Stone Princess - Devney Perry - E-Book

Stone Princess E-Book

Devney Perry

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Beschreibung

Das Letzte, was Presley Marks nach ihrer desaströsen, nicht stattgefundenen Hochzeit gebrauchen kann, ist eine Erinnerung an die schrecklichen Vorfälle in Clifton Forge. Noch einmal alle Emotionen zu durchleben, die damit verbunden waren, würde sie wirklich gern vermeiden. Die Hoffnung auf Ruhe und Frieden kann sie jedoch begraben, als ein Hollywood-Filmteam in Clifton Forge auftaucht. Shaw Valance ist nicht nur Hollywoods neuester Megastar und Hauptdarsteller in dem Film über die jüngsten Ereignisse in Clifton Forge, er ist zudem auch der Produzent des Projekts und hat vor, längere Zeit in dem kleinen Städtchen und vor allem mit Presley zu verbringen. Beide schlittern in eine Beziehung, die so viel mehr sein könnte, wenn sie denn die Liebe nur zuließen.

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Seitenzahl: 491

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STONE PRINCESS

Tin Gypsys 3

Devney Perry

© 2022 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Übersetzung Sylvia Pranga

© Covergestaltung Andrea Gunschera

© Originalausgabe Devney Perry LLC 2020

ISBN-Taschenbuch: 9783967820232

ISBN-eBook-mobi: 9783967820249

ISBN-eBook-epub: 9783967820256

www.sieben-verlag.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Danksagungen

Die Autorin

Kapitel 1

Presley

Heute?

Heute.

Heute.

Es gibt nicht viel Spielraum, dieses Wort auszulegen. Nicht viel Spielraum, dessen Bedeutung zu verbiegen.

Heute.

Egal wie oft ich Jeremiahs Textnachricht auch gelesen hatte, keine Interpretation war besonders schön. Der Bastard hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ein Fragezeichen zu tippen, um etwaige Verwirrung anzutäuschen. Das schreckliche Wort sprang mir vom Bildschirm entgegen. Es nutzte nichts, es immer wieder zu lesen. Das hatte ich seit Samstag ununterbrochen getan. Dieses Wort war der letzte Tropfen gewesen. Er hatte es mir am Morgen unserer Hochzeit geschickt. Der Hochzeit, die er vergessen hatte. Das war keine panische Entschuldigung gewesen. Es gab auch keine Sprachnachricht, in der er sich entschuldigt hätte. Er war auch nicht die drei Stunden von Ashton nach Clifton Forge gefahren, um mich auf den Knien um Vergebung zu bitten. Statt Heute hätte es ebenso gut das Wort Ende sein können.

Okay, scheiß auf ihn. Scheiß auf seine Nachricht. Scheiß auf all die Jahre, die ich an einen Mann verschwendet hatte, der behauptete, mich zu lieben, nur nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er das zeigen könnte. Mir blieb nicht einmal die Befriedigung, von Angesicht zu Angesicht mit ihm Schluss zu machen. Vielleicht war es seine Art mit mir Schluss zu machen, indem er mich am Altar stehen ließ.

Nachdem ich die Hochzeit abgeblasen hatte, hatte ich einen Tag lang durchgeheult und mein gebrochenes Herz gepflegt. Sowie meinen fürchterlichen Kater. Presley Marks war normalerweise nicht so nah am Wasser gebaut. Ich hatte das Heulen schon früh aufgegeben, denn Tränen brachten mir nur weitere Ohrfeigen ein. Gestern allerdings habe ich sie laufen lassen. Ich heulte darüber, wie verflucht blöd ich gewesen war. Und wie jämmerlich. Und wie erniedrigt. Wie oft hatten mich meine Freunde vor Jeremiah gewarnt? Wie oft hatte ich meinen Ringfinger betrachtet und mir eingeredet, dass ich keinen Verlobungsring brauchte, wenn ein Ehering doch das einzig Wahre war.

Das Kribbeln in meiner Nase kündigte mehr Tränen an, ich schniefte sie aber weg und blinzelte, damit sie mir nicht die Mascara ruinierten. Ich schob das Handy in die Hosentasche und öffnete die Autotür meines Jeeps. Seine weiße Lackierung strahlte hell in der Morgensonne. Ich hatte das Auto letzte Woche professionell sauber machen lassen. Ich wollte, dass es glänzte, wenn Jeremiah und ich darin von unserem Hochzeitsempfang davonfuhren. Ich wollte, dass es sauber war, wenn wir nach Ashton fuhren. Heute wäre unser Umzugstag gewesen. Meine Habseligkeiten befanden sich fast alle in Umzugskartons und ich hatte einen Laster gemietet. Ich hatte in Ashton einen Mietvertrag unterschrieben, denn Jeremiah wohnte im Clubhaus seines Motorradclubs. Seit drei Jahren.

Dumm, Presley. So verflucht dumm. Ich war so damit beschäftigt gewesen, unsere Leben zusammenzubringen, dass mir nicht aufgefallen war, wie unfassbar zufrieden mein Partner damit war, allein zu leben. Vielleicht hätte ich heute daheimbleiben und mich um alles kümmern müssen, was jetzt anstand. Stattdessen folgte ich meiner normalen Montagmorgenroutine und fuhr zur Arbeit. Ich machte einen Schlenker zum Supermarkt und stopfte dort mein tausend Dollar teures Hochzeitskleid in den Altkleider-Container.

Die Werkstatt in Clifton Forge war während der letzten zehn Jahre ein fester Bestandteil meines Lebens gewesen. Und heute brauchte ich das. Ich öffnete die Bürotür und ging hinein. Dann schaltete ich alle Lichter an, setzte mich hinter meinen Schreibtisch und genoss einen Augenblick die Ruhe. Ich war eine Stunde früher als sonst, und die Ruhe würde nicht lange anhalten. Bald würde es in der Werkstatt klappern und klimpern, Kunden würden sich im Wartebereich unterhalten und im Büro das Telefon ununterbrochen klingeln. Doch im Augenblick war es friedlich. Ich holte tief Luft und versuchte Dravens Aftershave zu erschnuppern. Er war vor drei Jahren gestorben, aber es gab Momente, in denen ich ihn riechen konnte. Vielleicht war es meine Einbildung, die diesen Duft von Old Spice, vermischt mit Pfefferminzpastillen, heraufbeschwor. Als ich heute aufwachte, wusste ich, dass ich mit den Konsequenzen dieser Hochzeit umgehen lernen musste, also tat ich genau das. Ein Schritt nach dem anderen, jeden Tag ein bisschen mehr und ich würde es überstehen. Das Schlimmste war wenigstens schon vorüber. Ich war bereits vor alle Hochzeitsgäste getreten und hatte ihnen verkündet, dass mein Verlobter unseren großen Tag vergessen hatte. Der Rest wäre einfach, nicht wahr? Nur noch Organisatorisches. Barkeeper und Caterer würden bezahlt werden. Von mir. Hochzeitsgeschenke, die keiner mitgenommen hatte, würden zurückgegeben werden. Von mir. Mein Leben würde weitergehen und eines Tages würde es nicht mehr so wehtun, dass mein Verlobter mich nicht hatte heiraten wollen. Aber konnte ich die Schuld wirklich auf Jeremiah abwälzen? Es war mein Fehler. Ich hatte mich für die Wahrheit taub gestellt und war blind gegenüber allen Warnsignalen gewesen. Ich hätte schon vor Jahren Schluss machen sollen. Vielleicht war ich genauso feige wie Jeremiah.

Ich schob diese Gedanken beiseite und bewegte die Maus, um den Computerbildschirm zu wecken. Dann tauchte ich in meine E-Mails ab und versuchte zu arbeiten. Sobald die Werkstatttruppe mitbekam, dass ich hier war und nicht allein daheim, würden sie ins Büro kommen. Sie würden den ganzen Tag nach mir sehen und darauf achten, dass ich keinen Zusammenbruch bekam. Ich würde nichts bearbeitet bekommen, weil ich zu sehr damit beschäftigt sein würde, ein tapferes Gesicht aufzusetzen, während sie Jeremiah verfluchten. Ich würde ihnen sagen, dass es mir gut ginge, auch wenn sie wüssten, dass das eine Lüge war. Mir ging es schon eine ganze Weile nicht mehr gut.

Es waren nur noch drei unbeantwortete E-Mails übrig, als ich Schritte von draußen vernahm. Die Metalltreppe, die zu der kleinen Wohnung über dem Büro führte, vibrierte, als Isaiah, einer unserer Mechaniker und ein Freund von mir, herunterkam. Ich holte tief Luft und drehte meinen Stuhl herum, als die Tür aufging.

„Guten Morgen.“

„Hey, Presley.“ Isaiah trat ein. Er trug ein schwarzes T-Shirt und zerschlissene Jeanshosen. Sein dunkelbraunes Haar war feucht. Er setzte sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und stützte die Ellbogen auf den Knien ab.

„Es tut gut, dich auf diesem Stuhl zu sehen“, sagte ich.

Er grinste. „Es tut gut, wieder hier zu sitzen.“

Isaiah und seine Frau, Genevieve, hatten die letzten drei Jahre in Missoula gewohnt, da sie dort die juristische Fakultät besucht hatte. Jetzt waren sie zurück und Isaiah würde wieder hier in der Werkstatt arbeiten. Genevieve würde als Anwältin an der Seite ihres Mentors in einer kleinen Anwaltskanzlei anfangen.

