es ist, wenn in Prag der Frühling erwacht, während man für den nervtötenden Atlas Ozerov Gefühle entwickelt.

Zum Kotzen.

Eine klischeehafte Märchenstadt mit prächtigen Kirsch- und Magnolienblüten, deren Duft von Aprilbrisen in die Gemäuer der Univerzita Mystika a Magie getragen wird. Jauchzende Dextras, deren Kleidung mit jedem Tag noch farbenfroher wird. Erwachende Hormone und Sonnenstrahlen, die alle auf Wolke sieben schweben lassen. Dabei will ich nichts lieber, als auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben.

»Erde an Mattie!« Cordelia wedelt so heftig mit dem Semesterplan vor meinem Gesicht herum, dass ihr zuckerwatterosa Afrohaar wippt. »Willst du etwas zu unserem Projekt beitragen oder weiter in deinen Träumen schwelgen, wie du deine Steuererklärung machst?«

Mein Kopf schnellt in Richtung Tonkarton, auf dem Ursula summend die Überschrift mit Glitterstiften verziert. Auferstehung, Reinkarnation und Nekromantie: Wie gregale Autor:innen arkane Praktiken und Konzepte rund um den Tod nutzen – viel mehr als der Kurstitel steht dort nicht. Nur Jesus und Zombies. Sie benötigen dringend meinen Input.

Ich massiere meine Schläfen. »Wir müssen doch nicht schon beim Brainstorming kreativ tätig werden!«

»Doch!« Ursula zieht einen weiteren Glitterstift aus ihrem schimmernden Space Bun. »Ich bin der visuelle Lerntyp!«

»Immerhin waren Ursula und ich schon tätig.« Cordelia tippelt mit ihren kurzen, in den Farben diverser Pride-Flaggen lackierten Nägeln auf dem Griff ihres Rollstuhls herum. »Was man von dir nicht behaupten kann.«

Das trifft mich – weil sie recht hat. Ellie hat mich Ende Dezember von dem Fluch befreit, ich hatte in den drei Monaten seitdem mit immer weniger Nachwirkungen zu kämpfen, habe mich damit arrangiert, noch fünf Semester an die Univerzita gebunden zu sein, und sollte eigentlich alles für das Studium geben können. Doch ich verliere mich in meinen Gedanken. Ständig.

Also greife ich nach meinem Kugelschreiber und widerstehe dem Drang, die bisherigen Punkte durchzustreichen. Hauptsache, keine Predigt von Cordelia darüber, wie wichtig es ist, jede Idee wertfrei anzunehmen. »Die zweite Woche und Profesor Vanagas brummt uns Gruppenarbeit auf. Würde es ihn umbringen, mit Theorie anzufangen? Theoretischer als Eruditio über Forschung, Geschichte und Politik kann eine Ars Arcana doch kaum sein.«

»Profesor Vanagas hat sicher genug zu tun«, flüstert Cordelia. »So kurzfristig, wie er Profesor Nekovářs Kurse übernommen hat.«

»Du nennst ihn immer noch Profesor? Nach allem, was er getan hat? Fluch, Manipulation der Dozierenden, Angriffe auf Studierende und wer weiß was noch?«

»Das macht seinen Titel und seine akademischen Leistungen nicht ungültig. Aber …« Cordelia druckst herum. »Ich schätze, er hat wirklich keinen Respekt mehr verdient.«

»Sag ich ja.« Ich ergänze die Liste um Aslan, Chroniken von Narnia, C. S. Lewis und Frankensteins Monster, Frankenstein oder Der moderne Prometheus, Mary Shelley. Eigentlich laufen alle Kurse über zwei Semester. Nur Nekovářs Anderswelten-Kurs musste gestrichen werden, weil, nun Astra ihm im Kampf seine Víla-Kräfte genommen hat und er geflohen ist. Nicht zu vergessen die ganze Sache mit dem Fluch. Rektorin Aigeiros hat wohl niemand anderen mit genug Expertise auf dem Gebiet der Anderswelten gefunden.

Ursula zeichnet ein paar Planeten und Meerfrau-Flossen in die Ecke unserer Mindmap. »Ich mag Profesor Vanagas eh lieber. Wusstet ihr, dass er als Entflucher in Medica-Einrichtungen der ganzen Welt gearbeitet hat? So richtig heftige Flüche, die sonst niemand lösen konnte.«

Ich betrachte Profesor Vanagas, während er ein paar Tische vor uns eine andere Gruppe berät. Seine Falkennase sieht aus, als wurde sie ein paarmal zu oft von um sich schlagenden Verfluchten gebrochen. Schulterlange aschbraune Haare, die heute Morgen sicher keinen Kamm gesehen haben. Oder in den letzten Wochen eine Schere.

Auch Cordelia studiert ihn. »Ich habe nur ein wenig Sorge, ob er für einen literarisch ausgerichteten Eruditio-Kurs qualifiziert ist.« Ihr Blick bleibt am abgetragenen Ledermantel hängen, der an den meisten wie ein albernes Kostüm aussehen würde. Dank der arroganten Haltung und Dutzenden Narben, die er wie Trophäen trägt, allerdings nicht an Profesor Vanagas. Cordelia schreckt auf. »Nicht, dass ich Rektorin Aigeiros’ Wahl infrage stelle!«

»Neben den Magister-Abschlüssen in Magica und Medica hat er einen Magister in Eruditio gemacht«, sage ich. »Thema der Abschlussarbeit war die Übersetzung und Interpretation frühzeitlicher sumerisch-arkaner Schriftwerke.«

Cordelia starrt mich an. »Woher weißt du das bitte?«

»Er ist der Medica-Experte, den Rektorin Aigeiros für meine Untersuchungen beauftragt hat. Natürlich habe ich seine Qualifikationen überprüft, bevor ich den nächsten Fremden mit Arcanima in meinem Kopf herumstochern lasse.«

Ursula lässt seufzend den Glitterstift sinken. »Ich frage mich, wann Bob zurückkommt.«

»Sicher bald«, tröstet Cordelia.

»Es wundert mich nur, dass er sich gar nicht meldet. Haben die in Elphame keine Handys?«

»Habt ihr etwa welche unter dem Meer?«, frage ich.

Ursula funkelt mich an. »Das ist was anderes! Er sollte längst zurück sein. Rektorin Sýkorová hat ihn doch schon halbwegs zusammengeflickt.«

»Vielleicht sind die Fey einfach sehr fürsorglich?«

Ursulas verkniffene Mimik verwandelt sich in ein Grinsen. »So wie du? Weil du nicht willst, dass ich mir Sorgen mache?«

»Eigentlich will ich, dass wir mit dem Thema abschließen, damit wir weiterarbeiten können.«

Doch ein Vogelruf hallt aus der gläsernen Kuckucksuhr über dem Pult. Aus ihr flirrt ein Silberschimmer und formt sich zum lebensechten Kuckuck, der über unsere Köpfe gleitend das Ende der Stunde verkündet.

Jetzt grinst auch Cordelia. »Gib es zu. Ein klitzekleiner Teil von dir will auch, dass sie sich nicht sorgt.«

Ich pfeffere das Lehrbuch, das wir viel zu selten benutzen, in meinen Fledermausrucksack.

»Ist dir das peinlich?«, fragt sie mit dieser süßlichen Stimme, die einen ganz bestimmten Nerv in mir reizt.

»Natürlich will ich nicht, dass sich andere Menschen sorgen! Keine Ahnung, wieso das alle denken. Ich muntere andere nur nicht bei jedem Wehwehchen auf.«

»Abgesehen davon, dass du genau das tust?« Ursula breitet die Arme aus, wie um mich zu umarmen.

Also springe ich auf und rausche durch die Reihen. »Nach sechs Monaten konstanter Anfreundungsversuche habe ich gerade angefangen euch halbwegs erträglich zu finden. Und jetzt bemüht ihr euch darum, das zunichtezumachen?«

»Es ist ihr peinlich«, jauchzt Ursula.

Ich presche auf den Flur.

Wo Atlas steht.

In der perfekt gebügelten Uniform der Academia Sinistra sticht er in der Univerzita heraus wie ein Tintenfleck auf weißem Papier.

Ich stöhne innerlich. Dann stöhne ich wirklich. »Hier bekomme ich keinen ruhigen Nachmittag mehr, oder?«

»Ich bin wegen der Bravura gekommen.« Wie immer bringt er sein Anliegen wie ein Finanzamtmitarbeiter vor. Neutral, auf den Punkt, desinteressiert. Als wüsste er, was das mit mir macht. Als täte er es absichtlich.

»Schon wieder?« Ich quetsche mich an ihm vorbei.

