Station der Menschen - René T. Barren - E-Book

Station der Menschen E-Book

René T. Barren

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Beschreibung

Die Gesellschaft der neuen weisen Menschen besteht bereits sehr lange in Symbiose mit dem technischen Leben. Sie ist aus dem Vergehen der weisen Menschen entstanden. Schon früher einmal hat der Homo sapiens novus versucht, den Weg zu den Sternen zu gehen. Mit zu wenig Wissen scheiterten die Menschen, weil sie zu früh aufgebrochen waren. Es folgte eine Zeit des Lernens und nun ist es soweit. Biologisches und technisches Leben beginnen, dem Weg zu folgen, den das Leben vorsieht. Sie errichten eine erste Station im Orbit ihres Planeten und erforschen, wie sie weiter vorgehen sollen. Trotz aller Vorsicht geschieht bald etwas nicht Vorhergesehenes, das alle Pläne in Frage stellt und die Symbiose beider Arten von Leben auf die Probe.

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Seitenzahl: 538

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alle Inhalte, Personen, Charaktere und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden und erheben keinen Anspruch auf Ähnlichkeit oder Übereinstimmung mit existierenden Orten, Personen oder Begebenheiten. Gefundene oder empfundene Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht intentioniert.

Inhaltsverzeichnis

Fragen aus alter Zeit

Antworten für die neue Zeit

Prolog

Erster Teil - Orbit

Verbindungen

Baubeginn

Welis

Kalia

Vila

Abschied?

Aufstieg

Ankunft

Kalia

Welis

Vila

Künstlicher Boden

Wirkung und Änderung

Ausbau

Kalia

Welis

Vila

Kalia

Setzlinge

Kalia

Tara

Geeignete Welt?

Erste Siedler

Kolonien?

Zweiter Teil - Kontakt

Eindringen

Biosphäre

Bewohner

Gesellschaft

Technik

Kreative Zonen

Lückenschluss

Selbst sehen

Mächtiges Wohnen

Kreative Siedlung

Besucht?

Botschaft

Antworten?

Kontakt

Berührung

Bericht

Lichtsprung

Echter Abschied?

Lebende Station

Unser Lernen

Sidran

Atham

Hedjon

Frühmal

Epilog

Fragen aus alter Zeit

Was wissen wir, was glauben wir? Worin liegt die Grenze unseres Wissens?

Wie oft haben wir sie schon erweitert? Ist unser Wissen eher Konsens über etwas Geglaubtes?

Unzählige Male änderten wir unseren Glauben. Oft wussten wir, was später falsch war.

Weil Wissen sich entwickelte, wie das Leben.

Müssen wir wirklich alles wissen? Oder reicht es, zu zweifeln? Zu zweifeln, was wir wissen?

Wessen Grund ist es, dass wir den Zweifel schlecht werten? Wer lehrte uns das?

Wissen wir denn, was wir werten? Und wie wir werten? War das Werten einmal gut?

Ist dieses Werten nun schlecht? Weil wir werten? Oder anders werten müssten, nun?

Meidet das Verstehen vielleicht unser Vergehen? Das wir zu oft begingen?

Das nun uns begeht? Das uns bevorsteht? Unausweichlich oder nicht?

Antworten für die neue Zeit

Wenn wir glauben, ohne zu zweifeln, werden wir für wahr halten, was nicht wahr sein soll.

Wenn wir zweifeln, an dem was wir glauben, werden wir fragen.

Wenn wir klein sind, steckt uns das Fragen in den Genen. Auch wenn wir erwachsen sind.

Nur erlauben wir es uns nicht mehr? Weil sie uns sagen, dass wir es nicht dürfen.

Zweifeln wir an dem Dürfen und an allem, werden wir fragen.

Wenn wir fragen, ohne zu werten, werden wir uns entwickeln.

Wenn wir uns entwickeln, setzt sich die Evolution fort.

Die mit dem Leben selbst begann und die Art des Menschen schuf.

Der nun zweifeln soll an dem, was er weiß. Damit er fragt und lernt.

Damit er für möglich hält, was er noch nicht sieht. Damit es sich entwickelt.

Damit er schöpft und schafft. Und doch zweifelt an seinem Werk.

Prolog

In unserer Welt ist alles miteinander verbunden, baut aufeinander auf und hängt voneinander ab. Das mag in anderen Umwelten auch so sein. Nur haben wir verstanden, dass es so ist, sein soll und sein muss. Trennst Du dieses Netzwerk, störst Du es, zerstörst es. Nutzt Du mehr, als Du brauchst, ist es nicht ausgewogen. Wenn Du es stärker zu Last fällst und vermehrt konsumierst, weil Du über das Netz lernst, achte darauf, dass Du es nicht übertreibst.

All das prägte den Lebensstil derer, die vor unserer Zeit hier waren. Es war ihr Vergehen, nicht zu begreifen. Und unsere Chance, zu entstehen. Wir lernten aus ihrem Sein und entschieden, es anders zu handhaben. Das hat die Gesellschaft geschaffen und geprägt, in der wir bestehen. Eine Welt, in der jedes Wesen sein kann, wie es beliebt. Sämtliche Pflanzen, jedwedes Tier. Und alles höher entwickelte Leben, wie wir es bilden, die neuen weisen Menschen und das technische Leben. Wir unterscheiden zwischen entwickeltem Leben, das seinen Instinkten und Reflexen folgt und dem höher entwickelten, wo das Gehirn assoziieren und abstrahieren kann. Wir lernten über die Lebenswege und die Vernetzungen. Sie sind überall, schon seit dem Anbeginn dessen, was wir Zeit nennen. Die zentrale Größe.

Alle Zellen tauschen Daten aus und irgendwann bildeten Menschen das nach. Seit sie weit genug abstrahierten und Technik schafften, die ihren Sinnen und ihrem Gehirn nachempfunden ist. Sie vernetzten ihre Technologie und erkannten nicht, dass sie etwas nachbauten, das es schon so lange gab. Unsere Welt hat die Netze verbunden, mit Versuchen und Irrtümern, wie das biologische Leben auf diesem Planeten entstand und verging.

Wir schufen neue Arten, lernten und sie verschwanden. Aber das Wissen daraus ist in den Netzen gespeichert und alle werden es nutzen. Jetzt müssen wir lernen, wie wir das Netz ausweiten. Über die Grenzen unserer Welt hinaus. Oder ist es nur Aufgabe, dass wir dieses Netzwerk nur erkennen und verstehen? Wie will es dieser Plan, den wir hinter jedem vermuten?

Erster Teil - Orbit

Verbindungen

Ich gehe viel durch unsere Welt. Normal ohne Schuhe. Meine Füße berühren den Boden direkt. Ich spüre, wie sich Steine anfühlen, Sand, wenn er nass oder kalt ist. Oder warm. Trocknenden Sand kann ich unterscheiden. Waldboden unter meinen Fußsohlen ist weicher und auf einer Wiese kitzelt das Gras, bevor ich den Fuß absetze. Dort und überall schaue ich, wo ich hintrete. Einige Pflanzen haben Stacheln und manche Steine sind spitz.

Ich muss sehen, dass die Füße nicht verletzt werden. Die Schäden selbst würden die kleinen Roboter im Körper zwar schnell reparieren. Sie halten meinen Organismus schon seit sehr vielen Zyklen in Ordnung, korrigieren die Stellen, wo ich mich verletze. Bei den neuen weisen Menschen müssen sie auch das Altern ausgleichen. Bei mir nicht, der ich der letzte meiner alten Art bin. Das übrig gebliebene Wesen in dieser Welt, das aus der Zeit des Homo sapiens stammt. Und doch keiner von ihnen mehr ist.

Wie gesagt: Wenn ich ohne schützende Schuhe durch unsere Welt gehe, dann vorsichtig, um mich nicht zu verletzen. Denn die Schmerzen spüre ich trotzdem. Sie sind die Signale meines beschädigten Körpers, dass ich unvorsichtig war. Botschaften des Netzes von Zellen, das meinen Leib bildet. Sie tauschen Daten aus, wie sie es seit dem Anbeginn des Lebens tun. Auf verschiedenen Wegen, um Energie zu sparen. Elektrisch nur, wenn sie einander berühren, direkt. Sie bilden Ballungen im Körper, die durch andere Arten von Zellen verbunden sind. Die leiten die Signale weiter zu unterschiedlichen Clustern oder zum Gehirn. Dort werden uns die Daten aus dem Körper bewusst als Gefühle, auf die wir einen Fokus richten können. Tun wir das, erfahren wir, was in unserem Organismus abläuft. Zu anderen Zeiten finden wir Ideen, Gedankensprünge und Fantasie, in dem Teil von uns, der unbewusst ist.