„Wie geht es Genevieve?“

„Gut“, sagte er und blickte zur Decke. „Sie wird auch gleich herunterkommen. Sie freut sich auf ihren ersten Arbeitstag.“

„Wie war es, wieder in der Wohnung oben zu übernachten?“

„Wie in guten alten Zeiten. Verrat es nicht, aber ich hoffe, das Bauunternehmen braucht etwas länger als geplant, sodass wir noch ein paar Tage mehr oben wohnen müssen.“

Vor einigen Jahren war die kleine Wohnung ihr Zuhause gewesen und es wurde während ihrer Abwesenheit nicht weitervermietet. Genau wie ihre Jobs, hatte es auf ihre Rückkehr gewartet. Nur würden sie dort jetzt nicht mehr permanent wohnen, denn sie hatten sich ein neues Haus gekauft, in das sie bald einziehen würden. Aber egal, wie viel Zeit verstreichen würde, ich würde die Wohnung immer als Isaiahs sehen.

„Ich freue mich schon auf euer Haus.“

„Du kannst die erste Besichtigungstour buchen.“ Er grinste noch breiter. Ich betrachtete ihn genau. Es war seltsam, ihn lächeln zu sehen. Aber hochwillkommen. Er war nicht mehr die gleiche verwundete Seele, wie damals, als er hier anfing zu arbeiten. Das hatte er Genevieve zu verdanken. Sie hatte meinen guten Freund gerettet und Lebendigkeit in seine Augen gezaubert. Sie hatte in dieser kleinen Wohnung ein Wunder vollbracht.

„Was ist?“ Er fuhr sich über den Mund. „Hab ich was im Gesicht?“

„Nein. Es tut nur so gut, dich glücklich zu sehen.“

Er seufzte und sein Lächeln versiegte. „Wie geht es dir?“

„Gut.“ Das war das erste Gut an diesem Tag. Ich würde es bestimmt noch zwanzig Mal wiederholen, bevor ich um fünf Feierabend machte. „Ich möchte nicht darüber reden.“

„Okay.“

Isaiah wäre der Einzige, der mich heute nicht bedrängen würde. Ich hätte ihn dafür am liebsten umarmt. Wir beide hatten uns damals sofort angefreundet. Wir waren die beiden Außenseiter in einer Werkstatt, in der die ehemaligen Mitglieder des Tin Gypsy Motorradclubs arbeiteten. Bevor Isaiah hier war, hatte ich die leisen Unterhaltungen hinter vorgehaltener Hand ignoriert. Brav war ich immer zur Post oder zur Bank gegangen, wenn meine Gegenwart im Büro nicht erwünscht gewesen war. Ich hatte die Augen vor den Partys, dem Alkohol und den Frauen verschlossen. Doch dann hatte sich der Club aufgelöst und das Leben in der Werkstatt hatte sich verändert. Sie hatten Isaiah eingestellt, und während die anderen die Köpfe zusammensteckten und wisperten, hatten Isaiah und ich uns angefreundet. Wir hatten jeden Morgen gemeinsam eine Tasse Kaffee getrunken, über alles und nichts gesprochen. Ich hatte ihn niemals nach seiner Vergangenheit gefragt oder warum er im Gefängnis gewesen war. Und er fragte nie nach, wie ich nach Clifton Forge gekommen war und warum ich mich weigerte, über meine Kindheit zu reden. Und doch freundeten wir uns an und ich vertraute ihm. Und es war so gut, ihn wieder hier zu haben.

„Wie läuft es mit der Werkstatt dieser Tage?“, fragte er.

„Viel zu tun. Wir mussten zwei weitere Mechaniker einstellen, um deine Arbeit zu bewältigen.“

Er runzelte die Stirn. „Ich nehme doch nicht etwa jemandem den Job weg?“

„Nein. Dash und ich haben beschlossen, beide für die täglichen Routinearbeiten zu behalten, damit sie dich für Custom Arbeiten ausbilden können.“

„Ich bin total einverstanden damit, Inspektionen und Ölwechsel zu machen.“

Ich winkte ab. „Schon entschieden.“

Isaiah stand auf und ging zum Wartezimmer. Ich hörte, wie er sich einen Kaffee mit der Kapselmaschine zubereitete. Wir hatten hier zwei Büroräume inklusive des Empfangsbereiches, in dem ich arbeitete. Einer der Büroräume gehörte Dash, meinem Chef und Besitzer der Werkstatt. Das andere hatte Draven gehört, Dashs Vater. Draven hatte sein ganzes Leben lang die Werkstatt geleitet und sie seinem Sohn überschrieben. Er war mehr als mein Chef gewesen. Er war meine Familie. Ich hätte alles dafür gegeben, wirklich alles, um ihn wieder hier zu haben, zu umarmen, oder als meinen Brautführer. Nach Dravens Tod hatte Dash mir Dravens Büroraum angeboten. Er hatte eine Tür, sodass ich nicht mit wartenden Kunden zusammensitzen müsste. Aber ich war nicht in der Lage gewesen, mich hinter Dravens Schreibtisch zu setzen. Niemand, und ganz besonders nicht ich, könnte jemals seinen Platz einnehmen. Also haben wir den Raum in ein Wartezimmer umgewandelt. Wir kauften Couchen und stellten eine Kaffeemaschine hinein.

Isaiah kam mit zwei Kaffeebechern in den Händen wieder heraus.

„Dankeschön.“ Ich lächelte, als er mir meinen Becher hinstellte. Ich rührte ihn mit dem Holzstäbchen um und vermischte den Zucker und den Schluck Kaffeeweißer mit Vanillegeschmack, den er schon hineingegeben hatte. „Und Danke auch für letzten Samstag.“

Er hob eine Schulter und nahm einen Schluck von seinem schwarzen Kaffee. „Kein Problem.“

Nachdem ich allen gesagt hatte, dass die Hochzeit nicht stattfand, hatte ich versucht, davonzulaufen. Bevor ich mich in meinen Jeep schwingen und irgendwo in einem dunklen Loch verkriechen konnte, hatte Isaiah mich eingeholt. Er brachte mich hoch in die kleine Wohnung, bevor es jemand mitbekommen konnte. Emmett und Leo, zwei der Mechaniker und gute Freunde, ließen nicht lang auf sich warten. Leo hatte eine Flasche Tequila aus der Bar mitgebracht. Die drei füllten mich Glas für Glas damit ab, bis ich auf der Couch einschlief.

„Ich schätze, ich muss hinter dem Gebäude allerlei Mist wegräumen“, brummte ich.

„Ich glaube, Dash und Bryce haben das Meiste schon erledigt.“

„Oh.“ Ich schüttelte den Kopf. „Verdammt. Sie hätten mir das überlassen sollen.“

Wie viele Stunden lang hatte ich diese Hochzeit geplant? Um wie viele Gefallen hatte ich meine Freunde gebeten? Alles für die Katz. Meine Freunde sollten nicht auch noch meinen Müll wegräumen müssen. Hinter der Werkstatt befand sich ein Gelände, dass das Potenzial eines kleinen Stadtparks hatte. Also hatte ich Dash gefragt, ob ich dort aufräumen dürfte und meine Hochzeit dort stattfinden könnte. Draven war nicht mehr da gewesen, um mich zum Altar zu führen, aber welcher Ort würde die Erinnerung an ihn lebendiger halten, als die Werkstatt, die ihm so viele Jahre gehört hatte? Dash hatte eingewilligt und darauf bestanden, dass ich alle beim Aufräumen helfen ließ. Drei anstrengende Wochenenden hatten wir damit verbracht, das Gelände von allem zu befreien, was dort gelagert war. Rostige Ersatzteile hatten wir ans andere Ende des Grundstücks gebracht. Alte Fahrzeuge verschwanden aus dem Sichtfeld. Die viel zu hohe Wiese wurde gemäht und zu einem saftigen grünen Teppich. Donnerstag und Freitag hatten wir ein großes Zelt aufgebaut, Tische und Stühle verteilt. Ich war zu sehr mit der Deko beschäftigt, also gab es kein Probeessen. Das war mein größter Fehler. Neben der Wahl des Bräutigams. Wenn wir vielleicht ein Probeabendessen abgehalten hätten, hätte ich gewusst, dass Jeremiah nicht auftauchte.

„Das hat ihnen nichts ausgemacht, Presley“, sagte Isaiah.

„Das ist meine Schuld. Ich hätte mich darum kümmern müssen.“

„Es ist Jeremiahs Schuld.“

„Nein“, wisperte ich. „Meine.“

Über uns hörten wir eine Tür zufallen. Isaiah und ich sahen nach draußen, als Genevieves hohe Hacken auf der Treppe klackerten und sie uns im Büro aufsuchte.

„Guten Morgen.“ Sie hatte das Haar zu einem schicken Knoten gebunden und trug ein Kostüm, fertig für die Arbeit. Sie sah elegant und perfekt für Isaiah aus. Er stand auf und stellte einen Stuhl neben seinen. Während sie sich setzte, hielt er ihre Hand.

„Du siehst wunderschön aus.“

Hatte mein Freund mir jemals einen Stuhl herangezogen? War er jemals aufgestanden, wenn ich den Raum betrat? War es so verdammt schwer, seiner Verlobten ein Kompliment zu machen?

„Wie geht es dir?“, fragte mich Genevieve und in ihren Augen lag Sorge.

