Sternendiamant 4. Die Prinzessin des Lichts - Sarah Lilian Waldherr - E-Book

Sternendiamant 4. Die Prinzessin des Lichts E-Book

Sarah Lilian Waldherr

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Beschreibung

Am Ziel der sagenhaften Reise. Fana ist am Boden zerstört: Nicht nur die Sternendiamanten, auch Kians Liebe scheinen für immer verloren. Dann versteht sie, dass Avena Kian mit einem Fluch belegt hat. Hala, Ivy, Tem und Fana müssen also Patenia retten und Kian erlösen. Als Schulleiter Loan entführt wird, erscheint die Mission endgültig aussichtslos. Doch die Tochter des Juwelenkönigs gibt nicht auf. Für Fans von Kerstin Gier und Marah Woolf: Die "Sternendiamant"-Bücher versprechen Magie, Humor und Romantik mit toughen Protagonisten in fantastischen Erzählwelten.

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Über dieses Buch

Am Ziel der magischen Reise. Fana ist am Boden zerstört: Nicht nur die Sternendiamanten, auch Kians Liebe scheinen für immer verloren. Als Schulleiter Loan entführt wird, droht die Mission endgültig zu scheitern. Fanas Zweifel nehmen überhand: Wie sollen sie aus dieser Lage wieder herausfinden? Wie kann sie Kian und Patenia zugleich retten? Und wie viel Böses steckt in ihr selbst, der Tochter des legendären Juwelenkönigs?

Das große Finale der Romantasy-Serie um die bezaubernde Fana, Prinzessin der Sternendiamanten

1. Kapitel

Helles Sonnenlicht, blauer Himmel. Draußen zogen schwebende Inseln mit Bäumen in voller Blütenpracht und Wiesen mit Wildblumen an uns vorbei. Die Schönheit der Natur erreichte mich nicht. Meine Welt versank in blassen, lieblosen Grautönen. Ohne einen einzigen Farbklecks zurückgelassen zu haben. Und täglich schienen sie dunkler zu werden.

Ich rollte mich wieder auf dem Bett zusammen und schob mir die wirren Haare übers Gesicht, damit mir der Blick durchs Fenster erspart blieb.

»Ich habe dich nie geliebt!«, hallte es durch meinen Kopf, und ich schlang automatisch die Arme um meinen Oberkörper. Das waren die Worte, die mich seit jenem Tag in der Wüste von Avestina verfolgten.

Und: »Ich liebe Avena!«

Immer und immer wieder durchdrangen sie meine Gedanken, wie ein Mantra, das ich nicht loswerden konnte.

Kian…

Der Schmerz überwältigte mich erneut, und ich begann haltlos zu schluchzen. Meine Tränen bildeten nasse Flecken auf dem Bettzeug.

Warum? Wie konnte ich es nicht vorher schon bemerkt haben? Er musste mir die ganze Zeit über etwas vorgespielt haben! Mein Herz versuchte mir zuzuflüstern, dass das nicht stimme. Ich saß in einem endlosen Kreislauf aus aufkeimender Hoffnung und niederschmetternder Realität fest.

Die Tür flog auf. Durch meinen Vorhang aus Haaren hindurch nahm ich verschwommen wahr, dass jemand das Zimmer betrat. Ein tiefes Seufzen folgte, als die Person mich offenbar gefunden hatte.

»Das kann so nicht weitergehen!«, sagte Ivy und trat zu mir ans Bett.

»Wir haben nicht beschlossen, in Avestina zu bleiben, damit du dich auf unserem Zimmer in Selbstmitleid suhlst!«

»Gib mir noch etwas Zeit!«, bat ich abwesend.

»Drei Wochen verschanzt du dich hier schon!«, rief Ivy. »Wir haben bald Mitte August!«

Mir war jegliches Zeitgefühl verloren gegangen.

»Wie auch immer«, murmelte ich.

»Du hast nicht einmal deiner Mutter geschrieben, dass du mit hierbleibst. Das musste ich übernehmen, bevor wir Gegenden erreichten, in denen wir von allem abgeschnitten sind. Weder funktioniert das Internet, noch finden uns die Postschiffe!«

»Dann weiß sie es doch. Wo ist das Problem?«, brummte ich.

Ihre Anwesenheit ging mir auf die Nerven.

»Ich erkenne dich nicht mehr! Sieh dich an! Du bist nichts weiter als ein Häufchen Elend!« Wut mischte sich in ihre Stimme.

»Was sollte ich auch sonst sein?«, fragte ich und drehte mich auf die andere Seite. »Und jetzt geh bitte!«

Ivy gab einen unwilligen Laut von sich, und ich konnte mir bildhaft vorstellen, wie sie sich die Haare raufte.

Sie entfernte sich wieder und trat dabei etwas zu fest auf für ihre Gewohnheit.

Baff! Die Tür fiel ins Schloss. Meine Gedanken wanderten zurück zu dem eiskalten Blick, mit dem Kian mich bedacht hatte, bevor er mit Avena verschwunden war. Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht noch einmal in Tränen ausbrechen zu müssen. Dann erinnerte ich mich daran, wie er Avena vor meinen Augen geküsst hatte, und die Dämme brachen erneut.

Aber ich blieb nicht lange allein mit meinem Leid. Zum zweiten Mal flog die Tür auf. Die sollten mich einfach in Ruhe lassen!

»Ich möchte niemanden sehen!«, schrie ich.

