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Annie und David, Eves Eltern aus New York, bekommen auf ihrer Hochzeitsreise nach Norwegen von Ausserirdischen übermenschliche Fähigkeiten. Sie begeben sich mit einer ausgewählten Crew auf die Suche nach bewohnbaren Planeten. An Bord erblickt Eve das Licht der Welt, doch schon bald müssen ihre Eltern sich opfern, um eine drohende Katastrophe abzuwenden. Sie kommen in einem Zeitspalt um. Das kleine Mädchen entwickelt besondere Fähgigkeiten und begibt sich auf die intergalaktische Reise durch die kosmischen Tore. Eve managt das schwierige Zusammenleben vieler verschiedener Völker in ihrer riesigen Raumstation. Wer hat sie auf diese Reise geschickt? Gibt es Leben auf fernen Planeten in anderen Welten? Kriegerische Konflikte und seelische Abgründe müssen gemeistert werden. Die starke Sternenfrau Eve, geliebt und gefürchtet, bekommt die Schattenseite ihrer Führungsstärke zu spüren: Einsamkeit. Wird sie auch Liebe finden ? Packend und phantasiereich: "Sternenfrau EVE" ist ein spannender Science Fiction Roman mit unglaublichen Wendungen.
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Seitenzahl: 446
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Sternenfrau EVE
Edda-Virginia Hiecke
Inhalt
PrologAmors PfeilNew York Hot DogsBlitze der LiebeDie ImpfungDie VerwandlungDie HarfenstationAufbruch ins AllEves GeburtDer weiße DracheAsteroid des BösenDer MetamorphKaeraAsura und das TorAm Ziel?Im TriangulumnebelEve und EveDer schwarze DracheDas lebende SchiffGefundenMutter ErdeMission Frieden
Charaktereund Figuren
Die Autorin - Impressum
Prolog
Einsam zieht ein Schiff durch die Tiefen des Alls. Die Besatzung hat eine Mission: die Verbreitung von Leben und Evolution. Längst weiß niemand mehr, wer, wann und warum sie dazu bestimmt hat. Ihre eigene Evolution ist seit Äonen beendet, ihr genetisches Potenzial erschöpft. Sie sind mächtige Wesen und sie kommen von weit her. So weit, dass sie das Wissen verloren haben, welche der vielen, vielen Welten, die sie gesehen haben, einst ihre war. Vielleicht existiert ihre ursprüngliche Heimat gar nicht mehr.
Viele Galaxien haben sie durchquert, durch große Tore, die von einer noch älteren, wie man glaubt, schon lange nicht mehr bestehenden Kultur, in längst vergangenen Zeiten erbaut wurden. So zogen die 'Alten', wie man sie nannte, denn ihren richtigen Namen kannte niemand, ihre Bahnen und säten Leben in vielen verschiedenen Welten. Auf ihrer langen Reise durch die Galaxien prüften sie die Entwicklung der von ihnen gesäten Kulturen, um die Evolution mit Hilfe speziell ausgewählter Lebewesen weiter zu treiben. Die Alten waren so zeitlos wie ihr Auftrag und ihr Schiff sah aus, als könnte es eine Generalüberholung gebrauchen.
Der ursprüngliche Schiffsrumpf, pfeilförmigundschlank, hatte sein Aussehen im Laufe der vielen Jahre verändert. War ein Teil des Schiffes trotz aller Wartung und Instandhaltung unbrauchbar geworden, wurde es in einem der Raumhäfen in den Galaxien von dort ansässigen Technikern ersetzt. Schon im Anflug zeigten sie über holografische Displays die beschädigten Stellen und hinterlegten die passende Anzahl von Goldstreifen, die nötig waren, um die Arbeiten zu bezahlen. War alles erledigt, zogen sie weiter und verschwanden so spurlos, wie sie gekommen waren, immer ihrem Auftrag nach. Da niemand die Alten jemals gesehen hatte, rankten sich viele Legenden um sie. Sie waren Phantome, Schatten und wenn sie geahnt hätten, in wie vielen Geschichten sie als Schrecken1für all die kleinen Kinder in den verschiedenen Welten herhalten mussten, wären sie vielleicht amüsiert gewesen. Nun durchquerten sie wieder einmal die Milchstraße und flogen einen kleinen Planeten an, auf dem sie vor neun Millionen Jahren bewusstes Leben gepflanzt hatten.
Seliref war müde. Tagelang war er nun mit Andas um die Wette gelaufen. Sie sollte seine Gefährtin werden und nun musste er Ausdauer und Stärke beweisen. Doch egal wie schnell er lief, egal wie viele Hindernisse er bewältigte, Andas war immer vor ihm. Das frustrierte ihn allmählich. Aufgeben war keine Option, denn Andas war mit Abstand die hübscheste Merisin, die er je gesehen hatte. Er musste sie haben. Schon lange hatte er sie begehrt. Ihre violetten Augen in dem herzförmigem Katzengesicht blitzten vor Intelligenz und ihr Lachen ließ jedes Mal seine spitzen Ohren vor Erregung knicken. Ihr Fell glänzte in schillernden Farben, wenn das Lichtder grünen Sonne sie anstrahlte.
Da war sie, schon wieder weit vor ihm. Wie sie lief und ihm immer wieder herausfordernde Blicke zuwarf! Das spornte ihn an, nicht aufzugeben. Er riss sich zusammen und nahm den Paarungslauf wieder auf. Er kannte einen geheimen Pfad, den er nun benutzte und einige Zeit später bemerkte er Andas tatsächlich hinter sich. Er sah die Überraschung in ihren Augen und gab Gas. Bald, ja bald würde er sein Ziel erreichet haben und sie wäre sein. Innerlich jubelnd sah er sich schon in ihren Armen. Nur noch wenige Kilometer, dannwürde er dort sein und sie hinter ihm. Er sah den blauen See unten am Fuß des kleinen bewaldeten Berges, den sie hinab liefen. Dort war Andas Dorf. Schon konnte er ihre Familie am Dorfeingang sehen. Berf, Andas ältester Bruder, grinste über das ganze Gesicht, als er den Vorsprung von Seliref sah und Kandiras, die jüngste Schwester, jubelte ihm zu. Nun spürte er Andas heißen Atem im Nacken und erhöhte erneut sein Tempo. Er mobilisierte die letzten Kraftreserven und schaffte es mit einem Satz, vor Andas im Ziel zu sein. Gewonnen! Außer Atem ließ er sich ins weiche Gras fallen und strahlte Andas an. Sein Fell stand ihm vom Wind zerzaust zu Berge und seine Ohren zuckten vor Erschöpfung. Andas schaute schnaufend mit leichter Empörung auf ihn herab. Auch ihre Ohren zuckten und ihr Fell dampfte.
„Du hast gemogelt!“ zischte sie ihn vorwurfsvoll an. „Ich möchte zu gern wissen, wie du das gemacht hast!“„Ich habe nicht gemogelt!“, stieß er heftig atmend hervor. „Die Aufgabe war, am schnellsten von meinem Dorf zu deinem zu kommen. Niemand hat einen Weg dafür vorgeschrieben!“Anerkennung blitzte aus ihren Augen. Da wusste er, dass er gewonnen hatte. Er ging zum Seeufer, legte sich in den Schatten eines riesigen Mokrabaumes und schlief sofort ein. Andas ließ sich neben ihm nieder und schaute ihn lange zufrieden an. Ja, dachte sie, mit diesem Mann könnte ich gut leben. Er ist schlau und wird mir das Leben erleichtern. Dann schlief auch sie ein.
Über ihnen, unsichtbar weit entfernt, schwenken die Alten in eine Umlaufbahn ein und scannen die Welt unter sich. Die beiden friedlich schlafenden Wesen dort am Seeufer scheinen ihnen zur Modifizierung geeignet. Sie sehen gesund und kräftig aus. Die Alten beginnen, die beiden in einen Nebel zu hüllen und, unbemerkt von den anderen Bewohnern, ihre Genetik zu erweitern. Wenn die beiden erwachen, werden sie nie wieder wie vorher sein. Nachdem sie ihre Arbeit beendet haben, verlassen die Alten den Planeten und fliegen weiter. Kurs Erde.
