Sportsoziologie - Ansgar Thiel - E-Book

Sportsoziologie E-Book

Ansgar Thiel

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Beschreibung

In diesem Buch wird der Sport aus unterschiedlichsten Perspektiven soziologisch betrachtet. Ausgehend von der Frage nach dem Gegenstandsbereich der Sportsoziologie werden zentrale sportsoziologische Forschungsthemen behandelt. In 13 Lektionen erhält der Leser differenzierte Antworten auf grundlegende Fragen der Sportsoziologie. Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: Im ersten Teil werden Entwicklungsdynamiken des Sports beleuchtet, im zweiten Teil die Organisation des Sports betrachtet und im dritten Teil werden Aspekte der Teilhabe am Sport reflektiert.

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Sportwissenschaft studierenBand 8

SportsoziologieEin Lehrbuch in 13 Lektionen

Die Reihe

Sportwissenschaft studieren richtet sich vor allem an Sportstudierende, aber auch an alle im Sport Lehrenden und an diejenigen, die an sport wissen schaftlichen Themen und ihrer Vermittlung interessiert sind. Alle Bände der Reihe Sportwissenschaft studieren sind als Lehrbücher in Lektionen abgefasst. Ihr durchgängiger Fragencharakter bahnt einen Dialog mit dem Leser/der Leserin an. Die Lehrbücher haben Einführungscharakter und sind demnach: komprimiert im Inhalt, klar strukturiert im Aufbau, verständlich geschrieben und übersichtlich gegliedert. Die Reihe Sportwissenschaft studieren eignet sich zum Selbst studium sowie als begleitende Lektüre (z. B. in Vorlesungen) oder als Diskussionsgrundlage (z. B. in Seminaren).

Bereits erschienen:Eckart Balz & Detlef Kuhlmann: Sportpädagogik (Band 1)Gerhard Trosien: Sportökonomie (Band 2)Michael Bräutigam: Sportdidaktik (Band 3)Alfermann/Stoll: Sportpsychologie (Band 4)Rainer Wollny: Bewegungswissenschaft (Band 5)Arno Müller: Sportphilosophie – in Planung (Band 6)Kuno Hottenrott & Georg Neumann: Trainingswissenschaft (Band 7)Ansgar Thiel, Klaus Seiberth & Jochen Mayer: Sportsoziologie (Band 8)

Sportwissenschaft studierenBand 8

Ansgar Thiel,Klaus Seiberth & Jochen Mayer

Sportsoziologie

Ein Lehrbuchin 13 Lektionen

Meyer & Meyer Verlag

Herausgeber der Reihe „Sportwissenschaft studieren“:Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider und Dr. Detlef Kuhlmann (bis Band 8)

SportsoziologieEin Lehrbuch in 13 Lektionen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2013 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen2. Auflage 2018Auckland, Beirut, Budapest, Cairo, Cape Town, Dubai, Hägendorf,Indianapolis, Maidenhead, Singapore, Sydney, Tehran, WienMember of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)ISBN 978-3-8403-3414-6E-Mail: verlag@m-m-sports.comwww.dersportverlag.dewww.wissenschaftundsport.de

Inhalt

Einleitung Anspruch und Konzept dieses Lehrbuchs

Lektion 1 Gegenstandsbereich der Sportsoziologie

Teil I: Entwicklungsdynamiken des Sports

Lektion 2 Ausdifferenzierung des Sports

Lektion 3 Sportlicher Körper und Gesellschaft

Lektion 4 Sport und Gesundheit

Lektion 5 Spitzensport

Lektion 6 Trends im Sport

Teil II: Organisation des Sports

Lektion 7 Der organisierte Sport heute

Lektion 8 Der Sportverein im Wandel

Lektion 9 Management im Sport

Teil III: Teilhabe am Sport

Lektion 10 Sozialisation im und durch Sport

Lektion 11 Soziale Ungleichheit und Sport

Lektion 12 Migration, Integration und Sport

Lektion 13: Soziale Konflikte im Sport

Einleitung

Anspruch und Konzept dieses Lehrbuchs

Viele Studierende der Sportwissenschaft haben, wenn sie ihr Studium aufnehmen, bislang nur wenig über die Sportsoziologie gehört. Die meisten verbinden Sport v. a. mit praktischer Bewegung. Einige haben in der Schule schon etwas über trainingswissenschaftliche Grundlagen gehört. Manche wissen, dass ein anatomisches und physiologisches Grundwissen notwendig ist, um die Funktionsweise von Bewegungen zu verstehen. Und viele haben aufgrund ihrer eigenen sportlichen Erfahrungen eine Vorstellung, welche Rolle die Psyche beim Sporttreiben spielt und wie sich Sport auf die Psyche auswirkt. Was die Sportsoziologie macht, erfährt ein großer Teil der Studierenden erst in der ersten Sportsoziologie-Vorlesung. Dabei lassen sich viele Fragen zum Sport nur beantworten, wenn man die sozialen Bedingungen ihrer Entstehung versteht.

Doping im Spitzensport ist hierfür ein gutes Beispiel: Die Sportmedizin liefert Erkenntnisse, die für die Überführung von Dopingsündern gebraucht werden. Die Sportpsychologie kann Motive von Dopingsündern analysieren. Die Sportsoziologie erklärt darüber hinausgehend die strukturellen Zwänge, in denen sich die Athleten befinden. Aus soziologischer Perspektive wäre es zu einfach, Doping auf eine Charakterschwäche einzelner Athleten zurückzuführen. Die Sportsoziologie sieht die Wurzeln des Dopings bereits darin, dass Athleten über eine lange Zeit in ein System hineinsozialisiert werden, in dem es vorrangig um das Gewinnen im sportlichen Wettkampf geht. Um an die Spitze zu kommen, muss vieles aufgegeben werden. Das ganze Leben muss auf den Spitzensport ausgerichtet werden. Freunde und Familie rücken in den Hintergrund. Und es wird immer schwieriger, sich neben Training und Wettkampf eine alternative Existenz aufzubauen, die einen absichert, wenn es mit dem Sport mal nichts mehr ist. Deshalb werden die Athleten mit der Zeit immer abhängiger vom Spitzensport. Das bedeutet für die Athleten aber auch, dass sie mit allen Mitteln ein Scheitern vermeiden müssen. Dazu kommt, dass Doping verdeckt praktiziert wird und jede Aufdeckung eines Dopingfalls die Annahme erhärtet, dass es eben auch schwarze Schafe gibt, die unrechtmäßig ihre Leistungen verbessern. Nimmt nun ein Athlet wahr, dass ein anderer, den er eigentlich für leistungsschwächer hält als sich selbst, plötzlich deutlich bessere Leistungen erbringt, dann liegt für ihn die Annahme nahe, dass dieser andere Athlet gedopt hat. Bereits diese Vermutung erhöht wiederum den Anreiz, selbst zu dopen, um die angenommene Ungerechtigkeit auszugleichen.

Doping ist nur eines von vielen Beispielen, die von der Sportsoziologie in den letzten Jahrzehnten intensiv bearbeitet wurden. Andere typische sportsoziologische Fragen beziehen sich z. B. auf die Entwicklung von Sportvereinen, die ganz offensichtlich nach anderen Mustern funktionieren als Wirtschaftsunternehmen, oder auf den Zugang von Menschen zum Sport. Die sehr fruchtbare sportsoziologische Forschung der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass sich die Sportsoziologie als eine zentrale Teildisziplin der Sportwissenschaft etabliert hat. Ihre Erkenntnisse sind nützlich für alle im Sport Beschäftigten, deshalb sind sie auch ein wichtiger Inhalt des Studiums der Sportwissenschaft.

Das vorliegende Lehrbuch zielt darauf ab, Einblicke in die Denkweise, in zentrale Themen und in die wichtigsten Forschungsbereiche der Sportsoziologie zu geben. Mit diesem Buch möchten wir einen möglichst breiten Überblick geben, was in der Sportsoziologie geforscht wird. Wir haben das Buch so konzipiert, dass es als Grundlagenliteratur einer Sportsoziologie-Vorlesung dienen kann und damit Studierenden nützlich ist, die sich auf Klausuren vorbereiten müssen. Das Buch hat aber auch den Anspruch, eine gute Grundlage für die Examensvorbereitung in den verschiedenen Studiengängen der Sportwissenschaft zu sein. Und nicht zuletzt soll das Buch auch für diejenigen, die sich bereits im Beruf befinden, hilfreich für eine Reflexion ihrer Arbeit aus einer »anderen« Perspektive sein.

Um dem Text eine leserfreundliche und lernförderliche Struktur zu geben, haben wir das ganze Buch in »Lektionen« eingeteilt. Zu Beginn jeder Lektion finden sich Leitfragen, die im Laufe des Texts beantwortet werden. Der Lehrbuch-Charakter zeigt sich außerdem in den zahlreichen Hervorhebungen, die die Lektionen durchziehen. Sie liefern den Lesern Zusatzinformationen, Definitionen und weiterführende Literaturhinweise. Darüber hinaus sind am Ende jedes Kapitels Lernkontrollfragen formuliert, die dem Leser dabei helfen sollen, wesentliche Erkenntnisse zu rekapitulieren. Damit stellen die Fragen eine ideale Grundlage für die Prüfungsvorbereitung dar. Schließlich ist jeder Lektion ein ausführliches Literaturverzeichnis angehängt, in dem die verwendeten Quellen aufgeführt sind und das Hinweise zur Vertiefung des Themas gibt.

Das Lehrbuch besteht aus insgesamt 13 Lektionen. Die Lektionen verteilen sich (mit Ausnahme der ersten, einführenden Lektion) auf drei Hauptteile. Jede Lektion widmet sich einem spezifischen Thema der Sportsoziologie und die einzelnen Lektionen stehen jeweils für sich. Die Reihenfolge, in der die Lektionen gelesen werden können, ist also variabel.

