Stadt der Toten - Brian Keene - E-Book

Stadt der Toten E-Book

Brian Keene

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Beschreibung

Das Grauen nimmt kein Ende

New York nach der Apokalypse: Ein kleines Häufchen Überlebender hat sich unter der Führung des ehemaligen Milliardärs Darren Ramsey in einem Wolkenkratzer verschanzt und versucht verzweifelt, sich den Auswirkungen der Katastrophe entgegenzustemmen. Doch in den Straßen der Stadt rüsten seelenlose Kreaturen zur letzten Schlacht – Wesen, die nur ein Ziel kennen: die Vernichtung der Menschheit!

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MÜNCHEN

Das Buch

New York nach der Apokalypse: Die Stadt ist so gut wie zerstört, und auf den Straßen versammeln sich die wiederauferstandenen Toten, die sich rasant vermehren, während die Zahl der Menschen immer geringer wird. Eine kleine Gruppe Überlebender, darunter Jim Thurmond und sein Sohn Danny, hat sich unter der Führung des ehemaligen Milliardärs Darren Ramsey in einem Wolkenkratzer verschanzt und kämpft verzweifelt ums Überleben. Ihre Chancen sinken rapide, als plötzlich Ob, der mächtige Anführer der Untoten, in der Stadt auftaucht und einen grausamen Plan verfolgt: die endgültige Vernichtung der Menschheit! Als es den Untoten gelingt, den angeblich uneinnehmbaren Wolkenkratzer zu stürmen, und die letzte Festung der Menschen fällt, ist der Augenblick der finalen Schlacht zwischen Gut und Böse gekommen …

Der Autor

Brian Keene, geboren 1967, hat bereits zahlreiche Horrorromane veröffentlicht und dafür zweimal den begehrten Bram Stoker Award gewonnen. Zurzeit sind zwei Verfilmungen seiner Romane in Arbeit, außerdem werden für mehrere seiner Bücher und Kurzgeschichten Videospiel- und Comicbuchfassungen entwickelt. Er lebt mit seiner Frau und seinem Hund in Pennsylvania.

Weitere Informationen erhalten Sie unter:

www.briankeene.com

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Titel der amerikanischen Originalausgabe

CITYOFTHEDEAD

Deutsche Übersetzung von Michael Krug

Überarbeitete Neuausgabe 12/2011

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2005 by Brian Keene

Copyright © 2006 der deutschsprachigen Ausgabe

by Otherworld Verlag

Copyright © 2011 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-06612-3V002

www.heyne-magische-bestseller.de

Anmerkung des Autors:

Obwohl New York City und New Jersey real sind, habe ich mir gewisse künstlerische Freiheiten damit erlaubt. Falls Sie also dort leben, halten Sie nicht nach Ihrem Haus oder nach Ihrem Lieblingscafé Ausschau. Sie werden es nicht finden, und wahrscheinlich würden Sie ohnehin nicht wissen wollen, was nun darin lebt.

»Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein.

Das Zweitbeste aber ist für dich – bald zu sterben.«

Silen

»Und in jenen Tagen werden die Menschen den

Tod suchen und nicht finden, sie werden begehren zu sterben, und der Tod wird von ihnen fliehen.«

Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 9, Vers 6

»I know that we will rise.«

(»Ich weiß, wir werden auferstehen.«)

Fiz, »Our Dream«

»Und die Städte der Heiden stürzten ein …

denn diese Plage ist sehr groß.«

Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 16, Vers 19/21

EINS

Jim, Martin und Frankie standen neben dem verbeulten HumVee und starrten in die Ferne. Ein unendlicher Friedhof erstreckte sich entlang beider Seiten des New Jersey Garden State Parkway bis zum Horizont, genau in seiner Mitte von der Bundesstraße durchschnitten. Tausende von Grabsteinen schoben sich aus der Erde, umgeben von verfallenen Häusern und leeren, überwucherten Grundstücken. Gräber, Krypten und Grüfte sonstiger Art und Form bestimmten ebenfalls pixelartig das Bild der Landschaft, aber die schiere Menge an Grabsteinen begrub sie unter sich.

»Ich kenne diesen Ort. Ich habe hier jedes Mal eine Gänsehaut bekommen, wenn ich herfuhr, um Danny hinzubringen oder abzuholen. Unheimlich, oder?«, sagte Jim.

»Kompletter Wahnsinn«, keuchte Frankie. »Ich habe noch nie so viele Grabsteine auf einem Haufen gesehen. Gigantisch!«

Der alte Prediger flüsterte etwas vor sich hin.

»Was haben Sie gesagt, Martin?«

Er starrte mit weit aufgerissenen Augen über das Meer von Marmor und Granit.

»Ich sagte, dass das hier jetzt unsere Welt ist. Von allen Seiten umzingeln uns die Toten.«

Frankie nickte zustimmend. »So weit das Auge reicht.«

Martin seufzte. »Wie lange werden die Grabsteine die Häuser überleben? Wie lange die Toten uns?«

Martin schüttelte traurig den Kopf. Sie hatten den HumVee auf ernste Schäden untersucht, nach ihrem letzten Gefecht mit den Toten, bei einer Forschungseinrichtung der Regierung in Hellertown, Pennsylvania. Mit einem Experiment jener Anlage hatte die Auferstehung der Toten ihren Anfang genommen. Jim und die anderen waren außerhalb der Einrichtung angegriffen worden und hatten gerade noch fliehen können. Jetzt verfolgten sie weiter ihre Mission– die Rettung von Jims kleinem Sohn Danny.

Erleichtert über die harmlosen Schäden am HumVee setzten sie ihren Weg fort.

Als die Sonne unterging, fielen ihre letzten schwachen Strahlen auf das Schild vor ihnen.

BLOOMINGTON– NÄCHSTEAUSFAHRT

Jim atmete heftiger.

»Nimm die Ausfahrt.«

Martin drehte sich besorgt nach hinten.

»Alles in Ordnung, Jim? Was ist los?«

Jim verkrampfte sich in seinem Sitz und schnappte nach Luft. Ihm war übel. Sein Herz schlug heftig in der Brust, und seine Haut wurde kalt.

»Ich habe Angst«, flüsterte er. »Martin, ich habe furchtbare Angst. Ich weiß nicht, was passieren wird.«

Frankie nahm die Ausfahrt und schaltete die Scheinwerfer ein. Die Mauthäuschen standen leer. Sie seufzte erleichtert.

»Welche Richtung?«

Jim antwortete nicht. Vielleicht hatte er ihre Frage gar nicht wahrgenommen. Seine Augen waren fest geschlossen, und er begann zu zittern.

»Hey«, rief Frankie vom Fahrersitz, »willst du dein Kind wiedersehen? Reiß dich verdammt noch mal zusammen. Also, wohin?«

Jim öffnete die Augen. »Tut mir leid, du hast recht. Bis zum Ende der Ausfahrt und dann unten an der Ampel links. Nach drei Blocks biegst du rechts in die Chestnut ab. An der Ecke sind eine große Kirche und eine Videothek.«

Jim atmete kräftig aus und bewegte sich wieder. Er legte das Gewehr zur Seite und prüfte die Pistole, die er schließlich zufrieden zurück in ihr Holster schob. Er drückte sich zurück in den Sitz und wartete, während der Heimatort seines Sohnes draußen an ihm vorüberzog.

Ein Zombie in zerlumpter Lieferantenuniform sprang hinter einer Gruppe von Büschen hervor. Seine verdreckten Klauen umkrallten einen Baseballschläger.

»Da ist einer.« Martin kurbelte die Scheibe gerade so weit herunter, um einen Schuss abgeben zu können.

»Nein«, unterbrach Frankie ihn. »Schießen Sie nur, wenn sie uns unmittelbar bedrohen oder folgen.«

»Aber dieser wird es anderen erzählen«, protestierte er. »Mehr von denen ist das Letzte, was wir brauchen.«

»Eben darum sollen Sie ja nicht auf das Ding schießen, Prediger. Bis es seinen verrotteten kleinen Freunden erzählt hat, dass Essen auf Rädern eingetroffen ist, haben wir uns mit seinem Jungen längst verpisst. Wenn Sie schießen, weiß jeder Zombie in der Stadt, wo wir zu finden sind!«

»Sie haben recht.« Martin nickte und drehte die Scheibe wieder hoch. »Gutes Argument.«

Ein fetter Zombie watschelte vorbei. Er trug einen Kimono und zog einen roten Kinder-Bollerwagen hinter sich her. Darin saß ein weiterer Untoter, dem die untere Körperhälfte fehlte und der seine restlichen Innereien sowie gelben Eiter und Fettschlieren um sich herum verteilte. Beide Kreaturen wurden deutlich lebhafter, als der Wagen an ihnen vorbeizischte, und der dicke Zombie stolperte ihm mit wütend erhobenen Fäusten ein paar Schritte hinterher.

Frankie stieg in die Bremse, rammte den Rückwärtsgang rein und zermalmte Zombies und Kinderwagen unter den Rädern. Das Gefährt sprang dabei heftig auf und ab.

