Stefanie Sargnagel - Antonia Thiele - E-Book

Stefanie Sargnagel E-Book

Antonia Thiele

0,0

Beschreibung

Über Stefanie Sargnagel wisse doch jeder alles, im Internet mache sie sich ja quasi nackt, sagen Kritiker der umstrittenen Künstlerin. Sie selbst sieht das ganz anders. Wie, davon hat Stefanie Sargnagel Antonia Thiele erzählt, backstage, während 300 Zuhörer auf ihre Lesung warteten, und bei einer Melange in ihrem Wiener Wohnbezirk.Am Ende war klar: Sargnagel hat so viel erreicht, dass sie das Wort "Arbeit" ab jetzt zu Recht ohne Ironie verwenden will.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 140

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Autorin. Burschenschafterin. Matriarchin. Rotkäppchen.

 

Stefanie Sargnagel

von Antonia Thiele

 

 

 

 

 

 

kurz & bündig Verlag | Frankfurt a. M. | Basel

Zum Buch

Stefanie Sargnagel. Autorin. Burschenschafterin. Matriarchin. Rotkäppchen.

Über Stefanie Sargnagel wisse doch jeder alles, im Internet mache sie sich ja quasi nackt, sagen Kritiker der umstrittenen Künstlerin. Sie selbst sieht das ganz anders. Wie, davon hat Stefanie Sargnagel Antonia Thiele erzählt, backstage, während 300 Zuhörer auf ihre Lesung warteten, und bei einer Melange in ihrem Wiener Wohnbezirk. Am Ende war klar: Sargnagel hat so viel erreicht, dass sie das Wort »Arbeit« ab jetzt zu Recht ohne Ironie verwenden will.

Zur Autorin: Antonia Thiele

Antonia Thiele ist Journalistin und mag Menschen, von denen sie Neues lernt. Von Stefanie Sargnagel weiß sie zum Beispiel, dass es möglich ist, innerhalb eines Monats 243 Facebook-Posts abzusetzen. Ihr eigenes Profil hat sie trotzdem seit eineinhalb Jahren nicht aktualisiert.

1 – Im Café Semmerl & Co I: Stimme einer Generation oder Krawallmacherin?

In Stefanie Sargnagels Selbstporträt erscheint alles einfach, eindeutig. Die Nase: ein senkrechter Strich. Die Augenlider: zwei waagerechte Striche über der Mitte der Pupille. Die Baskenmütze: ein Halbkreis und etwas rote Farbe. In ihrer eigenen Wahrnehmung ist sie damit scheinbar fertig: Stefanie Sargnagel, Wiener Autorin, veröffentlicht ihre Statusmeldungen erst auf Facebook, dann in Büchern. Würde man jedoch versuchen, ein Bild aus all den herumgeisternden Meinungen über Stefanie Sargnagel zu zeichnen, dann sähe das anders aus. Es hätte viele Schichten, Farben, Stile. Es zeigte eine kompromisslose Feministin, eine Humoristin, eine Provokateurin, eine politisch versierte Linke, eine Künstlerin und ein Arbeiterkind aus dem Wiener Gemeindebau. Natürlich: Vielschichtig ist in gewisser Weise jeder Mensch. Aber es gibt nur wenige Persönlichkeiten, die so viele Leute so verbissen kategorisieren wollen wie Stefanie Sargnagel. Um eine Schublade für sie zu finden und sie dort hineinzuquetschen – ob sie hin­einpasst oder nicht, ob sie es will oder nicht. Von Pablo Picasso ist das Zitat überliefert: »Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen.« Von Stefanie Sargnagel gibt es sicher hundert Bilder, die in noch mehr Köpfen existieren. Nicht alle diese Bilder zeigen die Wahrheit, aber noch weniger ist nur eines allein wahr.

Und so sollte man besser nicht in die Versuchung geraten, alles, was sie tut und sagt, sofort einzuordnen. Aber natürlich ist das nicht so einfach, vielleicht sogar unmöglich. Man tut es doch und fängt so an, sein eigenes Bild von der 32-Jährigen zu formen, das beste, das möglich ist.

Stefanie Sargnagel hat als Treffpunkt das Café Semmerl & Co in Margareten vorgeschlagen, dem fünften Wiener Bezirk. Auf den ersten Blick erschließt sich der Grund dafür nicht unbedingt, denn Semmerl & Co ist ein Biocafé, das mit selbstgemachten Marmeladen und regionalen Produkten aus der Steiermark wirbt. Dort geht es – so zumindest der erste Anschein – um das Gefühl von Gesundheit und Heimat. Rote Wangen und gesundes Lächeln. Stefanie Sargnagel ist eher bekannt für eingefallene Wangen und Ketterauchen. Zu ihr würde eher das Café Weidinger im 16. Bezirk passen. Dort wird geraucht und getrunken, und der Kellner ist kurzangebunden. Also kein touristisches Aushängeschild, aber einer Subkultur absolut angemessen.

