Stolz und Vorurtheil - Jane Austen - E-Book

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Jane Austen.

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Beschreibung

Im ländlichen England des frühen 19. Jahrhunderts herrscht Aufregung im Hause Bennet: Ein wohlhabender Junggeselle ist in die Nachbarschaft gezogen! Für Mrs. Bennet, deren einziges Lebensziel die vorteilhafte Verheiratung ihrer fünf Töchter ist, ein Geschenk des Himmels. Doch während die sanftmütige Jane sofort das Herz des neuen Nachbarn erobert, trifft die kluge und scharfzüngige Elizabeth auf dessen besten Freund: den düsteren, unnahbaren und stolzen Mr. Darcy. Zwischen Elizabeths Vorurteilen gegenüber Darcys Arroganz und Darcys Standesdünkeln entspinnt sich ein geistreiches Duell der Worte. Doch was passiert, wenn man feststellt, dass der Mensch, den man am meisten zu verachten glaubt, der Einzige ist, der einen wirklich versteht? Ein zeitloses Meisterwerk über gesellschaftliche Fesseln, falschen Stolz und die gewaltige Kraft der wahren Liebe.

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Seitenzahl: 497

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Stolz und Vorurtheil

Jane Austen

1. Auflage – © 2025

Vorwort

Im ländlichen England des frühen 19. Jahrhunderts herrscht Aufregung im Hause Bennet: Ein wohlhabender Junggeselle ist in die Nachbarschaft gezogen! Für Mrs. Bennet, deren einziges Lebensziel die vorteilhafte Verheiratung ihrer fünf Töchter ist, ein Geschenk des Himmels.

Doch während die sanftmütige Jane sofort das Herz des neuen Nachbarn erobert, trifft die kluge und scharfzüngige Elizabeth auf dessen besten Freund: den düsteren, unnahbaren und stolzen Mr. Darcy.

Zwischen Elizabeths Vorurteilen gegenüber Darcys Arroganz und Darcys Standesdünkeln entspinnt sich ein geistreiches Duell der Worte. Doch was passiert, wenn man feststellt, dass der Mensch, den man am meisten zu verachten glaubt, der Einzige ist, der einen wirklich versteht?

Ein zeitloses Meisterwerk über gesellschaftliche Fesseln, falschen Stolz und die gewaltige Kraft der wahren Liebe.

Erstes Capitel.

Nichts ist leichter vorauszusetzen, als daß ein junger, reicher, unverheiratheter Mann vor allen andern Dingen eine Frau bedarf.

So wenig nun auch die Bewohner der Grafschaft Hertfordshire von den Neigungen und Aussichten eines solchen, eben unter ihnen auftretenden fremden Mannes wußten und wissen konnten, hatte sich obige Voraussetzung dennoch der Gemüther der ganzen Nachbarschaft dergestalt bemeistert, daß man ihn schon als das rechtmäßige Eigenthum dieser oder jener ihrer Töchter betrachtete.

»Lieber Bennet! weißt Du schon, daß Netherfield-Park nun endlich verpachtet ist?« Mit dieser Frage leitete Mrß. Bennet eines Tages die Unterhaltung ein.

»Nein!«

»Ja, so ist es. Mrß. Long war so eben hier, mir die Neuigkeit mitzutheilen.«

Herr Bennet schwieg.

»Verlangt Dich nicht zu wissen, wer es gepachtet hat?« rief die Frau mit einiger Ungeduld.

»Dich verlangt darnach, mir es zu erzählen. Wohlan! ich bin zum Hören bereit.«

»Nun so höre denn. Am Montag ist ein junger, reicher Mann aus dem nördlichen England in einem vierspännigen Wagen nach Netherfield gekommen, hat das Gut besehen und so viel Wohlgefallen daran gefunden, daß er auf der Stelle mit Herrn Morris einig geworden. Noch vor Michaelis wird er Besitz davon nehmen, und ein Theil seiner Leute schon zu Ende nächster Woche im Hause eintreffen.«

»Wie heißt er?«

»Bingley.«

»Ist er verheirathet oder unverheirathet?«

»O natürlich unverheirathet, und reich. Vier bis fünftausend jährlich. Welch eine schöne Aussicht für unsre Töchter!«

»Wie so! Was können die mit seinem Reichthum zu thun haben?«

»Mein Gott! welch eine abgeschmackte Frage! So wisse denn, daß ich gesonnen bin, eine meiner Töchter mit Herrn Bingley zu verheirathen.«

»Ist dieß der Zweck seiner Niederlassung in hiesiger Gegend?«

»Zweck? Unsinn, wie kannst Du nur so schwatzen! Aber es ist doch sehr wahrscheinlich, daß unsre Töchter ihm vor allen andern jungen Damen in der Nachbarschaft gefallen werden; und deshalb mußt Du ihn besuchen, so bald er angekommen ist.«

»Dazu sehe ich keinen Grund. Du magst mit den Mädchen hingehen, oder sie allein hinschicken, was vielleicht noch rathsamer sein möchte: denn da Du es im Punkte der Schönheit immer noch mit ihnen aufnimmst, könnte sich der unglückliche Fall ereignen, daß Du Herrn Bingley am Besten gefielst.«

»Wozu die unzeitige Schmeichelei! Ich habe mich früher allerdings einiger Schönheit rühmen können, doch solche Ansprüche längst schon aufgegeben. Eine Mutter von fünf erwachsenen Töchtern darf nicht mehr an ihre eigene Schönheit denken!«

»Und es wird wenige Frauen geben, die in diesen Jahren noch Ursache dazu haben.«

»Schon gut, liebster Mann! Aber Du mußt nicht versäumen, Herrn Bingley Deine Aufwartung zu machen, sobald er in Netherfield angekommen.«

»Das will ich nicht versprechen.«

»Bedenke nur Deine Töchter und welche Versorgung einer von ihnen daraus entstehen kann. Sir William und Lady Lukas sind auch entschlossen, ihm aufzuwarten, bloß aus diesem Grunde; denn Du weißt, daß sie sonst keinem neuen Ankömmling den ersten Besuch zu machen pflegen. Also darfst Du auch nicht zurückbleiben – und für uns würde es sich doch warlich nicht schicken, ihn aufzusuchen.«

»Liebe Frau! Du bist in diesem Punkt wirklich zu scrupulös. Ich bin überzeugt, Herr Bingley wird sich sehr freuen, Dich zu sehen; und ich will Dir einige Zeilen an ihn mit geben, worin ich ihm im Voraus meiner vollkommenen Zustimmung zu seiner Verheirathung, mit welcher von meinen Töchtern es ihm gefällt, versichern; obgleich ich ein gutes Wort für meine kleine Lizzy einlegen möchte.«

»Dergleichen muß ich mir verbitten. Lizzy ist nicht im Mindesten besser als die Andern: im Gegentheil nicht halb so schön wie Johanne, und nicht halb so aufgeweckt und lustig wie Lydie. Aber ich weiß, Du giebst ihr immer den Vorzug.«

»Keine ihrer Schwestern zeichnet sich durch irgend etwas aus. Sie sind nicht minder einfältig und unwissend wie alle die andern jungen Mädchen ihrer Bekanntschaft. Lizzy aber hat mehr Verstand und Einsicht.«

»Bennet, wie kannst Du Deine eigenen Töchter so herabsetzen! Es macht Dir Freude, mich zu kränken. Du hast kein Mitleid mit meinen armen Nerven.«

»Bitte um Vergebung! ich habe den größten Respekt vor Deinen Nerven. Wie sollte ich auch anders! Es sind ja meine alten Bekannten, die ich wenigstens 20 Jahre in dieser Beziehung habe von Dir nennen hören.«

»Ach, Du weißt nicht, was ich leide!«

»Aber ich hoffe, Du wirst es überstehen, und lange genug leben, um noch mehr junge, reiche Männer in unsre Nachbarschaft einziehen zu sehen.«

»Und was könnte es mir helfen, wenn auch noch zwanzig solcher Phönixe kämen, da Du sie nicht besuchen willst.«

»Verlaß Dich darauf, daß ich sie alle besuchen werde, sobald die Zahl zwanzig nur erst voll ist.«

Herr Bennet war eine so seltsame Mischung von Lebhaftigkeit, sarkastischer Laune, Zurückhaltung und Eigensinn, daß eine drei und zwanzigjährige Erfahrung nicht hinreichte, die Gattin mit seinem Charakter bekannt zu machen. Der ihrige war leichter zu ergründen. Sie war eine Frau von geringem Verstand, wenig Bildung und ungleichem Temperament. Bei der geringsten Unzufriedenheit hielt sie sich für nervenschwach. Das Geschäfft ihres Lebens war, ihre Töchter zu verheirathen, ihre größte Freude Gesellschaften und Neuigkeiten.

Zweites Capitel.