Sie grinste Martin an. »Weniger Lärm als ein Schuss, oder?«

Der Prediger schauderte. Jim nahm kaum Notiz von seinen Freunden. Sein Puls raste noch immer, aber die Übelkeit war inzwischen einer völligen inneren Leere gewichen.

Wie oft war er diese Vorstadtstraße entlanggefahren, um Danny nach Hause zu bringen oder abzuholen? Dutzende Male, aber nie zuvor bis an die Zähne bewaffnet, in einem gestohlenen Militärfahrzeug, an der Seite eines Predigers und einer Ex-Nutte. Er dachte an das erste Mal, an seinen ersten vollen Sommer mit Danny. Sein Sohn weinte, als Jim in die Chestnut einbog. Er wollte nicht, dass sein Vater ihn verließ. Als sie in die Einfahrt rollten, kullerten dicke Tränen über sein kleines Gesicht, und sie kullerten noch immer, als Jim widerwillig davonfuhr. Er hatte Danny im Rückspiegel beobachtet und gewartet, bis er außer Sicht war, um dann rechts ran zu fahren und seinerseits zusammenzubrechen.

Er dachte an Dannys Geburt und den Moment, in dem er seinen Sohn zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte. Er war so klein und winzig gewesen, mit noch feuchter, rosiger Haut. Sein neugeborener Sohn hatte auch damals geweint, aber als Jim ihn angluckste, öffnete er die Augen und lächelte. Die Ärzte und Tammy leugneten das Lächeln, da Babys nicht lächeln könnten; Jim jedoch wusste es besser.

Die folgenden Sommer hatte Danny mit seinem Dad und dessen zweiter Frau Carrie verbracht, mit Kartenspielen, viel Gelächter und ausgelassenen Rangeleien, Popcornmampfen sowie Godzilla und Mecha-Godzilla, die auf dem Bildschirm vor dem in trauter Dreisamkeit besetzten Sofa gemeinsam Tokyo zertrampelten.

Die Nachricht, die Danny vor einer Woche auf Jims Mailbox hinterlassen hatte, widerhallte in seinem Kopf, als sie um eine Ecke bogen.

»Wir sind auf der Chestnut«, meldete Frankie. »Was jetzt?«

»Ich hab solche Angst, Daddy. Ich weiß, dass wir nicht aus der Dachkammer raus sollten, aber Mami ist krank, und ich weiß nicht, was ich tun kann, damit es ihr besser geht. Draußen vor dem Haus höre ich Dinge. Manchmal gehen sie nur vorbei und andere Male glaube ich, sie versuchen reinzukommen. Ich glaube, Rick ist bei ihnen.«

»Jim? JIM!«

Jims Stimme war leise und schien von weit her zu kommen. »An O’Rourke und Fischer vorbei, dann links in die Platt Street. Das letzte Haus links.«

In seinem Kopf weinte Danny.

»Daddy, du hast versprochen, mich anzurufen! Ich hab Angst, und ich weiß nicht, was ich tun soll…«

»Platt Street«, verkündete Frankie und bog ab. Sie fuhr langsam an den ordentlich in Reihe stehenden und bis auf die Farben der Rollläden und Vorhänge komplett identischen Häusern vorbei.

»Wir sind da.«

Sie parkte den HumVee, ließ den Motor jedoch laufen.

»…und ich hab dich lieber als Spiderman und als Pikachu und als Michael Jordan und mehr als unendlich, Daddy. Ich hab dich mehr als unendlich lieb.«

Der inzwischen finstere Doppelsinn dieser Phrase hatte ihn die letzten Tage über permanent verfolgt. Es war ein Spiel gewesen, dessen Regeln nur er und Danny gekannt hatten, ein Ritual, das den Schmerz der Ferngespräche zwischen West Virginia und New Jersey ein wenig linderte. Aber dann hatte einer der Zombies, denen er auf seinem Trip begegnet war, den Spruch ebenfalls von sich gegeben.

»Wir sind viele. Zahlreicher als die Sterne. Wir sind mehr als unendlich.«

Jim öffnete die Augen.

»Mehr als unendlich, Danny. Daddy hat dich mehr als unendlich lieb.«

Er öffnete die Tür. Martin folgte. Jim legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte den alten Mann zurück in den Sitz.

»Nein«, sagte er bestimmt und schüttelte den Kopf, »Sie bleiben bei Frankie. Ihr müsst uns Rückendeckung geben und gewährleisten, dass wir freie Bahn haben. Die Gewehre lasse ich bei euch– für alle Fälle.«

Er hielt inne, drückte weiter Martins Schulter, hob schließlich den Kopf und hielt die Nase in den Wind.

»Die Toten beleben diese Stadt, Martin. Riechen Sie sie?«

»Ja«, gab der Prediger zu, »aber Sie werden Hilfe brauchen. Die Schrotwunde in Ihrer Schulter wird nicht besser. Was, wenn…«

»Ich weiß zu schätzen, was Sie für mich und Danny getan haben, aber das hier muss ich alleine machen.«

»Ich fürchte das, was da drin unter Umständen auf Sie wartet.«

»Ich auch. Genau darum muss ich es allein tun. Okay?«

Martin zögerte. »Okay. Wir warten hier auf Sie und Ihren Sohn.«

Frankie lehnte sich über den Sitz und zog eines der M-16-Gewehre nach vorn. Sie stellte es zwischen ihre Beine und sah in den Rückspiegel.

»Die Luft ist rein. Du solltest durchstarten.«

Jim nickte.

Martin seufzte. »Viel Glück, Jim. Wir halten die Stellung.«

»Danke. Danke euch beiden.«

Er atmete tief durch, drehte sich um und überquerte die Straße. Seine Füße waren bleischwer, seine Hände taub. Er griff nach der Pistole, schüttelte sich kurz und biss die Zähne zusammen.

»Mehr als unendlich, Danny…«

Er begann zu laufen, und seine Stiefel schlugen hart auf das Pflaster, als er zum Haus sprintete. Er erreichte den Vorgarten, hastete auf die Veranda und zog die Pistole. Mit zitternder Hand griff er nach der Türklinke. Der Eingang war unverschlossen.

Langsam schob Jim sich hindurch. Er betrat das Innere des Hauses und rief den Namen seines Sohnes.

Sie warteten in der Dunkelheit.

Martin war nicht bewusst, dass er den Atem anhielt, bis Jim im Hauseingang verschwand.

Frankie kontrollierte erneut die Straße. »Was nun?«

»Wir warten«, antwortete Martin. »Wir warten, bis sie rauskommen.«

Die Nachtluft wurde kühl und pfiff durch das Loch in der ramponierten Windschutzscheibe. Frankie fröstelte. Jim hatte richtig gelegen. Irgendwas Faules lag in der Luft.

»Wie alt ist Danny eigentlich?«

»Sechs. Er war– ich meine ist– ein süßes Kind. Sieht Jim sehr ähnlich.«

»Haben Sie ein Foto gesehen?«

Er nickte.

»Wie lange reist ihr zwei schon zusammen?«

»Seit West Virginia. Jim wurde vor meiner Kirche angegriffen. Ich habe ihn gerettet und ihm dann versprochen, bei der Suche nach seinem Sohn zu helfen.«

Einen Augenblick lang war Frankie still.

»Sagen Sie mir eins, Prediger– glauben Sie wirklich, dass sein Sohn da drin noch am Leben ist?«

Martin beobachtete das Haus. »Ich hoffe es, Frankie. Ich hoffe es.«

»Ich auch. Ich glaube, dass…« Ihre Stimme verlor sich, und sie ließ die Augen abermals aufmerksam prüfend über die Straße und anliegenden Grundstücke wandern. Bedächtig brachte sie das Gewehr in Anschlag.

Der Gestank wurde stärker.

»Was ist los?«, fragte Martin.

»Riechen Sie es nicht? Sie kommen.«

Martin öffnete das Fenster einen Spalt, sog die Luft ein und rümpfte angeekelt die Nase.

»Ich schätze, sie wissen, dass wir hier sind. Sie jagen nach uns.«

»Was machen wir?«

»Wie gesagt, warten. Viel mehr können wir nicht tun. Wir halten uns einfach bereit.«

Damit verfielen sie wieder in Schweigen und betrachteten die ausgestorbenen Häuser rings um sie. Martin richtete den Blick auf Dannys Haus. Seine zittrigen Beine wippten auf und ab, während er in der Dunkelheit unablässig mit seinen ledrigen Knöcheln knackte. Seine Arthritis machte sich deutlich bemerkbar, und er bezweifelte, in naher Zukunft irgendwo zufällig ein Mittel dagegen zu finden.