• Nach einer Einführung in die Sportsoziologie (Lektion 1) beleuchten wir in Teil IEntwicklungsdynamiken des Sports. Dabei geht es zunächst um die Frage, wie der Sport entstanden ist, wie er sich also zu einem eigenständigen und so relevanten Bereich der Gesellschaft »ausdifferenziert« hat (Lektion 2). Daran schließt sich eine Analyse der Rolle des sportlichen Körpers in der modernen Gesellschaft an. Sportlichkeit spielt heute in vielen Zusammenhängen eine wichtige Rolle, was man nicht nur in der Werbung, sondern auch in der Wortwahl von Politikern beobachten kann. Der sportliche Körper ist also nicht nur etwas, das biologisch zu untersuchen ist. Er ist vielmehr auch ein Symbol für viele Werte (Leistung, Durchsetzungsfähigkeit, Gesundheit), welche die heutige Gesellschaft kennzeichnen (Lektion 3). In jüngerer Zeit wird in Zusammenhang mit sportlicher Betätigung das Gesundheitsmotiv immer wichtiger. Für den Gesundheitssport ist es dabei besonders wichtig, dass Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit ist. Gesundheit ist ein vielschichtiger Begriff. Deshalb ist es beispielsweise für die Gesundheitsförderung durch Sport sehr wichtig zu klären, welche »Gesundheit« gefördert werden soll (Lektion 4). In der darauf folgenden Lektion wird der Spitzensport genauer unter die Lupe genommen. Dabei geht es zum einen um die Frage nach den grundlegenden Strukturen dieses Sozialsystems. Zum anderen analysieren wir anhand von zwei Beispielen (Doping, Gesundheit), wie diese Strukturen das Handeln von Athleten, Trainern und Managern prägen (Lektion 5). Abschließend setzen wir uns mit Trends im Sport auseinander. Wir gehen darauf ein, wie sich Trends begrifflich von Moden und Hypes unterscheiden. Anschließend erläutern wir die Mechanismen, denen Trends (auch im Sport) folgen (Lektion 6).

• In Teil II rückt die Organisation des Sports in den Mittelpunkt. Hier geben wir zunächst einen Überblick, wie der organisierte Sport in Deutschland strukturiert ist, angefangen bei übergeordneten Dachverbänden, bis hin zum Sportverein. Danach beschreiben wir die Strukturen des Sports, die der Organisation internationaler Wettkämpfe zugrunde liegen (Lektion 7). In einer weiteren Lektion diskutieren wir den Wandel des Sportvereins, der in Deutschland der zahlenmäßig größte Sportanbieter ist. Heute gibt es nicht mehr »den« Sportverein. Sportvereine unterscheiden sich im Hinblick auf die Größe, die Angebote, das Klientel und die Mitarbeiterstruktur. Nach einer Beschreibung des Erscheinungsbildes von heutigen Sportvereinen diskutieren wir die Mechanismen, die dem strukturellen Wandel von Sportvereinen zugrunde liegen (Lektion 8). Welche Besonderheiten beim Management von Sportvereinen zu beachten sind, besprechen wir in der letzten Lektion des zweiten Hauptteils. Dabei erklären wir, warum Sportvereine als Freiwilligenorganisationen anders zu steuern sind als beispielsweise Wirtschaftsunternehmen (Lektion 9).

• Teil III beschäftigt sich mit Aspekten der Teilhabe am Sport. Zunächst behandeln wir die Sozialisation im und durch Sport. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Diskussion von Forschungsergebnissen zu sozialen Faktoren, welche den Zugang zum Sport bedingen und zur Auswirkung des Sporttreibens auf das Denken und Handeln der Sport treibenden Personen (Lektion 10). In der darauf folgenden Lektion diskutieren wir soziale Ungleichheiten hinsichtlich des Zugangs zum Sport. Wir stellen die wichtigsten Erklärungsmodelle sozialer Ungleichheit vor und besprechen anschließend empirische Befunde zu sozialen Ungleichheitsphänomenen (Lektion 11). Gesondert behandeln wir die Frage nach der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in den Sport. Diesem Thema wird derzeit sowohl in der Wissenschaft als auch in der Sportpraxis eine große Relevanz zugesprochen. Wie kompliziert diese Diskussion ist, zeigt bereits die Auseinandersetzung mit zentralen Begrifflichkeiten dieses Forschungsbereichs. Dass der Sport zwar viele Integrationspotenziale bereithält, in der Praxis doch immer wieder Grenzen der Integration auftauchen, ist eine wichtige Erkenntnis der sportsoziologischen Forschung zu diesem Thema (Lektion 12). Den Abschluss der Lektion bildet eine Auseinandersetzung mit dem Thema »soziale Konflikte« im Sport. Wie in anderen Sozialbereichen sind Konflikte auch im Sport keine Seltenheit. Die Strukturen des Sports erzeugen aber ganz spezifische Konfliktpotenziale, die in dieser Lektion vorgestellt werden. Daran anschließend fragen wir danach, aus welchen Gründen Konflikte eskalieren. Die Lektion abschließend behandeln wir die Bedingungen einer Deeskalation von Konflikten (Lektion 13).

Die behandelten Themen bilden eine exemplarische Auswahl von Forschungsfragen ab. Bei der Auswahl haben wir darauf geachtet, v. a. auch Themen zu berücksichtigen, die den aktuellen sportsoziologischen Diskurs – aus unserer Sicht – maßgeblich geprägt haben oder prägen. In Anbetracht der thematischen Vielfalt sportsoziologischer Forschung und Theoriebildung erhebt das Buch jedoch nicht den Anspruch, alle sportsoziologisch relevanten Themen zu behandeln.

Die einzelnen Lektionen sind als Grundlagentexte zu verstehen. Sie ermöglichen den Einstieg in ein Thema – keinesfalls aber eine erschöpfende Auseinandersetzung. Die Lektionen liefern dem Leser also einen Überblick über zentrale Begriffe, Modelle, Erkenntnisse und Zusammenhänge. Zusätzlich enthält der Text an verschiedenen Stellen Hinweise, die eine vertiefende Auseinandersetzung ermöglichen.

Noch ein Hinweis zur Darstellung der Lektionen: Die Autoren haben sich stets bemüht, komplexe Zusammenhänge einfach darzustellen, d. h. in ihrer Komplexität zu reduzieren. Dieses Vorhaben stößt jedoch hin und wieder an seine Grenzen; denn manche Zusammenhänge sind eben nur dann zu durchschauen, wenn ihrer Komplexität Rechnung getragen wird und die soziologischen Fachbegriffe verwendet werden, die zugegebenermaßen nicht immer einfach zu verstehen sind. Aus diesem Grund finden sich in einigen Lektionen auch Passagen, deren Lektüre etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen wird als der restliche Text. Für manche Studienanfänger wird dies eine interessante Herausforderung sein, manchen mag dies anfangs aber möglicherweise auch schwierig erscheinen und eventuell »lästig« sein. Doch um soziale Phänomene im Sport beschreiben, verstehen und erklären zu können, ist aus unserer Sicht eine Fachsprache unumgänglich.

Damit die Studierenden sehen, dass die vorgestellten sportsoziologischen Erkenntnisse von Forschern aus der ganzen Welt stammen, die sich oft jahrelang in unzähligen Studien mit den betreffenden Themen auseinandergesetzt haben, fallen die zu den einzelnen Kapiteln gehörenden Literaturlisten etwas länger aus, als dies bei Lehrbüchern in der Regel der Fall ist. Aus Platzgründen werden wir dennoch nicht immer alle Autoren nennen können, die sich mit dem betreffenden Thema irgendwann einmal beschäftigt haben. Wir beschränken uns (auch aus Gründen der Lesbarkeit) bei der Nennung von Autoren im Text daher entweder auf die Autoren von Überblickswerken zum jeweiligen Thema, oder auf diejenigen Autoren, die den Diskurs maßgeblich geprägt haben oder die Grundlage für die im Text diskutierten Gedanken geliefert haben.

Neben unserem Buch gibt es im deutschsprachigen Raum eine ganze Reihe an weiteren Überblickswerken zur Sportsoziologie. Dazu gehören beispielsweise folgende Arbeiten:

BETTE, K.-H. (2010). Sportsoziologie. Bielefeld: Transcript.

CACHAY, K. & THIEL, A. (2000). Soziologie des Sports. Weinheim: Juventa.

HEINEMANN, K. (2007). Einführung in die Soziologie des Sports (5. Aufl.). Schorndorf: Hofmann.

WEIS, K. & GUGUTZER, R. (Hrsg.). (2008). Handbuch Sportsoziologie. Schorndorf: Hofmann.

All diese Werke sind sehr lesenswert. Sie haben alle ihren jeweils eigenen Zugang zum Thema. Manche sind sehr spezifisch und gehen sehr differenziert auf Forschungsfragen der Sportsoziologie ein, andere bieten eher einen breiten Überblick. Damit sind sie eine gute Ergänzung zu unserem Buch, weshalb wir auch an entsprechenden Stellen immer wieder auf diese Veröffentlichungen hinweisen.

Eine letzte Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir im Folgenden in der Regel die maskuline Form. Gemeint sind damit beide Geschlechter.

