Spuk im Hochhaus - Eva Rechlin - E-Book

Spuk im Hochhaus E-Book

Eva Rechlin

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Beschreibung

Professor Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer ist kaum wiederzuerkennen. Aus seiner Wohnung im 27. Stock, aus der sonst nie ein Mucks gekommen war, ist auf einmal ohrenbetäubend laute Musik zu hören. Und noch viel verwunderlicher ist, dass bei dem bisher so griesgrämigen Mann, der nichts mit anderen Menschen zu tun haben wollte, die jungen Besucher ein und ausgehen. Carol und Valentin schaffen es, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen: Hier hat eindeutig Bludlsudlbubu seine Finger im Spiel! -

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Eva Rechlin

Spuk im Hochhaus

SAGA Egmont

Spuk im Hochhaus

Copyright © 1980, 2017 Eva Rechlin og Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711754344

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Familienschreck taucht auf

In einem unserer dicht besiedelten Landstriche gibt es eine vielköpfige Sippschaft mit dem guten alten Namen Happenduckdickdanzer. Die meisten davon wohnen in der großen Stadt D. oder etwas außerhalb. Daß man auch noch den vollen Stadtnamen nennt, würde sie nur verärgern. Mitbürger könnten sie erkennen und mit dummen Fragen belästigen. Die meisten von ihnen stehen im Telefonbuch. Es heißt, einige der Sippschaft hätten sich noch nie gesehen und wüßten trotzdem fast alles voneinander. Aber bis zu jenem naßkalten, nebeldüsteren November hatte keiner von ihnen an den Professor Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer gedacht, obwohl vor allem die Älteren allerlei über ihn wußten, besonders, daß er ein altes Ekel wäre, ständig unterwegs auf Forschungsreisen in aller Welt. Und ausgerechnet beim miesesten Novemberwetter tauchte er in D. auf und meldete sich telefonisch.

Er saß in seinem Hotelzimmer, vor sich das dicke Telefonbuch, aufgeschlagen bei den anderthalb Spalten voller Happenduckdickdanzer-Anschlüsse. Es begann mit Agathe, Bruno, Carmen und so weiter durch das ABC und endete mit Zacharias. Genau in dieser Reihenfolge wollte der alte Bruno-Kuno sie anrufen. Er brauchte ihre Hilfe bei der Suche nach einer ruhigen Wohnung, in der er ungestört seine Forschungsergebnisse aufschreiben wollte. In Hotels hatte er lange genug gehaust.

Als erste wählte er also die Nummer von Agathe Happenduckdickdanzer. Er wußte nicht mehr genau, wer diese Agathe aus dem Telefonbuch sein mochte. Verwandte interessierten ihn so wenig wie sämtliche übrigen Menschen, solange er sie nicht brauchte. Er hörte den Summton aus der Hörmuschel und dachte nach:

Agathe – hieß nicht so die Frau eines seiner Brüder oder Vettern? Auf jeden Fall eine alte Schachtel. Wie lange brauchte sie denn noch bis zu ihrem Telefon? Na endlich! Zaghaft meldete sich eine junge Stimme.

»Ist dort Agathe?« knurrte er, »saluto, altes Haus, hier spricht dein guter alter Bruno-Kuno. Bin mal wieder im Lande und will diesmal sogar bleiben. Na? He, Agathe! Mach gefälligst auch mal den Schnabel auf!«

»Seien Sie bloß froh, daß ich nicht Oma bin. Die knallt auf, wenn man sie so blöde anspricht. Aber ich will mal nicht so sein. Sind Sie noch dran?«

Verwirrt stammelte der Professor: »Gewiß! Wer sind denn Sie?«

»Carola, Omas Enkelin. Sind Sie ein alter Freund von ihr?«

»Moment, Kind. Heißt deine Oma Happenduckdickdanzer?«

»Schlaues Kerlchen! Mein Papa heißt auch so, ist ihr Sohn.«

»Und dein Großvater – hieß er Uwe-Udo? Hallo, Karotte!«

»Ca-ro-la«, antwortete sie mit hörbarem Mißtrauen, »ich laß mich von Wildfremden nicht über Opa Uwudo ausfragen, kapiert?«