»Das ist mir egal. Ich werde nicht tatenlos zuschauen, wie du zugrunde gehst.« Ivy war wieder da. »Du stehst jetzt sofort auf! Du merkst nicht einmal mehr, was um dich herum vorgeht.«

»Es interessiert mich auch nicht!«, fauchte ich.

»Dann lässt du mir keine andere Wahl. Wenn du nicht freiwillig aufstehen willst, muss ich dich zwingen.«

»Versuch’s mal!«, schnaubte ich.

Zwei kräftige Hände packten mich an den Oberarmen und zogen mich in eine aufrechte Position.

»He, was soll das?«, protestierte ich und versuchte, mich loszumachen.

Seit wann war Ivy so stark? Hatte sie in den letzten Wochen Krafttraining gemacht?

»Lass mich los!« Ich zappelte vergebens. Gnadenlos wurde ich auf die Füße gezerrt und wankte wie ein Kleinkind, das gerade laufen lernte. Nur Ivy hielt mich davon ab, zu stürzen.

»Du kommst mit an Deck! Frische Luft wird dir guttun.« Mein Vorhang aus Haaren wurde beiseitegeschoben, und Ivys Augen tauchten direkt vor meinen auf. Sie ließen keine Widerworte mehr zu.

Moment mal – und wer hielt mich dann fest? Ich drehte den Kopf.

»Tem!«, stieß ich hervor. »Was soll das? Seit wann hilfst du Ivy?« Die beiden waren ja nicht gerade dafür bekannt, ein Herz und eine Seele zu sein.

Tems Miene war todernst. »Wir mögen unsere Meinungsverschiedenheiten haben – aber Ivy hat recht. Du kannst dich nicht für den Rest deines Lebens in diesem Zimmer verschanzen. Wir haben größere Probleme, die uns alle angehen.«

Damit bugsierte er mich auf den Flur, den Gang entlang und hinauf an Deck. Das Sonnenlicht stach. Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte. Eine warme Brise wehte, und der süße Duft der blühenden Bäume lag in der Luft. Diese schöne Welt war wie Gift.

»Ich will sofort wieder auf mein Zimmer!«, forderte ich und bemühte mich, mich aus Tems Griff zu lösen.

Genauso gut hätte ich versuchen können, eine Betonwand einzutreten. Er schleppte mich weiter übers Deck.

»Denk nicht mal dran, dich wieder zu verkriechen!«, ermahnte mich Ivy.

»Ich will aber nicht… lasst mich! Ich kann nicht …!«, schluchzte ich und wand mich in Tems Klammergriff.

Ehe ich mich versah, klatschte es laut, und meine Wange begann zu brennen wie Feuer.

»Ivy! Aua …«, murmelte ich.

»Reiß dich endlich zusammen!«, schimpfte sie. »Hast du ansatzweise mitbekommen, was in den letzten Wochen um dich herum passiert ist?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollte ich?«

Es war mir vollkommen egal.

Selbst Tem stieß nun einen genervten Seufzer aus.

»Fana, wir können gut verstehen, dass es dir miserabel geht wegen Kian …«

Ich zuckte zusammen. Bisher hatte jeder vermieden, den Namen in meiner Gegenwart auszusprechen.

»… aber du darfst die Augen nicht vor den wichtigen Dingen verschließen!«, beendete Tem ungerührt seinen Satz.

»Wir müssen vorbereitet sein. Kasim hat alle sechs Sternendiamanten in seinem Besitz«, redete Ivy weiter. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er zum ersten großen Schlag ausholt!«

»Wir brauchen dich, Fana!«, ergänzte Tem eindringlich.

»Niemand braucht mich«, sagte ich mit hängenden Schultern.

»Okay, das reicht endgültig!«, schnaubte Tem, hob mich hoch und ging mit mir zur Reling.

»Was machst du da?«, rief ich perplex.

»Dich wach rütteln.«

»Ich bin wach!«

»Das meinte ich nicht.«

Mit einem Satz stand Tem plötzlich auf der Reling und hielt mich über den Abgrund. Unter mir zogen winzige weiße Wolken vorbei, und ein Ozean breitete sich momentan unter uns aus.

Auf jeden Fall besser als eine Wüste oder Einöde, dachte ich.

Immerhin lebten wir auf den schwebenden Inseln, weil der Boden die Landschaft stetig wechselte.

»Wenn dir unsere Situation egal ist, kann ich dich ja fallen lassen«, sagte Tem.

»Was?«, kreischte ich. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm die Arme um den Hals zu schlingen, um mich festzuhalten. »Untersteh dich!«

»Wieso? Du benimmst dich ohnehin schon wie eine leblose Hülle. Dadurch wird sich nichts ändern. Weder die drohende Gefahr für Patenia noch Kians Einstellung.«

Ich sah ihn perplex an.

»Was sollte sich an Kians Einstellung ändern?«

»Und ich dachte, du kennst ihn gut! Fandest du seinen Meinungswechsel nicht ein wenig zu plötzlich?«

»Wenn er die ganze Zeit nur so getan hat, wäre daran gar nichts plötzlich«, erwiderte ich.

Tem ließ eine Hand sinken, sodass meine Füße über dem Abgrund hingen.

»Tja, ob das wirklich wahr ist, wirst du nie herausfinden, wenn du dich weiterhin so hängen lässt.« Tem grinste mich an. »Soll ich loslassen?«

Mit dem Arm um meine Hüfte bewahrte er mich noch davor, abzustürzen.

