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Dies ist das Abenteuer eines Forschungsraumschiffes. Der Diskus von 700 Metern Durchmesser beherbergt vier Forschungskreuzer der Orion-Klasse. Fernab des heimatlichen Sonnensystems soll es die Galaxis nach den Frog-Kriegen neu erkunden. Die Besatzung des Raumschiffes der Orion-Klasse, eines der vier Forschungskreuzer, steht dabei immer wieder im Mittelpunkt spannender Abenteuer. Die Forschungsraumschiffe der Autoren sind unterwegs in den Weiten des Alls, fremde Kulturen und Sternensysteme zu entdecken. An Bord befinden sich bis zu vier Raumschiffe der Orion-Klasse, deren Protagonisten im Mittelpunkt stehen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Joachim Stahl
Sternenlicht Nr. 26
Neue Heimat
Saphir im Stahl
Sternenlicht Nr. 26
Joachim Stahl - Neue Heimat
e-book Nr: 304
Erste Auflage 01.08.2025
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Thomas Budach
Lektorat: Anke Brandt
Vertrieb: neobooks
Joachim Stahl
Sternenlicht Nr. 26
Neue Heimat
Saphir im Stahl
Prolog
Ben Nabuko lehnte sich zurück und legte den rechten Arm auf die Lehne seines Kontursessels. Das burgunderrote Poster passte sich seiner neuen Körperposition sogleich perfekt an. Mit einer Mischung aus Stolz und Ehrfurcht betrachtete er das jugendliche Gesicht seines Spielpartners auf der anderen Seite des Tisches. Zwischen ihnen schwebten mehrere Dutzende durch elektromagnetische Felder in der Luft gehaltene Raumschiffmodelle, jeweils etwa zur Hälfte in Silber und in Anthrazit.
„Ich will mich nicht darüber beschweren, aber warum lässt du mich heute ausnahmsweise gewinnen, Wilhelm?“ Auf Wilhelms schmale Lippen legte sich ein verlegen wirkendes Lächeln. „War mein Zug mit dem Schlachtkreuzer denn so schlecht, Herr Nabuko?“ Seine Stimme war angenehm klar.
Nabuko lachte leise, während er den Kopf schüttelte. „Nein, natürlich nicht. Wenn ich nicht aufpasse, wird er in zwei Zügen gleichzeitig mein Flaggschiff und meinen Expeditionskreuzer attackieren. Aber ein Zug deines Truppentransporters wäre die noch bessere Wahl gewesen. Wie du sicher schon selbst herausgefunden hast.“
Wilhelm zuckte mit den Schultern. „Das wäre eher ein Zug der romantischen Schule gewesen. Ich bin kein großer Freund davon. Aber Sie haben durchaus recht, den Truppentransporter auf D-24-Gamma zu ziehen, hätte auch seine strategischen Vorteile.“
„Romantik muss nicht grundsätzlich veraltet oder auf sonstige Weise falsch sein“, entgegnete Nabuko amüsiert. „Wenngleich die Liebe Wunden schlagen kann, die nicht weniger schmerzen als die Gefechtsverletzung eines tapferen Raumsoldaten.“ Bitter dachte er an den Streit mit seiner Ehefrau, der vor mehreren Tagen begonnen hatte und dessen Ende nicht absehbar war.