»Uwudo?« sagte, fast gerührt, der grauhaarige Herr im Hotel, »das war schon als Kind der Spitzname von meinem großen Bruder. Also bist du meine richtige Nichte. Aber was nützt mir das? Ein Kind wird mir kaum bei der Wohnungssuche helfen können. Los, ruf mal die alte Agathe ran. Oder noch besser Uwudo!«

»Geht leider nicht mehr. Wenn Sie sein Bruder waren, müßten Sie das eigentlich wissen, Sie … wie heißen Sie denn?«

»Ich bin dein Onkel, Carlina. Professor Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer, gestern abend hier im ›Hotel Fürstenhof‹ eingetroffen, frisch aus Feuerland …«

»Ph! Ein Professor würde wissen, daß er mein Großonkel ist, wenn sein Bruder mein Opa war. Mich können Sie doch nicht für doof halten. Außerdem heiße ich Caro-la!« Peng! Und schon legte sie auf. Brach das Gespräch einfach ab. Er schnappte nach Luft. So etwas hatte noch keiner mit ihm gewagt! Wütend wählte er die nächste Nummer. Bei Bruno Happenduckdickdanzer meldete sich niemand. Als der Professor Carmens Telefonnummer wählte, ertönte das Besetztzeichen. Ärgerlich knurrte er: »Verdammte alte Quatschtüte! Also weiter zu Donald …« Er wählte die Nummer. Besetzt. Er legte auf, trat ans Fenster, ging zurück ans Telefon, wählte noch einmal Donalds Nummer. Besetzt. Es war nicht zu fassen: Auch bei Eduard ertönte das Besetztzeichen, ebenso bei Fanny und bei Gregor, bei Hugo, Ida, Julia, Karl, Leo und … bei Moritz gab er es auf, schlug sich die Hände vor das Gesicht und schluchzte: »Verdammte Quasselstrippen – sämtliche Happenduckdickdanzers! Oh nein, mit solcher Verwandtschaft will ich nichts zu tun haben. Stille brauche ich! Ruhe! Schweigen! Ich will …«

Sein Telefon klingelte. Wer auf dieser Erde konnte ihn anrufen wollen? Wer konnte überhaupt wissen, daß er im ›Hotel Fürstenhof‹ war? Er hob ab und brummte: »Pech gehabt, hier ist die falsche Nummer.« Er fuhr auf beim Klang der Stimme, die ihm antwortete: »Bleib dran, Großonkel! Ich bin’s, Carola! Ich hab Oma Agathe gerade noch bei Carmen erwischt. Sie haben gleich Onkel Donald und Onkel Bruno in seinem Büro und all die andern angerufen. He! Klemmt dein Gebiß? Sag was!« »Spricht man derartig mit einem Großonkel? Und woher wußtest du überhaupt meine Telefonnummer?«

»Du hast vorhin doch dein Hotel genannt. Und ich bin ja nicht im Schafstall elf Jahre alt geworden.«

»Du bist erst elf? Und telefonierst mit fremden Herren mutterseelenalleine herum? Wo sind deine Eltern, Kleine?«

»Geschieden. Ich wollte bei Oma bleiben. Du, ich weiß, wo dein Hotel ist. Soll ich mal hinkommen?«

Er erstarrte. Dieses Gör war wohl nicht zu bremsen. Entrüstet rief er zurück: »Fang bloß nicht an, mir auf den Pelz zu rücken, verstanden? Ihr sollt mir nur eine störungsfreie Wohnung suchen helfen. Kapiert, Kamilla?«

»Ca-ro-la! Und ob es dir paßt oder nicht: ich muß unbedingt sehen, ob es stimmt, was sie alle von dir sagen, nämlich daß du ein alter Drachen bist.«

»Untersteh dich!« brüllte er, »noch in dieser Minute verlasse ich das Hotel, du … du Kartoffel!«

Wütend legte er auf. Nun wußte er wenigstens, warum bei so vielen Happenduckdickdanzers die Telefone blockiert waren: Weil die Sippschaft sämtliche Drähte vollgackerte mit der Sondermeldung: »Bruno-Kuno ist wieder aufgetaucht …«