»Nein!«, schrie ich und krallte mich an seinen Schultern fest. »Ivy, tu doch etwas!«

Ivy schien gar nicht daran zu denken, mir zu helfen. Sie stand mit verschränkten Armen hinter uns und beobachtete die Szene wie ein neugieriger Zuschauer. Verräterin! Ich warf ihr einen bösen Blick zu.

Tem begann zu lachen. »Sieh einer an. In dir steckt ja doch noch Leben.«

»Ich hab nie was anderes behauptet«, knurrte ich.

»Aber den Eindruck hast du uns vermittelt. Hala hat sich schon gar nicht mehr getraut, dich anzusprechen.«

Stimmt, ich hatte Hala tatsächlich lange nicht mehr gesehen. Und Loan auch nicht.

Wo befanden wir uns überhaupt? Ein frischer Wind kam auf und wehte mir die Locken aus dem Gesicht.

»Okay, okay, ich hab’s kapiert. Lass mich wieder an Bord!«

Tem sah mich misstrauisch an.

Ich nutzte den Moment des Zögerns und ließ einen Magiekreis auf meiner Hand entstehen, der eine Art Rückstoß auslöste und mich und Tem zurück aufs Deck beförderte. Geschickt wand ich mich aus seinem Griff, als wir beide am Boden lagen.

So leicht gab Tem nicht auf, und nachdem wir beide aufgesprungen waren, jagten wir über das halbe Deck.

»Daneben!«, lachte ich, als Tem ins Leere fasste.

»Nicht mehr lange!« Tem aktivierte seine Dämonengeschwindigkeit, und ich hatte keine Chance mehr gegen ihn.

»Hey, das sind unfaire Mittel!«, rief ich.

»Du hast damit angefangen!«

»Ich?« Ich setzte eine Unschuldsmiene auf.

Tem wollte etwas erwidern, aber er kam nicht mehr dazu. Jemand stolperte die Treppe von der Brücke nach unten und rannte auf mich zu.

»Ach, Fana, es ist schön, dich wieder lächeln zu sehen!« Hala fiel mir um den Hals, und Tem rannte fast in uns hinein.

»Gezwungenermaßen«, presste ich hervor, während sie mich beinahe zerdrückte.

»Ich hatte schon Angst, dass du für immer in unserem Zimmer bleibst.«

»Hatte ich eigentlich auch vor«, murmelte ich. Aber jetzt war ich ganz froh darüber, dass Ivy und Tem mich nach draußen gezerrt hatten. Ich warf Ivy einen entrüsteten Blick zu, den sie grinsend erwiderte.

Ich seufzte.

»Da du so wild darauf warst, es mir zu erzählen: Was ist passiert?«, fragte ich sie und versuchte, interessiert zu klingen.

Wir hockten zusammen an Deck, und Ivy begann zu berichten: Loan war mit dem Zirkel, der die Sternendiamanten verwahrt hatte, in Kontakt getreten, um seine Verbündeten auf das Schlimmste vorzubereiten. Auch der Rat von Avestina traf Vorbereitungen. In Fatona war für das ganze Land die höchste Alarmstufe ausgerufen worden.

Hala war ebenfalls nicht untätig gewesen und hatte sofort Daven kontaktiert, damit das Feenreich gewarnt war und sich vorbereiten konnte.

»Nur wie wir die Meermenschen in Nervinia warnen können, wissen wir nicht«, schloss Ivy ihre Erzählung. »Der König wird sich ein Schreiben von uns nicht einmal ansehen.«

»Was ist mit seiner Tochter? Wir könnten Nicita einen Brief schicken«, schlug Tem vor.

»Wie denn? Wir haben keine Kommunikationsmöglichkeit. Davon abgesehen ist es fraglich, ob sie ihn erhält oder ob ein Handlanger des Juwelenkönigs oder ihres Vaters ihr zuvorkommt und den Brief abfängt«, meinte Ivy.

»Es muss doch etwas geben, was wir tun können«, sagte Hala.

Gedankenverloren drehte ich an einer meiner Haarlocken »Was ist mit einer Mail an deine Großmutter?«, fragte ich.

Ivy stieß ein Schnauben aus. »Hast du mir eben nicht zugehört? Nochmal zum Mitschreiben: Wir sind hier quasi im Niemandsland und können im Augenblick niemanden kontaktieren! Außerdem kann man ohnehin nur Briefe ins Feen- und ins Meeresreich schicken. Und ich möchte sie damit nicht belasten.«

»Wir sind also völlig auf uns allein gestellt.« Tem verzog missmutig das Gesicht.

»Wo befinden wir uns eigentlich?«, griff ich das Thema auf, das Ivy angesprochen hatte.

»Tja …«, sagte Tem.

»Ich finde es schön hier«, seufzte Hala und betrachtete glücklich die blühende Umgebung.

»Fern von jeglicher Zivilisation jedenfalls«, seufzte Ivy. »Mal hier, mal da. Loan lenkt die Simalia in die abgeschiedenen Gebiete von Avestina. Hierher kommt selten jemand.«

»Und wenn wir uns verirren?«, fragte ich.

»Vertrauen wir darauf, dass Loan weiß, wie wir wieder zurück in die bewohnten Gebiete kommen.« Ivy hatte anscheinend keine Zweifel.

»Er will dich in Sicherheit wissen«, ergänzte Hala mit besorgtem Gesichtsausdruck. »Er macht sich kaum Gedanken um andere Dinge.«

Ich senkte den Blick und schaute auf meine Hände. Dann zuckte ich mit den Schultern und machte eine hilflose Geste.