Aus verborgenen Lautsprechern erklangen wehmütige Klänge aus antiken Instrumenten. Obwohl Nabuko diese Melodie seines Lieblingskomponisten schon viele Male gehört hatte, entdeckte er immer wieder Neues darin. Er musterte Wilhelm. „Ob dein Namensvetter wohl auch Richard Wagners Musik kannte? In dem Jahr, als Wilhelm Steinitz auf die Welt kam, war Wagner gerade einmal Anfang zwanzig und in der terranischen Stadt Magdeburg wurde unter wenig erfreulichen Begleitumständen ,Das Liebesverbot‘ uraufgeführt, seine zweite Oper, die er später als Jugendsünde bezeichnete. Aber das weißt du alles selbst.“
Wilhelm nickte. „Ob jedoch Steinitz Maestro Wagner kannte oder gar so gerne hörte wie wir beide, entzieht sich auch meiner Kenntnis. Ich kann mir jedoch denken, dass Sie sich ,Das Liebesverbot‘ bislang eher selten komplett angehört haben. Es hat schließlich nur sehr wenig mit seinen späteren Meisterwerken gemein.“
„Musikalisch schon, doch es passt inhaltlich durchaus zu Wagners bekannteren Opern“, bemerkte Nabuko. „Die Neigung zur Auflehnung gegen bestehende Strukturen und die Huldigung des Sinnlichen sind auch hier bereits zu erkennen, findest du nicht?“
Wilhelm nickte schmunzelnd. „Ob es wohl stimmt, dass bei der Uraufführung der Ehemann der Primadonna dem Tenor aus Eifersucht einen Fausthieb verpasst hat?“
„Tatsächlich?“ Nabuko musste lachen. „Das wusste ich noch gar nicht. Ja, der Tenor spielt eine sehr liebestrunkene Rolle. Und selbst in unseren scheinbar so aufgeklärten Zeiten können erschreckend viele Menschen Schauspielerei nicht von der Realität unterscheiden. Etliche Schauspieler inbegriffen. Die halten sich dann für besonders schlau und neigen zu entsprechenden Belehrungen ihres Publikums, obwohl sie in ihren Filmen nur intelligent klingende Sätze der Drehbuchautoren deklamieren. Ohne Manuskript sind sie geistige Leichtgewichte, auch wenn die schlichteren Gemüter unter ihren Fans das vor lauter Schwärmerei nicht erkennen können.“ Nabuko beugte sich wieder vor. „Doch genug geplaudert. Wenn du mich schon gewinnen lässt, will ich diese Partie auch genüsslich zu Ende spielen. Das Erfolgserlebnis wird mir heute trotz allem sicherlich guttun.“
1
Major Petrus Taunsend schloss die Augen und versuchte, gleichmäßig und tief zu atmen. Er spürte das Herz in seiner Brust hämmern, als hätte er soeben einen Sprint über hundert Meter absolviert. Doch tatsächlich bewegt hatte sich lediglich der Schnelle Erkundungskreuzer der Orionklasse GIORDANO BRUNO-I, in dessen Kommandosessel der hagere Offizier mit den kragenlangen dunklen Haaren und der auffallend großen Nase seit über einer Stunde saß. Die Astroscheibe schräg links vor ihm hatte soeben ihre Farbe verändert. Die konturlosen grauen Schlieren während des mehrstündigen Flugs über die Einstein-Rosen-Brücke waren einem sternengesprenkelten Schwarz gewichen.
Was ist nur los mit mir, dachte Petrus. Ich kann mir keine Panikattacken leisten, auch wenn dieser Einsatz bedrohlicher als jeder vorherige ist. Ich bin der Kommandant und muss mich jederzeit im Griff haben. Er rückte die Metallhaube auf seinem Kopf zurecht und blickte sich verstohlen in dem etwa dreißig Quadratmeter großen Leitstand des Kreuzers um. Niemand schien bemerkt zu haben, dass er kurz die Kontrolle über sich selbst verloren hatte. Rechts von ihm hantierte der junge Kommunikationsspezialist Amadeus Buffon mit seiner üblichen hektischen Betriebsamkeit an seinem Kontrollpult, linkerhand steuerte der bärtige Astrogator Jon Entwissel in entspannter Haltung den 170 Meter durchmessenden Diskusraumer mit dem Eigennamen DIANA nach dem Verlassen der Einstein-Rosen-Brücke zu seinem Zielplaneten. Beide trugen wie Petrus die dunklen Bordkombinationen der moranischen Flotte und auf diesem Flug erstmals Metallhauben auf dem Kopf, die aus einer drei Zentimeter durchmessenden anthrazitfarbenen Scheibe und acht davon ausgehenden Streben von jeweils etwa fünf Millimetern Breite bestanden. Die ebenfalls anthrazitfarbenen Streben reichten vorne bis zur Stirn, an den Seiten bis zu den Ohren und hinten bis zum Nacken. Bei dunkelhaarigen Trägern wie Petrus und Jon waren sie kaum zu sehen.