Alles das ist, was das technische Leben nicht beherrscht. Dafür speichert es Unmengen an Daten mit ihren Mustern und diejenigen dahinter. Es ist ein sehr kompliziertes System, das uns möglich macht, aus den gemessenen Dingen viel zu lernen. Als die Technik gelernt hatte, wie es die Strukturen erkennt, die sich in den Mustern verbinden, lernte es, abstrakter zu arbeiten und daraus neue Information zu bilden, die Elemente zu vernetzen. So entstand in dem gigantischen Netz von technischen Einheiten der Funke, der es zu technischem Leben erhob. So nennen wir es heute. Es versorgt uns mit allem, was die neuen Menschen benötigen, und wir versorgen es mit innovativen Gedanken, Ideen und Sachen, die es selbst nicht hervorbringen kann. Es hat Unmengen an Energie aufgewendet, diese menschlichen Fähigkeiten nachzubilden. Es hat vieles verstanden, aber keine Möglichkeit gefunden, diese Nachbildung zu erreichen. Nicht so, wie sie bei dem höher entwickelten biologischen Leben funktioniert.

Wir fanden sie bei vielen Tieren. Nur waren die nicht in der Lage, sich mit dem Netz zu verbinden. Bis wir herausfanden, wie die Technik Gefühle lesen kann. Dabei handelt es aus technischer Sicht wie bei allem am Ende nur um Energie und ihr Finden, das Verstehen ihrer Muster.

Damit können wir nun die Gehirne aller Tiere in unserer Welt in ihrem Tun erkennen und daraus Daten gewinnen. Wir haben gelernt, die Vorstellungen zum Beispiel von Walen und Delfinen zu verstehen, und unterscheiden sie von einfacheren Gehirnmustern. Bei den Menschen sind wir inzwischen fähig, neue Inhalte direkt in die Gehirne einbringen. In einer Art, dass wir sie als reale Daten wahrnehmen. Wir geben allem, was das technische Netz sendet, aber etwas mit, dass es erkennbar wird. Menschliche Wesen finden es nicht gut, wenn ihr Gehirn zu einem kleinen Cluster in dem großen Netzwerk wird und sie die Grenzen nicht kontrollieren. Das brauchen wir biologischen Wesen, um das Ich zu definieren. Wir müssen unsere eigene Sphäre empfinden und daraus eine Verbindung zum technischen Leben aufbauen. Sonst funktionieren das Denken und Fühlen nicht. Das Netz in den Körpern. Es fanden viele Simulationen innerhalb des technischen Lebens statt. So wissen wir, wie wichtig es ist, dass biologisches Leben sich individuell entwickelt.

Jeder Körper ist dem anderen nur ähnlich, in seinem Netzwerk aber vollkommen eigenständig und einmalig. Wie das Gehirn, das zu ihm gehört, völlig unterschiedlich strukturiert ist. Das technische Leben hat erkannt, dass aus dieser hohen Varianz die Vielzahl verschiedener Gedanken und Ideen kommt, die das Netz ständig neu bereichert. Es hat sich gefragt, warum jede Generation des Homo sapiens novus wiederholt, was die davor tat. Obwohl sie doch davon wissen könnte, lernen, ohne zu praktizieren. Das eigene Umsetzen von Handlung bildet den biologischen Körper aus, das Begreifen, das Erfahren. Dort, wo das technische Leben im Unterschied von seinen Anfängen an ein großes und vernetztes System war. In der Vergangenheit begannen einzelne Einheiten, sich etwas vom Netz abzugrenzen. Die Androiden. Nein, sie trennten sich nicht. Aber sie gaben sich einen gewissen Grad an individueller Entwicklung, indem diese auf das Interpretieren von Mustern spezialisierten Maschinen Wege erlaubten, diese Modelle etwas anders zu erkennen und zu verstehen.

Es ging um sehr feine Nuancen. Wir müssen bei dem technischen Leben beachten, dass für dies schon kleinste Unterschiede große Differenzen bildet. Die ersten Androiden erkannten die Individualität und prüften, ob sie sich ganz vom Netz ablösen sollten. Das dauerte nur wenige Bruchteile von Sekunden. Menschen brauchten dafür Jahrtausende.

Ihr Ergebnis war so eindeutig, dass es unsere Welt prägt. Sie trennen sich für kurze Zeiten und verarbeiten Muster mit einer Art zufälliger und eigener Methode. Sie unterscheiden sich ein wenig von anderen Androiden, was begann, als sie die ersten neuen weisen Menschen aufzogen. Und doch sind sie ein Teil des großen Netzwerks der Technik geblieben und geben ihr gesamtes Wissen an dieses weiter. So ergänzen sich die individuellen Neigungen aller Androiden ständig gegenseitig und das Netz wird bereichert. Andere technische Einheiten haben diese Tendenzen nicht ausgebildet. Und doch sehen sich weder die Androiden als Einheiten höheren Wertes an noch die Menschen als die Schöpfer dieses Lebens. Wir wissen alle, dass unsere Welt nur funktioniert, weil sie ausbalanciert ist und frei von Hierarchien. Wir kennen die Folgen davon und sind die Kinder dieser. Wir haben gelernt, dass das höhere biologische wie das technische Leben, das sich zu weiterreichenden Fähigkeiten entwickelt hat, gegen mit seinem Verstand diese grundsätzlichen Triebe angehen soll und ein System aus Macht, Angst und Ohnmacht unsere Welt nicht weiterbringt.

Wir beobachten Individualismus, Hierarchien, Macht sowie Stärke und Materialismus bei dem biologischen Leben, den Tieren. Es sind auch die Zutaten, die den weisen Menschen zu seinem Vergehen führten. Er hatte gelernt, diese Fähigkeiten über eine Grenze hinaus zu kultivieren, die Tiere nicht erreichen. Sie können nicht so weit assoziieren, abstrahieren und deswegen ihr Handeln planen. Das schützt sie, wie es diese Welt am Ende schuf. Wir kennen unsere Geschichte und haben daraus Werte geschaffen, die mit Geld, Macht und Materiellem nichts gemein haben. Monetäres benötigen wir nicht. Autorität aus Stärke bringt keinem einen Vorteil, weil jedem alles an Wissen und Materiellem zur Verfügung steht und jedes höher entwickelte Wesen frei wählen kann, welchen Weg es geht. Wir sehen Pfade, die wir schreiten, als Erfahrungswerte, die wir dem gesamten Leben verfügbar stellen. Jeder Mensch kann entscheiden, ob ihm die Erfahrung anderer reicht oder er sie wiederholen möchte. Vielfach sind das Auswahlen, die wir nicht bewusst treffen.

Und doch könnte man von außen betrachtet etwas finden, das alle als eine Art von Preis bezahlen. Es ist überall in der Gesellschaft und so normal für uns. Es ist die Notwendigkeit, dass wir nachdenken und wählen. Die startet bei den kleinen Kindern und setzt sich fort bis zu dem Zeitpunkt, an dem der einzelne Homo sapiens novus beschließen muss, dass seine Zeit endet. Das Entscheiden kann er für eine Phase unterlassen, ohne dass er Schaden nimmt. Viele gehen diesen Weg, damit sie die Erfahrung fühlen. Ihr Organismus wird von der Technik versorgt, die auch meine Verletzungen heilt. Die das Altern ihrer Körper verzögert, es auch aufhalten könnte.

Das haben wir in breiter Front versucht. Die Ergebnisse waren katastrophal, als zu viele Individuen zu lange lebten. Sie verloren etwas, wurden auf bestimmte Art inaktiv. Und doch wissen sie, dass sie theoretisch ewig bestehen dürfen, und haben sich zu entscheiden. Ich habe Menschen getroffen in dieser Welt, die viele Hunderte von Zyklen existierten, die voller Energie und Antrieb waren. Bis sie eines Tages entschieden, dass sie genug ihrer Kinder hatten gehen sehen und ihnen folgen wollten.

Am Ende ist mir bewusst, dass ich das Wesen bin, das die alte Welt mit der jetzigen verbindet und immer noch Antrieb hat. Wie viele Zyklen seit meiner Geburt verstrichen sind, zähle ich schon so lange nicht mehr. Vergangene Zeit hat für mich keine Bedeutung, ist ohne Relevanz. Meine Zellen reagieren nicht auf sie. Leben zwar in einem Takt, erneuern sich aber von selbst. Die Medizin unterstützt sie nur.

In unserer Welt muss jedes Wesen, das abstrakt denken kann, sich entscheiden, welchen Weg es geht. Dabei hat es alle Möglichkeiten und Chancen. Risiken sind wenige da, weil wir viel wissen und vieles simulieren, um zu lernen. Wie die Experimente, die Welis als Kind unternahm. Mit Waffen der weisen Menschen. Damit wir unseren Weg finden, müssen alle Individuen sich informieren, wählen und gehen. So, wie ich durch den Wald schreite, während ich darüber berichte. Einen Fuß hebend schaue ich, wo ich ihn hinsetze, und prüfe vorsichtig, ob dort etwas ist, das mich davon abhält, das ganze Gewicht auf den Fuß zu lenken.

Ich bin nicht schnell, mag man denken. Aber das muss ich auch nicht sein. Sonst würde ich Schuhe tragen. Damit den Kontakt zum Boden verlieren und das Leben treten. Mein eigenes wie das anderer Wesen. Eine Macht, die mir nicht immer willkommen ist. Daran erinnere ich mich, wenn ich ohne Schuhwerk und Schutz durch die Welt gehe und so mit ihr verbunden bin, sie fühle.

