Sprache fördern in der Krippe - Anne Groschwald - E-Book

Sprache fördern in der Krippe E-Book

Anne Groschwald

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Beschreibung

Das Buch unterstützt pädagogische Fachkräfte in Krippen und Kitas in ihrer Rolle als Sprachvorbild und Sprachförderer. Lebendig und praxisnah, mit vielen Fallbeispielen, greift es die häufigsten Fragen zur Sprachentwicklung im Krippenalter auf und verdeutlicht die Unterschiede zwischen sprachbewusster Begleitung, Sprachförderung und Sprachtherapie. Mit einer Menge an praktischen Tipps, Arbeitsmaterialien und einem Beobachtungsbogen im Anhang.

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Anne Groschwald / Henning Rosenkötter

Sprache fördern in der Krippe

Ein Leitfaden für die Praxis

Impressum

Danksagung

Wir danken allen Erzieherinnen und Erziehern, deren Erfahrungsschatz in dieses Buch eingeflossen ist, und allen Eltern und Kindern, von denen und mit denen wir lernen durften. Unser Dank gilt auch den Kolleginnen aus dem ehemaligen „Arbeitskreis Sprachförderung“ der Stadt Freiberg a. N. und den Kindern eines Kindergartens der Stadt Freiberg. Ganz besonders danken wir Sarah Biliard, Annette Stüllenberg und Thorsten Lindenmeyer, die uns wertvolle Kommentare und kritische Anmerkungen geschenkt haben.

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: SchwarzwaldMädel, Simonswald

Umschlagabbildung: © Ysal – istock

Fotos im Innenteil: Henning Rosenkötter

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80153-2

ISBN (Buch) 978-3-451-32755-1

Inhalt

Einleitung

1Normale Sprachentwicklung von 0 bis 3 Jahren

Sprachentwicklung beginnt bereits im Mutterleib

Das erste Lebensjahr

Von 12 bis 18 Monaten

Von 18 bis 24 Monaten

Das dritte Lebensjahr

2 Sprachentwicklung beobachten, einschätzen und dokumentieren

Befragung

Beobachtung

Standardisierte Testverfahren

3 Verspäteter Sprachbeginn

Late Talker = Spätsprecher

Was wird aus den Late Talkern

4 Verzögerte Sprachentwicklung

Mögliche Ursachen für eine Sprachentwicklungsverzögerung

5 Gestörte Sprachentwicklung

Sprachliche Auffälligkeiten auf den einzelnen Ebenen der Sprachentwicklung

Eine Sprachstörung ist eine Krankheit

Ursachen für eine gestörte Sprachentwicklung

Folgestörungen einer SES

Psychische und emotionale Probleme bei Kindern mit SES

Mutismus und Autismus

6 Sprachtherapie

1. Warum brauchen manche Kinder Sprachtherapie?

2. Welche Kinder brauchen Sprachtherapie?

3. Welche Arten von Sprachtherapie gibt es?

4. Wie kommt ein Kind zu einer Therapie?

5. Was können wir in der Krippe für diese Kinder tun?

7 Sprachförderung in der Krippe

Förderprogramme: ja oder nein?

Pädagogische Fachkräfte als Sprachvorbild

Strategien zur Förderung des Dialogs mit Kindern

Sprache und Inklusion

8 Mehrsprachigkeit

Was muss ich als pädagogische Fachkraft unbedingt über Mehrsprachigkeit wissen?

Was muss ich als pädagogische Fachkraft für eine gute Beratung der Eltern wissen?

Mehrsprachigkeit und Sprachstörung

Sprachförderung bei Mehrsprachigkeit

Mehrsprachigkeit in einer bilingualen Einrichtung

9 Netzwerk und Ressourcen

Welche Netzwerk-Partner brauchen Sie unbedingt?