Das Sufok-System, das sie gemäß ihrer Alphaorder angesteuert hatten, lag im kosmischen Niemandsland zwischen der Sternenlicht-Vereinigung und der Baronie von Caltha Palustris. Ein campanulischer Erkundungskreuzer der Sternenlicht-Flotte hatte das System wenige Monate vor der verheerenden Raumschlacht gegen die Maschinen angeflogen und erkundet. Drei Planeten umkreisten die Sonne vom Spektraltyp A, der zweite davon war eine Welt mit Sauerstoffatmosphäre und für Humanoide geeigneter Ökosphäre. Dort sollte die GB-I landen, ihre unheimliche Fracht abladen und danach zurück zu ihrer Heimatwelt Moran fliegen. So lautete zumindest der Plan, der bekanntlich niemals länger aufrechterhalten werden kann als bis zum ersten Kontakt mit einem Gegner.
Petrus beugte sich vor und aktivierte den Bordfunk. „Wir sind im Zielsystem angekommen.“ Seine ansonsten so helle Stimme klang heiserer als gewohnt, weshalb er sich kurz räusperte. „In etwa vier Stunden haben wir Sufok-II erreicht und landen dort. Bis dahin herrscht höchste Einsatzbereitschaft auf allen Positionen, wie euch klar sein dürfte. Sicherlich auch unserem neuen Besatzungsmitglied. Nicht wahr, Andi?“
Sofort meldete sich die klare Stimme Andreas Roths, des jungen Bordingenieurs im Maschinenleitstand im zweituntersten Deck des Kreuzers. „Selbstverständlich, Käpten. Ich habe in den letzten Stunden sogar extra keinen Schluck getrunken, damit mich kein menschliches Bedürfnis vorzeitig von meinem Platz zwingt.“
Petrus lächelte unwillkürlich. „So ist es recht, Andi. Und zum Glück kann sogar ein Durchschnittsmensch mehrere Tage ohne Flüssigkeitszufuhr überleben, von uns Helden der Raumfahrt ganz zu schweigen. Danach schmeckt dann sogar ein banales Glas Wasser fast so gut wie ein frisch gezapftes Bier.“ Er wurde wieder ernst. „Ronja, ich hoffe, du wirst keinen Grund sehen, dich in den nächsten Stunden bei mir ungefragt zu melden.“
„Gute Gründe, sich mit dir auszutauschen, gibt es immer“, erklang die raue Stimme der Ortungsspezialistin Ronja Darlfrey, deren Arbeitsplatz sich im obersten Deck der GB-I befand. „Aber ich werde mich gewohnt diskret zurückhalten und dich in Ruhe deine immens wichtige Arbeit verrichten lassen.“
„Sehr rücksichtsvoll von dir, liebe Ronja“, erwiderte Petrus. „Und wenn wir dieses System wieder verlassen haben, können wir uns gerne bei einer Tasse Tee in der Messe zusammensetzen, um endlich mal wieder in Ruhe über die Götter oder meinetwegen auch das neue Album der Moraner Freiheit zu diskutieren. Angeblich hörst du das ja immer heimlich in deiner Kabine, während wir glauben sollen, du würdest eigentlich nur auf hartes Zeug von Rollstein und ähnlichen Krawallcombos stehen. Und damit Ende der Durchsage.“ Er deaktivierte den Bordfunk und stand auf, um sich neben die Astroscheibe zu stellen. Mit einer hebenden sowie gleichzeitig spreizenden Bewegung seiner Hand schaltete er die Darstellung auf 3D und vergrößerte sie. Sufok-II wurde dadurch zu einem etwa faustgroßen Ball und offenbarte seine blaugelbe Färbung. Es handelte sich jedoch aufgrund der Entfernung um keine aktuelle Aufnahme, sondern lediglich um eine Rekonstruktion anhand der vorhandenen Sternenkarten. Petrus verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Ich will nicht abergläubisch klingen, aber meint ihr, auf uns liegt ein Fluch?“, fragte er leise.