Lektion 1

Gegenstandsbereich der Sportsoziologie

1 Einleitung

Sport ist eine aus der modernen Gesellschaft nicht mehr wegzudenkende Erscheinung. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung bezeichnet sich heute als mehr oder weniger sportlich aktiv. In der Alltagssprache und -mode ist Sport allgegenwärtig. Doch warum stellt Sport heute eines der zentralen öffentlichen Themen dar? Wie hat sich der Sport entwickelt? Nach welchen Logiken funktioniert der Spitzensport eigentlich im Vergleich zum Breitensport? Inwieweit haben Zuwanderungsprozesse seit den 1950er-Jahren Einfluss auf das deutsche Sportsystem genommen? Die Sportsoziologie versucht, Antworten auf diese und andere Fragen zu geben. Dabei nimmt sie eine spezifische Perspektive ein. Womit sich die Sportsoziologie genau beschäftigt, was ihre spezifische Perspektive auszeichnet und wie sie sich zu einer wichtigen Teildisziplin der Sportwissenschaft entwickelte, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

Folgende Themenbereiche werden im Laufe der Lektion bearbeitet:

• Prinzipien und Erkenntnismodelle soziologischen Denkens

• Theoriebildung und Paradigmen in der Soziologie

• Soziologische Referenztheorien

• Soziologische Forschungsmethoden

• Entstehungsgeschichte der Sportsoziologie

• Sport als vielschichtiger Begriff

• Grundfragen der Sportsoziologie

2 Soziologie als »Mutterwissenschaft«

Die Sportsoziologie bedient sich der Theorien und Methoden der allgemeinen Soziologie. Die Disziplin Soziologie entwickelte sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Den Begriff Soziologie führte der französische Philosoph Auguste Comte ein. Er verband damit den Anspruch, eine »soziale Physik« zu entwerfen, die sich v. a. mit der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen beschäftigt. Den Status einer wissenschaftlichen Disziplin erlangte die Soziologie durch Pioniere wie Émile Durkheim, Georg Simmel oder Max Weber Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. GUKENBIEHL, 2010). Dabei wurde von Anfang an gefordert, dass man bei der Untersuchung »sozialer Tatsachen« im Prinzip vorgehen müsste wie in der naturwissenschaftlichen Forschung.

Umfassende Einblicke in die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Soziologie bieten z. B. die Arbeiten von Hermann KORTE (2006) und Volker KRUSE (2008).

Die »klassische« Ausgangsfrage der Soziologie lautet: Was steckt dahinter? (CACHAY & THIEL, 2000). Von Anfang an hatte die Soziologie den Anspruch, ein tiefer gehendes Verständnis von gesellschaftlichen Prozessen und Phänomenen zu liefern. Soziale Phänomene sollten – im Gegensatz zu etablierten Wissenschaften wie der Philosophie, Psychologie oder der Erziehungswissenschaft – durch soziale Mechanismen, Dynamiken oder Muster, die dem Phänomen inhärent sind, erklärt werden.

Veranschaulichen lässt sich die Perspektive der Soziologie anhand einer klassischen Studie von Émile Durkheim. Unter dem Titel »Le suicide« veröffentlichte der Soziologe im Jahr 1897 eine Studie, die sich mit dem gesellschaftlich weitgehend tabuisierten Phänomen des Selbstmords beschäftigt. Von grundlegender Bedeutung für die Etablierung der Soziologie ist diese Studie deshalb, weil sie auf die Relevanz von sozialen Bedingungen für das Handeln des Einzelnen verweist (DURKHEIM, 1973). Anders als die Psychologie oder die Medizin erklärte Durkheim den Selbstmord nicht als Ergebnis psychologischer Zustände, sondern zeigte, dass das Suizidverhalten in erheblicher Weise mit sozialen Faktoren in Verbindung steht. Durkheims Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Selbstmordrate bei Protestanten zu dieser Zeit über der von Katholiken und Juden lag. Durkheim führte diese Differenz u. a. auf die schwächere Einbindung der Protestanten in eine Gruppe und, damit verbunden, auf eine geringere soziale Kontrolle zurück. Die geringere Selbstmordrate bei Katholiken erklärte Durkheim u. a. mit dem Verweis auf eine stärkere Anerkennung von Autoritäten.

Seit den ersten Studien hat der soziologische Diskurs eine Vielzahl von Definitionen dessen hervorgebracht, was unter Soziologie zu verstehen ist. Heute noch sehr geläufig ist eine Definition von Max Weber aus dem Jahr 1921. Soziologie repräsentiert demnach »eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und in seinen Wirkungen ursächlich erklären will« (WEBER, 1984, S. 19). Ein grundlegender Anspruch der Soziologie besteht somit darin, »soziale Tatbestände«, d. h. gesellschaftliche Prozesse, Abläufe, Strukturen und Zusammenhänge, zu beschreiben, zu verstehen und zu erklären. Der Anspruch der modernen Soziologie besteht nun darin, »das Ineinandergreifen geplanter Prozesse und ungeplanter Veränderungen zu beobachten« (NASSEHI, 2008, S. 26). Sie zielt darauf ab, Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und sozialem Handeln offenzulegen (BERGER & LUCKMANN, 1967) und untersucht deshalb Voraussetzungen, Abläufe und Folgen des Zusammenlebens von Menschen. Dabei steht eben nicht das Individuum im Mittelpunkt. Der Gegenstand der Soziologie umfasst vielmehr das soziale Handeln von Menschen, die Strukturen sozialer Zusammenhänge und die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Menschen und die sozialen Prozesse in der Gesellschaft, also wie sich soziale Strukturen, soziale Beziehungen und soziales Handeln über die Zeit verändern (vgl. THIEL, 2011). Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Frage, inwieweit Menschen Gesellschaft schaffen oder aber durch sie geschaffen werden (CACHAY & THIEL, 2000).

Im Zentrum des Erkenntnisinteresses der Soziologie steht das »Soziale«. Während dieser Begriff im Alltag in der Regel normativ konnotiert und moralisch aufgeladen ist, wird er in der Soziologie neutral verwendet. Wenn Soziologen von »sozialem« Handeln sprechen, geht es nicht um die Klärung der Frage, inwieweit eine Person umgänglich, freundlich, hilfsbereit oder zuvorkommend ist. Der Begriff besitzt in der Soziologie keine wertende Komponente, sondern subsummiert alle Handlungen, die in gesellschaftlichen Zusammenhängen stattfinden und in denen Menschen in Interaktion miteinander treten (vgl. CACHAY, 1988).

2.1 Prinzipien und Erkenntnismodelle soziologischen Denkens

Um zu Erkenntnissen über soziale Phänomene zu kommen, geht die Soziologie in ganz spezifischer Weise vor. So ist das soziologische Denken durch bestimmte »Prinzipien« geprägt (CACHAY, 1988):

• Die Soziologie ist eine Erfahrungswissenschaft. Erfahrungswissenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf empirische Aussagen ausgerichtet sind. Der Überprüfbarkeit dieser Aussagen kommt große Bedeutung zu.

• Ein weiteres wesentliches Merkmal soziologischen Denkens besteht darin, dass Aussagen nicht normativ sein sollen. Im Selbstverständnis der Sportsoziologie geht es vielmehr darum, deskriptive Aussagen aufzustellen. Im Gegensatz zur Ethik versucht die Soziologie, ein Phänomen so darzustellen, wie es sich zeigt und nicht, wie es sein soll.

• Das »Prinzip der Werturteilsfreiheit«, auf das insbesondere Max Weber verweist, ist grundlegend für die moderne Soziologie, denn es macht die ideologische Neutralität zu einer Grundvoraussetzung soziologischer Erkenntnisgewinnung (vgl. MÜLLER, 2007). In diesem Sinne ist auch Max Webers Forderung zu verstehen, soziologische Theoriebildung müsse frei von Bewertungen sein, denn es ginge einzig und allein darum, soziale Tatsachen möglichst präzise zu beschreiben. Demzufolge seien Werturteile in der Soziologie nicht angebracht.

• Schließlich zeichnet sich das soziologische Denken durch das Festhalten allgemeiner Aussagen aus, die einen weiten Geltungsbereich aufweisen. Die Aussagen sind zeitlich und örtlich minimal eingeschränkt, d. h., eine Aussage über ein konkretes gesellschaftliches Phänomen darf weder nur an einem bestimmten Ort noch nur zu einer bestimmten Zeit gelten.

2.2 Theoriebildung in der Soziologie

Nicht wenige stellen sich die Frage, wozu denn überhaupt soziologische Theorien taugen und ob unser Alltagsverstand nicht auch ausreicht, um zu Erklärungen für soziale Phänomene zu gelangen. Diese Lektion würde genau an dieser Stelle enden, wenn sich diese Frage mit »Ja« beantworten ließe. Doch die Soziologie geht davon aus, dass der Alltagsverstand nicht ausreicht, um tragfähige Erklärungen zu liefern. Zwar stellt auch der Alltagsverstand »Theorien« auf. Alltagstheorien sind jedoch nichts anderes als »naive Theorien«, die nicht in ausreichendem Maße belegt bzw. geprüft wurden. Dass naive Theorien keine tragfähigen Erklärungen für Phänomene der gesellschaftlichen Wirklichkeit und des sozialen Handelns liefern, hängt insbesondere damit zusammen, dass sie weder auf klar festgelegte Begrifflichkeiten zurückgreifen noch Methoden einsetzen, die von anderen nachvollzogen werden können. Mit der fehlenden Nachvollziehbarkeit geht ferner das Problem der »Blindheit« der Alltagstheorie gegenüber den Grenzen der eigenen Aussagen einher (THIEL, 2011).

Im Gegensatz zu Alltagstheorien gehen soziologische Theorien nicht davon aus, dass es möglich ist, einen sozialen Tatbestand so zu beschreiben, »wie er ist«, sondern so, »wie man ihn sieht«. Es ist diese grundlegende Erkenntnis, die vielen Menschen nicht von vornherein einleuchtet. Denn in der Regel herrscht die Meinung vor, dass das, was man mit eigenen Augen sieht, »wahr« sei. Eines der wohl bekanntesten Beispiele dafür, dass die augenscheinlichste Erklärung nicht gleichzeitig auch die tragfähigste ist, liefert die Ablösung des geozentrischen Weltbildes durch das heliozentrische Weltbild. Lange Zeit wurden die Beobachtungen der Himmelskörper so gedeutet, dass die Sonne und die Sterne um die Erde kreisen. Bis ins 17. Jahrhundert wurde dieses geozentrische Weltbild auch vonseiten der Wissenschaft vertreten. Dieses Weltbild basierte auf jahrhundertelangen systematischen Beobachtungen. Mit der Entdeckung der Jupitermonde durch Galilei (1564-1642) und der Theorie der elliptischen Planetenbewegungen durch Kepler (1571-1630) musste diese »Wahrheit« schließlich revidiert werden. Trotz aller Augenscheinlichkeit war sie nicht mehr mit aktuellen Erkenntnissen der Mathematik, Physik und Astronomie vereinbar (vgl. JOAS, 2007; THIEL, 2011).