Stefanie Sargnagel schreibt und zeichnet Cartoons, erst im Internet, dann veröffentlicht sie die Posts in Büchern. Dabei geht es um verrückte Gespräche, die sie als Telefonistin im Callcenter geführt hat, um ihre Zeit als Studentin an der Akademie der bildenden Künste Wien, um Körperausscheidungen und um Politik. Es gibt viele Charakteristika, mit denen Fans, Gegner und Medien versuchen, die 1986 geborene Künstlerin zu beschreiben, aber meistens geht es im Grunde um ihre Einstellung. Was sie eigentlich von Beruf ist, weiß niemand so genau, denn das Genre, in dem Sargnagel sich bewegt, ist erst mit ihr entstanden; vorher gab es das eigentlich nicht.

Alles fing damit an, dass Stefanie Sargnagel als 15-Jährige auf einem Blog im Internet ihre Gedanken formulierte. Inzwischen hat sie Tausende Posts auf Facebook und Twitter veröffentlicht. Diese Statusmeldungen trägt sie auf Lesereisen durch den deutschsprachigen Raum vor.

Dabei inszeniert sie sich auch immer selbst. Auch das macht es schwer, Stefanie Sargnagel zu begreifen. Was viele umso mehr anzustacheln scheint, genau das zu versuchen. Wer sie nicht mag, will ihr einen Stempel aufdrücken. Wer sie bewundert, will das auch. Und sich selbst noch dazu. Texte oder Filme über die Autorin geraten immer mal wieder auch zu Selbstdarstellungen derer hinter der Kamera oder dem Rechner.

Stefanie Sargnagel ist dies und jenes, heißt es oft in Artikeln über sie. Sie ist Feministin, Linke, Krawallmacherin. Und irgendwie ist sie das alles auch. Aber solche Charakterisierungen sind nicht geeignet, ihre Persönlichkeit zu beschreiben. Stefanie Sargnagel ist schnell, denkt um die Ecke. Man weiß nie, womit man rechnen muss, aber meistens ist das, was sie von sich gibt, originell. Und die Interviewer wollen da gern mithalten.

Sargnagel selbst, die eigentlich Stefanie Sprengnagel heißt, gibt gern das Enfant terrible, das immer zu spät, verpeilt und vom Leben überfordert ist. Das in kein System passt, sei es Schule oder Kunstakademie oder die Leistungsgesellschaft an sich. Eigentlich müsste für die Wienerin ein neues Genre gefunden werden. Es gibt kein Vorbild. Manchmal wird sie Bloggerin genannt, aber das trifft eigentlich nicht wirklich zu, denn sie veröffentlicht ihre Texte vor allem in den sozialen Medien. Die Bezeichnung »Face­book-Schriftstellerin«, die ab und zu für sie verwendet wird, reicht dagegen nicht aus, denn natürlich tut sie mehr, als auf Facebook zu schreiben. Und mittlerweile ist klar: Sargnagel wird nicht verschwinden, nur weil vielleicht Face­book irgendwann verschwindet. Sie hat ihre Posts inzwischen in mehreren Büchern veröffentlicht. Die ersten hatten kleine Auflagen, aber für ihr neuestes Buch »Statusmeldungen«, das 2017 erschienen ist, hat sie einen Vertrag mit dem deutschen Traditionsverlag Rowohlt unterschrieben.

Wer Stefanie Sargnagel nicht durch ihre Texte kennt, hat spätestens 2017 von ihr gehört. Damals inszenierte die Wiener Boulevardpresse einen Shitstorm gegen sie, also eine Welle von Hasskommentaren im Internet. Sie wurde beschimpft, bedroht, angefeindet. Es war zwar nicht das erste Mal, dass sie für heftige Reaktionen gesorgt hatte. Dieses Mal allerdings traten zum Hass im Internet auch noch Ermittlungen des Verfassungsschutzes. Dass Sargnagel diese Angriffe verdiene, davon scheinen viele ihrer Gegner auch Monate später noch überzeugt zu sein. Sie sind leidenschaftlich gegen sie – so wie diejenigen, die sie und ihre Arbeit verteidigen und Sargnagel, wie die österreichische Ausgabe des kanadischen Jugendmagazins Vice, als die »wichtigste österreichische Schriftstellerin des 21. Jahrhunderts« bezeichnen, glühend auf ihrer Seite stehen. Sie scheint also neben allem anderen auch eine hervorragende Projektionsfläche abzugeben.