»Hören Sie mit dem Zappeln auf.«

»Verzeihung.«

Willkürliche Bibelverse fuhren ihm durch den Kopf. Martin konzentrierte sich auf sie, um sich nicht fragen zu müssen, was gerade im Haus geschah. Selig sind die Friedfertigen…Jesus erlöst…Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben…Und am dritten Tage ist er auferstanden von den Toten…

Martin blickte erneut zum Haus und unterdrückte den Drang, aus dem HumVee zu springen und hinüberzulaufen. Er dachte an den Vater und dessen Sohn, die sie in Virginia vor Kannibalen gerettet hatten. Der Vater war tödlich verwundet und von seinem Sohn erschossen worden, bevor er sich in einen Zombie verwandeln konnte. Danach hatte der Sohn sich selbst eine Kugel in den Kopf gejagt.

Er gab seinen eingeborenen Sohn, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben…Und am dritten Tage ist er auferstanden von den Toten…

…seinen eingeborenen Sohn…auferstanden von den Toten…

…eingeborenen Sohn…auferstanden…

Martin erschauerte.

»Frankie, ich…«

Plötzlich zerriss ein Schuss die nächtliche Stille. Ihm folgte ein gellender Schrei. Kurz kehrte wieder Ruhe ein, bis ein zweiter Schuss knallte.

Beide Schüsse waren im Haus gefallen.

»Frankie, das war Jim, der geschrien hat!«

»Sind Sie sicher? Klang für mich nicht besonders menschlich.«

»Er war es! Ich bin ganz sicher.«

»Was machen wir jetzt?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht!«

Martins Gedanken überschlugen sich.

Er hat Danny und dann sich selbst erschossen! Er ging rein, und Danny war ein Zombie. Sein eingeborener Sohn war von den Toten auferstanden!

Frankie schüttelte ihn.

»Scheiß drauf! Los, Hochwürden!«

Sie sprangen mit schussbereiten Waffen aus dem HumVee, als der Nachtwind die ersten Schreie der Untoten zu ihnen trug. Die Zombies tauchten am Ende der Straße auf, während sich gleichzeitig sämtliche Haustüren zu öffnen begannen. Die lebenden Toten strömten auf sie zu.

Martins Stimme versagte fast. »Es… es war eine Falle. S-sehen Sie sich all diese…«

»Scheiße.«

Frankie hob das M-16, zielte und gab in schneller Folge drei Schüsse ab. Eine Leiche fiel, fünf andere wankten an ihre Stelle. Unter grauenhaftem Geschrei griffen die Zombies an.

Martin tat ein paar Schritte zurück Richtung HumVee, doch Frankie packte seinen Arm.

»Bewegen Sie Ihren Arsch, Prediger!«

Sie rannten zum Haus, um ihrem Freund beizustehen. Als sie näher kamen, hallten im Inneren weitere Schüsse.

Über ihnen schien der jüngst aufgegangene Mond auf die Welt hinab und starrte einäugig auf ein Spiegelbild seines kalten, toten Selbst.

ZWEI

Im Haus herrschte Stille.

»Danny?«

Das Herz schlug Jim bis zum Hals, während er weiterschlich. Die Dielenbretter knarrten unter seinen Füßen, und er hielt den Atem an. Das Wohnzimmer war verwaist. Auf einem Regal standen ordentlich Dannys Filme neben einer Reihe von Videospielen. Eine dünne Staubschicht bedeckte den Kaffeetisch und einige Beistelltische. Auf einem der Sofakissen prangte ein verkrusteter, rötlich-brauner Fleck, über den Fliegen krochen.

»Danny! Ich bin’s, Daddy! Wo bist du?«

Er ging in die Küche, wo ihn ein Übelkeit erregender Gestank empfing. Was immer sich im Mülleimer befand, war längst verfault. Fliegen wuselten darüber, ebenso über den Kühlschrank, in den sie einzudringen versuchten. In der Stille wirkte das unablässige Summen laut. Jim würgte. Mit der Hand über Nase und Mund wich er rücklings aus der Küche in den Gang zurück.

Lauschend neigte er den Kopf von einer Seite zur anderen.

Über ihm ertönte ein Geräusch, das sich anhörte, als würde etwas über den Boden geschleift.

Jim ging zur Treppe.

»Danny? Bist du da? Komm raus, mein Junge, ich bin’s!«

Erst vor einer Woche (die sich allerdings wie ein Jahr anfühlte) hatte Jim einen besonders lebendigen Albtraum über diesen Augenblick gehabt. In seinem Traum hatte er das obere Ende der Treppe erreicht und war zu Dannys Zimmer gehumpelt.

Die Tür hatte sich knarrend geöffnet, und sein Sohn war herausgekommen, um ihn zu begrüßen. Als Zombie.

An der Stelle hatte Jim in seinem Traum geschrien, um aufzuwachen.

Diesmal würde ihm diese Möglichkeit verwehrt sein.

Wenn…

Das obere Ende der Treppe lag im Schatten verborgen. Das Geräusch wiederholte sich nicht.

Jim hinkte die einzelnen Stufen hinauf. Seine neugewonnene Kraft war beinah versiegt.

Als sie die Grenze zwischen Pennsylvania und New Jersey überquerten, hatte Frankie ihm eine Frage gestellt. Nun ging ihm die Unterhaltung von damals durch den Kopf.

»Hast du darüber nachgedacht, was du tun wirst, wenn wir dort eintreffen und Danny sich in einen von denen verwandelt hat?«

»Ich weiß es nicht.«

Insgeheim wusste er es allerdings sehr wohl.

Wenn…

Auf halbem Weg nach oben hielt Jim inne, schob das Magazin aus der Pistole und überprüfte die Anzahl der Kugeln. Es waren nur noch wenige übrig, aber sie würden reichen. Für Danny– und ihn selbst.

Wenn…

Er ging weiter. Die Treppe knarrte bei jeder Stufe, die er erklomm. Das Geräusch ertönte erneut. Schritte? Lauschend blieb er stehen. Oben erwartete ihn ein Gang mit vier Türen. Zwei führten in Schlafzimmer, von denen eines Danny gehörte, das andere Rick und Tammy. Die dritte Tür führte in das Badezimmer, die vierte zur Dachkammer.

Das Geräusch stammte von dort. Nun war unverkennbar, dass es sich um die Laute zögerlicher Schritte handelte, von jemandem, der versuchte, behutsam und leise zu gehen.

»Danny, ich bin’s, dein Daddy! Bist du da?«

Er kam oben an und schlich an den Schlafzimmern vorbei zur Dachkammertür. Sein Atem stockte ihm in der Brust, das Blut rauschte ihm in den Ohren. Als er neuerlich nach Danny rief, überschlug sich seine Stimme.

»Alles in Ordnung, Danny. Du bist in Sicherheit. Es wird alles wieder gut.«

Die Badezimmertür schwang auf, und seine tote Exfrau stürzte sich auf ihn.

Tammy bot einen schauerlichen Anblick. Ihr mit getrockneten Körperflüssigkeiten besudelter Bademantel hing offen. Die Verwesung war weit fortgeschritten und hatte sich über ihr modriges Fleisch ausgebreitet. Ein Großteil ihres dichten, dunklen Haars war verschwunden. Die wenigen verbliebenen Büschel waren verfilzt und fettig. Von ihrer grauen Wange baumelte ein Wurm, ein weiterer grub sich durch ihren Unterarm. Bräunlich-gelbe Flüssigkeit troff ihr aus den Augenwinkeln, aus dem Mund und aus den schwärenden Stellen ihrer Haut. Die rechte Brust hing ihr bis zum Bauchnabel und offenbarte das faulige Fleisch darin. Sie wiegte bei jedem Schritt hin und her. In der dunklen Stelle zwischen ihren Beinen krümmte sich etwas.

»Hallo, Jim!«

Der widerwärtige Atem des Leichnams umfing ihn. Da die Kreatur zu nahe für einen Schuss war, schlug ihr Jim mit dem Griff der Pistole ins Gesicht und schauderte vor Abscheu, als verrottete Zähne auf den Läufer fielen.

Als der Zombie, dessen geschwollene Beine Mühe hatten, das Gewicht des aufgedunsenen Leibs zu tragen, ins Wanken geriet, wich Jim einen Schritt zurück.

»Ich bin hier, um Danny zu holen.«

»Du kommst zu spät«,nuschelte der nunmehr so gut wie zahnlose Mund. »Danny ist tot!«

»Halt’s Maul! Halt verdammt noch mal die Klappe!«

»Danny ist tot! Danny ist tot!« Mit fuchtelnden Armen tanzte sie im Gang und sang mit lallender Stimme. »Der Balg ist tot! Dein Sohn ist tot!«

»Du lügst. Sag mir, wo er ist!«

»Armer Jim. Hast du den ganzen Weg zurückgelegt, nur um deinen Sohn zu retten? Zu spät! Sein Geist leidet Qualen und ist für dich unerreichbar. Er schmort in der Hölle wie alle deiner Art. Sein Körper hat sich uns angeschlossen, und jetzt bist du an der Reihe. Ich werde deine Seele auf die Suche nach seiner schicken, damit einer unserer Brüder der Leere entfliehen und deinen Leib übernehmen kann. Es warten noch so viele von uns. So viele. Mehr als…«

Jim hob die Pistole an, doch das Ding, das einmal seine Exfrau gewesen war, erwies sich als schneller. Sie stürzte sich auf ihn und ergriff mit beiden verwesenden Händen seinen Unterarm. Knochige Finger zogen seinen Arm auf den Mund der Kreatur zu. Die verbliebenen Zähne des Zombies bissen aufeinander, als Jim sich losriss. Er schlug der Kreatur ins Gesicht. Die Haut fühlte sich kalt und feucht an, und seine Faust sank tief durch die Oberfläche der Wange der Kreatur. Mit einem nassen, schmatzenden Geräusch zog er seine triefende Hand zurück.