Das Beispiel macht deutlich, dass das, was uns der Alltagsverstand rät, nicht unbedingt stimmen muss. Der Soziologe Peter Berger fasst diese zentrale Erkenntnis folgendermaßen zusammen: »Man kann wohl sagen, dass die erste Stufe der Weisheit in der Soziologie ist, dass die Dinge nicht sind, was sie scheinen« (2011, S. 41). Diese Erkenntnis lässt sich auch auf die Erklärung sozialer Phänomene übertragen. Soziologischer Theoriebildung kommt die Aufgabe zu, Alltagstheorien und populäre Deutungsmuster zu sozialen Phänomenen kritisch zu reflektieren. Die Rolle des Soziologen ist damit die eines zweifelnden Beobachters. Ausgehend von diesem kritischen Anspruch, beinhaltet soziologisches Denken »eine Art ›Kunst des Misstrauens‹ gegenüber den Selbstverständlichkeiten des Alltags« (EICKELPASCH, 1999, S. 10). Die kritische Distanz soll dabei auch zu den eigenen Theorien gewahrt bleiben. Denn die im soziologischen Reflexionsprozess gewonnenen Aussagen können nur unter der Voraussetzung, dass sie von anderen nachvollzogen und überprüft werden können, Gültigkeit im wissenschaftlichen Sinne erlangen. Denn nur dann besteht die Möglichkeit, dass theoretische Annahmen systematisch verworfen und durch »bessere«, d. h. letztendlich für den Alltag fruchtbarere, Theorien ersetzt werden.

Um tragfähige Theorien aufzustellen, greifen Soziologen in der Regel auf eine wissenschaftliche Fachsprache zurück. Schon der bedeutende Soziologe Alfred Schütz wies der Soziologie die Aufgabe zu, »die soziale Welt so klar wie möglich durch wohlgeordnete Ausdrücke [zu] beschreiben, und zwar in Übereinstimmung mit den wissenschaftlichen Idealen der Kohärenz, der Konsistenz und der analytischen Konsequenz« (SCHÜTZ, 1972, S. 54). Diese aus soziologischer Perspektive »klare« und »wohlgeordnete« Sprache wird von Nicht-Soziologen häufig als »überkompliziert« und »unverständlich« bewertet. Und tatsächlich lassen sich viele soziologische Arbeiten und Texte nicht immer beim ersten Lesen verstehen. Der fast schon als klassisch zu bezeichnende Vorwurf an die Soziologie, sie würde soziale Phänomene lediglich kompliziert ausdrücken, übersieht aber, dass die Soziologie ebenso wie die Physik oder die Philosophie eine Fachsprache benötigt, die sich von der Mehrdeutigkeit der Umgangssprache abgrenzt und die eben nur dann zu verstehen ist, wenn man sich deren Begriffe, Theorien und Methoden aneignet. Niemand würde von einem Physiker erwarten, seinen Schülern oder Studenten die Grundsätze der Quantenphysik zu erklären, ohne das dazu notwendige Fachvokabular zu benutzen. Doch von der Soziologie verlangt man genau das, da sie sich mit Alltagsproblemen beschäftigt, zu denen fast jeder etwas sagen kann und will. Hier zeigt sich ein Dilemma der Soziologie. Sie muss sich immer wieder für ihre Fachsprache rechtfertigen, insbesondere auch vor denen, die in der Praxis mit den Problemen zu tun haben, mit denen sich die Soziologie beschäftigt. Gleichzeitig ist eine Fachsprache zentrale Voraussetzung für Wissenschaftlichkeit und die Überprüfbarkeit von Theorien (vgl. THIEL, 2011).

2.3 Soziologische Referenztheorien

Der Theorie kommt in der Soziologie eine fundamentale Bedeutung zu. Soziologische Theorien sind darauf ausgelegt, Erklärungen für soziale Phänomene und Prozesse zu liefern. Der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper beschreibt die Rolle der Theorie folgendermaßen: »Theorie ist das Netz, das wir auswerfen, um ›die Welt‹ einzufangen – sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen« (POPPER, 1935, S. 31).

Trotz ihrer kurzen Wissenschaftsgeschichte hat die Soziologie eine Vielzahl an konkurrierenden Theorien und Perspektiven hervorgebracht. Zudem hat sich eine Reihe sogenannter Bindestrich-Soziologien entwickelt (z. B. Rechtssoziologie, Wirtschaftssoziologie, Migrationssoziologie), die sich mit speziellen Fragen bzw. Gegenstandsbereichen beschäftigen und die sich oft auch durch spezifische Zugänge auszeichnen. Auf den ersten Blick ist diese Vielfalt zunächst irritierend – v. a. für diejenigen, die von der Soziologie endgültige Wahrheiten erwarten. Dazu kommt, dass sich die Soziologie nicht selten mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass verschiedene theoretische Zugänge beim Blick auf ein und dasselbe Phänomen zu unterschiedlichen und bisweilen gegensätzlichen Ergebnissen gelangen.

Der wesentliche Unterschied zwischen verschiedenen Theorien besteht nun darin, »dass sie die Realität – bildlich gesprochen – mit unterschiedlichen Objektiven, Blenden und Lichtstärken wahrnehmen« (BETTE & SCHIMANK, 2006, S. 21). In der Logik soziologischen Denkens haben diese unterschiedlichen »Wahrnehmungen« durchaus ihre Berechtigung. Denn die Soziologie versteht sich als »multiparadigmatische Wissenschaft« (KNEER & SCHROER, 2009, S. 7). Die Vielfalt an theoretischen Zugängen wird als Chance gesehen, um zu ergänzenden Perspektiven auf soziale Phänomene zu kommen, die wiederum zu einem tieferen Verständnis führen. In diesem Sinne fungieren (soziologische) Theorien als »Beobachtungsinstrumente für die analytische Durchdringung der Wirklichkeit« (BETTE & SCHIMANK, 2006, S. 21).

In weiten Teilen der Soziologie besteht Einigkeit darüber, dass sich Gesellschaft und gesellschaftliche Räume lediglich als Konstruktionen von Wirklichkeit denken lassen. Mit Konstruktivismus wird ein erkenntnistheoretisches Paradigma bezeichnet, welches Wirklichkeit als auf fundamentale Weise individuell und sozial konstruiert versteht. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass »Erkennen und Wissen nicht der Niederschlag eines passiven Empfangens sein können, sondern als Ergebnis von Handlungen eines aktiven Subjekts entstehen« (GLASERSFELD, 2007, S. 30). Realität und Wahrheit sind somit keine objektiven Phänomene, sondern relative, beobachterabhängige Konstruktionen von Wirklichkeit, die das Ergebnis von Interaktionen, Deutungen und Interpretationen sind. Einblicke in die erkenntnistheoretische Denktradition liefern die Beiträge von Karin KNORR-CETINA (1989) sowie von Peter BERGER und Thomas LUCKMANN (1967).

Nun ist es im Rahmen einer Lektion nicht möglich, alle bedeutenden theoretischen Ansätze des 20. Jahrhunderts umfassend darzustellen. Stattdessen sollen im Folgenden einige ausgewählte theoretische Zugänge, die den sportsoziologischen Diskurs maßgeblich beeinflusst haben, kurz angedeutet werden. Exemplarisch unterschieden werden soll an dieser Stelle zwischen system-, akteur-, zivilisations- und kulturtheoretischen Zugängen.

Abb. 1:Theoretische Zugänge der Soziologie

Systemtheoretische Zugänge

Niklas LUHMANN (1984) kennzeichnet die moderne Gesellschaft als in verschiedene Teilsysteme gegliedert, die sich jeweils primär an einer bestimmten Funktion orientieren. Politik und Verwaltung, Wirtschaft, religiöses Handeln, Familie, Wissenschaft, Erziehung usw. treten als verschiedene Sozialsysteme mit relativ hoher Autonomie nebeneinander, wodurch die Gesellschaft eine neue Stufe der Komplexität erreicht: »Die ausdifferenzierten Teilsysteme gewinnen durch Spezialisierung auf ihre besondere Funktion hohe Freiheiten – etwa in der religiösen Dogmenabstraktion und -interpretation, in der politischen Machtausübung und Rechtsänderung, in der finanziellen Disposition über Kapitalbildung, Investition und Konsum, in der wissenschaftlichen Forschung – und diese Freiheiten sind nicht mehr durch gemeinsame Zielvorstellungen aufeinander abgestimmt. So entsteht ein strukturell erzeugter Überhang an Möglichkeiten. Die Gesellschaft wird überkomplex, da sie mehr Möglichkeiten konstituiert, als sie aktualisieren kann« (LUHMANN, 1970, S. 186-187).

Ein wichtiger Unterschied der systemtheoretischen Perspektive zu handlungstheoretischen Ansätzen ist, dass mit dem Begriff des sozialen Systems nicht die Ausdifferenzierung von Menschen, sondern von Kommunikationszusammenhängen bezeichnet wird (vgl. CACHAY & THIEL, 2000). »Ausdifferenziert werden können nur Kommunikationszusammenhänge, nicht Menschen« (LUHMANN, 1981, S. 35). Personen sind gemäß dieser Perspektive Adressaten von Kommunikation. Sie nehmen zwar an verschiedenen sozialen Systemen teil, gehen aber in keinem dieser Systeme vollständig auf. Weil das Erleben und Handeln von Personen durch kein soziales System voll zu regulieren ist, werden sie in der Systemtheorie konsequenterweise zur Umwelt (genauer gesagt zur »inneren Umwelt«) von Sozialsystemen gerechnet (vgl. CACHAY & THIEL, 2000). Soziale Systeme entstehen ja überhaupt erst auf der Basis der Nichtidentität von Personen und dem damit verbundenen Problem der doppelten Kontingenz. Damit ist gemeint, dass alles »auf andere Menschen bezogene Erleben und Handeln darin doppelt kontingent ist, daß es nicht nur von mir, sondern auch vom anderen Menschen abhängt, den ich als alter ego, das heißt also ebenso frei und ebenso launisch wie mich selbst begreifen muß« (LUHMANN, 1971, S. 62). Entgegen der Aussagen vieler Kritiker der Systemtheorie wird also nicht bezweifelt, dass es so etwas wie Individualität, individuelle Werte und Bedürfnisse gibt. Im Gegenteil: Gerade weil es Individualität gibt, wird der Fokus auf die Strukturen und Prozesse gerichtet, die Ordnung zwischen Individuen schaffen bzw. dafür verantwortlich sind, dass Individuen regelhaft handeln (THIEL, 2011).