Aber zurück zum Café Semmerl & Co. Es scheint auf den ersten Blick nicht besonders gut zu Stefanie Sargnagel zu passen, aber die innere Einstellung ist doch ähnlich: un­angepasst und Erwartungen gegenüber gleichgültig. An einem eisigen Tag Mitte Februar, draußen herrscht nasskaltes Schneegestöber, ist der rot-weiße Langnese-Sonnenschirm ohne ersichtlichen Grund im Café-Raum selbst aufgespannt, auf den groben Holztischen liegen Plastikunterlagen mit Rentieren und Weihnachtsschlitten. Die Bewohner der umliegenden Gemeindebauten ziehen an den Fenstern vorbei, die mit aus Salzteig gebrannten Brotarrangements dekoriert sind. Und viele gehen dann doch lieber in das gegenüberliegende Beisl, wie die Kneipen in Österreich genannt werden; es hat auch um elf Uhr vormittags schon geöffnet. Dem Mitarbeiter des Café Semmerl scheint das ganz recht zu sein. Mit Daunenjacke und Schal bekleidet sitzt er an einem Tisch vor einer als »Kinderspielplatzerl« beschrifteten roten Plastikrutsche und guckt sich sein Gesicht in seiner Handykamera an. Wahrscheinlich gehört dieser junge Mann eher nicht zu denjenigen, die Sargnagel verehren; gut möglich, dass er sie gar nicht kennt. Gleichzeitig würde es auch nicht überraschen, wenn er die Autorin begeistert begrüßen würde – oder ablehnend. Seit die Arbeit der Schriftstellerin mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommt, ist ihr Publikum schwer einzuschätzen.

»Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man

nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen.«

(Pablo Picasso)

 

Auf Google hat das Café Semmerl eine einzige Rezension mit einem Stern, was schon fast sensationell schlecht ist. Möglicherweise hat da jemand das Konzept nicht verstanden. Das passiert Stefanie Sargnagel auch oft. Viele ihrer Texte sind satirisch gemeint, das begreift allerdings längst nicht jeder. Sie selbst hatte auch das Café, das sie als Treffpunkt vorgeschlagen hat, anfangs nicht so richtig verstanden. »Hier gibt es halt sonst fast nur so kleine Saufhütten, wer soll da in so ein Café gehen«, stellt die Autorin zusammenfassend fest, ohne dass die Frage gestellt wurde. Sie selbst wohnt nur wenige Minuten zu Fuß entfernt. Als das Café neu war, ging sie direkt mal hinein. Der Laden und sein Besitzer konnten sie aber nicht so recht überzeugen, obwohl Letzterer gleich viel mit ihr redete. Oder deswegen. »Ich mag nicht mit fremden Leuten sprechen.« »Mog net«, sagt sie, im wienerischen Dialekt. Da ist sie dann erst mal nicht mehr hingegangen.

Wer nicht mit realen Menschen sprechen mag, für den sind soziale Medien im Grunde die perfekte Plattform. Dort kann man sich selbst vermarkten, auch wenn man eigentlich nicht sehr überzeugt von sich ist. Das ist natürlich eine sehr schlichte Auslegung, die längst nicht das umfasst, was Stefanie Sargnagel und ihre Arbeit ausmacht. Dennoch klingt sie zunächst einmal passend für jemanden wie sie, die hauptsächlich damit arbeitet, sich selbst kleiner zu machen, als sie ist.

Über Facebook, Twitter oder Instagram können sich Künstler, Blogger und andere theoretisch sofort ein riesiges Publikum schaffen, das Tausendfache von dem, was sie auf dem »herkömmlichen« Weg erreichen könnten – und das ohne Kosten und für einen Bruchteil des Aufwandes, den sie normalerweise hätten. Auf Instagram erreicht Stefanie Sargnagels Account sargnagelstefe im Frühjahr 2018 immerhin 15800 Abonnenten. Ihr Twitter-Profil @stefan­sargnagel, das sie 2009 eingerichtet hat, hat zur selben Zeit noch einige Follower mehr. Auf Facebook, dem Kanal mit dem sie am häufigsten in Verbindung gebracht wird, avanciert sie unter ihrem bürgerlichen Namen: Stefanie Sprengnagel.