„Gestern war es schlimm. Ich hatte schon ewig nichts mehr getrunken, also war ich gestern ziemlich nutzlos.“ Ich hing stundenlang kotzend über der Toilette. Der Kater und mein emotionaler Zustand waren keine guten Freunde gewesen. „Entschuldige, dass ich auf deine Textnachricht nicht geantwortet habe.“

„Schon in Ordnung.“ Ihr Blick wurde sanft. Sie hatte die Augen von Draven geerbt. Ich beneidete sie darum, dass sie in den Spiegel schauen und ein Teil von ihm sehen konnte. Ich hatte nur ein Foto in meiner Schreibtischschublade, das ich herausholte, wenn ich mich einsam fühlte.

„Bereit für deinen ersten Arbeitstag?“, wechselte ich das Thema.

„Ich denke schon. Es wird schön sein, wieder mit Jim zu arbeiten. Er hat mir gefehlt.“ Sie lächelte und strich sich den Rock glatt. Sie trug eine helle Bluse und Stilettos. Wenn Genevieve Reynolds einen Raum betrat, stahl sie allen die Show. Sie war atemberaubend, innerlich und äußerlich. Ich war hübsch, vielleicht kein Megakracher, aber ich fühlte mich wohl in meiner Haut. Diese Art von Selbstbewusstsein hatte ich mir jahrelang erarbeitet. Als Kind war ich perfekt darin, mich anzupassen und allen Anweisungen zu folgen. Aufmerksamkeit endete nur immer in blauen Flecken, die ich verdecken und erklären musste. Erst als ich nach Clifton Forge zog, ließ ich davon ab und akzeptierte mich so wie ich war. Als Kind war es mir nicht erlaubt, die Haare zu schneiden, also schnitt ich sie kurz und färbte sie weißblond. Niemand würde mehr meinen Pferdeschwanz festhalten und mir dabei ins Gesicht brüllen. Anfangs war es ein eher maskuliner Pixie Cut gewesen. In letzter Zeit rasierte ich mir die Seiten und ließ die Haare oben auf dem Kopf länger wachsen, die mir in einem Pony über die eine Augenbraue fielen. Meine Haare waren ein Statement. Meine Klamotten ebenfalls. Ich war klein und schmal, was in kurzen engen Röcken und Blusen nicht besonders aussah, denn ich hatte keine Rundungen. Außerdem entsprachen sie nicht meiner Persönlichkeit. Statt hoher Hacken lief ich lieber in dicksohligen Stiefeln umher. Meistens trug ich weite Overalls mit einem enganliegenden T-Shirt darunter. Ich besaß ein paar Cargo Jeans, die ich mit einem dicken Gürtel oben hielt, um die Illusion von Hüften zu erzeugen. Boyfriendjeans kaufte ich ebenfalls. Mädchenhaftes mied ich, seit ich mit achtzehn Chicago verlassen hatte. Das Weiblichste, in dem man mich hier je gesehen hatte, war letzten Samstag für meine Hochzeit gewesen.

Vielleicht war Jeremiah ja am Samstagmorgen aufgewacht und hatte bemerkt, dass er einen Fehler gemacht hatte. Dass er immer noch in das Mädchen mit den langen blonden Haaren verliebt war, das romantische Kleider trug. Dass er das Mädchen wollte, das ich zurückgelassen hatte.

„Hat er …“, Genevieve zog die Nase kraus. „Hat er dich angerufen?“

„Nein.“

Das Brummen eines Motorradmotors rettete mich davor, noch weitere Fragen beantworten zu müssen. Obwohl ich bezweifelte, dass das lange so bleiben würde. Leo und Emmett fuhren auf ihren Harleys auf den Parkplatz und parkten vor dem Maschendrahtzaun am hinteren Ende. Sie stiegen gerade ab, als Dash auf seinem eigenen Motorrad ankam. Es war selten, dass alle drei so früh gemeinsam eintrafen, besonders Leo, der eigentlich nie vor zehn anfing zu arbeiten. Dash musste sie um ein Treffen gebeten haben, wahrscheinlich meinetwegen. Na super.

Die Bürotür öffnete sich und alle drei traten ein. Die Uhr an der Wand zeigte halb acht an, und die anderen Mechaniker kamen erst um acht Uhr.

„Presley, wie geht es dir?“ Dash setzte sich auf einen der Stühle unter den Fenstern.

„Gut.“

„Sicher?“

Ich nickte. „Es tut mir le…“

„Nicht.“ Er hielt eine Hand hoch. „Keine Entschuldigungen.“

„Ich war noch nicht hinter der Werkstatt, aber ich mach das gleich und räume alles auf, was noch da ist.“

„Das haben wir gestern erledigt. Da stehen ein paar Kisten, die du mitnehmen kannst, aber alles andere ist weg.“

Meine Schultern sackten herab. Schwer von den Schuldgefühlen, dass meine Freunde meinen missratenen Versuch zu heiraten wegräumen mussten. „Ich hätte das …“

„Wir wissen, was du getan hättest“, sagte Emmett und lehnte sich gegen die Wand. Sein dunkles Haar hatte er in einem Knoten im Nacken zusammengebunden. „Aber wir haben das schon für dich erledigt.“

„Danke. Und es tut mir leid.“

„Das muss es nicht.“ Leo hatte sich neben Emmett gestellt. „Geht es dir denn besser?“

„Ja.“ Zumindest körperlich.

Leo hatte mich gestern besucht. Er war der Einzige, der selbst gekommen war und nicht nur geschrieben hatte. Er hatte mir Isodrinks, Salzcracker und saure Gurken mitgebracht. Lange war er nicht geblieben, hatte nur das Kater-Frühstück vorbeigebracht und mich dann in meinem Elend wieder allein gelassen. Wahrscheinlich war er daraufhin sofort hierhergefahren, um das Festzelt abzubauen.

„Wir müssen uns über etwas unterhalten.“ Dash tauschte einen Blick mit Emmett und Leo aus. „Über zwei Dinge. Erstens, Jeremiah.“

„Ich will nicht über ihn reden.“ Mein flehender Blick traf auf seinen. „Bitte.“

„Wir können das nicht einfach ignorieren, Presley.“ Sein Blick wurde sanft. „Es gefällt mir nicht, dass er dir das angetan hat. Aber … er ist ein Warrior, und die brauchen wir nicht wieder in Clifton Forge. So sehr ich ihm auch die Scheiße aus seinem wertlosen Leib prügeln möchte, wir können diese Art von Schwierigkeiten nicht gebrauchen.“

Jeremiah war vor drei Jahren nach Ashton gezogen, um einem Motorradclub beizutreten. Er wohnte und arbeitete dort, während ich mein Leben zwischen den beiden Städten aufgeteilt hatte, denn er brauchte diese Art von Familienzugehörigkeit. Seine Familie in Chicago hatte schon seit Jahren keinen Kontakt mehr mit ihm. Er war ein Unfallbaby gewesen und seine Eltern hatten ihn auch immer so behandelt. Also hatte ich ihn unterstützt, mich an zweite Stelle gestellt, als er ein Teil einer Bruderschaft wurde. Auch, wenn es die falsche Art von Bruderschaft war.

Die Arrowhead Warriors waren die Rivalen von Dashs, Emmetts und Leos ehemaligem Club. Ich hatte nicht nur meine Zeit aufgeteilt, sondern auch meine Loyalität. Drei Jahre lang habe ich eine Grätsche über einen Zaun aus Stacheldraht gemacht, zwischen der Familie, die ich hier in der Werkstatt hatte und dem Mann, der um meine Hand angehalten hatte. Jeremiah hatte es verdient, dass man ihm in den Hintern trat. Mehrfach. Aber ich würde mich niemals dafür einsetzen. Ich stand fest auf der richtigen Seite des Zauns und würde meine Familie hier niemals in Gefahr bringen wollen.

„Ach komm schon, Dash.“ Leo stellte sich aufrecht. „Das ist doch Scheiße. Er …“

„Bitte, Leo.“ Ich sah ihn an. „Lass es einfach vorbei sein. Wenn du ihn dir vorknöpfst, bedeutet das nur noch mehr Drama für mich.“

Er sah finster drein, fuhr sich mit der Hand durch das strubbelige blonde Haar. „Okay“, brummte er.

Genevieve atmete hörbar aus. „Ich bin froh darüber. Wir hatten genug Schwierigkeiten.“

„Wohl wahr“, murmelte Dash und nickte zu seiner Schwester. Sie hatten unterschiedliche Mütter, aber das dunkelbraune Haar von Draven geerbt.

„Was ist die zweite Sache?“, fragte sie Dash.

„Ich habe heute früh einen Anruf von Luke Rosen bekommen.“

Im Raum herrschte Stille. Warum rief der Polizeichef bei Dash an?

„Aus Höflichkeit wegen Dad.“ Dash sah zu Genevieve. „Er wollte dich auch anrufen, aber ich sagte ihm, dass ich es dir selbst sagen würde.“

„Okay.“ Sie versteifte sich. „Warum habe ich das Gefühl, dass du mir schlechte Neuigkeiten erzählen wirst?“

„Weil ich das tun werde.“ Er rieb sich das Kinn. „Diese Produktionsfirma aus Los Angeles macht einen Film über den Mord an deiner Mutter.“

„Wie bitte?“ Sie sprang auf und Isaiah ebenfalls. „Dürfen die so was?“

„Das ist alles öffentlich“, sagte Dash. „Sie machen einen Hollywood Plot daraus und Gott weiß, was es am Ende wird. Aber ja, die dürfen das.“

„Woher weiß Luke davon?“, fragte Emmett.