Kooperation im Netzwerk und Inklusion

10 Materialien und Arbeitshilfen zur Sprachförderung

Literatur

Anhang

Einführung zum Beobachtungsbogen Kita 1–3

Beobachtungsbogen 12 Monate

Beobachtungsbogen 18 Monate

Beobachtungsbogen 24 Monate

Beobachtungsbogen 30 Monate

Beobachtungsbogen 36 Monate

Einleitung

Kleine Kinder durchlaufen in der Zeit ihres Aufwachsens die verschiedensten Entwicklungsschritte – manchmal nacheinander, manchmal gleichzeitig und nicht alle immer in der gleichen Reihenfolge. Wenn wir Kinder aufmerksam beobachten, können wir in ihrer Entwicklung das Erreichen von sogenannten Meilensteinen und Grenzsteinen ausmachen.

Meilensteine markieren den Zeitpunkt, zu dem 50 Prozent aller Kinder einen bestimmten Entwicklungsschritt erreicht haben. Sie geben also Hinweise für einen Mittelwert und damit für eine unauffällige Entwicklung.

Grenzsteine markieren den Zeitpunkt, zu dem 90 bis 95 Prozent aller Kinder einen bestimmten Entwicklungsschritt erreicht haben. Sie bestimmen also den Grenzbereich zur auffälligen oder gestörten Entwicklung.

In diesem Buch arbeiten wir mit beiden Steinen: Wir stellen die normale Sprachentwicklung und die verspätete und gestörte Sprachentwicklung dar. Dabei bemühen wir uns, klare Grenzsteine aufzustellen, weil sich alle Kinder unterschiedlich entwickeln und folglich auch unterschiedliche Betreuung, Anregung und Förderung brauchen.

Wohl niemand zweifelt daran, dass Kinder Zuwendung, Geborgenheit und Anregung brauchen. Ebenso kann kein Mensch Sprache aus sich selbst heraus erfinden – zumindest nicht, wenn er per Sprache kommunizieren möchte. Kinder, die wie Kaspar Hauser isoliert im Wald aufgewachsen sind, oder Kinder, die in Heimen weitgehend abgeschottet waren, konnten keine Sprache lernen und darüber hinaus keine altersentsprechende Intelligenz entwickeln. Denn Sprache ist ein Teil der menschlichen Kognition. Teils bewusst, teils unbewusst lernen wir Sprache aufgrund unserer Fähigkeiten zur Wahrnehmung, zur Aufmerksamkeit und zu Gedächtnisleistungen. Sprache ihrerseits vermittelt, gliedert, bewertet und kategorisiert kognitive Leistungen. Für eine gute Sprachentwicklung brauchen wir also Anregung und Vorbilder: Partner im Dialog. Dabei ist das ganze soziale Umfeld gefragt, besonders aber die engeren Bezugspersonen wie Eltern, Geschwister, pädagogische Fachkräfte. So möchten wir in diesem Buch auch darstellen, wie Erzieherinnen und Erzieher gute Sprachvorbilder sein können.

Welche anderen Voraussetzungen neben dem Input durch andere Menschen brauchen Kinder für eine gute Sprachentwicklung? Ein wesentlicher Faktor sind die ererbten und angeborenen Fähigkeiten. Es gibt Familien, in denen viele Mitglieder außergewöhnlich gute Sprachfähigkeiten besitzen und andere Familien, in denen der Spracherwerb langsam und mühevoll ist, auch noch im Erwachsenenalter, vielleicht auch in der Schriftsprache und beim Erlernen einer Fremdsprache. Wir wissen auch, dass viele Kinder mit Sprachstörungen aus Familien kommen, in denen ein anderes Familienmitglied Sprachstörungen hatte oder hat. Und es ist belegt, dass Jungen sehr viel häufiger Sprachstörungen bekommen als Mädchen – häufiger als dies allein Umweltfaktoren bedingen könnten. Welchen Anteil aber genetische Faktoren an der Sprachentwicklung genau haben und wie diese Faktoren durch Förderung und günstiges Lernen beeinflussbar sind, wissen wir heute noch nicht.

Die dritte Voraussetzung für eine gute Sprachentwicklung ist die Frage, ob ein Kind überhaupt sprechen und kommunizieren kann und ob es sprechen und kommunizieren will. Scheue und zurückhaltende Kinder, Kinder, die es schwer haben, sich auf eine neue Umgebung oder eine neue Sprache einzustellen, Kinder mit Beziehungs- und Bindungsproblemen, vernachlässigte und einsame Kinder, mutistische und autistische Kinder können nicht sprechen oder wollen nicht gerne sprechen. Nicht-Können und Nicht-Wollen ist dabei für Außenstehende kaum zu unterscheiden. Oft fällt diesen Kindern auch die nichtsprachliche Kommunikation schwer.