Bennet war einer der Ersten, welcher dem neuen Ankömmling die Aufwartung machte, und obgleich dieß vom Anfang an sein Vorsatz gewesen, hatte er doch nicht unterlassen, seine Frau fortwährend vom Gegentheil zu versichern, so daß sie am Abend, nachdem der Besuch schon so abgestattet war, noch nichts davon wußte. Um sie auf eine überraschende Weise davon in Kenntniß zu setzen, wandte er sich an Elisabeth, die mit der Ausschmückung eines Huts beschäfftigt war, und sagte –

»Lizzy! ich hoffe, Herr Bingley wird diesen Hut geschmackvoll finden.«

»Wir haben keine Aussicht, Herrn Bingley's Geschmack auf die Probe zu stellen,« entgegnete die Mutter empfindlich, »da wir nicht erwarten können, einen Besuch von ihm zu erhalten.«

»Aber Mama, Sie vergessen« – sagte Elisabeth – »daß wir ihn in den Gesellschaften sehen werden, und daß Mrß. Long versprochen hat, ihn uns vorzustellen.«

»Ich zweifle, ob Mrß. Long es thun wird; sie hat selbst zwei Nichten und ich kenne sie als eine eigennützige, heuchlerische Frau.«

»Auch ich möchte an ihrer Bereitwilligkeit zweifeln.« sagte Bennet, »und freue mich deshalb, daß Ihr diesen Liebesdienst nicht von ihr zu erbitten nöthig habt.«

Mrß. Bennet würdigte ihn keiner Antwort; doch unfähig ihren Unmuth länger zu verbergen, wandte sie sich zu Kitty, und rief –

»Ums Himmelswillen höre auf zu husten! Habe Erbarmen mit meinen Nerven. Du zerreißest sie in Stücken.«

»Kitty hat ihren Husten nicht gut gezogen,« sagte der Vater, »er kömmt immer zur Unzeit.«

»Ich huste nicht zu meinem Vergnügen,« erwiederte Kitty ärgerlich. »Lizzy, wann wird der nächste Ball sein?«

»Morgen über vierzehn Tage.«

»Ja, so ist es!« rief die Mutter, »und da Mrß. Long erst den Tag vorher zurückkommt, kann sie ihn freilich nicht bei uns einführen.«

»Dann, meine Liebe, steht Dir das Glück bevor, Herrn Bingley Deiner Freundin vorzustellen.«

»Unmöglich! rein unmöglich, wenn ich ihn selbst noch nicht kenne! Wie kannst Du mich so quälen?«

»Ich ehre Deine Vorsicht. Eine vierzehntägige Bekanntschaft ist allerdings sehr kurz, nicht hinreichend die Vorzüge und Fehler eines Mannes gründlich kennen zu lernen. Aber wenn wir es nicht wagen, thun es Andere; und Mrß. Long und ihre Nichten müssen es darauf ankommen lassen, von irgend einem andern Bekannten vorgestellt zu werden. Wenn Du ihr daher diesen Freundschaftsdienst abschlägst, bin ich entschlossen, ihr ihn selbst zu leisten.«

Die Töchter sahen ihren Vater voll Erstaunen an. Mrß. Bennet rief – »Unsinn! Unsinn!«

»Was soll dieser nachdrückliche Ausruf bedeuten?« fragte er. »Betrachtest Du den Gebrauch der Vorstellung und Einführung, und das Gewicht was darauf, gelegt wird, als Unsinn? Hierin stimme ich nicht ganz mit Dir überein. Was sagst Du dazu, Marie? denn ich weiß, Du bist eine junge Dame von tiefer Gelehrsamkeit, die in dicken Büchern liest und Auszüge daraus macht.«

Marie wünschte etwas sehr Verständiges zu sagen, wußte aber nicht was.

»Laßt uns, während Marie ihre Ideen ordnet, zu Herrn Bingley zurückkehren,« fuhr der Vater Fort.

»Ich mag nichts mehr von Herrn Bingley hören!« rief Mrß. Bennet.

»Das thut mir sehr leid. Ich wollte, ich hätte dieß früher gewußt, wenigstens diesen Morgen, bevor ich ihm meinen Besuch gemacht. Es ist mir wirklich höchst unangenehm: denn da dieser erste Schritt nun ein Mal geschehen ist, können wir eine nähere Bekanntschaft mit ihm nicht mehr vermeiden.«

Das Erstaunen der Damen war gerade, was er wünschte; Mrß. Bennet übertraf ihre Töchter noch darin; obgleich sie, nachdem der erste Tumult der Freude vorüber war, wiederholt versicherte, daß sie nichts anderes von ihm erwartet hätte.

»Nun, Kitty, kannst Du wieder husten, so viel es Dir gefällt,« sagte Bennet und verließ, ermüdet durch der Gattin laute Ausbrüche des Entzückens, das Zimmer.

»Kinder! welch einen vortrefflichen Vater habt Ihr!« rief die Mutter. »Ich weiß nicht, wie Ihr ihm diese Güte vergelten wollt, und auch mir: denn in unsern Jahren, müßt Ihr wissen, sind neue Bekanntschaften keine Freude mehr; und nur Eurentwegen entschließen wir uns dazu, wie zu manchen andern Dingen. Meine liebe Lydia! Du bist zwar die Jüngste, doch bezweifle ich nicht, daß Herr Bingley auf den nächsten Ball zuerst mit Dir tanzen wird.«

»O!« entgegnete Lydia stolz,« deshalb ist mir nicht bange. Denn bin ich gleich die Jüngste, so bin ich doch auch die Schlankeste Im Original betrachtet sie sich allerdings nur als die Größte (» tallest«)..«

Der Rest des Abends ward in Vermuthungen, wie bald Herr Bingley den Besuch erwiedern, und wie bald man ihn zum Mittagessen einladen könnte, hingebracht.

Drittes Capitel.

Weder Mrß. Bennets noch ihrer fünf Töchter Bemühungen waren im Stande, eine genauere Beschreibung des neuen Ankömmlings von Herrn Bennet zu erhalten. Sie versuchten es auf alle Weise, durch gerade Fragen, durch spitzfündige Voraussetzungen und hingeworfene Vermuthungen; aber er wußte allen Angriffen geschickt auszuweichen, so daß sie endlich genöthigt waren, sich mit dem Bericht aus der zweiten Hand, von ihrer Nachbarin Lady Lukas zu begnügen: Sir William war entzückt von dem neuen Nachbar; er beschrieb ihn als einen jungen, hübschen, sehr angenehmen Mann, und was allen Vorzügen die Krone aufsetzte, war die Nachricht, daß er versprochen, die nächste Gesellschaft mit einigen Freunden aus der Stadt zu besuchen. Nichts konnte erfreulicher sein!

»Wenn ich es nur erlebe, eine meiner Töchter glücklich in Netherfield etablirt zu sehen, und die andern ebenfalls gut verheirathet,« sagte Mrß. Bennet zu ihrem Gemahl, »so bleibt mir nichts mehr zu wünschen übrig.«

Nach einigen Tagen erwiederte Bingley Herrn Bennets Besuch und verweilte ungefähr zehn Minuten bei ihm in seinem Studirzimmer. Er hatte gehofft, die jungen Damen zu sehen, von deren Schönheit er bereits viel gehört, fand aber nur den Vater. Die Töchter waren etwas glücklicher gewesen; sie hatten ihn unbemerkt aus einem obern Fenster beobachtet und wenigstens so viel gesehen, daß er einen blauen Rock trug und ein dunkles Pferd ritt.

Bald darauf ward eine Einladung zum Mittagessen an ihn erlassen; und schon ordnete Mrß. Bennet im Geist die Schüsseln, welches ihre Kochkunst im glänzendsten Licht zeigen sollte, als er die Ehre ablehnte, weil Geschäffte ihn in die Stadt beriefen.

Mrß. Bennet war einiger Maaßen trostlos. Sie konnte nicht begreifen, welches Geschäfft ihn sobald nach seiner Ankunft in Hertfordshire in die Stadt zurückrufen sollte, und schon begann sie zu fürchten, daß er immer von einem Ort zum andern flattern, und nie so recht, wie sie es wünschte, in Netherfield ansäßig werden würde, als Lady Lukas sie durch die Nachricht beruhigte, daß er nur in der Absicht, eine Gesellschaft Freunde zur Verherrlichung des Balls abzuholen, nach London gegangen sei. Sehr bald verbreitete sich auch das Gerücht, daß Bingley zwölf Damen und sieben Herren aus der Stadt mitgebracht. Mrß. Bennet und ihre Töchter trauerten über die große Anzahl von Tänzerinnen, wurden jedoch Tages vor dem Ball durch die Nachricht getröstet, daß sich die Zahl bis auf sechs vermindert und bloß aus seinen fünf Schwestern und einer Cousine bestände. Und beim Eintreten in den Saal ergab sich, daß Bingley der Hauptstadt nur seine beiden Schwestern, den Mann der ältesten und noch einen andern jungen Herrn entführt hatte.

Bingley verband mit einem angenehmen Aeußern, und einem leichten gefälligen Wesen den Anstand eines Mannes von Welt. Seine Schwestern waren hübsch und trugen deutlich das Gepräge des neuesten, besten Geschmacks. Herr Hurst, sein Schwager, verrieth nur im Aeußern den Gentleman; aber sein Freund, Herr Darcy, zog sehr bald die Aufmerksamkeit aller Anwesenden durch seine schlanke, schöne Gestalt, durch seine edlen Züge und stolze Haltung auf sich, und wenige Minuten reichten hin, das Gerücht zu verbreiten, daß er unumschränkter Gebieter eines jährlichen Einkommens von zehntausend Pfund sei. Die Herrn erklärten ihn für einen schönen Mann, die Damen für noch interessanter als seinen Freund Bingley, und Alles zollte ihm Bewunderung. Doch nur eine kurze Zeit sollte er sich dieser Gunst erfreuen. Sein abstoßendes, hochmüthiges Betragen konnte nicht lange verborgen bleiben: und noch war der Ball nicht halb zu Ende, als man entdeckte, daß er über alle Begriffe stolz sei, sich viel zu gut für diese Gesellschaft dünke, und keinesweges die Absicht habe, Vergnügen in derselben zu finden. Und nach solchen Bemerkungen konnte ihn selbst sein großes Besitzthum in Derbyshire nicht mehr retten; man fand sein Aeußeres höchst unangenehm und zurückstoßend, gar nicht mit dem seines Freundes zu vergleichen. Dieser verstand die Kunst, sich sehr bald mit den Hauptpersonen der Gesellschaft bekannt zu machen; er war lebhaft und freimüthig, tanzte alle Tänze, klagte über die Kürze des Balls und versprach nächstens einen längern in Netherfield zu geben. Solche liebenswürdige Eigenschaften empfehlen sich selbst. Welch ein Unterschied zwischen ihm und seinem Freund. Darcy tanzte nur ein Mal mit Mrß. Hurst und ein Mal mit Miß Bingley, lehnte die Ehre, den andern Damen vorgestellt zu werden, ab, und brachte den übrigen Theil des Abends damit zu, im Saal auf und abzuschreiten, dann und wann ein Paar Worte mit einem von seiner Gesellschaft zu sprechen, oder stumm zu beobachten. Sein Charakter war leicht zu ergründen; man erkannte ihn für den stolzesten, unangenehmsten Mann von der Welt, und Jedermann hoffte, daß er nie wieder in diese Gesellschaft kommen würde. Am Heftigsten äußerte sich Mrß. Bennet, deren Mißfallen seines allgemeinen Betragens noch durch die Vernachläßigung einer ihrer Töchter zum besondern Groll gesteigert worden war. Elisabeth hatte wegen Mangel an Herren zwei Tänze unbeschäfftigt sitzen müssen, während Darcy ihr nahe genug gestanden, um folgendes Gespräch zwischen ihm und Bingley, der aus dem Tanz getreten war, ihn zur Nachfolge aufzumuntern, mit anzuhören.