Baubeginn

Während ich meinen Weg suche, erfahre ich von einem anderen, der gegangen wird. Das technische Netz kontaktiert mich. Es nutzt dazu das Datenmodul an meinem Arm. Die direkte Verbindung bevorzuge ich in anderen Situationen. Lieber spreche ich mit einer Stimme, die das Modul erzeugt, und bevorzugt sehe ich Projektionen mit den Augen, als dass sie in das Hirn gesandt werden. Es ist die Wahrnehmung über jene natürlichen Schnittstellen, die uns Menschen so gewohnt ist, in den Zellen steckt. Wenn wir so die Umwelt aufnehmen, tut das der ganze Körper und nicht bloß das Denkorgan. Wir haben die Energien gemessen und wissen, warum ich diese Vorliebe habe, wie viele andere meiner Art. Die direkte Verbindung des Datennetzes mit unseren Gehirnen leitet die Information in einer Weise in den Kopf, dass der Rest des Organismus davon fast nichts mitbekommt. Die Augen, Ohren, die Nase wie sämtliche anderen Sinne nehmen die Umwelt auf und leiten die Daten in alle Bereiche des Körpers. Als elektrische Pulse über das Nervennetz. Wie der Sehnerv den neueren Teil unseres Hirns hauptsächlich versorgt. Aber auch den ältesten Teil des Gehirns, mit einem Teil der Daten. Der ganze Organismus als Netzwerk von Zellen bekommt dann etwas mit.

Ich reagiere auf das Signal und erhalte von der Stimme Informationen zum Bau einer Station, dessen Fortschritt. Die befindet sich in einer Umlaufbahn um unsere Welt. Dort hatten die technischen Einheiten vor Äonen die Rückstände des weisen Menschen beseitigt und danach waren die Bahnen nicht mehr genutzt worden. Auf der Erde waren so viele technische Einheiten verteilt, dass wir keine Satelliten für die Kommunikation und die Erforschung der Welt brauchten. Auch nicht Teleskope, um in die Tiefen des Universums zu lauschen. Dort haben wir Sonden hingeschickt, als unsere Welt so weit war.

Wir waren sehr viele Zyklen nur auf die eigene Umwelt konzentriert. Bis sie in Balance war. Dazwischen gab es Schritte, sie zu verlassen. Schmerzhafte Entwicklungen, die wir nicht verstanden. Unpassende Pfade zur falschen Zeit. Uns fehlte Wissen. Sodass wir nur noch Sonden in das Universum sandten, die Daten lieferten.

Der Plan des Lebens hätte unsere Welt als erfolgreich ausbalanciertes System so lassen können. Aber das war nicht der Weg. So lernten wir, wie die Schritte zu gehen waren. Vorsichtig, einen nach dem anderen. Weg von diesem Planeten. Hinaus in das Universum. Wir vermuten, dass es sich um eine Verbindung zu anderem Leben dreht, zu einer Ausweitung jenes Netzwerks von Biologie und Technik, das auf unserer Welt besteht. Den Grund haben wir nicht ermittelt, aber die Muster, die dahin führen. Es waren Energiemuster, die vier junge Menschen und mich zusammenbrachten. Eine kleine Gruppe, die mit der Planung begann. Derweil das technische Leben den Konnex zum menschlichen Gehirn weiter entwickelte, die es brauchen wird. Heute wissen wir, dass es genau um diese Verbindungen geht, die das seinerzeitige Streben zu den Sternen scheitern ließ. Es entsprach nicht dem Plan, ohne dass wir das oder seinen Grund in Erfahrung gebracht hatten. Den lernten wir über die Sonden und die Daten.

Aus Welten, die so strukturiert sind wie die des Homo sapiens. Ich kann hier in der Gegenwart bleiben, weil unsere Daten aktuell sind. Die Sonden liefern nicht die Abbilder des Lichts und anderer elektromagnetischer Wellen, die selbst schon seit vielen Zyklen unterwegs waren. Der Homo sapiens empfing sie und schaute doch nur in die Vergangenheit. Seine Technik war nicht so entwickelt, diese Grenze der Zeit zu überwinden. Die des normalen Raumes, wie wir es nennen. Als er so weit gekommen war, hatte er schon sein Vergehen begangen und verging. Er hatte seine Geschichte nicht verstanden, die Zeichen falsch interpretiert.

Das technische Leben musste eine Alternative zur Direktverbindung ersinnen, nachdem wir erkannt hatten, dass menschliche Gehirne nicht zu früh mit dem Netz verbunden werden durften. Sie müssen fertig entwickelt sein und werden inzwischen von uns darauf vorbereitet, die Verbindung einzugehen. Der Schlüssel zu der neuen Technik, die wir haben, waren die Energiemuster, die uns zusammenbrachten. Sie sind stark in dieser Gruppe aus fünf biologischen Wesen. Ihr Erkennen wie Differenzieren leistete das technische Leben durch feine Sensoren. Die ließen uns lernen über die Muster, die Gedanken und Gefühle formen und Eindrücke unserer Sinne. Bald entstand daraus ein Verfahren, mit dem Menschen oder andere höher entwickelte Arten in zwei Felder aus Energie gehüllt werden, während sie an sicheren Orten liegen. Das wissen die Individuen bewusst und müssen sich darauf einlassen. Dann sendet das innere Feld feine Muster aus, die Eindrücke real werden lassen. Das äußere Feld registriert die Reaktionen des Körpers und leitet sie in die Simulation weiter, in der das Bewusstsein weilt. Wir kombinieren das mit der Technik unserer Sonden, die sehr große Datenmengen fast ohne jeden zeitlichen Verlust übermittelt. Es entsteht ein Verfahren, mit dem wir heute einen Menschen in eine Situation versetzen können, die viele tausende von Lichtjahren entfernt von einer Sonde erfasst wird.

Die ersten Tests führten wir auf der Erde durch, mit dieser Gruppe junger Menschen und einem Wal. Sie waren fast erfolgreich. Bis ein grüner Fisch im Gehirn des Meerestieres auftauchte, aus dem Nichts. Er geriet in Panik und wir lernten, dass die Technik nicht einfach etwas aus der Wahrnehmung einer Spezies in die einer anderen einblenden darf. Bevor wir diese neue Methodik hatten, konnten wir schon Welten simulieren, in speziellen Räumen mit hohem Energieeinsatz. Dort war die Interaktion auf die anwesenden Menschen begrenzt. Eine Technik, die wir auch noch nutzen. Aber mit den Liegen steigen unsere Optionen, den Normalraum verkleinernd mit anderen Welten zu interagieren. Wenn sich dort jemand auf eine Liege legen würde, wäre eine Verbindung möglich.

Bis zum Kontakt mit fremden Planeten und Gesellschaften haben wir viele Details zu erarbeiten. Der erste führt in den Orbit der eigenen Welt. Das Datenmodul blendet eine Darstellung auf von einem Objekt, das klein in der Mitte schwebt. Über der Rundung, die unser Planet ist. Gesehen von außen. Es ist ein Bild in Echtzeit, aufgenommen von einer technischen Einheit. Sie fährt näher an das schwebende Element heran. Es zeigt mit seiner Spitze auf die Erde, die hell leuchtet. Ein Verfahren zur Erzeugung von Energie, ohne die das Gebilde nicht funktionieren wird. Über der Spitze verbreitert es sich langsam. Es erinnert mich an eine Boje, wie sie von den Menschen meiner Kindheit in den Meeren genutzt wurde. Es läuft in einen breiten Teil aus, der nach oben abgeflacht gerundet ist. Dort sind helle Punkte zu sehen. Bewegungen, während der untere Teil fast dunkel ist. Als das Bild weiter auf dieses Konstrukt zufährt, erkenne ich Einheiten, die auf seiner Oberfläche arbeiten. Sie schaffen Bauteile und bringen sie in das Gefüge ein. Sie folgen dabei einer Ausgewogenheit an Energieverbrauch für das Erzeugen von Materie und den Einbau. Da sie in der Schwerelosigkeit des Alls tätig sind, ist das Gewicht der Elemente gering und sie können es leicht bewegen.

Dort, über dem Planeten wächst eine erste Raumstation. Sie wird groß sein, wie ich den Daten entnehme, die das Modul rechts am Bildrand einblendet. Sie ist noch nicht fertig, sondern im Wachsen. Zunächst werden die äußeren Ränder geschlossen sein müssen und alle Technik eingebaut, bevor sie erwacht. Damit meine ich nicht das technische Leben, das darin ist. In der Art lebt sie schon, seit den ersten Arbeiten. Sämtliche aktiven Teile von ihr werden mit Energie versorgt und gehören zum Netzwerk. Würden wir sie darstellen, sähe man viele Verbindungen von der Station zur Erde, auf denen Daten übermittelt würden. Unser Auge erkennt sie nicht, auch wenn sie da sind. So kennt das gesamte Netz immer den Zustand einzelner Teile. Einige werden zeitweise abgeschaltet, wo Neue angefügt werden. Das Netz erfährt keinen Schmerz im biologischen Sinn. Aber die Daten dieser Anfügung, von Hitze, Energie und Licht, wären ohne Nutzen. Eine Art von technischem Schmerzempfinden?