In der deutschsprachigen Sportsoziologie findet sich eine ganze Reihe an Fragestellungen und Studien, denen ein systemtheoretischer Zugang zugrunde liegt. Typisch für die sportsoziologische Systemtheorie ist die Frage nach jenen Ordnungen, welche die Subsysteme des Sports (z. B. Breitensport, Spitzensport, Trendsport; Gesundheitssport) in fundamentaler Weise prägen (vgl. u. a. BETTE, 1999; CACHAY, 1988; CACHAY & THIEL, 2000; STICHWEH, 1990). In jüngerer Zeit wurden u. a. auch Fragen zum Doping (BETTE & SCHIMANK, 2006), zur strukturellen Kopplung von Schule und Spitzensport (TEUBERT, BORGGREFE, CACHAY & THIEL, 2006), zum Berufsfeld Trainer (DIGEL, THIEL, SCHREINER & WAIGEL, 2010) oder zum Umgang mit Gesundheit im Spitzensport (THIEL, MAYER & DIGEL, 2010) aus systemtheoretischer Perspektive analysiert.

Akteurtheoretische Zugänge

Im Gegensatz zur Systemtheorie kommt in handlungstheoretischen Zugängen dem Individuum eine zentrale Bedeutung bei der Erklärung des Sozialen zu. Gegenstand von Akteurtheorien sind Zusammenhänge zwischen Handlung und sozialer Struktur. Wichtige Soziologen, die diesen Zugang geprägt haben, waren z. B. Max Weber, Georg Simmel oder James S. Coleman. Charakteristisch für die soziologische Akteurtheorie ist, dass Individuen als handelnde Akteure und Konstrukteure gesellschaftlichen Sinns verstanden werden. Um das Soziale erklären zu können, sind darum zunächst gesellschaftliche Akteure in ihren Handlungsvollzügen, genauer gesagt, die »wechselseitige Konstitution von handelndem Zusammenwirken und sozialen Strukturen« (SCHIMANK, 2005, S. 23), zu untersuchen. Geradezu beispielhaft für diesen Zugang ist das von COLEMAN (1991) stammende und von dem deutschen Soziologen Hartmut ESSER (1999) weiterentwickelte »Badewannen-Modell«. Im Wesentlichen lässt sich das Modell auf drei Hauptfragen reduzieren. Erstens wird gefragt, in welcher Weise strukturelle und institutionelle Bedingungen Einfluss auf das individuelle Handeln nehmen. Zweitens geht es um die Frage, wie gesellschaftliche Werte individuelles Handeln beeinflussen. Drittens ist zu erklären, wie individuelles Handeln gesellschaftliche Ordnungen verändern kann. Im Vordergrund akteurtheoretischer Zugänge steht die Relation zwischen Handlung und gesellschaftlichen Strukturen. Es geht also nicht darum, zu erklären, »warum ein Sportjournalist einen Dopingfall aufgreift und in einem Zeitungsartikel als Auswuchs des politischen Drucks auf alle Spitzensportler darstellt« (SCHIMANK, 2005, S. 24). Aus Sicht der Akteurtheorie ist vielmehr entscheidend, »wie dieses Handeln eines einzelnen Journalisten mit dem Handeln anderer Akteure – anderer Journalisten, aber auch der Sportfunktionäre oder des Sportpublikums – zusammenwirkt« (SCHIMANK, 2005, S. 24).

Über die genannten handlungstheoretischen Ansätze hinaus hat im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren insbesondere auch ein Versuch des Soziologen Uwe SCHIMANK (2000), akteurtheoretische Ansätze mit systemtheoretischen Perspektiven zu verbinden, Aufmerksamkeit erregt. Auch die sportsoziologische Forschung wurde durch Schimanks Analyse-Modell stark beeinflusst. Eine der ersten sportsoziologischen Arbeiten, in denen dieser Ansatz angewandt wurde, stammt von Ilse HARTMANN-TEWS (1996) und beschäftigt sich mit dem »Strukturwandel des Sports im internationalen Vergleich«. Siegfried NAGEL (2006) wendet diesen Ansatz zur Analyse der Entwicklung von Sportvereinen an. Um Veränderungs- und Entwicklungsprozesse im Sportverein zu erklären, wird der Sportverein in dieser Untersuchung zum einen als »korporativer Akteur« mit spezifischer Organisationsstruktur und -kultur betrachtet. Zum anderen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich Sportvereine aus individuellen Akteuren zusammensetzen. Gefragt wird also nicht nur danach, inwieweit die Mitglieder in ihren Handlungen Veränderungen in Gang setzen, sondern auch umgekehrt, inwieweit die strukturellen Besonderheiten von Sportvereinen das Handeln der Mitglieder beeinflussen.

Zivilisations- und figurationstheoretische Zugänge

Mit der Figurations- und Zivilisationstheorie verbindet man v. a. den Soziologen Norbert Elias. Zivilisations- und figurationstheoretische Zugänge zielen darauf ab, grundlegende zivilisatorische Entwicklungsprozesse zu beschreiben und zu erklären. Dazu greifen sie auch auf Erkenntnisse aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen, wie z. B. die Geschichtswissenschaft, zurück. Im Gegensatz zu vielen anderen Soziologen geht Elias dabei nicht von einem deterministischen, sondern von einem dynamischen Geschichts- und Gesellschaftsverständnis aus, dem die Annahme eines wechselseitigen Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft zugrunde liegt. Der Blick richtet sich dabei nicht auf das einzelne Individuum oder Handlungen einzelner Akteure, sondern auf die Beziehungen, in denen Menschen zueinander stehen. Gesellschaft wird in den Arbeiten von Norbert Elias als etwas Prozesshaftes angesehen, das sich in seiner Dynamik nur dann erfassen lässt, wenn man Menschen in ihren gesellschaftlichen Beziehungs-, Verflechtungs- und Verstrickungszusammenhängen betrachtet. Kennzeichnend für diesen prozesstheoretischen Zugang ist der Begriff der Figuration. Mit Figurationen sind Muster in den Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen bezeichnet. Veränderungen in diesen Konstellationen machen auf Entwicklungsprozesse aufmerksam (ELIAS, 1939).

Eine wichtige figurationstheoretische Arbeit aus dem Bereich der Sportsoziologie stammt von Norbert ELIAS und Eric DUNNING (2003). Im Zentrum der Arbeit »Sport und Spannung im Prozess der Zivilisation« stehen Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Zivilisationsprozessen und der Entwicklung des (modernen) Phänomens Sport.

Kulturtheoretische und praxeologische Zugänge

Die Kultursoziologie ist eine äußerst vielfältige und heterogene Bindestrich-Soziologie. Zur Kultursoziologie im weitesten Sinne sind auch die Arbeiten von Pierre Bourdieu – einem der wichtigsten Soziologen des 20. Jahrhunderts – zu rechnen, die einen sehr großen Einfluss auf die Sportsoziologie hatten und noch immer haben. Die Besonderheit des Bourdieuschen Ansatzes ist die Verbindung von strukturalistischen mit subjektivistischen Denktraditionen bei der Erklärung von Gesellschaft. Basierend auf einer Vielzahl empirischer Erkenntnisse, kommt Bourdieu zu dem Ergebnis, dass der Möglichkeitsraum von Individuen durch konkrete strukturelle Rahmenbedingungen, wie z. B. den ökonomischen Status oder das Bildungsniveau, gekennzeichnet ist, dass Menschen diesen Rahmen aber gleichzeitig in sehr individueller Weise gestalten. Gesellschaft ist bei Bourdieu ein in hohem Maße symbolischer Raum, der aus zahlreichen Statusgruppen besteht und dessen zentrale Logik die der Differenz ist. Im Alltag zeigt sich diese Differenz in verschiedenen Lebensstilen und Habitusformen. Der Begriff des Habitus ist Dreh- und Angelpunkt des Bourdieuschen Ansatzes. Der Habitus einer Person fungiert als Mittler zwischen Struktur und Praxis. Habituelle Dispositionen werden im Laufe der Sozialisation erzeugt und in der Praxis durch Handeln einverleibt. Der Habitus einer Person entsteht sowohl aus den konkreten Daseinsbedingungen und Regeln, die eine soziale Umgebung einem Individuum auferlegen, als auch aus individuellen Gestaltungsspielräumen, die sich dem Menschen bieten. Menschen sind somit keine passiven Rezipienten gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, sondern individuelle Gestalter dieser. Die Beziehungen zwischen dem handelnden Subjekt und den sozialen Strukturen, die sich in Handlungspraktiken zeigen, sind nicht linear determiniert. Sie werden vielmehr immer wieder neu von Individuen hervorgebracht, interpretiert und modifiziert (BOURDIEU, 1992; 1999).

Der Sport taucht in Bourdieus Werk primär als bedeutsame gesellschaftliche Praxis auf (ALKEMEYER, 2008). Gemäß dieser Perspektive repräsentiert der Sport in erster Linie einen symbolischen Raum. Im praktischen Vollzug besteht darin die Möglichkeit, Anerkennung zu erlangen und Statusgewinne zu erzielen. Gleichzeitig fungiert Sport als Raum, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten distinktiv zum Ausdruck zu bringen. Der sportbezogene praxeologische Diskurs wird stark von Arbeiten dominiert, die den Körper im Sport in den Blick nehmen (vgl. u. a. ALKEMEYER, 2006).