»Komm Darcy, Du mußt tanzen. Es ist mir ein widerlicher Anblick, Dich so unbeschäfftigt stehen zu sehen. Warlich, Du thätest besser zu tanzen.«

»Ich will nicht. Du weißt ja, wie ich dieses Vergnügen verabscheue, wenn ich nicht genau mit meiner Tänzerin bekannt bin, und in dieser Gesellschaft würde es mir vollends unerträglich sein. Deine Schwestern sind engagirt, und übrigens finde ich im ganzen Ballsaal kein Gesicht, mit dem es mir nicht eine Strafe wäre zu tanzen.«

»Nun warlich!« rief Bingley – »nicht um ein Königreich möchte ich so wählerisch und eigensinnig sein! Ich kann auf Ehre versichern, noch nie so viele hübsche Mädchen beisammen gesehen zu haben, wie diesen Abend, und einige unter ihnen sind sogar schön zu nennen.«

»Du tanzst mit dem einzigen hübschen Mädchen im ganzen Saal,« sagte Darcy, Johannen durchs Glas betrachtend.

»O, meine Tänzerin ist das reizendste Geschöpf, das meine Augen je erblickt!« rief Bingley begeistert. »Aber sieh! Hier sitzt eine ihrer Schwestern, die auch recht hübsch ist und recht pikant dazu. Erlaube, daß ich meine Tänzerin bitte, Dich ihr vorzustellen.«

»Welche meinst Du?« fragte Darcy, indem er sich herumdrehte, Elisen einige Augenblicke unverwandt anstarrte, und sich dann wieder zu seinem Freund wendend, kalt erwiederte:

– »Sie ist leidlich, aber nicht hübsch genug, mich zu reizen. Auch bin ich gerade nicht aufgelegt, mich der übriggebliebenen jungen Damen anzunehmen. Du thätest indeß auf jeden Fall besser, zu Deiner Tänzerin zurückzukehren und Dich an ihrem Lächeln zu ergötzen, als Deine Zeit mit mir zu verschwenden.«

Bingley folgte seinem Rath. Darcy ging wieder auf und ab, und Elisabeth sah ihm mit nicht sehr wohlwollenden Empfindungen nach. Doch von Natur heiter und fröhlich, und alles Komische leicht auffassend, theilte sie ihren Schwestern und Freundinnen unter vielem Lachen das eben angehörte Gespräch mit.

Der Abend verstrich der ganzen Familie höchst angenehm. Mrß. Bennet hatte den Triumph gehabt, ihre älteste Tochter von der Netherfielder Gesellschaft sehr bewundert zu sehen. Bingley hatte zwei Mal mit ihr getanzt und seine Schwestern sie sehr ausgezeichnet. Johanne fühlte sich nicht minder dadurch geschmeichelt als ihre Mutter, äußerte ihre Freude jedoch auf eine ruhigere Weise. Elisabeth nahm den wärmsten Antheil an ihrer Schwester Sieg. Maria war Miß Bingley als das unterrichtetste junge Mädchen im ganzen Umkreis vorgestellt worden, und Catharine und Lydia hatten immer Tänzer gehabt! Was konnten sie auf einem Ball mehr verlangen! Sie kehrten daher sämmtlich in sehr guter Laune nach Longbourn, dem Dorfe, worin sie die hauptsächlichsten Bewohner waren, zurück und fanden Herrn Bennet noch auf. Bei einem guten Buch pflegte er gewöhnlich Zeit und Stunde zu vergessen, und Neugier über den Ausgang des heutigen, mit so hohen Erwartungen begonnenen Abends kam jetzt noch dazu, ihn wach zu erhalten. Er hatte gehofft, Mrß. Bennets vielversprechende Hoffnungen auf den Fremden getäuscht zu sehen, fand aber nun leider das Gegentheil.

»O mein lieber Bennet!« rief sie schon beim Eintreten ins Zimmer – »welch einen herrlichen Ball haben wir gehabt! Ich wünschte, Du wärst mit dort gewesen. Johanne ist bewundert worden, wie noch nie. Jedermann war entzückt von ihrer Schönheit, und Herr Bingley erklärte sie nicht allein für die Schönste im ganzen Saal, sondern tanzte auch zwei Mal mit ihr, was er mit keiner andern gethan. Zuerst forderte er Miß Lukas auf. Ich war einiger Maaßen ärgerlich darüber, sah aber bald, daß es weiter keine Bedeutung hatte. Wie könnte es auch! Hierauf sah er Johannen aufstehen und ihrem Tänzer durch den Saal folgen. Er war frappirt von ihrer Schönheit, erkundigte sich nach ihrem Namen, ließ sich ihr vorstellen und bat gleich um die beiden nächsten Tänze. Dann tanzte er die beiden Dritten mit Miß King, die beiden Vierten mit Marie Lukas, die beiden Fünften mit Johannen und die beiden Sechsten mit Lizzy.«

»Wenn er einiges Mitleid mit mir gehabt hätte,« rief Bennet ungeduldig aus, »würde er nicht halb so viel getanzt haben. Um Gotteswillen! erzähle mir nichts mehr von seinen Tänzerinnen! ich wollte, er hätte sich beim ersten Tanz den Fuß versprungen!«

»O,« fuhr Mrß. Bennet fort, »ich bin ganz entzückt von ihm. Er ist so hübsch, und seine Schwestern so liebenswürdig! In meinem Leben sah ich noch keine so eleganten Anzüge. Ich behaupte, Mrß. Hursts Besatzung am Kleide« –

Hier unterbrach sie der Gemahl abermals, und protestirte gegen alle Beschreibungen der Anzüge. Sie sah sich deshalb genöthigt, einen andern Zweig der Unterhaltung zu wählen, und berichtete mit großer Erbitterung und einiger Uebertreibung Herrn Darcy's empörende Rohheit.

»Aber Du kannst es glauben,« fuhr sie fort, »daß Lizzy nur dadurch gewinnt, einem solchen Geschmack nicht zuzusagen: denn er ist ein höchst unangenehmer, schrecklicher Mensch – nicht zum Ertragen stolz und hochmüthig. Er ging auf und ab mit einer Miene, als ob er der Vornehmste gewesen wäre. Nicht hübsch genug, um mit ihr zu tanzen! Es ist zu arg! Ich wollte, Du wärst dabei gewesen, um ihm gehörig darauf zu antworten. Ich verabscheue den Mann!«

Viertes Capitel.

Sobald Johanne und Elisabeth allein waren, sprach sich Erstere, die bis jetzt sehr vorsichtig in Bingley's Lob gewesen, freimüthig über seine liebenswürdigen Eigenschaften aus, und gestand, daß sie sich durch sein nochmaliges Engagement sehr geschmeichelt gefühlt, indem sie eine solche Auszeichnung nimmermehr erwartet hätte. Elisabeth dagegen versicherte, daß es nicht anders hätte kommen können, da sie unstreitig die Schönste in der ganzen Gesellschaft gewesen, und daher nothwendig seine Aufmerksamkeit auf sich hätte ziehen müssen. Uebrigens stimmte sie in sein Lob mit ein, und gab ihrer Schwester vollkommne Erlaubniß, ihn charmant und liebenswürdig zu finden.

Als Johanne nun aber auch Bingley's Schwestern erhob, ihre Unterhaltung anziehend, ihr Wesen gefällig und fein nannte und sich freute, Miß Bingley, welche einige Zeit in Netherfield bei ihrem Bruder zu leben gedachte, in der Nähe zu behalten und öfterer zu sehen; da konnte Elisabeth ihr unmöglich beistimmen. Sie beschuldigte Johannen, aus angebohrner Gutmüthigkeit blind gegen die Fehler und Thorheiten ihrer Nebenmenschen zu sein, überall nur Gutes zu sehen oder das Böse zum Guten zu wenden, und bewies ihr, daß das Benehmen beider Damen an diesem Abend keinesweges geeignet gewesen sei, sie zum Besten zu beurtheilen. Ihr Scharfsinn und richtiger Tackt hatte sie tiefern Blick in das Innere des Schwesternpaars thun lassen. Sie erkannte sie allerdings für hübsch, nicht ohne gute Laune, wenn sie sich gefielen, auch im Stande sehr angenehm zu sein, sobald sie Lust hatten; dabei aber auch stolz und hochmüthig.

In einer der ersten Pensionen der Hauptstadt erzogen, im Besitz eines Vermögens von 20000 Pfund, gewohnt noch etwas mehr zu verthun als sie hatten, und mit Menschen vom höchsten Rang umzugehen, war es ihnen denn freilich zur andern Natur geworden, hoch von sich selbst, und gering von ihren Nebenmenschen zu denken. Sie stammten von einer achtungswerthen Familie aus dem nördlichen England ab, welcher Umstand sich ihrem Gedächtniß tiefer eingeprägt hatte, als daß ihres Bruders Vermögen, so wie das Ihrige, durch den Handel erworben worden war.