Er folgt mir den Korridor hinab, seine Schritte so viel länger als meine. »Meine Begeisterung, dass dieses Semester nur Teams aus Mitgliedern der Academia und Univerzita zugelassen sind, hält sich ebenso in Grenzen. Aber deshalb verzichte ich nicht auf den Preis.«

Seit Rektorin Sýkorovás Predigt über die Bedeutung des akademischen Wettbewerbs und die Wichtigkeit der Zusammenarbeit beider Pfade während der letzten Preisverleihung war mir klar, dass er mich fragen würde. Von der Rivalität zwischen uns lässt er sich nicht davon abhalten, einen dritten Sieg einzuheimsen. Nur ist mir während der Preisverleihung noch etwas anderes klar geworden, als eine banale Berührung von ihm mein Herz zum Stolpern brachte. Eigentlich nicht einmal eine richtige Berührung, nur sein elender Füllfederhalter an meiner Stirn, was die ganze Sache umso peinlicher macht. So oder so: Ich habe Gefühle für ihn. Unliebsame, ungelegene, nervige Gefühle. Und deshalb muss ich ihm aus dem Weg gehen, bis ich sie überwinde.

Fester als notwendig stoße ich die Tür zum Innenhof auf. »Brauchst du wirklich noch ein drittes Empfehlungsschreiben des Arkanen Rates?«

»Es geht ums Prinzip.«

»Ist es so schwierig, andere geeignete Personen zu finden?«

»Hier?« Mit einer Spur Unglaube im Ton deutet Ozerov auf den Ausdruckstanz-Club für Unterwasserwesen, die sich ineinander verschachteln wie bunte Stapelmännchen.

»Touché.«

Blätterrascheln, dann hält er mir einen Stoß Papier unter die Nase. »Projektideen zum Thema Grenzen des Arkanen.«

Ich bleibe stehen. Er hat einen Index angelegt, der fein säuberlich alle Ideen nach Thema sortiert präsentiert. Tintenschwarz und pergamentweiß, so wie die Uniform auf seiner Haut. Gleichermaßen widerwillig wie gebannt blättere ich durch die Seiten. Times New Roman – wie vorhersehbar –, 1,5-facher Zeilenabstand, genug Rand für Anmerkungen. Ein Anhang mit eigener Nummerierung in römischen Ziffern, dem Endgegner der Formatierung in Word.

Mit einem unangenehmen Flattern meines Herzens sehe ich hoch. »Ein bisschen drüber, oder?«, schnarre ich – und male mir gleichzeitig aus, wie er eine kleine Ewigkeit lang mit konzentrierter Miene daran gearbeitet hat. Ist das seine Art zu flirten? Wenn ja, funktioniert es.

Aber ich weiß es besser.

»Ich nahm an, es würde dir zusagen.«

Verdammt richtig. Zu sehr sogar. Die Idee über Zusammenhänge und Abgrenzungen der neun Artes Arcanes bleibt in meinem Kopf hängen wie seit Wochen sein irritierendes Gesicht.

Ständig mit ihm zusammenzuarbeiten wäre mein Ende.

Immerhin hat er offenbar nichts von dieser Unannehmlichkeit namens Gefühle für ihn mitbekommen, denn sonst wäre er nicht so hartnäckig. Er würde mir fernbleiben. Was mir, wenn ich es mir recht überlege, ganz recht wäre. Also vielleicht gestehe ich ihm einfach, was ich empfinde, und bringe es hinter mich? Ich lege mir die Worte zurecht und öffne den Mund. Dass er es ärgerlicherweise geschafft hat, mehr für mich zu sein als ein unnötig attraktiver Scholaris, den ich erträglich genug finde, um unverbindlich mit ihm anzubändeln und –

Ganz schlechte Idee. Ich schüttle den Kopf.

»Was spricht dagegen?« Atlas verengt die Augen.

Ozerov! Ozerov verengt die Augen.

»Dieses Semester konzentriere ich mich auf das Studium.« Ich laufe weiter durch den Innenhof, er mir auf den Fersen.

»Das wolltest du im ersten Semester auch. Und die Bravura gewinnen. Und einen Fluch lösen.«

»Und wie fantastisch das für mich lief, was?«

»Liegt es an den Projektvorschlägen? Es waren nur erste grobe Ideen.«

Ideen, die er unbedingt mit Index, Seitenzahlen und Anhang versehen musste.

»Warum ausgerechnet ich?«, stöhne ich, als wäre es die größte Last meines Lebens. Aber da schwingt etwas in der Frage mit. Etwas Begieriges. Warum ich? Warum willst du mit mir zusammenarbeiten, Ozerov? Warum ausgerechnet ich, Atlas?

Er hört es auch, verengt die Augen schon wieder. Argwöhnisch. »Alle Sinistras sind kompetent genug, dass du mit jedem erfolgreich arbeiten könntest. Den Luxus habe ich nicht. Achtundneunzig Prozent der Dextras würden mir jegliche Lebensfreude aussaugen.«

»Du hast Lebensfreude? Igitt.« Ich steuere auf das Gewächshaus Fuchsia zu, in dem Profesorka Hruška ihren Kurs Von Gift zu Gastfreundschaft: Wie Tränke das artübergreifende Miteinander prägen abhält, doch halte inne. Verdammt. Ich habe mich im Tag geirrt. Nekovářs Anderswelten-Kurs fand donnerstags vor dem von Profesorka Hruška statt, aber Profesor Vanagas’ Termine erforderten eine Verlegung auf Freitag. Gerade noch rechtzeitig, sodass er meinen Fehler nicht mitbekommt, ändere ich die Route. Zum Glück liegt in der Nähe das Schmetterlingshaus, zu dem mir Profesorka Hruška den Zutritt erlaubt hat, um meine Víla-Magie zu trainieren.

»Wieso weichst du mir aus?«, fragt Ozerov, während ich die Tür aufschließe. »Mit mir an der Bravura zu arbeiten wäre nur rational.«

»Ich dachte, ich könnte mit jedem Sinistra arbeiten.«

»Nur dass alle Sinistras, die du kennst, schon Teams gebildet haben. Du müsstest das ganze Kennenlernprozedere erneut durchmachen. Small Talk, Beschnuppern, Austausch über Familie, Hobbys, Zukunftsträume –«

»Hör schon auf! Ich hab es verstanden!« Ich knalle meinen Rucksack auf den wackligen Gartentisch, wo überreifes Obst für die Schmetterlinge seinen süßen Duft verströmt. Dann hebe ich die Arme und rufe die Totenkopfschwärmer. Sie schwirren aus allen Ecken herbei. Es ist einfacher, wenn sie in der Nähe sind, als wenn ich sie aus der Entfernung materialisieren muss. Aber es ist auch einfacher, weil der Fluch nicht mehr auf mir liegt.

»Es muss einen Grund geben, warum du die Zusammenarbeit ausschlägst.«

Mit zusammengepressten Lippen lasse ich die Falter auf meinen Armen landen. Ich könnte sie bitten, mich unsichtbar zu machen. Aber so zu fliehen wäre viel zu peinlich.

Ozerov verfolgt die Flugbahnen der Schmetterlinge mit mildem Interesse. »Gleichzeitig sprichst du nie wirklich aus, dass du nicht mit mir arbeiten willst.«

Weil ich mir nichts vorstellen kann, was das Semester fesselnder machen könnte. Das macht es so gefährlich.

Er rüttelt den Stoß Papier auf dem Tisch zurecht, bis die Seiten ordentlich aufeinanderliegen. »Habe ich etwas getan, das deine Meinung über mich ins Negative ausschlagen ließ?« Wieder verengt er die Augen. »Oder ist es das Gegent–«

»In Ordnung!«, platze ich mit rasendem Herzen heraus, bevor er den absolut richtigen Schluss aus meinem Verhalten zieht. Die Schmetterlinge zerstreuen sich in alle Richtungen. »Wenn du meine Hilfe so dringend brauchst, um die Bravura zu gewinnen, tue ich dir den Gefallen! Um mich für deine Hilfe beim Fluch zu revanchieren.«

»Gut.« Ohne eine Miene zu verziehen, platziert er den Ideenkatalog vor mir auf dem Tisch. »Du bist in der Lage, das alsbald durchzusehen, nehme ich an? Ich erwarte deine Anmerkungen morgen Abend.«

Ich umklammere das Papier, während er von dannen zieht. Fünf Minuten verharre ich im Schmetterlingshaus, bis er weit genug weg ist. Dann haste ich los, um nicht zu spät zum Eruditio-Kurs Von Abe no Seimei bis Zorya: Wichtige Personen der Arkanen Geschichte zu kommen.

Mist. Mist. Mist.

Ich erinnere mich nur noch vage an die Vision. Doch sosehr die Bruchstücke aus gleißendem Silber, wirren Stimmen der Vergangenheit, vielleicht der Zukunft, und dieses eiserne Gefühl von Grauen auch verschwimmen – klarer als ein Sternenhimmel im Winter ist, wie wichtig die Vision ist. Ich muss verstehen, was sie bedeutet. Deshalb wollen Astra und ich alle paar Tage daran arbeiten, sie wieder hervorzulocken. Was zwischen meinen Kursen und den Schichten im Café sowie Astras deutlich vollerem Stundenplan, ihren Pflichten als Studienpräfektin und ihrem Volleyballtraining gar nicht so einfach ist.

Darum klopfe ich am späten Dienstagabend an die Doppeltür der Präfektgemächer, obwohl ich in knapp zwei Stunden noch bis nach Mitternacht Scientia II bei Magister Dumitrescu durchhalten muss.