Ihren Gegnern geht sie offensiv auf die Nerven. Das passiert natürlich nicht aus Versehen. Sargnagel ist anstrengend, weil sie anstrengend sein will. Aber müsste das jemandem wie ihr nicht eigentlich zu anstrengend sein? Die Quelle ihrer Texte sind manchmal die Abgründe der Banalität menschlichen Seins. Vieles dreht sich um die Ausscheidungen ihres Körpers, und wenn nicht darum, dann doch um sie selbst und ihre Befindlichkeiten. Stefanie Sarg­nagel ist Künstlerin – und ihr Kunstprojekt ist sie selbst. Wer deshalb aber einen großen Auftritt von ihr erwartet, täuscht sich. Eine Selbstdarstellerin ist sie jedenfalls nicht. Sie kommt eine Viertelstunde zu spät und steht zögerlich vor dem Tisch. Der Händedruck könnte ihretwegen auch ganz ausfallen, verzögert kommt er dann doch, kurz und etwas kraftlos. Sie ist gerade erst aufgestanden. Seit sie vor zwei Jahren einen Vertrag mit dem Rowohlt-Verlag unterschrieben hat, arbeitet sie nur noch als freie Künstlerin. Den Job im Callcenter, Quelle vieler ihrer Texte, hat sie gekündigt.

Dann sitzt sie am Tisch, eine Melange vor sich, den österreichischen Milchkaffee. Das braune Haar liegt ihr über der Schulter, sie trägt einen dicken, grauen Wollpullover, dazu Perlenohrringe. Alles, wie man sie von Fotos und Videos kennt, nur ohne die rote Baskenmütze, ihr Markenzeichen, das ihr den Namenszusatz »Rotkäppchen« einbrachte. Die trägt sie nicht mehr so oft, seit sie berühmt ist und manchmal auf der Straße erkannt wird.

Die Schnelligkeit und Unbefangenheit, mit der ihr ihre Posts scheinbar einfallen – sei es über ihre Regelblutung, das österreichische Sozialsystem oder den FPÖ-Mann Heinz-Christian »HC« Strache –, ist im Gespräch mit ihr kaum wiederzufinden. Sie zögert oft, macht viel »Hmm« und »Joa«. Dann schweigt sie wieder – aber gerade in dem Moment, in dem man denkt, da kommt nichts mehr, scheint ihr immer doch noch etwas einzufallen, das sie dann schnell, mit einer plötzlichen Dringlichkeit und lauter als zuvor hinterherpresst. Die Inszenierung dessen, was abwechselnd als ihre totale Ehrlichkeit und als ihre aufdringliche Selbstüberhöhung wahrgenommen wird, hält sie im persönlichen Gespräch nicht durch. Und zeigt deutlich: Es geht ihr um die Kunst, nicht um die Darstellung ihrer Person. Das ist gleichzeitig auch eines ihrer Themen: Die Angst, nichts so richtig zu können – und zugleich die Unbefangenheit, mit der sie damit umgeht.

Stefanie Sargnagel ist nicht die einzige junge Frau aus dem künstlerisch-literarischen Bereich, die im deutschsprachigen Raum mit ihren Texten oder Auftritten auffällt. Die Schweiz hat die aus den USA eingewanderte, 1993 geborene Hazel Brugger, auch »die böseste Künstlerin der Schweiz« genannt. Brugger hat 2017 den Deutschen Kleinkunstpreis erhalten und schreibt über sich selbst, sie finde »schöne Worte für das Hässliche«. In Deutschland gibt es da zum Beispiel Ronja von Rönne, eine 1992 geborene Bloggerin und Autorin von Büchern wie »Wir kommen« und »Heute ist leider schlecht«. Stefanie Sargnagel hätte ziemlich wahrscheinlich etwas dagegen, in einer Aufzählung mit einigen dieser Frauen genannt zu werden. Und tatsächlich könnten die inhaltlichen Unterschiede teilweise kaum größer sein. Aber in jedem Alter gibt es immer welche, die für ihre Generation stehen – manche, weil sie es wollen, andere, weil sie es sollen.