Bingley hatte ein Vermögen von beinahe hunderttausend Pfund von seinem Vater geerbt, welcher immer die Absicht gehabt, sich ein Gut zu kaufen, aber noch vor Ausführung dieses Plans gestorben war. Denselben Entschluß hatte der Sohn nun zwar auch gefaßt, und zu diesem Zweck die Grafschaft, worin sein Vater gelebt, auserkohren; da er aber jetzt die Pachtung in Netherfield übernommen, zweifelten Alle, die ihn und seinen leichten Sinn kannten, daß es je dazu kommen würde.

Niemand betrübte sich hierüber mehr, als seine Schwestern, deren sehnlichster Wunsch es war, ihn als Gutsbesitzer zu sehen. Demohngeachtet bezeigte sich Miß Bingley auch jetzt nicht abgeneigt, die Honneurs in seinem Hause zu machen; und selbst Mrß. Hurst, deren Gemahl mehr Fashion als Vermögen besaß, beschloß Netherfield, falls ihr der Aufenthalt daselbst zusagen sollte, als ihr Eigenthum zu betrachten.

Durch eine zufällige Empfehlung veranlaßt, dieses Gut in Augenschein zu nehmen, hatte es bei dem jungen, raschen, kaum seit zwei Jahren mündig gewordenen Bingley nur einer halbstündigen Besichtigung bedurft, um ihn von den Vorzügen des Grundstückes, von der vortheilhaften Lage und den wohlerhaltenen Gebäuden zu überzeugen. Die Umgebungen gefielen ihm, Haus und Garten waren schön, und so pachtete er Netherfield ohne weitere Ueberlegung.

Zwischen ihm und Darcy bestand, trotz der großen Verschiedenheit ihrer Charaktere, eine innige Freundschaft. Darcy fühlte sich zu Bingley gezogen wegen seines freimüthigen, offnen, lenksamen Wesen, weil ihm diese Eigenschaften ganz abgingen; und Bingley hegte die größte Achtung vor seines Freundes Festigkeit, Verstand und richtigem Urtheil. In geistiger Hinsicht stand Darcy weit höher, obgleich es dem Andern keineswegs an Verstand fehlte. Dagegen gebührte Bingley'n der Vorzug im Betreff häuslicher und geselliger Tugenden. Darcy war stolz, hochmüthig und zurückhaltend, und sein Benehmen, wenn gleich das eines wohlgezogenen Mannes, hatte durchaus nichts Einnehmendes und stieß meistens ab. Bingley gewann alle Herzen, wo er sich zeigte, Darcy beleidigte stets.

Die Art und Weise, sich über die Meryton'sche Gesellschaft zu äußern, charakterisirte sie vollkommen. Bingley hatte nie angenehmere Leute und hübschere Mädchen gesehen; Jedermann war artig und zuvorkommend gegen ihn gewesen. Es hatte gar keine Förmlichkeit und Steifheit in der Gesellschaft geherrscht, so daß er sehr bald mit allen Anwesenden bekannt geworden – und Miß Bennet! Kein Engel konnte schöner sein, als sie! Darcy hingegen hatte eine Menge Menschen gesehen, die weder Anspruch auf Schönheit noch auf Fashion machen konnten; von denen Niemand geeignet gewesen war, ihm auch nur das geringste Interesse einzuflößen, und die ihm weder Vergnügen gemacht, noch Aufmerksamkeiten erwiesen hatten. Er gab zwar zu, daß Miß Bennet schon sei, tadelte aber, daß sie zu viel lächelte.

Miß Bingley und ihre Schwester stimmten seiner Meinung ganz bei, wagten jedoch, Johannen allerliebst, ihres Beifalls würdig zu finden und sie ein süßes Mädchen zu nennen. Miß Bennets Ruf als ein süßes Mädchen war daher gegründet, und Bingley fühlte sich durch diesen Ausspruch berechtigt, von ihr zu denken, wie es ihm beliebte.

Fünftes Capitel.

In geringer Entfernung von Longbourn wohnte eine Familie, mit welcher Bennets sehr vertraut waren. Sir William Lukas hatte früher als Kaufmann in Meryton gelebt, und sich als solcher ein bedeutendes Vermögen erworben. Auch würde er Stand und Aufenthalt wohl schwerlich verlassen haben, wenn er nicht während seiner Würde als Maire, in Folge einer dem Könige überreichten Addresse, in den Ritterstand erhoben worden wäre. Eine solche Auszeichnung war mehr als er ertragen konnte. Sie hatte ihm sein Geschäfft und das Leben in dem kleinen Marktstädtchen zuwider gemacht, weshalb er Beides aufgab, und mit seiner Familie ein Haus, ungefähr eine Meile von Meryton bezog, welches von diesem Augenblick an Lukas-Lodge genannt wurde. Hier konnte er ungestört über seine eigene Wichtigkeit nachdenken, und frei von den Lasten der Handelsgeschäffte seine Zeit einzig dem schönen Beruf, höflich gegen alle Welt zu sein, widmen. Denn wenn gleich im Rang erhöht, war er dennoch nicht anmaaßend geworden – im Gegentheil nur noch aufmerksamer gegen Jedermann. Von Natur harmlos, freundlich und verbindlich, hatte ihn seine Vorstellung am Hof nur noch geschmeidiger gemacht.

Lady Lukas war eine sehr gute Frau, nicht übermäßig sein, und hinsichtlich ihrer Denkungsart vollkommen würdig, Mrß. Bennets Nachbarin zu sein. Sie hatten mehrere Kinder, von denen das älteste, ein verständiges, braves Mädchen von 27 Jahren, Elisabeths vertraute Freundin war.

Es verstand sich von selbst, daß die jungen Damen am andern Morgen nothwendig zusammen kommen mußten, die Freuden des gestrigen Balls zu recapituliren; und so fanden sich denn die beiden Miß Lukas in Longbourn ein, um zu hören und zu erzählen.

»Liebe Charlotte,« begann Mrß. Bennet mit höflicher Selbstüberwindung – »Sie fingen den Abend gut an. Sie waren Herrn Bingley's erste Wahl.«

»Ja, aber er schien mehr Geschmack an der Zweiten zu finden.«

»Sie meinen wohl Johannen, weil er zwei Mal mit ihr getanzt. Ja, es hatte allerdings den Anschein, als ob sie einigen Eindruck auf ihn gemacht hätte. Ich vermuthe es, theils nach dem was ich gesehen, theils nach seinem Gespräch mit Herrn Robinson, was Sie gestern mit angehört und nachher die Güte hatten, mir mitzutheilen. Sagte er nicht, Miß Bennet wäre unbestritten die Schönste im ganzen Ballsaal?«

»So etwas Aehnliches. Auf jeden Fall war es belohnender, Ohrenzeuge seines Gesprächs zu sein, als Herrn Darcy's Unterhaltung mit anzuhören. Arme Elise! nur leidlich zu sein!«

»Ich hoffe, Lizzy hat sich nicht über sein unartiges Betragen geärgert: denn er ist so unaussprechlich fatal, daß es ein Unglück seyn würde, ihm zu gefallen. Mrß. Long erzählte mir gestern Abend, daß er eine halbe Stunde neben ihr gesessen, ohne auch nur ein einziges Wort zu sprechen.«

»Liebe Mutter, sollten Sie sich hierin nicht irren?« sagte Johanne. »Ich selbst sah Herrn Darcy mit ihr sprechen.«

»Ja, nachdem sie ihn gefragt, wie es ihm in Netherfield gefalle? und er eine Antwort nicht vermeiden konnte. Aber sie sagte, daß es ihm sehr ärgerlich gewesen, reden zu müssen.«

»Miß Bingley erzählte mir,« fuhr Johanne fort, »daß er immer nur mit seinen genauern Bekannten zu sprechen pflegte, in der Unterhaltung mit diesen aber sehr angenehm wäre.«

»Das glaube ich nimmermehr. Wenn er so außerordentlich angenehm sein kann, hätte er wohl auch mit Mrß. Long gesprochen. Aber ich kann mir die Sache allenfalls erklären. Er gilt allgemein für erschrecklich stolz, und da braucht er nur erfahren zu haben, daß Mrß. Long keine eigne Equipage hat, und in einem Miethwagen auf den Ball gekommen ist.«

»Es ist mir einerlei, ob er mit Mrß. Long gesprochen oder nicht,« sagte Miß Lukas; »aber ich wünschte, er hätte mit Elisen getanzt.«

»Und ich in Lizzy's Stelle,« sagte die Mutter, »würde ein andres Mal nun auch nicht mit ihm tanzen.«

»Dieses Versprechen glaube ich Ihnen geben zu können,« entgegnete Elisabeth ruhig.

»Sein Stolz,« fuhr Miß Lukas fort, »beleidigt mich weniger, als vieler andrer Menschen Stolz, weil er zu entschuldigen ist. Man darf sich nicht wundern, wenn ein junger, schöner Mann, aus guter Familie, reich, und im Besitz aller wünschenswerthen Dinge, eine hohe Meinung vor sich bekömmt. Er hat gewissermaaßen ein Recht, stolz zu sein.«

»Sehr wahr,« entgegnete Elisabeth – »und ich würde ihm auch seinen Stolz vergeben wenn er den meinigen nicht gekränkt hatte.«

Maria benutzte diese Gelegenheit, ihre Betrachtungen über die Ursachen und Wirkungen des Stolzes mit schönen Worten darzulegen, und da sich niemand aufgelegt fühlte, ihr zu widersprechen, endigte die Unterhaltung mit dem Aufbruch der Gäste.

Sechstes Capitel.