Amors Pfeil
Es gibt viele Ausdrücke, Wörter oder einfache Buchstaben, die so viel mehr ausdrücken, als unser Verstand auf einmal erfassen kann. Familienbande, Liebe, Seelenverwandtschaft, Gesellschaft, Einsamkeit, Lebensgefühl, veränderbares Schicksal, unabwendbares Schicksal. So viele Wörter, die nichts bedeuten oder ein ganzes Universum enthalten. Begriffe, in denen sowohl ungeahnte Grausamkeiten stecken können, als auch größte Glückseligkeiten. Einsamkeit ist etwas, das sich ein Mensch manchmal nicht aussuchen kann. Sieüberkommt ihn schleichend, unbemerkt. Bevor man sich versieht, zieht das Leben an einem vorüber und man fragt sich: 'Was ist passiert?' Doch niemand kann diese Frage zur Genüge beantworten. Die Einsamkeit umgibt einen wie ein Schild. Ein Bollwerk gegen die Gesellschaft, an deren Rand man plötzlich unbemerkt zum Stillstand gekommen ist. Wenn man Sarah-Ann Wailey fragen würde, ob sie einsam sei, wäre ihre Antwort bestimmt, dass sie nur alleine sei. Eigentlich schon immer alleine. Sie kannte es nicht anders. Schon als Kind war sie alleine und auf sich selbst gestellt, irgendwie hatte es sich halt so ergeben. Trotzdem war Annie, wie sie meist genannt wurde, eine starke Frau, die man respektierte und die auch Spaß verstand. Meist sah man sie sogar lachend. Tiefe Lachfältchen zierten ein vertrauensvolles Gesicht, große blaue Augen betrachteten ein Gegenüber voller Aufmerksamkeit und ihre Stimme war sanft und voll. Sie war kompetent in ihrer Arbeit und die Kinder an ihrer Schule sahen zu ihr auf und vertrauten ihr. Wenn es jemanden gab, der einem half, Probleme zu lösen, dann Annie. Auf sie war Verlass. Sie war einfach - nett. Sie gehörte zu den Menschen, die sich für andere aufopfern, und sich selbst dabei vergessen. Wer sich selbst vergisst, wird auch von anderen leicht vergessen. Genau so ist das mit Annie. Wer sie gerade nicht sieht, denkt nicht an sie. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nicht, dass es nur ihr so ginge. Es gibt tausende von Menschen, die vergessen werden, sobald man sie nicht mehr sieht. Es ist nicht so, dass sie nicht wichtig wären in der Gesellschaft, in der sie leben. Im Gegenteil, sie bewegen viel um sich herum. Nur beeindrucken Menschen wie Annie die meisten nichtsosehr, dass sie sich einprägen würden. Sie sind eher wie ein Hauch im Gezeitengefüge des Universums. Nicht immer verträgt man den Ruhmesdonner eines Nelson Mandela oder eines Albert Einstein oder Stürme, die Ludwig van Beethoven oder Johann Sebastian Bach hervorriefen. Meist sind es kleine Dinge im Leben, die einen vorwärts bringen, sogar, wenn man sie nicht bewusst wahrnimmt. Annie wurde von niemand bewusst wahrgenommen. Für alle war sie einfach vorhanden. Am Ende ihres Lebens würde sie nicht in einem bedeutenden Buch stehen, vielleicht in einem Schuljahrbuch, aber das ist nicht wirklich beeindruckend. Jedenfalls nicht in den Büchern, in denen Menschen stehen, die mit großem Getöse auf sich aufmerksam machten. Zumindest noch nicht.
Wie immer stand Annie früh auf, um sich noch ein wenig auf den Unterricht vorzubereiten. Den langen Weg zur Schule ging sie wie immer zu Fuß. Nach der Weihnachtszeit hatte sich das eine oder andere Pölsterchen auf ihrer Hüfte gebildet. Sie wußte, mit zunehmendem Alter würde es schwieriger, diese unerwünschten Polster wieder dahin zu verbannen, wo sie hingehören: ins Unsichtbare. Nicht, dass sich Annie allzu viele Gedanken darum machen musste, aber sicher ist sicher. Beim Bäcker um die Ecke kaufte sie einigekleine Müslibrötchen. Als sie aus der Tür trat, rannte sie in ein Hindernis.„Sachte, sachte“, sprach das Hindernis sie mit sympathischer Stimme an.„Hier ist genug Platz für uns beide!“
Sie bemerkte den spöttelnden Ton sehr wohl, war jedoch ziemlich irritiert, als sie aufschaute, um den Spötter anzusehen. Was sie sah, verschlug ihr glatt die Sprache. Ein Mann, schlaksig, mit rotblondem Haar und seegrünen Augen schaute ihr fröhlich lächelnd ins Gesicht. Seine Mundwinkel gingen nach oben, als er sah,dass sie ganz offensichtlich nicht wusste, was sie sagen sollte. So eine Frechheit, dachte Annie, macht der sich etwa lustig über mich?
„Ja sicher, wenn Sie einen großen Bogen um mich herum machen, dürfte der Platz definitiv reichen!“, gab sie zurück und bemerkte, dass das breite Grinsen auf seinem Gesicht noch breiter wurde.„Ja, könnte ich machen, aber offen gesagt, bei einem großen Bogen um Sie herum wären wir uns nicht so nahe gekommen und gerade das beginnt mir jetzt Spaß zu machen. Darf ich Ihnen behilflich sein, Ihre Brötchen wieder einzusammeln?“Entsetzt bemerkte Annie ihr auf dem Boden liegendes Frühstück und spürte gleichzeitig ein Brennen auf ihren Wangen.
„Oh nein, mein Frühstück!“, stammelte sie und hoffte, dass sie nicht so rot geworden sei wie die Lichter der Ampeln an der Straßenecke.„Die sind sowieso nicht mehr zu retten! Ich kaufe Ihnen als Entschädigung neue Müslibrötchen ja? Kommt sofort!“Bevor sie auch nur etwas dazu sagen konnte, verschwand der Mann im Geschäft. Da dieses gerade leer war, hatte er im Handumdrehen neue Brötchen und stand so schnell vor ihr, dass eine Flucht nicht mehr möglich war.„Hier, bitte sehr!“, sagte er höflich und hielt ihr eine Tüte hin.„Das ist doch nicht nötig!“, war alles, was Annie einfiel. Der Mann lachte sie wieder an. Täuschte sie sich oder war auf einmal alles um sie herum so viel heller? Sie spürte ihr Herz flattern als sei sie ein junges Mädchen. Ihre Wangen brannten und sie hatte das unbezwingbare Bedürfnis, zurück zu lachen.„Danke!“, fügte sie mit spitzbübischem Lächeln hinzu, „Ich glaube, Sie haben recht!“Nun war es an ihm, sie erstaunt anzusehen. Konnte es sein, dass sie ihn auf den Arm nahm? Na so was aber auch.„Bei einem großen Bogen“, sprach sie weiter, „hätten Sie mich nicht getroffen, mein Frühstück wäre nicht zu Boden gegangen und Sie hätten keine Möglichkeit gehabt, den Kavalier zu geben!“Er schaute sie verblüfft an und bemerkte ein kleines Grübchen neben den kleinen roten Wangenflecken, die sich, je weiter er sie betrachtete, immerstärker in ihrem Gesicht ausbreiteten. Schon schaute sie verlegen auf den Boden, als wäre sie eben zu weit gegangen, doch ein herzliches Lachen ließ sie wieder aufschauen.„Touché!“, prustete er, „dann erlauben Sie mir doch, mein Kavaliersein zu erweitern, indem ich Sie ein wenig begleite!“Meinte er das im Ernst? fragte Annie sich stirnrunzelnd.„Oh nein, nicht runzeln bitte, das vertreibt diese netten Grübchen und ich möchte auf keinen Fall dafür verantwortlich gemacht werden!“Grübchen? Sagte er gerade Grübchen? Ich hab doch keine Grübchen, schoss es Annie durch den Kopf. Belustigt sah er, wie sich das Rot in ihrem Gesicht vertiefte.„Ich wette, es hat Ihnen noch nie jemand von diesen Grübchen erzählt, oder?“Grübchen? Braucht der eine Brille?„Ich habe das dumme Gefühl, Sie machen sich über mich lustig!“, blaffte Annie den immer noch lachenden Mann an.„Nein!“, war die kurze Antwort.Verblüfft starrte Annie den Mann an, als sei er nicht ganz richtig im Kopf. Sie konnte wirklich nicht erkennen, ob er sich über sie lustig machte oder nicht. Also entschied sie, es geflissentlich zu übersehen. In einer Stadt wie New York konnte man nie so genau wissen, was sich in den Köpfen der Leute abspielte.„Ich kann alleine gehen und brauche keine Begleitung!“Just in diesem Moment kamen ein paar grölende Jugendliche um die Ecke gebogen, die den Eindruck machten, als hätten sie die Nacht durchgemacht. Einer hielt eine braune Tüte in der Hand, in der sich, so sah es aus, eine Flasche Schnaps befand. Immer wieder blieb er stehen, um sich einen Schluck zu genehmigen. Dann reichte er die Tüte mit der Flasche den anderen, die ebenfalls daraus tranken.„Ich glaube, jetzt sollte ich Sie erst recht begleiten!“, flüsterte ihr der Unbekannte zu. „Die sehen so aus, als könnten sie Stunk machen!“Annie sah es genauso, ergriff schnell den angebotenen Arm des Fremden und ließ sich über die Straße geleiten. Da es sich um ein unverhofft wohliges Gefühl handelte, beschützt zu werden, erlaubte sie ihm doch tatsächlich, sie bis zur Schule zu begleiten.„Ich danke Ihnen vielmals für Ihre fürsorgliche Begleitung, aber ich bin nun am Ziel und Sie können mich wieder loslassen!“Der Fremde überlegte.„Also, offen gesagt, würde ich Sie sehr gerne wiedersehen. Könnten Sie sich mit dem Gedanken anfreunden?“Annie zögerte kurz, doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, entfuhr ihr:„Ich glaube, der Gedanke könnte mir gefallen!“Oh nein, hab' ich das eben gesagt? Ich kenne den Kerl doch gar nicht, schoss es ihr kurz durch den Kopf. Doch nun war es heraus und zu spät, es zurück zu nehmen.„Das ist wunderbar! Dann hole ich Sie von der Schule ab. Wann sind Sie fertig?“Heute? Meint er das wirklich? Was mache ich denn jetzt? Trotz der auf sie einstürzenden Bedenken antwortete sie:„Um 16:00 ist Schulschluss, dann muß ich noch eine kleine Konferenz mitmachen, also wäre ich um ca. 17:00 Uhr fertig.“„Ich werde hier sein!“, versprach er, drehte sich um und ging. So schnell, wie er in ihrem Leben aufgetaucht war, verschwand er auch wieder.Ist das gerade wirklich passiert? Habe ich mich gerade mit einem wildfremden Mann verabredet? Ach was Annie, wach auf!„Wer war denn das?“„Was, wer?“„Na der himmlisch gut aussehende Mann, mit dem du gerade hier angekommen bist!“Oh, doch nicht geträumt! Er war wirklich hier. Annie registrierte nun ihre Kollegin Margaret, die sie immer noch fragend anschaute.„Ich habe keine Ahnung, wer er ist, aber ich glaube, ich habe mich gerade mit ihm verabredet!“ gab sie zurück.„Du hast was!?“, rief Margaret aus.„Na, mich mit ihm verabredet, nun tu doch bitte nicht so, als wäre das ein neuntes Weltwunder!“ gab Annie spröde zurück. „Ich kann mich doch mal mit einem Mann verabreden, oder?“„Ja klar, wie heißt er denn? Was macht er so? Wo hast du ihn kennengelernt? Wohin geht ihr? Erzähl und lass ja kein Detail aus!“ bestürmte Margaret sie.„Ich weiß nicht. Vorm Bäcker. Ich habe ihn da über den Haufen gerannt. Keine Ahnung. Ich lasse mich überraschen“, versuchte Annie die Fragen ihrer Kollegin einzudämmen. Dann ließ sie die erstaunte Margaret einfach stehen und ging die Treppen zum Schulgebäude hinauf.