„Der Regisseur will alles so authentisch wie möglich, also haben sie sich um eine Drehgenehmigung hier bemüht. Der Bürgermeister hat am Freitag sein Okay gegeben. Er rief Luke heute früh an.“

„Die drehen in Clifton Forge einen Hollywoodfilm?“ Mein Verstand konnte das nicht so recht fassen. „Wann?“

„Innerhalb des nächsten Monats oder so. Luke wusste es nicht genau. Die Stadt will das Geld, also haben sie der Produktionsfirma zwölf Monate gegeben.“

„Was bedeutet das für uns?“, fragte Genevieve.

„Keine Ahnung“, sagte Dash. „Aber ich vermute, dass wir sie zu Gesicht bekommen werden.“

„Wen? So was wie Schauspieler und so?“, fragte Leo.

Dash nickte. „Laut Luke hat der Bürgermeister angedeutet, dass ein Regisseur und vielleicht ein paar Schauspieler die Leute treffen möchten, die sie darstellen. Wir könnten hier ein paar Besucher kriegen.“

Mein Magen verknotete sich. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, waren ein paar reiche und berühmte Hollywoodleute, die mich von der Arbeit abhielten. Ich wollte kein trauriger, lächerlicher Nebencharakter sein, den sie zwecks größerer Authentizität ins Drehbuch geschrieben hatten.

„Haben wir eine Ahnung, auf wen wir achten sollen?“, fragte Genevieve Dash.

„Luke sagt, der Name des Regisseurs ist Cameron Haggen.“

„Der Oscar Gewinner?“ Emmett ließ einen Pfiff hören. „Und wer noch?“

Dash rieb sich zögernd das Kinn. „Der einzige andere Name, der fiel, war Shaw Valance.“

Shaw Valance.

„Heilige Scheiße“, murmelte Emmett, während mir die Kinnlade herunterklappte.

Das würde kein kleines Filmprojekt sein. Selbst jemand, der nicht viel Zeit im Kino oder vor dem Fernseher verbrachte, wusste, dass Shaw Valance Hollywoods Topschauspieler war. Der männliche Hauptdarsteller schlechthin. Er war Amerikas Held. Ich hatte beim Friseur einen Artikel im neuesten People Magazin gelesen. Darin stand, dass sein geschätztes Einkommen seines letzten Blockbusterfilms um die fünfzehn Millionen gewesen sein soll. Sein gutaussehendes Gesicht war dank der Paparazzi, die jeden seiner Schritte verfolgten, in allen Zeitschriften zu sehen. Shaw Valance war der Letzte, den diese Werkstatt oder diese Stadt gebrauchen konnte.

Isaiah nahm Genevieves Hand und drückte sie. „Das wird schon alles gut werden.“

„Ich möchte das nicht.“ Sie war ganz blass geworden.

„Ich weiß, Doll.“ Er zog sie an seine Brust und umarmte sie fest. „Wir gehen ihnen aus dem Weg.“

Meine Freundin war gerade erst hergezogen, um sich mit ihrem Mann niederzulassen, aber jetzt war sie gezwungen, die Erinnerung an den Tod ihrer Eltern nochmal durchzumachen.

„Lasst uns hoffen, dass sie sich von uns fernhalten und ihre Sache durchziehen und wieder verschwinden, bevor wir es merken“, sagte Dash und versuchte damit, Genevieves Sorgen zu zerstreuen. „Ich bezweifle, dass sie uns direkt ansprechen. Wenn überhaupt, dann werden sie sich eher die Werkstatt ansehen. Presley und ich können alle Fragen beantworten.“

Leo schnaubte. „Oder wir sagen ihnen, dass sie sich verpissen sollen.“

„Das Beste, was wir tun können, ist ihnen zu sagen, dass sie keinen Kommentar kriegen“, sagte Dash. „Zeigt ihnen die kalte Schulter.“

Kalt? Kein Problem.

Während ich gestern auf den kühlen Fliesen meines Badezimmers gelegen hatte, hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich war es leid, von Männern verletzt zu werden. Jeremiah war der Letzte, und ich würde mich nie mehr verarschen lassen. Von jetzt an war ich die Frau mit Eis in den Adern. Die Frau mit dem Herz aus Stein. Wenn Shaw Valance und sein Preise abkassierender Regisseur auch nur in die Nähe der Werkstatt kamen, würde ich Leos Vorschlag beherzigen und ihnen sagen, dass sie sich verpissen sollten.

Kapitel 2

Shaw

„Das ist nicht das, was ich erwartet hatte“, sagte Shelly. Ich saß am Steuer und sah zu ihr hinüber. Ich umfasste das Lenkrad fester, denn sie beklagte sich schon den ganzen verdammten Tag lang.

„Was ist das Problem?“

„Es ist so … flach. Gar nicht, wie auf den Fotos.“

„Welchen Fotos?“ Wenn sie genau wie ich vor einem Monat Clifton Forge, Montana gegoogelt hatte, wüsste sie, dass der Blick aus dem Fenster genau den Suchergebnissen entsprach.

„Sind das die Berge?“ Sie lehnte sich vor und verengte die Augen hinter ihrer lila Sonnenbrille. „Sie sind weit weg.“

Ich biss mir auf die Zunge. Die Berge waren nicht weit entfernt, vielleicht ungefähr fünfzig Meilen. Beeindruckend und mit gezackten Gipfeln zeichneten sie sich am Horizont ab. Davor befanden sich weite, grüne Felder, die lediglich von Stacheldrahtzäunen unterbrochen wurden. Das hohe Gras bewegte sich im Wind am Straßenrand. Der Himmel über uns war strahlend blau und bis auf ein paar kleine Wolkenfetzen klar. Manche Menschen, solche wie ich, mochten es paradiesisch nennen. Ich warf im Rückspiegel einen Blick auf Cameron, der seine berühmte Nickelsonnenbrille trug, sah aber, wie er die Augen verdrehte.

„Ist es das?“ Shelly zeigte auf eine Ansammlung von Gebäuden weiter vorn. Ich warf einen Blick auf die Karte auf meinem Smartphone. Mein Herzschlag erhöhte sich.

„Ja. Das ist es.“

Clifton Forge.

Ich konnte es endlich selbst in Augenschein nehmen. Der Film war vor einem Monat angekündigt worden und ich konnte es kaum erwarten, den Ort zu besuchen. Mein hektischer Zeitplan und das Bemühen, alle Termine für eine Weile abzuarbeiten, hatten meine Ankunft hier verspätet, doch endlich war ich hier. Ich gab Gas. Das Blut floss schneller durch meine Adern als bei meiner morgendlichen Laufrunde. Aufregung und Erwartung schossen durch mich hindurch. Gottverflucht, ich war so was von bereit, dieses Projekt zu beginnen. Seit über fünf Jahren hatte mich keine Rolle mehr so gereizt. Meine letzten Filme waren alle ziemlich ähnlich gewesen. Ich hatte den Guten gespielt, denn das war es, was die Welt sah, wenn sie mein Gesicht erblickte. Ich rettete den Tag. Der amerikanische Held war mein Markenzeichen. Das war etwas, was ich von Anfang an gefeiert hatte, genau wie meine Assistentin, mein Manager und mein Agent.

Okay, scheiß auf das Markenzeichen. Ich war es leid, immer auf die sicheren Rollen zu setzen und ständig die üblichen Sätze zu rezitieren. Nicht einmal die Tatsache, dass ich meine eigenen Stunts machte, half dabei, die Monotonie zu unterbrechen. Es war Zeit, einmal etwas anderes zu tun. Es war Zeit zu sehen, ob ich wirklich talentiert war, oder ob der einzige Grund für mein Millioneneinkommen war, dass mein Gesicht sich gut auf den Covern von Magazinen machte.

„So winzig“, sagte Shelly, als wir näher an die Kleinstadt heranfuhren. „Das ist gut. Vielleicht können wir per CGI ein paar Berge in den Hintergrund platzieren.“

Ich schnaubte. „Ich dachte, wir streben Authentizität an.“

Das war doch der Grund gewesen, warum wir Cameron engagiert hatten, oder? Weil es sein Ruf war, die Dinge real, ungeschminkt und ehrlich zu zeigen. Generell fand man in Hollywood kaum Ehrlichkeit. Camerons Auffassung von seinen Filmen war der Grund, warum ich meine ganze Energie und so viel von meinem eigenen Geld in das Projekt steckte, um es zu verwirklichen. Ich wollte nicht vor einer grünen Wand drehen. Ich wollte kein eigens dafür hergerichtetes Studio. Ich wollte die Originalstraßen entlanglaufen, in natürlichem Sonnenlicht.

„Kein CGI.“ Camerons Tonfall ließ keinen Raum für Diskussionen.

„Okay“, stimmte Shelly zu. „Vergiss das CGI. Ich hatte nur etwas anderes erwartet. Aber das wird schon funktionieren. Es ist irgendwie rustikal.“

Das könnte ich gut gebrauchen. Dieser verlogene Hollywood Glamour ging mir auf die Nerven. Hier in Clifton Forge fand das richtige Leben statt. Dieses kleine Städtchen war weder ein Touristenort noch zog es reiche Besucher an, wie andere Gegenden in Montana. Dieser Ort lebte von der Landwirtschaft und Menschen, die von dem Land hier lebten. Davor hatte ich Hochachtung. Ich bewunderte es. Es gab Zeiten, da sehnte ich mich zurück nach meiner Arbeit bei der Polizei. Nach einer Zeit, in der alles noch viel einfacher gewesen war.