Bedingungen für einen guten Spracherwerb

Sprachangebot von außen (Input): Eltern, Familie, andere Kinder, weitere BezugspersonenAngeborene Sprachfähigkeiten (Genetische Komponente)Wunsch und Fähigkeit zur Kommunikation (Motivation, soziale Komponente)

Vor diesem Hintergrund möchten wir Ihnen einige Grundlagen der normalen und der gestörten Sprachentwicklung nahebringen und aufzeigen, wie Sie Kinder in der Sprachentwicklung unterstützen können. Die Begriffe Sprachentwicklung und Spracherwerb benutzen wir dabei gleichrangig. Zur Bezeichnung der gestörten Sprachentwicklung verwenden wir die Begriffe „Sprachstörung“ synonym für „Sprachentwicklungsstörung (SES)“, „Spracherwerbsstörung“ und „Spezifische Sprachentwicklungsstörung (SSES)“.

In diesem Buch finden Sie viele Fallbeschreibungen aus unserem pädagogischen und therapeutischen Alltag. Wir erhoffen uns dadurch eine direkte Anbindung der Praxis an die Theorie und möchten Sie dazu anregen, selbst kreative Überlegungen aus Ihrem Wissensstand heraus zu formulieren und diesen einzeln nachzugehen. In den Fallbeschreibungen geht es uns nicht darum, Lösungen zu präsentieren. Selten ist dies aus der Problemstellung heraus zu schaffen. Unsere Überlegungen stellen Ansätze zur Diskussion im Team und / oder mit anderen Fachleuten dar. Nach einer gewissenhaften Überprüfung der Überlegungen sollte sich ein Elterngespräch anschließen, und das weitere Vorgehen kann geplant und besprochen werden. Wir möchten Sie also ermutigen, in verschiedene Richtungen zu denken und dabei vielfältige Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.

Wir wünschen Ihnen, dass Sie in Ihrer täglichen Arbeit von diesem Buch profitieren und sich nach der Lektüre gestärkt und bereichert fühlen. Wenn Sie Fragen, Kritik, Anmerkungen oder Ergänzungsvorschläge haben, würden wir uns über Ihre Rückmeldung freuen und gerne mit Ihnen in einen fruchtbaren Dialog kommen. Lassen Sie uns zusammenarbeiten und schreiben Sie eine Mail an [email protected] oder [email protected]. Und nun: Viel Spaß beim Lesen und viel Erfolg in Ihrem Beruf!

1 Normale Sprachentwicklung von 0 bis 3 Jahren

Sprachentwicklung beginnt bereits im Mutterleib

Die Sprachentwicklung beginnt schon im Mutterleib, genauer gesagt mit dem Beginn des Hörens in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche. Das ungeborene Kind hört den Pulsschlag der Schlagader der Mutter und ihres Herzens, das Glucksen und Rauschen ihres Darms und ihre Sprache, aber auch, gedämpft durch das Fruchtwasser, die Sprache anderer Menschen, die Töne von Musik und die Geräusche des Alltags. Im Laufe der letzten beiden Schwangerschaftsmonate lernt das Kind die Sprache der Mutter – also seine Muttersprache – so gut, dass es nach der Geburt die mütterliche Sprache von der Sprache anderer Menschen unterscheiden kann.

Prosodie–die Musik der Sprache

Wie macht es das? Das Neugeborene kann doch noch nicht sprechen und die Worte verstehen. Es hat aber bereits im Mutterleib gelernt, mit welcher Melodie und in welcher Lautstärke seine Mutter spricht. Die Musik in der Sprache, der individuelle Singsang – das sind die Sprachmelodie, der Sprachrhythmus, die Betonungen und die Lautstärkeveränderungen. Man nennt das Prosodie. Viele Monate, bevor ein Kind Sprache versteht, lernt es also schon, nach welchen Regeln seine Muttersprache betont wird. In der deutschen Sprache werden fast alle zweisilbigen Worte auf der ersten Silbe betont: Die erste Silbe erklingt lauter und dauert länger an als die zweite Silbe. Während „Mama“ im Deutschen auf der ersten Silbe betont wird, lernen französische Kinder „maman“ auf der zweiten Silbe zu betonen. Kennen Sie Beispiele aus anderen Sprachen?