Es kamen zwei schlimme Wochen für ihn. Wie hatte er auf die unselige Idee kommen können, sich ausgerechnet in der alten Heimat seinen festen Wohnsitz suchen zu wollen? Hier, wo Scharen von Verwandten ihn umzingelten? Noch am ersten Tag hatte er das ›Hotel Fürstenhof‹ panisch verlassen, damit die dreiste Carola ihn nur ja nicht belästigen könne. Alle zwei Tage wechselte er vorsichtshalber das Hotel. Er wollte nicht einen einzigen von der vielköpfigen Sippe sehen. Seinen Frieden wollte er! Und selbstverständlich ihre aufopfernde Hilfe bei der Suche nach seiner Traumwohnung. Er wußte, daß es äußerst schwer war, in der großen Stadt überhaupt eine Wohnung zu finden. Einzig deshalb brauchte er die verwandtschaftliche Unterstützung, aber gefälligst alles nur telefonisch! Und sie begriffen schließlich, daß er unnahbar war. Die besagten zwei schlimmen Wochen brauchte er, bis er sie so weit hatte. Von da an konnte er im ›Hotel Tango‹ – es war sein achtes binnen vierzehn Tagen – einigermaßen sicher abwarten, daß sich die übrigen Happenduckdickdanzer’s bei der Wohnungssuche für ihn die Schuhsohlen durchliefen.

Und das taten sie trotz allem, was sich unter ihnen über den hochnäsigen Weltenbummler nun herumsprach. Bereits seit seiner Kindheit vor fast sechzig Jahren galt er als widerborstig, abweisend, kaltherzig, eigensüchtig und stinklangweilig. Und weil sich das wie ein Lauffeuer verbreitete, fürchteten alle, daß ein mieser Typ wie Bruno-Kuno sich bei ihnen einnisten und sie unbarmherzig aus den eigenen vier Wänden vergraulen könnte. Nein, da liefen sie sich lieber die Schuhsohlen ab.

Von nun an wurde der Familienschreck Bruno-Kuno mehrmals täglich in bestimmte Stadtviertel bestellt. Natürlich nur telefonisch. Binnen vierzehn Tagen besichtigte er einunddreißig Wohnungen. Normale Leute hätten davon mindestens neunundzwanzig mit Kußhand genommen. Das Ekel Bruno-Kuno jedoch brachte die unsichtbar bleibende Verwandtschaft zur Verzweiflung. Und hätte ihn nicht jener rätselhafte Anruf erreicht, wären sämtliche Happenduckdickdanzers womöglich noch wahnsinnig oder bösartig geworden.

Erschöpft und mißgelaunt von der einunddreißigsten Wohnungsbesichtigung, kehrte der Professor ins ›Hotel Tango‹ zurück. Der Portier am Empfang stürzte ihm aufgeregt entgegen: »Es ist für Sie angerufen worden!« Angewidert fragte der Professor: »Na und? Ruft man mich nicht andauernd an? Wer von der Sippe ist es diesmal?« »Keiner von denen. Hier sind Name und Telefonnummer. Man bietet eine Wohnung. Sie können jederzeit hinkommen. Spiriton, Herr und Frau Spiriton, die Telefonnummer ist …«

»Dreizehn dreizehn dreizehn«, sagte der Professor langsam und nahm den Notizzettel mit auf sein Zimmer. Noch in Mantel und Hut eilte er dort an sein Telefon. Er fühlte sich seltsam erregt. Als hätte man am anderen Ende nur auf seinen Anruf gewartet, wurde dort sofort abgehoben: »Hier spricht Frau Spiriton. Sind Sie es, Magister Danzdückhappendicker?«