Gebäude mit Geschäften darin tauchten am Straßenrand auf, als wir uns dem Stadtgebiet näherten. An den Türen hingen Willkommensschilder und Aufsteller standen auf den Gehwegen. Es war der Beginn einer Parade, die ersten Zuschauer winkten uns die Straße entlang, luden dazu ein, uns dem Trubel anzuschließen. In den Fenstern hingen rot-weiß-blaue Dekorationen zum Unabhängigkeitstag, der demnächst anstand. Das Navi führte uns vom Highway direkt auf die Hauptstraße, wo sich Läden sowie diverse Restaurants aneinanderreihten. Der breite Missouri floss entlang der einen Straßenseite. Ein Mann stand vorn auf seinem Boot und warf eine Angel aus. Mir fehlte das Fischen gehen. Vielleicht könnte ich nach dem Dreh einen Tag am Fluss herausschinden.

„Cam? Zuerst ins Motel? Oder willst du, dass ich ein bisschen den Ort erkunde?“

„Lasst uns erst einchecken und das Gepäck loswerden.“

Ich nickte und folgte dem Navi zum Evergreen Motel, das sich etwa zwei Meilen am anderen Ende der Stadt befand. In Los Angeles konnte man für zwei Meilen schon mal Stunden brauchen. Hier ging es viel zu schnell. Ich hatte Probleme, auf die Straße zu schauen, so sehr war ich abgelenkt von den Schaufenstern und Seitenstraßen. Jede Zelle in meinem Körper summte. Ich würde zu gern anhalten und zu Fuß herumstreifen. Unser Zeitplan hier wurde von Cameron erstellt, aber das nächste Mal würde ich allein herkommen. Ich würde spazieren gehen und alles, was ich konnte über diesen Ort und seine Einwohner in Erfahrung bringen. Ausnahmsweise würde ich einmal eine Drehlocation genießen. Die meisten meiner Filme hatte ich in Los Angeles gedreht. Jegliche Trips außerhalb Kaliforniens waren immer kurz und anstrengend gewesen. Meistens kam ich nach Einbruch der Dunkelheit an einem Flughafen an, fuhr direkt zum Drehort, drehte stundenlang, manchmal zwanzig Stunden am Stück, und sowie die letzte Klappe fiel, befand ich mich schon wieder auf dem Weg nach Hause. Immer stand sofort wieder etwas Neues auf dem Plan, sei es ein weiteres Projekt, eine Premiere oder ein Pressetermin.

Mein Agent und Manager hatte darauf gedrängt, hier dasselbe zu machen. Rein und schnell wieder raus aus Montana, hatte er gesagt. Aber ich hatte mich durchgesetzt. Während der Dreharbeiten würde ich zwischendurch nicht ständig nach Kalifornien fliegen. Ich blieb in Montana, um sicherzustellen, dass alles glattlief. Shelly hatte die offizielle Rolle der Produzentin, aber ich würde aktiv bleiben. Und sobald wir fertig waren, nahm ich mir frei. Vielleicht ein halbes oder ein ganzes Jahr. Es war Zeit, dass ich mal eine Pause machte. Von der Arbeit. Von den Medien. Von Los Angeles.

Vor uns tauchte ein einstöckiges Motel auf. Das Gebäude lag an drei Seiten im Schatten von Fichten und der Name passte perfekt. Evergreen Motel. Unser zukünftiges Hauptquartier. Der Tatort unseres Mordfalls.

Ich parkte neben dem Empfang, stieg aus und streckte meine Glieder. Cameron, Shelly und ich waren in meinem Privatjet heute am Morgen gelandet, um dann ins Auto umzusteigen und herzufahren. Der nächste größere Flughafen befand sich etwa zwei Stunden entfernt in Bozeman. Das nächste Mal flog ich wahrscheinlich direkt nach Clifton Forge, dennoch hatte ich die Gegend auf der Fahrt sehr genossen.

„Wie toll.“ Shelly grinste und hüpfte hin und her. „Ich hoffe, sie lassen mich in ihrem Zimmer übernachten.“

„Herrgott nochmal, Shelly.“ Das war ja zum Fremdschämen.

Sie zuckte mit den Schultern und ging zur Anmeldung. Sie hatte sich auf Amina Daylee bezogen, die vor vier Jahren genau hier in diesem Motel ermordet worden war. Der ehemalige Polizeichef, Marcus Wagner, hatte sie mit sieben Stichen erstochen. Er war der Verbrecher, den ich in dem Film Dark Paradise darstellen würde.

Cameron und ich sahen uns an. Wir waren beide gleichermaßen genervt von Shelly. Dann folgten wir ihr zur Anmeldung. Es war nur ein winziges Gebäude, das in der Mitte der Motel-Anlage stand. Ich hielt mich im Hintergrund, während Shelly es übernahm, den Mitarbeiter hinter dem Tresen zu begrüßen, der sich als der Inhaber des Hotels vorstellte. Shelly nannte ihm unsere Namen, damit er unsere Reservierungen finden konnte. Ich schämte mich erneut fremd, als sie ihn bat, ihr das Zimmer zu geben, in dem Amina umgebracht worden war. Das war es dann mit unauffällig bleiben, um den Ort und die Stadt in Ruhe auf uns wirken zu lassen.

Der Gesichtsausdruck des Motelbesitzers wurde hart, als er die drei Schlüssel hervorholte. Jeder hing an einer ovalen grünen Plakette, auf der die Zimmernummer geprägt war.

„Danke“, sagte ich, nachdem Shelly vergessen hatte, sich zu bedanken.

Er nickte. „Lassen Sie mich wissen, wenn Sie etwas brauchen.“

„Das ist nett.“ Ich hielt Shelly die Tür auf und sie marschierte nach draußen. Mir wurde jetzt klar, warum Cameron darauf bestanden hatte, während seiner anderen Besuche allein zu sein. Mit Shelly im Schlepptau war es nicht leicht, sich unters Volk zu mischen. Und ihr magentafarbenes Haar hatte damit nichts zu tun.

Am Kofferraum unseres SUVs stehend, betrachteten wir die U-förmige Anordnung der Zimmer des Motels. Camerons und mein Zimmer lagen nebeneinander. Shellys befand sich am anderen Ende. Gott sei Dank. In meinen Schläfen fing es bereits an zu pochen. Shelly und ich arbeiteten schon jahrelang zusammen. Manchmal ging sie mir auf die Nerven, aber sie arbeitete hart und man konnte sich auf sie verlassen. Sie erledigte alles und gut, also verschmerzte ich den einen oder anderen Kopfschmerz.

Cameron und ich kannten uns noch nicht lange, waren uns nur gelegentlich über den Weg gelaufen, bevor wir beschlossen, dass er die Regie führen sollte. Je mehr ich ihn kennenlernte, desto mehr sah ich, dass er seinem Ruf gerecht wurde. Er war eine Legende. Er arbeitete mit Hingabe, Präzision und äußerster Ehrlichkeit. Wenn dieses Projekt hier mein Baby war, so war es sein Enkelkind. Die meisten Schauspieler hatten mit den Vorbereitungen einer Produktion nicht viel zu schaffen, aber ich war nicht nur ein profitabler Star. Ich war der Geldgeber. Meine Produktionsfirma produzierte diesen Film und ich selbst hatte sehr viel eigenes Geld darin investiert. Ein Film kostete Millionen von Dollar, also hatten wir noch andere Investoren an Bord geholt. Wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, hätte ich das ganze Unternehmen selbst finanziert. So sehr glaubte ich an dieses Skript. Das Drehbuch war mir über John, meinen Gärtner, in die Hände gefallen. Seine Nachbarin war eine junge Drehbuchautorin, die ihn mit Geschichten über einen Mord in Montana unterhielt. Ann hatte einige Wochen in Clifton Forge verbracht, um zu recherchieren. Sie hatte ein Jahr zuvor einen Online-Artikel darüber gelesen. Nach ihrer Rückkehr hatte sie sich ans Drehbuch gemacht. Zu meinem Glück besaß sie nicht den Mut, es an diverse Studios zu schicken. Nachdem John gebeten und gebettelt hatte, gab Ann nach und gab ihm eine Kopie, die er an mich weiterleitete. Montags bekam ich das Drehbuch und schon am Dienstag hatte ich es Ann abgekauft. Mittwoch sicherte ich mir die Rechte für Valance Pictures. Donnerstag hatte ich die erste Finanzierung für die Entwicklung stehen und Shelly grünes Licht gegeben, mehr Investoren zu finden und die Vorproduktion zu starten. Ich verschwendete keine Zeit. Vor fünf Jahren hatte ich Valance Pictures gegründet und meistens war ich zu beschäftigt, um in den Produktionsfirmenalltag involviert zu sein. Ich hatte ein zuverlässiges Team, das den Laden schmiss und Produzenten, wie Shelly, denen ich die Leitung der einzelnen Filmprojekte anvertrauen konnte. Der Geschäftsführer schickte mir alle drei Monate einen Bericht und bislang war ich noch nicht dem Größenwahn verfallen. Während Shelly und mein Geschäftsführer darauf aus waren, ein Unternehmen der Größenordnung von Warner Bros. oder Universal Pictures aufzubauen, war ich zufrieden damit, dass wir erst mal schwarze Zahlen schrieben. Bisher hatten wir zwei Filme herausgebracht, beide mit mittelmäßigem Erfolg. Es befanden sich noch einige auf der Warteliste, aber das war nichts, mit dem wir einen großen Treffer landen würden.