Miteinander ringend, taumelten sie vor und zurück. Die mehrere Tage alte Schussverletzung in seiner Schulter brannte. Jim spürte, wie Blut um die laienhafte Naht austrat. Der Zombie drängte ihn einen Schritt zurück. Abermals biss das Ding nach seinem Arm und verfehlte ihn nur knapp. Jim schleuderte die Kreatur gegen die Wand, erst einmal, dann erneut und schließlich ein drittes Mal. Bilderrahmen fielen zu Boden und zerbrachen. Etwas in Tammy barst, und schwarze Flüssigkeit spritzte aus ihrem Mund und ihrer Nase. Der Gestank war überwältigend.

Jim befreite seinen Arm, schwenkte die Pistole herum und feuerte, ohne zu zielen. Ein Ohr der Kreatur verschwand zusammen mit einem Teil des Kopfes, aber der Zombie lachte nur. Die Explosion hallte in Jims Schädel wider. Tammy schlurfte abermals auf ihn zu.

»Hast du gewusst, dass sie dich immer noch geliebt hat? O ja. Ich sehe es hier drin.« Der Zombie klopfte sich auf die Stirn. »Sie hatte vor, Rick zu verlassen, damit ihr drei wieder eine Familie sein konntet. Aber dann hast du wieder geheiratet.«

Jim schrie. Eine allumfassende Wut ergriff Besitz von ihm. Die Venen an seinem Hals und seinen Armen pochten, sein ganzer Leib bebte vor Zorn.

»Halt’s Maul, du gottverdammte Schlampe!«

Diesmal traf er ins Schwarze. Die Kugel hinterließ ein kleines Loch unmittelbar über Tammys Augen. Ihr Hinterkopf spritzte über die Tapete. Jim feuerte wieder und wieder– und wieder. Sein Finger drückte den Abzug, bis die Waffe klickte. Dann stand er über dem Leichnam und schaute darauf hinab, während ihm die Pistole aus den tauben Fingern glitt.

»Es tut mir leid, Tammy. Ich wünschte, die Dinge hätten anders zwischen uns geendet. Auch wenn du mir Danny weggenommen hast, das hattest du nicht verdient.«

Das zögerliche Schlurfen hinter der Dachkammertür wiederholte sich. Jim stieg über Tammys Überreste und ging darauf zu.

»Danny?«

Knarrend öffnete sich die Tür.

Sein Sohn trat heraus ins Licht.

»Danny!«

Erst schwieg die winzige Gestalt, dann…

»Daddy? DADDY?«

»Danny! O mein Gott…«

Das Haar des sechsjährigen Jungen war weiß geworden. Nicht grau oder silbrig, sondern schlohweiß. Eine deutliche Abgrenzung war etwa in der Mitte der Länge seiner Haare erkennbar. Von der Mitte bis zum Ende waren sie braun, der Rest hingegen war weiß.

»Danny…«

Danny rannte auf ihn zu, und Jim umarmte ihn, drückte ihn fest an seine Brust. Beide schluchzten hemmungslos. Das Gewicht der Emotionen drohte, Jim zu erdrücken– die Unglaublichkeit, Danny tatsächlich lebendig gefunden zu haben, die überwältigende Erleichterung, die ihm Schauder über den Rücken jagte, und das bloße Gefühl seines Sohnes in seinen Armen.

»O Danny. Ich kann es kaum glauben.«

»Daddy, ich habe gedacht, du wärst tot. Ich dachte, du wärst wie Mami und Rick und…«

»Schon gut, Großer. Jetzt ist alles gut. Daddy ist hier, und ich werde dich nie wieder verlassen. Alles in Ordnung, ich verspreche es. Du bist jetzt in Sicherheit. Nur das zählt.«

Unter Dannys Augen prangten dunkle Ringe, außerdem war er deutlich abgemagert. Jim spürte durch das dünne Spiderman-Pyjamahemd die Rippen seines Sohnes. Er fuhr mit der Hand durch das weiße Haar. Was war nur mit ihm geschehen?

Was ist mit meinem Sohn geschehen? Was um alles in der Welt hat sich hier abgespielt?

Danny löste sich von ihm. »Daddy! Du bist ja verletzt!«

»Keine Bange. Das ist nicht mein Blut. Es ist…«

Danny schaute auf den Leichnam seiner Mutter hinab, dann vergrub er das Gesicht an der Brust seines Vaters. Er schauderte.

»Hast du… hast du Mami erschossen?«

»S-sie war nicht mehr deine Mutter, Danny. Das weißt du doch, oder?«

»Daddy, ich hatte solche Angst. Die Monsterleute sind gekommen, und Mami und ich haben uns in der Dachkammer versteckt. Mami wurde krank, und dann ist Rick gekommen. Ich habe ihm wehgetan– ganz schlimm wehgetan, mit seiner Bowlingkugel, damit er Mami nicht holen konnte, aber Mami ist nie aufgewacht, und als sie es dann doch tat, war sie auch ein Monster, also habe ich mich wieder in der Dachkammer eingesperrt und die Tür blockiert, wie ich es im Fernsehen gesehen habe, und Mami hat versucht hineinzukommen, und– Daddy, WOWARSTDU? Du hast gesagt, du würdest mich immer beschützen, aber du hast gelogen! Du hast mich angelogen, Daddy!«

Jim drückte den Jungen noch fester. Nach einer Weile wischte er sich mit dem Ärmel die Nase ab.

»Ich war unterwegs, Danny. Ich bin sofort aufgebrochen, nachdem ich deine Nachricht erhalten hatte. Ich bin einigen sehr bösen Menschen über den Weg gelaufen, die mich aufgehalten haben. Aber was du getan hast, mich auf dem Mobiltelefon anzurufen, das war sehr klug. Du warst ganz tapfer, und ich bin stolz auf dich.«

»Mami hat gesagt, du würdest nicht kommen. Sie hat gesagt, du hättest mich nicht lieb.«

Die vertraute Wut regte sich in ihm, und für einen kurzen Moment bereute er ganz und gar nicht, ihren wiederbelebten Leichnam erschossen zu haben.

»Wann, Danny? Wann hat sie das gesagt?«

»Nachdem sie wieder aufgewacht ist. Als sie versuchte, in die Dachkammer zu kommen.«

»Tja, sie hat sich geirrt. Außerdem war das nicht mehr deine Mutter, die zu dir gesprochen hat. Und jetzt, da ich hier bin, wird dir nie wieder jemand wehtun. Eher sterbe ich. Draußen warten Freunde von mir. Aber wir müssen uns beeilen, in Ordnung?«

Dannys Wangen waren nass und gerötet.

»Ich hab dich lieb, Daddy. Ich habe dich mehr als unendlich lieb.«

Neue Tränen rollten Jim übers Gesicht.

»Ich dich auch, Kumpel. Ich liebe dich auch mehr als unendlich. Du hast ja keine Ahnung, wie lange ich warten musste, um dir das wieder zu sagen.«

Unten schwang krachend die Tür auf. Danny zuckte in seinen Armen. Jim sprang auf die Beine, schob seinen Sohn hinter sich und griff nach der Pistole, die noch dort auf dem Boden lag, wo sie gelandet war. Zu spät fiel ihm ein, dass er keine Munition mehr hatte.

»Bleib hinter mir, Danny.«

Eine Stimme rief von unten: »Jim?«

»Martin?«

»Ich bin hier, Jim! Wo stecken Sie?«

»Oben.«

Dann ertönte Frankies Stimme. »Machen Sie schon, alter Mann! Sie kommen.«

Mit einem Knall wurde die Tür zugeworfen.

Danny duckte sich hinter ihm. Jim kniete nieder und schaute seinem Sohn in die Augen.

»Alles in Ordnung, Danny. Das sind die Freunde, die ich erwähnt habe. Sie haben mir geholfen, dich zu finden. Gehen wir nach unten, dann stelle ich dich ihnen vor, ja?«

»Okay.« Danny nickte.

Sie waren auf halbem Weg die Treppe hinunter, als Jim die Schreie der Zombies hörte. Frankie und Martin schleiften die Couch auf die Eingangstür zu. Als Jim unten ankam, trat Danny vor ihn. Martin verharrte mitten in der Bewegung und starrte den Jungen an.

»Machen Sie schon, Prediger! Helfen Sie mir, die…« Frankie verstummte und folgte Martins Blick.