Jon warf ihm einen überraschten Seitenblick zu. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Machst du dir etwa keine großen Gedanken darüber, dass wir schon wieder auf einen Einsatz geschickt werden, der mit gewaltigen Risiken verbunden ist?“
Leutnant Ronja Darlfrey fixierte konzentriert die Anzeigen ihres Arbeitspults. Die tastenden Strahlen der Ortungsgeräte jagten mit Lichtgeschwindigkeit hinaus ins All. Doch es würde Stunden dauern, bis sie das gesamte System erfasst haben würden. Und ebenso viele Stunden würden verstreichen, bis ihr Echo die DIANA wieder erreichen würde.
Die qualvolle Wartezeit voller Ungewissheit war das unausweichliche Los des Raumfahrers, der in seiner kleinen metallumhüllten Arche des Lebens inmitten der tödlichen Leere des unfassbar großen Weltalls seiner abenteuerlichen Arbeit nachging. Stets sah er nur Bilder aus der Vergangenheit, die umso älter waren, je weiter das Objekt vom Auge des Betrachters entfernt war. Ein Raumschiff konnte die gewaltigen Entfernungen des interstellaren Raums über die Einstein-Rose-Brücke zumindest abkürzen, eine Ortungsanlage jedoch verfügte beim derzeitigen Stand der Technik und außerhalb der durch zahllose Funkbojen kommunikativ verbundenen Sternenlicht-Vereinigung nicht über diese Möglichkeit. Sie musste sich an die Begrenzung der Lichtgeschwindigkeit halten, die mit ihren etwa 300.000 Kilometern pro Sekunde für die gewaltigen kosmischen Dimensionen nur ein besseres Schneckentempo erreichte.
Vielleicht sind wir Menschen für die Raumfahrt einfach nicht geschaffen, dachte Ronja melancholisch. Der Homo sapiens war durch Mutationen früherer Urmenschen vor etwa 300.000 Jahren auf der legendären Urwelt der Menschheit entstanden und hatte sich seitdem körperlich und mental im Wesentlichen nicht mehr stark verändert. Die ersten Hochkulturen waren vor gerade einmal 5.000 Jahren erblüht und erst seit wenigen Jahrhunderten erforschte und besiedelte der Mensch nun auch das All – verglichen mit der gesamten Menschheitsgeschichte nicht länger als ein Atemzug im Laufe eines ganzen Tages.
Ronja seufzte. Vielleicht hatten diese brutalen Terroristen vom KKK recht und der Raumflug war eine widernatürliche und womöglich gar tödliche Bedrohung für die Menschheit. Wehmütig dachte sie an das tragische Schicksal Kio Muns, ihres früheren Bordingenieurs. Nachdem ein „Kampf kriminellen Kosmonauten“-Terrorkommando seine geliebte Ehefrau ermordet hatte, war Kio derartig hasserfüllt und verzweifelt geworden, dass er sich während eines Einsatzes der DIANA vor mehreren Monaten selbst das Leben genommen hatte. Und sein unmittelbar zuvor begangener Racheakt hatte zur Folge, dass nun auch seine fünf einstigen Kameraden an Bord des Forschungskreuzers in akuter Lebensgefahr schwebten. Ein Racheakt, der rational betrachtet so grausam war wie der Blutrausch eines primitiven Höhlenmenschen. Doch während dieser nur eine Keule oder ein Steinwerkzeug als Waffe verwenden konnte, hatte Kio durch die gewaltige Kraft der modernen Raumfahrttechnik dafür sorgen können, dass auf einen Schlag eine ganze Welt mitsamt allem Leben darauf vernichtet wurde.