Den ganzen Tag ging ihr diese seltsame Begegnung nicht aus dem Kopf. Sie ging Margaret und ihren Fragen aus dem Weg. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren und sie war froh, als endlich Schulschluss war. Sie konnte es nicht erwarten, zu sehen, ob der Mann tatsächlich vor der Schule stand oder nicht. Nicht, dass sie daran glaubte, aber schön wäre es schon gewesen. Nun stand sie vor dem Schultor und niemand war zu sehen. War ja klar. Als ob sich für sie noch irgend jemand interessieren könnte. Enttäuscht machte sie sich auf den Weg nach Hause. Dann fing es zu allem Überfluss an zu regnen, als ob nicht schon genug Grund zum Trübsal blasen gewesen wäre. Natürlich hatte siekeinen Regenschirm dabei. Schon nach wenigen Schritten war sie bis auf die Haut durchnässt. Die Kleidung klebte auf der Haut und immer wieder musste sie Autos ausweichen, die durch Pfützen am Straßenrand rauschten. An der Ampel bei der Bäckerei erwischte eines sie dann prompt mit einem großen Schwall Wasser. Eigentlich konnte es jetzt nicht mehr schlimmer werden. Zu Hause angekommen bemerkte sie, dass der Kühlschrank leider mal wieder recht leer war. So musste sie noch einmal aus dem Haus, um einzukaufen. Was für ein Tag. Trübselig kochte sie sich eine kleine Mahlzeit und bereitete den Test vor, den sie am nächsten Tag ihren Schülern vorlegen wollte.
New York Hot Dogs
Um acht Uhr abends herum klingelte es plötzlich an ihrer Tür. So spät hatte sie eigentlich nie Besuch und sie erwartete auch niemanden. Vorsichtig schaute sie durch den Türspion. Da stand er mit einem großen Blumenstrauß in der Hand. Genau vor ihrer Tür. Jetzt!„Bitte schicken Sie mich nicht wieder fort!“, hörte sie ihn durch die Tür.„Sie sind spät!“, entgegnete sie wütend.„Ich weiß und es tut mir auch furchtbar leid.“„Woher wissen Sie, wo ich wohne?“, fragte sie argwöhnisch, „ich kenne sie ja noch nicht einmal!“, blaffte sie hinterher.„Ich habe den Bäcker gefragt“, antwortete er fröhlich, „Sie sind hier aber wirklich gut bekannt!“Also echt mal, woher weiß denn dieser Bäcker, wo ich wohne? Warum gibt der einfach so meine Adresse heraus? Mit dem werde ich mal ein Wörtchen reden!„Seien Sie dem Bäcker bitte nicht böse. Ich habe ihn förmlich angefleht, weil ich Sie unbedingt wiedersehen musste!"Ach du Schreck, sehe ich für den Bäcker aus, als würde ich jeden flehentlich dreinblickenden Mann in meine Wohnung lassen? Kann der Kerl etwa meine Gedanken lesen? Es machte keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken, Annie musste sich nun entscheiden, ob sie dem Mann die Tür öffnen oder ihn lieber wegschicken sollte.„Bitte nicht wegschicken. Geben sie mir die Chance, zu erklären, warum ich am Nachmittag nicht kommen konnte!“, war nun flehentlich bittend durch die Tür zu hören.„Ja, lass den Kerl endlich rein, wir wollen unsere Ruhe haben!“, klang es nun aus der Nachbarwohnung.Annie öffnete noch etwas widerwillig die Tür und bat den Fremden herein. In diesem Moment schoss es ihr durch den Kopf, dass es überhaupt nicht richtig war, einen völlig fremden Mann in ihre Wohnung zu lassen. Zu spät, er wardrinnen und sah sie mit einem um Entschuldigung bittenden Blick an. Sie bemerkte, dass seine Lippen leicht zuckten. Ehe Annie sich versah, musste sie lächeln und sah, wie das Gesicht ihres Gegenübers ihr Lächeln spiegelte.„Ich finde schon“, meinte sie völlig entwaffnet von diesem Lächeln, „dass es an der Zeit wäre, mir Ihren Namen zu nennen!“Er hielt ihr die Blumen hin. „Ja Sie haben Recht, verzeihen Sie. Mein Name ist David Bentin und ich bitte Sie um Entschuldigung für die nicht eingehaltene Verabredung. Als ich Sie heute morgen sah, hatte ich einen wichtigen Termin am Nachmittag völlig vergessen. Es tut mir leid!“Dabei machte er ein so zerknirschtes Gesicht, dass es Annie schwerfiel, ihm noch weiter böse zu sein. Immerhin hatte er sich viel Mühe gegeben, sie ausfindig zu machen und wenn er kein Wüstling war, der gleich über sie herfiel, musste sie ihm das hoch anrechnen. So bat sie ihn in ihr kleines Reich und entschuldigte sich für die Unordnung.„Nein,“ sagte er und schaute sich gründlich um, „keine Unordnung, gemütlich ist es hier.“Er betrachtete aufmerksam ihre Büchersammlung. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie in ihrem Beruf genug Zeit haben, so viel zu lesen. Sie haben ja eine riesige Sammlung, schön!“„Viel Zeit habe ich tatsächlich nicht, ich versuche aber immer wieder, mir Zeit zu nehmen, um meinen Lesehunger zu stillen.“„Ja, das ist wichtig, in dieser schnelllebigen Zeit ist jede Sekunde, die man für sich hat, ein Geschenk.“Sie hatte nun, während er sich weiter umschaute und sie seine gelegentlichen Fragen nach der einen oder anderen Sache beantwortete, genug Zeit, sich diesen Mann genauer anzuschauen. Er musste wohl so Anfang vierzig sein, wie sie. Er war ein klein wenig größer als sie selbst und hatte eine gute Figur. Sie bemerkte, dass seine Schlaksigkeit eher eine lockere Haltung war, die ihr sehr gut gefiel. Das rotblonde, leicht gelockte Haar fiel ihm in die hohe Stirn. Die Nase hatte diese Krümmung, als sei sie schon einmal gebrochen gewesen und sein Mund passte wohlgeformt zu einem energischen Kinn. Er war ein Mann, der wusste, was er wollte. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass er hier bei ihr war und hatte doch schon das Gefühl, dass er genau der richtige war. So schnell? Wunschdenken?„Ich habe noch eine Flasche Rotwein, möchten Sie etwas trinken?“ fragte sie, als sie in der Küche angekommen waren.„Ja, sehr gerne!“, antwortete er und schaute ihr dabei tief in die Augen. Nun umspielte ein sanftes Lächeln seine Lippen und Annie fragte sich plötzlich, wie es wäre, diese zu küssen. Verlegen drehte sie sich zum Küchenschrank um und holte die angesagte Flasche Wein heraus.„Darf ich sie öffnen?“Sie reichte ihm einen Korkenzieher und stellte gewandt zwei Gläser auf den Tisch, versorgte die Blumen in der hübschen Vase mit frischem Wasser und setzte sich. Als wäre es das normalste der Welt, nahm er Platz und schenkte ein. Nach ihrem ersten gemeinsamen Schluck Wein erkundigte Annie sich neugierig nach seiner beruflichen Tätigkeit.„Ich habe einen Cateringservice und versorge hauptsächlich im Showgeschäft Menschen bei Filmsets und im Theater. Das war auch der Grund für mein Nichterscheinen. Ich hatte einen Termin mit einem Regisseur und seinem Stab, der hier in NYC einen Film dreht, einen wichtigen sogar. Es geht um einen umfangreichen Auftrag.“„Oh, das hört sich nach Stress pur an!“„Ja, das ist es. Aber es macht auch viel Spaß und ich komme viel herum. Da viele Filme auch im Ausland gedreht werden, kann ich viel reisen und sehe etwas von der Welt.“Annie stellte sich David gerade in einer Kochschürze vor und musste schmunzeln.„Was finden Sie denn daran so lustig?“, fragte er prompt.„Ach, nichts.“, gab sie unschuldig blickend zurück.„Doch doch, ich habs genau gesehen, da unten rechts hat es eindeutig in ihrem Mundwinkel gezuckt!