»Hallo«, sagte Danny mit zitternder Stimme und schaute auf seine Zehen hinab. »Ich bin Danny.«

Sowohl der Priester als auch die ehemalige Prostituierte glotzten den Jungen an. Dann erfüllte Martins herzliches Lachen den Raum. »Tja, das musst du wohl sein! Du siehst deinem Vater ungemein ähnlich. Hallo, Danny. Ich bin Mr. Martin. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen.«

Mit einem breiten Lächeln ging er zur Treppe hinüber und schüttelte Danny die Hand. Danny erwiderte das Lächeln, dann blickte er zu Frankie.

»Hallo, Junge. Ich bin Frankie.«

»Frankie? Das ist aber kein Mädchenname.«

»Na ja, ich bin ja auch kein Mädchen«, gab Frankie augenzwinkernd zurück. »Ich bin eine Frau.«

»Oh.«

Mit nach wie vor strahlender Miene umarmte Martin Jim. »Sehen Sie? Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es Gottes Wille ist. Er hat sich für Sie eingesetzt. Er hat Ihren Sohn beschützt.«

»Meinen Sie, Gott könnte sich noch mal für uns einsetzen und diese verfluchte Couch vor die Tür hieven?«, fragte Frankie und versuchte, das Sofa weiterzuschieben. »Diese Kreaturen werden in einer Sekunde hier sein.«

»Wir haben Gesellschaft?« Jim bemühte sich, die Furcht aus seiner Stimme zu verbannen. Er wollte Danny nicht noch mehr verschrecken.

»O ja, und ob«, antwortete Martin. »Jede Menge.«

»Die ganze verdammte Nachbarschaft kommt auf Besuch«, murmelte Frankie. »Da draußen strömt ein untotes Begrüßungskomitee zusammen!«

Jim ergriff das andere Ende des Sofas und half Frankie, es vor die Tür zu rücken. Seine Schulter pochte, während er schob. Draußen wurden die Rufe und das Gebrüll lauter. Der Gestank verwesenden Fleisches umhüllte das Haus wie eine Wolke und ließ sie alle würgen.

»Hallo, ihr kleinen Schweinchen, lasst uns rein!«

Danny zitterte. »Das ist Tommy Padrone, der große Junge von weiter unten an der Straße. Er ist jede Nacht draußen rumgelaufen und hat das immer wieder gerufen. Ich habe mir die Finger in die Ohren gesteckt, aber ich konnte ihn trotzdem hören. Ich hatte solche Angst.«

Jim legte die Stirn in Falten und fragte sich, welche weiteren Höllenqualen sein Sohn durchlitten hatte, während er mit seiner albtraumhaften Reise zu kämpfen gehabt hatte.

»Martin, ist in diesem Ding ein neues Magazin?«

Der Priester nickte.

»Gut. Geben Sie es mir.«

Martin reichte ihm das Gewehr. Das Gewicht fühlte sich gut in den Händen an.

»Bringen Sie Danny nach oben. Gehen Sie in die Dachkammer und verschließen Sie die Tür hinter sich.«

»Daddy, ich will hier bei dir bleiben!«

»Ich komme in einer Minute nach, Großer.«

»Versprichst du es?«, fragte Danny mit einer Schmollmiene.

»Ich versprech’s. Großes Pfadfinderehrenwort.«

»Na gut. Kommen Sie, Mr. Martin. Ich zeige Ihnen meine Baseballkarten und anderen Sachen.«

Jim wartete, bis sie die Treppe hinauf verschwunden waren, ehe er sich Frankie zuwandte.

»Mit wie vielen haben wir es zu tun?«

»Wie ich schon sagte, mit der ganzen verfluchten Nachbarschaft. Wir haben uns nicht damit aufgehalten, sie zu zählen. Jedenfalls sieht es nicht gut aus.«

Der Lärm draußen wurde lauter.

Frustriert schüttelte Jim den Kopf. »Warum seid ihr beide nicht im HumVee geblieben? Dort wärt ihr in Sicherheit gewesen. Jetzt habt ihr sie zu uns geführt!«

»Entschuldige mal, verdammte Scheiße! Wir haben vermutet, du hättest Ärger. Martin dachte, du hättest vielleicht…«

»Ich hätte vielleicht was?«

Sie schüttelte den Kopf. »Vergiss es, in Ordnung? Wir haben wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern müssen.«

»Tut mir leid. Es ist nur– er ist in Sicherheit, verstehst du? Ich kann nicht glauben, dass er in Sicherheit ist. Und jetzt habe ich Angst, dass alles umsonst war. Vielleicht habe ich meinen Sohn nur gefunden, um miterleben zu müssen, wie wir alle sterben.«

»Tja, so oder so, am besten gehst du mir mit diesem M-16 zur Hand, denn ich habe nicht vor, kampflos unterzugehen.«

Jim schwieg und musterte sie. Dann lächelte er.

Fäuste, Hämmer und Brecheisen begannen, gegen die Tür zu poltern.

Frankie erwiderte sein Lächeln.

»Packen wir die Scheiße an.«

Jim ging unten an der Treppe in Stellung. Frankie kauerte sich hinter einen Lehnsessel. Das Gepolter verstärkte sich, bis die Tür im Rahmen erzitterte. In der Küche zerbarst ein Fenster. Dann ein weiteres. Der Gestank der Verwesung wehte noch durchdringender ins Haus. Beide hatten Mühe, sich nicht zu übergeben.

»Nicht vergessen…«, setzte Jim an.

»…immer auf den Kopf zielen«, beendete Frankie den Satz für ihn.

Die Tür splitterte, und ein Dutzend Arme zwängte sich durch den Spalt. Die Couch rutschte erst eine, dann zwei Handbreit nach. In der Küche zerbarst weiteres Glas, dann explodierte das Wohnzimmerfenster. Ein Zombie kletterte hindurch, wobei ihm die gezackten Scherben das Fleisch zerrissen. Frankie hob das M-16 an und feuerte. Der Zombie sackte ohne einen Großteil seines Gehirns taumelnd zusammen. Ein weiterer kletterte hinter ihm durch die Öffnung.

»Werft die Waffen weg, Menschlein, dann töten wir euch schnell. Ihr habt unser Wort darauf.«

»Ich habe eine bessere Idee«, brüllte Frankie zurück. »Warum verpisst ihr euch nicht alle?«

»Dreckstück! Wir werden dir die Eingeweide herausreißen und als Halsschmuck tragen. Wir werden uns an euren Herzen und Eingeweiden laben. Wir werden…«

»Jetzt knallt’s, ihr Scheißkerle!«

Frankie feuerte eine weitere Kugel auf den zweiten Zombie im Fenster ab. Sein Kopf verschwand von der Nase aufwärts. Glas knirschte unter Stiefeln und warnte sie vor den Kreaturen in der Küche. Fünf davon setzten sich durch den Gang in Richtung Wohnzimmer in Bewegung. Dahinter hörte sie die Küchentür aufbrechen.

»Scheiße!«

Sie drehte sich um und schoss gezielt, statt in Panik wild drauflos zu ballern. Die Kugeln durchschlugen die Zombies und gruben sich in die Wand hinter ihnen.

Gleichzeitig rutschte das Sofa, das die Eingangstür blockierte, nach innen. Die Kreaturen strömten ins Haus und fielen unter Jims Kugelhagel. Weitere nahmen ihre Plätze ein und stürzten auf ihre Kameraden. Wieder neue ersetzten sie.

»Überrennt sie!«, brüllte ein Zombie. »Wir sind zahlreich genug dafür.«

»Verzieh dich besser nach oben!«, rief Frankie und feuerte eine weitere Salve aus drei Kugeln in Richtung Küche ab. »Sie kommen von allen Seiten.«

»Kommt nicht infrage. Ich lasse dich nicht allein hier zurück!«

»Drauf geschissen! Dein Sohn ist dort oben! Willst du mir weismachen, dass du hunderte Meilen zurückgelegt hast, nur um hier unten ohne ihn zu sterben?«

Mit verbissenen Zähnen nahm Jim die Tür ins Visier und entleerte seine Waffe. Das Gewehr wurde in seinen Händen heiß. Die Zombies, die nicht getroffen wurden, sprangen zurück hinaus und gingen hinter der Hecke in Deckung.

»Sieh mal«, versuchte Frankie, ihn zur Vernunft zu bringen, »wenn du schon sterben musst– und es sieht so aus, als müssten wir das alle–, dann stirb bei deinem Sohn, nicht hier unten bei mir.«

Jim rammte ein neues Magazin in das Gewehr und schaute zu Frankie.

»Verdammte Scheiße. Du hast recht.«

»Dann hau endlich ab!«

Er rannte die Treppe hinauf. Frankie gab ihm in kauernder Haltung Feuerschutz, dann lief sie geduckt vom Lehnstuhl zum Fuß der Treppe und nahm seine Stellung ein. Als weitere Zombies ins Haus eindrangen, zog sie sich ein paar Stufen nach oben zurück.

Eine Kugel schlug in den Lehnstuhl ein und übersäte den Teppich mit Brocken der Schaumstoffpolsterung. Eine weitere grub sich in das Holzgeländer der Treppe. Draußen sah sie in der Dunkelheit das Mündungsfeuer einer Schusswaffe.