Ronja strich sich kurz über die Augen. Mit Kio hatte sie sich stets besonders gut verstanden, vielleicht auch deshalb, weil sie beide die ältesten Besatzungsmitglieder gewesen waren. Erst nach der Ermordung seiner Frau hatte sich Kio auch Ronja gegenüber abgekapselt. Und seitdem der neue blutjunge Bordingenieur Andreas Roth den Maschinenleitstand übernommen hatte, war nun Ronja die alleinige Seniorin der Mannschaft und zog sich noch mehr von den fünf anderen zurück als zuvor.
Wenigstens wird mich niemand auf Moran groß vermissen, falls ich von diesem Einsatz nicht zurückkommen sollte, sinnierte Ronja. Ihre Eltern waren schon seit Jahren tot, mit ihrem jüngeren Bruder Rollo, der seit langer Zeit mit seiner Familie auf der Zentralwelt Tyros wohnte, hatte sie nur sporadischen Kontakt. Sie selbst hatte weder einen Lebenspartner noch eigene Kinder. Ronja seufzte leise. Mein Abgang aus diesem Universum würde keinerlei Spuren hinterlassen, nicht mal ein Grab auf einem Friedhof. Ich werde dann einfach verschwunden sein, wie eine Meereswelle, die ans Ufer gespült wurde.
Als ein Signalton vor ihr erklang, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Mit einem Blick erfasste sie die Lage und aktivierte den Bordfunk. „Alarmstufe Rot! Unbekannte künstliche Strahlenquelle in zwei Lichtminuten Abstand voraus!“
Wie erstarrt stand Petrus neben der Astroscheibe. Ein etwa fingernagelgroßer leuchtend-roter Punkt in der Schwärze des Alls zeigte die Strahlenquelle an, die soeben vom Ortungssystem erfasst worden war. Laut Messungen hatte sie eine Kugelform mit etwa hundert Metern Durchmesser. Handelte es sich um ein natürliches Objekt? War es von Menschenhand geschaffen? Oder war es womöglich das Produkt einer unbekannten Rasse?
„Was soll ich machen, Petrus?“, erklang die tiefe Stimme Jons in seinem Ohr. „Kursänderung?“
Petrus überlegte kurz. „Was wäre die geringste Entfernung von dem unbekannten Objekt, wenn wir unseren jetzigen Kurs beibehalten?“
Der Astrogator warf einen raschen Blick auf seine Anzeigen. „Etwa hunderttausend Kilometer.“
Petrus kratzte nervös mit dem Zeigefinger an seiner großen Nase. „Das ist weit genug entfernt. Wir fliegen ohne Kursänderung weiter.“ Er ging zu seinem Arbeitspult und aktivierte den Bordfunk. „Andi, wir könnten uns einer Gefahrenquelle nähern und brauchen daher vorsichtshalber den Schutzschirm.“
„Jawohl, Käpten“, antwortete der junge Fähnrich im Maschinenleitstand. „Ich fahre die Generatoren sofort hoch.“
Ein dumpfes Summen zeigte an, dass die Wandler des Kreuzers ihre Leistung gesteigert hatten, um die für den Schirm notwendige zusätzliche Energie zu erzeugen.