»Na endlich!« Astra reißt die Tür auf und zieht mich in den eindrucksvollen Empfangsraum. Sie hat das Cape der Sinistra-Uniform gegen einen Blazer getauscht und ihr blondes, kinnlanges Haar mit Wachs nach hinten frisiert. »Länger hätte ich Atlas’ Geschwafel über die Vorbereitungen des Tags der offenen Tür nicht ertragen.«

Atlas steht an seinem Schreibtisch über einen Haufen Notizbücher und Zettel gebeugt, einen Füllfederhalter in der Hand. »Das ist eine offizielle Besprechung, zu der du dich durch die Annahme dieses Amtes verpflichtet hast!«

»Bin ich dabei wirklich eine Hilfe? Bitte doch Mathea um Unterstützung, die geht bei so was sicher genauso auf wie du. Und ihr verbringt mehr Zeit miteinander.«

Atlas verzieht keine Miene, so anders als die ausdrucksstarke Astra. »Mathea ist keine Studienpräfektin an der Academia Sinistra.«

»Keine Reaktion wegen des Zeit-miteinander-Verbringens«, flüstert Astra mir zu. »Wie kann mein eigener Bruder nur so langweilig sein? Mein Zwilling noch dazu!«

Ich stemme mich gegen Astra. »Du solltest ihn wirklich nicht damit allein lassen! Ich kann morgen wiederkommen.«

»Du nerviger kleiner Engel auf meiner Schulter.«

»Schon in Ordnung.« Atlas lässt sich auf seinen Stuhl fallen. »Wenn du mir jetzt helfen musst, kann ich mir die ganze Zeit anhören, wie ich es übers Herz bringe, zwei Liebende auseinanderzuhalten.«

»Schlauer Bruder! Und deshalb vertraut man dir diese Anführer-Aufgaben an, während ich mit meinem Charme für die Unterhaltung sorge!«

Wir verschwinden in Astras Privatzimmer und wie immer fühlt es sich an, als beträte man ein anderes Gebäude. Die gleichen dunklen Bücherregale wie im Empfangsraum ragen bis zur Gewölbedecke, doch der Rest der Einrichtung ist in den Farben gehalten, die sie am liebsten trägt. Seidiges Beige, Elfenbein, Champagner, Leinen, all die Kaffeearten, die sie abwechselnd trinkt, dazwischen Akzente von alten, gebeizten Holzmöbeln und angelaufenem Messing.

»Setz dich!« Astra entzündet mit einer Geste ein halbes Dutzend Kerzen.

Auf den Stühlen und Sesseln stapeln sich so viele Hemden und Cordhosen, dass ihre Kleiderstange wie aus einem Modeladen aussieht, wo nur drei überteuerte Shirts hängen. Deshalb sinke ich auf ihr Bett mit unzähligen Kissen und nachlässig gemachten Decken. Ich vergrabe die Finger in der weichen Überdecke. Sie fühlt sich an wie einer von Astras leichteren Mänteln. Ich zwinge mich, nicht darüber nachzudenken, ob sie auch wie Astra riecht. »Sollten wir unsere Experimente wirklich weiterhin hier durchführen?«

Astra trägt eine Holzschatulle, in der Reagenzgläser klappern, von ihrem Schreibtisch zum Bett. »Wo sonst?«

»In meiner Wohnung in Nový Svět, wo wir mehr Privatsphäre hätten. Oder im Pulverturm? Die verstärkende Magie könnte uns helfen.«

Die Schatulle landet auf dem Bett. »Beides richtig. Aber falls etwas schiefläuft, sind wir hier in der Nähe des Medica-Flügels.«

»Was, wenn Rektorin Sýkorová uns wieder erwischt?«

»Sie bekommt alles mit, was in der Academia geschieht. Wenn sie es uns bis jetzt nicht verboten hat, wird sie es auch nicht mehr tun.«

Tatsächlich finde ich es etwas seltsam, dass sie uns einfach machen lässt.

Astra berührt flüchtig meine Wange. »Sowieso ist deine Sicherheit wichtiger als Geheimhaltung.«

Wärme flackert in mir auf wie die Kerzen, die uns umgeben. Während Astra sich abwendet, um die Schatulle mit einer gemurmelten Inkantation zu öffnen, berühre ich die Stelle an meiner Wange. Wir sind allein, auf ihrem Bett, so nah nebeneinander, dass ich ihre Körperwärme spüre. »Astra?«, kommt es ungewollt und etwas heiser über meine Lippen.

»Wirklich, mach dir nicht so viele Sorgen.« Sie dreht sich zu mir. »Letztes Mal ging es Rektorin Sýkorová nur darum, dass Mathea als Dextra nichts geschieht, was den Arkanen Rat auf den Plan rufen könnte.«

»Darauf wollte ich nicht hinaus.«

»Worauf dann?«

Ich schlucke, denn eigentlich weiß ich nicht, was ich sie fragen wollte. Nur, dass es tief aus meinem Inneren kam. »Erinnerst du dich an unser Gespräch am Semesterende?«

Astras Blick verdunkelt sich. Natürlich erinnert sie sich daran, dass ich sie gefragt habe, wieso sie mich nie küsst. Nicht richtig, nicht so, wie ich es will. Als sie mit rauer Stimme die Gegenfrage stellte, warum ich nicht einfach sie so küsse, wie ich es möchte. Der darauffolgende Kuss hat mich die Semesterferien über nicht losgelassen. Ich beuge mich vor, meine Wangen warm.

»Wie könnte ich den Tag vergessen?« Sie streicht mit den Fingerknöcheln über meine Wangen, was meinen Atem stocken lässt, und vergräbt die Hand in meinen Locken. Doch dann zucken ihre Finger und etwas in ihrem Blick ändert sich. Sie wendet sich ab und kramt in der Schatulle. »An dem Tag hattest du zum ersten Mal die Vision.«

Die Hitze weicht so rasch aus meinen Wangen, dass ich die Arme um mich schlingen muss, um nicht zu zittern. Nichts hat sich seit dem Gespräch geändert. Noch immer blockt sie ab – und ich weiß nicht warum. Es kann nicht daran liegen, dass sie Angst hat, unser Kuss könnte die verstörende Vision ausgelöst haben. Schließlich wollen wir die Vision wieder hervorlocken.

Liegt es doch daran, dass sie ein Succubus ist? Nein, Concubus. Sie bevorzugt die neutrale Variante. Laut ihr ist die Einteilung der Frau als Succubus und des Mannes als Incubus überholt, denn succumbere bedeutet unten liegen und incubareoben liegen. Natürlich stört sie das. Concumbere jedoch heißt zusammen liegen. Aber ganz gleich, wie Astra sich bezeichnet, alle drei Varianten nehmen über Liebesakte Arcanima auf. Doch nicht alle Concubi haben darüber die Kontrolle, was auch ein möglicher Grund für ihr Zögern sein könnte. Nur dass sie ihre Kräfte beherrscht.

Astra dreht sich zu mir, grinsend, sodass ich die Arme fallen lasse und mich um einen neutralen Gesichtsausdruck bemühe. Sie hält mir eine Phiole hin, in der ein matschfarbener Sud schwappt.

Mein Mageninhalt schwappt ähnlich zähflüssig umher, ohne dass ich weiß, ob es an ihrem Benehmen oder an der ekligen Flüssigkeit liegt. Ich will es nicht einfach so hinnehmen, sondern sie fragen, warum sie abblockt. Aber ihr seltsam heiteres, ungerührtes Verhalten erstickt jedes Wort im Keim. Stattdessen nehme ich die Phiole. »Was ist das?«

»Du hast nicht geschlafen, als du die Vision hattest, also muss es sich um eine Wachvision handeln. Trotzdem können wir deinen Bewusstseinszustand verändern, um sie anzuregen.«

»So was wie eine Meditation mit …« Dunkelheit überrollt mich. Rauer Stein unter meinen Fingern, nur rauer Stein, eine Ewigkeit lang, nur … Ich erschaudere, dränge die Erinnerung so tief wie möglich zurück. »Eine Meditation mit Sinnesentzug?«

»Wieso denkst du direkt an so was Düsteres?« Sie lacht. »Ich dachte eher in die Richtung von psychoaktiven Substanzen. Wenn das für dich okay ist.«

»Oh, so was wie Gras oder Pilze?« Erleichtert atme ich auf. »Das geht klar!«

»Du kriegst Panik beim Gedanken an eine Meditation, aber einem Trip durch Psychedelika stimmst du fröhlich zu? Führst du ein Doppelleben, von dem ich nichts ahne?«

»Nein!« Mein Herz pocht zu schnell. »Ich bin nur nicht gern allein im Dunkeln.«

»Ich muss dich enttäuschen, ich habe kein Mescalin oder Ayahuasca für eine psychedelische Selbstfindungsreise besorgt, nur einen Trank aus Kräutern und Feenstaub. Ohne langfristige Nebenwirkungen.«

»Ich hab nie über Mescalin oder Ayahu-wasauchimmer geredet! Nur über …« Ich stöhne. »Können wir einfach anfangen?«

»Wenn du bereit bist.«

Ich starre den bräunlichen Sud an. Kräuter und Feenstaub. Hoffentlich reicht das. Ich entkorke die Phiole und schlucke den Inhalt hinunter. Es kribbelt in meinem Hals.