Dark Paradise war einzigartig.

Er hatte das Potenzial, für Valance Pictures etwas Großartiges zu sein. Oder meine Firma und alles, für das ich in den letzten acht Jahren als Schauspieler gearbeitet hatte, zu ruinieren. Was bedeutete, dass ich hier in Montana bleiben würde und wie verrückt hoffte, dass es das Erstere sein würde.

„Lass uns die Zimmer beziehen. Wir treffen uns dann in einer halben Stunde.“ Cameron zerrte seinen Rucksack aus dem SUV.

„Klingt gut.“ Ich holte Shellys Koffer heraus. War das Ding seit dem Flughafen schwerer geworden? Wir blieben doch nur eine Nacht. Sie schnappte sich das Teil und rollte es zu ihrem Zimmer. Sie rannte geradezu dort hin. Ich schlang meine Reisetasche über die Schulter und ging mit Cameron zu unseren Zimmern. „Tut mir leid wegen Shelly.“

Er hob eine Schulter. „Sie ist Produzentin. Die bin ich gewohnt. Und sie ist besser als einige andere.“

„Sollte sie es übertreiben, lass es mich bitte wissen.“

„Das wird schon gehen. Sie ist aufgeregt, aber sobald wir mit dem Dreh anfangen, wird sich das legen.“

Mein Zimmer war so, wie ich es erwartet hatte. Sauber, aber alt. Die Gebäude stammten wahrscheinlich aus den Siebzigerjahren, aber die Besitzer pflegten sie. Die Außenverkleidungen waren innerhalb der letzten Jahre grün gestrichen worden. Vor jeder Zimmertür hing ein Korb mit üppig blühenden Petunien. Ich schmiss die Tasche hin und warf mich aufs Bett. Bei meinen einsneunzig würde ich quer schlafen müssen, um auf die Matratze zu passen. Und selbst dann baumelten meine Füße noch heraus. Mein Handy klingelte und ohne draufzusehen wusste ich, dass es sich entweder um meine Mutter, eine meiner Schwestern, Ginny, meine Agentin, oder meine Assistentin Juno, oder Laurelin, meine Managerin, handelte. Die Frauen in meinem Leben glaubten nicht daran, dass ich einmal meine Ruhe brauchte. Ich ging nicht dran, sondern verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Das hier war nicht ihr Zimmer gewesen, aber es war dennoch seltsam, in diesem Motel zu sein und zu wissen, dass man hier einer Frau das Leben geraubt hatte. Hatte Amina Daylee ebenfalls die Decke angestarrt? Oder hatte sie die Augen geschlossen, als Marcus sieben Mal auf sie einstach? Was hatte ihn bewogen, sie umzubringen? Wut? Schmerz? Vielleicht eine verrückte Mischung aus beidem?

Seit Monaten dachte ich über Marcus‘ Charakter nach und ging geistig die Szenen durch. Ich war kein sicherer Kandidat für die Rolle gewesen, auch wenn meine Firma den Film produzierte. Cameron hatte das Vorsprechen geleitet. Nachdem er mir zusammen mit dem Leiter des Castings die Rolle angeboten hatte, sprachen wir stundenlang über meine Darstellung und seine Vorstellungen. Was Jobs anging, war ich noch nie so vorbereitet gewesen. Oder so eingeschüchtert. Dieser Film mochte ein Flop werden, der meinen Ruf und mein Image zerstörte. Aber mein Instinkt schrie, dass hier etwas war, dass das hier eine große Sache war, und ich hörte immer auf mein Bauchgefühl. Immer.

Und doch war ich an meinem ersten Tag auf der Polizeiakademie oder meinem ersten Einsatztag als Polizist nicht so nervös gewesen wie jetzt. Das würde sich irgendwann legen, aber im Moment war es beinahe lähmend. Wir mussten mit dem Drehen beginnen. Wir mussten die Eröffnungsszene des Films hinter uns bringen, damit sich meine Gedanken beruhigten. Diese Szene würde laut Plan später gedreht werden und es würde die am schwersten zu perfektionierende werden. Es war der Dreh, mit dem wir den ersten Eindruck prägten und wir würden sie direkt hier in diesem Motel drehen. Es war die Szene, in der Marcus Amina tötet. Cameron wollte dabei den Fokus auf Amina legen und wie das Leben in ihren Augen langsam erlischt. Der Mörder, ich, war dabei nur Nebensache. Mein Gesicht nicht zu sehen. Das Publikum würde den ganzen Film über davon ausgehen, dass Marcus den Mord untersucht. Wenn ich alles richtig machte, würde man erst am Ende erfahren, dass er der Mörder gewesen war. Denn in Wirklichkeit war Marcus Wagner mit dem Mord fast davongekommen. Er hatte danach in Clifton Forge noch ein Jahr lang weiter gelebt und gearbeitet, bevor man ihn erwischte. Die ganze Zeit über hatte er versucht, einem Unschuldigen den Mord in die Schuhe zu schieben.

Draven Slater.

Draven war der Präsident eines ehemaligen Motorradclubs und Aminas Liebhaber gewesen. Nur wenige Stunden vor ihrem Tod waren sie noch gemeinsam in Shellys Motelzimmer gewesen. Laut den Spekulationen der Clifton Forge Tribune war es ein Verbrechen aus Leidenschaft gewesen. Er war in Amina verliebt gewesen und ihre gemeinsame Nacht mit Draven hatte er als ultimativen Verrat angesehen. Es hatte Amina das Leben gekostet. Draven stand ein Mordprozess bevor. Er wäre beinahe verurteilt worden, doch einen Tag vor der Entscheidung der Geschworenen hatte sich Draven in seinem Haus aufgehängt. Indem er sich das Leben nahm, war er dem Leben im Gefängnis, für ein Verbrechen, das er nie begangen hatte, entkommen. Nachdem Draven von der Bildfläche verschwunden war, war Marcus fast aus dem Schneider gewesen. Aber nur fast. Denn er hatte einen Fehler begangen. Er hatte nicht mit Genevieve Daylee gerechnet, Aminas und Dravens gemeinsamer Tochter. Sie hatte Marcus‘ Obsession mit ihrer Mutter herausgefunden und ihm ein Geständnis entlockt, das ihn ins Gefängnis brachte. Derzeit saß er ohne Aussicht auf Bewährung lebenslänglich in Haft.

Zusammen mit dem Drehbuch hatte Valance Pictures die Rechte für Marcus Wagners Lebensgeschichte erstanden. Das hatte etwas Zeit gekostet. Der Film beruhte auf wahren Begebenheiten, basierend auf verschiedenen Informationsquellen, aber aus versicherungstechnischen Gründen schickten wir Marcus eine Anfrage, in der Hoffnung, seine Zustimmung zu erhalten. Wir waren sehr überrascht, dass er unserem Angebot von einer Million Dollar zustimmte. Kein Gegenangebot. Keine Diskussionen. Nur das unterschriebene Dokument von seinem Anwalt und eine großzügige Summe auf seinem ehemaligen Konto, das jetzt von seiner Ex-Frau verwaltet wurde. Ihre Rechte hatten wir ebenfalls erstanden. Die ehemalige Mrs. Wagner hatte eine größere Summe verhandelt und lebte jetzt allein auf Hawaii, während ihr Ex-Mann in einer Gefängniszelle vergammelte.

Ich hatte versucht, ihn zu besuchen, aber er hatte abgelehnt. Ich würde es nochmal versuchen. Und wieder und wieder. Eines Tages würde ich ihm gegenüber sitzen und ihm in die Augen sehen. Ich musste den Mann, der einst ein ausgezeichneter Polizist gewesen war, persönlich sehen. Der Mann, der sein Verbrechen ein Jahr lang geheim halten konnte. Der Mann, der seinen Eid zu dienen und zu beschützen gebrochen hatte. Vielleicht konnte ich dann nachvollziehen, warum Marcus auf die dunkle Seite gewechselt war, und wäre in der Lage, meinem eigenen Vater seine Verbrechen zu vergeben.

Minuten vergingen, während ich an die Decke starrte. Als ich hörte, wie Cameron seine Tür öffnete, sprang ich auf und schnappte mir die Schlüssel, um mich draußen zu ihm zu gesellen.

„Wohin?“

„Ich würde Shelly gern die Drehorte zeigen, damit sie ein Gefühl dafür entwickeln kann, womit wir es zu tun haben. Danach möchte ich alles mit ihr besprechen.“

„Klingt gut.“ Ich nickte. Shelly trat aus ihrem Zimmer und kam zu uns.

„Ist schon ein bisschen gruselig“, gab sie zu.

Sag bloß. In dem Zimmer war eine Frau ermordet worden. Ich bezweifelte, dass der Motelbesitzer das seinen Gästen auf die Nase band.