„Aber Petrus, sollten wir das Objekt nicht untersuchen?“, schaltete sich der Kommunikationsspezialist Amadeus Buffon mit seiner leicht krächzenden Stimme ein. „Wir sind schließlich ein Erkundungskreuzer und das Objekt ist offenbar noch nicht erforscht. Es könnte für uns hochinteressant sein. Vielleicht handelt es sich sogar um das Produkt einer bislang unbekannten Rasse von Intelligenzwesen!“
Petrus stemmte die Hände in seine schmalen Hüften. „Es wird dich vielleicht überraschen, aber auf die Idee bin ich schon selbst gekommen. Und ich darf dich daran erinnern, dass wir eine Alphaorder bekommen haben. Also gibt es für uns bis zum Erledigen unseres Auftrags nichts Wichtigeres.“
Amadeus nickte eifrig. „Ich weiß schon. Aber die Alphaorder fliegt uns nicht davon. Was spricht denn dagegen, dass wir uns dieses Objekt wenigstens ganz kurz anschauen? Willst du etwa nicht wissen, worum es sich dabei handelt? Das kann ich mir kaum vorstellen, sonst wärst du wohl kaum ein Kommandant in der Forschungsflotte!“
„Ama, halt endlich die Klappe“, brummte Jon mürrisch. „Petrus muss seine Entscheidungen nicht mit dir ausdiskutieren. Wenn er sagt, wir behalten unseren Kurs bei, dann mache ich das treu und brav. Und du mischst dich gefälligst auch nicht in seine Angelegenheiten ein!“
Petrus starrte wie hypnotisiert auf den kleinen roten Punkt, der vor ihm in der Luft zu schweben schien, tatsächlich aber nur eine holografische Projektion war. Sein Herz, das sich nach dem Verlassen der Einstein-Rosen-Brücke wieder beruhigt hatte, hämmerte plötzlich wieder spürbar in seiner Kehle. Eine tödliche Bedrohung schien von dem Objekt auszugehen. Aber vielleicht war alles auch ganz harmlos und seine Fantasie spielte ihm lediglich einen bösen Streich. Rational betrachtet war es das Sinnvollste, den bisherigen Kurs beizubehalten und den Zielplaneten so schnell wie möglich anzufliegen. Nach dem Abladen ihrer Fracht war auf dem Rückflug nach Moran immer noch genug Zeit, das unbekannte Objekt mit der gebotenen Vorsicht zu untersuchen.
Jon fluchte leise.
Petrus wandte sein Gesicht dem Astrogator zu. „Was ist los, Jon?“
„Mit dem Antrieb stimmt etwas nicht. Es ist bisher nur eine Kleinigkeit, die einem anderen Piloten wahrscheinlich gar nicht auffallen würde, aber ich spüre das. Und meine Erfahrung sagt mir, dass so etwas verflixt schnell sehr viel schlimmer werden kann.“
Petrus wandte sich an die Funkanlage. „Andi, wie sieht es mit den Maschinen aus? Irgendeine Auffälligkeit?“
„Nein, alles in Ordnung“, antwortete der Bordingenieur sofort. „Die Wandler sowie das Fusionstriebwerk arbeiten tadellos.“
Ein heftiges, jähes Beben erschütterte den Kreuzer. Kurz danach begannen die Warnsirenen des Schiffes schrill zu heulen. Petrus verlor abrupt das Gleichgewicht und fiel rücklings zu Boden. Sein Steißbein, durch keine nennenswerte Fettschicht seines hageren Körpers geschützt, begann sofort stark zu schmerzen. Er stöhnte auf. „Bei allen Göttern, was war das?“ Mühsam richtete er sich wieder auf, stakste zu seinem Kommandosessel und setzte sich vorsichtig. Er schloss den Sicherheitsgurt.
„Das muss von dem verdammten Ding da ausgehen“, fluchte Jon. „Der Antrieb spielt völlig verrückt!“
„Und ich Idiot hab auch noch vorgeschlagen, das Objekt zu untersuchen“, jammerte Amadeus.
Die Gedanken rasten durch den Kopf des Kommandanten. „Andi, haben wir in den Wandlern genug Energie für einen Notsprung auf die Brücke?“
„Ja, aber es wäre äußerst riskant. Wenn wir Pech haben, könnte dabei der Beta 5 durchbrennen.“
„Wir haben keine andere Wahl“, stellte Petrus heiser fest, während von seinem Steißbein ausgehende Schmerzwellen durch seinen Körper jagten. „Jon, Notsprung einleiten!“
„Auf deine Verantwortung, Kommandant“, brummte der Astrogator und beugte sich nach vorn.