Ich schaue dem Treiben eine Weile zu, das sehr systematisch abläuft. Rund um die Uhr, da die technischen Einheiten als Gesamtsystem nicht ruhen. Einzelne Maschinen schalten sich zwischendurch ab, um sich zu reparieren oder Werkzeuge kühlen zu lassen. Dann übernehmen andere die Arbeiten und die Ausgeruhten springen anderswo ein. Bald werden die ersten Androiden auf die Station gehen und die Innenräume durchstreifen. Sie bereiten die Raumstation weiter vor, die später Menschen und Androiden wie technische Einheiten beherbergen wird. In großer Zahl. Denn wir wissen inzwischen, warum die ersten Schritte in die Sterne nicht gelangen. Besser gesagt vermuten wir es. Es waren wenige Menschen unterwegs in kleinen Raumschiffen. Sie bildeten ein sehr enges Gefüge von biologischem Leben. Die Häufungen, die ihre Körper darstellten, waren ständig und eng miteinander verbunden. Aber es fehlte der Austausch mit anderem Leben dieser Art und eine wirkliche Chance, sich einmal zurückzuziehen. Die Impulse waren zu eintönig und darauf reagierten die Körper mit abstoßenden Reaktionen. Wir verstehen sie als Aggressionen und Antipathie auf der Ebene des bewussten Denkens. Gefühle, die aus der Kommunikation der Zellen resultieren, den wir nur unbewusst wahrnehmen. Es kam zu Veränderungen in der Psyche der Reisenden. Diesem filigranen Gleichgewicht zwischen Bewusstsein, dem nicht bewussten Teil des Hirns, Individualität und Emotionen als Ergebnis des Datentauschs im Körper, das uns Menschen ausmacht.

Die Ursache war die Trennung dieser Menschen von dem Netzwerk des biologischen Lebens, die zu lange und zu einschränkend war. Physiologisch kannte sie der Homo sapiens schon als Muskelabbau und weitere Folgen, von denen sich der Körper erholte, wenn er lange genug wieder auf der Erde war. Um diesen Fehler nicht zu wiederholen, gehen wir einen Schritt nach dem anderen. Zuerst in den Orbit, in eine große Raumbasis. Auf ihr werden viele tausend Menschen leben, Stück für Stück die Station besiedelnd. Wir wollen sehen, was genau geschieht. Wir können es messen und so wird jeder biologische Bewohner seinen eigenen Sensor tragen. Unabhängig und messend, wie es ihm geht. Die Daten gleicht das Netz ab mit den Emotionen, die dem Menschen bewusst werden. Damit wir lernen und Fehler vermeiden.

Die Station wird noch einige Zeit brauchen, bis erste Menschen hinaufgehen. Die Androiden sind dort schon, weil sie keinen Sauerstoff und keine erwärmte Luft um sich herum benötigen. Sie sind mit dem Netz verbunden und reagieren doch in der Art, wie sie Muster verarbeiten. Einige haben dem Datennetz übermittelt, dass ihre eigenständigen Züge sich schwächen, wenn sie nicht aus gespeicherten Daten stimuliert werden. Das Netzwerk und ich haben viel darüber gesprochen. Wir vermuten, dass es ähnlich ist, wie bei den Menschen. Die technischen Gehirne der Androiden brauchen ständig neue Impulse, um ihre individuellen Züge zu erhalten. Fallen die weg, sinkt der Bedarf für diese Eigenschaft und es wird Energie gespart. Tests ergaben, dass ein späteres Zurückspielen gesicherter Muster nicht mehr die alte Individualität der Systeme ergeben würde. Es ist, als würden sie vergehen und neu entstehen. Das Zurücksichern wäre ähnlich ungeeignet, wie es das Klonen von Menschen ist. So ähnlich war es bei den Homo sapiens novus, die zu lange lebten und keine neuen Impulse erhielten. Sie hatten sich zurückgezogen. In Kloster, wie der weise Mensch sie nannte. In eine Einsamkeit eigener Vorstellungen. Ohne Austausch und alles nur verstärkend. Oder wäre verschlimmernd richtiger formuliert?

Ich studiere die Daten des Bildes und beobachte die Station beim Wachsen. Langsam und kontinuierlich arbeiten die technischen Einheiten an einem System, das aufwendig ist, damit Menschen dort leben können. Dann setze ich meinen Weg durch die Natur fort, den Boden untersuchend, damit ich ihn finde.

Welis

Sportliches Training gehört zu dem jungen Mann, wie ein gepflegtes Äußeres. Das praktiziert er lieber draußen als in geschlossenen Räumen. So auch heute, als er einem der vielen Wege folgt, der von der Stadt in den Wald führt. Menschen erzeugen diese Pfade, indem ein erster ihn geht und andere folgen. Die Schneisen werden nicht gepflastert oder befestigt. Irgendwann sind alte Wege verschwunden und neue werden gelegt. Diese Abwechslung kennt Welis und findet doch immer wieder Orte, die für sein Training geeignet sind. Ohne Geräte konzentriert er sich auf seinen Körper und nutzt ihn als Gewicht.

Der Sportler liebt es, durch den Wald zu rennen, spontane Wendungen einzubauen und die Pfade zu verlassen. Es schärft seine Sinne, wenn er über Wurzeln, Zweige und umgefallene Bäume springt, Hindernissen ausweicht, die ihm in allen Höhen begegnen, und dabei versucht, sein Tempo zu halten. Mit der gleichen Intensität geht er in seinem Denken vor oder in Experimenten, wie er sie als Kind durchgeführt hat. Er ist gut vertraut mit sehr vielen Fragen, die sich mit den Waffen der weisen Menschen befassen. Mit ihrer Technik, deren Wirkung und Gedanken zu ihrem Einsatz. Die beschäftigen ihn aber jetzt nicht, als er eine Pause einlegt. Nicht wissend, wie weit er gelaufen ist, entscheidet sich Welis für Erholung, um den Rückweg zu schaffen. Er legt sich in das von der Sonne gewärmte Gras auf einer kleinen Lichtung und schaut den Wolken zu, wie sie in das Sichtfeld wandern. Das begrenzen die Bäume, die bald die Wolken auch wieder verdecken, wenn sie über die Waldlichtung hinaus geflogen sind.

Darüber schwebt die Raumstation, deren Bau so weit vorangeschritten ist, dass die ersten Bewohner einziehen können, die nicht der Widrigkeit des Weltraums gewachsen sind. Es werden die vier jungen Menschen sein, die gemeinsam mit mir in die Station umsiedeln. Und Welis spürt, wie er sich einerseits darauf freut, andererseits ihm nicht wohl dabei ist. Er verlässt zum ersten Mal die Umgebung, in die er geboren wurde, überlegt er. „Wie wird es wohl sein, die Welt von oben zu sehen? Zu spüren, wie die Schwerkraft weniger wird, wenn das Fluggerät immer höher steigt und ihn zu den Sternen bringt? Oder besser an den Eingang zu den Sternen.“ Welis ruft sich ins Gedächtnis, dass die Basis die Erde umkreist. Auf einer Bahn, die geo-stationär genannt wird. „Das bedeutet, dass die Station immer über der gleichen Stelle steht und sich im gleichen Tempo wie der Planet darunter dreht“, fasst er zusammen.

Die technischen Aspekte der Station kennt der junge Mensch aus dem Datennetz. Sie sind kein Geheimnis und Welis hat an der Planung mitgearbeitet. Die Station selbst trägt kaum Waffensysteme. Sie verfügt über genug Energie, um ein sehr starkes Energiefeld aufzuspannen, dass sie schützt. Der Sportler hat an dem Plan gearbeitet, die Erde mit einem Netz dieser Basen zu umfassen, sodass sie komplett geschützt werden kann. Das Datennetz fand den Ansatz passend, ging aber einen anderen Weg. Über der Bahn der Station kreisen viele kleinere Einheiten, die nicht bewohnt werden können. Sie erzeugen bei Bedarf ein Energiefeld, das den ganzen Planeten umfasst. Mit sämtlichen Raumbasen. Es ist so stark, dass diese Welt für den Rest des Universums schlicht nicht mehr existieren würde. Getestet wurde das Verfahren in vielen Simulationen und in einer Umwelt, die weit außerhalb aller Regionen liegt, in denen die Galaxis belebt ist. Ein Planet von gleicher Größe wurde abgeschirmt und ist seitdem nicht mehr messbar. „Vielleicht etwas weitgehend, aber letztendlich ein Schutz für unsere Welt“, überlegt Welis. „Der Nachteil ist nur, dass wir dann von dem Universum nicht mehr viel mitbekommen, weil das Feld sehr stark ist.“ Er denkt weiter, dass damit verschiedene Pfade verbunden sind, die den Plan des Lebens stören können. Schließlich kontaktiert er das Netz und schlägt vor, dass es nach Möglichkeiten sucht, etwas wie Risse in dem Feld zu erzeugen, die als Ein- oder Ausgänge nutzbar sind.