»Verflucht, die haben auch Kanonen.«

Sie wartete den nächsten Schuss ab, erblickte den Blitz, bevor sie den Knall hörte, und feuerte durch die offene Tür in die Richtung des Schützen. Das Mündungsfeuer wiederholte sich nicht mehr.

»Einer weniger, noch etwa achtzig übrig.«

Weitere Zombies strömten durch die Küche herein. Plötzlich spürte sie zwei klamme, durch das Geländer greifende Hände an ihrem Knöchel. Kreischend riss sie den Fuß zurück. Die abgebrochenen Nägel des Zombies zerkratzten ihr die Haut.

»Komm her, Zicke!«, höhnte die Kreatur.

Sie schwang das M-16 herum und schoss. Der kopflose Leichnam sackte auf den Teppich zusammen.

Nach wie vor feuernd, wich Frankie zum oberen Ende der Treppe zurück.

»Jim, falls du einen Plan hast, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, mich darin einzuweihen!«

Die Zombies folgten ihr über die Treppe hinauf.

»Und das sind meine Yugi-O-Karten.« Stolz zeigte Danny den Schuhkarton.

Martin war erstaunt darüber, dass der Junge so ruhig reagierte. Ihm selbst war danach zumute, sich in einem Schrank zu verstecken und in die Hose zu pinkeln. Während er immer noch die Unverwüstlichkeit des Jungen bewunderte, ergriff er eine hellgrüne, muskelbepackte Actionfigur vom Boden.

»Wer ist denn dieser fies aussehende Kerl? Warte mal, ich glaub, ich weiß es– das ist der Hulk, richtig?«

Danny verdrehte die Augen. »Nein, das ist Piccolo aus DragonBall Z.«

»Ach«, murmelte Martin, dem klar war, dass er in Dannys Coolheitsskala soeben gesunken war. »Das wusste ich doch.«

Er sah sich im Raum um. Die Zeichen eines kleinen Jungen, der gezwungen gewesen war, sich über eine Woche hier zu verschanzen, erfüllten ihn mit Traurigkeit. Schmutzige Bettwäsche, ein Haufen zerknitterter Kleidung, leere Wasserflaschen und Kekspackungen, verstreut herumliegendes Spielzeug.

Unten ertönten Schüsse, und sie zuckten beide zusammen. Gleich darauf ertönten rasch hintereinander mehrere einzelne Schüsse, die in das Gebrüll automatischen Feuers übergingen. Danny blickte besorgt zur Tür. Martin versuchte, ihn abzulenken.

»Weißt du, Danny, du hast deinem Vater unheimlich gefehlt.«

»Er hat mir auch gefehlt. Ich dachte nicht, dass er kommen würde. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn je wiedersehen würde.«

»Oh, und wie er gekommen ist. Und er hat sich von nichts aufhalten lassen. Von gar nichts. Dein Daddy ist ein ziemlich zäher Bursche. Du würdest nicht glauben, was wir überwinden mussten, um hierher zu gelangen.«

»Monsterleute?«

»Ja. Aber nicht nur sie, Danny. Da waren noch andere böse Menschen. Trotzdem hat dein Daddy nie aufgegeben. Er war fest entschlossen, dich zu finden.«

Unten knallten weitere Schüsse. Martin umklammerte die Pistole und bemühte sich um einen gefassten Gesichtsausdruck.

»Mr. Martin, wenn Sie ein Freund meines Vaters sind und Sie ihm geholfen haben, mich zu finden, wieso bin ich Ihnen dann nie begegnet, wenn ich im Sommer in seinem Haus war?«

»Na ja, weil ich deinen Vater erst kennengelernt habe, nachdem all das– nachdem er aufgebrochen war, um zu dir zu kommen.«

»Warum?«

»Warum?« Martin streckte die allmählich steif werdenden Beine. Die Kampfgeräusche wurden lauter, sodass er die Stimme erheben musste. »Nun, weil Gott das für uns geplant hatte. Gott wollte, dass ich es tue. Kennst du dich mit Gott aus, Danny?«

Der Junge nickte. »Ein wenig. Mami und Rick sind nicht zur Kirche gegangen. Aber ich weiß, dass er im Himmel lebt. Ich dachte, dorthin gingen die toten Menschen, aber inzwischen weiß ich es besser. Wenn Menschen sterben, kommen sie nicht in den Himmel. Sie werden Monsterleute.«

Martin zuckte zusammen und wusste nicht recht, was er darauf erwidern sollte. Er ergriff abermals die Actionfigur.

»Sie kommen immer noch in den Himmel, wenn sie an Jesus glauben. Diese Dinger dort draußen– das sind keine Menschen, Danny. Es sind nur leere Hüllen– so ähnlich wie diese Spielsachen. Wie Piccorelli hier.«

»Piccolo«, berichtigte Danny ihn.

»Tut mir leid. Piccolo«, korrigierte sich Martin, der immer noch versuchte, den Jungen abzulenken. Er ging hinüber zum Dachkammerfenster, schaute hinaus und versuchte, die Entfernung zum nächsten Haus abzuschätzen. Seiner Einschätzung nach war sie zu weit für einen Sprung. Unter ihnen wimmelte es von Zombies, die offenbar eine Vielzahl von Waffen bei sich trugen.

»Sehen Sie etwas?«, fragte Danny.

»Nicht wirklich«, log Martin. »Aber ich fürchte mich nicht, weil Gott bei uns ist. Er ist immer bei uns, Danny. Immer. Er lebt in deinem Herzen, sieht alles, was du tust, und weiß alles, was du denkst. Bei all den schlimmen Dingen, die draußen vor sich gehen, magst du vielleicht glauben, er wäre nicht hier, aber ich versichere dir, das ist er. Er wacht immer über dich.«

»Wie der Weihnachtsmann?«

Ein hektisches Pochen an der Tür kam Martins Antwort zuvor. Die Pistole zitterte in seiner arthritischen Hand, als er zur Dachkammertreppe schlich.

»W-wer ist da?«

»Ich bin’s, Jim!«

Der Priester öffnete die Tür. Jim stürzte herein und schlug sie hinter sich zu.

»Daddy, geht es dir gut?«

»Alles in Ordnung, Kumpel.« Er hob Danny hoch und umarmte ihn. Martin aber hörte die Lüge in seiner Stimme. Gar nichts war in Ordnung. Der Lärm des Schusswechsels zwischen Frankie und ihren Angreifern sowie die zornigen Schreie der Zombies waren mittlerweile konstant zu hören.

»Wo ist Frankie?«

»Unten. Wir haben nicht viel Zeit.«

»Wie viele sind es?«

»Zu viele.«

»Was tun wir?«

Jim schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Martin. Ich weiß es nicht. Was ist mit dem Fenster dort drüben?«

»Habe ich bereits überprüft«, antwortete der Priester. »Es ist zu weit für einen Sprung, und unten warten die Zombies.«

»Verdammt!« Jim hieb mit der Faust gegen die Wand. Danny zuckte zusammen und starrte seinen Vater besorgt an.

Martin runzelte die Stirn. »Wir sitzen in der Falle, nicht wahr?«

Jim erwiderte nichts.

»Jim? Sagen Sie schon: Sitzen wir in der Falle?«

Langsam nickte Jim.

Von unten brüllte Frankie: »Jim, falls du einen Plan hast, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, mich darin einzuweihen!«

DREI

Lachend blickte der Dämonenfürst Ob durch die Augen, die einst einem Wissenschaftler namens Baker gehört hatten.

Untote Aasvögel kreisten gleich einer schwarzen Wolke über ihm am nächtlichen Himmel. Die bunt zusammengewürfelte paramilitärische Gruppe war von Obs überlegenen Streitkräften besiegt und so gut wie aufgerieben worden. Die Überreste ausgebrannter Panzer und anderer Fahrzeuge übersäten die zersprengte Landschaft. Von einigen kräuselten sich noch ölige Rauchschwaden empor, während die früheren Insassen in ihnen schwelten. Leblose Zombies, jeder durch eine Form eines Schädeltraumas zu Fall gebracht, lagen über das Gelände verstreut. Dutzende weitere wanden sich im Schlamm– abgetrennte Gliedmaßen, entzweite und zerstörte Körper, die sich trotzdem immer noch bewegten. Heerscharen der mobileren Kreaturen schwärmten über den Rasen und labten sich an den gefallenen und verwundeten Menschen.