Astra berührt meine Schulter. »Leg dich am besten hin, damit du nicht umkippst.«

Ich sinke in ihre Bettdecke, die tatsächlich nach ihr duftet. Es fühlt sich an, als würde ihr Geruch meinen Bewusstseinszustand stärker beeinflussen als der Trank. Fragend sehe ich zu ihr hoch. »Was genau soll geschehen?«

»Eine Mischung aus Klarheit und Müdigkeit. Prickelnde Hände und Füße. Abschweifende Gedanken. Spürst du nichts?«

Ich verknote die Hände.

»Vielleicht bist du nicht zu hundert Prozent eine Hexe. Ein Hauch Fee in der Blutlinie und du könntest unempfänglicher für Feenspeisen sein.«

Jetzt verknotet sich mein Inneres und ich rapple mich hastig auf. »Vielleicht ist der Trank abgelaufen.«

Bevor ich aufspringen kann, reicht Astra mir eine weitere Phiole. »Du kannst es mit der doppelten Menge versuchen. Ein anteiliges Feen-Erbe macht einen nicht komplett immun.«

Ich starre die Phiole an. Was, wenn auch sie nicht wirkt? Aber ich muss es versuchen, um herauszufinden, was die Vision mir sagen will. Also kippe ich den Trank hinunter und Astra geleitet mich wieder aufs Bett. Als ich in die Decken sinke, atme ich tief ein.

»Oh.« Meine Augen werden schwer und der Raum verschwimmt. Doch gleichzeitig sehe ich so klar wie nie zuvor. Astras Gesicht, aber nicht jetzt in diesem Zimmer, sondern als wir uns das erste Mal gesehen haben, auf der Demonstration. Dann, als sie von Hornissen angegriffen wurde. Vor unserem Kuss am Semesterende. Der unterbrochen wurde von –

Ich schwebe in gleißendem Silber.

Einer der Prüfungsräume in der Spiegelkapelle?

Hinter mir wabert ein Rinnsal Arcanima.

»Mattie?« Mein Flüstern hallt von den Wänden, den Spiegeln, dem Nichts wider, überlagert sich, bis es als Gebrüll meine Trommelfelle durchbohrt.

»Aufhören!« Wimmernd presse ich mir die Hände gegen die Ohren. »Aufhören, bitte!Přestaň!«

Arcanima explodiert um mich herum. Tausende Orte, Jahre und Gesichter ziehen an mir vorbei. Ein Kaleidoskop aus verschwommenen Eindrücken, durch das ich gezerrt werde.

Ich schwebe über einer Brücke und einem reißenden Fluss.

Ein Pferd wiehert und seine blasse Mähne peitscht in mein Gesicht, als mich der kräftige Leib zu Boden rammt.

»Ellie.« Astra küsst mich, so wie ich es mir wünsche.

Drei vermummte Gestalten ergreifen Mathea.

Glühendes Eisen bohrt sich in meinen Rücken. Ich schreie. Unverständliches Zeug. Namen. »Máma! Přestaň!«

Meine Finger brechen die Wachssiegel einer Schriftrolle auf und Blut rinnt über meine Haut.

Ich knie über einem ausgeweideten Tierkadaver, dessen sieben Hörner derart strahlen, dass ich wegsehen muss.

Aufhören!

»Gib es zurück, Ellie Schovajsa!«, schnarrt Mathea.

Eine Einöde erstreckt sich vor mir. Schneebedeckt. Nein. Aschebedeckt. Asche, die an meinen Fingern klebt. Ein Blutmond steigt auf, färbt die Asche rot.

»Glaubst du an Schicksal?« Nekovář sitzt in einem Sessel.

Aufhören!

Ich presse mir die Hände auf die Augen, bis der Druck unerträglich wird, will zurück zu dem Kuss mit Astra. Zurück zu Astra. Zu Astra.

»Astra!«, brülle ich und sitze aufrecht im Bett. Panisch versuche ich mir das Blut von den Fingern zu schrubben.

»Ellie!« Jemand greift nach meinen Schultern.

»Mach es weg!« Meine Fingernägel kratzen über meine Hände. »Mach es weg!«

Der warme Griff gleitet von meinen Schultern zu meinen Händen. Astras Finger umschließen meine. »Da ist nichts, Ellie. Sieh genau hin. Alles ist gut.«

Keuchend geht mein Atem, vermischt mit Dutzenden Stimmen, nur ein Echo. Meine Hände sind unbefleckt. Ich schlinge die Arme um Astras Hals und sie drückt mich fest an sich.

»Ich habe es wieder gesehen«, raune ich. Keine Ahnung, ob sie meine Worte versteht, so rau ist meine Stimme.

»Okay«, murmelt sie und streicht über meinen Rücken, bis ich wirklich in der Realität ankomme.

»Es war wie letztes Mal. Beinahe. Aber …« Ich versuche mich zu erinnern, doch die Vision verblasst. »Es fehlte etwas. Ganze Szenen, aber auch Details. Ich wollte es sehen, doch ich wollte auch … ich wollte weg. Keinen Blick darauf werfen, auf … auf …«

Astra neigt meinen Kopf so, dass ich sie ansehe. »Wir finden schon noch, was fehlt.«

»Wie?«

»Wir trainieren, bis du die Vision nicht mehr abwehrst. Trainieren deine Wahrnehmung und deine Widerstandsfähigkeit. Bis du die Vision klar siehst.«

Natura II am Montagmorgen ist chaotisch genug, um nicht aufzufallen. Nach dem Wochenende voller schriftlicher Aufgaben sind die Scholares ganz wild darauf, sich zu messen. Wie immer hocke ich auf dem Sims eines der Fenster, deren Mosaike eine glühende Flamme, einen schimmernden Tropfen, einen grünen Samen, einen blassgelben Wirbelwind und eine bronzene Eule formen. Sie flackern durcheinander auf, weil sie die passenden Elemente der Ars Arcana Natura in Schach halten, während die Scholares diese wirken.

»Ich kenne Baby-Harpyien, die mit einer Daunenfeder mehr Verwüstung anrichten als Sie, Scholaris Nomura!«, herrscht Magistra Estrada, deren hellbraune Arme in Flügel mit dunklerer Zeichnung übergehen, den keuchenden Ren an. »Nutzen Sie Ihre Arcanima, nicht nur Ihre Flügel!«

Ren lässt seine Krähenschwingen und die schlaksigen Arme sinken. »Das versuche ich ja.«

»Ich weiß, Jádro fällt einem schwer, wenn der körperliche Aspekt von Tělo stark genug ist, um auch ohne auszukommen. Aber Sie wachsen nur, wenn Sie das überwinden.«

Jádro und Tělo? Es rattert in meinem Kopf. Das hat Mathea mir für die Prüfungen am Semesterende eingedrillt, aber jetzt ist das Wissen verpufft.

Rens Blick trifft auf meinen und er winkt mich zu sich. Ich klammere mich ans Fensterbrett. Will er, dass ich mir auch Rat von Magistra Estrada hole? Sonst lässt er mich damit in Ruhe. Vor allem, weil vom Zweiergespann, das mich dank Astra unter seine Fittiche genommen hat, normalerweise Khadija darauf pocht, meine Kräfte zu trainieren. Doch die besucht den Kurs nicht mit uns, weil sie im Spiegelexamen kein Natura-Talent gezeigt hat.

Ren öffnet den Mund, doch Magistra Estrada stakst schon auf ihren Vogelkrallen davon. Ich atme auf. Nachdem sie in meiner ersten Stunde mit ihren Harpyien-Flügeln einen Sturm heraufbeschworen hat, dem ich nicht entkommen konnte, halte ich mich lieber im Hintergrund. Sicher ist sicher.

Aber sicher heißt auch, dass ich meine Widerstandsfähigkeit nicht trainiere wie von Astra vorgeschlagen.

Außerdem verdunkeln sich Rens schwarze Augen noch mehr, und zwar nicht wegen der Widerstandsfähigkeit für die Vision, die er ohnehin nicht für real hält. Sondern weil ich durch meine Zurückhaltung schwach wirke.

Doch dann endet der Kurs und bevor er etwas sagen kann, fliehe ich aus der Academia Sinistra und mache mich auf den Weg zum Café Perla. Sobald ich die Grenze von der Altstadt Staré Město zur Neustadt Nové Město überschreite, habe ich Rens Blick fast verdrängt. Im Café Perla schließe ich mich Tatiana und Tomáš an, die das Geschirr vom Morgengeschäft abräumen. Um mich noch mehr abzulenken, erzähle ich ihnen von Astra und der Academia. Besser gesagt, ich erzähle die Geschichte, die ich mir zurechtgelegt habe. Denn Astra hat mir erklärt, wie Rektorin Sýkorovás Magie dafür sorgt, dass Gregale wie sie gewisse Flunkereien glauben. So wie die Prager durch Magie glauben, das Klementinum beherberge die Nationalbibliothek. Alles, um die Arkane Welt vor den Gregalen geheim zu halten.

»Also, damit ich das richtig verstanden hab.« Zum Spülen der Ansammlung an Kaffeetassen bindet sich Tatiana ihre roten Locken energisch zu einem Messy Bun. »Du wurdest letztes Jahr, vor Monaten, an dieser Kunstakademie aufgenommen und erzählst uns erst jetzt davon?«

Sie hinterfragt tatsächlich nicht, dass ich die Academia Sinistra als Kunstakademie ausgebe, als gehöre sie in ihrer Wahrnehmung schon seit Jahren zum alten Gebäudekomplex.