Die Damen von Longbourn säumten nicht lange, den weiblichen Bewohnern von Netherfield ihre Aufwartung zu machen, und der Besuch ward in aller Form erwiedert. Miß Bennets Anmuth übte fortwährend einen Zauber über die Herzen des Bingley'schen Schwesternpaars aus; und obgleich sie die Mutter unerträglich, und die jüngern Töchter nicht der Erwähnung werth fanden, sprachen sie doch den Wunsch, mit den beiden ältern Schwestern genauer bekannt zu werden, aus. Johanne freute sich dieser Auszeichnung, Elisabeth hingegen sah immer nur Stolz und Uebermuth in ihrem Benehmen gegen Andre, selbst gegen ihre Schwester, und konnte sich daher nicht recht mit ihnen befreunden. daß Bingley großes Wohlgefallen an Johannen fand, entging Elisens scharfem Blick nicht; eben so wenig aber such der Eindruck, den er auf der Schwester Herz gemacht. Letztere Entdeckung würde sie vielleicht beunruhigt haben, hauptsächlich aus Furcht, daß die Welt diese Neigung zu früh entdecken könnte; aber sie wußte, daß Johanne eine gewisse Ruhe des Gemüths, eine stets gleiche Heiterkeit mit aller Kraft der Empfindung verband, wodurch sie ihre Umgebung über ihr wahres Gefühl irre leiten, und sich gegen die Neckereien der Zudringlichen sicher stellen würde.

Mit der Beobachtung Bingley's und ihrer Schwester beschäfftigt, ahnete Elisabeth nicht, daß sie selbst im Begriff stand, einiges Interesse in den Augen seines hochmüthigen Freundes zu erlangen. Darcy hatte anfänglich kaum zugeben wollen, daß sie hübsch sei, und sich auf dem Ball geweigert, ihr auch nur die geringste. Höflichkeit zu erzeigen. Beim nächsten Zusammentreffen beobachtete er sie bloß in der Absicht, etwas zu tadeln an ihr zu finden; aber kaum hatte er sich selbst und seine Freundinnen davon überzeugt, daß auch nicht ein hübscher Zug in ihrem Gesicht zu entdecken sei, als er die Bemerkung machte, daß es dennoch durch den schönen Ausdruck der dunkeln Augen einen eignen Reiz erhalte. Dieser Entdeckung folgten noch mehrere Andre. Obgleich sein streng richtendes Auge ihre Gestalt den Regeln der vollkommnen Symmetrie nicht ganz entsprechend gefunden, mußte er sich doch selbst gestehen, daß sie leicht und gefällig sei und ihr Benehmen, wenn auch seinem eigenen Geständniß zu Folge, durchaus nicht fashionable, zog ihn doch durch eine gewisse liebenswürdige Unbefangenheit an. Von dieser Veränderung hatte sie indessen keine Ahnung; sie sah in ihm nur den Mann, der sich nirgends beliebt zu machen wußte, und dem sie nicht hübsch genug erschienen war, um mit ihr zu tanzen.

Nach und nach regte sich der Wunsch in ihm, etwas mehr von ihr zu erfahren, und als ersten Schritt zur Unterhaltung mit ihr selbst begann er ihren Gesprächen mit andern ein aufmerksames Ohr zu leihen. Sie machte diese Bemerkung zuerst in einer großen Gesellschaft bei Sir William Lukas und sagte zu Charlotten –

»Was will Herr Darcy damit sagen, daß er meine Unterhaltung mit Oberst Forster belauscht?«

»Das ist eine Frage, die Herr Darcy allein tu beantworten im Stande ist.«

»Aber wenn er es noch öfterer thut, werde ich ihm zu verstehen geben, daß ich seine Absichten durchschaue. Er hat einen so spöttischen Blick, daß ich anfangen muß, mich entweder vor ihm zu fürchten, oder meinerseits auch impertinent zu werden.«

Indem näherte sich Darcy den Sprechenden, anscheinend nicht in der Absicht, selbst Theil an dem Gespräch zu nehmen. Miß Lukas forderte ihre Freundin durch Blicke und Worte auf, ihren Vorsatz auszuführen, und Elisabeth wandte sich rasch zu ihm mit den Frage –

»Herr Darcy, haben Sie nicht gefunden, daß ich mich ungemein wohl ausgedrückt, als ich den Oberst Forster gebeten, uns einen Ball in Meryton zu geben?«

»Mit vieler Energie; – aber es ist freilich ein Gegenstand, der alle junge Damen energisch zu machen pflegt.«

»Sie verfahren sehr streng gegen uns.«

»Die Reihe gebeten zu werden, wird nun an Dich kommen,« sagte Miß Lukas. »Ich mache jetzt das Instrument auf und dann weißt Du, Elise, was darauf folgt.«

»Du bist eine sonderbare Freundin! Immer forderst Du mich auf, vor aller Welt zu singen und zu spielen. Wenn meine Eitelkeit eine musikalische Richtung genommen hätte, würdest Du mir unschätzbar sein; da dieß aber nicht der Fall ist, weiß ich es Dir keinen Dank, daß Du mich veranlaßt, mein Licht vor einem Publikum leuchten zu lassen, das an die besten Künstler gewöhnt ist.«

Als Miß Lukas aber dem ohngeachtet fort fuhr, sie mit Bitten zu bestürmen, sagte sie »Nun wohl! wenn es sein muß, soll es geschehen,« und einen ernsten Seitenblick auf Darcy werfend, fuhr sie fort – »Es giebt ein alter Sprichwort, was einem Jeden unter uns bekannt sein wird. Es heißt: Spar deinen Athem, deine Suppe damit zu blasen. Und ich will den meinigen sparen, damit ich singen kann.«

Ihr Gesang war angenehm, jedoch keineswegs vortrefflich. Nachdem sie ein Paar Lieder gesungen, und ehe sie noch auf die an sie ergangenen Bitten, mehr zu singen, antworten konnte, hatte Marie Platz am Instrument genommen. Sie war sich bewußt, ihre Schwestern in der edlen Tonkunst, so wie in allen andern schulmeisterischen Beschäfftigungen weit zu übertreffen; und da sie in der That ihre ganze Zeit an die Ausbildung solcher Talente wendete, ergriff sie nun auch freudig jede Gelegenheit, damit zu glänzen. Zur Musik fehlte es ihr an Talent und Geschmack; und nur der Eitelkeit verdankte sie einige Fertigkeit, die aber mit so viel Pedanterie und Affektation vermischt war, daß sie einen noch höhern Grad von Vollkommenheit unangenehm gemacht haben würden. Elisens leichter und ungezwungener Manier war mehr Aufmerksamkeit gezollt worden, obgleich sie nicht halb so fertig spielte; und Maria mußte am Schluß eines langen Concerts noch froh sein, Lob und Dank für einige schottische und irländische Lieder einzuärndten, wornach ihre jüngern Schwestern nebst einigen andern jungen Damen und mehreren Officieren am entgegengesetzten Ende des Zimmers tanzten.

Schweigerd, voll Unwillen über diese Art und Weise, den Abend zuzubringen, über das Ausschließen aller Conversation, stand Darcy, in Betrachtung der verschiedenen Gruppen verloren, und bemerkte nicht, daß Sir William zu ihm getreten, bis dieser ihn anredete. – »Für Junge Leute giebt es doch keine charmantere Unterhaltung, als den Tanz; ich betrachte ihn als eine der wesentlichsten Verbesserungen der feinern, höhern Cirkel. Sie nicht auch, Herr Darcy?«

»Gewiß, Sir! und er hat nebenbei den Vorzug, auch in den wenigst verfeinerten Gesellschaften der Welt sein Glück zu machen. Jeder Wilde kann tanzen!« Sir William lächelte. »Ihr Freund tanzt vortrefflich,« fuhr er nach einer Pause fort, als er Bingley in die Reihen treten sah – »und ich zweifle nicht, daß auch Sie, Herr Darcy! Meister in dieser Kunst sind.«

»Ich glaube, Sir, Sie sahen mich in Meryton tanzen.«

»Allerdings, und erfreute mich dieses Anblicks. Tanzen Sie oft in St. James?«

»Nein, Sir!«

»Ich sollte meinen, es wäre dieß ein diesem Ort angemessenes Compliment.«

»Es ist ein Compliment, was ich keinem Ort erzeige, wenn ich es vermeiden kann.«

»Sie besitzen vermuthlich ein eignes Haus in der Stadt?«

Darcy bejahte durch eine schweigende Verbeugung.

»Ich hatte einst auch die Idee, mich in der Stadt, niederzulassen, hauptsächlich der guten Gesellschaft wegen; doch gab ich den Gedanken nachher wieder auf, aus Furcht die Luft in London möchte Lady Lukas nicht zusagen.«

Er schwieg in Erwartung einer Antwort. Darcy fühlte sich jedoch nicht aufgelegt, sie zu geben, und als Elisabeth in diesem Augenblick zufällig in seine Nähe kam, erfaßte ihn der Drang, eine Galanterie auszuüben.

»Warum tanzen Sie nicht, liebste Miß Elise?« rief er ihr zu. »Herr Darcy, erlauben Sie mir, Ihnen diese junge Dame als eine vorzügliche Tänzerin zu präsentiren. Einer solchen Schönheit gegenüber können Sie es nicht abschlagen, ein Mal zu tanzen.« – Hiermit ergriff er ihre Hand, sie in Darcy's, zu legen, der, obgleich ungemein erstaunt, dennoch nicht abgeneigt war, sie anzunehmen, als Elisabeth, sich rasch zurückziehend, sich mit einigem Unmuth zu Sir William wendete –

»Sir! es war keineswegs meine Absicht zu tanzen und ich muß Sie sehr bitten, von der irrigen Meinung, als ob ich mich nach einem Tänzer umgesehen, zurück zu kommen.«

Darcy ersuchte sie mit vielem Anstand um die Ehre ihrer Hand; aber vergebens. Elisabeth beharrte fest auf ihrem Entschluß, trotz Sir Williams dringenden Bitten und seiner Versicherung, daß Herr Darcy, obgleich im Allgemeinen kein Liebhaber des Tanzes, jetzt doch erbötig sei, seine Abneigung auf kurze Zeit zu überwinden.