Nicht alle Menschen wurden getötet. Ob hatte angeordnet, mehrere Dutzend einzusammeln, zu entwaffnen und in den Komplex zu treiben. Sie sollten verhört werden, um den Aufenthaltsort anderer Überlebender in Erfahrung zu bringen, anschließend würden sie als Nahrung dienen– als Vieh. Eigentlich brauchte seine Art nicht zu essen– zumindest nicht in ihrer spirituellen Form. Diesen Makel hatten Ob und seine Brüder vor Äonen von Jahren abgelegt. Aber so wie jede andere physische Lebensform benötigten sie Energie, und diese Energie bezogen sie aus Nahrung. Das Fressen der Lebenden erfüllte dreierlei Zwecke. Es war ein Affront gegen den Schöpfer, der sie in die Leere verbannt hatte. Es ermöglichte ihnen das Umwandeln des Fleisches in Energie, während sie menschliche Gestalt besaßen, auch ohne das Verdauungssystem, da seine Art Nahrung auf einer anderen Ebene verarbeitete. Und es diente dazu, sich der menschlichen Seelen zu entledigen, sie zu töten, auf dass weitere seiner Art die Körper übernehmen konnten.

Ob kicherte. An noch kreischenden Menschen zu nagen, bereitete erheblich mehr Spaß, als sie zu erschießen. Doch letzten Endes würden alle Gefangenen– das Vieh und andere– einen seiner Brüder beherbergen.

Die Schlacht war seit mittlerweile mehreren Stunden vorüber, und der Kampflärm war mit dem schwindenden Tageslicht verhallt. Nur noch vereinzelte Schreie der Lebenden waren zu hören. Die Toten hatten die Erde geerbt, zumindest diesen Teil davon. Der Rest würde bald folgen. Wenn nicht heute, dann morgen, und wenn nicht morgen, dann demnächst. Im Gegensatz zu seiner Art waren Menschen nicht unsterblich. Irgendwann würden sie sterben, und mehr war nicht nötig. Ob und seine Brüder hatten Jahrtausende auf ihre Rache gewartet. Wenn es sein musste, konnten sie noch ein wenig länger ausharren. So war es zwar weniger unterhaltsam, aber es genügte.

Er seufzte und blies fauligen Atem aus Lungen, die keinen Zweck mehr erfüllten.

»›Und als Alexander über sein Königreich blickte, weinte er, denn es gab keine Welten mehr für ihn zu erobern.‹ Oder so ähnlich.«

Der ihm am nächsten stehende Zombie hatte den Körper einer molligen Hausfrau übernommen. Gase hatten den grässlich aufgeblähten Bauch aufgedunsen, und der Unterleib wirkte glatt und glänzend. Ob bewunderte die Schönheit der Verwesung.

»Wer war dieser Alexander?«, schnarrte der Zombie.

»Ein Mensch. Ein Kriegsherr seiner Zeit– er hat weite Teile dieses Planeten erobert. Ich bin ihm einst begegnet, als seine Seele auf dem Weg zur Hölle durch die Leere streifte. Auf dem ersten Schlachtfeld erwies er sich als großer Krieger. Dennoch war er am Ende nur Fleisch. Wie sie alle. Nur Fleisch. Vieh. Vieh, das uns früher huldigte, bis der Schöpfer eifersüchtig wurde und die Erde mit der Sintflut reinwusch.«

Ob näherte sich zwei Gefangenen, einer Frau und einem Mann, die beim Sturmangriff auf die Forschungseinrichtung der Regierung gefasst worden waren. Die Zombies hatten sie an Laternenpfähle auf dem Parkplatz gefesselt. Die Frau wand sich, während der Mann nur vor sich hin starrte. Nackte Angst hatte das ausgelöscht, was von seinem Verstand noch übrig gewesen war. Er hatte sich besudelt. Während Ob den Mann beobachtete, tat er es unbewusst erneut.

»Da wir gerade von Fleisch sprechen…«Damit beugte er sich vor und grub die Zähne in den bebenden Hals des Mannes. Tief biss er zu, dann riss er den Kopf zurück. Fleisch, Venen und dicke Muskelstränge lösten sich. Ob kaute und weidete sich an der Schändung seines Opfers.

Der sterbende Mann gab keinen Laut von sich. Weder einen Schrei noch ein Winseln. Stattdessen zappelte er am Pfahl und stierte weiter vor sich hin, während sein Lebensblut aus der Wunde strömte. Das Brüllen übernahm die Frau für ihn. Ihr Kreischen übertönte die Schreie der Verdammten, sowohl der toten als auch der lebenden.

Ob schluckte, biss erneut zu und schluckte abermals. Dann entfernte er sich und ließ mehrere andere Zombies ihren Anteil fressen. Alle Lebewesen besaßen eine Aura, und der Lebensschimmer dieses Menschen verblasste bereits, was das Entschwinden seiner Seele ankündigte. Binnen Minuten würde ein weiterer von Obs Brüdern aus der Leere die verwaiste Hülle aus Haut und Gewebe für sich beanspruchen.

Ob betrachtete seinen neuen Körper, jenen des Wissenschaftlers namens Baker. Die Haut war verkohlt, und die Leibesmitte glich einem leeren Hohlraum. Das versengte, blutige Loch war das Ergebnis einer Maschinengewehrsalve aus nächster Nähe. Das Fleisch, das er gerade gegessen hatte, fiel heraus und landete zu seinen Füßen. Die Gliedmaßen waren zwar noch in guter Verfassung, dennoch würde dieser Körper nicht lange währen. Ob hatte es ziemlich genossen, damit zu spielen.

Er grinste. Er betrachtete es als Ironie, dass ausgerechnet Baker das Portal zur Leere geöffnet und die Schranken zwischen den Welten durchbrochen hatte, sodass die Siqqusim diese Welt bevölkern konnten.

Er schlurfte zu der Frau hinüber. Sie besaß bräunlich blondes Haar und eine üppige Figur. Hübsch für einen Menschen, und ihre Schönheit wurde durch ihre Furcht noch betont. Ihr Lebensschimmer leuchtete kräftig. Das verriet sie immer, brandmarkte sie als die Lebenden. Zuvor hatte er gesehen, wie sich zwei Menschen in dem Versuch, sich unter die Zombies zu mischen und zu entkommen, mit Blut und Eingeweiden bedeckten. Sie hatten nicht gewusst, dass ihr Seelenlicht sie verriet.

Ob lächelte die nach wie vor kreischende Frau an und legte ihr die Hand über den Mund. Mit geweiteten Augen krümmte sie sich unter ihm.

»Hör auf zu muhen, Kuh!«

»Dürfen wir sie auch fressen?«Voll gieriger Vorfreude schmatzte einer der Zombies mit den Lippen.

Ob dachte kurz darüber nach.

»Noch nicht.«Er beugte das Gesicht dicht zu ihr, als wollte er sie küssen. Sie würgte unter seiner Handfläche.

»Ich werde meine Hand wegnehmen, weil ich mit dir zu reden wünsche. Es belustigt mich. Wenn du allerdings weiterschreist, wenn du darauf bestehst zu blöken, gestatte ich meinen Brüdern, dir ein Loch in den Bauch zu schneiden, ein Ende deiner Gedärme herauszuholen und anzufangen, dich langsam von innen her aufzufressen. Möchtest du das?«

Sie gab einen erstickten Laut von sich.

»Dann schweig.«Er entfernte die Hand.

Sie japste nach Luft. Ihre Augen schnellten gehetzt hin und her. Sie öffnete den Mund und atmete ein, sodass ihre Brüste sich gegen ihre Fesseln spannten. Bevor sie abermals schreien konnte, hob Ob einen Finger. Der Zombie neben ihm setzte ihr ein Messer am Bauch an. Jäh hielt sie inne und erschlaffte am Pfahl.

»Sehr gut. Du lernst. Vielleicht kann man deiner Art ja Tricks beibringen, so wie den Hunden und Katzen, die ihr zähmt. Wie lautet dein Name?«

»M-mein was?«

»Dein Name. Wie nennt man dich? Woher stammst du?«

»L-Lisa. Mein Name ist Lisa. Ich bin aus Virginia…« Tränen strömten ihr über das schmutzige Gesicht.

»Liiisssaaa.«Er rollte das Wort im Mund herum und genoss den Klang. »Weißt du, wer ich bin, Lisa?«

»Ja. I-ich denke schon. Sie sind dieser Wissenschaftler. Eines der Mädchen im Fleischwagen hat mir von Ihnen erzählt. I-ich habe Sie gesehen, als wir aus Gettysburg abgefahren sind.«

Ob schlug ihr kräftig übers Gesicht. Sie wimmerte, schrie aber nicht, da sie immer noch das Messer am Bauch spürte.

»Du irrst dich, Lisa. Ich stecke in seinem Körper, aber ich bin nicht der Wissenschaftler. Sein Name war Baker. Mein Name ist Ob. Ob, der Obot. Kennst du diesen Namen?«

Lisa hustete. Ein roter Striemen in der Form einer Hand bedeckte ihre Wange.

»Kennst du diesen Namen?«

»I-ich weiß nicht…«

Seine Faust krachte in ihren Mund. Blutstropfen flogen durch die Luft, und diesmal schrie sie, konnte sie nicht anders, als zu schreien. Er schlug erneut zu. Als er seine geschwärzte Hand zurückzog, steckte einer ihrer Zähne in seinem Knöchel fest.