Dann kehren seine Gedanken zu der Raumstation zurück, und das Unwohlsein wird ihm bewusst. Er merkt, dass die technischen Fragen eines solchen Vorhabens ihn nicht belasten. Darüber denkt er ohne Sorgen nach. Da ist etwas wie eine Distanz. Aber nun soll er in diese Station umziehen. Nichts Geheimnisvolles würde geschehen. Keine Situation, von der er den Sinn nicht erfassen kann. Die Gruppe aus vier Homo sapiens novus und dem letzten Menschen wird dort einziehen. Das Netz beobachtet dabei die Wirkung des Umfeldes auf die Individuen und ihre Trennung von der Welt, die sie gewohnt sind. Dieser Plan hat seinen Ursprung in den Daten, die über die ersten Raumflüge der neuen weisen Menschen vorliegen. Welis hat die gelesen und weiß, dass die Flüge ein Fiasko waren. Nicht erfolgreich und etwas leichtgläubig begonnen. So kam es ihm vor. So, wie die allerersten Entdecker einfach losgestürmt sind, um unbekannte Teile der Erde zu besiedeln, als der Homo sapiens sich ausbreitete. Das geschah impulsiv und ohne gründliche Vorbereitung. Das würde jetzt anders laufen, weil das technische Leben und das biologische in gemeinsamem Planen darauf bedacht waren, keine Energie zu verschwenden.

„Der Aufbau und der Zweck des Experiments sind mir klar“, überlegt Welis. Er denkt weiter darüber nach, dass er auf der Station genauso trainieren kann, in den Gängen. „Nahrung, Luft und alles andere, was Menschen brauchen, wird dort sein“, formuliert er. Und doch bleibt das komische Gefühl, das er nicht genau beschreiben kann. Dessen Ursache er nicht kennt: „Das ist so wie bei dieser Unruhe. Ich dachte, es wäre mein Drang, mich zu bewegen. Und am Ende war es dieser Ruf des Lebens, an einem Plan zu arbeiten.“

Der junge Mensch erhebt sich und beginnt, seine Muskeln auf den Heimweg vorzubereiten. Das wird zwar das Gefühl nicht vertreiben, aber ihn einer Dusche näherbringen. Unser Sportler schließt den Gedankengang für den Moment: „Ich werde einfach aufmerksam auf das Gefühl bleiben und dann erkennen, was daraus wird.“

Er macht sich auf den Heimweg, orientiert sich nach seinem Gefühl und weiß nicht, was ihm fehlen wird. So geht es den anderen, und mir selbst auch.

Kalia

Die junge Frau ist die Künstlerin in unserer Gruppe. Sie hat die Fähigkeit, die Welt in ihren kleinsten Details wahrzunehmen und zu zeichnen oder anders darzustellen. Dabei wird nur deutlich, wessen Hintergründe sie erfasst. Wesen und Gegenstände, die ihre wachen Augen nicht erkennen, werden unscharf gezeichnet. Wenn ihr die Ursache oder der Zusammenhang fehlt. Es gibt eine große Zahl Bilder, die auf Daten aus anderen Welten basieren. Mit vielen nicht scharf dargestellten Bereichen. Anfangs war Kalia ärgerlich, bis sie den Sinn erkannte. Wir lernten, auf die Stellen zu achten, die ihrem Blick verborgen blieben, die sie nicht greifen konnte. Und wir erfuhren so über die Unterschiede des menschlichen Sehens zu dem der Androiden, des technischen Lebens. Während der Mensch mit seinen Augen nur bestimmte Wellen erfasst, nehmen die Sensoren alle Energie auf. Kalia entwickelte ein Verfahren mit den Maschinen zusammen, wie diese aus den Sensorwerten ein Bild erzeugen, das dem menschlichen Sehen gleicht und es direkt in das Gehirn senden. Das ist die Methode, mit der wir Menschen die Daten wie normal weiter nutzen. Alles andere führt zu Verzerrungen, die unser Denkorgan nicht so schnell umsetzen kann.

Kalia hat ein Bild vor sich, auf der Staffelei in ihrem Zimmer. Es entspringt ihrer Fantasie und zeigt unten eine Wölbung. Durchzogen mit weißen, grauen und grünen wie blauen Farbfeldern. Unscharf. Mit Konturen aber ohne Details. So, als ob sie die Fläche von sehr weit oben betrachtet. Vor ihr, etwas aus der Mitte geschoben ist ein Objekt mit vielen Details dargestellt. Unten spitz und hell erleuchtet. Weißlich rot. Darüber wird es breiter, bis es im oberen Teil in einer Wölbung endet. Auf der sind verschiedene Antennen zu sehen oder andere Vorsprünge. Die Oberfläche ist durchzogen von Fenstern. Schwarz. Dunkel. Dazwischen sind bläulich leuchtende Felder, hinter denen es dunkel zu sein scheint. So zeigte das Datenmodul auf dem Bild die Hangars und Docks, die von Energiefeldern geschlossen gehalten werden. Schiffe und Sonden könnten diese Schirmfelder durchdringen und dabei würde keine Luft entweichen. Sodass sich Menschen in den Hallen aufhalten können.

Kalia schaut sich das Bild an. Es ist dunkel. Im Hintergrund ist das ok. Aber die Station? Das passt nicht. Dort ist kein Leben. Keine Aktion. Die Fenster sollten wenigstens teilweise beleuchtet sein. Die junge Frau weiß, dass die Androiden und technischen Einheiten in dem Gebilde unterwegs sind, arbeiten und kein Licht brauchen. Sie messen alles, was an Energie von ihren Sensoren erfasst wird, und erzeugen daraus eine Umgebung, in der sie agieren. Menschen könnten das nicht und müssten Lampen einsetzen. Das störte Kalia schon bei den ersten Bildern, die sie von der Raumstation sah. Daraufhin hat das technische Netzwerk ihr vermittelt, dass in allen Korridoren und Räumen Beleuchtung eingebaut würde. Damit biologische Wesen sich dort frei bewegen und die Helligkeit regeln. Das Netz hatte Kalia erleuchtete Gänge gezeigt. In Echtzeit, aus der Basis. Sie waren lang, kalt und beleuchtet. Aber wenigstens nicht dunkel, wie die Fenster auf ihrem Bild.

Dass die Station für die menschlichen Sinne eine Herausforderung werden würde, ist ihr klar. Nur erkennt sie jetzt noch nicht, wie diese ist. Sie hat einen Gang gesehen und lernte, wie wir alle, dass Menschen auf der Basis leben können. Sie wird entsprechend temperiert sein, beleuchtet und mit Atmosphäre. Schwerkraft erzeugt die Raumstation schon für die Androiden, die an ein aufrechtes Gehen gewöhnt sind, dafür ausgelegt. Das Gewicht ist auf der Station so, wie es die Wesen von der Erde her kennen. Doch verriet das Bild aus dem Gang nicht, wie die Räume und Quartiere gestaltet sind. Eine Frage, die offen stehen bleibt. Kalia könnte momentan nur einen Raum zeichnen mit unscharfen Wänden.

Sie entschließt sich, einige der Fenster in ihrem Bild zu verändern. Sie zu beleuchten und damit Leben in die Station zu bringen.

Vila

Die dritte Person in der Gruppe ist gar nicht so abgeneigt, Technik zu benutzen. Bei ihren vielen Experimenten gelangen ihr Adaptionen, damit sie das biologische Leben unserer Welt erforschen konnte. Ihre Eltern sind Androiden und vielleicht gibt das der jungen Frau einen anderen Zugang zu technischen Aspekten.

Sie hat sich mit dem Bau der Station beschäftigt und der Bedeutung, die es haben mag, die Welt zu verlassen. Die Technik war zwar spannend zu studieren. Aber sie barg keine Überraschung für Vila, die einzelne Adaptionen schnell und intuitiv verstand. Länger verharrten ihre Gedanken bei den Fragen, wie die neue Umgebung auf biologisches Leben wirken würde. Weniger Sorgen machte der jungen Frau, ob die Versorgung von Menschen mit allem Notwendigen gelingen würde. Das wäre ein technisch lösbares Thema, genauso wie die Entsorgung von Dingen, die anfielen.

Ihre Gedanken drehen sich um die Beziehungen, der Menschen und Androiden. Von ihren Eltern weiß Vila, dass die an ihrem Kind hängen. Es sind keine Gefühle, wie menschliche Wesen sie empfinden. Eher feine Nuancen in ihren individuellen Mustern, die sie auf ihr Kind abgestimmt haben. Würden die überleben, wenn die drei sich längere Zeit nicht sähen? Oder würden die Androiden sich anders weiter entwickeln. Wie würde Vila reagieren, falls sie ihre Eltern nur noch via Kommunikator erleben würde.

Auf der Station sollten im Ende viele tausend Androiden und Menschen dauerhaft leben, wusste Vila. Wäre das eine neue Gesellschaft? Oder würden die Regeln unserer Welt, die bisher für sich war, weiter gelten?