»Ich kann sowieso nichts mehr ausrichten. Kasim hat, was er wollte.«

»Red keinen Stuss!«, sagte Tem. »Nur weil er die Sternendiamanten in diesem Moment besitzt, heißt das nicht, dass du sie nicht mehr gegen ihn verwenden könntest, sollten wir sie zurückbekommen. Und das macht dich gefährlich für ihn.«

Tem wollte mich sicher bloß aufmuntern. Im Gegensatz zu Kasim waren meine Kräfte ein Witz.

Ich stand auf.

»Ich werde mit Loan darüber reden. Ist er in seinem Büro?«, fragte ich.

Hala nickte bestätigend.

Also schlurfte ich die Treppen zur Brücke hinauf. Der bloße Gedanke an Kasim hatte meine Laune wieder auf den Nullpunkt gebracht.

Loans Stimme drang aus seinem Büro bis hinaus in den Gang. Mit wem redete er? Ich dachte, wir könnten niemanden erreichen? Loan musste einen ganz eigenen Weg der Kommunikation gefunden haben, der uns natürlich vorenthalten blieb.

Zögernd klopfte ich an und trat ein, ohne seine Antwort abzuwarten. Loan wanderte hinter seinem Schreibtisch auf und ab und sprach in etwas, das aussah wie ein Funkgerät. Er hatte einen Knopf im Ohr, durch den er wohl sein Gegenüber hören konnte.

»Wenn ich es dir sage… nein, das halte ich nicht für sinnvoll. Am besten bleibst du da, wo du bist. Untersteh dich!… Du gibst wohl nie auf. Also schön, ich werde sie dir zukommen lassen, für alle Fälle …«

Auf mein leises Räuspern hin bemerkte er mich. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er beendete das Gespräch und kam um den Schreibtisch herum gelaufen.

»Mit dir hätte ich nicht gerechnet.« Er blieb vor mir stehen und musterte mich von oben bis unten. Ich tat es ihm gleich. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. Das Haar fiel ihm wirr ins Gesicht, und sein Blick hatte etwas Gehetztes, Unstetes. Als müsse er viel erledigen. Abgesehen davon war Loan aber immer noch Loan. Irgendwie freute ich mich, meinen Onkel wiederzusehen.

»Ich wollte nicht stören«, nuschelte ich, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Warum war ich überhaupt hergekommen? Bestimmt nicht, um mit ihm über Kasim zu sprechen, wie ich vorhin verkündet hatte.

»Das tust du nicht. Ich hätte nicht gedacht, dich überhaupt noch zu Gesicht zu bekommen.« Ein mattes Lächeln erschien um seine Mundwinkel.

»Ivy und Tem haben mich rausgezerrt …«

»Ach?« Loan hob eine Augenbraue, und sein Lächeln wurde immer breiter. »Das ist gut. Das ist sehr gut!«

»Tem hat gesagt, dass das hier abgelegene Gebiete sind. Stimmt das?«, fragte ich auf der Suche nach einem Gesprächsthema.

»Das ist richtig«, bestätigte Loan. »Diese Gegenden sind weitgehend unerforscht, und es kommen selten Schiffe vorbei – meist sind es Expeditionsschiffe, die in diesen Zeiten kaum unterwegs sein dürften.«

»Wie findest du dich dann zurecht?«, fragte ich.

»Es ist eine Weile her, aber ich bin bereits einmal hier auf einer Expedition gewesen und kenne mich etwas aus.«

»Wie konntest du mit jemandem außerhalb sprechen?«, fragte ich.

»Was dieses Gerät betrifft – es ist sehr alt und eine Spezialanfertigung. Belassen wir es dabei.«

»Warum so abgeschieden? Willst du denn nicht dem Rat helfen?«

Loan sah mich durchdringend an. »Deine Sicherheit geht vor.«

»Das Gleiche hat Tem auch gesagt.«

»Und er hat recht. Glaubst du, Kasim wird dich in Ruhe lassen, nur weil er die Sternendiamanten besitzt? Er wird jeden eliminieren, der potenziell gefährlich werden könnte. Und du stehst auf seiner Liste ganz weit oben.«

»Deshalb verstecken wir uns?«

»Vorerst – bis wir einen guten Plan vereinbart haben. Und wer weiß, vielleicht gibt es hier das eine oder andere zu entdecken.« Loan zwinkerte mir spitzbübisch zu.

»Okay …«

Mein Kopf war mit einem Mal wie leer gefegt. Mehr Fragen fielen mir nicht ein. Was suchte ich hier? Die lange Zeit der Isolation hatte meine Gehirnzellen anscheinend etwas lahmgelegt.

Ich verabschiedete mich schnell von Loan und flüchtete zurück in die Stille meines Zimmers.

 

»Aufstehen, Fana!« Ivy riss mir die Decke weg und strahlte mich an.

Ich dagegen befand mich noch im Halbschlaf. »Wie bitte?«, gähnte ich.

Ivy verschränkte die Arme vor der Brust. »Heute ist der 13. Sagt dir das zufällig irgendwas?«

»Ein weiterer Pechtag von vielen? Oder… ist überhaupt Freitag? Außerdem… ich dachte, du glaubst nicht an so ein Zeug.«

Ivy seufzte theatralisch, legte den Kopf schief und zog eine echte Ivy-Schnute.

»Fällt dir sonst nichts ein zu diesem Datum?«

»Vielleicht in zwei, drei Stunden, wenn ich wach bin«, murmelte ich und wälzte mich auf die andere Seite.