Wir stiegen in den SUV und ich fuhr uns in die Stadt, folgte Camerons Wegbeschreibungen zu jedem der Orte, die er zum Dreh vorgesehen hatte. Er war schon drei Mal hier gewesen. Von dem Augenblick an, als wir ihn für das Projekt gewonnen hatten, hatte er sich kopfüber in die Details gestürzt. Er kannte die Straßennamen und die Namen der Geschäfte. Er wusste, wo man den besten Cheeseburger bekam und wo man sich betrinken konnte. Je länger wir unter seiner Führung durch Clifton Forge fuhren, desto ruhiger wurde ich. Die Verspannung in meinen Schultern klang ab. Die Stadt machte einen friedlichen Eindruck und wirkte normal. Menschen liefen auf den Gehwegen, niemand hatte es eilig. Wir aßen im Sandwichladen ein spätes Mittagessen und nichts an dem Essen war hektisch. Unsere Bedienung drängte uns nicht, den Tisch für andere zahlende und Trinkgeld gebende Gäste freizumachen. Sogar die Ampeln, auch wenn es nur wenige gab, schienen entspannt umzuschalten.

Cameron hatte sich für ein Haus ungefähr drei Meilen außerhalb der Stadt als Marcus‘ Haus entschieden. Die Besitzer ließen uns für einen großzügigen Betrag drinnen und draußen drehen. Dort würden wir Marcus’ Geständnis und Verhaftung drehen. Nachdem wir unser Scheckbuch gezückt hatten, gab uns die Stadt grünes Licht, überall im öffentlichen Raum drehen zu dürfen. Und dann war da noch das Evergreen Motel. Die Besitzer hatten uns erlaubt, vor Ort drehen zu dürfen. Dieses Stück Authentizität kostete uns eine viertel Million Dollar, außerdem hatten wir das gesamte Motel für zwei ganze Monate komplett gebucht, um die Crew unterzubringen.

Einige der Innenszenen, wie die auf dem Polizeirevier, würden wir in Los Angeles im Studio drehen. Wir hatten Marcus‘ Arbeitsplatz und ein paar andere Räume anfertigen lassen. Aber die meiste Action würde in Clifton Forge stattfinden. Shelly hatte monatelang am Telefon gehangen, um Einverständniserklärungen der Anwohner einzuholen. Der einzige Ort, den sie außen vor gelassen hatte, war die Clifton Forge Werkstatt. Shelly mochte eine Bulldogge sein, aber sie wusste, wann sie nicht zu bellen hatte.

Die Werkstatt hatte einst Draven Slater gehört und gehörte jetzt seinem Sohn, Dash. Laut Google hatte Genevieve gerade ihr Jurastudium abgeschlossen. Ich fand ihren Namen in einer Angestelltenliste von Clifton Forge. Wir hatten uns dazu entschieden, keinen von beiden um die Rechte auf ihre Lebensgeschichte zu bitten. Wir würden fiktive Figuren im Film verwenden, deren Grundlage auf Tatsachen basierte. Der Rest war ein Fantasieprodukt. Es war ein Risiko, das wir eingingen, da unser Fokus so stark auf Marcus lag. Es war mir bewusst, dass dieser Film und die Tatsache, dass wir ihn in Clifton Forge drehten, für die Familie des Opfers schwierig sein würde. Ich hatte vor, sie persönlich aufzusuchen. Ich hoffte, sie würden das Projekt als einen Weg sehen, Draven ins rechte Licht zu rücken und der Welt zu zeigen, dass er unschuldig gewesen war.

Ich würde das Drehbuch erklären, das sich größtenteils auf den Mord und Fall eines Polizisten konzentrierte. Diese Geschichte würde Marcus’ Weg in die Korruption und Gewalt nachvollziehen.

Wenn die Worte Beruhend auf einer wahren Begebenheit eingeblendet würden, waren sie dank Anns Recherchen so nah an der Geschichte wie möglich. Sie hatte Zeitungsartikel und Gerichtsunterlagen eingesehen, und mit Marcus und seiner Frau korrespondiert. Sie hatte Zeit in Clifton Forge verbracht. Ich bezweifelte, dass die Einwohner hier die stille Frau, die in der Ecke eines Lokals saß, trank und aß, jemals bemerkt hatten. Anne hatte sich mutiger Weise sogar in der Werkstatt ihr Auto fit machen lassen. Es stand zwar nicht im Drehbuch, aber sie hatte mir erzählt, wie sie eines Tages im Wartezimmer gesessen hatte, und dass es sich angefühlt habe, als würde sie eine Familie beim Thanksgiving Essen beobachten.

Diese Werkstatt, diese Familie anzusprechen, erforderte Finesse.

„Fahren wir zur Werkstatt?“, fragte Shelly. Auf ihrem Schoß lag ein Notizblock, auf dem sie die Drehorte abhakte.

„Nicht heute.“

Shelly besaß nicht das Feingefühl, in diese Werkstatt zu gehen, ohne jemanden zu verärgern. Außerdem war das wahrscheinlich eine No-Win-Situation. Ich würde sie nicht in die Höhle des Löwen schicken. Als der Boss ihres Bosses würde ich es sein, der den ersten Kontakt herstellte.

„Sonst noch irgendwohin?“ Sie wandte sich an Cameron.

„Nein.“ Er scrollte durch die Bilder, die er von verschiedenen Orten geschossen hatte. „Mir gefällt es, wie im Augenblick alles aussieht. Es ist grün, aber nicht zu grün. Es ist – wie war noch das Wort, das du vorhin benutzt hast? – rustikal. Ich will rustikal. Wie schnell können wir anfangen?“

Shelly blätterte durch die Seiten ihres Notizbuches. „Mit einer Minimalbesetzung? Zwei Wochen. Wenn du alle Mitarbeiter brauchst, mindestens ein Monat. Wir sind mit der Vorproduktion fast fertig, aber niemand von der Belegschaft soll vor dem ersten August hier eintreffen. Wir könnten etwas ohne sie schaffen, aber das wäre schwierig.“

„Bisher haben wir schwierige Situationen immer gemeistert“, sagte ich.

Sie nickte. „Das stimmt.“

Wir hatten für diesen Film keinen Standortmanager eingestellt, weil Cameron darauf bestanden hatte, die Location selbst auszukundschaften. Und Shelly war eingesprungen und hatte die Verträge für die verschiedenen Örtlichkeiten ausgehandelt.

Die Rollenbesetzung war erledigt. Unser hauseigener Besetzungschef hatte die kleineren Rollen übernommen, während Cameron handverlesene Schauspieler zum Vorsprechen für die Hauptrollen einlud. Der Film hatte nicht besonders viele Rollen, wodurch das Einstellen effizient wurde. Cameron hatte auch auf einen bekannten Produktionsdesigner bestanden, mit dem er in der Vergangenheit schon häufiger gearbeitet hatte.

Shelly hatte sich um den Rest gekümmert. Kostümdesign. Sound. Haare. Make-up. Catering. Unterbringung. Sie hatte Monate damit verbracht, alle Dominosteine so aufzustellen, dass sie in genau der richtigen Reihenfolge fallen würden.

Gott steh uns bei, sollte sie jemals dieses Notizbuch verlieren.

„Ich würde gerne mit einer Minimalbesetzung anfangen.“ Cameron tippte sich ans Kinn. „Ich will zumindest ein paar der Landschaftsaufnahmen im Kasten haben, bevor die Sommerhitze kommt. Kannst du hier sein, Shaw?“

„Kein Problem.“ Dieser Film hatte für mich Priorität.

„Wenn wir das machen, brauche ich ein paar Stunden, um einige Anrufe zu erledigen“, sagte Shelly, die bereits Notizen auf den Rand eines Blattes kritzelte.

„Ich bringe dich zum Motel zurück.“ Ich ging vom Gas und machte einen U-Turn, um in die entgegengesetzte Richtung fahren zu können.

„Ich will auch meinen Assistenten anrufen“, sagte Cameron.

„Dann lasst uns eine Pause machen“, sagte ich. „Wir können uns zum Abendessen wiedertreffen.“

„Was hast du vor?“, fragte Shelly.

„Auf Erkundung gehen.“

Und mich jemandem vorstellen.

Nachdem ich sie beim Motel abgesetzt hatte, gab ich einen neuen Ort in mein Navi ein und folgte dem angegebenen, blau markierten Weg. Die Ruhe, die ich gerade erst gefunden hatte, löste sich in Luft auf, als ich mich der Werkstatt näherte. Der stattliche Laden ragte über der Straße auf, so wie die Berge in der Weite. Das Zinndach glänzte unter der Julisonne. Es gab vier Tore zu Reparaturbuchten, und alle standen offen und waren mit Autos besetzt. Ich parkte auf einem freien Platz neben der Tür, auf der BÜRO stand.

Das Geräusch eines jaulenden Luftdruckkompressors erfüllte die Luft. Metall, das auf Metall schabte. Sich drehende Schraubenschlüssel, die Bolzen festzogen. Ein leichter Geruch nach Schmiere und Benzin lag in der Luft. Ich öffnete die Bürotür, den Blick auf den Verkaufsraum gerichtet und suchte nach Gesichtern. Als ich eins entdeckte, ging ich mit einem Lächeln darauf zu. Mein Lächeln hatte die Herzen von hunderten Frauen auf der ganzen Welt gewonnen. Normalerweise war die Reaktion darauf Erröten und ein offenstehender Mund.

Heute empfing mich etwas Blaues. Die blauesten Augen, die ich je gesehen hatte. Augen, die den Himmel von Montana verblassen ließen und karibische Küsten in den Schatten stellten. Sie brachten mich aus dem Konzept. Jetzt war ich es, der errötete und den Mund schließen musste, während ich die Frau hinter dem Schreibtisch musterte, um sicherzugehen, dass sie real war.