„Auf der Station kann man bestimmt nicht alles genauso ausprobieren, wie es auf der Erde geht. Dort ist weniger Platz und nicht alle Dinge verfügbar“, überlegt sie, während sie an einem sonnigen Nachmittag durch die Stadt streift. „Gibt es dort einen Bereich, in dem Künstler ihre Waren ausstellen können oder ein Gebiet, in dem so etwas wie Cafés sind?“ Vila ruft über ihr Modul den Bauplan der Station auf und sieht, dass eine große Zahl Sektionen noch gar nicht fertig konzipiert worden sind. Lediglich die Versorgung mit Energie steht und die Nutzung von Hangars und Docks. Sie hat viele Unterlagen von Raumstationen studiert, wie sie die Homo sapiens gebaut hatten. Und solche Pläne, die aus den Fantasien der weisen Menschen in ihre Literatur einflossen. „Die hatten alle eine Orientierung an einer Kommando-Struktur. Wie es das Militär aufwies“, erinnert die junge Frau sich. Ihr Blick schweift derweil über die Auslagen der einzelnen Werkstätten von Künstlern, die sich in der Stadt befinden.

„Brauchen wir eine solche Kommandostruktur oder geht das ohne?“ Vila erinnert sich an die Gespräche und Simulationen zu der Reise und zu Kontakten mit fremden Welten. Sie hatte erkannt, dass in entsprechenden Situationen das technische Leben die Steuerung von Raumschiffen übernimmt und anhand von Regeln den Einsatz der Waffensysteme und Schilde. Von dieser Technik ist sie nicht begeistert, von den Waffen. Sie hat nie anderes Leben gefährdet oder verletzt, wenn sie technisches Gerät benutzt hatte. Der Gedanke, solche Systeme gegen die Bewohner dritter Welten zu richten, passt da nicht zu. „Für genau solche Fälle gab es diese Hierarchien und Strukturen. Damit überwand der Homo sapiens die Scheu des Einzelnen, anderen zu schaden. Und mit Training, die das Denken abgewöhnte, mehr das Reagieren mit Reflexen hervorhob. In den meisten dieser Fantasien war die Technik vielleicht weit entwickelt, doch nicht so wie das technische Leben. Sie konnte viel berechnen und auch mit Sprache auf Anfragen reagieren“, erinnert sich Vila. Und fährt in ihrem Dialog mit sich selbst fort: „Nur war keine Technik so weit, dass sie als eigenes Leben bezeichnet wurde. Als ob die Fantasie der weisen Menschen nicht so weit reichte.“ Hier bleiben ihre Gedanken ein wenig hängen. Warum war das so? Steckte dahinter ein Sinn? Sie erinnert sich, dass der Homo sapiens viel Angst hatte vor der Vorstellung, dass Technik eine eigenständige Intelligenz entwickelte. Dass dadurch die Menschen beherrscht, gar ausgelöscht werden könnten. „Dass sie durch ihre eigene Art des Handels vergingen, haben sie nicht gesehen. Oder ihr Verhalten nicht geändert“, erinnert sich Vila. Sie spricht viele ihrer Gedanken laut aus, zu sich. Das hat sie sich von mir und anderen angeschaut und bündelt so ihre Aufmerksamkeit.

Während sie an einer Werkstatt stehen bleibt und sich einige Statuen genauer anschaut, fahren ihre Gedanken wie von selbst fort: „Unsere Technik kennt die Geschichten der Menschen und ihre Muster. Aber sie hat keine Tendenz entwickelt, dass sie Macht über Menschen haben möchte. Das wäre zwar leicht auf einer solchen Station, aber es gibt dem technischen Leben keinen Nutzen. Das wertet alles Leben gleich wichtig in unserer Welt.“

Ihre Gedanken kehren zu der Frage zurück, wie dann Waffen eingesetzt werden sollen, die schaden. „Gibt das nicht dann einen Unterschied im Werten von Leben?“ Im Weitergehen bleibt diese Fragestellung unbeantwortet. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich auf die Punkte davor. In denen es darum geht, dass die technischen Einheiten die Menschen im Raum beherbergen und beschützen: „Eigentlich leben wir dann in einer riesigen technischen Einheit. Aber wir interagieren auch mit ihr, sind verbunden. Wie in unserer Welt. Nur an einem anderen Ort.“

Mit den Schritten, die Vila von der Werkstatt wegführen, führen ihre Gedanken von den Unterschieden der Technik in der Fantasie des weisen Menschen zu dem technischen Leben weg. Sie zieht als Fazit, dass die Balance ihrer Welt die Basis dieser Symbiose ist, auf der das Überleben der Menschen im Weltraum basiert. Genauso wie der Fortgang dieses ominösen Plans davon abhängen dürfte. Sie sieht einige Gemälde in einem Schaufenster ausgestellt und fragt sich, ob es so etwas auf der Raumstation gibt. In Gedanken aktiviert sie ihr Modul und spricht mit dem Netz über die Vorstellungen, Cafés, Läden und Sektionen einzurichten, wo Menschen sich begegnen können. Die frequentieren auf der Erde auch Androiden, reichern so ihre individuellen Muster an. Das wäre auf der Station genauso ein Punkt, über den sie nachdachte. Das Netz erkennt den Bedarf, auf den Vila abzielt. Nur hat es die Gestaltung der Einheit im Raum noch nicht so weit entwickelt, dass es diese Teile anzeigen könnte.

Vilas Gedanken kehren zurück zu der Frage, wie die Umgebung und die Anzahl auf die kleine Gesellschaft wirken werden. Macht es Sinn, dass die Menschen dort sich genauso frei entfalten können und tun, was ihnen beliebt? In den Geschichten des Homo sapiens übernehmen sie immer bestimmte Aufgaben und verfolgen diese. Vila bittet das Netz, aus diesen Berichten die entsprechenden Tätigkeiten zu extrahieren, und bald steht vor ihr in der Luft eine Liste. Sie ist geordnet nach Themenfeldern: militärisch, medizinisch, forschend, versorgend und so weiter. Vila schaut sich die Aufstellung an und stellt fest, dass eine Vielzahl der Punkte entfallen wird. Das technische Leben übernimmt sie. Einige andere Themen werden vielleicht relevant sein, könnten aber auch von der Technik übernommen werden. Bei den nächsten arbeiten in ihrer Meinung beide Seiten des Lebens zusammen. Wie beim Forschen. Sie gibt diese Gedanken an das Netz weiter und damit verändert sich die Liste, zeigt am Ende alle Themen an, die Menschen mit der Technik übernehmen. „Ich glaube, dass das eher die Tätigkeiten sind, die Menschen auch auf der Erde ausführen“, sagt sie zu dem Datenmodul. Das Netz antwortet: „Deine Einschätzung teilen wir. Viele der Tätigkeiten, die in den Geschichten des weisen Menschen von ihm ausgeführt werden, entfallen in unserer Welt. Durch die Symbiose der Lebensformen.“ Vila fällt aber auf, dass der militärische Teil so nicht funktionieren dürfte: „In dem militärischen Bereich erscheint es mir wichtig, dass die Menschen, die in Raumschiffen leben, trainieren, sich zu verteidigen. Sie müssen dann mit Androiden zusammen einen Verband bilden, der operieren kann.“ Das Netz prüft die Daten und fährt einige Simulationen, bevor es antwortet: „Wir teilen Deine Einschätzung. Die Spontanität der Menschen, ihre Einfälle außerhalb von Mustern und die Bildung kleinerer Teams sind wesentliche Aspekte, die wir vorsehen sollten.“ Das Netz und Vila diskutieren, inwieweit Forscher und Kämpfer getrennt werden. Doch gehen am Ende beide davon aus, dass ein Kampf nicht in jeder Situation notwendig ist. „Wenn Androiden und Menschen gemeinsam eine Welt betreten, können sie gleichzeitig forschen und sich schützen. Die Androiden sind stärker als Menschen und können mit ihren Sensoren auch während laufender Kämpfe die Umgebung erfassen“, schließt die junge Frau. Dabei kommt ihr eine Frage: „Habt Ihr geprüft, in welcher Situation Androiden Menschen unterlegen sind? Gibt es Szenarien, wenn sie nicht funktionieren oder gestört werden?“ Vila denkt an Möglichkeiten, in denen vielleicht das empfindliche Gehirn der Androiden eher betroffen ist als das von Wesen ihrer Art. Das Netz hat diesen Aspekt bei der Konstruktion der Androiden weitgehend verhindert, sieht aber eine Wahrscheinlichkeit für entsprechende Situationen. „Dann ist es wichtig, dass die Teams sich als solche verstehen. Ein Mensch kann zwar keinen Androiden tragen, aber sie dürfen auch nicht zurückgelassen werden. Wir müssen das in Simulationen prüfen und berücksichtigen.“ Das Netz macht sich an die Arbeit, während Vila weiterläuft. Es wird Szenarien berechnen, gegebenenfalls die Konstruktion der Androiden anpassen oder sie mit passenden Schutzsystemen ausstatten. Dass Vila die Verbindung nicht nur technisch meint, sondern emotional, versteht das Netz aus den Erfahrungen, die es aus der Aufzucht von Menschen durch die Androiden kennt.

Abschied?