Merksatz

Prosodie ist die Musik der Sprache: Melodie, Lautstärke, Rhythmus, Betonung.

Wozu brauchen wir die Prosodie? Durch die Betonung wird die Sprache gegliedert. Sechs Monate alte Säuglinge erkennen bereits die Pause, die ein Satzende anzeigt. Die kleinen Sprachbausteine (z. B. die Silben) und die Wortgrenzen werden durch die Betonung deutlich. Die Betonungsregeln bestimmen auch, ob ein Satz eine Aussage trifft oder eine Frage darstellt, sie differenzieren verschiedene Bedeutungen (z. B. umfahren und umfahren), und sie geben wichtige Informationen für die Entwicklung der Wortbildung und der Grammatik.

Praxishinweis

Förderbeispiele zur Prosodie: rhythmisches Sprechen, gleichzeitiges Klatschen, Unterscheiden zwischen lauten und leisen Geräuschen, Differenzierung von langen und kurzen Geräuschen, Unterscheidung von hohen und tiefen Tönen; ab drei Jahren: Silben klatschen und Silben erkennen.

Grundlagen der auditiven Wahrnehmung

Und wie kann unser Gehirn so frühzeitig Prosodie lernen? Prosodie wird im Stammhirn und im Schläfenlappen des Großhirns verarbeitet. In den ersten Lebensmonaten werden so die Grundlagen der auditiven Wahrnehmung gelernt. Mithilfe der Wahrnehmung verarbeiten wir alles Gehörte, auch die ganz einfachen Unterscheidungen – wie hoch oder tief ein Ton, ein Geräusch oder ein Laut ist (Frequenz), wie laut oder leise er ist (Lautstärke) oder wann er beginnt und wann er endet (Signaldauer). Später lernt das Gehirn, sprachliche Reize zu unterscheiden: Laute, Silben, Wörter. All das verarbeitet und lernt ein Kind weitgehend unbewusst – je nach Aufmerksamkeit und Vorwissen und beeinflusst von Gefühlen.

Merksatz

Die auditive Wahrnehmung ist die Erfassung, Weiterleitung und Verarbeitung auditiver Informationen. Sie umfasst die basale Verarbeitung einfacher akustischer Signale, die Wahrnehmung sprachlicher Reize und in Teilen die phonologische Bewusstheit.

Zur Wahrnehmung sprachlicher Reize entwickeln Kinder bis zum sechsten Lebensjahr folgende wichtige Fähigkeiten:

Richtungshören: die Fähigkeit, zu erkennen, aus welcher Richtung ein akustischer Reiz oder ein gesprochenes Wort kommt

Beidohriges Hören: die Fähigkeit, mit beiden Ohren gleichzeitig unterschiedliche Geräusche oder Sprache erkennen zu können

Störschall-Nutzschall-Filter: die Fähigkeit, Sprache selbst dann zu erkennen und zu verstehen, wenn gleichzeitig Nebengeräusche oder konkurrierende Sprache stören

Zeitliche Auflösung: die Fähigkeit, kurze Pausen oder sehr schnell gesprochene Sprache zu erkennen

Lautunterscheidung: die Fähigkeit, ähnlich klingende Geräusche oder Laute voneinander zu unterscheiden, zum Beispiel die Worte „Tasse“ und „Kasse“

Wahrnehmung reduzierter Signale: die Fähigkeit, ein Wort selbst dann noch zu erkennen, wenn es unvollständig oder unterbrochen aufgenommen wird, zum Beispiel „Scho-o-lade“