»Wie gesagt, das tut mir leid.« Ich nehme die Tassen an, um sie abzutrocknen, und wünschte, ich könnte die Artes Arcanes und Technologie so kombinieren wie die Mágos Cordelia, deren Computerprogramm tote Schriften mit Arcanima entziffern kann. Damit hat sie vor einem Jahr in der Bravura beinahe gegen Atlas gewonnen – und konnte letztes Semester das Compendium Maledictum übersetzen, was uns einige Hinweise zum Lösen von Matheas Fluch gegeben hat.

So eine Meisterleistung ist mir nicht vorherbestimmt, aber es würde die Arbeit schon erleichtern, wenn ich die kaputte Spülmaschine mit Arcanima reparieren könnte. Der Besitzer des Café Perla, Herr Bartek, wird sie in nächster Zeit wohl nicht ersetzen, genauso wenig wie er unseren Hungerlohn erhöht. Aber er hat mir vor zwei Jahren, als Tatiana und Tomáš mich angeschleppt haben, ohne Arbeitserfahrung einen Job gegeben. Egal wie grummelig und knausrig Herr Bartek auch ist, meine Dankbarkeit überwiegt.

Tatiana schnipst vor meinem Gesicht, wobei Spülwasser auf meiner Wange landet. »Es kommt ja noch dicker: Ich musste die ganzen Winterferien über beobachten, wie du grinsend am Handy hängst, und erfahre erst jetzt, dass du zu dem Zeitpunkt schon mit dieser heißen, breitschultrigen, stylischen, Volleyball spielenden, stinkreichen Astra zusammen warst? Freunde erzählen es ihren Freunden, wenn sie mit blonden Kriegergöttinnen rumknutschen.«

Mein Nacken wird heiß. »Wir knutschen nicht –«

Tomáš knallt ein neues Tablett mit benutztem Geschirr neben die Spüle. »Schon mal drüber nachgedacht, dass Ellie sich vielleicht einfach nicht wohl damit gefühlt haben könnte, sich uns anzuvertrauen?«

»O bitte.« Tatiana verdreht die Augen. »Ellie hat an unserem ersten Disney-Abend kein Geheimnis draus gemacht, wie sehr sie Mulan angeschmachtet hat.«

»Auch wieder wahr.« Tomáš wendet sich ab, um neue Kunden zu begrüßen.

»Wieso hinterfragt er mich überhaupt?« Tatiana wedelt mit einer Gabel herum, die ihr dabei aus der Hand fliegt. »Fuck.« Sie duckt sich, um unter dem Tresen zu suchen.

Währenddessen trockne ich mechanisch einen Teller ab. Warum habe ich noch nichts von Astra erzählt? Es gab keinen Grund, es geheim zu halten. Aber vielleicht sind mir Geheimnisse einfach schon ins Blut übergegangen.

Tatiana taucht wieder auf und nimmt mir den Teller ab. »An dem befindet sich kein einziges Wasserstoffatom mehr.«

»Astra und ich knutschen nicht herum!«, bricht es aus mir heraus.

Verdattert starrt Tatiana mich an. »Äußerst bedauerlich.«

»Es ist nicht so, dass ich nicht will.« Ich vergrabe meine Finger im Trockentuch. »Ganz im Gegenteil.«

»Ohhh?« Sie schmeißt den Spülschwamm ins Waschbecken, stützt sich auf die Arbeitsfläche und begutachtet mich, als würde ich gleich die Entdeckung einer neuen Pflanzenart verkünden. »Ich brauche Details!«

Ich beiße mir auf die Zunge, denn ich sollte nicht denken, dass alles, was Astra mir gibt, nicht reicht. Aber es ist nicht genug. Jedes Mal, wenn ich denke, wie perfekt es ist, will ein Teil von mir noch mehr. Also seufze ich. »Wir haben uns geküsst. Aber sie geht keinen Schritt weiter.«

»Mach doch einfach selbst den nächsten Schritt.«

»Das versuche ich ja!«, stöhne ich. »Aber sie blockt immer ab.« Mit Küssen auf meine Schläfen, mit Nichtigkeiten, die sie in mein Ohr flüstert, mit Umarmungen, die so fest sind, dass ich nicht anders kann, als mich geborgen zu fühlen. Und trotzdem. Gerade deshalb. Es frustriert mich.

»Vielleicht will sie es langsam angehen lassen?«

»Vielleicht.« Die Erinnerung an Astras Kuss mit Łucja Kaminska nach dem Sieg der Academia Gryphons kocht in mir hoch. »Es sähe ihr aber nicht ähnlich.«

»Schau nicht so drein, als fände sie dich abgrundtief abstoßend.«

Ich weiß, es liegt nicht daran. Im Vergleich zu ihr mag ich unerfahren sein, aber die Anzeichen sind nicht zu übersehen. Sie sieht mich so an, wie ich sie ansehe.

Weil meine Schicht gleich zu Ende ist, lege ich seufzend die Schürze ab. »Ich glaube, sie macht sich Gedanken, weil sie meine erste echte Freundin ist.«

»Awwww!« Tatiana tätschelt meine Wange. »Vielleicht musst du dafür sorgen, dass sie dich anders sieht. Nicht mehr unschuldig und unerfahren.«

»Und wie?«

»Du kennst sie besser als ich.« Die Glocke bimmelt und Tatiana sieht zur Tür. Dann grinst sie. »Oder versuch es mit der guten alten Kommunikation und frag sie einfach!«

Bevor ich reagieren kann, stößt Tatiana mich hinter dem Tresen hervor. Ich stolpere Astra vor die Füße.

»Bin ich zu früh?« Schockiert, als wäre das ein Verrat an ihrem persönlichen Wertekodex, schaut sie auf ihre Uhr. »Bin ich nicht. Heißt das, du hast unser Date vergessen?«

»Nein, ich habe nur …« Hastig schaue ich zu Tatiana. Sie erwartet nicht, dass ich sofort mit Astra rede, oder?

Tatiana winkt Astra mit wackelnden Fingern und amüsiertem Grinsen zu. »Viel Spaß auf dem Date, ihr Turteltauben!«

Astra nickt ihr grinsend zu, bevor ich sie am Ärmel nach draußen zerre. »Bis übermorgen!«, rufe ich noch, doch die Tür fällt mitten im Satz zu.

»Ich dachte, wir gehen woanders hin als ins U Sedmi Čertů.« Astra verschränkt ihre Hand mit meiner, während wir die enge Gasse im Stadtteil Nové Město hinabwandern. »Etwas, das mehr nach deinem Geschmack ist. Es sei denn, nach deinem Nebenjob hast du keinen Nerv mehr für ein Café?«

»Solange ich nicht spülen muss.«

Astra hat recht. Auch nach mehreren Monaten fühle ich mich in der arkanen Kneipe U Sedmi Čertů noch unwohl. Vielleicht, weil mir die sieben Teufelsfratzen an der Tür, nach denen sie benannt wurde, jedes Mal eine Gänsehaut verpassen.

Wir spazieren über die belebte Prachtallee Národní, wo Autos und Trams an uns vorbeirattern, und biegen dann in eine Seitenstraße ab. Dort erreichen wir ein Café namens Coffee Coven, an dessen salbeigrün gestrichener Fassade üppige Kletterrosen hochranken. Niemand von den Passanten beachtet es. Ich verenge die Augen und konzentriere mich auf den Verhüllungszauber. Kurz sehe ich, was die gregalen Menschen sehen: eine mit Brettern verrammelte, baufällige Fassade. Dann lasse ich die Verhüllung ziehen und das Coffee Coven kommt wieder zum Vorschein. Im Fenster hängt eine Tafel, auf der sich Runen vor meinen Augen ins Tschechische verwandeln. Alle arkanen Arten willkommen.

Als wir das Café betreten, fällt mein Blick direkt auf die muskulöse Barista hinter der hölzernen Theke. Ich erstarre.

Łucja Kaminska.

Aus der Nähe ist ihre Größe noch beeindruckender. Sie hat ihre Varsity-Jacke der Academia Gryphons gegen eine Schürze getauscht, und doch sehe ich wieder vor mir, wie Astra nach dem gewonnenen Volleyballspiel die Finger in den schwarz-goldenen Stoff gräbt und Łucja küsst.

Sie begrüßt Astra mit einem gewinnenden Lächeln. »Astra!«

»Brauche! Kaffee!«, stöhnt diese theatralisch und lässt sich halb auf den aus einem dicken Holzstamm geschnitzten Tresen sinken. »Ich hasse die Morgenkurse!«

Mit einer simplen Geste lässt Łucja aus einer der Dutzenden Dosen im Regal Kaffeepulver in eine French Press gleiten. »Schwarz, aber mit genug Zucker und Karamellsirup, um jede andere Person in eine andere Sphäre des Seins zu befördern?«

»Jep«, flötet Astra.

Wusste sie, dass Łucja hier arbeitet? Kann sie sich nicht denken, wie es mir damit geht, ihre ehemalige … keine Ahnung, was genau die beiden waren, zu sehen? Oder reagiere ich über?