»Herr Darcy ist die Höflichkeit selbst,« entgegnete Elise schalkhaft lächelnd und entfernte sich. Ihre Weigerung hatte den stolzen Mann nicht beleidigt, und er gedachte ihrer eben mit großem Wohlgefallen, als er sich durch Miß Bingley gestört sah.

»Ich glaube den Gegenstand Ihrer Betrachtungen errathen zu können.«

»Das möchte ich fast bezweifeln.«

»Sie denken darüber nach, wie unerträglich es Ihnen sein würde, noch mehrere Abende auf solche Weise, in solcher Gesellschaft zubringen zu müssen. Und ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich fühlte mich noch nie so wenig an meinem Platz. Welch ein Lärm und welch eine abgeschmackte Unterhaltung! Ueberall nichts, und doch ein unerhörtes Wichtigthun! Ich gäbe was drum, Ihr Urtheil über dieses alles zu hören.«

»Ihre Vermuthungen sind ganz falsch; mein Gemüth war auf das Angenehmste beschäfftigt. Ich stellte nämlich Betrachtungen über die Wirkungen an, die ein Paar schöne Augen nothwendig in uns hervorbringen müssen.«

Miß Bingley verwunderte sich und äußerte den Wunsch, den Gegenstand solcher tiefen Betrachtungen genauer bezeichnet zu hören, worauf Darcy mit großer Unerschrockenheit erwiederte – »Miß Elisabeth Bennet.«

»Miß Elisabeth Bennet! Ich bin erstaunt. Darf ich fragen, wie lange sie das Glück hat, zu Ihren Lieblingen zu gehören? und welchen Tag Sie zur Annahme der Gratulationen bestimmt haben?«

»Diese Frage konnte ich mir von Ihnen erwarten. Die Einbildungskraft der Damen liebt den rascher Flug; sie bedarf nur weniger Augenblicke, um von der Bewundrung zur Liebe, und von der Liebe zur Heirath überzugehen. Ich wußte, daß Sie mir Glück wünschen würden.«

»Nein, wenn sie die Sache so ernsthaft behandeln, werde ich sie als völlig abgeschlossen betrachten müssen. Sie bekommen eine allerliebste Schwiegermutter, die natürlich immer bei Ihnen in Pemberley leben wird – auch dazu muß man Ihnen Glück wünschen.«

Darcy hörte ihr mit der höchsten Gleichgültigkeit zu, als sie in dieser Art noch eine Zeitlang fort fuhr; und da diese Ruhe sie überzeugte; daß sie nichts zu fürchten habe, ließ sie ihrem Witz freien Lauf.

Siebentes Capitel.

Herrn Bennets ganzes Vermögen bestand in einer jährlichen Einnahme von zweitausend Pfund, den Ertrag eines Guts, welches unglücklicher Weise für seine fünf Tochter, in Ermangelung männlicher Erben, nach seinem Tode an einen entfernten Verwandten fiel; und der Mutter Vermögen, für ihre Verhältnisse zwar nicht unbedeutend, war jedoch nicht hinreichend, den Mangel des Seinigen zu ersetzen. Ihr Vater, ein Advokat in Meryton, hatte ihr viertausend Pfund hinterlassen; ihre Schwester, an einen Herrn Philips verheirathet, der früher Schreiber bei ihrem Vater gewesen, späterhin in sein Geschäfft eingetreten war, lebte nun daselbst und ihr einziger Bruder hatte sich als Kaufmann in London etablirt,

Das Dorf Longbourn war nur eine Meile von Meryton entfernt, und diese geringe Distanz veranlaßte die jungen Damen, wenigstens drei bis vier Mal die Woche einen Besuch bei ihrer Tante Philips, und in einem ihrem Hause gegenüberliegenden Kaufladen, abzustatten. Besonders die beiden jüngsten Töchter, Katharine und Lydia versäumten nie, ihr diese Aufmerksamkeit zu erweisen. Nicht aufgelegt, sich mit etwas Ernstem, Nützlichem zu beschäfftigen, viel leichtsinniger wie ihre ältern Schwestern, gehörte ein Spaziergang nach Meryton, in Ermanglung etwas Bessern, dazu, ihre müßigen Morgenstunden auszufüllen und ihnen Stoff zur Unterhaltung für den Abend zu gewähren. Und fiel im Ganzen auch nicht viel Neues auf dem Lande vor, so waren sie doch sicher, das Wenige von ihrer Tante zu erfahren. Im gegenwärtigen Augenblick eröffnete sich ihnen indeß eine reiche Aussicht für Neuigkeiten und Vergnügungen, indem ein Regiment Landwehr für den ganzen Winker in die umliegende Gegend verlegt, und Meryton zum Hauptquartier ernannt worden war. Nun erst gewährten die Besuche bei Mrß. Philips großes Interesse. Jeder Tag fügte etwas zu ihrer Kenntniß der Namen und Verhältnisse der Officiere hinzu; die Wohnungen derselben blieben ihnen nicht lange ein Geheimniß und sehr bald lernten sie die Officiere selbst kennen. Herr Philips hatte nicht ermangelt, denselben seine Aufwartung zu machen, welche Höflichkeit seinen Nichten eine Quelle bis jetzt noch nicht geahneter Seligkeit eröffnete. Sie sprachen von nichts als von den Officieren; und Bingley's großes Vermögen, bei dessen bloßer Erwähnung die Mutter sich begeistert fühlte, erschien ihnen, im Vergleich mit einer Fähndrichsuniform, als ein unbedeutender Gegenstand.

Nachdem Herr Bennet eines Morgens ihre entzückten Ausbrüche über dieses Lieblingsthema einige Zeit mit angehört hatte, sagte er kaltblütig –

»Nach der Art und dem Gegenstand Eurer Unterhaltung zu urtheilen, müßt Ihr die beiden albernsten, einfältigsten Mädchen im ganzen Umkreise sein. Ich habe solche Vermuthung längst schon im Stillen gehegt, bin aber nun zur vollkommenen Ueberzeugung gelangt.«

Katharine wurde verlegen und schwieg; Lydia aber fuhr fort, ihr Wohlgefallen an Capitain Carter an den Tag zu legen, so wie die Hoffnung, ihn im Lauf des heutigen Tages noch ein Mal zu sehen, da er den andern Morgen nach London reisen wollte.

»Es setzt mich in Erstaunen,« begann: Mrß. Bennet, zu ihrem Gatten gewendet, »daß Du so bereit bist, Deine Kinder einfältig zu nennen. Ich muß gestehen, wenn ich geneigt wäre, irgend Jemands Kinder dafür zu halten, so wären es doch am wenigsten meine eigenen.«

»Ich hoffe immer ein offnes Auge für die Albernheiten meiner Kinder zu behalten.«

»Sehr wohl, aber wenn sie nun, wie es hier der Fall ist, alle verständig sind?«

»Und wenn ich auch bis jetzt gehofft, in allen Hauptsachen Deiner Meinung beitreten zu können, so muß ich doch nun mit Bedauern bemerken, daß unsre Ansichten in diesem Punkt differiren, indem ich unsre beiden jüngsten Töchter, für ungewöhnlich thöricht erkläre.«

»Liebster Bennet! Du darfst von solchen jungen Dingern nicht die Einsicht des Vaters und der Mutter verlangen. Wenn sie erst in unser Alter kommen, werden sie eben so wenig an die Officiere denken wie wir. Ich erinnere mich der Zeiten, wo auch mir ein Rothrock sehr wohl gefiel, und wenn ein muntrer junger Oberst mit fünf oder sechstausend des Jahres eine meiner Töchter verlangen sollte, würde ich nicht nein sagen. Oberst Forster nahm sich gestern Abend bei Sir William sehr hübsch in der Uniform aus.«

»Mama!« rief Lydia – »Tante Philips erzählte mir gestern, daß Oberst Forster und Capitain Forster nicht mehr so oft zu Miß Watson gingen, wie im Anfang ihres Hierseins; sie sieht sie jetzt häufig in Clarke's Buchladen.«

Mrß. Bennets Antwort ward durch den Eintritt eines Bedienten aus Netherfield unterbrochen. Er brachte ein Billet von Miß Bingley an Miß Bennet, und sollte Antwort zurückbringen. Der Mutter Augen glänzten vor Freude und Erwartung, und auf ihre wiederholten Fragen las Johanne wie folgt –

»Liebste Freundin!

Wenn Sie unsere Bitte, heute Mittag mit mir und Louisen zu essen, nicht erfüllen, gerathen wir in Gefahr, uns das ganze übrige Leben hindurch anfeinden zu müssen; denn ein zwölfstündiges tête à tête zwischen zwei Schwestern kann nur mit Streit endigen. Kommen Sie daher gleich nach Empfang dieser Zeilen. Mein Bruder und die andern Herrn essen in Meryton mit den Officieren.

Ergebenste

Caroline Bingley.«

»Mit den Officieren!« rief Lydia, »es wundert mich, daß die Tante uns nichts davon gesagt hat.«

»Die Herren essen nicht zu Hause! Das ist Schade!« bemerkte. Mrß. Bennet.

»Kann ich den Wagen bekommen?« fragte Johanne.

»Nein, Kind! es ist besser, Du reitest, weil es regnicht aussieht und Du dann nicht wieder zurück kannst.«

»Ein feiner Plan!« rief Elisabeth – »Als ob Johanne nicht darauf rechnen könnte, daß sie sie nach Hause fahren lassen würden.«

»Das geht nicht so leicht; die Herrn nehmen wahrscheinlich Bingley's Equipage nach Meryton, und Hursts haben keine eigenen Pferde.«

»Ich hätte lieber den Wagen.«

»Aber Du kannst ihn nicht bekommen, weil die Pferde auf dem Felde sind.«

Johanne mußte sich also zum Reiten bequemen und die Mutter begleitete sie, unter steten Prophezeihungen baldigen schlechten Wetters, bis an die Thür; und wirklich war sie auch kaum eine Viertelstunde fort, als es stark zu regnen begann. Die Schwestern äußerten sich besorgt wegen ihrer Gesundheit; aber die Mutter freute sich ihres glücklichen Einfalls, besonders als der Regen ununterbrochen anhielt und Johannens Zurückkommen unmöglich machte. Doch erst am andern Morgen sollte sie erfahren, wie über alle Erwartung gut ihre List gelungen war. Die Familie saß eben beim Frühstück, als ein Bote aus Netherfield Elisen folgende Zeilen von ihrer Schwester brachte:

»Liebste Lizzy!