Ivy lief um mein Bett herum, sodass sie wieder in meinem Blickfeld stand.

»Okay, ich helfe dir ein bisschen. Was geschah einst am 13. August?«

Blinzelnd hob ich den Kopf. »Mein… ach, stimmt ja!«

Es kam mir surreal vor, heute zu feiern. Besonders wenn eine ganz bestimmte Person fehlte. Meine Hand schloss sich um die Kette, die mir Kian zu meiner ersten Geburtstagsfeier auf der Simalia geschenkt hatte. Ich drehte mich auf den Bauch und verbarg mein Gesicht im Kopfkissen.

»Komm schon. Sei wenigstens ansatzweise fröhlich!«

Mir war eher zum Heulen zumute. Heute vor einem Jahr hatte ich meinen ersten Kuss bekommen. Von dem Jungen, den ich über alles liebte. Der mich verraten hatte …

»Fana!«, holte Ivy mich aus meinen Gedanken. »Heute wird nicht Trübsal geblasen, verstanden?«

»Jaja, kapiert.« Ich drehte den Kopf, richtete mich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Mein Lächeln fühlte sich steif an, als verzöge ich das Gesicht zu einer Fratze, was ich Ivys Reaktion nach auch tat.

»Für den Anfang wird das akzeptiert«, sagte sie nachsichtig.

Nachdem ich mich angezogen hatte, schleppte Ivy mich in die Küche zu Finko, der bereits mit Hala und Tem und einer seiner Tortenmeisterkreationen auf mich wartete. Siebzehn Kerzen brannten auf der dicken Schicht aus blauem Zuckerguss.

»Danke, Finko.« Ich versuchte, ein begeistertes Gesicht zu machen, was mir offenbar völlig misslang.

Finko legte mir den Arm um die Schulter und lächelte. »Ich weiß ja, dass meine Torte kein Luftboard ist«, sagte er und klopfte mir auf den Rücken, als ginge es mir dadurch besser.

»Danke, die ist wirklich schön geworden«, versuchte ich mich zu freuen und nahm Hala das Messer aus der Hand, um die Torte anzuschneiden. Sie schmeckte wie jede von Finkos Speisen: meisterhaft.

»Nachher bekommst du deine Geschenke«, freute sich Hala, als wären wir alle erst zehn Jahre alt.

»Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte ich und merkte, wie ich rot wurde vor Scham. Geschenke hatte ich in diesem Jahr wirklich nicht verdient.

»Loan hat auch etwas für dich, also werden wir den Gabentisch bei ihm aufbauen«, erzählte mir Ivy geschäftig.

»Das wird spannend!«, rief Hala.

Ich konnte nicht anders als lächeln. So viel Enthusiasmus war ansteckend.

»Besser«, fand Tem und knuffte mich in die Seite.

Wir aßen uns die Bäuche voll und hoben den Rest für Loan und Captain Simor auf. Danach musste ich an Deck warten, während Ivy, Hala und Tem in Loans Büro verschwanden. Gelangweilt schlenderte ich über das Deck. Seit Ivy und Tem mich vor drei Tagen wach gerüttelt hatten, wirkte das Schiff seltsam verlassen auf mich, obwohl eigentlich nur Avena, Julina, Hicko und… Kian fehlten. Trotz der Wärme fröstelte ich. Wo war er jetzt? Sicher bei Avena und… weiter wollte ich nicht denken.

Nicht wieder heulen! Es änderte nichts, wenn ich mich grämte. Es brachte Kian nicht zurück. Nicht die schönen Tage, als er noch bei mir war. Die wunderbaren Momente zu zweit.

Eine Träne tropfte von meiner Wange auf meine Hand. Eine zweite folgte, und ich kauerte mich neben der Reling zusammen. Jede Gegenwehr war zwecklos. Die Bilder überrollten mich erneut. Ein leises Schluchzen drang aus meiner Kehle, und ich verbarg das Gesicht in den Armen.

Wenn die Zeit nur zurückgedreht werden könnte zu dem Tag, an dem ich Kian getroffen hatte! Dann hätte ich mein Herz vielleicht besser schützen können.

Mir fiel plötzlich ein, dass Ivy, Hala und Tem mich sicher bald holen kamen, um mir die Geschenke zu überreichen. So sollten sie mich heute nicht sehen, sie hatten sich solche Mühe gemacht, um mich aufzuheitern.

Energisch wischte ich die Tränen weg. Für ein paar Augenblicke blieb ich sitzen und atmete tief durch. Möglicherweise konnte ich mich ablenken, wenn ich daran dachte, was heute noch passieren würde: Nach der Geschenkübergabe würden wir eine ganze Weile mit Loan zusammensitzen, und eventuell kam auch Captain Simor dazu. Vielleicht bestand ja die winzig kleine Chance, dass sie mich heute in der Nähe der Simalia luftboarden ließen. Das würde ich liebend gern wieder einmal tun. Durch die Luft brausen, den Wind in den Haaren spüren und an nichts und niemanden mehr denken.

Luftboarden – obwohl, vielleicht auch nicht. Schon wieder erschienen Bilder von ihm und mir vor meinem inneren Auge. Wie er mir meine erste Stunde gegeben hatte und wir danach zu zweit auf diesem Baum gesessen hatten.

Bloß weg damit!

Ich erhob mich und spähte zur Brücke hinüber. Niemand zu sehen. Ivy arrangierte bestimmt jeden Papierfetzen auf dem Geschenktisch, damit er genau an der richtigen Stelle saß.