Ronjas Fäuste umklammerten die Armlehnen ihres Kontursessels. Mit aller Kraft presste sie ihren zierlichen Körper gegen die Rückenlehne. Die DIANA schien von einer mächtigen Faust durchgeschüttelt zu werden. Vielleicht versuchte ihre mörderische Kraft auch, den Diskus zu zerquetschen und mit ihm alle sechs Menschen, die tollkühn genug gewesen waren, sich darin so unfassbar weit von ihrer lebensspendenden Heimatwelt zu entfernen und sich stattdessen in die tödliche Leere des Alls zu wagen.
Ronja zwang sich dazu, die Anzeigen der Ortungsanlage im Auge zu behalten. Es konnte kein Zufall sein, dass die DIANA unmittelbar nach der Annäherung an das unbekannte Objekt derartig attackiert wurde. Es war nun nur noch etwa 800.000 Kilometer entfernt, also weniger als drei Lichtsekunden. Das rote Licht, das von ihm ausging, pulsierte leicht. Ein weiterer Beleg dafür, dass dieses rätselhafte Objekt für das grausame Los der DIANA verantwortlich war. Es musste Energiestrahlen aussenden, welche die Aggregate des Forschungskreuzers ins Chaos versetzten und die auch von den aktivierten Schutzschirmen der DIANA nicht aufgehalten werden konnten.
Vielleicht schützt sich das unbekannte Objekt selbst mit diesen Strahlen, dachte Ronja. Es musste von Intelligenzwesen erbaut worden sein. Kein bekanntes natürliches Objekt dieser Größe war dazu imstande, derart zerstörerische Impulse auszusenden.
Heute werde ich also sterben, dachte Ronja wie betäubt. 53 Jahre, nachdem meine Mutter mich geboren hat, 32 Jahre, nachdem ich als junge Kadettin die Ausbildung in der moranischen Raumflotte begonnen habe. 32 Jahre, in denen ich an Bord mehr oder weniger großer Schiffe das Weltall durchquert habe. Lange ist es für mich gut gegangen, anders als für so viele andere Kosmonauten, die insbesondere im vorigen Jahr ihr Leben im Weltall verloren haben. Unzählige davon starben in der grauenvollen Raumschlacht gegen die Maschinenwesen, in der ein Großteil der Sternenlicht-Kampfflotte binnen weniger Stunden ausgelöscht worden war. Etliche dieser armen Jungs und Mädels habe ich sogar persönlich gekannt. Und nun bin also ich an der Reihe. Wie sagte mein seliger Herr Papa so oft? Wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um. Ich habe ihn dann immer spöttisch angesehen und entgegnet: Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Doch heute werde ich verlieren. Und zwar mein Leben.
Immer lauter dröhnten die Aggregate der DIANA, es war eine Kakofonie der mechanischen Qual. Wieder wurde der Kreuzer wie von einer Riesenfaust gepackt und geschüttelt. Ronjas Hinterkopf prallte gegen das Polster der Rückenlehne ihres Sessels. Sie strich sich eine Strähne ihres langen blond gefärbten Haares aus der Stirn und schloss die Augen.
Was wird danach kommen? Das ewige Leben, wie die Angehörigen einiger Religionen sagen? Eine Wiedergeburt in einem anderen Körper, tierischer oder menschlicher Natur, wie andere Gläubige vermuten? Oder einfach nichts? Energie kann nicht vergehen, das ist ein bewiesenes Naturgesetz. Und wenn der Mensch eine Seele hat, die ihn von Maschinenwesen unterscheidet, so könnte es sich dabei um eine Energieform handeln. Vielleicht lebt meine Seele wirklich weiter, wenn mein Körper hier und heute zerstört wird.
Ronja öffnete die Augen wieder und sah das Licht im Ortungsleitstand in hektischem Stakkato flackern. Die Anzeigen vor ihr flirrten und waren nicht mehr lesbar.