»Professor Happenduckdickdanzer! Woher, um alles in der Welt, wissen Sie meinen Namen und Aufenthalt?« Sie überging seine Frage, indem sie gleich zur Sache kam: »Sie suchen also eine ruhige, einsame Wohnung, möglichst nahe bei der Hochschulbibliothek? Nun, ich denke, wir können Ihnen diese Wohnung sehr bald überlassen. Kommen Sie doch am besten gleich her. Zum neuen Hochhaus am Flußkai, sechsundzwanzigstes Stockwerk. Ringsum nichts als freie Sicht. Moment, mein Mann wird Ihnen erklären, wie Sie herfinden …« Keine zwanzig Minuten später stand der Professor vor dem Hochhaus, dem einzigen an den Uferstraßen des Stromes. In der frühen Novemberdämmerung fand der Professor nur mühsam über einer Wechselsprechanlage den Namen »Spiriton«. Er drückte auf den Knopf daneben, ein rotes Licht erglomm, und aus der Sprechanlage fragte eine etwas verzerrte Stimme: »Sind Sie es, Mister Duckdanzdickerhappen?« »Happenduckdickdanzer!« brüllte er zurück. Aus der Anlage quäkte es: »Bitte fahren Sie mit Lift eins bis vier zum dreizehnten Stockwerk, steigen Sie dort um in Lift fünf bis acht und nochmal dreizehn Etagen bis zum Penthouse. Wir warten.«

Oben im Dach-Appartement empfing ihn ein schlichtes Ehepaar, älter als er selber. Sie sahen aus wie vom Lande. Jedenfalls paßten sie nicht hierher. Die alte Dame griff lächelnd nach seiner Hand und sagte: »Kommen Sie. Wir zeigen Ihnen alles.«

Er folgte eigenartig willenlos. Spiritons führten ihn durch sämtliche Räume der einladenden Wohnung. Vier Zimmer, Küche, Bad, WC, Diele und eine Dachterrasse. Merkwürdig, wie leer die Wohnung war. Was nicht bereits abtransportiert worden war, stand verpackt in Kisten, Körben und Säcken bereit. Nur in der Küche blieben die eingebauten Möbel stehen, samt Eckbank und Eßtisch. Im Wohnzimmer stand aufgeschlagen eine Doppelbettcouch. Umso auffälliger stachen dem Professor die zahlreichen Spiegel in die Augen, die an den sonst nackten Wänden hingen – in jedem Raum, auch am verschwiegenen Örtchen. Es waren schöne Kristallspiegel mit breiten, geschnitzten Holzrahmen. Sollten sie etwa hier hängenbleiben? Als errieten die Spiritons seine Gedanken, erklärte die alte Dame: »Die Spiegel lassen wir zuallerletzt abholen. Sie müssen von einem Fachmann verpackt werden.«

»Wann?« fragte der Professor und begriff zugleich, daß ihn hier irgend etwas überrumpelt hatte. Er benahm sich ohne nachzudenken, als wollte er die Wohnung nehmen. Und wie er es wollte! Es war genau die Wohnung seiner Träume. Wie konnte man sie verlassen wollen? Er wagte es, Fragen zu stellen. Doch Spiritons gaben nicht viel von sich preis, höchstens, daß sie früher auf dem Lande gelebt hätten, in einem alten Gutshaus oder Schloß. Das Stadtleben hatten sie sich lustiger vorgestellt. Nein, Leute wie sie könnten sich in der Stadt nicht wohlfühlen, sagten sie. Sie wollten zurück auf’s Land. Morgen schon. Übermorgen sei die Wohnung frei für den neuen Mieter, falls er den Mietpreis nicht scheue. Professor Bruno-Kuno scheute den gepfefferten Mietpreis nicht. Er leistete sogar unverzüglich eine Vorauszahlung. Herr Spiriton überreichte ihm die Wohnungsschlüssel, und beide geleiteten den neuen Mieter zum Lift. »Die Spiegel weg!« mahnte der Professor zum Abschied, »ich sehe nicht gerne Menschen. Auch mich nicht.«