Ich stützte mich auf der Reling ab und schaute den vorbeiziehenden Inseln zu. Während der letzten Tage waren wir immer weiter in diese abgelegene Gegend vorgedrungen. Man merkte, dass hier wirklich niemand lebte, denn auf den Inseln wucherte das Grün, wie es ihm gerade passte.

In der Ferne erschien ein kleiner Punkt, der auf uns zuhielt. Ein Tier? Bisher hatte ich wenige Tiere auf den Inseln ausmachen können. Sie verbargen sich wahrscheinlich zwischen den dschungelartigen Bäumen, die sich auf den meisten Inseln angesammelt hatten.

Der Punkt kam näher – ein großes Tier. Ein sehr großes Tier! Ein Drache vielleicht? Ich würde zu gern einmal einen sehen. Madame Ravina hatte uns im Unterricht beigebracht, dass sich Drachen oft an zurückgezogenen Orten aufhielten.

Ich beobachtete das herannahende Tier weiter. Es besaß gar keine Schwingen, also wohl doch kein Drache. Wie schade! Ein zweiter Punkt tauchte hinter dem ersten auf. Wenn ich nur ein Fernrohr hätte!

Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wozu ein Fernrohr, wenn ich magische Kräfte besaß? Ein Vergrößerungszauber mit dem Effekt eines Fernrohrs würde genauso gut funktionieren. Also konzentrierte ich mich und ließ den entsprechenden Magiekreis auf meiner Hand aufleuchten. Vor mir erschien eine große Linse, die augenblicklich die beiden Punkte heranzoomte.

Ich stutzte. Da waren keine Tiere! Das waren Schiffe mit weißen Segeln und flatternden Fahnen. Beide zeigten ein goldenes Schwert mit sechs Diamanten im Griff. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Die sahen den Sternendiamanten verdächtig ähnlich. Als neben den Flaggen jeweils eine zweite gehisst wurde, nahm ich die Beine in die Hand und stürmte auf die Brücke.

Jedes Kleinkind wusste, was ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen darunter bedeutete!

2. Kapitel

»Piraten!«

Ich stürmte in Loans Büro. Die anderen fuhren zu mir herum. Hala ließ vor Schreck die Blumenvase fallen, die sie in den Händen hielt. Mit einem lauten Klirren zerschellte sie auf dem Boden.

»Was hast du gesagt?«, fragte Loan, während die Farbe aus seinem Gesicht wich.

»Da kommen Schiffe mit Piratenflaggen!«, wiederholte ich aufgebracht.

»Verdammt! Ob sie wohl die Frequenz geknackt …« Loan sah kurz zu seinem Kommunikationsgerät auf dem Schreibtisch. »Wie viele?«

»Zwei.«

Loan machte ein verbissenes Gesicht und lief dann an mir vorbei an Deck.

»Die Geschenke werden wohl warten müssen«, sagte Tem.

Wir folgten Loan.

Die Schiffe waren bereits sehr nah, als wir die Brücke betraten.

»Sieht aus, als gäben sie Vollgas«, sagte Ivy.

»Die hat ganz bestimmt Kasim geschickt«, knurrte Tem.

»Sie werden uns in die Mitte nehmen. In dieser Position können wir uns schlechter verteidigen«, fluchte Loan und riss die Tür zu den Büros wieder auf, um nach Captain Simor zu rufen. Der stürmte einige Sekunden später an Deck.

Als er die Piratenflaggen sah, stieß er eine Reihe von Flüchen aus. Dann kontaktierte er den Maschinenraum, damit das Schiff seine Geschwindigkeit erhöhte.

»Verflucht, warum haben wir sie nicht bemerkt? Das Sicherheitssystem hätte uns warnen sollen!«, schimpfte er.

Ich fühlte mich schlecht. Hätte ich mich nicht wieder hinter der Reling vergraben, wären mir die Schiffe vielleicht schon viel früher aufgefallen!

»Wahrscheinlich haben sie eine Möglichkeit gefunden, es zu umgehen«, sagte Loan. »Wir müssen uns bereit machen.«

Die Simalia nahm zwar Fahrt auf, der Abstand zu den Piraten verringerte sich dennoch zusehends.

Bald schlossen sie links und rechts zu uns auf, wie Loan es vermutet hatte. Im Vergleich zur Simalia waren die Piratenschiffe klein, aber ich konnte wegen der vielen Leute an Deck sehen, dass sie voll bemannt waren.

»Bildet einen Verteidigungskreis«, wies uns Captain Simor an. Wir stellten uns mit den Rücken zueinander. Sobald die Schiffe auf gleicher Höhe waren, wurden Enterhaken ausgeworfen, damit die Piraten an Bord klettern konnten. Zu meiner Überraschung ließ uns die Hälfte der Piraten links liegen und stürmte stattdessen unter Deck, noch ehe wir sie aufhalten konnten. Damit hatten wir nicht gerechnet, als wir uns in der Mitte des Decks positioniert hatten. Loan folgte ihnen sofort.

Die andere Hälfte der Piraten, etwa dreißig Mann, griff uns an.

»Hätte ich bloß meine Waffen nicht im Büro liegen lassen!«, knurrte Captain Simor und fing den Angriff eines Piraten ab.

Hala, Ivy und ich errichteten eine Verteidigungsbarriere um uns herum, während Tem und Captain Simor den Angriff übernahmen.