»OB! KENNSTDUDIESENNAMEN? OB! OB! OB!«

»N-nein«, schluchzte sie. »Ich kenne ihn nicht! Bitte schlagen Sie mich nicht mehr!«

Obs Schultern sackten herab. Er wandte sich den anderen zu.

»Sie weiß nichts von mir, nichts von uns. Niemand bisher. Sie haben uns vergessen. Wir sind Gerüchte, Legenden. Bloße Ammenmärchen. Wir sind das, was sie ihren Kindern erzählt haben, damit sie nachts im Bett bleiben– das, womit sie sich im Fernsehen, in Filmen und Büchern unterhalten lassen.«

Er drehte sich zurück zu ihr.

»Wir sind die Siqqusim. Das ist Hebräisch und bedeutet ›Abscheulichkeiten, die aus dem Kopf sprechen‹. Ihr habt uns bloß für die Geister der Toten gehalten, aber wir sind viel mehr als das. Die Sumerer und Assyrer kannten unseren wahren Ursprung. Als Dämonen hat uns deine Art bezeichnet. Dschinn. Monster. Wir sind der Quell eurer Legenden– der Grund, weshalb ihr die Dunkelheit in diesem Zeitalter des Lichts immer noch fürchtet. Wir haben schon existiert, lange bevor Michael und Luzifer mit ihren ›Engeln‹ die Seiten gewählt haben. Sie waren nur mindere Abklatsche von uns. Wir wurden vor langer Zeit in die Leere verbannt, von ihm, dem Grausamen, den deine Art nach wie vor anbetet. Wir haben seine Gunst verloren, denn euch, seine letzte Schöpfung, liebte er mehr.«

Eines von Bakers Organen fiel aus der leeren Bauchhöhle und baumelte an einem Knorpelstrang. Beiläufig riss Ob es ab, gab es einem anderen Zombie zum Fressen und fuhr fort.

»Hast du eine Ahnung, wie lange wir dort geschmachtet haben? Du kannst es dir nicht annähernd vorstellen. In der Leere ist es kalt, so kalt. Es ist weder der Himmel noch die Hölle. Sie existiert dazwischen und doch überhaupt nicht. Dort weilten wir, Äonen von Jahren gefangen mit unseren Brüdern, den Elilum und den Teraphim. Er hat uns dorthin geschickt, uns in die eisige Ödnis verbannt! Wir haben beobachtet, wie ihr gleich Ameisen über die Erde gekrochen seid, euch vermehrt und in seiner frostigen Liebe geaalt habt. Wir haben gewartet, denn wir sind geduldig. Allzeit wachsam haben wir an der Schwelle gelauert und der Zeit des Oberim geharrt, die ihr als ›Auferstehung‹ bezeichnet. Der Oberim ist das Überqueren der Grenze zwischen dieser Welt und der Leere, und eure Wissenschaftler haben uns die Möglichkeit dafür gegeben. Ihr Experiment hat das Tor geöffnet, die Schranken zwischen den Dimensionen eingerissen. Endlich können wir wieder frei über die Erde wandeln, wie wir es lange vor deiner Art getan haben. Für ihn, den Schöpfer, ist das die größte Beleidigung– während ihr aussterbt, ersetzen wir euch. Wir hausen in euren Gehirnen. Wir sind der Wurm, der sich durch seine Schöpfungen frisst, durch diese Hüllen aus Blut und Gewebe, diese Beutel aus Wasser und Dreck! Und er kann nichts dagegen tun, denn ihr habt es mit eigenen Händen herbeigeführt. Eure Körper gehören uns! Wir beherrschen euer Fleisch. Wir haben lange darauf gewartet, euch zu übernehmen. Viele von uns sind schon hier, und noch viele mehr harren des Übergangs. Denn wir sind zahlreicher als die Sterne! Wir sind mehr als die Unendlichkeit! Und er kann nur zusehen! Zusehen und weinen!«

Rotz rann ihr über das Gesicht. »A-also tut ihr all das nur– nur, um es Gott heimzuzahlen?«

Ob hohnlächelte mit Bakers Lippen.

»Und ob. Deshalb– und aus eigenen Interessen. Natürlich haben wir uns danach gesehnt, der Leere zu entfliehen.«

Während Lisa sich am Pfahl wand, hielt er in seinen Ausführungen inne. Der tote Körper ihres Gefährten begann, sich wieder zu regen. Er sah sie an und grinste. Die anderen Kreaturen lösten seine Fesseln.

»Willkommen, Bruder«,begrüßte ihn Ob.

»Danke, Herr. Es ist schön, frei zu sein.«

Ob wandte sich wieder Lisa zu.

»So sprich denn, Lisa: Verzeih die Melodramatik, aber weißt du jetzt, wer wir sind? Hast du Verständnis erlangt? Haben eure Älteren dich diese Dinge in der Sonntagsschule gelehrt?«

Ihre einzige Antwort bestand aus einem Wimmern. Verzweifelt warf Ob die Hände hoch.

»Ich werde siebzehn Mal im Alten Testament erwähnt! Siebzehn Mal! Ich bin Ob, der Obot! Ich führe die Siqqusim an, so wie Ab die Elilum und Api die Teraphim. Yidde-oni! Ich bin Ob, der aus dem Kopf spricht! Engastrimathos du aba paren tares!«

Fluchend stieß er den Zombie mit dem Messer beiseite. Lisa entspannte sich ein wenig unter den Fesseln. Ob ergriff die Pistole eines anderen Zombies und drückte sie ihr zwischen die Brüste.

Lisa zuckte.

»Wenn du uns nicht kennst, die Leere nicht kennst, nichts über Himmel und Hölle weißt, dann will ich sie dir aus nächster Nähe zeigen!«

Sie kreischte.

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst zu muhen aufhören, Kuh!«

Damit drückte er den Abzug, immer und immer wieder, bis die Waffe leer war. Erst dann ließ er sie aus seinem Griff gleiten, sodass sie klappernd auf dem Boden landete.

»Löst die Fesseln, damit derjenige, der sie bald übernimmt, frei sein kann.«

Ob stapfte von dannen. Etwas in ihm riss, und dunkle, widerwärtige Flüssigkeit ergoss sich aus der Öffnung in seinem Bauch zu den Füßen hinab. Bakers Körper löste sich schneller auf, als er erwartet hatte.

Als die Auferstehung begann, war Obs erster Wirtskörper ein schwarzer Labrador namens Sadie gewesen, der einer alten Witwe in Bodega Bay, Kalifornien gehörte. Da er in einer solchermaßen beschränkten Gestalt außerstande war, die Siqqusim anzuführen, war er Amok gelaufen und hatte danach getrachtet, den Körper zu zerstören. Was ihm einige Stunden später gelang, indem ihn ein Fischer mit mehreren Schüssen in den Kopf erledigte, nachdem Ob seiner Frau und seinen Kindern die Kehlen herausgerissen hatte.

Als Anführer der Siqqusim kehrte Ob vor seinen Brüdern in das Reich der Lebenden zurück. Er betrachtete dies als Vorrecht eines Oberhaupts. Außerdem vollzog sich seine Wiederauferstehung schneller als die seiner Gefährten, fast unverzüglich. Sein zweiter Körper gehörte einem Netzwerksystemanalysten in Gardner, Illinois und hatte ihm gute Dienste erwiesen. Der Wirt war in bemerkenswerter körperlicher Verfassung gewesen und erstickt, wodurch der Körper bestens erhalten geblieben war. Den Verlust jener Hülle bedauerte Ob immer noch. Gekommen war es dazu, als ein Mensch die gesamte Ortschaft in Brand gesteckt hatte. Ob wurde in dem Inferno gefangen, als er gerade auf der Jagd nach Beute durch einen Lüftungsschacht kroch.

Der dritte Körper war jener eines Obdachlosen in Coober Pedy, Australien. Der Mann hatte bereits zu verrotten begonnen, bevor der Tod ihn hinwegraffte. Jene Hülle trug Ob nur einen Tag, bevor ein Mensch sich von hinten an ihn heranschlich und ihm eine Spitzhacke durch das Gehirn trieb.

Der vierte Leib war jener von Dr. Timothy Powell gewesen, einem der Männer, die unmittelbar für die Befreiung seiner Art verantwortlich gewesen waren. Dieser Körper war ihm während der jüngsten Schlacht abhandengekommen. Nun stand er in der Hülle von Powells Vorgesetztem hier, des verstorbenen Professor Baker. Die nachgerade künstlich wirkende Ironie entging dem Dämonenfürst keineswegs, und Ob fragte sich, ob eine höhere Macht die Hand dabei im Spiel gehabt hatte, dass er Besitz von zwei der Männer ergriffen hatte, die für seine Entfesselung gesorgt hatten.

Er durchsuchte Bakers Erinnerungen, als durchstöbere er einen Aktenschrank. Ob sah die Flucht des Wissenschaftlers, seine Gefangennahme durch Schows Streitkräfte und das nachfolgende Verhör. Er erfuhr von Bakers anderen Gefährten: Jim, dem Vater auf der Suche nach seinem Sohn, und Martin, dem älteren Gottesdiener.