“Oh nein, ich merke es ganz genau, dachte Annie, jetzt erröte ich doch tatsächlich wieder, wie peinlich.„Ja, ich bin definitiv der Meinung, dass Ihnen diese Farbe besonders gut steht. Dieses leichte Rot sollten Sie öfters haben!“ grinste er sie frech an.Mit einem brennenden Gefühl auf den Wangen funkelte sie ihn wütend an.„Wissen Sie, dass Ihre Augen jetzt aussehen wie das tiefblaue Meer? Das ist mir heute morgen schon aufgefallen. Wenn Sie lachen, strahlen sie in alle Richtungen!“Annie schaute ungläubig in sein Gesicht und konnte diesem entwaffnenden Lächeln nicht widerstehen. Sie lachte.„Ich ergebe mich! Ich habe Sie mir gerade in einer Kochschürze vorgestellt, wie Sie die Kochlöffel schwingen!“Jetzt musste auch er lachen und mit scherzhaft empörtem Gesicht rief er: „Meine Kochschürze ist mir heilig! Ich habe sie von meiner Großmutter geschenkt bekommen! Sie ist taubengrau und hat einen riesigen Kochtopf vorne drauf. Nicht zu vergessen die feine Spitze am Rand!“„Also, die muss ich sehen!“ Annie konnte nicht mehr vor lachen.„Das werden Sie bestimmt. Ich werde Sie beim nächsten Treffen in meiner Schürze bekochen. Worauf Sie sich verlassen können!“Hatte er gerade beim nächsten Treffen gesagt? Annie spürte ihr Herz hüpfen. Ein nächstes Treffen. Ja das wollte sie. Sie kam sich jetzt schon wie einBackfisch vor, der sich nach dem nächsten Rendezvous sehnt und hatte das Gefühl, sie könne die ganze Welt umarmen.„Gut, ich lasse mich gerne bekochen und diese Schürze darf ich mir auf keinen Fall entgehen lassen!“ Sie strahlte, als sie sah, wie er sich darüber freute.„Ich muss nun leider gehen, seien Sie bitte so freundlich und geben mir Ihre Telefonnummer, damit meine Schürze und ich Sie erreichen können!“Sie tat es und bekam an der Tür einen leichten Kuss auf ihre Wange.„Gute Nacht Annie, ich seh' Sie bald wieder. Versprochen!“ Weg war er.David lief die Treppe hinunter und freute sich, diese Frau getroffen zu haben. Irgendetwas sagte ihm, dass sie DIE EINE war. Nicht, dass sie die erste gewesen wäre. Bei seinem Geld und seinem Aussehen konnte er die schönsten Frauen haben und er hatte viele, doch immer hatte er nach einer Weile das Gefühl, dass etwas fehlte. Jetzt wußte er, was es war. Annie war eine Frau, die ihn so sah, wie er wirklich war, ihr musste er nichts beweisen. Er konnte nicht sagen, warum er das wußte, aber es war so. Sein Beruf brachte es mit sich, dass er oft Wochen, sogar Monate nicht zu Hause war. Doch das störte ihn nicht, denn die Arbeit erfüllte ihn und machte ihm Spaß. Er sah mehr von der Welt als seine eigenen vier Wände und konnte gleichzeitig ein finanziell sehr komfortables Leben führen. Als Kind hatte er morgens vor der Schule seinem Vater geholfen, den Hotdog-Stand des Familienbetriebes an eine gut besuchte Stelle zu fahren. Sein Vater hatte sich kaputt geackert, nur um am Ende jedes Monats festzustellen, dass es mal wieder knapp für die Miete und die Standgebühren reichte und der Rest für einen mageren Lebensunterhalt der Familie. Tag für Tag stand Vater an seiner Ecke und verkaufte Hotdogs, ob es regnete, schneite, oder die Sonne so stark schien, dass er schon am Vormittag durchgeschwitzt und schweißverklebt seine Kunden bediente, die meist wie aus dem Ei gepellt vor ihm standen. David musste die abgetragenen Hosen und Hemden seines zwei Jahre älteren Bruders tragen, denn neue Kleidung gab es nur selten. Bei aller Arbeit fand sein Vater abends immer Zeit, mit seinen Söhnen zu lernen und sie in der Schule voranzutreiben.„Ihr lernt, damit aus euch einmal etwas besseres wird als ein alter Mann wie ich, der nur Würstchen in ein Brötchen stopfen kann!“, mahnte er sie oft.Doch David war stolz auf seinen Vater und auch sein älterer Bruder Jonas versäumte keine Gelegenheit, zu erzählen, dass sein Vater die besten Hotdogs der Stadt machte. Jonas war klug, er bekam ein Stipendium und konnte studieren. Schließlich wurde er Rechtsanwalt. Dann war da noch Karen, das Nesthäkchen. Wann immer sie Zeit hatte, lief sie zum Stand und half, Hotdogs zu verkaufen. „Hooootdooogs, leckere Hooootdoooogs!“ rief sie laut und lachte.„Die besten Hotdogs der Stadt. Senf, Käse, Zwiebeln, Gurken, Ketchup, wie ernirgends besser schmeckt, kommen Sie, die müssen Sie essen!“Die Leute kamen und standen Schlange, vielleicht auch ein bisschen, um dem hübschen Mädchen eine Freude zu machen. Manchmal tanzte sie auch und summte ein Liedchen vor sich hin. Dieses fröhliche Kind war unwiderstehlich. Wenn sie einmal nicht da war, fragten die Leute nach ihr und ihr Vater musste beteuern, dass sie bald wiederkäme. Karen erlernte später die Kunst des Marketing und heute hat sie zwanzig eigene Hotdogstände in der ganzen Stadt und ein kleines Lokal, wo es immer noch die Hotdogs nach dem Geheimrezept ihres Vaters gibt.
Und David? David liebte es schon als Kind, hinter der Mutter zu stehen und ihr beim Kochen zuzuschauen. Dabei löcherte er sie mit Fragen. Wie lange braucht der Braten? Welche Soße gibt man an Rucola? Wie verdickt man die Suppe? Fragen über Fragen. Seine Mutter war eine begnadete Köchin. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass David Koch lernte und schon früh erfolgreich war. Die kleine Küche, in der er lernte, bekam hin und wieder Cateringaufträge, die der Küchenchef an David abgab. Bald schon waren seine Kanapees gefragt und weil es ihm Spaß machte, leckere Kleinigkeiten für den kurzweiligen Genuss zuzubereiten, dauerte es nicht allzu lange, bis er sich mit einem eigenem Cateringservice selbständig machen konnte. So schafften es die drei Kinder, ihren Eltern einen schönen Lebensabend zu ermöglichen. Sie kauften ihnen eine schöne Wohnung in der Nähe des Central Park und besuchten sie, so oft es ihre Arbeit ermöglichte.Karen und Jonas waren beide verheiratet und neckten David wegen seiner oft viel jüngeren Freundinnen. Wenn er so darüber nachdachte, musste er ihnen recht geben.„Irgendwie finde ich nicht die richtige für mich“, gab er dann meist zurück, „wer will schon jemanden haben, der ständig unterwegs ist?“„Ich glaube, du suchst nicht einmal richtig“, sagte Jonas einmal zu ihm, „es sieht aus, als ob du vor etwas davonläufst, nur weiß ich nicht, was das sein sollte?“David wusste es auch nicht. Dann traf er Annie, rannte förmlich in sie hinein und fühlte sich wie von einem großen Laternenpfahl geschlagen. Der berühmte Wink mit dem Zaunpfahl war eine Frau? Das musste er ergründen. Spontan beschloss er, sie wiederzusehen. Er ärgerte sich, weil er ihre Verabredung vergessen hatte, wollte er doch so schnell wie möglich wissen, was es mit dieser Frau auf sich hatte. Als er dann am Abend bei ihr war, konnte er nur über sie staunen. Sie war so unbeholfen und stark zugleich. Nach Verlassen der Wohnung hatte er noch den Geruch ihres Parfüms in der Nase und er spürte den Hauch ihrer Haare, die seine Wangen streiften, als er sie küsste.