Die Flüche prallten ohne Wirkung an Ivys und Halas Barrieren ab. Ich hatte Schwierigkeiten. Es kam mir vor, als wäre es ewig her, seit ich zuletzt einen Verteidigungskreis errichtet hatte.

»Konzentrier dich, Fana!«, ermahnte Ivy mich leise.

»Ich versuche es ja!«, entgegnete ich verbissen. »Ich bin eben nicht so gut wie du.«

»Hala und ich haben in den letzten Wochen viel geübt, anstatt apathisch herumzusitzen.«

Genervt verdrehte ich die Augen.

»Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um zu streiten«, mischte sich Hala ein.

Tem huschte derweil wie ein Schatten außen um uns herum und war viel zu flink, als dass seine Gegner ihn mit einem Zauber oder einer Waffe treffen konnten. Er war immer schon lautlos und schnell gewesen, aber wann war er so geschickt geworden? Ich hatte anscheinend einiges verpasst.

Captain Simor wurde derweil von einer Traube Piraten umringt, aber das schien ihn mehr anzustacheln als einzuschüchtern.

»Kommt nur her! Ich werde jeden von euch über die Planke gehen lassen!«, rief er und schwang ein Schwert durch die Luft, das er von einem Pirat erbeutet hatte.

Wenn wir eine Planke hätten!

»Fana, aufpassen!«, rief Ivy. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Schild, leider zu spät. Ein Zauber prallte mit solcher Wucht dagegen, dass er mich umwarf.

Verdammt, ich hatte erheblich nachgelassen! Mein Schild war Geschichte, und ich musste mich unter einem Schwerthieb hinwegducken. Bevor der Typ vor mir noch einmal ausholen konnte, traf ich ihn mit einem Lähmzauber. Im nächsten Augenblick packte mich jemand von hinten.

»So leicht kommst du uns nicht davon«, knurrte eine tiefe Stimme in mein Ohr.

Sie hatten es also wirklich auf mich abgesehen.

»Das würde dir so passen«, zischte ich zurück und trat ihm kräftig auf den Fuß. Er jaulte auf und entließ mich aus seinem Klammergriff. Hastig machte ich mich aus dem Staub, reihte mich wieder zwischen Ivy und Hala ein und errichtete einen neuen Verteidigungskreis.

»Wir müssen etwas tun! Nur mit Verteidigung werden wir auf Dauer nicht weiterkommen«, sagte Ivy.

Wie auf ein Stichwort erklang ein ohrenbetäubendes Krähen von oben, und Sturmkrähe schwang sich von seinem Ausguck. Gleichzeitig stürmten Frau Orana und Madame Ravina an Deck, um uns zu helfen.

Madame Ravinas Zauber setzte auf der Stelle acht Piraten außer Gefecht. Nie zuvor hatte ich sie Magie einsetzen sehen. Aber sie war beeindruckend. Frau Orana brachte einen Topf mit einer Schlingpflanze aus dem Gewächshaus mit, die die Piraten einwickelte wie einen Wrap, ihre Pflanzenstiele hoch in die Luft erhob, um sie mit Schwung über Bord zu werfen. Den Piraten schien der Flugunterricht wenig Spaß zu machen – sie schrien wie am Spieß.

Hala, Ivy und ich verließen unsere Verteidigungsposition und gingen zum Angriff über.

Sturmkrähe hüpfte wie ein wilder Hund zwischen den Piraten und uns hin und her und hielt jeden fern, der Ivy auch nur fünf Schritte zu nahe kam.

Es sah gut für uns aus, obwohl wir in der Unterzahl waren.

»Alle Mann ducken!«, hallte plötzlich Captain Simors Stimme zu mir herüber. Ohne weiter nachzudenken, warf ich mich auf den Boden. Die Klinge in seiner Hand glühte. Eine magische Waffe! Sie verlängerte sich auf einmal, und Captain Simor schwang sie wie eine gewaltige Peitsche über das gesamte Deck. Die Piraten wichen zurück, und diejenigen, die getroffen wurden, lösten sich sofort in Sand auf.

Captain Simor wollte ich nicht zum Feind haben! Aber kam es mir nur so vor, oder machten die Piraten es uns sehr leicht? Keiner von ihnen schien ernsthaft anzugreifen. Sie benutzten nicht einmal ihre magischen Waffen, auch wenn sie welche besaßen. Damit hätten sie viel mehr Schaden anrichten können.

Als sie schließlich zurück auf ihre Schiffe flüchteten, gab es einen Knall, der die Simalia erzittern ließ. Sie bebte und verlor schnell an Höhe.

»Sie müssen die Maschinen beschädigt haben«, rief Captain Simor. In dem Moment stürmte die vorige Gruppe Piraten wieder an Deck und verließ, ohne uns weiter zu beachten, das Schiff. Die Piratenschiffe begleiteten die sinkende Simalia, bis alle Männer wieder an Bord waren, und hoben dann ab.

Captain Simor eilte ans Steuerrad.

»Macht euch bereit, es wird etwas ungemütlich werden«, rief er uns zu.

»Heißt das, wir stürzen ab?«, rief Hala panisch.

Einer der Tremole stapfte an Deck. Ich hatte nie einen außerhalb des Maschinenraums gesehen. Es musste wirklich ernst sein.

»Los ihr vier, weg von der Reling«, drängte uns Madame Ravina und scheuchte uns zu einem Mast in der Mitte des Schiffes.

Eine weitere Explosion ereignete sich, und das Schiff ging in Schräglage. Mit einem einzigen Fingerschnipsen von Madame Ravina schlangen sich Seile um unsere Taillen und am jeweils anderen Ende um den Mast.