2.4 Soziologische Forschungsmethoden

Ähnlich vielfältig wie die theoretischen Zugänge sind die Methoden, die zur Analyse sozialer Phänomene eingesetzt werden. Da die Soziologie von ihrem Selbstverständnis her eine empirische Wissenschaft ist, hat sie im Laufe ihrer Wissenschaftsgeschichte verschiedene Methoden entwickelt. Jede dieser Methoden zielt darauf ab, Informationen über die zu beschreibenden sozialen Phänomene zu erhalten. Und doch ist für ein spezifisches Phänomen nicht jede Methode geeignet. So liegt es beispielsweise auf der Hand, dass die Beobachtung und Beschreibung des »heimlichen« Phänomens Doping andere methodische Designs erfordert als die Erfassung von besser sichtbaren Lebensstilen unterschiedlicher Breitensportler.

Im Hinblick auf die systematische Beobachtung, Beschreibung und Erklärung sozialer Phänomene lassen sich, in Anlehnung an den englischen Soziologen Antony GIDDENS (1999), vier Hauptmethoden der soziologischen Forschung unterscheiden: die Feldforschung, die Befragung, die Dokumentenanalyse und das Experiment.

Abb. 2:Forschungsmethoden der Soziologie

Feldforschung

Die Feldforschung greift in der Regel auf Formen der teilnehmenden Beobachtung zurück. Das Besondere an dieser Methode besteht darin, dass der Forscher selbst Teil des Feldes ist, das er untersucht. Allerdings kommt ihm in der Regel eine passive Rolle als stiller Beobachter zu. Seine besondere Rolle in einer Gruppe oder Gemeinschaft macht es ihm möglich, Beobachtungen aufzuzeichnen und diese später systematisch auf der Grundlage von Kategorien auszuwerten.

Ein aus Sicht der Sportsoziologie interessantes Beispiel für eine Feldforschung ist die ethnografische Feldstudie über den Berliner YAAM-Club (Young African Art Market) des Soziologen Robert SCHMIDT (2002). Der Fokus dieser Szene-Studie lag auf den Zusammenhängen zwischen Lebensstil, Alltagskultur und sportlicher Praxis. Beim YAAM-Club handelt es sich um einen spezifischen Freizeitraum, der sich durch regelmäßige, auf einem Freiluftgelände im Stadtteil Treptow stattfindende Veranstaltungen auszeichnet. Vor allem am Wochenende treffen sich dort Menschen mit ähnlichen Interessen, um am Spreeufer Musik zu hören, zu tanzen, Sport zu treiben, zu baden und vieles mehr. Schmidt beobachtete zum einen, dass die Veranstaltungen von Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft besucht wurden. Zum anderen zeigte sich, dass das Identitätsstiftende an dieser auf den ersten Blick so heterogen wirkenden Gruppe, der Glaube an eine »black culture«, d. h. eine Art »schwarze« Leitkultur, war. Über ein in den alltäglichen Interaktionen allgegenwärtiges »acting black« vergewisserten sich die Mitglieder ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe. SCHMIDTS (2002) Feldbeobachtungen ermöglichten es, Aussagen über die spezifische Identität der Gruppe, ihre Vorstellungen von Zugehörigkeit, aber auch über ihre sportlichen Präferenzen zu treffen. So macht die Studie eindrucksvoll deutlich, wie sehr der Glaube an eine »schwarze Kultur« auch in den körperlichen und sportlichen Praktiken zum Ausdruck kommt.

Der Vorteil der Feldforschungsmethode liegt auf der Hand. So kann der Forscher zum einen sehr differenzierte Informationen quasi aus erster Hand bekommen. Zum anderen ist er in der Lage, auf Besonderheiten im Feld direkt eingehen zu können. Dennoch ist dieses Verfahren auch mit Nachteilen verbunden. Der offensichtlichste Nachteil besteht im hohen Zeitaufwand, der für die Datenerfassung nötig ist. Zudem sind die Daten zumeist nur in geringer Weise verallgemeinerbar. Der Forscher kommt zwar zu spezifischen Informationen über eine spezielle Gruppe. Diese Informationen sind jedoch auch nur für diese Gruppe repräsentativ.

Befragung

Bei der Methode der Befragung ist zwischen qualitativen Interviewverfahren und quantitativen Fragebogenuntersuchungen zu unterscheiden. Qualitative Interviews zeichnen sich dadurch aus, dass relativ freie Gespräche mit ausgewählten Personen aus dem Untersuchungsfeld geführt werden. Im Kern geht es darum, möglichst tief gehende Daten zu generieren. In der Regel werden diese Daten aufgezeichnet, transkribiert und schließlich mithilfe von Kategorien aufwendig ausgewertet. Die Vor- und Nachteile von qualitativen Interviews ähneln denen der Feldforschung. So können im Rahmen von qualitativen Interviews nur wenige Personen befragt werden. Sie erlauben somit in den wenigsten Fällen repräsentative Aussagen. Zudem ist ihre Auswertung in der Regel deutlich zeitintensiver. Für Forschungsfragen, die es erfordern, direkt mit Personen zu sprechen, Rückfragen zu stellen und Zusammenhänge aufzudecken, die unter der Oberfläche liegen, bietet das qualitative Interview große Möglichkeiten.

Bei quantitativen Fragebogenstudien wird dagegen versucht, repräsentative Stichproben zu ziehen. Am Beispiel des Sportentwicklungsberichts des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) lässt sich dies gut veranschaulichen. Dieser zielt darauf ab, die Situation der Sportvereine in Deutschland zu beschreiben (BREUER, 2009). Erstellt werden Sportentwicklungsberichte auf der Grundlage von regelmäßigen Vereinsbefragungen und -analysen, in deren Rahmen die gleichen Sportvereine zu ihrer Situation befragt werden. Um Daten über die Entwicklung der Sportvereine zu sammeln, die für das Management von Sportvereinen sowie für prognostische Zwecke nutzbar sind, werden Online-Befragungen durchgeführt. Durch den Einsatz von Online-Fragebögen wird es möglich, eine repräsentative Stichprobe der über 90.000 Sportvereine in Deutschland zu befragen. Darüber hinaus lassen sich statistische Verfahren einsetzen, mithilfe derer sich beispielsweise Durchschnittswerte bei der Ausstattung von Vereinen, Tendenzen der Mitgliederentwicklung oder Veränderungen im Hinblick auf die Entwicklung von Angebotsstrukturen ablesen lassen. Indem die gleichen Vereine alle zwei Jahre die gleichen Fragen beantworten, sind Aussagen über Veränderungen reliabel.

Quantitative Befragungen haben somit erstens den Vorteil, dass sie Daten liefern, mit deren Hilfe statistische Aussagen für die Gesamtheit der Gruppe, die man untersuchen wollte, gemacht werden können. Ein weiteres Argument für diese Art der Befragung ist zweitens die statistische Vergleichbarkeit der Daten. In dem Maße, in dem Fragebögen sogenannte geschlossene Fragen enthalten, generieren sie Daten, die sich über statistische Verfahren miteinander ins Verhältnis setzen lassen. Drittens lassen sich in quantitativen Fragebögen für gewöhnlich mehr Fragen stellen als bei anderen Untersuchungsformen. Dies liegt v. a. daran, dass die Fragen standardisiert und damit einfacher zu beantworten sind als solche Fragen, wie sie in qualitativen Interviews gestellt werden. Gleichzeitig muss sich der Forscher dessen bewusst sein, dass die Antworten bei quantitativen Befragungen im Vergleich zu qualitativen Interviews eher oberflächlich sind. Zudem bergen Fragebögen die Gefahr, »sozial erwünschte« Antworten zu produzieren, d. h. Antworten, bei denen die Befragten so antworten, wie sie annehmen, dass sie antworten sollen. In diesen Fällen produzieren Studien »Artefakte«, d. h. Ergebnisse, die nicht empirisch evident sind.

Dokumentenanalyse

Bei der Dokumentenanalyse greift der Forscher auf dokumentarische Quellen zurück und extrahiert daraus die für seinen Gegenstand relevanten Daten. Zur Dokumentenanalyse eignen sich Briefe und Zeitungsartikel, Satzungen oder Sitzungsprotokolle, Gerichtsurteile, Homepages und vieles mehr. Das Ziel dieses methodischen Zugangs kann variieren. So kann es darin bestehen, bereits vorliegende Quellen auf verwertbare Daten zu prüfen. Anspruch einer solchen Analyse kann es jedoch auch sein, Informationen zu beschaffen, die durch eine mündliche oder schriftliche Befragung nicht bzw. nicht in gleicher Qualität zu erwarten wären. So wird die Dokumentenanalyse z. B. eingesetzt, wenn es darum geht, sich ein detailliertes Bild von einer historischen Epoche zu machen. Möchte man herausfinden, wie die Massenmedien über ein aktuelles politisches Thema (z. B. Integration) berichten, so bieten sich dazu ebenfalls Dokumentenanalysen an.

Ein Beispiel für ein sportsoziologisches Forschungsprojekt, bei dem Dokumentenanalysen im Vordergrund standen, ist eine Arbeit zur Rekonstruktion nationalsozialistischer Überzeugungen im Bereich des Sports (CACHAY, BAHLKE & MEHL, 2000). Die Erkenntnisgrundlage bildete eine Analyse von Feldpostbriefen, die junge Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg an ihren ehemaligen Kinderturnwart geschrieben hatten. Die Analyse dieser Feldpostbriefe gab grundlegende Einblicke in Zusammenhänge zwischen der Sozialisation im Sportverein und der Akzeptanz der nationalsozialistischen Ideologie in der Soldatenrolle. Diese Analyse zeigt auch sehr gut die Schwierigkeiten dieses methodischen Zugangs auf. Obwohl die Feldpostbriefe ein relativ differenziertes Bild von der Perspektive der Soldaten zeichneten, war es dennoch schwierig, zu belegen, in welchem Maße die Aussagen in den Briefen tatsächlich das Denken der Soldaten ungefiltert wiedergaben, nicht zuletzt, weil diese Briefe der Kontrolle unterlagen. Typisch ist dieses Problem für Dokumentenanalysen insofern, als der Forscher nicht immer sicher sein kann, ob die Quellen vollständig, authentisch oder beschönigt sind.