Baby Talk–frühe Eltern-Kind-Dialoge

Neben den angeborenen Sprachfähigkeiten und dem Erlernen von Prosodie und auditiver Wahrnehmung ist die Eltern-Kind-Interaktion der wichtigste Motor für die sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation. Von Geburt an reagieren die Eltern auf die einfachsten Laute ihres Kindes, indem sie es anschauen, sich ihm nähern, den Mund und die Augen dabei öffnen und innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne den Laut des Kindes wiederholen, meist in einer hohen Stimmlage. Wenn das Kind daraufhin den Laut noch einmal sagt, stellt sich der erste Dialog ein. Womöglich reichern die Eltern die Zwiesprache mit anderen, ähnlich klingenden Lauten oder Wörtern an, oder sie sprechen ihr Kind mit seinem Namen an. Dies bleibt das Grundmuster aller intensiven Dialoge im Kleinkindalter, das auch in der pädagogischen Förderung angewandt wird.

Kontrollieren Sie sich manchmal im Gespräch mit den kleinen Kindern, ob Sie diese Voraussetzungen erfüllen? Ein gelungener Dialog festigt die Bindung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen und ermutigt alle Beteiligten, in dieser Weise fortzufahren. Frühe einfühlsame Eltern-Kind-Dialoge nennt man Baby Talk (auch: Motherese, wörtlich: Mutterisch). Sie sind Grundlage für das Einüben von sprachlichen Wechselspielen und wichtige Bestandteile der sozio-emotionalen Entwicklung. Diese Dialoge werden nach und nach teilweise ritualisiert (z. B. in Form von Suchspielen, Guckguck-Spielen) und ausgeweitet.

Merksatz

Kennzeichen des Baby Talks: Die elterliche Sprache ist langsam, deutlich, melodiös, mit kurzen Formulierungen, in angehobener Stimmlage. Vokale (Selbstlaute) werden betont und verlängert. Bevorzugt werden betonte, immer wiederkehrende Muster (Aufforderung, Beruhigung, Belohnung), unterstützt durch Nähe, Blickkontakt, Mimik und Berührung.

Erfreulicherweise muss man Baby Talk nicht lernen. Dieses Verhalten ist uns angeboren. Wer ein Baby hat, wendet diese Sprache intuitiv an. Man beachtet die kindlichen Signale, nimmt sie rasch auf und antwortet dem Kind. Dieses Wechselspiel – egal, ob es von der Mutter oder dem Kind ausgeht – und das feinfühlige Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes stellen die Grundlage für eine sichere Bindung zwischen Mutter / Bezugsperson und Kind dar. Die Berücksichtigung dieses Wechselspiels spielt gerade in der frühen Sprachentwicklung, zum Beispiel auch in der Eingewöhnungszeit in die Krippe, eine wichtige Rolle. Feinfühligkeit oder mütterliche „Responsivität“ (Gutknecht 2012) gegenüber den Signalen des Kindes schafft Vertrauen und Geborgenheit (Heidler 2013). Nur wenn es gelingt, diese sichere emotionale Basis zu schaffen, wird das Kind später den Mut haben, sich von den Eltern zu lösen und die Umwelt selbstständig zu explorieren.

Das erste Lebensjahr

Während das Baby im Alter von drei Monaten vorwiegend Gurrlaute und Vokale babbelt („grrr“, „ngröö“, „aaaa“, „öööö“), wird es mit sechs Monaten die ersten Silben im Konsonant-Vokal-Muster sprechen („ma“) und später zu Ketten zusammengeführen („ma-ma-ma-ma“). Mit acht Monaten werden die ersten Konsonant-Vokal-Silben verdoppelt („ma-ma“, „ba-ba“), ohne dass damit schon eine Person oder ein Objekt gemeint ist („ma-ma“ bedeutet noch nicht „Mama“). Am Ende des ersten Lebensjahres wird das Silbenbabbeln ständig weiter variiert, und die ersten Doppelsilben bekommen eine festere Bedeutung (z. B. „Mama“ für die Mama, „Bobo“ für den Hund).