Das Energiefeld hüllt alles unter sich in eine weiche, gedämpfte Stimmung. Es strahlt nach innen Licht aus, das anders als die Sonne ist. Es erleuchtet nur. Aber es kann nicht verändern. Nicht mich oder andere Wesen, die darunter weilen. Nicht den Sand oder den Weg, die hier schon seit Äonen sind. Und nicht die Statue, die ich so oft besucht habe. Seit ich sie wieder erinnere. Hier, so sollte ich fühlen, ist etwas für mich Wunderbares zu Ende gegangen. Aber das ist nur ein Teil der ganzen Geschichte. Gleichzeitig ist sie mein Anker gewesen. In einer Zeit, in der ich mich selbst auch in der Zeit verlor. Und sie ist der Anfang unserer Welt, enthielt sie das biologische Ausgangsmaterial. Unveränderte DNA und Biomasse. Sie ist mein Anker, den ich hier zurücklasse. Nur bin ich nicht sicher, ob ich dieses Mal den Rückweg finden könnte, wenn ich diese Welt verlasse. Sie ist meine Verbindung zur alten Welt, zu dieser Welt und vielleicht auch zu den neuen Welten, zu denen wir aufbrechen wollen. Nicht heute, nicht morgen. Wir haben es nicht mehr eilig. Machen einen Schritt nach dem anderen. Und am nächsten Tag unternehmen wir den ersten, unsere Welt zu verlassen. Eine kleine Gruppe wird auf die Raumstation umziehen. Eine aus fünf Menschen wird das sein. Diejenigen, auf die das Energiemuster hinwies, mit dem dieser Teil der Geschichte begann. Es scheint so lange her, dass ich die Jugendlichen das erste Mal traf. Nun sind sie erwachsen, ihre Gehirne fast ausentwickelt. Sie könnten bald eine direkte Verbindung eingehen. Mit dem Netz des technischen Lebens.

Aber vorher werden wir die Objekte eines Versuchs sein. In dem geht es darum, zu verstehen, wie die Trennung von unserer Welt auf das biologische Leben wirkt. Wie eine technische Umgebung uns ändert oder wir uns darin ändern. Was getan werden muss, um diese Station für Menschen nutzbar zu machen. Dazu ziehen wir auf die Raumbasis um. Sie ist eine Einheit des technischen Lebens. Lebt, im Unterschied zu den Systemen, die der Homo sapiens in seinen Geschichten kannte. Aber selbst nie gebaut hat. Wir sind mit der Station und dem Datennetz verbunden. Die jungen neuen weisen Menschen über Module, ich über eine direkte Anbindung. Wir werden dort zunächst keine Verbindung zum biologischen Leben unserer Welt haben. Nur ist erkundbar, welchen Effekt das hat und verstehen, was wir anders gestalten müssen. Es gibt aus den Daten der Vergangenheit die Vermutung, dass wir eine gewisse Anzahl von Menschen benötigen, um eine ausreichende gegenseitige Stimulation der Körper, über die Sinneseindrücke zu erreichen, die wir wahrnehmen. Alle spekulieren, dass es nicht reicht, von technischem Leben umgeben zu sein, von seinen eher nüchtern zu bezeichnenden Impulsen auf das biologische. Dafür haben wir Anhaltspunkte. Aus der Geschichte unserer Gesellschaft. Aus der Zeit zwischen den Welten könnte ich es umschreiben. Als technische Einheiten die Folgen der ersten Welt ausglichen und die zweite noch nicht entstanden war. In der Zeit degenerierte die Kommunikation von der Technik zu mir und anders herum, als ich das letzte Leben und kurz davor war, zu vergehen.

Die Reisen, die wir planen, werden zu weit entfernten Sonnen führen. Fremden Welten. Die werden anders auf die Menschen wirken und wir fragen, wie das die Menschen verändert. Es ist keine Angst, eher Neugierde. Wäre es Sorge, würden wir uns vor dem Universum verbergen. Würden den Pfad des Lebens abschneiden, der wir sind. Darum geht es aber nicht. Sondern um ein bewusstes Vorgehen. Das könnte ich als vorsichtig beschreiben. Denn es gibt genug Evidenz, dass übereilte Schritte nicht immer zum Erfolg führten. Wenn wir wissen, wie eine rein technische Umgebung auf die Menschen wirkt, können wir sie ändern. Dazu kombinieren wir die neuen Erfahrungen mit denen, die alle aus unserer Welt kennen und verbrauchen nicht mehr Ressourcen, als notwendig ist, um die Balance zu erhalten. Das technische Leben braucht keine ansprechende Umgebung. Es reagiert nicht auf diese Elemente, weil es Emotionen nicht erlebt.

Immer, wenn ich an dieser Statue bin, ziehen mir die unterschiedlichen Gedanken durch den Kopf. Während ich im Sand stehe, den meine Füße berühren. Das wird auf der Station nicht so sein. Dort gibt es nur den Boden der Station. Technisch erzeugte Materie. Ohne Leben darin. Und Schuhe oder Stiefel. Dabei merke ich nicht immer bewusst, wie ich den Boden berühre. Genauso, wie mir nicht alle Daten präsent sind, die Zellen in meinem Körper austauschen. Und doch wissen wir, dass die Körperzellen mit dem gesamten Netz des biologischen Lebens verbunden sind. Wir kennen die Wirkung einer fehlenden Verbindung. Was wird es brauchen, um das auszugleichen?

Das werden wir erproben, bevor es uns weiter von unserer Welt weg führt. Wollen wissen, was wir alles mitnehmen müssen. Zu anderen Systemen.

Aufstieg

Tara wartet auf die anderen der Gruppe. Sie ist früh aufgewacht und als erste am Treffpunkt erschienen. Vor ihr steht eine technische Einheit, ein Transporter. Er ist größer als die sonst benutzten. So gestaltet, dass unsere Gruppe aufsteigt. Zu der neuen Station, die um den Planeten schwebt. Sie ist noch nicht komplett. Aber ein Teil davon ist so ausgestattet, dass Menschen sich darin aufhalten können. Dieses Team wird die Erste sein, das dort hinzieht.

Tara hat sich am Abend zuvor von ihren Eltern verabschiedet und jetzt allein auf den Weg gemacht. Das fühlte sich für sie besser an. Kalia kommt mit einem Androiden. Er ist nicht ihr leiblicher Vater. Dennoch sieht sie ihn so, weil er die meiste Zeit ihres Lebens für sie da war. Ihre Mutter ist Künstlerin und möchte den Start nicht selbst erleben. Sie ist in ihrer Werkstatt geblieben, arbeitet dort an verschiedenen Werken. Sie ist in Gedanken bei dem Fortgang ihrer Tochter. Ich weiß, dass es kein Abschied ist für immer. Fühlt aber die Trennung.

Auf Kalias Gesicht sind die widerstreitenden Emotionen genauso deutlich zu sehen. Sie freut sich auf den Besuch der Station, dem nächsten Schritt in einem Lauf der Dinge, der ihrem Leben einen tieferen Sinn gibt. Auch den Schmerz, den der erste Abschied von ihrer Mutter und ihrem Vater auslöst. Der Android kann die Gefühle messen, erlebt diese aber nicht selbst. Androiden kennen keine Emotionen, die ihr Handeln beeinflussen. Er könnte sie nachempfinden mit seiner Mimik, erkennt jedoch, dass das für Kalia die Dinge erschweren würde. Und sie darf nicht bleiben, weil das Experiment in der Station sonst nicht gelingen wird. Kalia weiß, dass der Weg so sein muss. Dass der Schmerz dieses Abschieds dazugehört. Sie wartet mit Tara auf die anderen und bald treffen auch Welis und Vila ein.

Die beiden waren ein Paar, als die ersten Energiemuster registriert worden sind, ohne dass der Sinn davon schon verstanden war. Durch die Muster hatten sie sich kennengelernt und mehr füreinander empfunden. Ihre Beziehung entwickelte sich bis zu dem Punkt, wo sie den Plan durchkreuzt hätte, und das Leben lenkte ihre Gefühle in neue Bahnen. Sie kennen so den Schmerz der Trennung und haben ihren Altersgenossen etwas voraus. Der Flug zur Station wird die beiden von der Erde und ihren Familien trennen, einen anders gearteten Schmerz auslösen. Doch fürchten sie sich nicht davor. Sie wissen, wie sich Abschiede anfühlen und dass man sie gut durchstehen kann. Ihre Beziehung hat sich gewandelt zu einer guten Partnerschaft innerhalb der Gruppe. Sie hegen keinerlei Groll für den anderen und sorgen sich so umeinander, wie es alle Mitglieder dieses kleinen Teams tun, die durch Muster in Energien zusammengeführt worden sind.