»Ellie!« Astra deutet auf die Menütafel über dem Tresen. »Was willst du?«

Ich reiße meinen Blick von den beiden los und studiere die Kreideschrift auf der Tafel.

»Wie lange arbeitest du schon hier?«, fragt Astra.

Also wusste sie es nicht? Immerhin etwas. Wobei sie so oder so keinerlei Anzeichen zeigt, dass ihr das Treffen auch nur ansatzweise unangenehm ist.

»Seit Semesterbeginn«, antwortet Łucja. »Was du wüsstest, wenn du dich außerhalb des Trainings melden würdest.«

Ich lenke meine Konzentration wieder auf die Tafel. Dass sich die floralen Muster, die in die Ecken gezeichnet wurden, und die Initialen der Getränke und Speisen wie wachsende Wurzeln schlängeln, macht es nicht einfacher, beim umfassenden Menü durchzusteigen. Für alle arkanen Arten ist etwas dabei. »Ähm. Den Himbeer-Jasmin-Tee, bitte.«

Ohne den Blick von Astra zu nehmen, lässt Łucja mit einer weiteren Geste eine zierliche Tasse erscheinen, über deren Rand ein Porzellanhase lugt. »Also, wieso meldest du dich nicht? Stress im Studium?«

»Nicht genug, um mir ein zweites Standbein als Barista aufzubauen«, wirft Astra grinsend zurück und hält ihr ein paar zerknitterte Scheine aus ihrer Hosentasche hin. »Hast du so große Angst vor einem Rauswurf?«

»Beißender Spott als Reaktion. Definitiv Stress.« Łucja zieht eine Braue hoch, während Kaffee und Teewasser im Hintergrund blubbern. »Dabei kann ich helfen. Falls du das nicht genauso vergessen hast wie deine Teamkollegin?«

»Sei nicht so dramatisch. Ich schreibe dir regelmäßig.«

»Richtig. Einmal pro Quartal ist im Prinzip regelmäßig. Du bist eine fantastische Freundin.« Łucja tippt eine der Pflanzen auf dem Tresen an und ein paar blasse Blüten wachsen zu prallen Himbeeren heran. Sie pflückt einige Blüten und Beeren und lässt sie in mein Teewasser plumpsen. »Sowieso mache ich den Job nur, bis meine Volleyballkarriere durchstartet. Die Polska Phantoms haben mich spielen gesehen. Wenn ich eine gute Saison liefere, bieten sie mir nach dem Studium einen Vertrag.«

Obwohl ich wenig von Sport verstehe, will ich Łucja gratulieren, aus Höflichkeit oder um mir meine Unbehaglichkeit nicht anmerken zu lassen. Aber sie hat mich bisher keines Blickes gewürdigt. Mich hat längst der Mut verlassen, das zu ändern.

»Gut für dich.« Astra nimmt einen Matcha-Keks von einem Teller, an dem ein Schild mit 80 Kronen steht, und beißt beherzt ab. Panik steigt in mir auf, denn sie macht keine Anstalten, den zu bezahlen.

Doch Łucja schiebt nur grinsend die Hasentasse in meine Richtung und auch der Kaffee ist endlich fertig. Während sie ihn einfüllt, umklammere ich die mit Magie warm gehaltene Teetasse. Endlich ist das Gespräch überstanden.

Doch zu früh gefreut, Astra und Łucja reden weiter. Sie flirten nicht, aber sind so nah dran, dass sie es im Prinzip auch tun könnten.

Ich beiße mir auf die Zunge. Wieder diese eifersüchtigen Gedanken. Astra ist nun mal so, interessiert sich für jeden Menschen, zieht jeden in ihren Bann und schafft es, dass man sich nach zwei Minuten mit ihr fühlt, als kenne man sie sein Leben lang. Und diese Offenheit geht wohl damit einher, dass sie kein Problem darin sieht, mit einer Ex-Wasauchimmer befreundet zu bleiben. Ist das nicht das, was ich an ihr mag?

Ein Kellner zieht Łucja am Ohr, die Astra daraufhin die Tasse reicht. »Die einzige ohne Sprung, nur für dich.« Ihre Finger berühren sich. Sie verharren einen Atemzug zu lange.

Oh. Vielleicht ist das Problem gar nicht, dass ich unnötig eifersüchtig bin. Vielleicht ist das Problem, dass ich mich wieder zu so einer Person hingezogen fühle. Zu jemandem wie sie. Diese Menschen, die dich fühlen lassen, als wärst du die Einzige auf der Welt. Was an manchen Tagen bedeutet, man fühlt sich wie etwas Besonderes. An anderen Tagen fühlt man sich einfach nur einsam.

Astra zieht ihre Hand ruckartig weg, sodass der Inhalt der randvollen Tasse über ihre Finger schwappt.

Ein Japsen – meines, nicht Astras – und ich untersuche ihre Finger auf Verbrennungen.

»Łucja, ich weiß, meine bloße Anwesenheit ist unwiderstehlich.« Astra presst einen Kuss auf meine Knöchel. »Aber ich bin mit Ellie zusammen.«

Łucjas Augen weiten sich. »Wirklich?«

Das Rauschen in meinen Ohren übertönt Astras Antwort. Ist es so schwer zu glauben, dass jemand wie ich mit Astra zusammen ist? Mein erster Impuls, Łucja genau das an den Kopf zu knallen, wird schnell vom Drang überschattet wegzurennen. Stattdessen folge ich Astra mit glühendem Kopf die gewundene Treppe hinauf in den ruhigeren ersten Stock.

Dort bleibe ich überrascht stehen.

Der Duft von Blüten umhüllt mich, als läge ich auf einer Lichtung voller Wildblumen. So süß, intensiv und klar, wie es selbst jetzt im Frühling in Prag nie duftet, weil immer das Brennen von Autoabgasen und die Mischung aus Parfum und Schweiß der Menschen darüberliegt.

»Habe ich zu viel versprochen?« Astra führt mich unter den von der gesamten hohen Decke hängenden Wisteriaranken entlang. Aus den fluffigen, grünen Wolken ihres Blattwerkes bricht ein Regenschauer blassvioletter Blüten.

»Du hast gar nichts versprochen.« Ich strecke die Hand aus. Einzelne Blütenblätter sinken zu Boden, doch bevor sie ihn oder meine Haut berühren, lösen sie sich in Luft auf.

»Stimmt, Versprechen bürden einem nur unnötige Verpflichtungen auf.« Beschwingt setzt sie sich an den Tisch und rührt mit einem Blick auf meine Tasse ihren zuckrigen Kaffee. »Gilt die Oliventheorie auch bei Zucker?«

»Oliventheorie?« Langsam setze ich mich, den Blick zum Wisteriahimmel gerichtet. Die Blüten verlieren an Farbe. Kaum wahrnehmbar, aber …

»Ehrlich, Ellie, es ist, als hättest du noch nie einen Blick ins Internet geworfen. Wenn eine Person Oliven hasst und die andere sie liebt, passen sie zusammen.«

»Ich habe Oliven noch nie probiert«, murmle ich. Ja, eindeutig, der Wisteriabaum wechselt sein Gewand für den Wechsel der Jahreszeiten. Und ich kann es beobachten. Jede Veränderung in mich aufnehmen. »Wie zu Hause.«

»Was soll das heißen, wie zu Hause?«

Ich zucke zusammen. Das habe ich laut gesagt?

Sie lehnt sich mit verschränkten Armen zurück. »Ich wäre mit dir ins U Sedmi Čertů gegangen, wenn ich geahnt hätte, dass du die Blumen so viel faszinierender als mich findest.«

»Streng genommen sind Wisterien keine Blumen.«

»Spar dir das für Alchemiaauf, Schlauberger.«

Zwei Teller fliegen heran und landen vor uns. Ein dunkler Brownie mit Karamellsauce für Astra und eine fluffig ausgebackene Buchty mit glitzerndem Puderzucker für mich.

Astra schnaubt. »Diese Schleimerin.«

Von Łucja?

Japsend holt Astra Luft, dippt ihre Fingerspitze in den auf meinem Teller verteilten Puderzucker und probiert. »Sie hat dir ernsthaft Feenstaub gegeben!«, keucht sie. »Aber mir nicht. Verräterin.«

»Warum bist du so vernarrt in Feenstaub?«

»Von Fey-Essen fühlst du dich fantastisch. Farben kommen dir bunter vor, Stimmen angenehmer, Geräusche rhythmischer, Emotionen tiefer. Aber ohne Nebenwirkungen. Zugegeben, wenn man keine Fee ist und zu viel isst, wird man … anstrengend. Aufgekratzt. Deshalb geben sie Feenstaub ungern heraus und die meisten Restaurants servieren ihn nur den Fey.«

»Du kannst meinen haben.«

Astra betrachtet den mit Glitzer durchsetzten Puderzucker und winkt ab. »Vielleicht nicht bei einem unserer ersten Dates. Wer weiß, was ich veranstalte.«

Dates. Während Astra lebhaft von ihrer ersten Party mit Feenstaub erzählt, prickelt etwas in mir, als hätte ich schon davon probiert. Bloß dass nicht alle Farben und Geräusche schöner sind, sondern nur das Blond von Astras Haaren, die sie sich aus der Stirn streicht, das Blassblau ihrer Augen und ihre Stimme. Als hätte jemand einen strahlenden Filter über sie gelegt. Der Wisteriahimmel rückt in den Hintergrund, denn Astras so überschwängliche Gestik und Mimik faszinieren mich viel mehr.