Ihr Haar hatte die Farbe von reinstem Sand. Es war kurz und fiel über eine perfekt geschwungene Augenbraue. Ihre Lippen waren so hart wie ihr Gesichtsausdruck, aber ich vermutete, dass sie, wenn sie nicht so düster blickte, einen natürlichen, sexy Schmollmund formten. Ich hatte keine Ahnung, wer sie war, aber sie kannte offensichtlich mich. Ihre Augen waren nicht nur blau, es war ein wütendes Blau. Sie kannte mich und wusste ganz genau, weswegen ich hier war.

Wie durch ein Wunder hatten wir es geschafft, die Regenbogenpresse von unserer Vorproduktion fernzuhalten. Wenn irgendjemand in Clifton Forge Cameron bei seinen Besuchen während der letzten paar Monate bemerkt hatte, war es ihm egal gewesen.

Aber mit Näherrücken der Produktion würde jeder in Clifton Forge die Aktivität und den Anstieg der Besucher bemerken. Einige in der Stadt, so wie der Bürgermeister, zählten auf den Kommerz. Ungefähr vor einem Monat, nachdem Shelly die endgültige Vereinbarung mit dem Stadtrat unterzeichnet hatte, kündigte der Bürgermeister den Film zeitgleich mit unserer Presseerklärung in Hollywood an. Seitdem hatte ich die örtliche Zeitung von Clifton Forge im Auge behalten, und darin wurde kurz danach ein Artikel veröffentlicht. Mein Name wurde nur einmal erwähnt.

Ich hatte gehofft, dass die Leute sich an den Gedanken einer Filmcrew samt Mitarbeitern gewöhnt, ihn vielleicht nach einem Monat sogar akzeptiert hätten. Das schien in der Clifton Forge Werkstatt nicht der Fall zu sein.

Ich entdeckte die letzte Ausgabe der Entertainment Weekly auf einem Tisch neben einem leeren Stuhl. Mein Gesicht war auf dem Cover, und jemand hatte es mit einer Teufelsmistgabel und Hörnern verziert.

So viel zu Finesse und Lächeln.

„Hi.“ Ich schenkte ihr das strahlende Lächeln, bei dem Fotografen anfingen zu sabbern.

Sie sah mich aus schmalen Augen an. „Kann ich Ihnen helfen?“

Ich durchquerte den leeren Raum und streckte die Hand aus. „Shaw Valance. Ich glaube, Sie wissen, wer ich bin und warum ich hier bin.“

Ihr Blick schoss zu meiner Hand und sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich, äh …“ Ich ließ die Hand sinken. „Ich hatte gehofft, ich könnte mich Mr. Slater vorstellen.“

„Dash ist heute nicht verfügbar.“ Ihre Stimme war ausdruckslos. „Möchten Sie einen Termin vereinbaren?“

„Morgen früh?“

Sie schüttelte den Kopf. „Da ist er beschäftigt.“

Warum hatte ich das Gefühl, dass Dash immer beschäftigt sein würde, ganz egal, welche Zeit ich vorschlug? Ich atmete tief durch. „Ich bin nicht hier, um Ärger zu machen. Ich will mich nur vorstellen. Und etwas über das Projekt erzählen.“

„Klar.“ Ihr Tonfall triefte vor Sarkasmus. Es interessierte sie einen Scheiß, was wir hier taten oder warum.

Ich hielt ihrem Blick stand und konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich kam bei dieser Frau nicht weiter, warum saß ich also nicht schon längst wieder im Wagen? Die wütenden Wellen, die von ihrem bezaubernden Gesicht ausstrahlen, versetzten mir so etwas wie einen Schock, aber die Sohlen meiner Stiefel waren wie am Boden festgeklebt. Sie war klein, wog wahrscheinlich kaum fünfzig Kilo, aber verdammt, sie war wie eine Naturgewalt.

Der letzte Mensch, der mich so eingeschüchtert hatte, war mein Vater gewesen, bevor er in Ungnade fiel.

Ich knickte unter dem Blick aus diesen lebhaften blauen Augen etwas ein und sah mich im Raum um. Ich entdeckte ein gerahmtes Foto an der Wand. Ich beugte mich näher heran und betrachtete den Mann, von dem ich wusste, dass es Draven Slater war – noch ein Punkt für Google. Seine Söhne, Nick und Dash, standen zu seinen Seiten, und daneben parkten drei Motorräder.

Die Tür hinter mir öffnete sich und ich konnte meine Füße wieder bewegen. Ich drehte mich um und sah einen der Männer von dem Foto hereinkommen. Dash wischte sich mit einem roten Putzlappen Schmiere von den Fingern. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, und ich tat bei ihm dasselbe, wobei ich bemerkte, dass wir ungefähr dieselbe Größe und Statur hatten.

„Dash Slater.“ Ich streckte die Hand aus. „Schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Shaw Valance.“

Sein Handschlag war fest, seine Miene vorsichtig. „Was kann ich für dich tun, Shaw?“

„Ich möchte mir ein Bike bauen.“ Die Idee kam aus dem Nirgendwo und sprudelte aus meinem Mund.

„Ein Bike?“

„Ja, genau.“ Ich nickte und tat so, als hätte ich diesen Einfall nicht erst gerade eben gehabt. „Ich habe gehört, dass du einer der Besten bist.“

„Tut mir leid, wir haben in unserem Terminplan nichts mehr frei.“ Dash verschränkte die Arme vor der Brust und sah über meine Schulter. „Stimmt’s nicht, Presley?“

„Ja. Wir sind für zwei Jahre ausgebucht.“

Verdammt. Das klang tatsächlich nach der Wahrheit.

Ihre Warteliste war mein Signal zu gehen. Ich war vorbeigekommen, um mich vorzustellen. Ich hatte ihnen ein Geschäft angeboten. Keiner von ihnen schien etwas über meinen Film wissen zu wollen. Warum stand ich dann noch hier herum? Warum fühlte ich mich plötzlich schuldig, weil ich in ihrer Stadt einen Film drehen wollte? Das war doch gut für sie. Während der Produktion brachten wir Geld in die Stadt, und danach würde sie berühmt sein. Wollte nicht jeder den trügerischen Anspruch auf Ruhm? Nein. Nicht jeder genoss das Rampenlicht. Nicht einmal ich.

Ich sollte gehen, warf aber immer noch nicht einmal einen Blick zur Tür. Jetzt, da ich diesen Einfall hatte, wollte ich wirklich ein Bike. Ich wollte diese Leute kennenlernen, die für mich bisher nur Charaktere auf einem Blatt Papier waren.

„Ich hätte wissen müssen, dass ihr beschäftigt seid und daher früher anrufen sollen. Diese Idee hatte ich erst in allerletzter Minute. Tut mir leid. Wir überlegen uns etwas anderes für den Film. Ich bin sicher, dass Harley Davidson uns eine Standard-Maschine schicken wird, auf der der Schauspieler, der Ihren Dad spielt, fahren kann. Sie wird nicht so cool sein wie das Bike auf dem Bild, aber ich wette, das fällt den Leuten nicht auf.“

„Standard?“ Dashs Kiefer spannt sich an.

Er musste wissen, dass ich ihn gerade geködert hatte, und auch, dass er diesen Köder schluckte. Denn Draven Slater, der Mann, der auf dem Foto vor einem 50.000 Dollar-Bike stand, hätte niemals eine Standard-Maschine gefahren.

Dash würde dieses Bike bauen, damit die Darstellung seines Vaters so genau wie möglich sein würde.

Shelly verstand das Konzept von Authentizität vielleicht nicht, aber Dash Slater begriff es ganz gewiss.

„Das wird dich einiges kosten“, sagte Dash.

„Dash …“

Er hob eine Hand und brachte damit Presleys Protest zum Verstummen.

„Wie viel?“, fragte ich.

„Fünfundsiebzig Riesen. Drei Monate. Ich entscheide über das Design.“

In drei Monaten wären wir schon längst nicht mehr in Clifton Forge. „Sechs Wochen. Das Design liegt in deinen Händen. Und ich zahle neunzigtausend, weil es schneller gehen muss.“

„Einverstanden. Presley, setz den Vertrag auf.“ Ohne ein weiteres Wort verließ Dash das Büro und kehrte ins Geschäft zurück. Als ich mich umdrehte, begegnete ich einem eisigen Blick.

„Bitte setzen Sie sich.“ Presley zeigte auf den Stuhl gegenüber ihrem Schreibtisch.

Ich gehorchte. Nachdem ich ihr gegenübersaß, stieg mir von der anderen Seite des Schreibtisches ein Duft nach Zitrus und süßer Vanille in die Nase. Der Duft war einladend, ganz im Gegensatz zu der Frau, die den Blick auf den Computerbildschirm gerichtet hielt.

„Name?“, fragte sie.

„Shaw Valance.“

„Ihr legaler Name.“

„Shaw. Valance.“

Ihre Finger zögerten über der Tastatur, bevor sie meinen Namen eingab. Sie nahm meine Adresse und Telefonnummer auf, klickte gefühlt hundert Mal auf die Maus und sah mich kein einziges Mal an. Dann drehte sie sich auf ihrem Stuhl, um den frisch gedruckten Vertrag aus dem Drucker zu nehmen. Sie legte ihn zusammen mit einem Stift vor mich hin. „Unterschreiben Sie auf der letzten Seite.“

Ich kritzelte meinen Namen hin.

Presley zog die Blätter unter meiner Hand hervor, bevor die Tinte die Chance hatte zu trocknen. Sie unterschrieb unter meinem Namen.