Experiment

Experimente sind nach wissenschaftlichen Standards entworfene Versuchsanordnungen, die oft in Labors durchgeführt werden. In diesen Versuchsanordnungen werden künstliche Situationen erzeugt, welche ganz spezifische Situationen aus der »Wirklichkeit« simulieren. In der Soziologie werden Experimente deshalb eingesetzt, weil sie gut zu kontrollieren und leicht reproduzierbar sind. Im Gegensatz zur teilnehmenden Beobachtung besteht bei Experimenten die Möglichkeit, jene Einflüsse zu minimieren, die das Ergebnis verfälschen könnten. Variablen, wie z. B. die Tageszeit, die Untersuchungssituation oder das Verhalten des Forschers, sind somit kontrollierbar. Die Tatsache, dass Experimente unter streng festgelegten Untersuchungsbedingungen ablaufen, hat den Vorteil, dass diese problemlos zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Gruppen wiederholt werden können.

Ein Beispiel für ein klassisches sportsoziologisches Experiment stammt von KLEIN und CHRISTIANSEN (1969). Im Mittelpunkt des Experiments stand die Frage, in welchem Maße die soziometrische Struktur einer Mannschaft eine Rolle bei der Ballabgabe beim Basketballspiel spielt. Die soziometrische Struktur einer Gruppe lässt sich feststellen, indem man die Beziehungen der einzelnen Gruppenmitglieder zueinander analysiert und prüft, inwieweit klare Rollenverteilungen und Hierarchien in der Gruppe festzustellen und inwieweit Mitglieder der Gruppe andere Mitglieder sympathisch oder unsympathisch finden. Zur Messung dieser Struktur wurde bei Klein und Christiansen auf die Methode von MORENO (1934) zurückgegriffen. Bei dieser Methode wird z. B. nach dem Mitschüler, mit dem die Person am liebsten zusammenarbeitet, neben welchem die Person am liebsten sitzen möchte oder den man zu seinem Geburtstag einladen würde, gefragt. Aus den Antworten auf diese Fragen wurde bei KLEIN und CHRISTIANSEN (1969) schließlich ein »Soziogramm« erstellt, welches die soziometrische Struktur, d. h. Beziehungs-, Rollen- und Machtstrukturen in einer Gruppe, wiedergibt. Die Experimente zielten darauf ab, herauszufinden, inwieweit die innere Struktur einer Gruppe Einfluss auf das Spielverhalten, genauer auf die Ballabgabe im Basketball, nimmt. Interessanterweise stellten die Forscher fest, dass in Trainings- sowie bei Wettkampfsituationen gegen schwächere Gegner deutlich mehr Pässe bei den sympathischeren Mitspielern landeten. Gegen gleich starke oder überlegene Gegner bei Wettkämpfen verringerte sich dieser Effekt aber. Gefolgert wurde daraus, dass ein hoher Leistungsdruck dazu führt, dass Kooperationsprozesse nur noch in geringem Maße an emotionalen Aspekten wie Sympathie, sondern vielmehr funktional am sportlichen Erfolg ausgerichtet werden.

3 Sportsoziologie als spezielle Soziologie

Die Sportsoziologie repräsentiert eine spezielle Soziologie, die auf die Prinzipien soziologischen Denkens und Methoden soziologischer Erkenntnisgewinnung zurückgreift, die jedoch mit Blick auf ihren Gegenstandsbereich deutlich enger gefasst ist als die allgemeine Soziologie. Um den spezifischen Fokus der Sportsoziologie verstehen zu können, ist zunächst ein Blick auf die gesellschaftlichen Bedingungen zu werfen, unter denen sie entsteht. Im Folgenden geht es daher zunächst um die Frage, warum und wodurch sich ein Bedarf an sportsoziologischer Forschung und Theoriebildung entwickelt hat.

3.1 Entstehungsgeschichte der Sportsoziologie

Früher als in Deutschland beschäftigt man sich in den USA wissenschaftlich mit der Entwicklung und Erscheinung des sozialen Phänomens Sport. Bereits im 19. Jahrhundert – noch bevor sich die Sportbewegung in Deutschland etablierte – werden Arbeiten über die Entstehung von Sportspielen und die Ursachen kulturell unterschiedlicher Erscheinungsformen von Sport verfasst. In Deutschland beginnt der sportsoziologische Diskurs vergleichsweise spät und sehr zögerlich (ausführlich BETTE, 2010). Zwar taucht Sport bereits als Gegenstand in den soziologischen Diskursen von Georg Simmel oder Max Weber auf. Er bleibt jedoch nur eine Randnotiz. Von einer Sportsoziologie mit eigenem Profil und Selbstverständnis konnte nicht gesprochen werden.

Einen ersten, wenn auch wenig beachteten Versuch der Profilierung machte Heinz RISSE im Jahre 1921 mit dem Buch »Soziologie des Sports«. Wiederbelebt wurden diese Bemühungen insbesondere durch die sozial- und geisteswissenschaftlichen Grundlagenarbeiten von Helmuth PLESSNER (1956), Günther LÜSCHEN (1960), Ommo GRUPE (1964) und Bero RIGAUER (1969).

Vor dem Hintergrund eines steigenden gesellschaftlichen Interesses am Sport sowie im Zuge der zunehmenden Versportlichung der Gesellschaft und der Verwissenschaftlichung des Sports etablierte sich die Sportsoziologie in den 1970er-Jahren als eigenständige Disziplin in der sich rasant entwickelnden Sportwissenschaft. Dies zeigte sich nicht zuletzt an der Veröffentlichung erster Lehrbücher zum Thema (z. B. LÜSCHEN & WEIS, 1976). Der Sportsoziologe Karl-Heinrich BETTE (2010, S. 52) spricht in diesem Zusammenhang von einer »universitären Etablierung und Konsolidierung« der Sportsoziologie und macht dies insbesondere an der Einrichtung von Lehrstühlen und Professuren für Sportsoziologie fest. Bereits der Blick in die aktuelle sportsoziologische Forschungsliteratur zeigt, wie stark sich das Themenfeld der Sportsoziologie ausgeweitet hat und wie groß die Bedeutung der Sportsoziologie für die sportwissenschaftliche Theoriebildung geworden ist. Den sportsoziologischen Diskurs in Deutschland haben fortan zahlreiche Soziologen und Sportwissenschaftler geprägt (BETTE, 2011).

Eine ausführliche Chronologie sportsoziologischer Forschung und eine detailliertere Darstellung von Entwicklungsschritten der Disziplin findet sich in Karl-Heinrich BETTES (2010) Grundlagenwerk »Sportsoziologie«. Bette benennt darin bedeutende Pioniere und legt fundiert die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen der Sportsoziologie dar. Einen Überblick über die sozialphilosophischen Bezugspunkte der Sportsoziologie findet sich in dem Handbuchbeitrag von Elk FRANKE (2008).

3.2 Gegenstand der Sportsoziologie

Obwohl sich die Sportsoziologie längst als Teildisziplin der Sportwissenschaft etabliert hat und hohe Anerkennung genießt, ist die Bestimmung ihres Gegenstandes auch heute noch schwierig. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass es der Sportwissenschaft in Deutschland bis heute nicht gelungen ist, eine allgemein anerkannte Definition von Sport zu entwickeln. Was unter »Sport« zu verstehen ist, ist keinesfalls eindeutig. Bereits die Verwendung des Sportbegriffs im Alltagsgebrauch im deutschen Sprachraum ist sehr different und vielschichtig. Nicht selten wird mit Sport all das bezeichnet, was irgendwie mit Bewegung zu tun hat. Neben dem klassischen Vereinssport kann mit »zum Sport gehen« sowohl das morgendliche Joggen, das Workout im Fitnessstudio, der Yoga-Kurs oder sogar die ambulante Herzinfarkt-Rehabilitations-Gruppe gemeint sein. Was unter »Sport« subsumiert wird und wodurch er sich von anderen Praktiken unterscheidet, ist somit in hohem Maße abhängig von der Perspektive desjenigen, der über Sport spricht. Sport ist also ein in hohem Maße beobachterrelativer Begriff. Dies bestätigt auch der Blick auf den sportwissenschaftlichen Diskurs, der eine Vielzahl an Definitionsversuchen hervorgebracht hat. HEINEMANN (1990) ordnet die Diskussion, indem er zwei Arten von Definitionen des Begriffs Sport unterscheidet: Nominal- und Realdefinitionen:

• Realdefinitionen basieren auf empirischen Daten über das Phänomen Sport. Ihnen liegen also »reale« Erfahrungswerte zugrunde. In der Regel orientieren sich diese Bestimmungsversuche an alltäglichen Begriffen von Sport und erfragen real existierende Vorstellungen von Sport, die dann in einem weiteren methodischen Schritt typologisiert werden. Ein Beispiel dafür liefert eine Studie von HAVERKAMP und WILLIMCZIK (2005). Die beiden Sportwissenschaftler haben zahlreichen Probanden verschiedene Merkmale (wie z. B. Leistung, Spaß, Geselligkeit) vorgelegt, welche sie verschiedenen Tätigkeiten zuordnen sollten (Fußball, Yoga, Angeln). Die Auswertung ergab einen äußerst vielfältigen und mehrschichtigen alltagssprachlichen Sportbegriff.

• Nominaldefinitionen sind mehr oder weniger plausible Versuche, ein komplexes Phänomen zu ordnen. Sie kennzeichnen den Gegenstand Sport, indem sie konkrete Merkmale oder Eigenschaften definieren, die erfüllt sein müssen, damit von Sport gesprochen werden kann. Zieht man beispielsweise den Sportbegriff des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) heran, so finden sich darin klare Kriterien. Von Sport kann dann gesprochen werden, wenn es sich um eine körperliche Aktivität handelt, die zweckfrei ist, auf formalen (Spielregeln) sowie ethischen Regeln (Fairness) basiert und die zumeist im Kontext eines organisierten Wettkampfsystems (z. B. in Form von Leistungsklassen) betrieben wird (DOSB, 2012). Diese Definitionen basieren also auf Festlegungen, die man teilen kann oder nicht.