Minuten später stand er unten am Flußkai, über den sich Nebel wälzte. Plötzlich eilte es ihn, zurück ins ›Hotel Tango‹ zu laufen und tausend wichtige Maßnahmen zu treffen. Möbel mußten bestellt werden, Gardinen, Bettzeug, Geschirr, ein riesiger Schreibtisch vor allem, Bücherregale, Lampen – wie sollte er das möglichst schnell schaffen? Die Hilfe der Verwandtschaft kam nicht länger infrage. Zum Teufel mit der Sippe! Sie hatten die richtige Wohnung für ihn ja nicht gefunden, sondern … Er blieb ruckartig stehen und sagte laut: »Ich aber auch nicht!« Gedankenvoll erreichte er sein Hotel. Der Portier begrüßte ihn: »Es sind wieder Anrufe für Sie gekommen«. Ärgerlich winkte der Professor ab und schnaubte: »Sämtliche Anrufer ab sofort abschmettern. Und lassen Sie bis übermorgen die Rechnung für mich erstellen. Was gibt es da zu strahlen?«

»Ich freue mich nur, daß Sie endlich die richtige Wohnung gefunden haben. Da hat das Fräulein Verwandte die Wette gewonnen. Um zehn Mark haben wir gewettet. Gönne ich ihr …«

Der alte Bruno-Kuno erblaßte, blickte sich lauernd um und zischte: »Eine Verwandte? Habe ich nicht strengstens verboten …«

»Sie ist ja gleich wieder auf und davon. Nur fragen wollte sie, hat sie gesagt, ob der Herr Großonkel wirklich noch heute zum Hochhaus am Flußkai gegangen wäre, weil nämlich ihr Vetter Valentin …«

»Mein Vetter Valentin?« raunzte der Professor.

»Nein. Der Vetter Valentin vom kleinen Fräulein Carola …«

Der Professor fuhr den Portier an: »Von wem kannte sie die Hochhausadresse? Und was ist mit diesem Valentin? Das muß der junge Schmierfink sein, der Papier und Leinwände bemalt und Bilder einrahmt und Spiegel …« Er stockte. Er schluckte. Wortlos wandte er sich ab, wortlos nahm er seinen Zimmerschlüssel. Durch seinen Kopf kreiste ein fürchterlicher Verdacht: Sie haben ihre Finger in diesem Spiel! Was steckt dahinter? Was?

Einsame Seufzer

Professor Happenduckdickdanzer ließ seine neue Penthouse-Wohnung per Eilauftrag von den dienstbaren Fachleuten eines großen Möbelhauses einrichten. Er war nicht wählerisch, lediglich der Schreibtisch sollte das Prunkstück der Bibliothek werden, deren sämtliche Wände von unten bis oben hinter Bücherregalen verschwanden. Die Bücher hatten den Professor stets in Kisten auf seinen Reisen begleitet und die ersten drei Wochen war er vor allem damit beschäftigt, die Bücher in die Regale einzuordnen. Der Bibliothekraum sollte Bruno-Kunos Arbeitszimmer werden. Hier wollte er selber viele bedeutende Bücher an dem riesigen, schönen Schreibtisch schreiben.

Nebenan hatte er sich ein Wohnzimmer einrichten lassen, außerdem ein Schlafzimmer, obwohl es auch in seinem Arbeitszimmer ein breites, gut gepolstertes Liegesofa für Mittagsnickerchen gab. Was er mit dem vierten Zimmer anfangen sollte, wußte er noch nicht. Wenn er hinein blickte, sah er die ovalen und rechteckigen hellen großen Flecken, die Spiritons zahlreiche Spiegel hinterlassen hatten. Diese Spiegel gingen ihm nicht aus dem Kopf. Als er noch in den Hotels gehockt und ekelhafterweise mit allerlei angeblichen und echten Verwandten telefoniert hatte, war einige Male auch von einem jungen Künstler namens Valentin Happenduckdickdanzer die Rede gewesen. Da dessen selbstgepinselte Gemälde ihm kaum etwas einbrachten, hieß es, schlage er sich mit allerlei Nebenjobs durch, schnitze beispielsweise auch kunstvolle Bilder- und Spiegelrahmen für Leute, die großherzig oder reich genug waren, für Handgearbeitetes noch leidlich zu zahlen …

Jedesmal, wenn dem Professor solche Gedanken durch den Kopf gingen, ahnte er, daß sie samt und sonders genau wußten, wo er sein neues und endgültiges Zuhause gefunden hatte. Und er fürchtete, daß sie das Hochhaus umschlichen. Er wußte nicht wie sie aussahen. Sie aber würden es schnell heraus haben, sobald er das Haus verließ.