Am nächsten Tag bestieg er den Flieger nach San Francisco. Eine kleineIndependent Production drehte eine Dokumentation über die San Francisco Giants, ihre Geschichte und ihre Spieler und er sollte sie im Stadion verköstigen, da die Interviews längere Zeit in Anspruch nehmen würden. Er machte seine Arbeit sorgfältig, aber er hatte das Gefühl, dass die Zeit viel zu langsam verging. Seine Gedanken waren ständig bei Annie und ein Ende der Arbeit nicht in Sicht.„Sag mal George, ist hier irgend ein Ende in Sicht?“ maulte David, als schon wieder die Klappe für die Aufnahme einer Filmszene fiel. Immer wieder musste er mit ansehen, wie ein und dieselbe Szene wiederholt wurde. Sicher war er kein Experte in Regie, aber ihm kam es so vor, als würde heute jede Szene genauso aussehen wie die vorherige. Doch der Regisseur fand ständig etwas neues, das ihm nicht gefiel. Das Licht, der Winkel, die Schatten, irgendeine blöde Falte an einer Hose und so standen sie in der brütenden Hitze und sahen ihr Essen langsam aber sicher zu unansehnlichen Klumpen zerschmelzen, die jeden Appetit im Keime erstickten. George zuckte mit den Schultern und verkniff sich lieber jeden Kommentar. Er hatte schon längst bemerkt, dass David noch ganz andere Sachen störten, als hier herumzustehen und ganz sicherlich hatten diese wenig mit ihrer Arbeit zu tun. David war schon oft genug auf Filmsets gewesen um genau zu wissen, dass es manchmal seltsame Gründe gab, warum ein Dreh noch einmal wiederholt werden musste. Da es dem Geschäft aber nicht schadete, im Gegenteil, je mehr Zeit sie am Set verbrachten, desto länger wurden sie ja bezahlt, hatte David bisher noch nie gemault. Schon als sie in San Francisco ankamen, bemerkte George, dass David sich anders verhielt als sonst und es wurde immer schlimmer je länger die ganze Sache dauerte. Er machte einen unkonzentrierten Eindruck und wurde sowohl mit sich selbst als auch mit anderen immer ungeduldiger. George arbeitete nun schon sehr lange mit David zusammen und in all den Jahren hatte George seinen Chef noch nie so erlebt. Da sie auch noch Freunde waren, nahm sich George vor, nach dem heutigen Arbeitsende David bei einem gemeinsamen Drink zu befragen.
David dachte an Annie. Ich will sie so schnell wie möglich wiedersehen. Ich will in ihre Augen schauen und herausfinden, was mich so an ihr fasziniert. Annie! Er konnte nicht verhindern, dass ein kleiner Seufzer seinem Mund entfloh. Ah, dachte George, das klingt eindeutig nach verliebt sein und grinste still vor sich hin. Das ist des Rätsels Lösung. Dieses Seufzen klingt nach: den hat's erwischt! Wer die schöne Unbekannte wohl ist? Für George war klar, dass es eine schöne Frau sein musste. Etwas anderes konnte er sich für seinen Freund nicht vorstellen.
Verflucht, ich will hier weg! Können die nicht endlich Schluss machen? Die werden es doch wohl heute noch schaffen, diese letzte blöde Einstellunghinzubekommen! David grollte mittlerweile innerlich. Er bemerkte weder das Grinsen seines Freundes noch die Hitze im Stadion. Bestimmt denkt sie, ich habe sie vergessen. Ich Idiot habe sie nicht mal angerufen. Sie hat so einen Trottel wie mich gar nicht verdient. Ich darf mich nicht wundern, wenn sie mich nie wiedersehen will. All diese Gedanken liefen zur gleichen Zeit in seinem Kopf herum. Diese neue Erfahrung verwirrte ihn ziemlich.
Endlich fiel auch die letzte Klappe und die Dreharbeiten waren beendet. Sechs Wochen hatten sie nun gedauert. Soviel zu einem schnellem Dreh. Vereinbart waren vier Wochen, doch Regen und der Ausfall zweier Spieler, die sich unbedingt die Köpfe wegen einer Frau einschlagen mussten, verlängerten die Drehzeit. David trieb seine Mitarbeiter an, alles zusammen zu packen. Er wollte so schnell wie möglich weg von hier. Normalerweise hätte er mit George nach Beendigung eines solchen Auftrages noch einen Drink genommen, aber er wusste, wenn er das täte, würde George ihm im Moment noch unangenehme Fragen stellen und er wollte seine Gedanken und Gefühle noch nicht anderen zeigen. Er hatte nur einen Gedanken: ab nach Hause!„George, bitte kümmere dich um den Rest hier, ich weiß, du kannst das auch ohne mich erledigen. Ich kann einfach nicht mehr“, gab er resignierend zu.„Kein Problem Boss, ich mach' das schon.“David hörte nicht mehr zu. Er war schon auf dem Weg zum nächsten Taxi, um in sein Hotel zu fahren. Eine Stunde später saß er im Flieger nach New York. Mitten in der Nacht landete der Flieger auf dem Kennedy Airport und zwanzig Minuten später warf er die Reisetasche auf sein Bett. Er griff zum Telefon und wählte Annies Nummer. Als er ihre Stimme am anderen Ende hörte und die ungehörig späte Zeit bemerkte, verließ ihn der Mut. Schnell legte er auf, ohne ein Wort zu sagen. Müde legte er sich neben seine Reisetasche und schlief unruhig ein.
Für Annie vergingen die Tage nach dem ersten Treffen in ihrer Wohnung wie im Flug, doch je länger sein Anruf auf sich warten ließ, desto sicherer erschien es ihr, dass das ganze nur ein schöner Traum war. Sechs Wochen hatte sie nun nichts mehr von David gehört, sechs unglaublich lange Wochen. Sie glaubte nicht mehr daran, dass er je wieder von sich hören lassen würde und versuchte, ihren Alltagsrhythmus wieder zu finden, doch David hatte einen großen Eindruck hinterlassen. In ihren Träumen nahm er einen nicht unerheblichen Platz ein. Nicht selten schämte sie sich am nächsten Morgen für ihre erotischen Vorstellungen, in denen immer wieder David die Hauptrolle spielte. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr verblassten diese Träume und es fiel Annie immer schwerer, das Bild dieses Mannes aufrecht zu erhalten. Mitten in der Nacht klingelt plötzlich das Telefon. Schlaftrunken hebt Annie den Hörer ab.„Ja, wer da?“, doch am anderen Ende der Leitung bleibt es still. Ehe sie sich versieht, legt der unbekannte Anrufer wieder auf. Fragend betrachtet sie den Hörer. War das David ? Schlaftrunken verblasst der Gedanke schnell und sie schläft wieder ein. Schemenhaft durchstreift er ihre Träume.