Über sogenannte Sportmodelle wird versucht, die unterschiedlichen Teilbereiche des Sports als soziale Phänomene systematisch darzustellen (vgl. DIGEL, 1986; LAMPRECHT & STAMM, 1995). Insbesondere eine Arbeit von Klaus HEINEMANN (1998) hat hier einen starken Einfluss auf den sportsoziologischen Diskurs gehabt. Sport stellt aus dieser Perspektive ein gesellschaftliches Konstrukt dar, dessen vier konstitutive Elemente die körperliche Leistung, der Wettkampf, das sportartspezifische Regelwerk und die Unproduktivität sind. Heinemann geht davon aus, dass die verschiedenen Sportmodelle auf diese Elemente in sehr unterschiedlicher Weise zurückgreifen. Während beispielsweise der traditionelle Wettkampfsport alle konstitutiven Elemente integriert, ist der Gesundheitssport weder an ein sportartspezifisches Regelwerk gebunden noch ist er unproduktiv im Sinne eines Selbstzwecks. Vielmehr ist der Gesundheitssport gerade darauf ausgelegt, körperliche Bewegung funktional einzusetzen.

Während im deutschsprachigen Raum ein sehr weiter Sportbegriff vorzufinden ist, wird z. B. im englischen Sprachgebrauch konsequent zwischen »Physical Activity«, »Sport« und »Exercise« unterschieden. Während unter »Physical Activity« alle körperlichen Bewegungsaktivitäten gefasst werden (z. B. Gehen, Fahrradfahren), werden mit »Exercise« gezielte und systematische körperliche Aktivitäten bezeichnet (z. B. Übungen). »Sport« steht dagegen für eine Form der körperlichen Aktivität, die auf Wettkampf und Leistungssteigerung ausgelegt und die darüber hinaus unproduktiv und regelgeleitet ist (vgl. CASPERSEN, POWELL & CHRISTENSON, 1985).

3.3 Grundfragen der Sportsoziologie

Bei den soziologischen Analysen des sozialen Phänomens Sport stellt sich eine Reihe von grundlegenden Fragen. Was die Sportsoziologie von der allgemeinen Soziologie unterscheidet, ist die Spezifik ihrer Grundfragen. Im Mittelpunkt stehen empirisch beobachtbare Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Sport (vgl. WEIS & GUGUTZER, 2008). Vereinfacht gesagt, lassen sich drei Grundfragen der Sportsoziologie identifizieren (HEINEMANN, 1998):

• Die Sportsoziologie fragt erstens danach, wie und in welcher Weise Gesellschaft auf den Sport wirkt. Um z. B. erklären zu können, wie sich Sport in Deutschland zu einem so bedeutenden Phänomen gesellschaftlichen Lebens entwickeln konnte, ist der Einfluss gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, Antriebskräfte und Veränderungen zu untersuchen.

• Zweitens interessieren die Sportsoziologie jene Wirkungen, die vom Sport ausgehen und Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Die zweite Grundfrage der Sportsoziologie lautet also: In welcher Weise wirkt der Sport auf die Gesellschaft? Die Versportlichung der Alltagsmode und der Alltagssprache zeigt die Relevanz dieser Fragestellung.

• Drittens beschäftigt sich die Sportsoziologie mit den spezifischen Strukturen und Handlungslogiken des Sports. Die Annahme, dass Sport in vielerlei Hinsicht anders funktioniert als andere Gesellschaftsbereiche, macht es notwendig, diese Strukturen zu erklären. Wer z. B. Antworten auf die Frage sucht, warum sich so viele Menschen in Sportvereinen organisieren oder warum sich Sportvereine häufig schwer mit Veränderungen tun, der kommt nicht umhin, sich näher mit den strukturellen Besonderheiten und Formen der Vergemeinschaftung dieser Freiwilligenorganisation auseinanderzusetzen (THIEL, 2011).

Die Grundfragen sind auf drei verschiedenen Ebenen verortet. Grundsätzlich lässt sich zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene unterscheiden:

Abb. 3:Verortung der Grundfragen der Sportsoziologie

Verständlich wird diese Unterscheidung, wenn man den jeweiligen Ebenen typische Fragestellungen zuordnet (THIEL, 2011).

Makroebene

Auf der Makroebene werden soziale Phänomene des Sports analysiert, die einen vergleichsweise weiten Fokus haben. Dabei kann es z. B. um gesellschaftliche Funktionen, Wertstrukturen, Normen oder Logiken des Sports gehen. Folgende sportsoziologische Fragestellungen sind beispielhaft für diese Perspektive:

• Welche Entwicklungen haben Einfluss darauf genommen, dass Sport zu einem allgegenwärtigen gesellschaftlichen Phänomen geworden ist?

• Welche Werte kennzeichnen den Sport?

• Wie lassen sich Breiten- und Spitzensport unterscheiden und welche Gemeinsamkeiten haben diese Sportbereiche?

• Welche Relevanz hat der Sport für den Umgang mit Körperlichkeit in modernen Gesellschaften?

Mesoebene

Im Vergleich dazu ist die Mesoebene deutlich enger in ihrer Ausrichtung. Hier finden sich Fragestellungen, die insbesondere auf Organisationen, Organisationsformen und soziale Netzwerke des Sports Bezug nehmen. Untersucht werden z. B. Unterschiede zwischen Sportorganisationen und Wirtschaftsunternehmen oder Einflüsse von sozialen Ungleichheitsstrukturen auf die Sportteilnahme. Beispiele für sportsoziologische Fragestellungen sind:

• Wie ist der Sport in Deutschland organisiert?

• Wodurch zeichnen sich Sportorganisationen im Vergleich zu anderen Organisationsformen aus?

• Welche strukturellen Besonderheiten weisen Sportvereine auf?

• In welchem Maße nehmen soziale Ungleichheitsstrukturen der Gesellschaft Einfluss auf den Sport?

• In welcher Weise zeigen sich Lebensstile im Sport?

• Welche Bedeutung kommt der Organisationskultur in Sportorganisationen für das Verhalten von Sportvereinsmitgliedern zu?

• Wie lassen sich Sportorganisationen effektiv steuern und managen?

Mikroebene

Während auf der Mesoebene v. a. organisationale Aspekte untersucht werden, werden auf der Mikroebene Interaktionsprozesse zwischen Individuen oder Gruppen untersucht. Der Sport wird hier als Kommunikationsraum betrachtet, dem spezifische Interaktionsmuster zugrunde liegen. Der Fokus von sportsoziologischen Analysen kann dabei z. B. auf der Entstehung und dem Verlauf von Konflikten in Sportspielmannschaften liegen, auf typischen Karriereverläufen von Spitzentrainern oder auf Motiven und Einstellungen von Sporttreibenden. Sportsoziologischen Studien können vor diesem Hintergrund u. a. folgende Fragestellungen zugrunde liegen:

• Wie entstehen und verlaufen Konflikte in Sportspielmannschaften?

• Welchen Einfluss hat die Einstellung von Eltern zum Sport auf die Sportteilnahme ihrer Kinder?

• Welche Bedeutung hat die Kohäsion in Sportspielmannschaften für deren sportlichen Erfolg?

• Inwieweit unterscheiden sich typische Karriereverläufe von Spitzensportlern von jenen Karriereverläufen von Hochbegabten außerhalb des Sports?

4 Fazit

Es sollte deutlich geworden sein, dass die Sportsoziologie eine vergleichsweise junge Disziplin mit vielfältigen Forschungsbereichen repräsentiert. Dem sehr breiten Sportbegriff entsprechend werden von der Sportsoziologie im deutschsprachigen Raum daher auch Fragestellungen untersucht, die im englischsprachigen Diskurs in anderen Wissenschaftsbereichen angesiedelt sind, wie z. B. Fragen zur Soziologie des Körpers oder zu den sozialen Faktoren von gesundheitsbezogenem Bewegungsverhalten. Dennoch bildet auch hier der Sport im engeren Sinne den Kernbereich der Forschung, angefangen bei Untersuchungen zur Sportpartizipation im Freizeitsport, über Studien zu den sozialen Bedingungen sportlicher Talentförderung bis hin zu Analysen der Kommerzialisierung des Spitzensports. Da die Sportsoziologie keine eigenen Theorien und Methoden entwickelt, wird sie sich weiterhin von der allgemeinen Soziologie nur aufgrund ihres spezifischen Gegenstandes unterscheiden. Deshalb ist es auch weniger der eigenständige disziplinäre Charakter der Sportsoziologie, der sichert, dass zukünftig Probleme des Sports soziologisch analysiert werden, als vielmehr die Tatsache, dass die Sportsoziologie als ein integraler Teil der Sportwissenschaft strukturell mit eigenen Lehrstühlen an Universitäten verankert ist.

Lernkontrollfragen

• Womit befasst sich die Soziologie?

• Durch welche Prinzipien zeichnet sich soziologisches Denken aus?

• Was beschreibt das Prinzip der Werturteilsfreiheit von Max Weber?

• Warum taugen Alltagstheorien nicht zur wissenschaftlichen Erklärung sozialer Phänomene?

• Warum greift die Soziologie auf eine Fachsprache zurück?

• Wie kommt die Soziologie zu ihren Erkenntnissen?

• Welches sind die bedeutendsten theoretischen Zugänge der (Sport-)Soziologie?

• Welche unterschiedlichen typischen soziologischen Forschungsmethoden lassen sich unterscheiden?

• Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Methoden der soziologischen Forschung?

• Vor dem Hintergrund welcher gesellschaftlichen Entwicklungen entsteht die Sportsoziologie als sportwissenschaftliche Disziplin?

• Wie lässt sich der Begriff »Sport« definieren? Wodurch unterscheiden sich Realvon Nominaldefinitionen?

• Welche Forschungsbereiche lassen sich in der Sportsoziologie unterscheiden?

• Welches sind Grundfragen der Sportsoziologie?

• Welche Analyse-Ebenen lassen sich in der Sportsoziologie unterscheiden?

Literatur

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