Ich befinde mich diesen Morgen sehr unwohl, wahrscheinlich in Folge der gestrigen Erkältung. Meine gütigen Freundinnen wollen mich nicht zurücklassen, bis ich vollkommen hergestellt bin, und bestehen darauf, Herrn Jonas kommen zu lassen; deshalb beunruhige Dich nicht, falls Du hören solltest, daß er bei mir gewesen. Ich leide an Kopfschmerzen und bösem Hals, sonst fehlt nichts

Deiner Johanne.«

»Vortrefflich eingerichtet!« sagte Bennet, nachdem Elise das Billet vorgelesen, zu seiner Frau. »Wenn Johanne nun gefährlich krank werden, oder gar sterben sollte, so hast Du doch die Beruhigung, daß dieser aberwitzige Ritt wegen Bingley, und auf Deinen Befehl unternommen worden ist.«

»Man stirbt nicht gleich an einer kleinen Erkältung. Sie werden sie schon pflegen, und dort ist sie auf jeden Fall gut aufgehoben. Wenn ich nur den Wagen haben könnte, wollte ich selbst nach ihr sehen.«

Elisabeth war wirklich sehr besorgt und deshalb entschlossen, die Schwester auch ohne Wagen zu besuchen; und da sie keine große Reiterin war, mußte der Weg zu Fuß zurückgelegt werden.

»Wie kannst Du so thöricht sein, bei solchem Schmutz gehen zu wollen!« rief die Mutter, nachdem Elise ihren Vorsatz ausgesprochen. »Du würdest ja in einem Zustand ankommen, daß Du Dich nicht sehen lassen könntest.«

»Vor Johannen werde ich mich auf jeden Fall sehen lassen können, und weiter verlange ich nichts.«

»Lizzy, ist dieß ein Wink für mich, nach den Pferden zu schicken?« fragte der Vater.

»Keineswegs! ich gehe sehr gern zu Fuß, und drei Meilen ist eine unbedeutende Entfernung, wenn man einen Zweck hat. Zu Mittag bin ich wieder zurück.«

»Ich bewundere Deine Bereitwilligkeit,« bemerkte Maria – »doch jeder Impuls des Gefühls sollte durch die Vernunft geleitet werden, und nach meiner Meinung muß die Anstrengung doch immer in einer gewissen Uebereinstimmung mit der Veranlassung stehen.«

»Wir wollen Dich bis Meryton begleiten,« sagten Katharine und Lydia, und letztere fügte noch hinzu – »wenn wir eilen, können wir Capitain Carter vielleicht noch sehen, ehe er abreist.«

Und somit begaben sie sich gleich auf den Weg.

In Meryton trennte sich die kleine Gesellschaft; die jüngern Schwestern suchten die Frau eines Officiers auf, und Elise setzte eiligen Schritts ihren Weg fort. Mit ungeduldiger Hast durchstrich sie Feld und Wald, sprang über Gräben und Pfützen, und fand sich bald, mit beschmutzten Schuhen, Strümpfen und Unterrock und mit hochglühenden Wangen vor dem Hause.

Man wies sie ins Frühstückszimmer; die ganze Gesellschaft bis auf Johanne war hier versammelt und staunte über ihre Erscheinung. daß sie so früh am Morgen drei Meilen, allein, bei so schmutzigem Weg zurückgelegt haben sollte, erschien Mrß. Hurst und Miß Bingley fast unglaublich, und Elisen entging es nicht, daß sie deshalb etwas verächtlich auf sie herabblickten; doch war ihr Empfang sehr höflich, und in des Bruders Betragen sprach sich etwas Besseres als bloße Höflichkeit, Gutmüthigkeit und Theilnahme aus. Herr Darcy sagte sehr wenig und Herr Hurst gar nichts. Ersterer kämpfte zwischen Bewundrung ihrer, durch die Bewegung in freier Luft erhöhten Reize und Unwillen, sich ohne die äußerste Noth so weit allein hinausgewagt zu haben. Letzterer war bloß mit seinem Frühstück beschäfftigt.

Auf ihre Fragen nach Johannens Befinden erhielt sie keine günstige Antwort. Sie hatte schlecht geschlafen, war jetzt zwar außer Bette, aber in einem fieberhaften Zustand und nicht wohl genug, das Zimmer zu verlassen. Elisabeth eilte zu ihr hinauf und fand sich für die Beschwerden des weiten Wegs reichlich durch Johannens Freude belohnt; denn nur aus Furcht, den Ihrigen Sorge zu machen, hatte sie das Verlangen nach der Schwester nicht ausgesprochen. Nachdem die ersten Freudensbezeugungen vorüber waren, fühlte sich Johanne sehr matt, und konnte der allein zurückgebliebenen Elise nur mit schwacher Stimme die außerordentliche Güte und Freundlichkeit ihrer Wirthinnen rühmen.

Nach aufgehobenem Frühstück fanden sich diese wieder bei der Kranken ein, und als Elise nun selbst sah, wie sorgsam und liebevoll sie um ihre Schwester bemüht waren, begannen mildere Gesinnungen dem frühern Widerwillen Platz zu machen. Der Arzt kam, fand die Patientin von einem Erkältungsfieber befallen, verordnete Arznei und Ruhe, und rieth ihr, sich wieder zu Bett zu legen, da sie an heftigen Kopfschmerzen litt. Elisabeth verließ das Krankenzimmer keinen Augenblick, und auch die andern Damen entfernten sich nur selten, da die Herrn abwesend waren, und sie also unten nichts zu versäumen hatten.

Um drei Uhr machte sich Elisabeth mit innerm Widerstreben zum Aufbruch bereit. Miß Bingley bot ihr höflich den Wagen an, den sie anzunehmen eben im Begriff stand, als Johanne ihr Bedauern, sich von der Schwester zu trennen, so laut äußerte, daß sich Miß Bingley genöthigt sah, das Anerbieten, sie zurückfahren zu lassen, in die Einladung, fürs Erste in Netherfield zu bleiben zu verwandeln. Elisabeth nahm sie dankbar an und ein Bote ward, augenblicklich nach Longbourn gesandt, ihr Ausbleiben zu melden, und die nothwendigsten Kleidungsstücke mit zurück zu bringen.

Achtes Capitel.

Um fünf Uhr entfernten sich die Damen, Toilette zu machen, und einige Zeit darauf ward Elisabeth zum Mittagsessen gerufen. Bingley's Besorgniß über Johannens Befinden konnte sie durch ihre Berichte nicht vermindern; der Zustand war noch derselbe wie am Morgen. Die Schwestern wiederholten einige Mal, wie sehr sie sie bedauerten, wie unerträglich eine Erkältung sei, wie ungern sie selbst krank wären und dann dachten sie nicht mehr daran. Elisabeth sah jetzt deutlich, daß nur Johannens unmittelbare Nähe ihre Freundlichkeit und Theilnahme zu erregen im Stande war, und diese Bemerkung berechtigte sie, zum frühern Urtheil zurück zu kehren. Der Bruder war der Einzige in der ganzen Gesellschaft, den sie mit wohlwollenden Blicken betrachtete. Seine Angst um Johannen war augenscheinlich, und die zarten Aufmerksamkeiten, die er ihr bei jeder Gelegenheit zu beweisen strebte, drängten das unangenehme Gefühl, sich als eine Ueberlästige zu betrachten, (wofür sie die andern unfehlbar hielten) einiger Maaßen wieder zurück. Von ihm allein sah sie sich bemerkt. Miß Bingley und ihre Schwestern waren mit Darcy beschäfftigt; Hurst, ihr Tischnachbar, ein indolenter Mensch, der nur essen, trinken und Karte spielen konnte, wußte nichts mit ihr zu sprechen, nachdem er gesehen, daß sie einer einfachen Schüssel den Vorzug vor einem köstlichen Ragout gegeben.

Nach dem Essen kehrte sie gleich zu Johannen zurück und Miß Bingley benutzte ihre Abwesenheit, um schonungslos über sie herzufallen. Sie nannte ihr Benehmen roh und ungebildet, ihr Wesen halb stolz, halb impertinent; sie sprach ihr die Gabe der Unterhaltung ganz ab, und fand, daß sie weder Ausdruck, Geschmack noch Schönheit besitze. Mrß. Hurst war derselben Meinung und fügte noch hinzu –

»Kurz, sie hat nichts Empfehlendes als den Vorzug, eine vortreffliche Fußgängerin zu sein. Ich werde ihren Aufzug von diesem Morgen nie vergessen. Sie sah ordentlich wild aus.«

»Das fand ich auch und hatte Mühe, mich der Lachens zu erwehren. Wahrer Unsinn, so weit daher zu laufen, weil ihre Schwester sich erkältet hat! Und wie zerzaußt und chiffonirt waren ihre Haare!«

»Ja, und ihr Unterrock! ich hoffe, Du sahst die sechs Zoll lange Schmutzkante daran. Das Kleid war nicht lang genug, diesen Makel zu verdecken.«

»Deine Beschreibung mag allerdings sehr treu sein, liebe Louise!« sagte Bingley – »aber alle diese Dinge sind an mir vorüber gegangen. Ich fand Miß Elisabeth Bennet ungewöhnlich hübsch aussehend, als sie diesen Morgen ins Zimmer trat. Ihr schmutziger Unterrock entging meinen Blicken gänzlich.«

» Sie bemerkten ihn gewiß, Herr Darcy!« sagte Miß Bingley – »ich bin überzeugt, Sie werden nie wünschen, Ihre Schwester so auftreten zu sehen.«

»Gewiß nicht.«.