Berdik vom Volk der Sondriken ist alt. Er durchstreift den Raum auf der Suche nach alten Dingen, die er in der einen oder anderen großen Station verkaufen kann. Seine langen, viergliedrigen Finger streichen über das Armaturenbrett seines kleinen Raumgleiters, als er in einiger Entfernung ein noch unbekanntes Objekt ortet. Mit einem Teleportstrahl saugt er das Objekt in seinen Laderaum. Mühsam steht er auf, um sich anzusehen, was er eben aufgefischt hat. Seine knochigen Beine sehen im Gegensatz zu seinem massigen Körper aus, als würden sie gleich zerbrechen. Doch die einzelnen Muskelstränge die zwischen den acht Beinen wie Netze wirken, verstärken die Tragfähigkeit. Der Körper ähnelt einem stumpfen, morastigen Wurzelstück. Aus allen Seiten stechen knorrige Äste wie Schläuche in verschiedenen Längen hervor, von denen die meisten schon lange keinen Nutzen mehr haben. Aus den anderen quillt stellenweise eine zähe Flüssigkeit, die dazu dient, den Körper feucht zu halten. Zwei kleinere Arme und zwei etwas größere Arme mit viergliedrigen am Ende leicht verdickten Fingern, sind die einzige Möglichkeit, zu erkennen, wo in etwa der Kopf mit den großen runden Augen sitzt, der übergangslos am Körper anliegt. Die leicht grün-grau verwaschene Farbe der Haut ist typisch für einen Sondriken der Mittelschicht. Sondriken der unteren Schicht haben nur eine Farbe, schlichtes Grau. Sondriken der gehobenen Schicht sind an verschiedenen Blautönen zu erkennen. Nicht, dass dies heute noch besonders wichtig wäre, denn Sondriken gibt es nur noch wenige in der Galaxie. Berdik gehört zu einer aussterbenden Art.Langsam geht er in den Laderaum, um seine Beute genauer zu betrachten. Ein alter, recht großer Informationswürfel der Perloser steht vor ihm. Da die Perloser schon seit langer Zeit ausgestorben sind und er die Technologie des Würfels für zu alt hält, um damit noch Gewinn zu machen, schiebt er den Würfel zur Ladeluke, um ihn gleich wieder ins All zu befördern. Doch plötzlich beginnt der Würfel leise zu summen. Neugierig drückt Berdik eine kleine Taste, die er in einer Vertiefung im unteren Drittel der ihm zugewandten Seite entdeckt hat. Wie aus dem Nichts erscheint der Kopf eines schwarzen Drachen in einem sehr realistisch anmutendem holografischen Bild neben einer Anzahl von Koordinaten. Als Berdik das System erkennt, wechselt seine Hautfarbe vor Aufregung an einigen Stellen zu einem dunklen Grün.Noch ein Blick zur Sicherheit, ja, das System ist ohne Zweifel das Kalorkasystem. Dieses ist das ursprüngliche Herkunftssystem der Perloser, die sich nach einer mysteriösen Katastrophe in alle Richtungen zerstreut hatten, um dann endgültig zu verschwinden. Nie hatte ein Perloser erzählt, was dennnun die eigentliche Katastrophe gewesen war und noch nach Tausenden von Jahren rätselte man in der Galaxie, was die Katastrophe verursacht haben könnte. Berdik hatte nun die Lösung dieser Fragen vor sich und er fürchtete die nächsten Fragen, die unvermeidlich auftauchen würden. Er musste seinen Fund unbedingt weitergeben. Gespannt blickte er auf das Hologramm und entdeckte an einer Stelle, dass sich das dargestellte System scheinbar wiederholte. Er konnte damit allerdings nichts anfangen und beschloss, so schnell wie möglich die große Harfenstation anzufliegen. Dort gab es vielleicht jemanden, der wusste, welches Geheimnis sich in dem rätselhaften Hologramm verbarg. Die Zeit drängte.
Blitze der Liebe
Annie sah die Aufregung vor der Schule und wunderte sich, was dort los sei. Widerwillig drängte sie sich in die vorderste Reihe. Ein langer Konvoi weißer Limousinen und nachfolgender Cateringfahrzeuge stand direkt vor den Toren ihrer Schule. Muskelbepackte Männer in schwarzen Anzügen überwachten das Geschehen auf den Bürgersteigen und hielten mit ihren überheblichen Blicken die Menge zurück, die näher an die schönen, teuren Wagen heran wollte. Annie sah einen rotblonden Schopf inmitten des Treibens und obwohl ihr Herz anfing, heftig zu pochen, überkam sie doch gleichzeitig eine unbändige Wut. Wie konnte er es wagen!? Was sollen denn ihre Schüler von ihr denken!? Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken als David aufreizend langsam die Treppe zum Schuleingang hinaufging und mit frech grinsendem Gesicht auf sie zukam. Mit gerötetem Gesicht versuchte sie, an ihm vorbei zu schauen, musste aber feststellen, dass dies alles nur noch schlimmer machte. Sie fühlte die Blicke der Schüler und der dazu gekommenen Lehrer, die das Schauspiel neugierig beobachteten und kam sich vor wie ein Kaninchen in der Falle. Nun sah sie, dass David einen kleinen Blumenstrauß vor sich hielt und offensichtlich tief Luft holte, als er vor ihr zum stehen kam.„Ich habe Sie nicht vergessen, das war mir gar nicht möglich! Jeden Tag sah ich Ihr Bild vor meinen Augen, sah die Grübchen und die blauen Augen, die mich gerade anschauen, als ob sie mich fressen wollen. Bitte tun Sie es nicht! Lassen Sie mich ausreden, denn das, was ich Ihnen sagen möchte, fällt mir schwer genug!“Abwartend sah sie ihn an.„Ich habe Sie vor ein paar Wochen kennengelernt und mich, mag es auch unglaubwürdig klingen, in Sie verliebt. Ich bin hier, um es Ihnen zu sagen.Leider bin ich zur Zeit sehr beschäftigt und muss auch gleich zum nächsten Termin, so gerne ich auch hier und jetzt Zeit mit Ihnen verbringen würde. Ich bitte Sie, mir eine Chance zu geben und Sie bald wieder besuchen zu dürfen. Ich will sie wiedersehen. Darf ich!?“Während der ganzen Ansprache blickte David ihr intensiv in die Augen und sie fühlte eine Art von Vertrautheit mit diesem Mann in sich aufsteigen, die es ihr leicht machte, seine Bitte zu erfüllen. Sie nahm den kleinen Strauß zarter, roter Rosen, den er ihr hinhielt und bemerkte ein kleines Kästchen, sorgfältig in den Rosenstängeln versteckt.„Öffnen Sie es später!“, flüsterte er, als er ihren fragenden Blick sah. Verlegen betrachtete sie ihre Füße und nickte stumm, unfähig, auch nur irgendetwas zu sagen. Dann hob sie den Kopf, schaute David fest in die Augen und antwortete mit einem festen: „Ja!“David schien erleichtert und lächelte. „Ich freue mich und werde bald wieder hier sein.“, versprach er, drehte sich um, lief die Treppe hinunter und stieg in die letzte der Limousinen ein. Der Konvoi setzte sich in Bewegung.Annie konnte nicht recht glauben, was gerade geschehen war. Ihre Freundin Margaret war mittlerweile neben ihr und jauchzte:„Wow, was für ein Mann. Wo hast du denn den so lange versteckt?“Annie war wie betäubt. Wie in Trance lenkte ihr Unterbewusstsein sie sicher die Treppe zum Schulgebäude hoch und durch die Eingangstür. Ihr Kopf rauschte, verstärkt durch das Gejohle und Gegröle der Schüler. Er ist in mich verliebt. Er ist in mich verliebt. Er ist in mich verliebt, in mich verliebt. In MICH verliebt. Die Worte wie ein Mantra vor sich hinmurmelnd setzte sie sich im erstbesten Klassenraum auf einen Stuhl und starrte den Strauß an. Nein, das war gerade nicht passiert. Langsam kam Annie wieder zu sich. Vorsichtig löste sie das kleine Kästchen aus den Stängeln und öffnete es vorsichtig. Zwei entzückend filigrane Ohranstecker als fächerförmige Orchideenblüten (Bulbophyllum annandalei), in Gold gefasst mit eingelegten hell-violetten Amethysten lagen auf schwarzem Samt.„Oh mein Gott, sind die schön!“, rief Margaret, die Annie unbemerkt gefolgt war.„Ja. Aber ich kann sie doch nicht annehmen.“„Bist du verrückt? Da kommt ein absoluter Traum von einem Mann daher, erzählt dir vor ihm unbekannten Menschen, dass er in dich verliebt sei, schenkt dir diese ungewöhnlichen Ohrstecker und du willst sie nicht annehmen!? Du musst krank sein, wenn du glaubst, dass ich das auch noch zulasse!“Annie musste wider Willen schmunzeln, als Margaret sich so aufregte.„Nun gut, ich behalte sie.“„Na und ob du sie behältst und wenn ich sie dir persönlich ans Ohr tackern muss!“Annie bemerkte Margarets empörte Miene und musste lachen.„Lach mich nur aus! Das wird dich nicht davon erlösen, mir jetzt gefälligst von diesem Mann zu erzählen!“„Aber ich weiß doch kaum etwas über ihn!“, prustete Annie, „Ich habe ihn nur zwei mal getroffen!“Annie erzählte Margaret alles, was bei ihren Treffen mit David passiert war und als sie endete, bemerkte sie verwundert, dass Margaret kicherte.„Was ist denn so komisch?“„Deine Regengeschichte!“, schmunzelte Margaret. Jetzt mussten sie beide herzhaft lachen. Als sie wieder Luft bekamen, beschlossen sie, die Schule zu verlassen und in das Café um die Ecke zu gehen. Dort redeten sie ausgiebig über die guten Neuigkeiten.
Inzwischen war David mit der Autokolonne unterwegs nach New Jersey zu einem neuen Drehort. Die bekannte Schauspielerin Esther Lerner, die so freundlich war, ihn in ihrem Wagen mitzunehmen, musterte den stillen Mann. Soviel Romantik, wie sie hier gerade erleben durfte, kannte sie sonst nur aus Filmen. Sie war beeindruckt. Sie kannte David schon lange und hatte ihn bereits mit der einen oder anderen Schönheit zusammen gesehen. Doch diese Frau entsprach so gar nicht dem Schönheitsideal, das David normalerweise mochte. Nicht, dass die Frau hässlich gewesen wäre, ganz und gar nicht. Esther gefielen die dunkelblonden Locken der gutgebauten Frau und sie hatte für einen kurzen Moment die blauen Augen bewundern dürfen, in die David bei seiner Ansprache tief versunken war. Sie war älter als die Dummchen, die er sonst ausführte und sie schien intelligent zu sein. Immerhin arbeitete sie als Lehrerin an jener Schule. Esther fand, dass diese Frau ausnehmend gut zu David passte und drückte ihm im Geiste die Daumen, dass alles gut verlaufen würde.