Und schon sind Łucja und alles andere vergessen.

Noch immer kann ich nicht glauben, dass ich hier mit Astra sitze. Ein weiteres Date, bei dem sich Stunden wie Minuten anfühlen, die trotzdem viel zu schnell vorübergehen. Bei dem die unbedeutendsten Themen wie Offenbarungen klingen, ein lauwarmer Tee wie Nektar des Frühlingsgottes schmeckt.

Es ist ein Traum. Ein Traum, den ich ganz sicher nicht mit meinen Unsicherheiten in einen Albtraum verwandeln werde.

Was sagte Tatiana? Vielleicht musst du dafür sorgen, dass sie dich anders sieht. Nicht mehr unschuldig und unerfahren. Ob ich das in einem niedlichen Café umrahmt von Blütenblättern hinbekomme? Eher nicht.

»Astra? Kann ich das nächste Date planen?«

Sie hält in der Bewegung inne, ihre Gabel im halb gegessenen Kuchen steckend, und grinst. »Klar! Solange du mich nicht in ein Museum schleppst.«

»Ich würde es nicht wagen!«

Okay. Ein Date. Auf dem ich ihr zeigen kann, dass ich nicht unschuldig bin. Dafür brauche ich definitiv Hilfe, oder?

»Willst du probieren?« Astra hält mir eine Gabel mit ihrem Kuchen hin und geiert dabei auf meine Buchty.

»Weil du doch Feenstaub probieren willst?«

»Nur Buchty reichen. Die schmecken auch so fantastisch.«

»Hier, bevor du anfängst zu sabbern.« Lachend schiebe ich ihr meinen Teller hin, damit sie die Pflaumenfüllung nicht auf dem halben Tisch verteilt, und nehme ihre Gabel.

»Bei Sinistra, das ist fantastisch«, stöhnt Astra und isst den nächsten Bissen, als hätte sie seit Wochen gehungert.

Grinsend schüttle ich den Kopf. »Wir können tauschen, wenn du willst.«

»Aber mein Brownie ist auch fantastisch«, meint sie mit einem sehnsüchtigen Blick auf den anderen Teller und spießt schon den nächsten Bissen Buchty auf. »Nein, tauschen ist eine gute Idee. Nimm du den Brownie.«

»Du liebst Kuchen, oder?«

Astra sieht mich durch ihre Wimpern an. »Alles, was süß ist.«

Hastig bearbeite ich den Brownie mit der Kuchengabel und bete zu Léto, dass meine Wangen nicht so rot sind, wie sie sich anfühlen. Astra schafft es jedes Mal, mich mit den kleinsten Bemerkungen aus der Bahn zu werfen. Wirklich wie in einem Traum, so leicht und sirupsüß.

Gegen meinen Willen muss ich seufzen. Vielleicht reichen meine Unsicherheiten nicht aus, um all das zu zerstören. Aber meine Vergangenheit. Wenn ich es zulasse.

Zum Glück bekommt sie davon nichts mit, so vertieft ist sie in die Buchty.

»Wirst du eigentlich an der Bravura teilnehmen?«, frage ich, was mir schon länger Kopfschmerzen bereitet. Ich umklammere die Teetasse und beobachte die Himbeerblütenblätter, die an der Oberfläche schwimmen.

Astra schnaubt. »Das überlasse ich Atlas. Ich bringe schon die Volleyball-Trophäen heim, ich kann nicht auch noch die Bravura gewinnen.«

Erleichtert lasse ich die Tasse los. Wenn sie mitmachen würde, hätte sie neben dem Training, ihren Pflichten als Präfektin und all ihren Freundschaften sicher kaum noch Zeit für mich. Ich würde natürlich alles tun, um sie bei der Bravura zu unterstützen. Aber insgeheim würde ich den Wettbewerb verfluchen.

»Fühlst du dich bereit, morgen weiter an der Vision zu arbeiten?«, fragt Astra.

Ich schrecke auf, dann muss ich lächeln. »Mehr als bereit. Danke, dass du deine Zeit dafür opferst, mit mir –«

»Oh, verdammt! Zeit!« Astra springt auf. »Mein Training um 15 Uhr! Wieso sagst du nichts?«

Ich schlucke Enttäuschung darüber hinunter, dass sie schon aufbricht, und schüttle lachend den Kopf. »Ich habe gerade so meinen eigenen Stundenplan auswendig gelernt!«

Astra verrenkt sich, weil sie ihren Blazer überzieht und gleichzeitig ein paar tschechische Kronen in die Luft hält. Trinkgeld, das aus ihren Fingern gleitet und durch den Raum zur Treppe schwebt. »Sorry, dass es so abrupt ist.«

»Ist es bei dir je anders?«, necke ich.

»Bis spätestens morgen!«, ruft sie im Davonhasten.

Ich atme tief durch. Ihre Lebhaftigkeit, die mir so gefällt, wird oft auch zu Hektik. Aber Hektik ist gut. Anders als früher, als alles gemächlich wie ein breiter Bach verlief. Als jedes Gespräch, jede Zeremonie, jede Prüfung eine ewige Qual war, weil –

Astra beugt sich von hinten zu mir herab, sodass ich zusammenzucke. »In manchen Situationen ist es bei mir nicht hektisch und abrupt«, flüstert sie mir ins Ohr. »Ich kann sehr geduldig sein.«

Bevor ich rot werde, lachen oder sie tadeln kann, ist Astra endgültig verschwunden.

Ich vergrabe mein glühendes Gesicht in der Teetasse. Was ich mit Astra teile, ist mehr, als ich mir in meinen dunkelsten Stunden je erträumt habe. Am meisten quälte mich die Scham darüber, dass ich mir überhaupt vorzustellen wagte, jemandem wie mir stünde auch nur ein Fünkchen Glück und Liebe zu. Ich war sicher, nichts davon zu verdienen. Aber jetzt, Schritt für Schritt, kommen Zweifel an dieser Überzeugung auf. Dank Astra. Aber auch dank Tatiana und Tomáš, die mich als Erste in dieses neue Leben eingeführt haben. Dank Mathea, die nicht davor zurückschreckt, sie selbst zu sein. Dank Khadija und Ren, die mich auf ihre widerwillige Sinistra-Art durch das erste Semester gebracht haben. Vielleicht verdiene ich etwas Glück und Liebe.

Und um das nicht zu zerstören, muss ich die Wahrheit für mich behalten.

Am Wochenende schickt Ozerov mir seinen beneidenswert vollgepackten Stundenplan zur Terminabsprache. Regelmäßige Arbeit mit ihm ist sicher nicht gut für meine Gefühle. Aber er wird argwöhnisch, wenn ich nicht das mache, was für das Bravura-Projekt am besten ist. Also finde ich die Termine, die für uns beide wöchentlich am besten passen. Nach Arkane Rechtswissenschaften am Donnerstagabend und montags nach meinem Illusio-Kurs.

Und der Montag kommt viel zu schnell. Ausnahmsweise ist nicht der alberne Kursname Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt: Die unendlichen Möglichkeiten und Fallstricke der Ars Arcana Illusio, sondern Ozerov schuld daran, dass ich Profesorka Yoon kaum folgen kann. Sie hockt im Schneidersitz auf dem Pult und wippt mit den weißen Sneakern genauso wie mit ihren neun weißen Fuchsschwänzen. Als Kumiho, ein koreanischer Fuchsgeist, ist sie nicht nur eine Gestaltwandlerin, sondern kann andere in Illusionen ziehen. Ihr warmbeigen Wangen strahlen, während sie beschreibt, wie man aus solchen Illusionen ausbrechen kann.

Ich schreibe ihre vor Begeisterung ausschweifenden Erklärungen in Stichpunkten mit. Einen starken mentalen Schild errichten. Den Fluss der Arcanima des Illusio-Nutzers mit der eigenen Arcanima unterbrechen. Kurzer, scharfer Schmerzimpuls, der wie ein Reset auf das Nervensystem wirkt.

Mein Handy vibriert und zeigt eine Nachricht von Ozerov an. Mit einem Puls, den sich unter anderen Umständen Profesor Vanagas genauer anschauen sollte, öffne ich sie.

»Mathea!« Ein weißer Fuchs landet auf meinem Tisch und schreckt mich auf. Sofort verwandelt sich Profesorka Yoon zurück in ihre menschliche Gestalt. Sie sitzt elegant auf der Tischkante, die Beine in der weiten Hose übergeschlagen, und streicht sich ihr glattes schwarzes Haar hinter das Ohr. »Da Sie sich von Ihrem Handy losreißen konnten, trauen Sie sich sicher auch zu, aus einer Illusion auszubrechen?«

Das eine Mal in meinem Leben, dass ich im Unterricht abgelenkt bin, und sie erwischt mich. Klasse.