»Drei Meilen, oder gar vier oder fünf Meilen bis an die Knöchel im Schmutz zu gehen, und allein, ganz allein! Was kann sie sich nur dabei gedacht haben? In diesem Betragen spricht sich eine unerträgliche Art erkünstelter Gleichgültigkeit, eine wahrhaft dorfmäßige Verachtung des Dekorums aus.«

»Ich sah darin nur eine aufopfernde Liebe für ihre Schwester,« entgegnete Bingley,

»Herr Darcy, fast muß ich befürchten, daß dieses Abentheuer Ihrer Bewundrung der schönen Augen Miß Bennets Schaden gethan.«

»Keineswegs. Ich fand sie im Gegentheil noch schöner und lebendiger durch den raschen Gang.« –

Es erfolgte eine kleine Pause.

»Ich fühle mich sehr zu Johannen gezogen,« begann Miß Hurst wieder – »sie ist wirklich ein liebes, gutes Mädchen, und ich wünsche von Herzen, sie anständig versorgt zu sehen. Doch bei solchen Eltern und solcher gemeinen Verwandscht ist die Aussicht hierzu sehr gering.«

»Ich meinte von Dir gehört zu haben, daß ihr Onkel als Advokat in Meryton lebt,« sagte Bingley,

»Ja, und sie haben noch einen Onkel, der irgendwo in der Nähe von Cheapside wohnt.«

»Das ist göttlich!« rief die Schwester und Beide lachten laut auf.

»Und wenn sie der Onkels so viele hätten, ganz Cheapside damit zu bevölkern,« sagte Bingley – »so macht dieser Umstand Johannen auch nicht um ein Tüttelchen weniger liebenswürdig.«

»Aber er trägt doch dazu bei, ihre Aussicht auf eine Verbindung mit einem Mann von Ansehen und Bedeutung zu verringern,« bemerkte Darcy.

Bingley schwieg; seine Schwestern hingegen stimmten ihm von ganzem Herzen bei und erschöpften sich in Witz und Spott über die gemeine Verwandscht ihrer lieben Freundin. Dieser kleine Angriff hinter ihrem Rüden hinderte sie jedoch nicht, nach dem Essen mit erneuerter Zärtlichkeit zu Johannen zurück zu kehren, und bei ihr zu bleiben, bis sie zum Caffee gerufen wurden. Die Kranke befand sich fortwährend sehr leidend, und Elisabeth verließ sie nicht eher, bis sie, am Abend in einen sanften Schlaf gefallen, ihren Beistand entbehren konnte. Nun erforderte die Höflichkeit, herunter zu kommen. Sie fand die Gesellschaft am Spieltisch beschäfftigt und ward sogleich aufgefordert, Theil daran zu nehmen; doch in der Voraussetzung eines hohen, ihre Kasse übersteigenden Spiels lehnte sie es, unter dem Vorwand, wegen ihrer Schwester nicht lange unten verweilen zu können, ab und versicherte, sich die Zeit mit einem Buch vertreiben zu wollen. Hurst sah sie mit nicht geringem Erstaunen an und fragte –

»Ziehen Sie wirklich das Lesen dem Kartenspiel vor? Das wäre doch in der That höchst sonderbar.«

»Miß Elise Bennet,« nahm Caroline das Wort, »verachtet die Karten. Sie ist eine große Freundin der Lektüre und findet nur an Büchern Freude.«

»Ich verdiene weder dieses Lob, noch diesen Tadel, indem ich keine eifrige Leserin bin, und noch an manchen andern Dingen Freude finde.«

»Zum Beispiel an dem süßen Geschäfft, Ihre liebe Schwester zu pflegen, was hoffentlich nun bald durch Miß Bennets völlige Herstellung beendigt sein wird,« sagte Bingley.

Elise dankte ihm für diesen Wunsch und trat an den Tisch, sich ein Buch auszusuchen. Er erbot sich, ihr noch einige andere zur Auswahl zu holen, und bedauerte, ihrentwegen keine größere Sammlung zu besitzen. »Für mich,« fügte er hinzu, »ist sie vollkommen groß genug, denn ich bin ein fauler Mensch und muß gestehen, diese wenigen noch nicht alle gelesen zu haben.«

Elisabeth versicherte, ein passendes gefunden zu haben, und setzte sich in einiger Entfernung von dem Spieltisch damit hin.

Miß Bingley benutzte diese Gelegenheit, Darcy's herrlicher und vollständiger Büchersammlung in Pemberley zu erwähnen, und ihm viel Schmeichelhaftes über seinen ästhetischen Sinn so wie über seinen Geschmack zu sagen. Sie pries Pemberley als das Paradies von Derbyshire, und forderte ihren Bruder auf, sich in dieser Gegend anzukaufen, und des Freundes Besitzthum als Modell zu nehmen.

Elisabeths Aufmerksamkeit ward durch den Gegenstand der Unterhaltung so sehr in Anspruch genommen, daß sie nicht im Zusammenhang bleiben konnte; deshalb legte sie ihr Buch bei Seite und setzte sich zwischen Bingley und seiner ältesten Schwester an den Spieltisch, das Spiel zu beobachten:

»Ist Miß Darcy noch gewachsen, seit ich sie zuletzt gesehen? ist sie wohl so groß wie ich?«

»Sie ist ungefähr in Miß Elisabeth Bennets Größe, oder vielleicht noch etwas größer.«

»Wie sehne ich mich darnach, sie wieder zu sehen! Noch nie hat mich ein weibliches Wesen so angezogen. Welche Lieblichkeit der Züge, welche Anmuth der Bewegungen und wie talentvoll für ihr Alter. Ihre Fertigkeit auf dem Clavier ist außerordentlich.«

»Ich wundre mich nur, wo die jungen Damen die Geduld hernehmen, so vollkommen und gebildet zu sein, wie sie doch alle sind.

»Alle? Lieber Carl, was denkst Du?«

»Je nun, ich halte sie Alle dafür. Da gibt es keine, die nicht auf Holz zu malen, Teppiche zu nähen oder Geldbörsen zu häkeln versteht, und noch mehr andre Vollkommenheiten besitzt. Und nie hört man zuerst von einer jungen Dame sprechen, ohne zu erfahren, daß sie sehr gebildet, und voller Talente ist.«

»Im Allgemeinen magst Du Recht haben,« sagt Darcy, »aber das Wort gebildet wird nur zu oft gemißbraucht und manchem weiblichen Wesen beigelegt, was in der That nichts weiter versteht, als auf Holz zu malen und Geldbörsen zu arbeiten. Ich kann mich nicht rühmen, mehr als höchstens sechs junge Damen zu kennen, die es verdienen, gebildet genannt zu werden.«

»Ich auch nicht,« sagte Miß Bingley.

»Dann,« bemerkte Elisabeth, »machen Sie wohl sehr große Ansprüche an weibliche Bildung.«

»Ich fordere allerdings viel.«

»O gewiß!«, rief Miß Bingley, sein getreuer Beistand – »Niemand kann für wahrhaft gebildet erklärt worden, der nicht das Gewöhnliche weit übertrifft. Eine junge Dame von Bildung muß eine gründliche Kenntniß der Musik besitzen, im Zeichnen, Tanzen und allen lebenden Sprache bewandert sein, und sich außerdem noch durch ein gewisses Etwas in ihrem Wesen, Gang, Ton der Stimme, in ihren Bewegungen und Ausdrücken auszeichnen, ohne welches sie den ehrenvollen Beinamen nur halb verdienen würde.«

»Und fügen wir zu allem schon genannten,« sagte Darcy, »noch einige wesentliche, gediegene Eigenschaften hinzu; so ist die Bildung vollkommen.«

»Ich wundere mich nun nicht mehr, daß Sie nur sechs solcher weiblichen Vollkommenheiten in Ihrer Bekanntschaft zählen,« sagte Elisabeth. »Es sollte mir schwer werden, eine Einzige aufzuweisen.«

»Sind Sie so streng gegen Ihr eigenes Geschlecht, um die Möglichkeit solcher Vereinigung zu bezweifeln?«

»Mir ist noch kein weibliches Wesen vorgekommen, das solche Kenntnisse, Talente und gründliches Wissen mit so viel Geschmack und Eleganz verbunden hätte.«

Mrß. Hurst und Miß Bingley erhoben sich laut gegen die Ungerechtigkeit ihres Zweifels, und versicherten Beide, mehrere dieser Beschreibung entsprechende junge Damen zu kennen. Hurst unterbrach endlich das Gespräch durch gerechte Klagen über die Unaufmerksamkeit seiner Mitspieler, und so kehrten die Spieler sämmtlich zu ihren Karten zurück, Elise aber zu ihrer kranken Schwester.

»Miß Bennet Die Anrede »Miss« im Zusammenhang mit dem Nachnamen gebührt zu dieser Zeit ausschließlich der ältesten Tochter; die übrigen Töchter führen den Miss-Titel nur zusammen mit ihrem Vornamen. Richtig müsste es an dieser Stelle also heißen »Miss Elisabeth«. Im Original sagt Caroline nur: » Eliza Bennet«, was eine zusätzliche Herabsetzung einschließt.,« bemerkte Caroline, sobald sie das Zimmer verlassen, »gehört zu den jungen Damen, die sich bei dem andern Geschlecht durch Herabsetzung ihres eigenen zu empfehlen suchen, welcher Kunstgriff allerdings bei manchen Männern anschlägt. Nach meiner Ansicht jedoch eine armselige List, ein gemeine Kunstgriff.«

»So möchte ich,« entgegnete Darcy, dem die Bemerkung hauptsächlich galt, »jede geflissentliche Bemühung zu gefallen nennen. Alle List ist verächtlich.«

Nicht ganz zufrieden mit dieser Antwort, ließ Miß Bingley das Gespräch fallen.