»Das wird wirklich brenzlig!«, rief Tem, als die Simalia vollends kippte und nun waagerecht stand. Wir rutschten über das Deck, doch die Seile hielten uns fest. Die Reling fing unseren Sturz zusätzlich ab. Captain Simor schien sich am Boden festgezaubert zu haben, denn er stand weiterhin auf der Brücke und versuchte zu lenken. Sturmkrähe war derweil auf den schrägen Mast geklettert und schrie: »Insel voraus!«

Captain Simor nickte ihm zu und steuerte die Simalia in die Richtung, in die Sturmkrähe zeigte.

 

»Bleibt zusammen!«, wies uns Madame Ravina an. »Und haltet euch gut aneinander fest!«

Wir hatten die Insel fast erreicht. Meine Hände umklammerten das Seil, an dem ich hing, und ich sah weg, als der Boden der Insel näher kam. Der Puls klopfte mir in den Ohren. Wenn das nur gut ging!

Hala hielt sich an mir fest. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Tem nach Ivy griff, um sie abzuschirmen. Dann prallten wir auf dem Boden auf und wurden heftig durcheinandergeschleudert. Mein Kopf schlug hart gegen das Holz, und mir wurde schwindelig. Ein weiteres Beben ging durch das Schiff. Hala wurde von mir weggerissen, und dann wurde mir schwarz vor Augen.

 

Das Erste, was ich wahrnahm, waren die Schmerzen. Es schien keine Stelle an meinem Körper zu geben, die nicht wehtat. Ohne die Augen zu öffnen, bewegte ich vorsichtig die Gliedmaßen. Es war anscheinend nichts gebrochen.

Grasgeruch drang in meine Nase, und ich rollte mich ächzend vom Bauch auf die Seite. Blinzelnd versuchte ich, meine Umgebung auszumachen. Grün, soweit das Auge reichte. Um mich herum wucherten wilde Gräser, Farne und Moose. Bäume ragten gen Himmel und spendeten Schatten. Es war still. Mühsam stemmte ich mich in eine aufrechte Position, um mich besser umschauen zu können.

Keine Spur von der Simalia oder den anderen. War ich vom Schiff gefallen? Ich konnte mich nicht erinnern. Um meine Taille hing das Seil, das Madame Ravina uns umgezaubert hatte. Ich zog daran. Das Ende war gerissen. Na prima, jetzt lag ich hier allein im Dschungel herum! Von den Ästen hingen Lianen herab, und Blumen blühten überall. Fehlte nur noch Tarzan. Diese Rolle könnte Sturmkrähe mühelos übernehmen.

Ich stand ächzend auf, und nach einigen Schritten war ich wieder sicher auf den Füßen. Ob die anderen weit fort waren?

Hoffentlich nicht! Ich spitzte die Ohren nach Geräuschen, während ich vorwärtsging und wahllos irgendeine Richtung einschlug.

Wie lange war ich bewusstlos gewesen? Ging es meinen Freunden gut? Hatten alle den Absturz überstanden? Ich musste die Simalia schnell finden. Wahrscheinlich brachte es nichts, nach Ivy, Hala und Tem zu rufen. Wenn sie mich suchten, würde ich sie hören.

Ich tat es trotzdem. Es war meine einzige Möglichkeit, auf mich aufmerksam zu machen.

Meine Stimme verhallte ungehört. Wunderbar, wie sollte ich meine Freunde auf diese Art ausfindig machen?

Wenn ich eine Gabe wie Hala besäße und mit Tieren kommunizieren könnte, könnte ich die Absturzstelle leichter lokalisieren. So blieb mir nichts anderes übrig, als orientierungslos umherzulaufen.

»Hala! Ivy! Tem! …« Ich rief und rief, bis meine Stimme kaum mehr als ein Krächzen war.

Es wurde dunkler. Der Tag neigte sich dem Ende zu. War ich überhaupt auf derselben Insel wie die anderen? Vielleicht hatten sie das Schiff ja auch mit einem der Rettungsboote verlassen und waren zur nächsten Insel geflogen. Oder mich hatte es auf eine andere Insel geschleudert.

Das Gefühl der Einsamkeit übermannte mich mit einem Schlag. Was, wenn ich sie nicht wiederfand? Bei jedem Schritt versuchte ich, meine Umgebung im Blick zu behalten, was natürlich unmöglich war.

»Autsch!« Ich war gestolpert und im Gras gelandet. Das zerrissene Seil hing noch um meine Taille. Ich knotete es los und ließ es auf dem Boden liegen. Dann sah ich nach, worüber ich gefallen war. Ein mittelgroßer Felsbrocken lag im Gras. Obwohl er unübersehbar war, hatte ich ihn kaum wahrgenommen, weil ich ständig nach links und rechts geschaut hatte. Nicht weit entfernt lag ein zweiter, größerer Brocken. Überhaupt waren hier viele davon verstreut. Aber – es waren keine gewöhnlichen Felsen. Etwas störte mich. Sie waren merkwürdig geformt und machten auf mich den Eindruck, als seien sie einmal Teile von Bauwerken gewesen.

Auf einem Stein konnte ich ein Säulenmuster erkennen, auf einem anderen waren unleserliche Zeichen eingraviert. War die Insel bewohnt gewesen? Wenn ja, musste das lange her sein, denn hier war so gut wie alles mit Moos und Kletterpflanzen überwuchert.