Hastig schiebe ich mein Handy in meine Rocktasche. »Ich würde es zumindest versuchen.«

»Wundervoll!« In die Hände klatschend springt sie auf und geht in die Mitte der freien Übungsfläche, um die im Halbkreis die Tische der Studierenden angeordnet sind.

Ich folge ihr unter den Blicken der anderen und warte dann darauf, dass es losgeht. Doch Profesorka Yoon lächelt mich nur an. Richtig, verbalen Konsens einholen, bevor man andere einer Illusion unterzieht.

»Ich bin bereit«, sage ich deshalb.

Ihr Lächeln wird breiter. »Das scheint mir nicht so.«

»Was genau meinen –«

Der Kursraum ist leer.

Ich drehe mich hektisch um mich selbst. »Wo sind alle?« Überall nur verlassene Tische und Stühle. Die Veränderung trifft mich mit voller Wucht. Panik steigt in mir auf. Menschen können nicht einfach verschwinden. Das geht nicht!

Jemand lacht leise.

Ich fahre zu Profesorka Yoon herum. Sie hebt beschwichtigend die Arme und ihre Fuchsschwänze folgen der Bewegung. »Beruhigen Sie sich, Mathea. Der erste Schritt ist, sich überhaupt darüber bewusst zu sein, dass man in einer Illusion gefangen ist.«

Illusion? Ich reibe mir über das Gesicht. Richtig. Der Kurs. »Ich dachte, ich würde nur etwas anderes sehen. Aber Ihre Magie vernebelt meinen Verstand?«

»Versuchen Sie eine der Techniken. Auch wenn Ihnen das unter realen Umständen nicht hilft, solange Sie sich nicht darüber bewusst sind, in einer Illusion gefangen zu sein.«

Was sagte sie? Es fällt mir schwer, mich zu erinnern, so sehr drückt etwas von allen Seiten auf mich ein. Ihre Arcanima, die mein Gehirn manipuliert, vielleicht. Das war es. Den Fluss der Arcanima des Illusio-Nutzers mit der eigenen unterbrechen.

Nur wie stelle ich das an? Ich kann meine Arcanima nicht zu feinen Fäden weben wie Ellie. Eigentlich spüre ich sie nur, wenn ich die Verbindung mit den Schmetterlingen eingehe. Trotzdem versuche ich es. Ich atme ein und aus, horche auf die Energie, die in mir schlummert. Nur ein vages Gefühl, formlos und flüchtig. Der Druck von außen drängt stärker auf mich ein. Ächzend versuche ich mein Bewusstsein klar zu halten, doch es entgleitet mir.

»Das reicht fürs Erste.« Die verschwommene Kontur von Profesorka Yoon wischt mit der Hand durch die Luft und schlagartig sitzen die Studierenden wieder an ihren Plätzen. »Nehmen Sie gern Platz, Mathea.«

Unter den besorgten Blicken der anderen – mir wäre kaum verhohlener Spott lieber – strauchle ich an meinen Platz. Als ich mich setze, vergeht der Schwindel bereits.

»In den nächsten Wochen werden wir gemeinsam Strategien für jede einzelne Person von Ihnen entwickeln, um mit Illusionen umzugehen«, verkündet Profesorka Yoon. »Schließlich hat jede arkane Art andere Voraussetzungen. Wenn sich jemand unwohl damit fühlt, in der Gruppe besprochen zu werden, melden Sie sich gern bei mir. Wir finden auf jeden Fall Lösungen für eine alternative Erarbeitung.«

Eine Hand schnellt in die Höhe. Moremi, die über ihrem Earth-Day-Hoodie ein schwarzes Jeanshemd mit so vielen Buttons und Sicherheitsnadeln trägt, dass sie damit einen Metalldetektor überhitzen lassen könnte. »Muss man die Ars Arcana Illusio beherrschen, um Illusionen durchbrechen zu können?«

»Gute Frage! Wie Sie wissen, sind unsere Kurse für alle Arkanen geöffnet, und während nur ein Teil von Ihnen Illusionen erzeugen kann, sind alle Arkanen, sogar Gregale, in der Lage, sie zu durchbrechen.« Profesorka Yoon geht wieder in ihren Erklärungen auf.

Ich will zuhören. Aber mein Handy scheint eine unerträgliche Hitze auszustrahlen, die mich nicht loslässt. Nur ein kurzer Blick.

Ich befinde mich im Goldenen Gässchen. Der Styk ist in etwa gleich weit von uns entfernt, daher wäre es sinnvoll, uns dort zu treffen.

Die geteilte Bibliothek von Sinistras und Dextras wäre neutraler Grund. Trotzdem stöhne ich innerlich, während Profesorka Yoon die Strategien an eine Tafel schreibt. Ozerov, umgeben von unzähligen Büchern, sein Gesicht vom gleichen blassen Pergamentton wie die Buchseiten, in das Licht der Leselampen getaucht – nein danke. Es reicht schon, dass ich allein beim Gedanken daran in Poesie ausbreche. Also schreibe ich zurück.

Und riskieren, dass jemand unser Thema ausspioniert?

Dann in eurer Bibliothek? Dextras werden wohl kaum die Ideen anderer klauen.

Ich muss schnauben. Er bestreitet nicht einmal, dass Sinistras im Gegensatz zu uns sehr wohl Ideen stehlen würden. Trotzdem. Er, umgeben von Büchern und Leselicht. Niemals. Ich brauche die unerotischste Umgebung, die ich finden kann.

Explodierte Glücksbärchis, aneinandergequetschte Möbel unter einer Glaskuppel, durch die Luft wabernder Räucherstäbchenrauch.

Komm zum Gewächshaus Hydrangea.

Aus welchem Grund?

Ich knirsche mit den Zähnen. Dann schlage ich mein Notizbuch auf, dessen Blanko-Papier sich in gepunktetes verwandelt, und ziehe hastige Tabellenlinien. Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken unserer Zusammenarbeit. Unsere Stärken liegen im Bereich Theorie und Gewissenhaftigkeit, aber mangelnde Kreativität und Loslösung von vorgefertigtem Wissen sind Teil unserer Schwächen. Sobald ich die wichtigsten Punkte notiert habe, schicke ich Ozerov ein Foto davon.

Seine Antwort lässt nicht lang auf sich warten.

Also sollten wir in der ersten Phase nicht in Versuchung geraten, Lektüre zurate zu ziehen, damit unser Projekt nicht an fehlender Innovation und dem zu strikten Befolgen der Theorien anderer scheitert? Ich bin in etwa zwanzig Minuten am Gewächshaus.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht zu grinsen. Wieso wusste ich, dass er darauf anspringt? Und, flüstert eine leise, fiese Stimme, dass er mich nur anhand einer SWOT-Analyse-Tabelle versteht.

Profesorka Yoon klatscht in die Hände und ich sehe auf. Alle kramen ihre Sachen zusammen und stürmen zur Tür, um die Zeit bis zum nächsten Kurs wie jeden der letzten Tage im Innenhof zu verbringen. Hastig springe ich auf und stopfe alles in meine Tasche. Ich schüttle meinen Bob aus, damit die Haare meine mit Sicherheit roten Ohren verdecken, während ich den anderen nach draußen folge. Vom Rest des Kurses habe ich rein gar nichts mitbekommen.

Atlas Ozerov, was stellst du mit mir an?

Auf dem Weg zu unserem Gewächshaus finde ich darauf keine Antwort. Dafür immerhin etwas zu essen in den Snackautomaten, von denen mir im ersten Semester niemand etwas erzählt hat. Vermutlich, weil sie wussten, dass ich sie der überfüllten, an ein begehbares Kunstprojekt erinnernden Mensa vorziehe. Ich lege meine Hand an den Automaten und der Kristall darin zerrt ein wenig meiner Arcanima durch meine Fingerspitzen. Dann leuchtet eine Auswahl an Snacks auf, die für mich als Víla genießbar sind.

Ich starre meine Finger an, die leicht kribbeln. Es ist seltsam, wie frei meine Arcanima und meine arkanen Kräfte fließen, jetzt da ich vom Fluch befreit bin. Fühle ich mich deswegen ein kleines bisschen verbundener mit der Magie in mir? Mit der Arkanen Welt? Oder habe ich mich –

»Mattie!« Jemand schlägt mir den Bulgur-Wrap aus der Hand. Ursula. »Das kannst du nicht machen! Was, wenn die Magie zu viel Arcanima aus dir zieht? Du musst es langsam angehen lassen!«

»Selbst wenn du recht hast.« Ich hebe den Wrap auf und puste Staub von der Packung. »Was genau soll es bringen, mein Essen im Nachhinein auf den Boden zu schleudern?«

Ohne mit der Wimper zu zucken, hakt sie sich bei mir unter und zerrt mich durch die Gänge. »Also, ich hab mir gedacht, dass wir nächste Woche wieder in diesem zauberhaften gregalen Zappelschuppen tanzen gehen können. Sorry, Club sagt man dazu über dem Wasser, oder?«

»Das war eine einmalige Sache.« Ich reiße die Packung des Wraps auf. »Um mich bei dir zu bedanken.«

»Aber wir hatten so viel Spaß!«

»Du hattest Spaß.«

»Ich hab gesehen, dass du gelächelt hast.«