Am Ende des ersten Lebensjahres wird damit auch deutlich, welche Fortschritte das Kind im Sprachverständnis gemacht hat: Es kennt seine Bezugspersonen, reagiert auf die Nennung ihrer Namen und des eigenen Namens, es versteht einfache Aufforderungen („Gib mir den Ball!“), es wendet den Kopf, wenn es zum Beispiel gefragt wird „Wo ist der Ball?“, oder es versteht Aufforderungen für einzelne ritualisierte Gesten (in die Hände klatschen, zum Abschied winken). Largo (2007) hat mit den Daten der Zürcher Längsschnittstudie in seinem Standardwerk „Babyjahre“ gut nachvollziehbar dargestellt, wie zunächst das Handlungsverständnis aufgebaut werden muss, das dem Sprachverständnis vorausgeht, und wie dieses wiederum die Voraussetzung für die eigene Sprache darstellt. Wenn Sprache nicht nur aus gelernten Worthülsen bestehen soll, dann geht das Sprachverstehen der Sprachproduktion voraus.

Merksatz

Handlungsverständnis → Sprachverständnis → aktive Sprache: Ein Kind kann zum Beispiel das Wort „essen“ erst dann sinnvoll lernen, wenn es die Handlung „essen“ verstanden hat und wenn es danach das Wort „essen“ versteht.

Von 12 bis 18 Monaten

Die meisten Kinder sprechen die ersten Worte mit 12 bis 18 Monaten, häufig noch unvollständig (z. B. nur eine Silbe) oder schlecht verständlich. Manchmal wird die Bedeutung einzelner Worte dabei ausgeweitet: „Baubau“ sind dann nicht nur Hunde, sondern alle Vierbeiner; „Papa“ kann vorübergehend zu dessen Leidwesen auch ein Wort für alle Männer sein (Übergeneralisierung). Neben den ersten Silben und meist einsilbigen Hauptwörtern erscheinen nun auch kleine Stücke aus Verben (Verbpartikel wie „auf“, „ab“) oder kleine Wörter für den sozialen Umgang (Begrüßung wie „hallo“).

Der trianguläre Blickkontakt

In diesem Alter beginnt auch das Fragen mit einem Wort. Das Wort „Su-e“ (Schuhe), ohne dabei Blickkontakt aufzunehmen, kann zum Beispiel heißen: „Ich will jetzt die Schuhe holen“ (= mit dir fortgehen) oder „Dies sind meine Schuhe“. Mit fragendem Augenaufschlag und ansteigender Sprachmelodie meint „Su-e“ vielleicht: „Sind das meine Schuhe?“ oder „Soll ich jetzt die Schuhe anziehen?“ Die Mutter antwortet dann zum Beispiel: „Ja, das sind deine Schuhe.“

Daraus ergibt sich nun eine neue Form des Dialogs: Mutter und Kind sprechen nicht nur miteinander, sondern über einen Gegenstand: die Schuhe. Wenn das Kind zum Beispiel „Schuhe“ sagt und dabei den Gegenstand und dann die Mutter anschaut, ergibt sich ein Dreieck des Handelns, Denkens und Sprechens. Man nennt das den triangulären Blickkontakt (Zollinger 1997).

Objektpermanenz

Mutter und Kind tauschen sich so einerseits über ein Objekt aus („Ja, das ist dein Löffel“), aber sie festigen dabei auch ihre Beziehung, und das Kind lernt: „Ja, meine Mama bestätigt mir mit ihrer Sprache, dass ich mit diesem Löffel essen kann.“ Mehr noch: Schon zu Beginn des zweiten Lebensjahrs weiß das Kind, dass der Löffel, den es jetzt gerade nicht mehr sehen kann, weil er in einer bestimmten Schublade liegt, trotzdem da ist (Objektpermanenz). Und wenn es jetzt „Löffel“ sagt, kann das Kind mit der Mutter auch über ein Objekt sprechen, das nicht sichtbar ist. Allein mittels der Sprache kann es sich verständlich machen.

„Nein“–der sprachliche Ausdruck der Loslösung

Sprache und Denken beeinflussen und verstärken sich gegenseitig. In den Zeitabschnitt von 12 bis 18 Monaten fällt auch das Erlernen des „Nein“, des sprachlichen Ausdrucks der Loslösung. Mit dem Wort „Nein“ entdeckt das Kind sein „Ich“. Es lernt, sich von den Bezugspersonen abzugrenzen und – teils trotzig – den eigenen Willen mit einem einzigen Wort zu formulieren.

Mentales Lexikon–der Wort- und Bedeutungsspeicher