Zwei Wochen später rief David bei Annie an und lud sie zu einem Essen bei sich zu Hause ein. Er würde eine kleine Gesellschaft für gute Freunde geben. Aufgeregt überlegte Annie, was sie anziehen sollte und kam zu dem Schluss, dass sie sich so wenig wie möglich verstellen wollte. Sie entschied sich für eine dunkle Jeans und eine seidige, blaue Bluse, die ihre Augenfarbe betonte. Mit ein wenig Makeup und einer saloppen Bouclé Jacke aus Dupion Seide, die sie sich lässig über die Schulter warf, stieg sie in das eigens für sie bestellte Auto. Auf der Fahrt genoss sie den warmen Wind durch die offenen Fenster des Wagens. Es war ungewöhnlich warm in jenem April, erinnerte sie sich viele Jahre später.
Der Wagen hielt vor einem alten Haus in der Nähe des Central Park und ein Türsteher eilte herbei und ließ sie ein. Dann begleitete er sie zum Hauseingang, um ihr auch dort die Türen zu öffnen. Annie schaute sich kurz indem Hauseingang um und bemerkte den schönen, gepflegten Marmorboden unter ihren Füßen. Ein kleines Mosaik an der rechten Wand schien einen Pan darzustellen, der gerade seine Flöte blies. Blüten verschiedener Blumen schienen unter seinen Hufen davon zu stieben und eine holde Maid schaute, hinter einem Baum versteckt, dem kleinen Hörnerträger beim spielen zu. Die Treppe und der Empfang, hinter dem ein weiterer Bediensteter stand, waren aus dunklem Holz und glänzten edel. Annie betrat eine andere, für sie neue Welt. Tief beeindruckt grüßte sie den Bediensteten am Empfang.„Zu David Bentin bitte.“„Jawohl Madam“, antwortete der Mann und führte sie zum Fahrstuhl um die Ecke. Sie stieg ein, er drückte den Knopf zum fünften Stock und ging zu seinem Platz zurück. Als Annie dem Fahrstuhl entstieg, stand sie im hell erleuchteten Flur zur Penthouse Suite. Leise Musik war hinter der noch verschlossenen Tür zu hören, vor der ein weiterer Bediensteter stand. Hoffentlich hat er mehr Gäste als Bedienstete, dachte Annie, als dieser ihr auch schon die Tür öffnete. Oh, ein waschechter Butler, schoss es ihr durch den Kopf, als ein Mann im vollendeten Smoking auf sie zutrat und nach ihrem Namen fragte.„Sarah-Ann Wailey“, stammelte sie, etwas aus ihren Gedanken aufgeschreckt.„Ich werde dem Hausherren Bescheid geben, darf ich schon mal Ihre Jacke an mich nehmen?“Sie übergab dem Butler ihre Jacke und wartete.„Ah, ein neues Gesicht!“, rief ein Mann ihr von der Tür aus zu. „Kommen Sie, kommen Sie! Bis dieser stocksteife Ristorn wiederkommt, können wir uns ja schon mal bekannt machen!“Nur leicht widerstrebend ließ sich Annie von der tiefen Stimme locken, gehörte sie doch Cornell Belt, dem bekannten Schauspieler, den sie schon lange bewunderte.„Hallo, ich bin Cornell, mit wem habe ich das Vergnügen?“„Ich bin Annie Wailey und es ist mir eine Freude, Sie kennen zu lernen!“„Ja klar, das sagen die hübschen Frauen immer, wenn sie mich sehen und am Ende bin ich ein Stückchen ärmer!“Er grinste sie mit funkelnden braunen Augen über seine kleine runde Brille an.„Aber keine Sorge, ich mache gerade Brautfangpause!“„Das ist aber schade!“, gab Annie zurück, „ich dachte gerade kurz nach, ob ich eine kleine Aufbesserung meiner Finanzen gebrauchen könnte. Jetzt muss ich mir wohl ein anderes Opfer suchen. Wüssten Sie jemanden, der passen könnte?“Mit schmollendem Mund schaute sie Cornell fragend an. Als David an die Tür kam, sah er Annie und Cornell lachend im Eingang stehen.„Ah David, wo hast du nur diese Frau gefunden? Ich sag' dir was, wenn du nicht aufpasst, schnapp' ich sie dir glatt weg!“„Du hast doch Brautfangpause, schon vergessen, wie viel dich deine letzte Frau gekostet hat? Komm Annie, dieser alte Lustmolch ist nichts für dich!“Er zog Annie vom schallend lachenden Cornell weg in ein neben dem Eingang liegendes Zimmer.„Ich bin so glücklich, dass du gekommen bist. Die zwei Wochen waren eine Ewigkeit für mich Annie.“Er hob ihren Kopf ein wenig an und gab ihr zärtlich einen Kuss. Annie bekam weiche Knie, als sie vorsichtig den Kuss erwiderte. David wurde nun fordernder und Annie konnte nicht widerstehen, ihre Arme um seinen Nacken zu legen, um in seinen weichen Haaren zu wühlen. Sie waren beide erregt, doch die Vernunft gewann und sie trennten sich schwer atmend.„Wir müssen zur Party, sonst fragen sich meine Gäste noch, wo ich geblieben bin und suchen mich. Ich glaube, es wäre nicht so gut wenn sie uns hier im stillen Kämmerlein fänden.“Annie musste tief Luft holen, bevor sie ihm antworten konnte.„Ja gehen wir!“ Verschmitzt schaute sie ihn von schräg unten an. „Das stille Kämmerlein kann uns im Gegensatz zu deinen Gästen nicht davon laufen.“David rollte stöhnend mit den Augen und wünschte sich eine kalte Dusche.„Versprich nicht, was du später nicht halten kannst“, flüsterte er ihr ins Ohr und strich ihr sanft über das Kinn. Annie nickte kurz und drehte sich zur Tür.„Niemals. Komm, deine Gäste warten!“Ein sanftes Lächeln begleitete das kurze Aufleuchten der Augen als sie bemerkte, dass David sich nur schwer beherrschen konnte. Außer Ristorn sah niemand die beiden aus dem Zimmer treten und als guter Butler verlor er natürlich kein Wort darüber.
Ristorn verehrte seinen Herrn, obwohl er das natürlich niemals zugegeben hätte. Ein Butler hat seinen Dienst zu tun, Gefühle sind da nicht gefragt. Gleichwohl fiel ihm auf, dass er seinen Herrn noch nie so gesehen hatte, als er ihn nun mit der unbekannten Frau aus dem Zimmer kommen sah. Das strahlende Gesicht und die leuchtenden Augen, die mit verzauberter Zärtlichkeit in das Gesicht der zuletzt gekommenen Besucherin blickten, sprachen Bände. Ristorn erlaubte sich, diese Frau etwas näher zu betrachten und fand, dass sie trotz der etwas unpassenden Jeans recht ansehnlich war. Ihr dunkelblondes Haar fiel weich um ihr ovales Gesicht, ihr sinnlicher Mund und die großen blauen Augen mit den leichten Lachfältchen strahlten anziehend. Die leicht stupsige Nase nahm dem Gesicht die Strenge, die es sonst durch das recht ausgeprägte Kinn vielleicht gehabt hätte. Sie war eine Frau, die wusste, was sie wollte, aber ohne dafür über Leichen gehen zu wollen. Die Augen schauten intelligent,freundlich, manchmal auch ein wenig verträumt. Also so gar nicht der Typ Frau, den David Bentin bisher bevorzugt hatte. Ristorn gefiel, was er sah und er fragte sich insgeheim, ob sein Herr endlich die Frau gefunden hatte, nach der er, Ristorns Ansicht nach, lange und vergeblich unter den falschen Damen gesucht hatte.
Bei den anderen Gästen angekommen, stellte David seine Begleiterin vor. Er sah erfreut, wie Annie sofort und ohne Probleme mit jedem plaudern konnte und war froh, sie in guter Gesellschaft zu wissen, während er sich um das Essen kümmerte. Als David in die Küche ging, sah Jonas Annie und staunte über die unbeschwerte Sicherheit, mit der die neue Flamme seines Bruders mit den vielen berühmten Gästen plaudern konnte. David hatte ihm von Annie erzählt und nun war er natürlich neugierig, welche Frau David dazu brachte, in solch ungewohnter Form zu schwärmen.„Du mußt sie kennenlernen, ich bin sicher, du wirst sie mögen. Ich habe mich auf den ersten Blick verliebt. Ich fühle mich wie ein Schuljunge und würde am liebsten jeden Tag unter ihrem Fenster ein Ständchen für sie singen!“David war völlig aus dem Häuschen, als er Jonas von Annie erzählte. Jonas konnte es bald nicht mehr hören, Annie dies, Annie das, selbst Karen versuchte, David aus dem Weg zu gehen, nur um sich seine Schwärmerei nicht mehr anhören zu müssen. Das musste ja eine Wunderfrau sein. Doch als Jonas jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit hatte, Annie zu betrachten, konnte er kaum glauben, dass sie diejenige war, von der David redete, als wäre sie die Frau seines Lebens. Das hatte er nun schon zu viele Male getan und immer wieder hatte sich die 'Frau des Lebens' als totaler Flop entpuppt. Ja, Annie war völlig anders und zum ersten Mal glaubte Jonas seinem Bruder. Er wünschte, Karen wäre hier und könnte Annie sehen. Endlich hatte Jonas sich einen Weg durch die Menge gebahnt und lauschte nun dem Gespräch, das Annie gerade mit Esther Lerner führte.