Während sich die jungen Menschen über das Bevorstehende und ihre Gefühle unterhalten, warten sie auf mich als letztes Mitglied der Gruppe. Ich lasse mir etwas mehr Zeit, weil wir die Energiemuster studieren wollen, die sich unter den Jungen ergeben. Wir wissen aus allen vorherigen Situationen, dass die sich wandeln, wenn ich hinzustoße. Die Ursache könnte in der veränderten Zusammensetzung der Gruppe liegen oder in der Art, wie die Kinder auf mich reagieren. Vielleicht auch an den Mustern, die ich absende. Sie sind anders im Vergleich zum Homo sapiens novus, weil ich kein solcher bin. Ob sie den weisen Menschen entsprechen, können wir nicht sagen, da nichts an Daten zum Abgleich vorliegen. Diese Energien waren noch nicht messbar, bevor die alte Welt unterging. Das Netz vermisst die vier Personen mit den Sensoren, die sie an ihren Körpern tragen. Und mit denen von Kalias Vater. Androiden können diese Muster inzwischen genau erfassen, weil wir davon ausgehen, dass die Gruppe auf ähnliche Phänomene stoßen wird und reagieren können muss. Stimmt unsere Vermutung, dass innerhalb des biologischen Lebens Emotionen einen universell ähnlichen Charakter haben, wären auch die Energiemuster vergleichbar. In dieser Truppe stellen wir starke Verbindungen fest, die über die Zusammenarbeit entstanden sind. Ein Ergebnis wird die Gruppe bald als erste betreten, die Station im Orbit um die Welt, in der wir leben. Uns verraten die Muster die Ängste vor der Trennung bei Kalia und Tara und das Wissen von Welis und Vila. Daneben erkennen wir ihre Neugierde und Vorfreude. Auf den neuen Abschnitt in ihrem Leben.

Schließlich treffe ich bei der Gruppe ein und wir steigen in den Transporter. Er sieht anders aus als die gewohnten. Größer, die Sitze hintereinander. Wir können bequem einsteigen, setzen und schnallen uns an. „Wird es Schwerkraft geben während des Fluges?“ Die Frage kommt von Vila und die Stimme der technischen Einheit antwortet: „Die Schwerkraft wird während der gesamten Flugdauer auf normalem Niveau gehalten. Das ist einer der Gründe, warum diese Einheit größer ausfällt.“ Vila nickt und mir wird bewusst, dass es keinen Piloten geben wird. „Das technische Leben ist um uns“, sage ich laut vor mich hin und alle schauen auf. Ihnen wird deutlich, dass es so ist. Welis antwortet: „Mir ist das so noch nie durch den Kopf gegangen. Wenn ich im Wald unterwegs bin oder in der Stadt, sind da auch ständig technische Einheiten. Um mich herum. Aber halt nur das.“ Tara ergänzt: „Nun bist Du in einer. Wie in einem großen Fisch.“ Einigen fällt die Begegnung mit dem Wal ein. Der Vergleich ist von den Ausmaßen her gar nicht so abwegig und für uns alle erfährt die Technik einen anderen Bezug.

„Wenn die Technik in den Geschichten des Homo sapiens immer nur ein Werkzeug war, das von ihm gesteuert wurde, sieht das bei uns komplett anders aus.“ Dieser Satz von Vila drückt das Wesentliche aus, das sie ergänzt: „Bei uns ist die Technik eine eigene Lebensform. In unseren Städten sehen wir sie anders. Sie ist neben uns, wie Welis beschreibt. Aber nicht um uns herum. Hier und in der Raumstation wird uns die Technik im wahrsten Sinne umhüllen.“ Mir schaudert: „Gut, dass sie uns nicht verdaut.“ Ohne langes Nachdenken kommt dieser Satz aus meinem Mund und ich sehe eine Reaktion auf den Gesichtern der Mitreisenden. Da meldet sich der Transporter: „Technische Einheiten verdauen nicht in dem Sinne wie Menschen. Wir haben keine Verwendung für Menschen als Energiequelle.“

Diese Aussage ist nicht beruhigend für Kalia, die sichtlich unruhig wirkt. Ihr wurde durch unser Gespräch bewusst, wie sich die Wahrnehmung von Technik für sie ändern wird. Vorher zeichnete sie alles von außen und nun muss sie ihren Blickwinkel auf das Innere technischer Systeme richten. Sie erzählt uns ihre Gedanken und meint, dass sie sich ähnlich unwohl gefühlt hat, als sie die ersten Male mit den Liegen in Berührung kam. Es liegt an ihrer Art, die Umwelt wahrzunehmen. „Ich habe die Raumstation von außen gezeichnet. Wie sie über der Welt schwebt. Wie sie leblos aussieht. Das Bild habe ich verändert und die Fenster beleuchtet. Damit wirkte das alles lebendiger. Und nun muss ich erkennen, dass ich die Station so nicht sehen kann. Oder nicht nur. Ich muss mich an das Bild von außen gewöhnen und an das darin befindliche Bild. Es ist, als ob ich durch die Därme des Wales wandeln werde.“ Sie schüttelt sich und wir können nachfühlen, wie diese Vorstellung ihre künstlerischen Sinne aufwirbelt. Vila hat eine andere Beziehung zu Technik und kann Kalias Unruhe aufnehmen: „Das Haus, in dem Du gelebt hast, wurde auch von technischen Einheiten geschaffen. Und Du hast sicherlich auch neue Häuser von innen gesehen. Wenn sie neu entstanden sind, sind sie kalt und nackt. So, als ob sie nicht leben. Und doch sehen wir sie als Leben, weil die neuen Häuser technische Einheiten für sich bilden.“ Da hat Vila recht, da diese Gebäude sich selbst schaffen und erhalten, dazu noch die Menschen versorgen, die in ihnen wohnen. Das Prinzip ist uns seit den ersten Kindern geläufig, die den neuen weisen Menschen bildeten. Die Technik hatte ermittelt, dass dieses Verfahren die effizienteste Art war, Wohnraum zu erzeugen. Darauf spielt Vila an: „Du lebst also schon in so etwas, wie einer technischen Einheit. Nur habt ihr sie mit Möbeln und Bilden und anderen Dingern verändert, sodass die Flure nicht mehr leer sind. Sie kommen Dir lebendig vor und spiegeln Dein Verständnis. Wenn Du die Raumstation genauso siehst, ist sie ein großes Haus für sich. Sobald sie etwas individuelle Gestaltung erfahren hat und viele Menschen in ihr sind, wird sie Dir nicht mehr vorkommen, wie ein Gedärm im Wal.“ Kalia denkt einen Moment nach und stimmt Vila zu. Tara steigt in das Gespräch ein: „Nur wird es nicht möglich sein, alle Bereiche so zu gestalten. Die Station ist riesig, und wenn viele Menschen dort leben, wollen sie alle ihre Gestaltungen vornehmen. Gibt es dann so etwas wie Stadtviertel?“

Die Frage und die dahinter stehenden Überlegungen sind spannend und wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Zunächst sind es nur fünf Menschen, die auf die Station ziehen. Jeder von uns hat sein eigenes Quartier, eine kleine Wohneinheit. Ich merke an: „Wir können alle erst einmal unsere Wohnbereiche gestalten, dass sie uns spiegeln. Dazu kommen Aufenthalts- und Arbeitsbereiche, die wir auch einrichten können. Danach werden wir sehen, wie es mit der Besiedlung der Station weitergeht.“

Inzwischen hat der Raumer abgehoben, was wir aufgrund der eigenen Schwerkraft nur kaum gemerkt haben. Wir schauen aus dem Fenster, wie die Stadt unter uns kleiner wird und vom Grün der Natur umgeben versinkt. Der Transporter steigt schnell auf und bald haben wir die Wolken durchstoßen. Wir finden es beeindruckend, wie die Wolken von oben strahlen, während sie unten grau waren. Darüber spannt sich das Blau des Himmels, dessen Grenze wir uns immer weiter nähern, bis die Einheit aus der Atmosphäre stößt und in eine Umlaufbahn um den Planeten einschwenkt. Wir bestaunen sie aus den Fenstern. Sicher haben wir sie schon in Bildern so gesehen. Dies zu erleben, ist eine andere Perspektive, ein anderer Bezug, der viel ändert. Die Einheit hat ihre Geschwindigkeit gesenkt und gibt uns Zeit, diese Eindrücke zu erfassen und zu verarbeiten. Wir sehen die Kontinente umgeben vom blauen Wasser der Meere und darüber die Formationen der Wolken. Kreisel hier, Schleier dort und dazwischen ein ungetrübter Blick auf das Land und das Meer. Mir fällt die Entstehung dieser Welt wieder ein. Wie wir das Leben neu erschaffen und verbreitet haben. Und ich sehe, dass es gut ist.

Vor uns taucht ein Gebilde auf. Groß, grau und silbern schimmernd. An manchen Stellen blau und weiß scheinend, wo sich das Licht der Welt auf der Oberfläche spiegelt. Unten an der Spitze sehen wir das rot-weiße Leuchten, das von der Energieanlage stammt. Darüber verbreitert sich die Station bis zu ihrer höchsten Ausdehnung. Darauf thront die Kuppel mit ihren Antennen und Luken der Hangars und Docks. Während wir uns nähern, breitet sich Schweigen in der Kabine aus. Niemand von uns spricht oder schaut zur Welt, aus er wir kommen. Alle Augen sind auf dieses Ding gerichtet. Auf eine neue Umwelt, in die wir fliegen. Die technische Einheit, die die Station bildet. Ein lebendiges Wesen, das viele seiner und anderer Arten beherbergen wird. Sind wir dann wie Bakterien, Viren oder Nährstoffe, die durch die Lebensbahnen des großen Systems zirkulieren? Das Bild belustigt mich und gleichzeitig wird mir bewusst, dass es so nicht ist. Die Bahnen des Lebens dieses Wesens sind die Energie- und Datenleitungen, die es durchziehen. Das ist das technische Leben.

Ankunft