Doch als die Wochen vergingen, als Weihnachten und Neujahr und Karneval vorüber waren, als er Tag für Tag ins nächste Restaurant zum Essen, in die Großmarkthalle zum Einkaufen, in die Hochschulbibliothek zum Studieren gegangen war und niemand ihn auffällig angeglotzt oder gar angesprochen hatte, da beruhigte er sich langsam. Und er machte sich keine Sorgen mehr, wenn sein Blick zufällig auf eine helle Stelle an der Wand fiel, die verriet, daß hier einst geradezu blödsinnig viele Spiegel gehangen hatten. Der alte Bruno-Kuno brauchte nur einen einzigen zum Rasieren, und der hing im Badezimmer.

Bis Ende Februar endlich fühlte er sich einsam und in Frieden gelassen genug, um damit zu beginnen, sein erstes wissenschaftliches Buch zu schreiben. Um den Aberglauben zu erforschen, war er ja jahrelang soviel gereist. Er fand, daß Aberglauben aller Art ein ebenso lächerliches wie trauriges Kapitel in der Menschheitsgeschichte war, und das wollte er mit seinen geplanten Schriften beweisen. Sein erstes Buch sollte heißen: »Über die Dummheit, an Dämonen, Gespenster, Zauberwesen und ähnliche Ausgeburten von Phantasie und Träumen zu glauben.«

Ein hoher Stapel Papierbogen lag auf dem prachtvollen Schreibtisch bereit. Der Professor stellte seine flache, altgediente Reiseschreibmaschine daneben, setzte sich davor auf den höhenverstellbaren Rollsessel, spannte den ersten Papierbogen in die Maschine und tippte mit spitzen Fingern den langen Buchtitel auf das Blatt. Als nächstes tippte der Professor ganz oben auf einen zweiten, noch völlig leeren Briefbogen: »Erstes Kapitel …« Er lehnte sich zurück. Jetzt mußte also ein Anfang gefunden werden, ein erster Satz, ein zündender Satz … In diesem entscheidenden Augenblick hörte Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer zum erstenmal in seiner einsamen, stillen Wohnung einen Laut, der nicht von ihm stammte. Der Laut drang unüberhörbar aus einem der übrigen, jetzt im Dunkel liegenden Räume, denn es war Abend. Da seufzte jemand. Kein Zweifel. Aufgeregt und regungslos saß der Professor an seinem Schreibtisch und lauschte. Und wieder seufzte es – von woher? Nord? Ost? Süd? West? Nein, das kam nicht von draußen. Und noch einmal ein erkältetes, tiefes, schnarchendes, dumpfes Seufzen, wie aus einem hohlen Körper. Der Professor gewann seine Fassung zurück. Was konnte das schon sein? Ein Einbrecher, dem bei seiner halsbrecherischen Tour bis ins sechsundzwanzigste Stockwerk etwas zugestoßen sein mußte, der um Hilfe rufen wollte und nicht mehr konnte. Etwas anderes fiel einem wie dem alten Bruno-Kuno jedenfalls nicht ein. Ruhig stand er auf, gelangte, auf Zehenspitzen hüpfend, kaum hörbar an die Tür zum Wohnzimmer, riß sie auf und schaltete zugleich die große Deckenleuchte an. Seine Blicke flitzten über die Möbelstücke, von Fenster zu Fenster – nichts. Da hörte er es wieder, noch schmerzlicher und gräßlicher als vorher, ein Seufzen, das ihm durch Mark und Bein ging. Hatte sich der Gangster etwa im Schlafzimmer auf sein Bett geschleppt, um es mit seinem schurkischen Blut zu besudeln? Ein Angsthase war Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer gewiß nicht. Noch immer unbewaffnet gelangte er mit drei, vier Sätzen an seine Schlafzimmertür, riß sie auf, schaltete das grelle Deckenlicht ein und schleuderte seine Blicke rundum und wieder zurück. Auch hier nichts Auffälliges. Sein Bett sah unberührt und makellos aus, wie er es vormittags selbst nach der Lüftung frisch hergerichtet hatte. Als eingefleischter