„... und ich denke auch, dass die Kinder mit dem Überangebot, das sie heute durch das Internet bekommen, völlig überfordert sind. So viele Informationen, die zu unserer Kinderzeit gar nicht zur Verfügung standen, darunter jede Menge Infomüll oder noch schlimmer, gezielte bösartige Falschinformationen, überschwemmen nun Gehirne, deren Fähigkeiten dafür noch nicht ausreichen. Ich will damit nicht sagen, dass das Internet schlecht ist, aber es trägt auch sein Teil zur abnehmenden Konzentrationsfähigkeit der Kinder bei. Wenn Schulen das Medium Internet weiterhin nutzen wollen, dann sollte man sich überlegen, wie man den Kindern ein sinnvolles Verarbeiten der darin vorhandenen Informationen näher bringt. Ich gebe meinen Kindern, zum Beispiel bei der Informationsbeschaffung, vor, welche Seiten sie ausschließlich benutzen dürfen. Das gibt ihnen Orientierung und schließt verwirrendeDesinformation aus. Bücher sind nicht out und ich versuche, meinen Schülern Liebe zu Büchern zu vermitteln, auch zu ausländischen. Im vergangenen Jahr bin ich mit ihnen 'Nils Holgerssons wundersame Reise' durchgegangen, ein wunderbares Werk, das Selma Lagerlöf über ihr Land und seine Bewohner geschrieben hat. Anfangs haben die Kinder gemurrt, aber als wir das Leben in der damaligen Zeit, das Lagerlöf beschreibt, mit der heutigen Zeit verglichen, wurde doch noch eine spannende Zusammenarbeit daraus.“Garreth Britt, ein Jungstar aus einer Fernsehserie meldete sich zu Wort.„Ich habe Nils Holgersson nur als Zeichentrickserie gesehen!“Annie schmunzelte: „Ich kenne die Serie und habe sie ausschnittweise den Kindern vorgeführt. Obwohl sie für damalige Verhältnisse nett gemacht ist, zeigt sie meiner Meinung nach nur ansatzweise, was Lagerlöf uns in ihrem Buch beschrieben hat.“„Das klingt, als sollte man das Buch unbedingt gelesen haben“, warf nun Iris Konkin, eine junge, noch unbedeutende Schauspielerin, die gerade ihre erste Rolle ergattert hatte, in die Runde.„Auf jeden Fall!“, gab Annie zurück, „sofern man sich dafür interessiert, wie Menschen ihr Land erleben.“Du großer Gott, dachte Jonas, eine Intellektuelle! Das kann ja heiter werden.„Na ja“, meinte Iris, „es gehört ja irgendwie zu unserem Beruf, sich mit anderen Kulturen auseinander zu setzen, finde ich, aber manchmal ist es schwer, herauszufinden, welche Werke konkrete und korrekte Informationen liefern.“„Letztendlich ist es gar nicht wichtig, ob die Geschichten, die Schriftsteller einem erzählen, auch wahr sind, denn die Art und Weise, wie sich jemand ausdrückt, sagt dem aufmerksamen Leser bereits sehr viel über die Kultur, aus der dieser stammt. Ein französischer Schriftsteller wird in seinen Büchern durch seine Wortwahl immer auch französische Kultur darstellen, ein irischer würde dieselbe Geschichte auf irische Weise erzählen und so weiter.“„Hm, so hab' ich das noch nie gesehen, das würde ja bedeuten, dass 'Der Spieler' von Dostojewski ganz anders klingen würde, wenn er zum Beispiel von Emile Ajar erzählt worden wäre.“„Ja, ganz bestimmt, weil die Herkunft eines Schrifstellers unbewusst und völlig natürlich auch in seinen Texten aufscheint.“„Was meinen Sie? Ließe sich das auch auf Filme ausweiten?“ fragte nun Esther die sich neugierig geworden zu der Gruppe hinzugesellte.„Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, aber wenn Sie so fragen, stelle ich mir gerade vor, dass sich das bestimmt auf fast jede Form von Kunst übertragen lässt. Ein gutes Beispiel ist der Film 'Drei Männer und ein Baby'. Das amerikanische Remake hatte einen völlig anderen Charme als dasfranzösische Original. Eigentlich beide gleich und doch so anders.“Annie grinste über das ganze Gesicht. „Sie haben mich gerade auf eine Idee gebracht, das wäre ein hervorragendes Thema für meinen Unterricht. Damit könnte ich leicht ein ganzes Schuljahr füllen!“„Oh, was unterrichten Sie denn?“, fragte Iris.„Sozialkunde und Kunst“, erklärte Annie und stimmte in das ausbrechende Gelächter ihrer Zuhörer ein.„Da haben wir ja was angerichtet!“, prustete Garreth, „sagen sie den Kleinen bloß nicht, dass sie die Idee von uns haben. Die schauen sich schon aus Protest nie wieder einen Film von uns an!“„Oh doch, wenn ich Sie als Thema aufgebe, schon!“, schmunzelte Annie.Nun musste auch Jonas in das Gelächter einstimmen. Er empfand Annie als erfrischend und als entschieden zu gut für seinen lausigen Bruder, der viel zu lange gebraucht hatte, um diese Frau zu finden. Er begab sich in die Küche zu David und fand ihn in einer alten Kochschürze vor dem Anrichtetisch, fein säuberlich frische Garnelen auf Teller legend. Die Schürze kannte er doch? Sie erinnerte ihn an Weihnachtsgans und geröstete Kastanien, an graues Haar, streng zu einem Dutt gebunden und an zärtlich geschwungene Kochlöffel, die auf ihre Hände sausten, wenn er und seine Geschwister die Finger mal wieder zu tief zum naschen in die Schüsseln gesteckt hatten, verbunden mit der leicht strengen, aber immer auch lächelnd hervorgebrachten Mahnung, dass sie sich durch zu häufiges naschen den Magen verderben würden. Es war eindeutig Großmutters Schürze. Wo hatte er die denn ausgegraben? David sah den leicht irritiert dreinblickenden Bruder mit fragenden Augen an.„Na, soll ich dir eine Schüssel zum naschen hinstellen?“ Jonas ging nicht auf das verlockende Angebot ein.„Du willst dich doch damit nicht etwa bei deinen Gästen sehen lassen? Die werden an deiner geistigen Gesundheit zweifeln, wenn sie dich in Großmutters Schürze erblicken!“„Ich habe Annie versprochen, bei unserem nächsten Treffen für sie in dieser Schürze zu kochen!“„Ach so, ich dachte schon, du seist jetzt völlig verrückt geworden!“„Ja, mein Bruder, ich bin völlig verrückt nach Annie!“„Dann sag ich dir jetzt was David: wenn du es dir mit diesem Mädel verdirbst, lasse ich dich mitsamt dieser verrückten Schürze einweisen!“Er musste grinsen, als er aus den Augenwinkeln das verdutzte Gesicht seines Bruders sah während er die Küche verließ. Als David seine Überraschung überwunden hatte, freute er sich über die brüderliche, wenn auch ungewöhnliche Bestätigung, die richtige Frau getroffen zu haben. Jetzt musste er nur noch diesen Kochschürzenauftritt überleben. Jonas ging direkt zu Annie.„Hallo, Sie müssen die Wunderfrau sein, die meinen Bruder dazu bringt, Großmutters Schürze zu tragen. Er hat sogar die Spitzen bügeln lassen!“„Ich hab ihm nur gesagt, dass ich nicht glaube, dass er so etwas hat. Nun bin ich aber gespannt!“„Sie wollen ihn doch damit nicht im Ernst aus der Küche kommen lassen?“„Aber ich habe doch noch nie eine taubengraue Schürze mit einem Kochtopf drauf und Spitzen dran gesehen. Das wollen Sie mir doch nicht etwa vorenthalten?“Dem spitzbübischen Lächeln in Annies Gesicht konnte nun auch Jonas nicht widerstehen und lachte herzhaft.„Sie haben recht, diese Schürze hat Seltenheitswert und sollte unbedingt allen gezeigt werden!“„Ah, die Schürze! Da kommt sie schon mit meinem Bruder zur Tür herein!“