Und natürlich gehen die Meinungen darüber, was und wer die Stimme dieser Generation sei, stark auseinander. Während manche meinen, es sei Stefanie Sargnagel, das Enfant terrible, das sich mal politisch, mal einfach platt gibt und auf satirische Art immer wieder die rechte Poli­tik Österreichs anprangert, nennen andere die deutsche Poetry-Slammerin Julia Engelmann. Die »Queen of Uncool«, wie Spiegel Online sie einmal genannt hat, ist Autorin von Bestsellern namens »Eines Tages, Baby«, »Jetzt, Baby« und »Wir können alles sein, Baby«. Engelmanns Art, sich selbst als die Andere, weil uncool und nicht auf Coolness Bedachte zu inszenieren, kann anstrengen, erschöpfen oder wütend machen – oder berühren, wie es offenbar den Millionen Followern ihrer Videos und Käufern ihrer Bücher geschieht. Ihre Textzeilen lauten beispielsweise: »Lass’ uns das Leben leben! So zauberhaft und schwungvoll wie ein bunter Konfettiregen.« Eine solche Zeile würde Sargnagel noch nicht einmal in ironischer Absicht hinschreiben. Der Unterschied zwischen der 1992 geborenen Bremerin Julia Engelmann und der Wienerin Stefanie Sargnagel könnte kaum größer sein. Und bei Sargnagel scheint Julia Engelmann eine gewisse, in Teilen durchaus nachvollziehbare Aggressivität hervorzurufen, die aber auch über die Stränge schlagen kann. Zum Beispiel, wenn sie Engelmanns »Baby«-Texte auf böse Weise parodiert:

Für Julia Engelmann … Geh deinen Opa besuchen und blas ihm einen unter der Krankenhausdecke, während er schläft und nimm etwas Tschuri am Finger, Baby, und setz dich ans Fensterbrett, Baby, und lass die Sonne drauf scheinen, damit es glänzt.

»Tschuri« ist ein österreichischer Ausdruck für Sperma, aber das sind Details, die man dann lieber gar nicht mehr so genau wissen möchte. Der Post stammt aus dem Jahr 2015, aber das Thema Julia Engelmann holt Sargnagel auch drei Jahre später gern noch für kleine Anspielungen heraus. Eine Fahrt in der Wiener Straßenbahnlinie 6 zum Beispiel empfehle sie Engelmann, sagt sie dann grinsend zu ihrem Publikum. Viele von Sargnagels Posts basieren auf Erlebnissen, die sie in der Straßenbahn hatte – und selten passen diese Ereignisse in die rosarote Welt, die Julia Engelmann gern zeichnet, und die Protagonisten aus der Straßenbahn passen dort vielleicht noch weniger hinein. Wer also ist die »Stimme der Generation«? Julia Engelmann wäre wahrscheinlich sehr glücklich über diese Einordnung, Stefanie Sargnagel wäre mit ziemlicher Sicherheit irritiert darüber. Denn wenn sie, die sich doch eigentlich ganz bewusst von vielem abgrenzen will, plötzlich die Stimme einer ganzen Generation sein soll, wie kann sie dann gleichzeitig noch »anti« sein? Sargnagels »Anti«-Art hat sie bekannt gemacht – und ist bei ihren Fans paradoxerweise Konsens: Sie sind alle »pro Anti«. Wenn dennoch beide Frauen, Stefanie Sargnagel wie Julia Engelmann, für ihre Generation stehen sollen, dann ist diese offensichtlich sehr heterogen. Kein Wunder also, dass sich die Geister an Sargnagel scheiden. Die standpunktlose Allerweltsformulierung, dass sie polarisiere, nervt sie allerdings. Das sagt sie im Gespräch, und das sagt sie auch online, zu ihren Lesern. Sie verstehe dieses »jemand polarisiert gern« nicht, twitterte sie schon 2016, und fügte hinzu:

Käse polarisiert. Strache polarisiert. Veganismus polarisiert. Conchita polarisiert.

Ihre Kurztexte sind oft durch eine prägnante Ironie gekennzeichnet. Die zeigt sie im Gespräch erst einmal kaum. Wenn es um ihre Arbeit geht, ist Stefanie Sargnagel sehr ernst und bedacht, und sie gibt sich offenkundig Mühe, alles richtig zu erklären – was wohl auch daran liegt, dass sie, wie sie sagt, in Interviews fast immer falsch verstanden wird. Sie fühlt sich selten korrekt wiedergegeben. Als Zuhörerin ihrer Erklärungen zu ihrer Arbeit muss man unwillkürlich an eine Stelle aus »Statusmeldungen« denken:

5.1.2016: 2016 fange ich an, das Wort »beruflich« ohne Ironie zu verwenden.

Auch wenn dieser Post natürlich schon die Ironie in sich ist, scheint sie sich dieses Vorhaben zu Herzen genommen zu haben. Wenn die Autorin über ihre Arbeit spricht, dann tut sie das tatsächlich (fast) frei von Ironie und bestechend ernsthaft.